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    Deutscher Bundestag 56. Sitzung Bonn, den 22. Januar 1959 Inhalt: Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Fragen der Justizpolitik (Drucksache 569) Dr. Arndt (SPD) . . . . . 3047 B, 3118 B Schäffer, Bundesminister . . 3056 A, 3076 D, 3117 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler 3069 C, 3095 B Jahn (Marburg) (SPD) 3069 D Dr. Kanka (CDU/CSU) . . . 3077 D, 3114 D Dr. Bucher (FDP) . . . . . . . . 3082 A Dr. Schneider (Lollar) (DP) . . . 3086 D Rehs (SPD) 3091 B Benda (CDU/CSU) . . . . . . 3098 C Dr. Stammberger (FDP) 3106 A Wittrock (SPD) . . . . . . . 3107 C Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . 3110 D, 3114 A Dr. von Brentano, Bundesminister . 3113 B, 3114 C Dr. Schröder, Bundesminister . . . 3118 B Entwurf eines Gesetzes zu den Vereinbarungen mit den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Ver- einigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, der Republik Frankreich, des Königreichs Dänemark, des Königreichs der Niederlande und des Königreichs Belgien über gegenseitige Hilfe gemäß Art. 3 des Nordatlantik-Vertrages (Drucksache 47); Mündlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses (Drucksache 593) — Zweite und dritte Beratung Graf Adelmann (CDU/CSU) . . . 3123 D Erler (SPD) 3124 C Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 3126 C Schultz (FDP) . . . . . . . . 3129 D Probst (Freiburg) (DP) . . . . . 3130 B Entwurf eines Gesetzes über das Europäische Währungsabkommen vom 5. August 1955 (Drucksache 541); Mündlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen 785, zu 785) — Zweite und dritte Beratung — 3130 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . 3131 C Anlagen 3133 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1959 3047 56. Sitzung Bonn, den 22. Januar 1959 Stenographischer Bericht Beginn: 9,03 Uhr
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    Berichtigung Es ist zu lesen: 55. Sitzung Seite 3002 D Zeile 11 statt „Rademacher". Ramms. Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1959 3133 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albertz 4.4. Altmaier* 23.1. Dr. Atzenroth 22.1. Dr. Bärsch 23.1. Baur (Augsburg) 23.1. Dr. Becker (Hersfeld) 9. 3. Birkelbach*- 23.1. Fürst von Bismarck* 23.1. Blachstein* 23.1. Frau Blohm 31.1. Diel (Horressen) 23.2. Dr. Eckhardt 10. 2. Eilers (Oldenburg) 23.1. Etzenbach 7.2. Frenzel 23.1. Dr. Furler* 23.1. Gedat 30. 1. Geiger (München) 23.1. Gerns* 23.1. D. Dr. Gerstenmaier 23.1. Gleisner (Unna) 20. 2. Graaff 23.1. Dr. Greve 7.2. Dr. Gülich 31. 1. Haage 23.1. Häussler 23.1. Heinrich 31.1. Heye* 23.1. Höfler* 23.1. Frau Dr. Hubert* 23.1. Jacobs 28. 2. Dr. Jaeger 26.1. Frau Kalinke 31.1. Kiesinger* 23.1. Dr. Kliesing (Honnef)* 23.1. Köhler 24.1. Dr. Kohut O 24.1. Dr. Kopf* 23.1. Kramel 16.2. Kriedemann 22.1. Kühn (Bonn) 26.1. Kühn (Köln)* 23.1. Kunst 31.1. Kurlbaum* 23.1. Dr. Leverkuehn* 23.1. Lücker (München)* 23.1. Dr. Baron Manteuffel-Szoege 30.1. Dr. Martin 26.1. Mank 24.1. Frau Dr. Maxsein* 23.1. Memmel 31.1. Dr. Mende* 23.1. Dr. Menzel 15.2. Metzger* 23.1. Dr. Meyer (Frankfurt)* 23.1. *für die Teilnahme an der Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaub bis einschließlich Müser 17.2. Dr. Oesterle 6.2. Paul' 23.1. Pelster 31.1. Pernoll 23.1. Pütz 14.2. Rademacher 24.1. Frau Dr. Rehling* 23.1. Dr. Reith 31.1. Rohde 31.1. Ruf 23.1. Dr. Schild 22.1. Dr. Schmid (Frankfurt)* 23.1. Schneider (Hamburg) 2.2. Dr. Schneider (Saarbrücken) 15.2. Schütz (München)* 23.1. Seidl (Dorfen)* 23.1. Dr. Serres* 23.1. Vogt 23.1. Dr. Wahl* 23.1. Walpert 31.1. Frau Dr. h. c. Weber (Essen)* 31.1. Weinkamm 23.1. Wullenhaupt 24.1. Dr. Zimmer* 23.1. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Verkehrs auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Ritzel (Fragestunde der 55. Sitzung vom 21. 1. 1959, Drucksache 786, Frage 31) : Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um das neu eingerichtete Autotransportwesen der Bundesbahn mit wesentlich vermehrten Ein- und Ausladestationen auszustatten? Ist die Bundesregierung insbesondere bereit, die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn zu veranlassen, auf den bis jetzt für cien Autotransport erschlossenen Strecken eine vor Beginn der Bahnreise des Automobilisten stattfindende Verladung des Autos in geschlossenen oder offenen Güterwagen so rechtzeitig zu ermöglichen, daß der Reisende bei seiner Ankunft am ausländischen oder innerdeutschen Bestimmungsort seinen Wagen sofort zur Verfügung hat? Sieht die Bundesregierung auch die Möglichkeit, die Einrichtung des Autotransports von bundesdeutschen Stationen nach Berlin durchzuführen? Die Beförderung von Autos mit Reisezügen war 1958 noch auf die Sommersaison (Juni bis Oktober) beschränkt. Im vergangenen Jahre waren Autotransportwagen einmal zwischen Hamburg und Basel und zum andern in der Verbindung Ostende-München eingesetzt. Im kommenden Sommer sollen versuchsweise in zwei weiteren Zügen Autotransportwagen mitgeführt werden. Einer dieser Züge wird zwischen Mülheim (Ruhr)-Speldorf und München Ost verkehren. Kraftwagen können dabei auch in Düsseldorf Hauptbahnhof und in Köln-Deutz ein- und ausgeladen werden. Der andere Transportwagen wird von Großenbrode mit Verlademöglichkeit in Lüneburg nach München Ost und zurück verkehren. 3134 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1959 Zweck des seit einigen Jahren versuchsweise eingeführten Verfahrens ist es, die Reisenden, die am Tage ihren Kraftwagen benutzen, nachts mitsamt ihrem Fahrzeug über längere Strecken auf der Schiene zu befördern. Demgemäß sind jedem der genannten Züge Schlaf- und Liegewagen beigegeben. Eine Unterwegsbedienung ist im allgemeinen deswegen nicht vorgesehen, weil nach allen bisherigen Erfahrungen kein Interesse an einer Kurzstreckenbeförderung besteht und bei der bisherigen Fahrplangestaltung die Zwischenbahnhöfe zur Nachtzeit angelaufen werden. Die Beförderung von Kraftwagen in Tageszügen wurde bisher nicht gefordert. Sie ist deshalb bis auf weiteres auch nicht geplant. Zudem gibt es nur wenige Großstadtbahnhöfe, deren Bahnsteige ohne Schwierigkeit von Personenkraftwagen erreicht und befahren werden können. Die Bundesbahn prüft laufend die Möglichkeit, weitere Verbindungen dieser Art zu schaffen. Maßgebend für die Einrichtung weiterer Verkehre sind neben der Nachfrage die Einrichtung der Personenbahnhöfe mit Anfahrrampen und ausreichend breiten Bahnsteigen sowie das Vorhandensein entsprechend ausgerüsteter Transportwagen. Zur Zeit ist die Bundesbahn bemüht, die Konstruktion der Verladeeinrichtungen dieser Wagen zu verbessern, um die Aufenthalte der Züge abzukürzen. Bei dem heutigen Verfahren hat der Reisende seinen Wagen unmittelbar nach der Ankunft des Zuges zur Verfügung. Es ist deshalb nicht erforderlich, ihm eine vorausgehende Verladung zu ermöglichen, soweit die Beförderungsart „Auto im Zuge" eingeführt ist. Übrigens könnten normale Güterwagen, auf die der Reisende etwa vorher sein Fahrzeug verladen hat, deshalb nicht mit Schnellzügen befördert werden, weil sie für solche Geschwindigkeiten nicht geeignet sind und weil im allgemeinen auf den Personenbahnhöfen unterwegs . nicht die erforderliche Zeit für das Ein- und Ausrangieren vorhanden ist. In den Jahren vor dem letzten Krieg konnten Personenkraftwagen auf allen Güterabfertigungen gegen einen stark ermäßigten Beförderungspreis zur Beförderung mit Güterzügen nach allen Richtungen aufgegeben werden. Von dieser Einrichtung ist so gut wie kein Gebrauch gemacht worden, weil im Güterverkehr, der zum grollen Teil mit Bedarfsgüterzügen bedient wird, die Ankunftszeit im allgemeinen nicht mit völliger Sicherheit vorher angegeben werden kann. In gewissen Schnellzügen werden dagegen besonders eingerichtete Gepäckwagen mitgeführt, die der Autobeförderung dienen. Dabei handelt es sich einmal um Doppelstockgepäckwagen (DPw4üm) mit Schwenkhubbühne. Hier werden die Autos vom Bahnsteig aus durch die Seitentür verladen; Fassungsvermögen 8 Kraftwagen. Außerdem werden zukünftig — ohne Möglichkeit der Verladung an Zwischenstationen — Gepäckwagen mit Stirnwandtüren (MPw4i) verwendet, in denen zwei bis drei Kraftwagen unterzubringen sind. Bisher lief je einer der erwähnten Doppelstockwagen im Fernschnellzug „Komet" zwischen Hamburg und Basel. Der Verkehr wurde täglich bedient. An zwei Wochentagen liefen die Wagen bis Chiasso durch; jedoch soll diese Verlängerung nach Chiasso aufgegeben werden. Ferner gab es eine Verbindung Ostende—München, die an einzelnen Tagen, 1958 insgesamt 19mal, bedient wurde. Hier fanden belgische Spezialgüterwagen Verwendung, die für den Lauf in Schnellzügen geeignet sind. Die neugeplanten Verbindungen Mülheim (Ruhr)—München Ost und Großenbrode—München Ost sollen dreimal wöchentlich durchgeführt werden. Hier werden Gepäckwagen mit Stirnwandtür verwendet. Für die Beförderung der Pkw in Autotransport-wagen wird eine mäßige Fracht erhoben, die nicht vom Gewicht der Wagen abhängig ist. Unterschieden wird lediglich zwischen Pkw mit einer Länge von bis zu 4,42 m und größeren Wagen. Die Beförderungsart „Auto im Reisezug" hat im letzten Jahr recht lebhaften Zuspruch gefunden. Gezählt wurden in der Verbindung Hamburg—Basel 2535 Pkw und 6252 Reisende, auf der Strecke Ostende — München (an 19 Tagen) 865 Pkw und 2573 Reisende. Im Verkehr zwischen der Bundesrepublik und Westberlin kann eine Beförderung auf Autotransportwagen nur eingeführt werden, wenn die Deutsche Reichsbahn (Ost) diesem Verfahren zustimmt. Das ist kaum anzunehmen, um so mehr als gegenwärtig die Zahl der verkehrenden Reisezüge sehr gering ist und deswegen diese Züge schon heute bis an die Grenze des Möglichen mit Personenwagen ausgelastet sind. Dr.-Ing. Seebohm Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Verkehr auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Felder (Fragestunde der 55. Sitzung vom 21. 1. 1959, Drucksache 786, Frage 37) : Welche Zeitspanne ist im Rahmen des Straßenbauprogramms des Bundesverkehrsministeriums für den Ausbau der Strecke vom Nürnberger Kreuz nach Tennenlohe und damit zum Anschluß an die bereits vierspurig befahrbare Bundesstraße 4 zwischen Tennenlohe und Erlangen vorgesehen? Ist bei den Planungen zum weiteren Ausbau der Bundesstraße 8 schon eine Entscheidung in der Frage der Ortsumgehungen von Langenzenn und Emskirchen getroffen worden? Die für den Vollausbau der Autobahnteilstrecke Nürnberger Kreuz — Tennenlohe erforderlichen Mittel stehen zur Verfügung. Die Arbeiten zur Herstellung des Fahnbahnunterbaues und eines Teiles der Fahrbahndecke sind vergeben. Der Rest der Deckenarbeiten ist ausgeschrieben; mit der Zuschlagserteilung ist in den nächsten Tagen zu rechnen. Mit der Durchführung der Arbeiten wurde im Herbst 1958 begonnen. Ich rechne damit, daß bis Ende dieses Jahres der gesamte Streckenabschnitt zweibahnig, d. h. vierspurig, dem Verkehr übergeben werden kann. Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 22. Januar 1959 3135 Im Wirtschaftsplan der Gemeinde Emskirchen ist bereits eine generelle Linienführung für die Ortsumgehung vorgesehen. Für Langenzenn soll ebenfalls die Trasse für eine spätere Umgehung im Wirtschaftsplan der Gemeinde berücksichtigt werden. Nachdem wir uns entschlossen haben, die Autobahn Frankfurt/M.—Würzburg—Nürnberg jetzt beschleunigt zu bauen, sind diese Umgehungen nicht mehr vordringlich. Der derzeitige starke und für die Gemeinden besonders lästige Durchgangsverkehr wird künftig von der Bundesstraße 8 abwandern und auf die neue Autobahn übergehen. In den generellen Planungen der beiden Ortsumgehungen und deren Aufnahme in die Wirtschaftspläne der Gemeinden sehe ich eine vorsorgliche Maßnahme, um die Mögkeit für spätere Umgehungen bei einer heute noch nicht voraussehbaren Verkehrsentwicklung offenzuhalten. Dr.-Ing. Seebohm
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    Rede von Dr. Adolf Arndt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Justiz, über die man spricht, braucht nicht die beste zu sein. Über eine gute Justiz kann man sprechen. Offen über die Justiz zu sprechen, ist für die Justiz gut.
    Die Anfrage, die ich zu begründen habe, verfolgt nicht das Ziel, alle rechtspolitischen Fragen aufzurollen oder die Problematik, die einer jeden Gerichtsbarkeit stets innewohnt, für die Gegenwart unter sämtlichen Gesichtspunkten aufzuzeigen. Wir haben einige Fragen von unterschiedlichem Gewicht und sehr verschiedener Art als vordringlich ausgewählt, insbesondere solche Fragen, zu denen die rechtspolitische Haltung der Bundesregierung und ihre Einstellung gegenüber der Justiz Veranlassung geben.
    An der Spitze steht deshalb die Frage, wann die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen wird, der das grundgesetzliche Gebot erfüllt, institutionell dafür zu sorgen, daß unter der Fünfzahl der oberen Bundesgerichte nicht die Rechtseinheit leidet. Nicht ohne Befremden mußten wir davon
    Kenntnis nehmen, daß die Bundesregierung — durch ihre Antwort vom 30. Oktober vergangenen Jahres in der Drucksache 610 auf eine Kleine An- frage der FDP-Fraktion — jetzt wieder völlig offenläßt, ob sie überhaupt geneigt ist, rund 10 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, an die Ausführung des Artikels 95 unserer Verfassung zu gehen.
    Im Bundesministerium der Justiz ist eine Referentendenkschrift ausgearbeitet worden, in deren Einleitung der merkwürdige Satz steht, der Bundestag habe einstimmig seine Bereitschaft zu einer Änderung des Artikels 95 erklärt, weil insbesondere „die Bedürfnisfrage zweifelhaft" sei. Das ist unrichtig. Diese Behauptung — ich wiederhole: sie ist falsch — hätte den Bundesgerichten, denen die Denkschrift zugeleitet wurde, so nicht mitgeteilt werden dürfen.
    Richtig ist vielmehr, daß der Bundestag seine Bereitschaft kundgab, die verunglückte Bezeichnung „Oberstes Bundesgericht" zu berichtigen sowie eine solche Neufassung des Artikels 95 zu beschließen, die es zweifelsfrei ermöglicht, von einer selbständigen Gerichtsbehörde abzusehen und die Aufgabe, über Widersprüche zwischen den Bundesgerichten zu entscheiden, Spruchkörpern zu übertragen, die aus Richtern der bestehenden Bundesgerichte gebildet werden. Aber an der Erforderlichkeit und Dringlichkeit dieser Einrichtung hat im Bundestage niemand gezweifelt.
    Auf einen Antrag der Freien Demokratischen Fraktion hin hat die Bundesregierung in der 162. Sitzung des 2. Bundestages am 3. Oktober 1956 durch Herrn Staatssekretär Dr. Strauß und dann im Rechtsausschuß dazu Stellung genommen. Weder damals noch bei der Verabschiedung des Antrags in der 174. Sitzung des 2. Bundestages am 29. November 1956 hat die Bundesregierung zu erkennen gegeben, daß sie es für untunlich oder gar entbehrlich halte, dem Verfassungsgebot zu genügen. Einstimmig hat der Bundestag seinerzeit vor zwei Jahren die Bundesregierung aufgefordert, den nach Artikel 95 notwendigen Gesetzentwurf zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung vorzulegen. Als Berichterstatter sprach der Herr Kollege Dr. von Buchka sogar die Hoffnung aus, das Ziel noch in der zweiten Wahlperiode des Bundestages zu erreichen.
    Es wirft leider kein gutes Licht auf die Achtung, die die Bundesregierung dem Bundestag entgegenbringt, wenn zwei Jahre nach einem sorgfältig vorberatenen Parlamentsbeschluß nichts herauskommt



