Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aussprache in der ersten Lesung soll mehr oder weniger die Weichenstellung geben für die Beratungen im Haushaltsausschuß, für die Beratungen der zweiten und dritten Lesung und schließlich für die Verabschiedung des Haushalts. Wenn ich die bisherigen Ausführungen bedenke, die von der Opposition und von meinen Freunden aus der Koalition gemacht worden sind, dann möchte ich sagen, daß man in den Äußerungen der Opposition gewisse Ressentiments allgemeiner politischer Art feststellen kann, die dem Herrn Bundesfinanzminister nicht gerecht werden.
Der Bundesfinanzminister steht zum zweitenmal vor diesem Hause. Ich habe dabei empfunden — das ist auch der allgemeine Eindruck, den wir aus der Tagespresse und in der Öffentlichkeit gewinnen —, daß er die gesamten Haushalts-, Finanz- und Steuerprobleme mit einem ungeheuer tiefen Ernst in sich herumträgt, bewältigt und uns vorgetragen hat. Seine Rede ist keineswegs von irgendeinem Optimismus getragen, noch weniger aber von irgendeinem Zweckpessimismus. Seine Rede ist vielmehr in die Gesamtsituation eingebettet, in der wir uns befinden. Wenn man von dieser Gesamtsituation ausgeht, dann sollte man sich negative kritische Äußerungen doch sehr wohl überlegen. In dieser Zeit des Ernstes, in der wir allgemein-politisch diesseits des Eisernen Vorhangs leben, sollte auch sehr überlegt werden, ob man halbnegative Äußerungen tun darf oder nicht. Ich glaube, daß die Gesamtsituation, in der sich der Bundesfinanzminister befindet, auch Maßstab für das ist, was er in seiner Rede an Möglichkeiten, an Aussichten anbietet. Ich halte diese keineswegs für theoretisch.
Ich halte es nicht für richtig, zu sagen, daß es sich um einen Routinehaushalt handelt. Angesichts der Situation, in der sich der Finanzminister befindet, kann er gar keine anderen Grundsätze verfolgen, als er sie in seiner Rede verkündet hat. Infolge der allgemeinen politischen Unwägbarkeiten und der allgemeinen Spannungsverhältnisse in der Außenpolitik — die Berlinfrage ist schon angeschnitten worden — kann auch die Haushaltspolitik nur mit Schätzungen über das arbeiten, was auf uns zukommen kann. Genauso fragwürdig sind auch die technischen Umwälzungen unserer Zeit zu werten.
Der Herr Kollege Schoettle hat an der Methode der Gestaltung des Verteidigungshaushalts und an den Spielregeln, mit denen in den letzten vier Jahren der Verteidigungshaushalt behandelt und aufgebaut worden ist, scharfe Kritik geübt. Das mag vom formalen haushaltsrechtlichen Standpunkt aus, der Haushaltsordnung, den Wirtschaftsbestimmungen und allem, was damit zusammenhängt, bis zu einem hohen Grade berechtigt sein. Aber angesichts der technischen und der allgemein-menschlichen
Entwicklung in Verbindung mit den haushaltspolitischen Zusammenhängen
und angesichts der Forderung nach Wirtschaftlichkeit der Ausgaben — wie Herr Kollege Conring sagt — kann ich diese Kritik nicht bejahen. Die technischen Umwälzungen haben dazu geführt, daß viele Entscheidungen, die in bezug auf den Verteidigungshaushalt getroffen worden sind, einfach überholt sind und neu gefaßt werden mußten. Wir werden in den nächsten Jahren immer wieder vor dieser Frage stehen. Wegen der wiederholten Umstellungen, die wir bei großen Posten des Verteidigungshaushalts vornehmen mußten, ergaben sich auch letzten Endes die Ausgabenreste.
