Rede von
Dr.
Heinrich
Deist
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich bitte um Entschuldigung, ich habe das übersehen; ich bewege mich aber auf den Schluß zu und werde mich bemühen, mich kurz zu fassen.
Ich darf, da sich der Herr Bundeswirtschaftsminister ja mit einigen allgemeinen Bemerkungen bemüht hat, hier einige Zahlen nennen. In Frankreich sind im nationalisierten Kohlenbergbau im Jahre 1958 von der Förderung insgesamt 2 % auf Halde gegangen. In Großbritannien sind von der Förderung des Jahres 1958 4 % auf Halde gegangen.
— Auf die Zechenhalde.
— Welche Halden meinen Sie?
— Bei den Verbrauchern? Sie wissen, daß wir in Deutschland nicht mal genaue Angaben über die Verbraucherbestände haben. Es handelt sich doch entscheidend darum, wieviel, abgesehen von der Lagerbewegung bei Verarbeitung und Verbrauch -das Problem gilt in jeder Industrie —, von der Förderung auf der Zeche auf Halde geht. — Na, wir können darüber noch sprechen.
Von der laufenden Förderung sind in Frankreich 2 %, in Großbritannien 4,5 % und in der Bundesrepublik 10 % auf Halde gegangen.
— Wir sprechen von den Auswirkungen der derzeitigen Krise, nicht von der Kohlevorratspolitik überhaupt. Denn man kann sehr wohl eine Kohlevorratspolitik betreiben, indem man bei Konjunkturrückgang besser als in Deutschland da vorsorgt,
daß man im Aufschwung Kohlevorräte hat. Das Problem, ob man in der Krise mit den Haldenzugängen fertig wird, ist allein daran zu messen, in welchem Umfang die Haldenbestände in der Krise zugenommen haben.
Aber das zweite Problem ist das der Kohleimporte. Die Kohleimporte sind in Frankreich im Laufe des Jahres 1958 um 60 % zurückgegangen; man hat dort nämlich bereits im Januar 1958 mit der Drosselung der Kohleimporte begonnen. In Großbritannien wurden die Kohleimporte im April 1958 eingestellt; die Kohleimporte gingen infolgedessen im Jahre 1958 um 75 % zurück. Wir haben im Februar/ März die größten Importe vorgelegt, und infolgedessen sind bei uns die Importe nur um 28 % zurückgegangen. Großbritannien hatte das coal-board. Frankreich hatte den nationalisierten Kohlebergbau und eine nationale Einfuhrorganisation. Wir hatten private Handelsgesellschaften, die nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten Einfuhrpolitik betrieben.
Dann zu den Feierschichten! Frankreich hat im Jahre 1958 keine Feierschichten verfahren. In Großbritannien hat es 1958 keine Feierschichten gegeben. Bei uns in der Bundesrepublik wurden 3 Millionen Feierschichten verfahren. Jetzt erzählen Sie mir noch, daß man mit den Krisenproblemen des Jahres 1958 mit dem nationalisierten Kohlenbergbau in Großbritannien und Frankreich nicht besser fertiggeworden sei, als bei uns mit privatwirtschaftlichen, die im Kohlenbergbau längst überholt sind, der Fall war.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das also sind die Probleme des Kohlenbergbaues. Kein Mensch verlangt, daß Sie heute zustimmen. Sie sollten sich aber einmal die Probleme überlegen, die dahinterstecken. Vielleicht kann Ihnen der Kollege Burgbacher etwas helfen. Ich weiß, er ist ein Gegner der Verstaatlichung der Energiewirtschaft. Ich will ihm gar nichts unterstellen, was ihm nicht liegt. Aber er könnte Ihnen einiges über die Fakten, die die nationalisierte Energiewirtschaft in Großbritannien und in Frankreich geschaffen hat, und über die Erfolge der Energiepolitik in diesen Ländern sagen, wie er das, glaube ich, an anderer Stelle bereits getan hat. Da könnten Sie sich sachlich unterrichten, wie hervorragend eine solche vorbildliche Ordnung der Energiewirtschaft — im Gegensatz zu uns in Deutschland — wirkt.
Hier hilft eben nur eine Ordnung des Kohlenbergbaues, die eine einheitliche Führung sichert, die eine planmäßige Entwicklung des Kohlenbergbaues zuläßt und die vor allen Dingen sicherstellt, daß volkswirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden können. Das ist nur bei einer Führung unter öffentlicher Verantwortung möglich. Darum verlangen wir auch für Deutschland die Überführung des Kohlebergbaus in Gemeineigentum.