    Dr. Arndt
    als eine den Abgeordneten bisher nicht bekanntgegebene Denkschrift, in der ein Referent gegen diese Aufforderung des Bundestages polemisiert. Im Kern wendet sich die Denkschrift sogar gegen das Grundgesetz; denn die von der Denkschrift bekritelte Verpflichtung, einen gesetzlichen Richter einzusetzen, dessen Entscheidung Zwiespältigkeiten zwischen den Rechtserkenntnissen der fünf oberen Bundesgerichte ausschließt, ist uns durch die Verfassung selber auferlegt.
    Die Antwort der Bundesregierung in ihrem Schreiben vom 30. Oktober vergangenen Jahres kann nicht befriedigen. Die Ausführungen der Denkschrift sind unzulänglich.
    Die Denkschrift scheidet zutreffend solche Streitfragen, die verfassungsrechtlicher Art sind, aus, weil insoweit Widersprüche zwischen den oberen Bundesgerichten durch das Bundesverfassungsgericht entschieden werden können. Die Denkschrift kommt zu dem Ergebnis, daß es gegenwärtig vier Rechtsprobleme gebe, für die das Bundesverfassungsgericht nicht zuständig sei und bei denen sich eine gegensätzliche Rechtsprechung zwischen den oberen Bundesgerichten herausgebildet hat.
    Nach meiner Überzeugung ist es mit den rechtsstaatlichen Geboten der Rechtseinheit, Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit unvereinbar, auch nur einen einzigen Widerspruch in der Rechtsprechung zwischen den fünf oberen Bundesgerichten hinzunehmen. Denn die Rechtseinheit zu wahren ist ja gerade eine wesentliche Aufgabe der Bundesgerichtsbarkeit, und es darf nicht sein, daß für den einen Bürger Recht ist was für den anderen Bürger Unrecht ist, je nachdem ob eine Klage zuletzt vor dieses oder vor jenes obere Bundesgericht kommt.
    Darüber hinaus bedaure ich sagen zu müssen, daß die Feststellungen der Denkschrift leider unvollständig sind. Die Zahl und die Bedeutung der Widersprüche zwischen den letztinstanzlichen Bundesgerichten ist größer, als die Denkschrift es darstellt. Es gibt noch folgende weitere Widersprüche. Während sonst die oberen Bundesgerichte die Selbstbindung an ihre eigenen, in einem zurückverweisenden Urteil ausgesprochenen Rechtsgründe bejahen, hat das Bundesverwaltungsgericht sie bedingt verneint. Die Frage, ob gewisse Ruhegehaltsansprüche der Vertragshilfe unterliegen, wird vom Bundesgerichtshof bejaht, vom Bundesarbeitsgericht verneint. Ob sich ein Ruhegehaltsanspruch, der treuewidrig vereitelt werden sollte, gegen die Versorgungseinrichtung oder gegen den Arbeitgeber richtet, wird vom Bundesarbeitsgericht und vom Bundesgerichtshof entgegengesetzt beantwortet. Für Schadensersatzansprüche eines einzelnen Arbeitgebers aus einem Streit haben sich bei gleicher Sachlage sowohl der Bundesgerichtshof als auch das Bundesarbeitsgericht im Widerspruch zueinander für zuständig erklärt. In der fundamentalen Rechtsfrage nach Wesen und Wirkung einer überholenden Kausalität sind die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und die des Bundesarbeitsgerichts zu voneinander abweichenden Standpunkten gekommen. — Das nur zur Kritik dieser Denkschrift.
    Ich fasse zusammen. Das Grundgesetz hat namentlich um der Rechtseinheit willen die Bundesgerichtsbarkeit geschaffen. Aber es hat sie auf fünf voneinander getrennte Bundesgerichte verteilt. Daraus folgt zwingend die Notwendigkeit, Widersprüchen in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu begegnen, also auf irgendeine Weise zu ermöglichen, daß die bundesgerichtliche Rechtsprechung aufeinander abgestimmt wird. Das Verfassungsgebot hierzu ist bereits im Grundgesetz selber ausdrücklich enthalten. Dieses Verfassungsgebot zu erfüllen, ist die Bundesregierung schon seit zwei Jahren durch einen einstimmigen Beschluß des Bundestages aufgefordert.
    Das Verhalten der Bundesregierung zu dem Verfassungsgebot aus Art. 95 ist keine Zufallserscheinung, sondern symptomatisch für die stiefmütterliche Behandlung der rechtsprechenden Gewalt und die Vernachlässigung der Gerichtsbarkeit. Während die Verwaltung mächtig anschwoll und sie sich in Einzelfällen sogar noch Sonderzulagen ohne Kenntnis und Einverständnis des Bundestages gewährte, sind mit Ausnahme des Bundesgerichtshofs die oberen Bundesgerichte viel zu klein geplant worden und ist die Rechtsstellung der Bundesrichter, wie mein verstorbener Freund Wilhelm Mellies anläßlich der letzten Besoldungsreform hervorhob, noch nicht angemessen geregelt. Die Geschäftslage des Bundesarbeitsgerichts und des Bundessozialgerichts gibt nach wie vor zu ernsten Besorgnissen Anlaß, ganz zu schweigen von der ständigen Überlastung des Bundesverfassungsgerichts, von dem ich wegen seiner verfassungsrechtlichen Besonderheit in diesem Zusammenhang heute sonst nicht sprechen will.
    Allgemein gesehen ist es an der Zeit für den Alarm, daß die gerichtlichen Verfahren übermäßig lange dauern und daß die Verfahrensordnungen zeitgerechten und rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen. Es sind jetzt acht Jahre her, daß wir als erste Notmaßnahme durch die kleine Justizreform wenigstens die bundesrechtliche Einheit des Gerichtsverfassungsgesetzes sowie der Zivil- und der Strafprozeßordnung wiederherstellten. Aber wir waren uns damals schon klar darüber, daß diese Ordnungen manche Ungereimtheit enthalten und einer grundlegenden Reform unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bedürfen. Im Strafprozeß haben der Verletzte und insbesondere der Verteidiger bei weitem nicht angemessene Rechte genug. Aber auch der Beschuldigte im Vorverfahren ist mehr ein schutzloses Objekt des Geschehens. Vor welchem Gericht er angeklagt wird — eine Frage, von der die Gesetzlichkeit des Richters und die Rechtsmittel abhängen —, steht oft im unkontrollierbaren Ermessen der Staatsanwaltschaft. Für Bagetellsachen stellt das Gesetz eine Vielzahl von Instanzen zur Verfügung; aber die rechtlich und politisch schwierigsten Verfahren auf Grund des ohnehin fragwürdigen und reformbedürftigen und noch sehr diskutierenswerten aktuellen politischen Strafrechts werden von nur einer Instanz oder für die Tatfrage von nur einer Instanz erledigt.
    Rechtspolitisch am allerdringlichsten ist deshalb eine prinzipielle Neugestaltung des Strafverfahrens-



    Dr. Arndt
    rechts, deren Vorbereitung unverzüglich von einer besonderen Kommission erarbeitet werden sollte. Die vielberufene und langerwartete Reform des materiellen Strafrechts wird unfruchtbar bleiben, solange die veraltete Regelung des Strafverfahrens die Rechtsverwirklichung behindert, an teilweise polizeistaatlichen Denkweisen festhält und den deutschen Strafrichter in der widerspruchsvollen Lage beläßt, in einer Person Untersuchungsbeamter und doch zugleich Richter zu sein. Und man wird sich von der Reform des Strafrechts auch kaum etwas versprechen dürfen, wenn für die Reform des Strafvollzugsrechts und die Wiedereingliederung der Bestraften in die Gesellschaft noch kaum Ansätze zu sehen sind.
    In einer von Parteien getragenen Demokratie, in der sich Parlamentsmehrheit und Regierung gegenseitig durchdringen, ist die Entfaltung der den unabhängigen Gerichten anvertrauten rechtsprechenden Gewalt eine der wesentlichsten Bürgschaften für Recht und Freiheit. Jede Regierung sollte deshalb bedacht sein, auch den Anschein zu vermeiden, als ob ihr Gerichtsverfahren lästig wären oder von ihr unzulässig beeinflußt werden könnten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Aufgaben der derzeitigen Rechtsprechung sind in außergewöhnlicher Weise durch die Diskontinuität der Rechtsentwicklung geteilt. Durch den Bruch in unserer Rechtsgeschichte, den die Jahre der totalitären Gewaltherrschaft zwischen 1933 und 1945 bedeuten, hat es die Rechtsprechung gleichzeitig mit einer Vergangenheit zu tun, die nicht rechtsstaatlich war, und mit einer Gegenwart, die rechtsstaatlich sein soll. Die rechtsstaatliche Bewältigung einer Vergangenheit, in der das Unrecht nicht nur eine Ausnahme darstellte, sondern in der durch eine tiefgreifende, geplante und beabsichtigte Auflösung aller Ordnung das Unrecht zur Regel gemacht wurde — die Bewältigung einer solchen Vergangenheit stellt die Rechtsprechung vor eine Aufgabe von einzigartiger Schwierigkeit.
    Das Unbehagen an dieser der Vergangenheit zugewandten Rechtsprechung oder ein Streit um sie erwachsen deshalb aus Einzelfällen, die zur Sorge Anlaß geben, ob bestimmte Gerichtsentscheidungen es an Einsicht in die Schändlichkeit des abzuurteilenden Unrechts fehlen ließen.
    Ist nun der Bundestag überhaupt ein Ort, um sich mit diesen Problemen auseinanderzusetzen? Im Anschluß an Ausführungen, die ich bereits in der 151. Sitzung des 2. Bundestages am 21. Juni 1956 machte, bin ich der Überzeugung, daß der Bundestag eine allgemeine Aufgabe auch als Sprachrohr und mehr noch als Gestalter der öffentlichen Meinung zu erfüllen hat. Ich wiederhole, daß der Bundestag nicht die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen, nicht in schwebende Verfahren durch Vorwegnahme ihrer Ergebnisse eingreifen und sich keine Stellungnahme in Beweisfragen anmaßen darf, aber daß der Bundestag zum allgemeinen Stand der Rechtsprechung, ihren Geschichts- und Rechtsvorstellungen, sein Wort sagen darf und muß.

    (Beifall bei der SPD.)

    Hierbei wird es allerdings sehr auf die Art und die Richtung ankommen, in der dies geschieht. Gezielte Kollektivdiffamierungen durch Denunziationslisten sind keine Grundlage für ein Gespräch.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Den Verfassern dieser Listen liegt nichts ferner als der gute Wille, zur Rechtsstaatlichkeit unserer Rechtspflege beizutragen. In ihrem Bereich entwürdigen sie die Gerichtsbarkeit zum Bütteldienst an der Parteilichkeit und setzen selber das fort, was man einst mit dem bösen Begriff der gelenkten Jusitz kennzeichnete. Darüber ist kein Wort zu verlieren.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Dr. Kanka.)