Aber nicht nur die militär-technische Umstellung, sondern auch die technischen Strukturwandlungen in unserer Zeit ergeben für den Bundesfinanzminister eine Fülle von Fragen. Er hat nicht etwa eine Übersicht des Statistischen Bundesamts, aus der er die Entwicklung der installierten Energie bei der Automation und Technisierung vorausschauend beurteilen könnte. Auch hat er keinen Überblick über den Verbrauch an Energie in der automatisierten und technisierten Großwirtschaft im Vergleich zur lohnintensiven Wirtschaft, in der wir es ja bislang mit ganz anderen Verhältnissen zu tun hatten. Schließlich befindet er sich in der Situation, mit irgendwelchen Forderungen der Opposition oder einzelner Gruppen dieses Hohen Hauses rechnen zu müssen, Forderungen durch die in der Öffentlichkeit irgendwelche politischen Fragen aufgerollt werden.
Der Herr Bundesfinanzminister hat auch von den Problemen der Gesellschaftsstruktur gesprochen, und wir wissen doch alle, daß noch keineswegs ein politisches Leitbild für diese Gesellschaftsstruktur besteht, nicht einmal innerhalb einzelner Fraktionen, geschweige denn im ganzen Haus, so daß der Finanzminister nicht ohne weiteres Schlußfolgerungen daraus für den Haushalt ziehen kann. Ich werde darauf noch eingehend zu sprechen kommen.
Auch die Disharmonien zwischen Bund und Ländern in Fragen des Grundgesetzes sind keineswegs ausgepaukt. Welche Entscheidungen hier noch getroffen werden und welche Auswirkungen sie auf den Haushalt haben, ist auch für den Finanzminister durchaus fraglich.
Kollege Niederalt und Kollege Vogel haben die Stellung der Haushaltsreferenten in den einzelnen Ressorts behandelt. Man kann das von ihnen angeschnittene Problem erweitern; es dreht sich nicht nur um die verantwortliche Stellung der Haushaltsreferenten, sondern das Problem ist ganz einfach, daß der Bundesfinanzminister mit dem. Mangel an Zivilcourage rechnen muß. Es fehlt in den einzelnen Ressorts vielfach der Mut, die Dinge so nüchtern zu sehen, wie sie gesehen werden müßten; man darf eben nicht von Wunschträumen ausgehen.
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Aber nicht nur an Zivilcourage, sondern auch an Phantasie fehlt es manchmal; oft genug mangelt es auch an der Fähigkeit, die notwendigen Kontakte innerhalb der Ministerien herzustellen.
Das alles muß man in Betracht ziehen. Der Bundesfinanzminister steht vor der von mir dargelegten Situation, wie wir auch selber alle davor stehen. Ich muß sagen, der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede die vor ihm liegenden Aufgaben sehr ernst genommen. So meine ich, daß es ihm auch mit dem Abbau der Subventionen — wir betreiben ja diese Politik seit langem — ernst ist. Sicher meint er es auch ernst, wenn er das Problem der Ausgabenreste unter die Lupe nehmen will. Ich habe den Eindruck, daß seine Mahnung ebenfalls ernst gemeint ist, daß das Spiel mit den Bindungsermächtigungen so nicht fortgesetzt werden kann.
