Rede von
Hans
Demmelmeier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Bucher hat das Thema schon im großen und ganzen behandelt, so daß eigentlich nur noch wenige Gesichtspunkte übrigbleiben.
Wir Anwälte sind alle der Meinung, daß nur eine freie Anwaltschaft in der Lage ist, ihren Beruf auszuüben und der Rechtspflege zu dienen. Keine Einigkeit besteht aber über das Verlangen, daß nur ein Teil der Anwälte bei dem Oberlandesgericht zugelassen wird, während ein anderer Teil diese Zulassung nicht erhält. Gewiß wollen diejenigen Rechtsanwälte, die bisher beim Oberlandesgericht zugelassen waren, diese Stellung und diesen Besitz erhalten. Das nehmen wir ihnen, sofern sie ganz berechtigte und ausschließliche Grunde haben, gar nicht übel. Aber die Herren Kollegen, die beim Oberlandesgericht zugelassen sind, wissen doch, daß schon seit Jahren Stimmen laut geworden sind, daß auch die anderen Anwälte ein Recht haben, beim Oberlandesgericht zugelassen zu werden, und zwar einfach deshalb, weil sie die gleichen Voraussetzungen erfüllen und keine Gründe vorhanden sind, aus denen man ihnen diese Gleichberechtigung entziehen könnte.
Nun wird von den Kollegen, die beim Oberlandesgericht zugelassen sind, gesagt: Diese Übung besteht seit dem Jahre 1878. Das mag richtig sein. Außerdem wird vorgebracht — was auch der Kollege Bucher schon gesagt hat —, dadurch, daß in der zweiten Instanz andere Richter und andere Rechtsanwälte aufträten, sei eine bessere Rechtspflege gewährleistet und werde die Qualität der Rechtsprechung erhöht.
Welches ist denn die Aufgabe des Richters, und welches ist die Aufgabe des Rechtsanwalts? Der Richter hat auf der Grundlage des Rechts die Tatbestände zu würdigen und ein gerechtes Urteil zu fällen. Die Aufgabe des Anwalts besteht darin, auch auf der Grundlage des Rechts einer Partei, die er vertritt, zum Siege zu verhelfen. Das ist eine davon nicht verschiedene Aufgabe, aber die Richtung, die das Gericht vertritt, und die Richtung, die der Anwalt für sich in Anspruch nimmt, sind verschieden.
Wenn Sie das Pech haben, daß Sie einen Prozeß führen müssen, werden Sie sich natürlich zunächst fragen, zu welchem Rechtsanwalt Sie gehen sollen. Sie werden zu dem Rechtsanwalt in Ihrem Ort gehen, zu dem Sie Vertrauen haben. Sie werden mit diesem Rechtsanwalt alles besprechen und alle Tatbestände ergründen, um den Prozeß vorzubereiten. Der Prozeß wird beim Landgericht angestrengt. Die Partei gewinnt den Prozeß. Schließlich erfährt der Anwalt, daß die Gegenpartei mit diesem Urteil nicht einverstanden ist und daß sie Berufung gegen das Urteil des Landgerichts einlegt. Das wird man seiner Partei mitteilen müssen. Die Partei kommt. Man wird ihr sagen müssen: „Sie haben den Prozeß zwar gewonnen, aber ich muß Ihnen leider mitteilen, daß die Gegenpartei mit dem Urteil nicht einverstanden war und deshalb Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt hat." Schon das bedeutet einen gewissen Schreck für die Partei. Gleichzeitig muß ich sagen: Damit ist es nun nicht getan, Sie müssen sich einen anderen Anwalt nehmen. In meiner langen Erfahrung habe ich nur zur Kenntnis nehmen müssen, daß der zweite, größere Schreck darin besteht, daß nun ein Anwaltswechsel eintreten muß. Entsprechend dem Gefühl der Parteien, die doch von vornherein alle Sachverhalte mit dem Anwalt besprochen haben, haben wir es jedenfalls nach unserer Erfahrung für zweckmäßiger gehalten, daß ein solcher Anwaltswechsel nicht eintritt, und zwar — das hat Herr Kollege Bucher schon gesagt — aus sehr einfachen Gründen. Der Rechtsanwalt in der ersten Instanz kennt seine Partei, kennt ihre persönlichen und sachlichen Verhältnisse. Die Partei kann sich am besten mit diesem Anwalt unterhalten. Nun ist die Partei gezwungen, sich einen anderen Anwalt zu nehmen, der beim Oberlandesgericht zugelassen ist. Da ist es mir wiederholt vorgekommen, daß gesagt wurde: „Da gehe ich nicht hinauf; ich kenne den Anwalt nicht, ich müßte alles von neuem mit ihm besprechen; dieser Anwalt ist mir vollständig fremd. Sie müssen also mit dem Anwalt, den Sie auswählen — welchen, ist mir gleichgültig — korrespondieren und den Prozeßstoff für die zweite Instanz von neuem vorbereiten." So entsteht, wenn nicht der Oberlandesgerichtsanwalt oder die Partei reisen, die Notwendigkeit neuer Reisen und neuer Informationen. Infolgedessen ist es doch zweckmäßiger, daß derjenige Anwalt, der den Sachgegenstand kennt, der den Prozeß vorbereitet hat, der bei der Beweisaufnahme zugegen war, der eine unmittelbare Anschauung von dem ganzen Prozeßstoff, von der Beweiswürdigung, von der Einstellung des Richters bekommen hat, die Möglichkeit hat, seine Partei auch im Prozeß vor dem Oberlandesgericht zu vertreten.