    — In der Sowjetzone, Herr Kanka! Ich glaube, da werden wir einig sein.
    Aus eigenem Entschluß und eigener Verantwortung hat der Bundestag sich Gedanken darüber zu machen, ob die mit den Ereignissen der Vergangenheit vor 1945 befaßte Rechtsprechung sich immer auf gutem Wege befindet, und auch darüber, ob der einzelne Richter gegenüber der Vergangenheit den erforderlichen Grad an innerer Unbefangenheit gewann.
    Diese Gedanken sollen nicht — um nicht die richterliche Unabhängigkeit zu erschüttern — zu einer neuen Welle von Sammelüberprüfungen führen, und sie dürfen es nicht. Eine rechtsstaatliche Rechtspflege ist ohne Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit nicht denkbar. Eine rechtsstaatliche
    I Rechtspflege bedarf jedoch auch des allgemeinen Vertrauens.
    Diese doppelte Aufgabe zu meistern, kann in der besonderen Lage, die für uns durch die Schrecknisse der Vergangenheit noch heraufbeschworen ist, im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten, die zu leugnen kein guter Dienst an der Wiederherstellung des Rechts wäre.
    Weniger die Justizverwaltungen als die Selbstverwaltungen der Gerichte selber tragen hier eine schwere Verantwortung. Von unserer Gerichtsverfassung ist den Präsidien der Kollegialgerichte eine Satzungsgewalt verliehen, die sie befähigt, mit richterlicher Unabhängigkeit über die Geschäftsverteilung und über die Verwendung des einzelnen Richters zu entscheiden. Ein Richter, der auf seinem eigenen Wege durch die Vergangenheit — mag es Schicksal, mag es Mitverschulden gewesen sein;
    wer dürfte da rechten? — in eine bestimmte Mitverantwortung für die Rechtsnot verstrickt wurde, sollte nach sorgfältigen Erwägungen der Gerichtsverwaltungen um der Glaubwürdigkeit der Rechtspflege und auch um seiner selbst willen davor bewahrt bleiben, durch die Geschäftsverteilung damit belastet zu werden, daß er über gewisse Geschehnisse der Vergangenheit vor 1945 zu richten hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ein Richter, der in die Versuchung geführt würde — selbst wenn es ihm nicht einmal zum Bewußtsein käme —, bei der Aburteilung von Taten, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft began-



    Dr. Arndt
    gen worden sind, oder überhaupt von Taten mit politischem Einschlag sich selber zu rechtfertigen, könnte nicht die innere Freiheit besitzen, deren das Richteramt bedarf.
    Die Öffentlichkeit sollte sich nicht mehr, wie es in Einzelfällen geschah — ohne daß hier wie sonst eine Verallgemeinerung erlaubt. wäre — der nicht unbegründeten Besorgnis gegenübersehen: Warum hat die gerichtliche Eigenverwaltung gerade diesen Richter damit betraut, der gesetzliche Richter für ein solches Verfahren zu sein, nicht aber, wie es doch möglich gewesen wäre, einen anderen?
    Dankbare Anerkennung verdienen die mutigen Worte, die jüngst der Herr Generalbundesanwalt Dr. Güde wagte, als er — vorbildlich für manch anderen Beruf, der leider die gleiche Kraft der Läuterung noch nicht so erkennen läßt — stellvertretend für Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte für die bittere Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine Schwäche im Widerstehen bekannte, nicht im Sinne einer pauschalen Kollektivschuld, doch im Geiste einer gemeinsamen Scham wegen des Verlusts an Recht und zu der je persönlichen Einkehr, daß kaum einer oder keiner ohne Zugeständnisse überlebte. Die Gerechtigkeit verlangt — um die eigenen Worte des Herrn Generalbundesanwalts Dr. Güde zu zitieren, die die Bundesregierung dankenswerterweise — das erkenne ich an — auch in ihrem amtlichen Bulletin veröffentlichte —, die Gesamtverantwortung für die Rechtsverderbnis auf die Schultern aller zu legen. Alle tragen ihr Stück Verantwortung und Schuld für das allgemeine Versagen. Es wäre, wie Dr. Güde sagt, unwahrhaftig und heuchlerisch, wenn wir die Täter isoliert ansehen wollten, sozusagen im Raum einer fiktiven Normalität, als ob wir nicht selber, mindestens in unserem Unterlassen, Mitwirkende des Geschehens gewesen wären.
    Auch ist den einen neuen Anfang setzenden und von jedem, der damals schon bewußt lebte, zu beherzigenden Worten Dr. Güdes beizupflichten, daß es sich von dieser Grundlage von Gesamtverantwortung und einer Summe aus Mitschuld rechtfertigt, zwischen denen zu unterscheiden, die den Terror ausübten, und denen, die selber terrorisiert wurden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Entscheidend ist endlich das Ergebnis, daß diese Unterscheidung nicht nur gerechtfertigt, sondern auch geboten ist, weil, wie Dr. Güde mit Recht schließt, eine Gesellschaft sich selber aufgebe, die ihre elementare Notwendigkeit, sich im gerechten Urteil selber zu reinigen, versäumte und die Verantwortlichen so scheußlicher Verbrechen unangefochten und scheinbar in Ehren unter sich leben ließe.
    Der Bundestag sollte sich deshalb gegen das unbedachte oder sogar nicht zu verantwortende, leider auch von einem Bundesminister ausgesprochene Wort vom Schlußstrich wenden. Geschichtliches Geschehen läßt sich nicht ausstreichen. Daß es einen blinden Schlußstrich nicht geben kann, bedeutet nicht Unversöhnlichkeit oder gar Vergeltungssucht, sondern heißt, die Wahrheit auf sich nehmen.
    Die unsäglichen Greuel, die wieder und wieder in unseren Tagen durch gerichtliche Beweisaufnahmen zur Sprache kommen, waren nicht unvermeidliche Einzelfälle, die sich zu jeder Zeit ereignen können, und nicht die zufälligen Untaten bloß Vereinzelter, sie waren Ausdruck eines umfassenden Zusammenbruchs seit 1933 — denn 1933 ist Deutschland zusammengebrochen —

    (Beifall bei der SPD)

    und prägten dem Ganzen unserer Geschichte ihren Makel auf, der als der unablösbare Schatten auf jeden unter uns damals Lebenden fiel und mit seiner Düsternis neben jedem von uns stand, was immer er auch während des Krieges an der Front oder in der Heimat wirkte. Die auf Selbstrettung bedachte Eigenliebe mag sich dagegen sträuben, aber das Gedächtnis und das Gewissen sollten trotzdem nicht nachgeben.
    Der Bundestag ist 1954 bedenklich weit gegangen, als er sogar Verbrechen des Totschlags in die Amnestie einbezog. Von dieser Amnestie sollte deshalb ein nur sehr gemessener Gebrauch gemacht werden, ausschließlich dort, wo wirklich ein unausweichlicher Befehlsnotstand das nachträgliche Richten verwehrt. In den gerichtlichen Erkenntnissen muß wieder der unmeßbare Wert des Menschenlebens klar aufleuchten, jeden Lebens eines Menschen ohne Unterschied seiner Rasse oder Nationalität.
    Gewiß ist die Schwierigkeit nicht zu verkennen, erst nach Jahren und in gewandelter Zeit über Täter zu urteilen, die scheinbar andere Menschen wurden und äußerlich wie biedere Bürger sich der Ordnung anpaßten. Trotzdem lassen, selbst wenn man alle diese Erschwernisse und die in mancher Hinsicht sozusagen durch höhere Gewalt verursachte Verspätung der Gerichtsverfahren angemessen würdigt, einzelne Handlungen oder auch Unterlassungen der Justiz ernstlich daran zweifeln, ob immer in seiner ganzen Tiefe eingesehen wird, was das ist: das menschliche Leben und seine verbrecherische Vernichtung.
    Mit Recht ist nicht vergessen worden, daß der frühere Legationsrat Rademacher, der wegen seiner Mitwirkung an der tödlichen Massendeportation von Juden zu drei Jahren Gefängnis verurteilt ist, gegen jede Übung das Gericht als freier Mann verließ und nach Ägypten abreiste, wohin ihm ja noch andere folgten, wie jener, den Namen eines Arztes nicht verdienende Eisele, gegen den die Besatzungsgerichte zwar zweimal auf Todesstrafe erkannten, aber diesen Schuldspruch dann so beiseite legten, als könne es gelegentlich schon einmal vorkommen, nebenher mehrmals wegen Mordes verurteilt zu werden.
    Auch sollten wir uns alle darüber beunruhigen, daß, wie die Fälle Rademacher, Eisele und Zind zeigen, Anzeichen auf ein geheimes Verbundensein der Totschläger von einst hindeuten und daß ein untergründig organisierter Antisemitismus leider nicht unwahrscheinlich ist.
    Unsere Gerichte sollten die bedenkliche Amnestie von 1954 nicht noch dahin erweitern, daß sie für die



    Dr. Arndt
    verwerflichste Art des Totschlags, den Totschlag durch Rechtsbeugung, ein ungleich anderes Recht gelten lassen als für jeden Totschlag sonst, indem sie nicht wie bei jedem Totschlag sonst auch den bedingten Vorsatz — wie der Jurist sagt — gelten lassen, sondern nach dem Richterprivileg das Erfordernis einer unbedingten Absicht aufstellen. Gewiß muß der Richter, um der Tat gerecht zu werden, sich auch die Verwirrung der Zeit und ihren Ungeist vergegenwärtigen; aber dieses insoweit berechtigte Bemühen wird gespenstisch, sobald z. B. die Prüfung verlangt wird, ob inmitten des militärischen Zusammenbruchs 1945 noch die sogenannte Wehrkraftzersetzung begangen werden konnte, und wenn die Frage gestellt wird, ob der auf die Erhaltung seines Heimatorts Bedachte aus Unbesonnenheit oder im Rahmen der Wehrkraftzersetzung handelte, während es doch jenseits aller gerichtlich beweisbaren Feststellungsmöglichkeiten eine offenkundige Geschichtswahrheit ist, daß der im Westen um die kampflose Bewahrung der Heimat Bemühte das einzig Sinnvolle und Verantwortliche tat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Auf die andere Frage, ob man es nicht genug sein lassen müßte damit, den Menschen der Vergangenheit nachzuspüren, sollte der ganze Bundestag antworten: Nein! Angesichts unerträglicher Taten hilft es nichts, sich bloß abzuwenden und darauf zu verzichten, daß in menschenmöglichen Grenzen der Gerechtigkeit noch Recht geschehe. Heilsam ist allein die Wahrheit, die auch der Jugend und den kommenden Generationen nicht vorenthalten werden darf, sollen sie um ihres inneren Haltes willen lernen, daß das Recht eine Seins- und Wertordnung ist.
    Aus dieser Einsicht müssen uns eine Reihe von Gerichtsentscheidungen, von denen noch zu sprechen sein wird und die in der Begründung nicht im einzelnen erörtert werden können, mit Besorgnis erfüllen, ohne daß jedoch eine Verallgemeinerung blindlings angebracht wäre. Diese Besorgnis wirkt nur hilfreich, auch aus der Erkenntnis, daß solche Urteile widerspiegeln, wie geistig unbewältigt noch im Ganzen unseres Volkes die Vergangenheit ist; denn fast in der Regel kommt in ihnen zum Ausdruck, daß manchem ehrenamtlichen Richter, manchem Schöffen oder Geschworenen oder sogenannten Laienbeisitzer noch das hinreichende Verständnis für das Wesen des Rechts abgeht, während zuweilen — zuweilen! — die überstimmten hauptamtlichen Richter in Gewissensnot gerieten. Es gilt, die Aufmerksamkeit der Gemeindevertretungen darauf zu lenken, wie verantwortungsschwer das Amt eines ehrenamtlich gewählten Gerichtsmitgliedes ist, und die Bedeutung dieses Ehrenamtes der öffentlichen Meinung mehr ins Bewußtsein zu rufen.
    Mit Ernst und Bitternis wenn auch ohne zu verallgemeinern — ist auch in aller Offenheit auszusprechen, daß in einzelnen und schwerwiegenden Fällen rechtsgelehrte Richter versagt haben und sich ihrer hohen Aufgabe nicht gewachsen zeigten. Die fadenscheinige und spitzfindige Begründung, mit der sich die daran beteiligten Richter in Hamburg weigerten, einen Nieland wegen seines Verlangens nach abermals menschenunwürdiger Entrechtung deutscher Staatsbürger jüdischer Abstammung strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, diese Begründung ist nicht haltbar und kann nicht als ein bloßes Unglück abgetan werden. Auch wenn ein Richter nicht wußte, was er tat, auch wenn man inständig hoffen muß, daß das Gesetz aus Rechtsblindheit gebrochen wurde, sind Entscheidungen solcher Art Wunden -offene Wunden — im Recht. Die Unabhängigkeit der Richter wird nicht von denen angetastet, die aus verletztem Rechtsbewußtsein und aus Liebe zum Recht derartige Fehlsprüche beklagen, sondern das Vertrauen zu unseren Gerichten, auf dem die Unabhängigkeit beruht, wird gefährlich von solchen Richtern selber geschmälert, die es so an Verständnis für das Recht fehlen lassen,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    zum Schaden auch für die gesamte Richterschaft, die redlich und gewissenhaft sich fast täglich um gesetzestreue und gerechte Urteile müht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine Urteilsschelte ist notwendig Richterschelte, weil hinter jedem Urteil die ganze Persönlichkeit des Richters stehen sollte. Es geht bei einzelnen bestimmten Fehlsprüchen — für den der in Hamburg beispielhaft stehen mag — nicht bloß um einen Streit in Fragen, über die man verschiedener Ansicht sein kann, oder um ein größeres oder geringeres Maß an Klugheit. Das, was in solchen Fehlsprüchen offenbar wird, ist die elementare Tatsache, daß es Menschen gibt, und zwar Menschen in der Richterrobe, denen es noch immer nicht zum Bewußtsein kam, welche Wirklichkeit sich zu unseren Lebzeiten und mitten unter uns ereignete: die ungesühnte Ermordung Unschuldiger ohne Zahl und die Rechtlosigkeit aller.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Noch zeugen brandgeschwärzte Ruinen von der Schändung mosaischer Gotteshäuser. Aber in Duisburg waren Richter der Meinung, durch den abgenötigten Eigentumsübergang auf die Stadt Mülheim verliere der Tempel seine Würde und könne nicht mehr Gegenstand einer schweren Brandstiftung an einem Gotteshause sein. Die kalte Verstandesschärfe solcher Unterscheidungen ist weltfremd, weil ihr das Wissen um die geschichtliche, geistige und sittliche Wirklichkeit abgeht.
    Um eine Zwischenbemerkung zu machen: solchen Fehlentscheidungen kann man nicht damit begegnen, daß man plötzlich neue Paragraphen erfindet,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    so begrüßenswert sich darin der Wille dokumentieren mag,

    (Abg. Dr. Kanka: So plötzlich ist es gar nicht!)

    sich von solchen Urteilen zu distanzieren — Paragraphen, die meines Erachtens unüberlegt sind und schwere Gefahren für das freie Wort enthalten. Es geht nicht um Paragraphen, denn das bestehende



    Dr. Arndt
    Recht würde in all diesen Fällen — ob Nieland oder Duisburg — vollauf genügen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es geht um den Geist, und es geht auch darum, in solchen Fällen mit Recht einen Sturm der öffentlichen Meinung herbeizuführen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Hilfreich wird die Urteilsschelte durch ihr Ziel, in der allgemeinen Öffentlichkeit den inneren Sinn für die der Vergangenheit zugewandte Rechtspflege zu fördern. Insoweit sind auch Unterlassungen der Bundesregierung zu bedauern. Wie saumselig war die Bundesrgeierung im Falle Lautz! Warum plant die Bundesregierung keine Dokumentation über die Konzentrationslager?