Wenn ich die Ausführungen des Bundesfinanzministers auf einen Nenner bringen wollte, würde ich sagen, daß es ihm darum geht, im Rahmen der Möglichkeiten, die ihm die Situation erlaubt, Ordnung zu schaffen. In diesem Sinne stimmen meine politischen Freunde von der Deutschen Partei einigen seiner Thesen und Grundsätze allgemein zu, so etwa der Kennzeichnung als „Haushalt am Rande des Defizits", seiner Forderung nach Sparsamkeit und Harmonisierung von Wirtschafts-, Sozial-, Finanz- und Währungspolitik, damit hier nicht von den verschiedenen Ressorts an verschiedenen Strängen gezogen wird. Auch billigen wir seine Forderung nach Stärkung des Kapitalmarkts und Förderung des Sparsinns der Bevölkerung, ebenso die Forderung, daß der außerordentliche Haushalt künftig aus Kapitalmarktmitteln bedient werden soll, gerade mit Rücksicht auf die mancherlei offenen Fragen. Zwischen Defizit und Juliusturm liegt, wie es Kollege Niederalt in anderen Worten ausgedrückt hat, ein schmaler Grat. Ich habe aus der Rede des Herrn Finanzministers und seinen Maßnahmen den Eindruck, daß er sich bemüht, mit einem „Stopp" gegen das Gesetz der wachsenden Staatsausgaben wenigstens zu beginnen. Ich habe auch den Eindruck, daß er sich in seiner Rede gegen den Zug der Zeit zur völligen Vergesellschaftung gewandt hat. Er hat ferner scharfe Kritik an den Ausgabenresten geübt — eine Kritik, die das Hohe Haus angeht —, weil diese Einsparungen für andere Zwecke als vorgesehen verwendet worden sind.
Das ausgewogene Verhältnis zwischen Wirtschaftskraft und sozialer Last hat er besonders betont. Was uns von der Rechten sehr beeindruckt und erfreut hat, ist die von ihm ausgerufene Warnung vor einer fortlaufenden Rentenanpassung in dem System, das wir hier begonnen und vor dem meine Fraktionskollegen ganz besonders gewarnt haben. Seine Warnung vor Zinssubventionen und sein Hinweis auf ihre Fragwürdigkeit bei dem jetzigen Kapitalmarkt, sein Vorhaben, in Zukunft einen Straßenbauplan als besondere Beilage des Haushaltsplans vorzulegen, seine Warnung vor der Tendenz, Länderlasten erneut auf den Bund abzuwälzen und zu übernehmen, und letzten Endes sein Appell an die Selbstverantwortung der Staatsbürger, damit wir nicht Wähler haben, die keine staatsbürgerlichen Pflichten zu erfüllen haben, bejahen wir mit allem Nachdruck.
So habe ich es wenigstens aufgefaßt, als er die Gemeindeeinwohnersteuer vorschlug, damit auch jeder Staatsbürger, der von der Einkommensteuer befreit ist, merkt, daß er wenigstens in seinem lokalen Bereich zu seiner selbstverwaltenden Gemeinde noch etwas beisteuern muß.
Aber die Haushaltspolitik hat auch ihr eigenartiges Wesen. Sie verlangt auch eine Stabilität, genau wie die Währungspolitik, die Wirtschaftspolitik oder die Konjunkturpolitik. Die Stabilität der Haushaltspolitik aber ist, wenn wir nicht zu grundsätzlichen Reformen kommen, nicht gegeben, weder bei der Regierung noch in diesem Hause. Die Stabilität der Haushaltspolitik hängt von zwei Dingen ab. Sie hängt erstens von einer Reform der Haushaltsordnung und der Wirtschaftlichkeitsbestimmungen ab, die zu Beginn der Existenz dieses Staates, der westdeutschen Bundesrepublik, noch aus dem alten Reich übernommen wurden und mit den Spielregeln unserer repräsentativen Demokratie einfach nicht mehr harmonieren. Wir brauchen ein neues Haushaltsrecht. Ohne die Neuschaffung des Haushaltsrechts einschließlich der Wirtschaftlichkeitsbestimmungen wird es bei den Zuständen bleiben, die Kollege Lenz kritisiert hat, nämlich daß wir nach wie vor einen sogenannten Routinehaushaltsplan haben.
Diesen Routinehaushaltsplan können wir nur beseitigen, wenn wir an die Grundlagen des Haushaltsrechts herangehen. Bei der Reformierung des Haushaltsrechts ist die parlamentarische Kontrolle ganz anders zu gestalten als bisher in der Haushaltsordnung. All die Probleme der überplanmäßigen und der außerplanmäßigen Ausgaben, der Stellenbesetzung und der Gewalt der Exekutive über diese Dinge müssen neu durchdacht werden. Dem Parlament muß die Möglichkeit gegeben werden, hier rechtzeitig einzugreifen, was jetzt auf Grund des Haushaltsrechts manchmal gar nicht möglich ist.
