Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident, ich gebe mir Mühe, zu übertönen. Es ist nicht ganz leicht, aber es gehört ja auch mit zu den Obliegenheiten eines Sprechers, seine Kollegen nicht allzu sehr in dem zu behindern, was ihnen gerade im Augenblick das Wichtigere zu sein scheint.
Wir sind uns bewußt, daß durch diesen Antrag eine Reihe schwieriger politischer und rechtlicher Probleme aufgeworfen wird. Wir geben uns keiner Täuschung hin; dessen können Sie versichert sein. Wir wissen auch, daß manche uns mißverstehen werden. Man wird fürchten, daß es uns darauf ankomme, die Zonenherrschaft unmerklich und auf Umwegen zu legitimieren. Nun, ich meine, daß unser bisheriges Verhalten noch nie den Weg zu solchen Mißverständnissen freigegeben hat.
Wir wollen genau das Gegenteil einer Legitimierung der Machthaber in der Zone. Was wir wollen, ist folgendes: Wir wollen den Menschen drüben wirksamer helfen, als es bisher möglich war; wir wollen für diese Möglichkeiten brauchbare Institutionen schaffen; wir wollen damit den Menschen drüben Hoffnung geben; wir wollen aus der Versteinerung herauskommen, die alles zu ersticken droht; wir wollen aus der Lethargie heraus, die uns umklammert hält; wir wollen, daß jedem spürbar werde, daß wir nicht nur erleiden und protestieren; wir wollen zum Ausdruck bringen, daß wir uns aufgefordert wissen, immer zu versuchen, das Notwendige möglich zu machen.
Es wird nicht genügen, unseren Mitbrüdern Mut zuzusprechen, ihnen zu sagen, sie möchten doch durchhalten. Wir müssen ihnen durch unsere Taten die Gewißheit geben — hier möchte ich einen von Ihnen wörtlich zitieren, der vor einigen Tagen hier gesprochen hat —, daß sie nicht der „dämlichere — DDR-liche — Rest" sein werden, wenn sie bleiben, sondern daß ihr Bleiben einen Sinn hat, daß ihr Bleiben mit dazu beitragen wird, einmal Deutschland, das ganze Deutschland möglich zu machen.