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Weshalb widersprach die Bundesregierung einer Aufführung des Nacht-und-Nebel-Films? Warum befleißigt sich die Bundesregierung einer so behutsamen Zurückhaltung oder eines so schonenden Verschweigens gegenüber der Tatsache, daß einst ranghohe militärische Befehlshaber unverhohlen die Vernichtung der Juden mindestens intellektuell durch ihre Verlautbarungen begünstigten? Die diplomatische Redewendung der Bundesregierung, jene Militärbefehlshaber hätten die „Judenpolitik" nachdrücklich unterstützt, ist zu steril. ,,Judenpolitik" — das ist doch ein Wort, so glatt poliert, das man beinahe anfassen könnte, ohne sich die Hände daran schmutzig zu machen. Es läßt nicht erkennen, dieses Wort „Judenpolitik", wieviel Leiden, wieviel Tränen, wieviel schuldloses und qualvolles Sterben, aber auch wie unermeßliches Unrecht, welche Grausamkeit, welcher Schmutz damit unlösbar verbunden ist.
    Warum läßt die Bundesregierung es zu, daß die Öffentlichkeit durch tendenziöse Zahlenschätzungen aus dem Bundesfinanzministerium und durch den gegenwärtigen Bundesminister der Justiz gegen die Wiedergutmachung eingenommen wird infolge der Beängstigung, sie bürde uns übermäßige Opfer auf?
    Dazu auch nur ein stellvertretendes Beispiel: In Frankfurt am Main wurde 1940 durch Verfolgung eine jüdische Familie auseinandergesprengt. Der Mutter gelang es noch, nach New York zu entkommen. Der Vater und die damals 12jährige Tochter wurden in ein Konzentrationslager verbracht. Der Vater wurde im Konzentrationslager ermordet. Die Tochter hat fünf Jahre Konzentrationslager überstanden; sie wurde 1945 befreit, 17jährig. Und der Mutter, die nun die Tochter zu sich nach New York nahm, zu ihrem Fluchtort, ging es darum, die etwas über 200 Dollar Kosten der Überfahrt ihrer minderjährigen Tochter ersetzt zu bekommen. Und sehen Sie, da sagt der Bundesgerichtshof, der im Namen des Volkes spricht, das Ziel der Auswanderung der Mutter sei erreicht gewesen, als sie allein in New York ankam, und sie könne diese 200 Dollar vom deutschen Volke nicht bekommen.
    Wir alle werden in die Lage versetzt, daß im Namen des deutschen Volkes zu dieser Mutter drüben in Amerika gesagt wird: Deinen Mann hat man
    unter Mißbrauch des deutschen Namens ermordet. Deine ursprünglich 12jährige Tochter ist fünf Jahre durch unsägliche Leiden und Schrecknisse des Konzentrationslagers gegangen. Aber wenn du dein Kind an deinen Fluchtort haben willst, dann braucht das deutsche Volk das nicht zu bezahlen; dann zahle das gefälligst selbst.
    Wenn es möglich wäre, daß wir dem Vater von Anne Frank eine lebende Tochter zurückgeben könnten bei 200 Dollar Reisegeld — was würde das für ein Aufatmen aller sein! Und hier sehen wir ein solches Beispiel bei einem anderen Mädchen, das gesegneterweise überlebt hat: Anneliese Jakob. Ich sage das, ohne irgendwie die beteiligten Richter antasten zu wollen. Denn die Rechtschaffenheit, der gute Wille, das redliche Bemühen um Gesetzestreue stehen außer jeder Frage, zumal, wie ich hervorheben möchte, der Präsident jenes Senats selber ein aus Israel zurückgekehrter rassisch Verfolgter ist.
    Aber das, was sich hier auswirkt, ist ein Klima, ist eine Atmosphäre, ist diese ständig infiltrierte Interpretation, daß die Wiedergutmachung angeblich nur enumerativ und exklusiv geregelt sei, das sind diese ständigen offiziösen Verlautbarungen, welche furchtbare Bürde uns da finanziell auferlegt werde.
    Deshalb bringe ich das zur Sprache, auch gerade und alleine zugunsten der Justiz; denn ich bin der Meinung, daß der Bundestag dem Bundesgerichtshof zurufen sollte: Mehr Mut! Mehr Mut! Mehr Mut, in der Rechtsprechung auch die Stimme des Herzens mittönen zu lassen! Eine glaubwürdige Rechtsprechung bedarf nicht nur des Zusammenhangs mit dem in der öffentlichen Meinung lebendigen Rechtsbewußtsein, sondern sie hat auch selber meinungsbildend und rechtsgestaltend zu wirken. Darum sind gerade die Bundesgerichte — nach dem Gesetz — zur Fortbildung des Rechtes berufen, das niemals nur aus der Summe der Gesetzesparagraphen besteht. Ein Gericht sollte sich deshalb nicht davor scheuen, daß das Recht etwas kostet.
    Auch die unabhängigste Justiz kann nicht ohne das allgemeine Vertrauen und auf die Dauer nicht ohne den selbstverständlichen Einklang mit dem in der öffentlichen Meinung wachen Rechtsbewußtsein wirken. Duldete aber die Bundesregierung auch nur den bloßen Anschein — selbst wenn er falsch ist oder falsch wäre —, in diesen Fragen untätig oder unbeteiligt zu sein oder einen „Schlußstrich" zu wünschen, der weitere Beunruhigung vermeidet, so entsteht unmerklich die Stickluft eines Klimas, das am Ende die letzten, die noch davon reden, als schändlich erscheinen läßt, während die Schuldigen der Schande darauf zu pochen beginnen, in angeblich großer Zeit das getan zu haben, wozu sie sich aus ihrem „Gehorsam" verpflichtet glaubten.
    Über die innere Verbundenheit, mit der die Völker der freien Welt an unserem gefahrvollen und mit der Not der deutschen Spaltung belasteten Schicksal Anteil nehmen, eine Verbundenheit, über deren Lebensnotwendigkeit jenseits aller außenpolitischen Meinungsverschiedenheiten es keine Zweifel geben kann, über diese Verbundenheit ent-



    Dr. Arndt
    scheiden mehr als alle wirtschaftliche oder sonstige Leistung die Art, wie wir die Bürde unserer Vergangenheit auf uns nehmen, und die Weise ihrer gerechten Bewältigung.
    Ich weiß nicht, inwieweit der Bundesregierung die Akten des sogenannten Volksgerichtshofs zur Verfügung stehen. Die von den Ländern jetzt unter Mitwirkung der Bundesregierung ins Leben gerufene Stelle zur planmäßigen Aufdeckung der nationalsozialistischen Mordtaten sollte insbesondere diese Akten bekommen und prüfen. Es sind nicht die Akten eines Gerichtshofes, sondern einer in Talare und Uniformen verkleideten Mörderzentrale.

    (Beifall bei der SPD.)

    Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung hier, und was gedenkt sie zu tun?
    Ich wende mich jetzt der anderen Aufgabe unserer Gerichtsbarkeit zu: der Rechtspflege, die sich mit Ereignissen der Gegenwart beschäftigen muß. Der Bundesregierung kann nicht unbekannt sein, worauf sich insoweit die Fragen der Interpellation beziehen. Selbstverständlich steht es dem Bundestag auch hierbei nicht zu, in schwebende Gerichtsverfahren einzugreifen oder gar in seiner Erörterung vorwegzunehmen, ob dieser oder jener Beamte sich einer bestimmten Straftat schuldig machte. Die Debatte wird auch hier sorgfältig die Grenze zu wahren haben, die durch die Unabhängigkeit der Gerichte gezogen ist. Der Sinn der Aussprache kann nicht sein, die Justiz auch nur mittelbar parlamentarisch zu lenken, sondern im Gegenteil, die rechtsprechende Gewalt gegen Übergriffe der Exekutive abzuschirmen, zugleich jedoch auch aufzuzeigen, daß Strafprozesse, die sich gegen Verwaltungsangehörige richten, keine bloßen Randerscheinungen des öffentlichen Lebens sind, und die Frage aufzuwerfen, welche politische Mitverantwortung eine Regierung dafür trägt, daß es zu einem beunruhigenden Anschwellen solcher Untersuchungen der Strafverfolgungsbehörden kam. Keine Staatsform kann eine Anfälligkeit für Korruption ausschließen. Je größer die Macht — ohne die sich kein Staat behaupten kann —, desto schwerer wird auch die Gefahr der Korrumpierung sein, am stärksten in unkontrollierten Diktaturen und totalitären Systemen, die eine Aufdeckung ihrer Korruption durch Terror verhindern.
    Eine Demokratie dagegen wird um so glaubwürdiger und legitimer sein je nach dem Grade der Offenheit und Redlichkeit, in dem sie sich mit Anzeichen einer Fäulnis auseinandersetzt und die heilsame Kritik der Öffentlichkeit nicht scheut. Das auf die Verwirklichung des Rechtsstaats gerichtete Wesen der parlamentarischen Demokratie ist geteilte Macht und gemeinsame Verantwortung. Anzeichen einer Korruption belasten daher niemals allein die Regierung oder ihre Mehrheit, sondern müssen von der zur Kontrolle berufenen und berechtigten Opposition als ein eigener Schaden für das Ganze mitempfunden werden; denn erst Mehrheit und Minderheit, Regierung und Opposition zusammen bilden das Ganze des Staates. Deshalb gilt es hier nicht, den Staat zu treffen, der uns gemeinsam anvertraut ist, sondern den Staat zu verteidigen, unseren Staat, dessen Rechtlichkeit und Freiheitlichkeit in einer Demokratie jedermann mit zu verbürgen und mit zu sichern hat, um des Gemeinwohls willen gegen solche Gefährdung zuschützen.
    Aus dieser Sicht ist bereits die Anzahl solcher Verfahren, in denen es um die Sauberkeit der öffentlichen Verwaltung geht, etwas anderes als eine Häufung nie ganz vermeidbarer Betriebsunfälle, sondern ein Politikum, das zu den Fragen verpflichtet: Wo finden sich die tieferen Ursachen? Ist die Wachsamkeit auch nicht versäumt worden? Und nach der rechts- und justizpolitischen Seite hin: Wird auch der Gerechtigkeit freier Lauf gelassen?
    Es würde den Rahmen dieser Debatte erheblich überschreiten, wollte man allen Gründen nachspüren. Soviel aber darf in Kürze vermerkt sein: Ein bedenklicher Zug der Zeit ist die Neigung zu dem irrigen Übermut, letzten Endes gebe es für alles einen Preis, wofür es zu haben sei, und müsse umgekehrt sich auch alles irgendwie bezahlt machen; auch Macht sei käuflich und zahle sich aus.
    Ein Talleyrand hätte vielleicht gesagt: Die Anrüchigkeit von Geschenken ist eine Frage ihrer Kleinheit. Unsere Maßstäbe müssen andere sein. Insbesondere darf es nicht zweierlei Maßstäbe geben. Die Bundesregierung sollte prüfen, ob es nicht ohne Ergänzung des Ministergesetzes möglich ist, auch für die Mitglieder der Bundesregierung selber — obgleich sie keine Beamten sind — die Frage der Annahme von Geschenken zu regeln.
    Die Bundesregierung als der größte Auftraggeber für die Wirtschaft sollte überlegen, welche Abwehrmaßnahmen sie noch treffen kann, um die ihrem Schutz anvertraute Beamtenschaft davor zu bewahren, daß Interessenten meinen, einen Beamten wie einen Geschäftsfreund mit vielerlei leider eingerissenen Unsitten behandeln zu dürfen; denn es geht nicht nur darum durchzugreifen, nachdem es zu spät ist, sondern auch darum, in Erfüllung der Treupflicht dem vorzubeugen, daß ein Beamter unter den Augen der Regierung verlockt und verleitet wird; es geht darum, den guten Ruf der rechtschaffenen Beamtenschaft zu erhalten.
    Der bedenklichste Irrtum, dem eine Regierung insoweit erliegen kann, ist die falsche Annahme, sie könnte einen Beamten dadurch decken, daß sie auf ihre eigene Mitwisserschaft hinweist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Hier liegt der Kern der rechts- und justizpolitischen Sorge. Eine rechtsstaatliche Regierung sollte nicht den mindesten Anschein erwecken, als könne sie mit ihrer Verwaltungsmacht auch vor der allein dem Gesetz verpflichteten Gerichtsbarkeit Schutz gewähren. Nach dieser Richtung hin darf der Bundestag infolge gewisser Vorkommnisse der jüngsten Zeit eine hoffentlich sehr klare Stellungnahme der Bundesregierung erwarten.
    Dabei bewegt uns weniger eine Sorge, die Justiz könnte sich beeinflussen lassen. Die innere Verbundenheit der Richterschaft und der Staatsanwaltschaft mit den Grundsätzen und Grundwerten der I rechtsstaatlichen parlamentarischen Demokratie,



    Dr. Arndt
    ihr Wissen um die Verantwortung für die Freiheitlichkeit unseres Staatswesens, ist nach den bitteren Jahren der Rechtsverderbnis heute in weit stärkerem Maße spürbar als in den demokratisch leider wenig gefestigten Weimarer Jahren. Die Gerichte haben bemerkenswerte Beweise ihrer Unabhängigkeit gegeben, mochte ein Antrag von einer Regierung kommen oder sich gegen den Herrn Bundeskanzler selber richten, und ebenso haben Staatsanwaltschaften gezeigt, daß sie dem Legalitätsprinzip ohne Ansehen der Person verpflichtet sind.
    Immerhin kann aber nicht verschwiegen werden, daß sich in Einzelfällen Ansätze zu dem Versuch zeigten, mit dem Ansehen der Bundesregierung einen Druck auf Staatsanwälte und nicht nur auf Staatsanwälte auszuüben, indem man sie z. B. einer politisch oppositionellen Haltung oder Voreingenommenheit zieh, etwa in der bösen Tonart: wenn man als Bundesminister einen Zusammenstoß mit einem Verkehrspolizisten hat, so trumpft man einige Monate später damit auf, das sei ja ein Sozialdemokrat.

    (Unruhe in der Mitte.)

    Aus Kreisen des Deutschen Richterbundes ist mir glaubwürdig mitgeteilt worden, daß ein Mitglied der Bundesregierung — nicht der Herr Bundesminister der Justiz — gesprächsweise abfällig geäußert habe, in einer bestimmten Staatsanwaltschaft gebe es ja eben auch sieben Sozialdemokraten.
    Gern erfülle ich die Pflicht, dankbar festzustellen und anzuerkennen, daß die zur Mehrheitspartei der Christlich-Demokratischen Union gehörenden
    Landesminister Flehinghaus und Dufhues für den Bereich ihrer Zuständigkeiten solchen Bestrebungen in aller Eindeutigkeit und Unparteilichkeit entgegengetreten sind. Aber ich muß hinzufügen, daß Entlastungsbemühungen in der Richtung — „Nicht der Beschuldigte, sondern der Staatsanwalt ist verdächtig" — die Öffentlichkeit und uns hellhörig gemacht haben. Es ist weniger zu befürchten, daß sich die Gerichtsbarkeit unstatthaften Einflüssen zugänglich zeigen könnte, als Grund zu der ernsten Besorgnis gegeben, daß sich die Bundesregierung ihrer verfassungsrechtlichen Grenzen nicht hinreichend bewußt blieb. Die Exekutive im allgemeinen und die Bundesregierung im besonderen zeigen eine bedenkliche Tendenz, sich nicht nur als ein Organ des Staates, sondern als den Staat schlechthin zu sehen.
    Das Recht und die Pflicht der Bundesregierung, über die Genehmigung zur Aussage für einen Bundesbeamten zu entscheiden, sind kein Mittel, unliebsame Gerichtsprozesse zu regulieren. Dafür zunächst ein Beispiel zur Probe. In der 35. Sitzung dieses Bundestages am 26. Juni 1958 hat der Herr Bundeskanzler gesagt — ich gebe es wörtlich wieder —:
    Die Aussagegenehmigung, die der Beamte des Bundesbevollmächtigten in Berlin bekommen hat, entspricht genau dem Antrag, den das Landgericht Berlin an uns gerichtet hat, . . .
    Ich hatte damals den Vorwurf gemacht, die Bundesregierung habe in dem Strafprozeß gegen Stephan
    die Aufklärung der Wahrheit vereitelt. Daraufhin kam diese Auskunft des Herrn Bundeskanzlers, begleitet von einem der üblichen Zwischenrufe des Herrn Rasner, den Sie im Protokoll nachlesen können.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich stelle dazu folgendes fest. In der Verfügung der 10. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 19. Juni 1957 heißt es insoweit wörtlich:
    Der Pressereferent Wrasmann hat dem Angeklagten für derartige Berichte und Nachrichten etwa 1000 Mark gezahlt. Hierüber soll er als Zeuge gehört werden. Es wird gebeten, ihm gemäß § 61 des Bundesbeamtengesetzes die Aussagegenehmigung zu erteilen.
    Da war keinerlei Einschränkung, sondern ganz im Gegenteil: die Bundesregierung und das Bundeskanzleramt wußten, daß sich das Landgericht Berlin berechtigterweise auch damit beschäftigte, wer denn nun geschädigt sei, ob der Bund oder die Parteikasse der CDU. Das wußte das Bundeskanzleramt um so mehr, als seine leitenden Beamten bereits im Vorverfahren dazu vernommen worden sind. Der damalige Staatssekretär des Bundeskanzleramts hat insoweit am 20. Januar 1956 zu Protokoll erklärt: „Daß während meiner Staatssekretärtätigkeit an den Angeschuldigten geringfügige Beträge gezahlt worden sind, weiß ich. Meiner Meinung nach handelt es sich um Beträge von jeweils ein paar hundert Mark. Aus welchem Fonds diese Beträge gezahlt worden sind, vermag ich heute nicht mehr zu sagen. Es könnte möglich sein, daß sie aus dem Verfügungsfonds des Bundeskanzlers (Titel 300 für Information)


    (Hört! Hört! bei der SPD)

    oder aus den für den Bundeskanzler persönlich zur Verfügung gestellten Wahlgeldern entnommen worden sind. Ich habe mich nicht darum gekümmert, sondern habe nur die Zahlung angewiesen. Das war aber keine formelle Anweisung, sondern eine mündliche Besprechung mit dem damaligen Ministerialdirektor Dr. Globke, er möge die von Wrasmann angeforderten Gelder zur Verfügung stellen."