In dem Haushaltsrecht fehlt etwas ganz Grundsätzliches: Die sogenannten zeitgemäßen Richtlinien für die Tätigkeit unserer Beamten und Angestellten in den großen wirtschaftlichen Unternehmungen des Bundes. Wir kranken an der Frage, wer eigentlich in den Unternehmungen des Bundes regiert. Wir haben in den vergangenen Monaten den Fall auf uns zukommen sehen, daß der ganze Aufsichtsrat eines Bundesunternehmens abgesägt werden mußte. Aber man hat die Konsequenz für diese Personen nicht bei anderen Gesellschaften gezogen, in denen sie auch noch sitzen; da hat man sie ruhig belassen, ohne zu prüfen, ob da nicht dieselben Fehldispositionen, Unklarheiten und Unmöglichkeiten auftreten.
Es fehlt der Einbau ganz wichtiger Bestimmungen aus der Verdingungsordnung für Bauleistungen in das Haushaltsrecht. Das betrifft ein großes Kapitel der kritischen Arbeit unseres Rechnungsprüfungsausschusses. In allen Rechnungsprüfungsunterlagen, die wir vom Bundesrechnungshof erhalten, wird
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doch fast auf jeder Seite, auf der von den Bauvorhaben die Rede ist, gesagt: Was in der Bauwirtschaft von den öffentlichen Baubehörden gemacht isst, schreit geradezu zum Himmel — in der falschen Vorplanung, in der falschen Durchführung, in der falschen Finanzierung. Und was wir uns da im Haushaltsausschuß an Zahlen — im Soll — vorsetzen lassen müssen, das stimmt nachher überhaupt nicht mehr mit der Wirklichkeit überein. — Wichtige Bestimmungen der Verdingungsordnung für Bauleistungen gehören also in die Haushaltsordnung, in das Haushaltsrecht hinein. Auch die Funktion des Bundesrechnungshofes ist in diesem Sinne erneut zu überprüfen im Hinblick auf die Notwendigkeit eines vielleicht noch stärkeren Ausmaßes von Eingriffsmöglichkeiten, die wir unter allen Umständen zur Beurteilung der Situation brauchen.
Meine Damen und Herren, ohne eine Neugestaltung des Haushaltsrechts wird es bei dem Routinehaushalt mit den jetzigen Spielregeln und Methoden bleiben; denn daran ist der Bundesfinanzminister gebunden.
Das zweite, was wichtig ist, ist die Harmonisierung der haushaltspolitischen Belange zwischen Bund und Ländern. Ich habe schon beim vorjährigen Haushalt gesagt: es kann uns nicht genügen, daß man in Einzelfällen zwischen Bund und Ländern hin und her debattiert: Wer zahlt was? Wer ist wofür zuständig? Die grundgesetzliche Regelung ist in vielen Dingen faktisch überholt. Der Bund zahlt in viele Dinge hinein, die nach dem Grundgesetz ausschließlich Länderbelange wären.
Die notwendige Harmonisierung braucht mang nicht durch Grundgesetzänderung zu machen; zu ihr kann man durch entsprechende Staatsverträge zwischen Bund und Ländern kommen. Aber es muß endlich dieses Hin und Her aufhören.
— Herr Kollege Niederalt, was nützt die Zuständigkeit nach dem Grundgesetz, wenn aus allen Kreisen der Bevölkerung, auch aus Bayern, ständig Anträge auch an unser Haus und an den Haushaltsausschuß kommen, daß wir für das allgemeinbildende Schulwesen etwas tun sollen, das doch nach dem Grundgesetz ausschließlich Länder- und Gemeindesache ist?