Die zweite Forderung, die wir stellen, betrifft im Hinblick auf die Probleme der Kohleeinfuhr die einheitliche Steuerung der Einfuhr von Kohle aus dritten Ländern, um eine mengenmäßige und preismä-
Dr. Deist
ßige Steuerung zu sichern. Denn auf andere Weise kann der unglückliche Einfluß vom Weltmarkt, der von keiner Seite zu beherrschen ist, nicht ausgeschaltet werden.
Einige Worte zur Mineralölwirtschaft, und damit kommen Sie zu Ihrem Recht, Herr Kollege Atzenroth. Wir halten es für völlig falsch, daß man zwei solche Industriezweige, die in Konkurrenz miteinander stehen, wie den Kohlebergbau und die Mineralölwirtschaft, gewissermaßen in einer societas leonina zusammenschließt, wobei den beiden Partnern gestattet wird, ihre Interessen auf dem Rücken der Verbraucher auszugleichen.
Das ist das Gefährlichste, das es gibt. Wir wissen, daß die Mineralölwirtschaft eine fortschrittliche Energiequelle ist. Man muß ihr ihren Bewegungsraum geben. Wir wissen, wie sie ihre Macht gebraucht; ich habe das vorhin dargestellt. Hier sollte eine ganz straffe und ganz scharfe Investitionskontrolle vorgenommen werden, damit im Rahmen einer langfristigen fortschrittlichen Investitionsplanung die Mineralölwirtschaft nicht jederzeit jede Planung mit ihrer Finanzkraft über den Haufen werfen kann. Hier müßte eine sehr, sehr straffe Kartell- und Preispolitik geführt werden, um einen ruinösen Mißbrauch ihrer Marktstellung zu verhindern.
Die Bundesregierung müßte sich endlich dazu aufraffen, eine Energiewirtschaftsplanung durchzuführen, die auf lange Sicht wenigstens Anhaltspunkte für die Entwicklung der verschiedenen Zweige der Energiewirtschaft gibt. Was bisher der Energiekreis beim Herrn Bundeswirtschaftsminister auf diesem Gebiet geleistet hat, reicht als Grundlage für die Politik einer verantwortlichen Bundesregierung nicht aus. Wenn ich recht unterrichtet bin, haben Sie jetzt sogar auf Prognosen verzichtet, weil Sie mit Ihren Prognosen allzusehr in Schwierigkeiten geraten seien, obwohl das eigentlich noch nicht einmal richtig ist. Insgesamt sind nämlich die Prognosen über die Entwicklung der Energiewirtschaft bis zum Jahre 1965, auch die des Bundeswirtschaftsministeriums, gar nicht so falsch gewesen. Herr Kollege Burgbacher wird das bestätigen können. Aber wir brauchen etwas anderes. Da die Abteufung eines Kohleschachtes 10 bis 15 Jahre dauert und die Förderung 50 bis 60 Jahre, muß schon jeder Unternehmer planen. Und er kann dies nur, wenn eine planmäßige Wirtschaftspolitik die Voraussetzungen dafür schafft. Wir kommen ohne die Entwicklung einer einheitlichen Energiewirtschaftspolitik nicht aus, und die Bundesregierung sollte sich endlich dazu aufraffen. Sonst wird das Schicksal der verschiedenen Zweige der Energiewirtschaft wie bisher dem Zufall, den Unbilden der Konjunktur oder dem Machtwillen so starker Gruppen wie der Mineralölwirtschaft ausgeliefert.
Schließlich sollte sich die Bundesregierung bewußt werden, daß man zur Führung einer solchen Energiepolitik eine zentrale Energiewirtschaftsstelle braucht. Ich will jetzt nicht darüber rätseln, wer das sein soll. Aber diese Stelle muß verantwortlich für die Energiewirtschaftspolitik und damit auch dem Bundestag verantwortlich sein, damit das Durcheinander und Gegeneinander, das heute auf dem Energiesektor herrscht, endlich einmal aufhört. Natürlich wäre die gegebene Stelle das Bundeswirtschaftsministerium. Nur kann einem allmählich zweifelhaft werden, ob dieses Bundeswirtschaftsministerium bei seiner personellen Besetzung und seiner Struktur wirklich Energiewirtschaftspolitik betreiben könnte.
Ohne eine Lösung dieser Probleme, ohne eine wirklich grundsätzliche Entscheidung werden wir zu keiner vernünftigen Entwicklung der deutschen Energiewirtschaft kommen können. Dazu muß sich die Bundesregierung aufraffen.