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Man wußte also im Bundeskanzleramt, daß das Gericht die berechtigte Frage hatte: Wer ist denn nun eigentlich betrogen worden, wer ist denn nun eigentlich geschädigt worden? Es gibt auch ein öffentliches Interesse daran, daß diese Frage aufgeklärt wird. Obgleich das Gericht, wie ich festgestellt habe, auf dieser Grundlage ganz allgemein den Antrag an die Bundesregierung richtete, der Zeuge Wrasmann solle eine Aussagegenehmigung über seine Zahlungen bekommen — da war keine Beschränkung —, antwortete das Bundeskanzleramt am 20. August 1957:
    Dem Pressereferenten des Bundesbevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland in Berlin, Herrn Wilhelm Wrasmann, wird die Genehmigung zur Aussage darüber erteilt,
    — und jetzt kommt's, ganz präzise —



    Dr. Arndt
    ob ihm von dem Angeklagten Stephan Berichte und Nachrichten über Vorgänge in der Sowjetzone verkauft worden sind unter der Vorspiegelung, sie stammten von einem Gewährsmann beim sowjetzonalen Staatssicherheitsdienst,
    gegebenenfalls welchen Inhalt die Berichte und Nachrichten hatten,
    ob und gegebenenfalls welche Beträge Wrasmann hierfür an den Angeklagten Stephan gezahlt hat.
    Unterschrift: Dr. Globke
    Aber eine Aussageerlaubnis darüber, woher diese Beträge gezahlt wurden, hat der Zeuge entgegen dem Antrag des Gerichts nicht bekommen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Es stimmte deshalb nicht, wenn der Herr Bundeskanzler von diesem Platze aus am 26. Juni vergangenen Jahres behauptet hat, daß dem Zeugen die Aussageerlaubnis so gegeben worden sei, wie sie das Gericht beantragte. Durch die bewußte Beschränkung der Aussageerlaubnis auf bestimmte Fragen ist geflissentlich verhindert worden, daß ein Gericht die Wahrheit darüber aufklärte, ob es sich um einen Betrug zum Nachteil einer Parteikasse handelte oder ob der Bund mit Steuergeldern geschädigt worden ist.
    Hier ist ein Fall, nicht der einzige Fall. Es gibt mehr Fälle — und sie werden wahrscheinlich in der Debatte noch erörtert werden müssen —, wo die Bundesregierung unter Mißbrauch ihrer Genehmigung zur Aussage versucht hat, Verfahren zu manipulieren, und einer Aufklärung der Wahrheit entgegengetreten ist.
    Es gibt einen Fall einer ausdrücklichen Anweisung des Herrn Bundeskanzlers, daß in einem bestimmten Verfahren den Behörden der Gerichtsbarkeit keine Akten ausgehändigt werden sollten und daß keine Aussageerlaubnis zu erteilen sei.

    (Hört! Hört! bei der SPD.) Das ist ein schwerwiegender Tatbestand.

    Verirrt sich einmal ein übereifriger oder tolpatschiger Pressereferent zu der Behauptung, ein Beamter könne eine strafbare Handlung auch pflichtgemäß begehen, so sollte dieser Lapsus linguae noch nicht dramatisiert werden. Der Herr Bundesminister der Justiz hat den Fehlgriff sofort mit dankenswerter Entschiedenheit berichtigt. Aber ein bestürzender Präzedenzfall ist, wenn die Bundesregierung selber dem Gericht dadurch vorgreift, daß sie einen Beschluß über Schuld oder Nichtschuld eines Beamten oder mehrerer Beamten verlautbart.
    Als das zuständige Gericht gegen drei Beamte in Spitzenstellungen das Hauptverfahren wegen des hinreichenden Verdachts einer strafbaren Handlung und wegen einer möglicherweise zu erwartenden Strafe von mehr als drei Monaten Gefängnis eröffnete, hat die Bundesregierung durch ihren Sprecher vor der Bundespressekonferenz die von ihr autorisierte Feststellung treffen lassen, der den Gegenstand des gerichtlichen Strafverfahrens bildende Sachverhalt sei ein innerdienstlicher Vorgang, bei dem sich die Beamten pflichtgemäß verhalten hätten.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Während der Bundespressechef sich korrekt der Stellungnahme zu dem gegen einen Ministerialrat eingeleiteten Strafverfahren und richterlichen Haftbefehl enthielt, lancierte der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes das Gerücht in die Öffentlichkeit, der Bundeskanzler werde bezeugen, daß nichts Unrechtes geschehen sei,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und der Herr Bundeskanzler duldete die Veröffentlichung seines Briefes an ein Gericht, worin er Beschuldigungen gegen die Staatsanwaltschaft erhob.
    Diese Grenzüberschreitungen gegenüber Gerichten sind keine nur vereinzelten Vorkommnisse. Auf der gleichen Linie liegt das Fernschreiben des Herrn Bundeskanzlers an das Bundesverfassungsgericht, das Gericht werde kaum eine unangreifbare Entscheidung fällen, falls es nicht der Anregung der Bundesregierung entspreche, zuvor nochmals in die mündliche Verhandlung und eine weitere Beweisaufnahme einzutreten. Unbeschadet der Befugnis der Bundesregierung, eine solche Anregung noch vorzubringen, durfte diese Anregung nicht mit einer Verwarnung an das Gericht verknüpft werden.
    Ich sehe davon ab, diese beunruhigenden Vorkommnisse jetzt vollständig zu erörtern oder schon abschließend zu qualifizieren. Jedes einzelne ist zuviel. Die Bundesrepublik Deutschland gründet sich auf das in seinem Wesensgehalt unabänderliche Prinzip der Gewaltenteilung. In einer von schweren Gefahren für den Bestand unseres Staates umwitterten Zeit ist es notwendig, diese für die Grundlagen der inneren Freiheit lebenswichtigen Fragen mit den. Ernst zu stellen, der ihnen angemessen ist. Der demokratische Rechtsstaat ist ein auf Öffentlichkeit hin angelegtes Gemeinwesen. Es zeichnet ihn deshalb aus, daß er es sich leisten kann und daß es ihm dient, öffentlich über Fragwürdigkeiten zu verhandeln, um keine Stickluft aufkommen oder bestehen zu lassen.
    Dabei wird auch auf die Aufgabe der Presse Bedacht zu nehmen sein, die als ein Sprachrohr der öffentlichen Meinung und der demokratischen Kontrolle nicht dadurch behindert werden darf, daß ein Journalist, der in berechtigter Wahrnehmung allgemeiner Interessen auf bedenkliche Vorgänge aufmerksam macht, sich selber als der Verdächtigte und Beschuldigte wiederfindet.
    Meine Damen und Herren, das Ziel dieser Anfrage und Aussprache ist, die Bedeutsamkeit justizpolitischer Erwägungen und den für Recht und Freiheit mitentscheidenden Rang der rechtsprechenden Gewalt mehr als bisher der Öffentlichkeit ins Bewußtsein zu rufen und ein Warnsignal davor aufzurichten, daß die Grenzen der Gewaltenteilung nicht durch vermeintliche Allmacht einer Bundesregierung überschritten werden dürfen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Fritz Schäffer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich bei der Beantwortung der Fragen an die Reihenfolge und den Inhalt der Großen Antrage zu halten. Ich nehme an, es besteht Einverständnis, daß ich auf die gesamten Fragen eingehe und Antwort gebe, selbst wenn die einzelne Frage in der Begründung nicht oder nur zum Teil erwähnt worden ist. Es gehört zu meinen Pflichten, mich an die Drucksache zu halten.
    Ich darf infolgedessen von der Frage 1 ausgehen, die lautet: „Wann wird die Bundesregierung den Gesetzentwurf vorlegen, der den „Auftrag aus Artikel 95 GG erfüllt?" Zu dieser Frage muß ich zunächst auf die Antwort Bezug nehmen, die die Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP vom 15. Oktober 1958 bereits erteilt hat. Diese Anfrage hatte ebenfalls die Errichtung des Obersten Bundesgerichts zum Gegenstand. Die Antwort der Bundesregierung hat folgenden Wortlaut:
    Die Errichtung eines Obersten Bundesgerichts ist, wie bekannt, im Oktober/November 1956 Gegenstand von Erörterungen im Bundestag gewesen. Der Bundestag hat die Bundesregierung am 22. Oktober 1956 aufgefordert, den Entwurf eines Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung vorzulegen. Im Bundesjustizministerium sind schon vor diesem Beschluß und ebenso in der Folgezeit eingehende Untersuchungen zur Frage des Obersten Bundesgerichts angestellt worden. Dabei haben sich erneut erhebliche Zweifelsfragen und Schwierigkeiten ergeben. Kürzlich ist nunmehr im Bundesjustizministerium eine umfassende Referenten-Denkschrift ausgearbeitet und dem Bundesverfassungsgericht, den beteiligten Bundesressorts und über diese sämtlichen oberen Bundesgerichten mit der Bitte um Stellungnahme zugeleitet worden. Sobald deren Äußerungen eingegangen sind, wird die Bundesregierung sich über die im Hinblick auf Artikel 95 GG erforderlichen weiteren Schritte schlüssig werden.
    Zusätzlich darf ich zu der präzisen Frage, wann die Bundesregierung voraussichtlich einen Gesetzentwurf gemäß Art. 95 des Grundgesetzes einbringen wird, folgendes bemerken: In der verhältnismäßig kurzen Zeit seit Errichtung der oberen Bundesgerichte sind dem Bundesjustizministerium nur wenige Fälle bekanntgeworden, in denen obere Bundesgerichte gegenteilige Auffassungen vertreten haben. Dabei ist zu bedenken, daß das Oberste Bundesgericht nach Art. 95 GG nicht bei jeder Meinungsverschiedenheit, sondern nur in den Fällen entscheiden soll, deren Entscheidung für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung der oberen Bundesgerichte von grundsätzlicher Bedeutung ist. Bei Anlegung dieses Maßstabes wären bisher nur vier Fälle einer Klärung auf dem Wege des Art. 95 GG zugänglich gewesen. In fünf weiteren Fällen von teilweise größerem Gewicht sind die Meinungsverschiedenheiten auf verfassungsrechtliche Fragen zurückzuführen, die endgültig vom Bundesverfassungsgericht zu entscheiden sein werden. Bemerkenswert ist, daß die oberen Bundesgerichte in zwei
    Divergenzfällen ihre Auffassung bei nächster Gelegenheit mit dem Ergebnis überprüft haben, daß in einem Fall, der in der genannten Zahl der Divergenzfälle nicht enthalten ist, die Meinungsverschiedenheit beseitigt, in einem anderen gemildert ist. Mit einem wesentlichen Ansteigen der Zahl der Divergenzfälle, die in die Zuständigkeit eines Obersten Bundesgerichts fallen, dürfte aus zwei Gründen nicht zu rechnen sein: Einmal sind die Zuständigkeiten der einzelnen oberen Bundesgerichte sachgemäß verteilt, so daß sich wenig Überschneidungen ergeben. Zudem wirken sich bei der Auslegung und Anwendung zahlreicher gesetzlicher Vorschriften auf den verschiedenen Rechtsgebieten die Bestimmungen des Grundgesetzes aus. Dessen Vorschriften harren aber in vielen Einzelheiten wie auch in Grundsatzfragen noch der Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht. In solchen Fällen kann eine endgültige Klärung der Rechtsfragen und Beseitigung der zwischen den Gerichten, auch den oberen Bundesgerichten, bestehenden Divergenzen endgültig nur durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen. Von den Bedürfnissen der Rechtsprechung her gesehen, erscheint die Errichtung des Obersten Bundesgerichts deshalb zur Zeit teils nicht vordringlich, teils nicht geeignet zur Beseitigung der in der Rechtsprechung der oberen Bundesgerichte aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten mit verfassungsrechtlichem Hintergrund. Gleichwohl hat das Bundesjustizministerium seit längerem Untersuchungen darüber angestellt, wie eine praktikable Lösung zur Erfüllung des Auftrages in Art. 95 GG gefunden werden kann.
    Nach der Vorstellung des Parlamentarischen Rates soll das Oberste Bundesgericht, wie bereits in der Plenarsitzung am 3. Oktober 1956 dargelegt worden ist, als institutionelles Gericht errichtet werden. Dieser Konzeption stehen aber die inzwischen eingetretene Entwicklung und die gesammelten Erfahrungen entgegen. Bereits die Bezeichnung als Oberstes Bundesgericht entspricht dem Aufgabenbereich dieses Gerichts nicht, denn Fragen von grundsätzlicher Bedeutung mit verfassungsrechtlichem Einschlag entscheidet, wie erwähnt, letztlich das Bundesverfassungsgericht, entweder auf Vorlage des einzelnen Gerichts gemäß Art. 100 GG oder auf Verfassungsbeschwerde hin, wobei das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auch des Obersten Bundesgerichts aufheben könnte. Das in Art. 95 GG als Oberstes Bundesgericht bezeichnete Gericht kann mithin nur eine koordinierende Funktion zwischen den oberen Bundesgerichten haben. Dafür reicht ein Vereinigter Senat aber wohl aus, der lediglich über die streitige Rechtsfrage, nicht aber den gesamten Fall entscheidet, also ähnliche Funktionen hat wie die Großen Senate der oberen Bundesgerichte. Dadurch würde zugleich ein weiterer Instanzenzug, der auf berechtigte Ablehnung stieße, vermieden. Bei dem voraussichtlich geringen Geschäftsanfall werden hauptamtlich tätige Richter nicht benötigt. Die Mitglieder des Senats könnten vielmehr aus dem Kreis der Richter an den oberen Bundesgerichten ausgewählt und nebenamtlich mit der Wahrnehmung des Richteramtes in dem Vereinigten Senat betraut werden. Diese Richter be-