Bezüglich der Ausbildung der Beamten steht überhaupt keine Regelung im Grundgesetz; müssen Bund und Länder versuchen, zu einer Harmonisierung der Beamtenausbildung und zu einer Regelung des Austauschs von Beamten zwischen Bund und Ländern zu kommen. Vielfach bekommt doch der Bund einfach nicht die sachverständigen Beamten, die er braucht, um überhaupt seine Aufgaben erfüllen zu können.
So gibt es eine Menge Angelegenheiten zwischen Bund und Ländern, die man nicht der Zufälligkeit, der Regelung nach Belieben — nach dem Grundsatz: „Es wird schon irgendwie geregelt werden!" —
überlassen sollte. Man sollte vielmehr alle diese Fragen durch einen Staatsvertrag regeln, die Fragen des allgemeinen Schulwesens, der Krankenhäuser, des Straßenbaues — auch völlig variabel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden —, auch Fragen des Wohnungsbaues, etwa: Was zahlen die Länder, was zahlen die Gemeinden, was zahlt der Bund? Wenn Sie die Kritik des Bundesrates an den Erläuterungen zum Haushaltsgesetz lesen, sehen Sie, daß zwischen Bund und Ländern in bezug auf das Problem der richtigen föderalistischen Relation eine Harmonie nicht vorhanden ist. Solange nicht in einem Staatsvertrag zwischen dem Bund und den Ländern die Harmonisierung der Funktionen und der darauf beruhenden Ausgaben auf lange Sicht, nicht nur für ein Jahr, geregelt ist, fürchte ich, es bleibt bei diesem kritisierten Routinehaushalt.
Noch etwas anderes ist grundsätzlich wichtig und muß bedacht werden, wenn wir die Haushaltspolitik, die Finanzpolitik und die Steuerpolitik insgesamt beurteilen wollen. Die Bundesregierung und der Bundesfinanzminister haben entsprechend unserem Wunsche das Material zur Beurteilung der finanzpolitischen Gesamtsituation dankenswerterweise weiter ausgedehnt, so daß wir, wenn wir sowohl den Vermögens- und Schuldennachweis wie die Vorbemerkungen wirklich durchforschen, einigermaßen im Bilde sein können, was den Bund betrifft. Gleichzeitig sagt der Herr Bundesfinanzminister aber, daß es sich hier um eine Bewegungsmasse von 39,1 Milliarden handelt, daß die wirkliche Bewegungsmasse, die finanzpolitische Bewegungsmasse und die sozialpolitische Bewegungsmasse in unserem Volke jedoch 77 Milliarden beträgt. Hier fehlt uns also der Funktionshaushaltsplan für das, was im ganzen Volke vor sich geht, nicht nur für das, was im Bund vor sich geht. Wir haben es Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, zu danken, daß wir jetzt wissen, wie der BundesFunktionsplan aussieht, welche einzelnen Ausgaben auf die verschiedenen Funktionen entfallen. Gerade für die Harmonisierung zwischen Bund und Ländern müssen wir und müssen insbesondere die Haushaltsexperten wissen, wie es in den Ländern mit dem Kapitel Wohnungsbau, dem Kapitel Straßenbau, dem Kapitel Lastenausgleich und allen sonstigen Ausgaben aussieht, mit den Lasten also, die die Länder zu tragen haben. Hier müssen wir auch die Relation zum Bund kennen.
— Warum soll ich in dem Punkt nicht Föderalist sein? Jedenfalls müssen wir hier erst zu Erkenntnissen kommen, bisher haben wir sie nicht. Wir tappen doch völlig im Dunkeln und wissen nicht, ob wir bei den Dotationen an die Länder des Guten zuviel oder zuwenig tun. Wir wissen es nicht, weil wir keinen Funktionshaushalt für das gesamte Aufkommen an Steuern und seine Verteilung auf die einzelnen Funktionsträger haben. Ich bitte deshalb darum, daß das nachgeholt wird, zumindest für das abgelaufene Jahr. Ich kann mir vorstellen, daß es für das Jahr 1959/60 nicht möglich ist; aber für das abgelaufene Jahr, für das alle Länderhaushalte
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vorliegen, läßt sich ein Überblick über den Gesamtfunktionshaushalt schaffen.