Ich bin in meinem Beispiel davon ausgegangen, daß die Partei den Prozeß in der ersten Instanz gewonnen hat. Wenn die Partei nun den Prozeß vor dem Oberlandesgericht verliert, geht sie natürlich
Demmelmeier
wiederum zu ihrem Anwalt der ersten Instanz und sagt: „Habe ich es Ihnen nicht gleich gesagt! Hätten Sie meinen Prozeß beim Oberlandesgericht vertreten, hätte ich ihn nicht verloren!"
Wenn die Partei gezwungen wird, den Anwalt zu wechseln, wird es ihr in der Regel gar nicht einfallen, zu dem Anwalt beim Oberlandesgericht zu fahren. Infolgedessen muß ein Korrespondenzanwalt bestellt werden, es entstehen neue Gebühren. Der Korrespondenzanwalt, der in der Regel der Anwalt ist, der die Partei in erster Instanz vertreten hat, muß wieder alles neu besprechen, muß die Tatsachen, die sich in der Zwischenzeit ergeben haben, neu aufnehmen, muß den Schriftsatz abfassen und einreichen. Und was kann der Oberlandesgerichtsanwalt aus dem Schriftsatz machen? So sehr viel Möglichkeiten unterschiedlicher Argumentationen lassen doch die Gesetze nicht. Ich habe in meinem Leben eine große Anzahl von Prozessen geführt und habe nicht erlebt, daß die Prozesse, die ich beim Landgericht geführt habe, beim Oberlandesgericht immer anders ausgegangen sind. Wir haben sie in der ersten Instanz eben so geführt, daß der Oberlandesgerichtsanwalt nicht viel anderes mehr vorbringen konnte, so daß das Gericht dieselben Gründe angenommen und wiederum das gleiche Urteil gefällt hat.
Es ist bisher nicht dargetan worden, daß die Qualität der Rechtspflege gehoben werden könnte, indem man einen Wechsel der Anwälte beim Übergang des Prozesses an das Oberlandesgericht vorschreibt. Aber auf der anderen Seite wird das Vertrauensverhältnis, das zwischen dem Anwalt der ersten Instanz und der Partei besteht, nicht in der Weise aufrechterhalten, wie es zur zweckentsprechenden Durchführung eines Prozesses erforderlich ist. Wenn eine Partei mit dem Anwalt der ersten Instanz nicht einverstanden ist — der Herr Kollege Bucher hat das mit Recht gesagt —, steht es ihr ja frei, einen Anwalt des Oberlandesgerichts zu nehmen. Wenn das bisher der Fall gewesen wäre, wenn die Parteien von sich aus immer Anwälte des Oberlandesgerichts genommen hätten, brauchten sich die Herren, die am Oberlandesgericht zugelassen sind, gar nicht dagegen zu wehren, daß die Simultanzulassung eingeführt wird. Die Rechtsprechung wird dadurch im Ergebnis nicht besser. Man kann nicht sagen, der Landgerichtsanwalt, bei dem die gleichen Voraussetzungen vorliegen, sei nicht in der Lage, seinen Prozeß vor dem Oberlandesgericht zu führen.
Andererseits entstehen höhere Kosten, nicht nur Kosten, sondern auch Reise- und Informationsgebühren. Eventuell muß ein Korrespondenzanwalt genommen werden. Alle diese Auslagen entstehen nicht, wenn wir die Sache vereinfachen. Dann entstehen der Partei jedenfalls keine größeren Schwierigkeiten, keine größeren Nervenanstrengungen.
Infolgedessen ist der Wunsch derjenigen Anwälte, die bisher nur bei einem Landgericht oder Amtsgericht zugelassen waren, berechtigt, daß alle Anwälte, bei denen die gleichen Voraussetzungen vorliegen, bei allen Zivilgerichten zugelassen werden, wie sie andererseits auch bei allen Strafgerichten Amtsgerichten, Schöffengerichten, Schwurgerichten — zugelassen werden können.
Gleichheit vor dem Gesetz ist die Grundlage auch unserer Demokratie. Darum hat sich beispielsweise die Anwaltskammer in München schon vor einigen Jahren — Herr Kollege Kanka, Sie schütteln den Kopf; ich kann mir auch denken, daß Sie ihn schütteln — —