    Bundesjustizminister Schäffer
    sitzen Revisionserfahrung und die nötigen Fachkenntnisse auf den Sachgebieten der einzelnen oberen Bundesgerichte.
    Ein mit nebenamtlich tätigen Richtern besetzter Vereinigter Senat der oberen Bundesgerichte unterscheidet sich von einem institutionellen Obersten Bundesgericht aber so sehr, daß für diese Lösung wohl eine Änderung des Grundgesetzes in Betracht gezogen werden muß. Angesichts der bisher geringen Erfahrungen über Art und Umfang der Divergenzen in der Rechtsprechung der oberen Bundesgerichte hat das Bundesjustizministerium sich noch nicht in der Lage gesehen, sachgemäße Vorschläge zur Ausführung des Art. 95 GG zu machen. Auch eine kleine Lösung in Gestalt eines Vereinigten Senats wirft noch eine Reihe von Zweifelsfragen auf. So bedarf — um nur einige Punkte zu nennen — der Klärung, ob im Einzelfall Richter aller oder nur der divergierenden oberen Bundesgerichte mitwirken sollen, bei wem der Vorsitz liegen und ob die Rechtsfrage von den einzelnen Senaten der oberen Bundesgerichte unmittelbar oder über die Großen Senate, beim Bundesgerichtshof möglicherweise auch über den Vereinigten Großen Senat an das neu zu bildende Gremium herangetragen werden soll. Für die Beurteilung dieser Fragen hat die Auffassung der Praxis, vor lallem des Bundesverfassungsgerichts und der oberen Bundesgerichte, erhebliche Bedeutung. Der Zweck der eingangs erwähnten Referenten-Denkschrift ist es, eine Stellungnahme der beteiligten Stellen nicht nur in der Gesamtkonzeption, sondern auch in wichtigen Einzelfragen herbeizuführen. Von den Stellungnahmen wird abhängen, welche Lösung vorgeschlagen werden kann. Bei dieser Sachlage bedaure ich daher, ihnen heute einen genauen Zeitpunkt für den Abschluß der Vorarbeiten noch nicht nennen zu können. Die Bundesregierung verkennt aber nicht, daß eine Lösung in absehbarer Zeit angestrebt werden sollte.
    Ich darf nunmehr zur Frage 2 übergehen:
    Teilt die Bundesregierung die Besorgnis, daß einzelne Gerichtsurteile das Rechtsbewußtsein verletzen, weil sie die Schwere des Unrechts der unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verübten Straftaten gegen das Leben verkennen oder — z. B. durch Zubilligung einer Rente an die Witwe Heydrichs — die von nationalsozialistischen Machthabern verübten Verbrechen des Mordes außer acht lassen?
    Die Frage 3 lautet:
    Wird die Bundesregierung die Maßnahmen der Länder fördern, die darauf abzielen, eine Wiederholung von Versäumnissen wie im Falle Eisele zu vermeiden? Wie ist insbesondere der Stand der Auslieferungsverhandlungen im Falle Eisele?
    Die Fragen enthalten zwei Fälle, auf die infolgedessen wohl in der Beantwortung eingegangen. werden muß.
    Zu dem in Nr. 2 der Großen Anfrage genannten und in der Öffentlichkeit besonders beachteten Fall der Zubilligung einer Rente an die Witwe Heydrichs darf ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister
    für Arbeit und Sozialordnung folgendes mitteilen:
    Mit Urteil vom 27. Juni 1958 hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Schleswig als Berufungsgericht das Urteil des Oberversicherungsamts Schleswig vom 9. Februar 1953, das den Hinterbliebenen Heydrichs Anspruch auf Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz zuerkannt hatte, bestätigt und die Berufung des Landes Schleswig-Holstein zurückgewiesen. Das Urteil ist nach § 214 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes endgültig.
    Die Bundesrepublik war in der Berufungsinstanz beigeladen. Als deren Vertreter hat sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung wiederholt zur Sache schriftsätzlich geäußert und auch zu den mündlichen Verhandlungen Vertreter entsandt. Dabei ist dem Gericht gegenüber zum Ausdruck gebracht worden, daß in dem Attentat auf Heydrich kein Tatbestand zu erkennen sei, der einen Anspruch auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz begründen könne, weil das Attentat durch politische Motive ausgelöst worden und militärisch bedeutungslos gewesen sei. Desgleichen hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung darauf hingewiesen, daß es nicht Wille des Gesetzgebers gewesen sein konnte, auch den Personenkreis der führenden Nationalsozialisten und ihrer Hinterbliebenen in die Versorgung miteinzubeziehen, der für den Ausbruch des Krieges und seine unzähligen Opfer mitverantwortlich ist; denn er beschloß das Gesetz ja nur für die Opfer des Krieges.
    Demgegenüber vertrat das Gericht die Auffassung, daß an der Beseitigung Heydrichs ein erhebliches militärisches Interesse bestanden und das Attentat die Unterstützung britischer militärischer Stellen erfahren habe. Diese hätten damit im Protektorat eine Belebung des Widerstandskampfes und eine Schwächung oder sogar Vernichtung der dortigen Kriegsindustrie und damit eines wesentlichen Teiles des deutschen Kriegspotentials erreichen wollen. Indem das Gericht diesen Sachverhalt als erwiesen ansah, hielt es die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchstabe a des Bundesversorgungsgesetzes für gegeben. Danach gelten als unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchstabe a des Bundesversorgungsgesetzes Kampfhandlungen und damit unmittelbar zusammenhängende militärische Maßnahmen, insbesondere die Einwirkung von Kampfmitteln, wenn sie im Zusammenhang mit einem der beiden Weltkriege stehen.
    Einen Ausschluß der Versorgung politisch Belasteter und ihrer Hinterbliebenen hielt das Landessozialgericht nicht für möglich, weil das Bundesversorgungsgesetz hierzu keine Handhabe biete. Vielmehr wollte nach Ansicht des Gerichts der Gesetzgeber einen solchen Ausschluß bewußt nicht vornehmen, da der Bundestag dem Regierungsentwurf, der eine solche Ausschlußmöglichkeit vorsah, nicht gefolgt sei. In der 30. Sitzung des Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen des Deutschen Bundestages wurde die betreffende Vorschrift nach einstimmigem Beschluß gestrichen.



    Bundesjustizminister Schäffer
    Die Bundesregierung beobachtet die Rechtspre chung der verschiedenen Gerichtszweige — um das grundsätzlich zu bemerken — aufmerksam, insbesondere lasse ich mich regelmäßig über alle bedeutungsvollen Strafverfahren unterrichten. Wenn in Ausnahmefällen Strafurteile den Eindruck erweckt haben, daß sie die Schwere des Unrechts der unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verübten Straftaten gegen das Leben verkennen, sind diese Urteile grundsätzlich im Rechtsmittelweg nachgeprüft worden oder werden noch geprüft. Durch die Ausgestaltung des Rechtsmittelweges ist weitgehend gewährleistet, daß eine etwa getroffene Fehlentscheidung berichtigt werden kann. Entsprechendes gilt auch für die Urteile der Sozialgerichte, Verwaltungsgerichte und Disziplinargerichte.
    Im übrigen darf ich bemerken, daß in Strafverfahren wegen Gewalttaten gegen das Leben die Schwurgerichte für die Verhandlung und Entscheidung zuständig sind. Da das Schwurgericht aus drei Berufsrichtern und sechs Geschworenen besteht, die das gleiche Stimmrecht haben, dürfte gesichert sein, daß das Rechtsbewußtsein des Volkes gerade bei der Verfolgung der genannten Straftaten zur Geltung kommt.
    Soweit in den zurückliegenden Jahren Urteile gefühlsmäßig und menschlich nicht befriedigen konnten, dürften jedoch auch die Schwierigkeiten nicht übersehen werden, die die Rechtsprechung nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945 zu überwinden hatte. Die Gerichte hatten ja ihre gesamte Tätigkeit eingestellt. Die wenigen Richter, Staatsanwälte und weiteren Justizangehörigen, die nach einer längeren Zwangspause ihre Tätigkeit in meistens durchaus unzureichenden Räumen und mit unzulänglichen materiellen Mitteln wieder aufnahmen, hatten die Aufgabe, eine bereits in erheblichem Umfang angewachsene und schon wegen der allgemeinen Not immer mehr ansteigende Zahl von Straftaten zu verfolgen. Da die Hilfsorgane der Staatsanwaltschaft sich in der gleichen Lage befanden, konnten sie damals die Tätigkeit der Justiz nicht ausreichend unterstützen. Jahre hindurch fehlten nicht nur Richter, Staatsanwälte, Polizeibeamte und Sachverständige, auch die Beschuldigten und die erforderlichen Zeugen waren sehr oft unbekannten Aufenthalts oder befanden sich in fremdem Gewahrsam. Darüber hinaus lebten viele von denjenigen, gegen die besonders schwere Beschuldigungen vorgebracht wurden, unter einem falschen Namen in einer fremden Umgebung und konnten erst nach langwierigen Fahndungen ermittelt werden.
    Gegen Beschuldigte, gegen die die Strafverfolgungsbehörden der damaligen Besatzungsmächte ein Verfahren durchführten, konnten die deutschen Behörden zunächst nicht einschreiten. Auch später wurde die Verfolgung dieser Personen dadurch behindert, daß die besatzungsgerichtlichen Akten den deutschen Behörden nicht zur Verfügung standen.
    Die genannten Gründe mögen es zum Teil erklärlich machen, warum manche Verfahren wegen der unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft begangenen Straftaten gegen das Leben nicht mit der erwünschten Schnelligkeit abgeschlossen
    werden , konnten, zumal diese Verfahren in der Regel besonders umfangreiche Ermittlungen und Vorbereitungen voraussetzen. Mit den Landesjustizverwaltungen bin ich jedoch bemüht, sicherzustellen, daß die noch unerledigten Verfahren der genannten Art beschleunigt abgeschlossen werden. Ich darf darauf hinweisen, daß sich die letzte Konferenz der Justizminister in Bad Harzburg auf meine Anregung eingehend mit der Frage befaßt hat, wie die Verfolgung bisher ungesühnter nationalsozialistischer Gewalttaten durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Länder schneller und wirksamer durchgeführt werden kann. Zu diesem Zweck haben die Justizminister und Senatoren beschlossen, eine Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zu schaffen, die das vorhandene und erreichbare Material auswerten und die Strafverfolgung koordinieren soll. Ich habe an den entscheidenden Besprechungen persönlich teilgenommen, mich für die dann einstimmig angenommene Entschließung eingesetzt und jede mögliche Unterstützung des Planes zugesagt. Inzwischen haben die Justizminister und -senatoren der Länder eine Verwaltungsvereinbarung über die Einrichtung der Zentralen Stelle getroffen. Die Zentrale Stelle hat ihre Tätigkeit in der ersten Dezemberhälfte 1958 in Ludwigsburg bereits aufgenommen.
    Um auszuschließen, daß sich Verbrecher, insbesondere auch die, die sich in der nationalsozialistischen Zeit schwerer Gewalttaten schuldig gemacht haben, durch die Flucht ins Ausland der deutschen Strafverfolgung entziehen können, ist die Bundesregierung seit Jahren bestrebt, mit allen Staaten, die eine Auslieferung nur auf Grund eines Vertrages vornehmen, einen Auslieferungsvertrag abzuschließen oder, soweit bestehende Verträge durch den Kriegszustand unterbrochen waren, diese wieder in Kraft zu setzen. Ebenfalls beabsichtigt die Bundesregierung, mit denjenigen Staaten Verträge über die Auslieferung abzuschließen, die zwar außerhalb eines Vertrages flüchtige Verbrecher ausliefern, wo sich aber praktisch doch Schwierigkeiten ergeben, weil es an einer vertraglichen Auslieferungspflicht fehlt.
    Das ägyptische Außenministerium hat am 13. Oktober 1958 die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kairo schriftlich davon unterrichtet, daß die Auslieferung des Dr. Eisele nicht gewährt werden könne, weil die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden, im Jahre 1941 begangenen Straftaten nach § 15 der ägyptischen Strafprozeßordnung verjährt seien. Nach dieser Bestimmung beträgt die Verjährungsfrist für Verbrechen zehn Jahre, gerechnet vom Tage der Tatbegehung. Hiernach wäre die Verjährung im Jahre 1951 eingetreten.
    Zwar verweist diese Vorschrift auch darauf, daß möglicherweise durch Sonderbestimmungen andere Verjährungsfristen festgesetzt sein können. Ob solche für das Auslieferungsverfahren gegen Dr. Eisele bedeutungsvolle Bestimmungen bestehen, hat sich nicht feststellen lassen. Die Annahme dürfte gerechtfertigt sein, daß sich solche Sondervorschriften nur mit der Herabsetzung der Verjährungsfrist befassen, z. B. bei Pressestraftaten. Nach § 17 der