Wichtig sind auch Schätzungsergebnisse, d. h. praktisch die volkswirtschaftlichen Daten, auf denen wir unsere ganze Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik aufbauen. Hierzu möchte ich sagen, daß die verschiedenen volkswirtschaftlichen Abteilungen: der Bundesbank, des Bundesfinanzministeriums und anderer Ministerien und des Statistischen Bundesamtes, wie sich jetzt bei dem sogenannten Sozialbericht des Bundesarbeitsministeriums gezeigt hat, zu keiner Harmonisierung ihrer Auffassungen und der daraus zu ziehenden Konsequenzen gekommen sind. Wenn ich den Sozialbericht und die Allgemeinen Vorbemerkungen auf wichtige Zahlen hin vergleiche, so finde ich hinsichtlich der Bewertung der Einkommensverhältnisse bei Unselbständigen und Selbständigen und deren Familienangehörigen wesentliche Abweichungen. Wir dürfen uns von derartigen Abweichungen nicht beirren lassen, sondern müssen von der Bundesregierung eindeutige volkswirtschaftliche Daten verlangen. Damit will ich nicht etwa sagen, daß die verschiedenen volkswirtschaftlichen Institutionen, die die Regierung unterhält, aufgelöst werden sollten. Nur müssen die Arbeiten zur Beschaffung des Erkenntnismaterials besser als bisher harmonisiert werden.
Damit komme ich zu dem von dem Herrn Bundesfinanzminister angeschnittenen Problem der gesellschaftlichen Struktur. Jeder Bundeshaushalt, aber erst recht die Gesamthaushalte von Bund, Länder und Gemeinden stehen im Zusammenhang mit der Struktur der Gesellschaft, in der wir leben und in der wir uns entwickeln. Von der Mittelaufbringung und den öffentlichen Lasten und ihre Verteilung auf die verschiedenen Bevölkerungsschichten gehen Rückwirkungen 'aus, die die Gesellschaftsstruktur entscheidend beeinflussen. Hier befindet sich auch der Herr Bundesfinanzminister in einer fragwürdigen Situation, weil kein einheitliches politisches Leitbild für die Entwicklung der Gesellschaftsstruktur vorhanden ist.
Die große Schicht der Unselbständigen in unserem Volke lebt unter dem politischen Leitbild „soziale Sicherheit". Das sind etwa 12 Millionen Familien der Arbeitnehmer, der Angestellten und Beamten und etwa 6 Millionen unverheiratete Staatsbürger derselben Schicht. Für die große Schicht der Selbständigen mit etwa 4 Millionen Familien — die Unverheirateten spielen in der Schicht der Selbständigen eine ganz geringe Rolle — besteht keine derartige politische Konzeption. Deshalb ist auch das Subventionsproblem nicht so einfach zu beurteilen.
In der Schicht der Selbständigen gibt es ganz große Gruppen, denen keine Subventionen aus den Bundes- und Länderhaushalten gezahlt werden. Hier handelt es sich lediglich um kleine berufliche Förderungsmaßnahmen. Ich denke an die 6 Millionen DM Gewerbeförderungsmittel für das Handwerk und an die 2 Millionen DM Gewerbeförderungsmittel für Handel und Gaststätten. Für die freien Berufe gibt es in diesem Haushaltsplan überhaupt
keine Förderungsmittel; wir müssen sie erst noch einmal beantragen.
Subventionen im echten Sinne aber gibt es für die große Schicht der gewerblichen Selbständigen und der freien Berufe in den Haushaltsplänen nicht, und das ist gut so. Es ist gut, daß diese Schicht der rauhen Luft des freien Wettbewerbs ausgesetzt ist; denn der Wettbewerb ist die Basis für die Erhaltung der Spannkraft, mit der die Selbständigkeit gewahrt wird, wenn auch manchmal mit sehr viel Defaitismus, wenn auch manchmal mit sehr großem Mißerfolg. Bei aller Kritik an der Subventionspolitik sollte man deshalb bedenken, daß es Bevölkerungsschichten gibt, die sich bislang von dieser Subventionspolitik ferngehalten haben.
Ich möchte das ausdrücklich betonen, nicht etwa, weil ich in Zukunft für diese Bevölkerungsschichten Subventionen beantragen will, sondern nur, um sie als Vorbild für andere darzustellen.
Sie sehen, wie wichtig es ist, für die Schicht der Selbständigen und ihre Strukturentwicklung gewisse Leitbilder zu schaffen, nach denen man sich auch haushaltspolitisch richten kann.
Wir haben zwei Anträge vor uns liegen - Sie
werden sie schon gelesen haben -: einmal den Antrag der Koalition, uns demnächst über die Konzentrationsmaßnahmen in der Wirtschaft und ihre Auswirkungen auf die selbständigen Betriebe zu unterhalten, zum andern den Antrag der SPD, der die Bundesregierung auffordert, einen Lagebericht über die Situation der Mittelschichten — darunter sind die Selbständigen zu verstehen - im November nächsten Jahres vorzulegen. Diese beiden Anträge werden wahrscheinlich in ein und derselben Debatte, lapidar genannt: Mittelstandsdebatte, beraten werden. In Wirklichkeit wird es eine Debatte über die Lage der Selbständigen sein, die man nicht mehr mit dem allgemeinen Schlagwort , Mittelstand" erfassen kann; denn diese landläufige Bezeichnung trifft die Schicht-Situation nicht mehr. Angesichts der Disparitäten zu den Unselbständigen und zu der technisierten, automatisierten Großwirtschaft können wir zukünftig besser von der Schicht der Selbständigen sprechen.
Aber um diese Disparitäten geht es auch in diesem Haushaltsplan und in den zukünftigen Haushaltsplänen. Wir müssen uns überlegen, wie und mit welchen Mitteln wir finanzpolitisch, steuerpolitisch und haushaltspolitisch mit den aufgetretenen Disparitäten zwischen den lohnintensiven selbständigen Betrieben bis in die freien Berufe hinein einerseits und den energie- und kapitalintensiven, technisierten Betrieben der Großwirtschaft andererseits fertig werden. Zweitens müssen wir uns mit den Disparitäten befassen, die aus dem völlig verschiedenartigen Lebensrhythmus, den Lebensmöglichkeiten und dem Arbeitsaufwand der Selbständigen, im Verhältnis zu den Unselbständigen sich entwickelt haben. Auch über die Spannungsverhältnisse, die durch die unterschiedlichen Lasten, die einerseits die Selbständigen und andererseits die
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Unselbständigen zu tragen haben, entstanden sind, muß einmal ein offenes Wort gesprochen werden. Gerade die Unterschiedlichkeit dieser Lasten hat letzten Endes zu den großen Disparitäten geführt.
Das sind einige Grundsätze, die nach unserer Auffassung in Zukunft beachtet werden sollten. Aus ihnen ergeben sich auch gewisse Anträge, die wir im Laufe der Haushaltsberatungen bis zur dritten Lesung stellen werden und für die wir um Ihr Verständnis bitten.
Ich möchte Sie noch alle bitten, sich den Vermögens- und Schuldennachweis und die Allgemeinen Vorbemerkungen des Haushaltsplanes auf den Seiten 427 bis 444 eingehend anzusehen. Hier werden Sie sehen, auf welchem Wege der Konzernbildung beim Bundesvermögen auf allen Ebenen der Wirtschaft wir uns bewegen. Wir müssen uns ernsthaft überlegen, wie wir dieser Konzernbildung, dieser Vergesellschaftung, dieser völligen Überforderung von Menschen, die diese Dinge leiten sollen, einen Riegel vorschieben können.