    Bundesjustizminister Schäffer
    ägyptischen Strafprozeßordnung ist allerdings auch die Unterbrechung der Verjährung durch bestimmte prozessuale Handlungen möglich. Gerichtliche Maßnahmen, die geeignet gewesen wären, vor 1951 die Verjährung zu unterbrechen, haben sich in den Verfahrensakten gegen Dr. Eisele bisher nicht feststellen lassen. Infolgedessen konnte darauf bisher nicht zurückgegriffen werden.
    Ich darf noch kurz auf den Fall Lautz eingehen, den der Herr Kollege Dr. Arndt in seinen Ausführungen kurz erwähnt hat. Wegen der Tätigkeit des Dr. Lautz als Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof sind Ermittlungsverfahren bei den Staatsanwaltschaften in Berlin und Lübeck anhängig. Nach der Mitteilung des Herrn Justizministers des Landes Schleswig-Holstein hat der Oberstaatsanwalt in Lübeck von den bisher eingeleiteten fünf Ermittlungsverfahren zwei Verfahren eingestellt. In drei Verfahren sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Welchen Ausgang diese Verfahren voraussichtlich haben werden, läßt sich zur Zeit noch nicht übersehen. Im übrigen nehme ich auf die im Einvernehmen mit mir von dem Herrn Bundesminister des Innern erteilten Antworten vom 27. Februar und 26. März 1958 Bezug. Inzwischen ist Lautz durch die Bundesdisziplinarkammer in Kiel am 11. April 1958 zur Höchststrafe, der Aberkennung der Rechte aus dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes, verurteilt worden. Der Bundesdisziplinaranwalt hat gegen dieses Urteil, das dem Beschuldigten einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 % des Ruhegehalts zubilligte, Berufung eingelegt.
    Was zweitens die Frage der Akten des Volksgerichtshofs betrifft, darf ich feststellen, daß sich diese Akten, soweit sie überhaupt vorhanden und nicht durch die Kriegseinwirkung zerstört worden sind — was in vielen Fällen der Fall zu sein scheint —, im Bereich der Sowjetzone befinden, uns also vorerst nicht zur Verfügung stehen.
    Zu der Frage 4, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß gerichtliche Verfahren übermäßig lange dauern und die Verfahrensordnungen, namentlich im Strafprozeß, zeitgerechten und rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen und welche Reformen zur Abhilfe geplant seien, darf ich folgendes erklären.
    Der Bundesregierung ist bekannt, daß gerichtliche Verfahren in nicht seltenen Fällen ,sehr lange dauern. Es handelt sich dabei allerdings um eine Erscheinung, die nicht nur in der Gegenwart beobachtet werden kann, sondern auch schon in früheren Zeiten, und die nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in anderen Staaten Sorge bereitet hat und auch heute noch bereitet. Ausführungen darüber, daß die geordnete Rechtspflege, insbesondere auf dem Gebiete des Strafrechts, Not leidet, wenn die gerichtlichen Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit durchgeführt und zur endgültigen Entscheidung gebracht werden, glaube ich mir ersparen zu können. Auch dürfte allgemein bekannt sein, daß die Ursachen, die dabei eine Rolle spielen, vielfältig sind. Ich bin der Meinung, daß diese Ursachen nur teilweise durch eine Änderung des geltenden Verfahrensrechts und der Gerichtsverfassung beseitigt werden können. Sie liegen im übrigen nur zu einem gewissen Teil in Bereichen, die dem Einfluß des Bundes unmittelbar oder mittelbar zugänglich sind.
    Ich darf zunächst einen Überblick über meinen Geschäftsbereich geben. Hier genügt ein Blick in die Geschäftsübersichten des Bundesgerichtshofs und der Bundesanwaltschaft. Die Übersichten zeigen, daß die bei diesen Behörden anhängigen Verfahren in der Regel in einem Zeitraum erledigt werden können, der nicht als unangemessen lange kritisiert werden kann.
    Dies gilt insbesondere für die Strafverfahren. Bei den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs werden die dort eingehenden Sachen seit Jahren so zügig erledigt, daß keinerlei Rückstände vorliegen. In den Revisionssachen werden mehr als 90% der Verfahren in den ersten drei Monaten nach Eingang der Revision beim Bundesgerichtshof erledigt. Für die Revisionssachen, die die Strafsenate im Wege des Urteils erledigt haben, ergeben sich für das Jahr 1957 folgende Zahlen: Von insgesamt 917 Verfahren sind in einem Zeitraum bis zu drei Monaten — also zwischen Eingang der Revision beim Bundesgerichtshof und dem Tag des Urteils — 838 Sachen erledigt worden, in einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten 62 Sachen, zwischen sechs und neun Monaten 14 Sachen. Nur für drei Sachen wurde ein Zeitraum von über 12 Monaten benötigt. Für die Jahre 1956 und 1955 ergeben sich ähnliche Zahlen. Die bisher aus dem Jahr 1958 vorliegenden Übersichten ergeben ein ähnlich günstiges Bild.
    Auch die Unterlagen, die wir von den Landesjustizverwaltungen erhalten haben, geben, im Durchschnitt gesehen, keinen Grund zu besonderer Besorgnis. Die lange Dauer einzelner Verfahren liegt weniger am geltenden Verfahrensrecht als an der Überlastung der Staatsanwaltschaften und Gerichte. Sogenannte Monsterprozesse sind eine nicht seltene Erscheinung der Nachkriegszeit. Daß Strafverfahren mit wirtschaftlichem Einschlag, nämlich solche, die Betrug, Untreue oder Bankerott zum Gegenstand haben, erfahrungsgemäß lange dauern, erklärt sich oft aus der Schwierigkeit, geeignete Sachverständige zu finden, und aus dem Umfang der dort erforderlichen Sachverständigenarbeit.
    Bei der Prüfung der Möglichkeit, auf eine Beschleunigung des Strafverfahrens hinzuwirken, werden zunächst personelle und sonstige Verwaltungsmaßnahmen im Vordergrund stehen. Dennoch verkenne ich nicht, daß auch die Gesetzgebung ihren Beitrag leisten muß, um dieses Ziel zu verwirklichen. Bei der Reform des Strafverfahrensrechts und der Strafgerichtsverfassung wird mit allen Mitteln anzustreben sein, daß der Gang des Verfahrens insgesamt beschleunigt wird. Dabei wird man aber berücksichtigen müssen, daß dieser Wunsch nach Beschleunigung durchaus mit anderen Forderungen des Verfahrensrechts in Widerstreit treten kann. Die Beschleunigung darf niemals auf Kosten der Rechtsgarantien gehen. Grundforderung des Verfahrensrechts muß es bleiben, durch sorgfältige Aufklärung des Falles in alle Richtungen die Voraussetzungen für eine gerechte Entscheidung zu schaffen.



    Bundesjustizminister Schäffer
    Es bedarf sorgfältiger Prüfung, wie derartige Spannungen gelöst werden können; um so mehr als das Anliegen, den Strafprozeß zu beschleunigen, nicht isoliert betrachtet werden darf. Die Aufgabe kann umfassend nur durch eine gesamte Reform des Verfahrensrechts gelöst werden, da es nicht möglich ist, einzelne Verfahrenseinrichtungen losgelöst von anderen und ohne Rücksicht auf die Gestaltung des Verfahrens in seiner Gesamtheit zu erneuern. Die Notwendigkeit einer umfassenden Reform des Strafverfahrensrechts ist im Bundesjustizministerium seit langem erkannt. Diese Aufgabe haben wir in den Bereich der Großen Strafrechtsreform eingeordnet.
    Auch in den vergangenen Jahrzehnten ist die Reform immer von dem Zusammenhang zwischen materiellem Strafrecht und Strafverfahrensrecht ausgegangen. Den schon 1906 aufgenommenen Reformarbeiten am Strafgesetzbuch folgten 1908 alsbald Bemühungen um die Neugestaltung des Strafprozesses. Diese nach dem Krieg wiederaufgenommenen Arbeiten führten 1920 zu dem Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen. Auch der Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch 1930 suchte neben der notwendigen Anpassung des Verfahrens an das neue Strafrecht bereits wesentliche Reformanliegen zu verwirklichen. Nach 1945 mußte aus verständlichen Rücksichten davon abgesehen werden, auf frühere Reformideen zurückzugreifen; der Gesetzgeber mußte sich im wesentlichen darauf beschränken, für das gesamte Bundesgebiet wieder eine einheitliche Strafprozeßordnung zu erlassen, die überwiegend auf dem Rechtszustand vor 1933 aufbaute.
    Inzwischen sind die Reformarbeiten wiederaufgenommen worden. Zu dem Programm dieser „Großen Reform" gehört auch nach unserer Vorstellung nicht nur die Erneuerung des sachlichen Strafrechts, sondern auch die des Strafverfahrensrechts, der Strafgerichtsverfassung und des Strafvollzuges. Es liegt auf der Hand, daß diese Arbeiten nicht alle zu gleicher Zeit in Angriff genommen werden konnten. Dem materiellen Strafrecht gebührt der Vorrang, weil Inhalt und Umfang der Prozeßreform durch den Entwurf für ein neues Strafgesetzbuch bestimmt werden. Die Arbeiten an diesem Entwurf sind bereits weit fortgeschritten. Es wird Ihnen, meine Damen und Herren, bekannt sein, daß der Entwurf des Allgemeinen Teils eines Strafgesetzbuches nach den Beschlüssen der Großen Strafrechtskommission in erster Lesung im Dezember 1956 abgeschlossen und im April 1958 mit Begründung den Bundes- und Landesressorts übermittelt worden ist. Die Arbeiten der Kommission sollen so gefördert werden, daß der gesamte Entwurf eines Strafgesetzbuches in den nächsten Monaten fertiggestellt sein wird und dem Kabinett vorgelegt werden kann. Die Einzelheiten dieses Entwurfs werden unschwer die Auswirkungen auf die Gerichtsverfassung und das Verfahrensrecht erkennen lassen. Die veränderten Strafrahmen werden z. B. dazu zwingen, die Zuständigkeitsvorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes zu überprüfen. Weiter ist vorgesehen, das richterliche Ermessen im Vergleich zum geltenden Recht zu erweitern, zugleich aber dem Richter bindende Richtlinien für die Ausübung des Ermessens an die
    Hand zu geben. Es wird zu prüfen sein, welche Auswirkungen sich daraus für das jetzt geltende Rechtsmittelsystem der Strafprozeßordung ergeben. Insbesondere wird man überlegen müssen, ob die Revision umzugestalten ist, etwa in der Form, daß das Revisionsgericht auch berufen sein soll, in gewissem Umfange Ermessensentscheidungen des Tatrichters nachzuprüfen.
    Nun bin ich mir allerdings darüber im klaren, daß man mit der Verwirklichung aller dieser Aufgaben nicht bis zur völligen Neugestaltung unseres Strafverfahrensrechts im Rahmen der erwähnten Großen Prozeßreform wird warten können. Eine derartige Arbeit setzt umfangreiche wissenschaftliche Vorarbeiten voraus; sie kann nicht in ein oder zwei Jahren bewältigt werden. Daher müssen die nötigsten Maßnahmen bereits im Einführungsgesetz zu dem neuen Strafgesetzbuch getroffen werden. Die Arbeiten an dem Entwurf dieses Einführungsgesetzes werden schon in den nächsten Monaten eine der vordringlichsten Aufgaben der Strafrechtsabteilung meines Hauses sein. Bis dahin hoffen wir, wie ich bereits erwähnt habe, die Arbeiten des Ministeriums am Entwurf des materiellen Strafrechts abgeschlossen zu haben.
    Zu den Reformproblemen, die meines Erachtens schon im Einführungsgesetz einer vordringlichen Lösung zugeführt werden können und die besonders der Beschleunigung des Verfahrens dienen, gehören z. B. folgende:
    1. Die Beschränkung des Prozeßstoffes auf das Wesentliche. Nach § 154 Strafprozeßordnung können einzelne von mehreren selbständigen Taten, die Gegenstand der Anklage sind oder werden sollen, ausgeschieden werden, falls sie im Rahmen der Gesamtbeurteilung nur unwesentliche Bedeutung haben. Der Prüfung bedarf, ob die Befugnisse der Staatsanwaltschaft und des Gerichts darauf erstreckt werden sollen, unter denselben Voraussetzungen einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen derselben Tat oder einzelne abtrennbare Teile einer fortgesetzten oder einer Kollektivtat auszuscheiden.
    2. Die Stellung des Verteidigers im Vorverfahren wird dahin zu verstärken sein, daß seine Zuziehung in diesem Verfahrensabschnitt und seine Befugnis zur Mitwirkung bei den Ermittlungen erweitert werden.
    3. Die Abschaffung des Eröffnungsbeschlusses zu Beginn des Hauptverfahrens. Vorschläge in dieser Richtung enthalten bereits der Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen aus dem Jahre 1920 und der Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1930.
    4. Die Abkürzung der Untersuchungshaft. Die lange Dauer von Strafverfahren ist insbesondere dort, wo der Beschuldigte in Untersuchungshaft sitzt, abträglich. Es wird nicht leicht sein, hier durch eine Änderung des Gesetzes Abhilfe zu schaffen. Wir werden uns aber darüber Gedanken machen müssen, zumal Art. 5 Abs. 3 der Konvention des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und



    Bundesjustizminister Schäffer
    Grundfreiheiten verlangt, daß jeder Festgenommene Anspruch auf Aburteilung innerhalb angemessener Frist hat, falls er nicht vorher wieder aus der Haft entlassen wird.
    5. Die Beschränkung der Rechtsmittel und des Umfanges der Nachprüfung in Verfahren von geringerer Bedeutung. Wenn wir es mit der Beschleunigung, wie immer betont wird, ernst nehmen, müssen wir uns auch mit diesem Punkt auseinandersetzen, selbst wenn es Gegensätze der Meinungen geben sollte.
    6. Die Beseitigung der Übertretungen durch das neue Strafgesetzbuch und ihre grundsätzliche Umwandlung in Ordnungswidrigkeiten wird zu einer wesentlichen Entlastung der Gerichte führen und sie von weniger bedeutsamer Arbeit freistellen.
    Nachdem ich damit meine Auffassung zur Frage der Neugestaltung des Strafverfahrensrechts dargelegt habe, darf ich mich nunmehr dem Anliegen der Beschleunigung der Verfahren auf anderen Rechtsgebieten zuwenden.
    Was die Zivilsachen anlangt, so treffen einige dieser Überlegungen zum Strafverfahren, insbesondere die Probleme der Sachverständigen und der Überlastung der Gerichte, auch für die Zivilverfahren zu. Bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs ist die Geschäftslage nicht so günstig wie bei den Strafsenaten, aber nach der Errichtung des VII. und VIII. Senats doch deutlich auf dem Wege der Besserung. Während im Jahre 1955 1635 Revisionen neu eingingen und nur 1513 Revisionen erledigt werden konnten, lauten die gleichen Ziffern für das Jahr 1956 1599 Eingänge und 1669 Erledigungen und für Jahr 1957 1717 Eingänge und 1793 Erledigungen. Während im Jahre 1956 das Revisionsverfahren vom Tage des Eingangs der Revisionsbegründungsschrift bis zum Tage der Urteilsverkündung nur in 44 % aller Fälle weniger als 12 Monate dauerte, waren es 1957 schon 52,7 % der Revisionen, bei denen das. Verfahren vor dem Bundesgerichtshof in einem Zeitraum von höchstens einem Jahr erledigt werden konnte.
    Bei dem früheren Reichsgericht hatte man allerdings angestrebt, daß auch Revisionen in Zivilsachen grundsätzlich in einer Zeit von sechs, höchstens neun Monaten erledigt werden sollten. Von diesem Ziel sind wir beim Bundesgerichtshof noch weit entfernt. Man muß aber hinzufügen, daß auch beim Reichsgericht ständig das Gespenst der zu langen Verfahrensdauer und der Überlastung des höchsten Gerichts in Zivilsachen umging. Es ist ferner zu fragen, ob ein oberes Bundesgericht seinen Aufgaben noch gerecht werden kann, wenn es aus einer zu großen Zahl von Senaten besteht. Mit anderen Worten: Sowohl wegen der Dauer der Revisionsverfahren in Zivilsachen als auch wegen der großen Zahl jährlicher Revisionen überhaupt wird geprüft werden müssen, inwieweit das Rechtsmittel der Revision in seiner jetzigen Form geändert werden kann. Die Diskussion hierüber ist in der juristischen Öffentlichkeit schon seit mehreren Jahren im Gange. Man sollte die Dinge heranreifen lassen. Die derzeitige Geschäftslage beim Bundesgerichtshof zwingt auch in Zivilsachen nicht zu übereilten Entschlüssen. Man muß sich auch darüber klar sein, daß die Frage der Umgestaltung der Revision nicht ohne weiteres zu trennen ist von der Frage nach dem Rechtsmittelwesen in der Zivilgerichtsbarkeit überhaupt und daß das Problem, den Zivilprozeß nach Möglichkeit noch weiter zu beschleunigen, sämtliche Instanzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit, also das Amtsgericht, das Landgericht, das Oberlandesgericht und den Bundesgerichtshof, berührt.
    Das Bundesjustizministerium hat deshalb eine Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit berufen. Die Kommission ist von meinem Hause völlig unabhängig. Sie wird bei ihren Beratungen insbesondere prüfen, welche Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens und auf dem Gebiete des Rechtsmittelwesens getroffen werden sollten. Ihrem Votum wird wesentliche Bedeutung zukommen. Ich hoffe, daß die Kommission ihre Arbeiten in absehbarer Zeit abschließen wird, so daß dann auf Grund der Ergebnisse erwogen werden kann, welche gesetzgeberischen Maßnahmen eingeleitet werden sollten. Es ist jedoch zu bedenken, daß die Umgestaltung der Revision wohl nicht auf das Zivilverfahren beschränkt werden kann. Die Frage, wie der Zugang zu dem Revisionsgericht künftig zu gestalten ist, tritt in gleicher oder ähnlicher Weise bei den arbeits-, verwaltungs-, finanz-
    und sozialgerichtlichen Verfahren auf. Für die Frage der Belastung der oberen Bundesgerichte ist diese Frage von maßgeblicher Bedeutung. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Geschäftslage beim Bundesarbeitsgericht der beim Bundesgerichtshof ähnlich ist, daß aber die Lage bei dem Bundesverwaltungsgericht, dem Bundesfinanzhof und dem Bundessozialgericht als erheblich ungünstiger angesehen werden muß.
    Damit komme ich zu den Gerichtszweigen, die nicht zum Geschäftsbereich des Bundesjustizministeriums gehören, und darf im Einvernehmen mit den für sie federführenden Bundesministern folgendes ausführen.
    Bei den Verwaltungsgerichten ist die Geschäftslage — sowohl bei den Gerichten der Länder als auch beim Bundesverwaltungsgericht — weiterhin sehr angespannt. Die lange Prozeßdauer ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß aus den Vorjahren erhebliche Rückstände geblieben sind. Bei den Gerichten des ersten und des zweiten Rechtszuges halten sich, wenn man den Bundesdurchschnitt nimmt, die Zahl der eingehenden und erledigten Rechtssachen etwa die Waage. Beim Bundesverwaltungsgericht war dies noch nicht zu erreichen, auch besteht dort noch ein gewisser Überhang aus den Vorjahren. Es ist zu hoffen, daß der im Haushaltsplan 1958 bewilligte VIII. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hier Abhilfe schafft.
    Abgesehen davon ist der Entwurf der Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung, in der er jetzt den Ausschüssen des Bundestages zur Beratung vorliegt, zusammen mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Beschränkung der Berufung um eine Entlastung aller drei Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit bemüht. Auch hier sind dem Bemühen Grenzen gesetzt, da der Rechtsschutz, den die Ver-



    Bundesjustizminister Schäffer
    fahrensgesetze gewährleisten sollen, nicht unangemessen beeinträchtigt werden darf. Sobald die erwähnten Gesetzesentwürfe verabschiedet sind, kann erwartet werden, daß die Rückstände bei den Verwaltungsgerichten aufgearbeitet werden können, so daß auch dadurch die Prozeßdauer im allgemeinen herabgesetzt wird.
    Im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit ist die Lage günstiger. Hier gibt es lediglich eine Tatsacheninstanz. Dies wird durch die Besonderheit des Steuerrechts ermöglicht und führt zu einer Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens überhaupt. Wegen der starken Belastung des Bundesfinanzhofs ist die Zahl der dort tätigen Richter im Laufe der letzten Jahre mehrfach vermehrt worden. Auch sind zusätzliche Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter geschaffen worden. Im übrigen wird der Bundesfinanzminister die zuständigen Minister oder Senatoren der Länder um Prüfung bitten, ob eine Vermehrung der Richterstellen bei den Finanzgerichten erforderlich erscheint.
    Was nun die Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen anbetrifft, so sind hier, abgesehen von den bekannten Schwierigkeiten beim Bundesarbeitsgericht, bisher Vorstellungen wegen einer unangemessenen Dauer der Verfahren noch nicht erhoben worden. Das Arbeitsgerichtsgesetz ist in besonderem Maße zum der Bechleunigung des Verfahrens 'in allen Rechtszügen bedacht gewesen. Es hat nicht nur in seinem § 9 den allgemeinen Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung festgelegt, sondern auch bei einer Reihe von verfahrensrechtlichen Einrichtungen der Gefahr einer Verzögerung der Prozesse vorgebeugt, so z. B. bei der Bernes-sung gewisser Fristen und der Nichtanwendung der für die ordentliche Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften über die Gerichtsferien.
    Sollten dennoch gelegentlich übermäßig lang andauernde Arbeitsgerichtsverfahren vorkommen, so dürfte der Grund hierfür nicht in der geltenden gesetzlichen Regelung liegen, sondern darin zu suchen sein, daß von den im Arbeitsgerichtsgesetz gegebenen Möglichkeiten, das Verfahren zu beschleunigen, in der Praxis nicht immer hinreichend Gebrauch gemacht wird.
    In der Sozialgerichtsbarkeit, zu der ich schließlich Stellung nehmen darf, bestand in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes am 1. Januar 1954 Anlaß zur Besorgnis. Die Gerichte hatten erhebliche Rückstände übernehmen müssen und waren überlastet. Den Gerichten erster Instanz, den Sozialgerichten, ist es in den vergangenen Jahren allmählich gelungen, der sehr großen Zahl von Verfahren im wesentlichen Herr zu werden. Die auch heute noch äußerst angespannte Geschäftslage bei den höheren Instanzen, den Landessozialgerichten und dem Bundessozialgericht, hat dazu geführt, im Zweiten Änderungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz das Verfahren vor diesen Gerichten zu erleichtern und gewisse Änderungen bei den Vorschriften über die Zulässigkeit der Rechtsmittel vorzunehmen. Das Änderungsgesetz ist erst am 1. Juli 1958 in Kraft getreten. In welchem Umfange es sich auf die Lage bei den Rechtsmittelgerichten
    auswirkt, ist noch nicht zu übersahen. Es ist aber zu erwarten, daß in der im Gesetz vorgesehenen Übergangszeit bis Ende 1960 die Landessozialgerichte und das Bundessozialgericht die Rückstände so weit aufgearbeitet haben werden, daß die Berufungen und Revisionen dann in angemessener Zeit erledigt werden können.
    In unserer Gerichtsbarkeit stehen heute eine Reihe von Gerichtsverfassungs- und Verfahrensgesetzen nebeneinander. Aufbau und Verfahren der gesamten Gerichtsbarkeit müssen ,aber für den Staatsbürger überschaubar sein. Auch das ist ein Erfordernis des Rechtsstaats und trägt zur Vermeidung unnötiger Prozesse und zur Beschleunigung des gesamten Rechtsgangs wesentlich bei. Die Bundesregierung wird sich deshalb entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 29. November 1956 auch weiterhin um eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung des Verfahrensrechts bemühen und den Fragen einer einheitlichen Prozeßordnung nachgehen.

    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)

    Ich darf dann auf die Frage 5 eingehen. Sie lautet: Sind gerichtliche Verfahren dadurch verzögert oder beeinflußt worden, daß die Bundesregierung keine oder keine vollständigen oder erst verspätete Genehmigungen zur Aussage für verschwiegenheitsverpflichtete Zeugen erteilte?
    In Form einer Frage wird hier die seit Jahren aufgestellte und von der Bundesregierung zurückgewiesene Behauptung wiederholt, die Rechtspflege sei von der Bundesregierung in bestimmten Fällen durch Verweigerung oder Verzögerung von Aussagegenehmigungen behindert worden. Soweit diese Fälle Gegenstand parlamentarischer Anfragen waren, darf ich auf die jeweils erteilten Antworten verweisen.
    Zur Klarstellung muß ich zunächst folgendes bemerken. Die Bundesregierung als Kabinett entscheidet über Aussagegenehmigungen nur dann, wenn es sich um Kabinettsmitglieder handelt. Bei anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes des Bundes entscheidet der Dienstvorgesetzte, und das ist bei Angehörigen der Bundesministerien der zuständige Bundesminister, der bekanntlich nach dem Grundgesetz seinen Geschäftsbereich — wenn auch innerhalb der Richtlinien der Politik — selbständig und unter eigener Verantwortung leitet. Das Bundesjustizministerium kann daher allenfalls gutachtlich Stellung nehmen, wenn es im Einzelfall von der zur Entscheidung berufenen Stelle darum gebeten wird.
    Die Frage, ob die Rechtspflege durch die Verweigerung oder Verzögerung von Aussagegenehmigungen behindert worden sei, könnte den Vorwurf enthalten, die Bundesregierung oder einzelne Ministerien hätten Anträge auf Erteilung von Aussagegenehmigungen nicht pflichtgemäß geprüft. Ich muß einen solchen Vorwurf entschieden zurückweisen. Der Dienstvorgesetzte hat grundsätzlich die Pflicht, dafür zu sorgen, daß alle dienstlichen Angelegenheiten geheimgehalten werden, soweit es sich bei ihnen nicht um offenkundige oder ihrer Bedeutung nach nicht geheimhaltungsbedürftige Tatsachen han-



    Bundesjustizminister Schäffer
    delt. Deshalb wird auch in den Absätzen 1 und 2 des § 61 des Bundesbeamtengesetzes bestimmt:
    „Der Beamte hat, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, über die ihm bei seiner amtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt nicht für Mitteilungen im dienstlichen Verkehr oder über Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen.
    Der Beamte darf ohne Genehmigung über solche Angelegenheiten weder vor Gericht noch außergerichtlich aussagen oder Erklärungen abgeben. Die Genehmigung erteilt der Dienstvorgesetzte oder, wenn das Beamtenverhältnis beendet ist, der letzte Dienstvorgesetzte."
    Diese Regelung steht im Gegensatz zu dem bis 31. August 1953 geltenden Recht. § 8 des Deutschen Beamtengesetzes sah nämlich eine Verschwiegenheitspflicht lediglich für diejenigen Angelegenheiten vor, die auf Grund Gesetzes oder dienstlicher Anordnung oder ihrer Natur nach geheimzuhalten waren. Nach dem Bundesbeamtengesetz ist dagegen die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit zur Regel geworden. Sollten heute im Verlauf der Debatte einzelne Fälle zur Sprache kommen, würde ich bitten, an diese gesetzlichen Vorschriften und Verpflichtungen zu denken.
    Die Voraussetzungen, nach denen der Dienstvorgesetzte über einen Antrag auf Erteilung einer Aussagegenehmigung zu entscheiden hat, ergeben sich aus § 62 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes:
    Die Genehmigung, als Zeuge auszusagen, soll nur versagt werden, wenn die Aussage dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde.
    Das Beamtenrechtsrahmengesetz vom 1. Juli 1957 hat das Wort „soll" in diesem Paragraphen durch „darf" ersetzt. Nachteile für das Wohl des Bundes odes eines Landes sind zum Beispiel insbesondere zu besorgen, wenn eine Schädigung oder Gefährdung der guten Beziehungen zum Ausland oder des geordneten Verwaltungsbetriebs in Frage kommt. Regelmäßig wäre die Erfüllung öffentlicher Aufgaben erheblich erschwert, ja sogar ernstlich gefährdet, wenn etwa Personalsachen, deren Behandlung meist mit einer Würdigung von Charaktereigenschaften und persönlichen Fähigkeiten verbunden ist, vor der Öffentlichkeit ausgebreitet würden.
    Selbstverständlich verlangt die Entscheidung, ob die Aussagegenehmigung erteilt werden darf, eine besonders sorgfältige Prüfung der entgegenstehenden Interessen und der Besonderheiten des Einzelfalles. Es ist unvermeidlich, daß die oft schwierige Frage, ob und in welchem Umfange eine Aussagegenehmigung erteilt werden soll, bisweilen längere Zeit in Anspruch genommen hat, als wünschenswert ist. Das gilt besonders für die Zeit des Aufbaus der Bundesrepublik, läßt aber bei Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse einen wirklichen Vorwurf nicht als berechtigt erscheinen.
    Es wird sich nie ausschließen lassen, daß in dem einen oder anderen Fall mit allzu großer Vorsicht geprüft wird, ob eine Angelegenheit unbedingt vertraulich behandelt werden muß.
    In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, daß Schwierigkeiten vor allem auch dann entstehen können, wenn der Gegenstand der Vernehmung in einem Antrag auf Erteilung der Aussagegenehmigung nicht genügend konkretisiert ist. Bei Einholung der Entscheidung des Dienstvorgesetzten genügt nämlich nicht die allgemeine Bezeichnung der Angelegenheit, sondern es muß der tatsächliche Vorgang oder die Frage angegeben werden, über die der Beamte aussagen soll. Dabei besteht natürlich die Gefahr, daß diese Angaben schon deshalb nicht genau genug sind, weil das Gericht oder die vernehmende Behörde die in Betracht kommenden Tatsachen irrtümlich nicht als geheimhaltungsbedürftig ansieht. So hat es zum Beispiel eine Staatsanwaltschaft einmal — wenn auch nur beiläufig — als fraglich bezeichnet, ob eine Aussagegenehmigung überhaupt erforderlich war, weil es sich um Angelegenheiten handelte, die in den ihr vorliegenden Akten der Behörde „nicht ausdrücklich als besonders geheimhaltungsbedürftig gekennzeichnet" waren. Eine solche Rechtsauffassung verkennt selbstverständlich, daß die Verschwiegenheitspflicht die Regel bildet. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß vor der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung einer Aussagegenehmigung bisweilen zeitraubende Rückfragen und Verhandlungen erforderlich sind.
    Schwierigkeiten solcher Art, zu denen vielleicht auch die Änderung des materiellen Umfangs der Verschwiegenheitspflicht im Jahre 1953 beigetragen hat, gehören aber seit Jahren der Vergangenheit an. So hat auch die Staatsanwaltschaft Bonn bestätigt, und zwar in einem Schreiben vom März 1957, wie dem Hohen Hause bereits in der Drucksache 3524 der vergangenen Wahlperiode mitgeteilt worden ist, daß fehlende Aussagegenehmigungen ab Anfang 1 956 keine Hinderungsgründe für die Durchführung schwebender Verfahren mehr ergeben haben. Schon in Anbetracht der inzwischen vergangenen Zeit erweisen sich somit die ständig wiederholten Vorwürfe als unberechtigt.
    Ich darf nun eingehen auf die Frage 6, ob sich die Bundesregierung der Gefahr für die Meinungs-
    und Pressefreiheit bewußt ist, wenn gerichtliche Verfahren nicht gegen die Beschuldigten, sondern gegen Journalisten eingeleitet werden, von denen die Beschuldigungen zur Sprache gebracht wurden. Die Bundesregierung muß mit allem Nachdruck erklären, daß staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Verfahren nur gegen Personen eingeleitet werden können, die einer strafbaren Handlung verdächtig sind. Der Bundesregierung ist kein Fall bekannt, in dem gegen diesen selbstverständlichen und gesetzlich verankerten Grundsatz verstoßen worden wäre.
    Dies gilt — entgegen anderslautenden Darstellungen in der Presse — auch für die in Ziffer 6 der Großen Anfrage offenbar gemeinten zwei Ermittlungsverfahren, die der Generalbundesanwalt



    Bundesjustizminister Schäffer