Rede:
ID0303902600

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 3039

  • date_rangeDatum: 3. Juli 1958

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    Deutscher Bundestag 39. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1958 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1958 (Haushaltsgesetz 1958) (Drucksachen 300, 354, 357, 362 bis 365, 378, 400 bis 404, 408, 412, 413, 440 bis 444, 447, 460 bis 468) ; Zusammenstellung der Beschlüsse zweiter Beratung (Drucksache 490) — Fortsetzung der dritten Beratung — Allgemeine Aussprache Margulies (FDP) . .. . . . . . 2249 C Kurlbaum (SPD) . . . . 2253 B, 2279 D Dr. Steinmetz (DP) 2260 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 2262 B Dr. Deist (SPD) . . . . . . . . 2266 C Dr. Hellwig (CDU/CSU) 2272 A Dr. Starke (FDP) 2277 C Köhler (FDP) . . . . . . . . 2280 A Logemann (DP) 2283 B Dr. Sonnemann, Staatssekretär . 2286 B Bading (SPD) 2289 B Glahn (FDP) . . . . . . . . 2289 C Diekmann (SPD) 2291 A Dr. Schellenberg (SPD) 2293 B Blank, Bundesminister . . 2295 B, 2304 C Mischnick (FDP) 2300 A Frehsee (SPD) . . . . . . . 2301 D Frau Kalinke (DP) 2305 B Pohle (SPD) . . . . . . . . 2308 B Horn (CDU/CSU) 2308 D Rehs (SPD) . . . . . . . . 2309 B Kuntscher (CDU/CSU) . . . . . 2312 D Dr. Nahm, Staatssekretär . . . . 2315 C Weiterberatung vertagt . . . . . . . 2316 D Nächste Sitzung 2317 C Anlage 2319 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juli 1958 2249 39. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 14.00 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 7. 7. Frau Albertz 5. 7. Altmaier* 5. 7. Dr. Atzenroth 4. 7. Dr. Barzel 5. 7. Bauknecht 5. 7. Bauer (Würzburg)* 5. 7. Frau Beyer (Frankfurt) 5. 7. Birkelbach* 5. 7. Fürst von Bismarck* 5. 7. Blachstein* 5. 7. Frau Dr. Bleyler 3. 7. Blöcker 4. 7. Burgemeister 5. 7. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 7. Döring (Düsseldorf) 5. 7. Euler 4. 7. Dr. Even (Düsseldorf) 3. 7. Even (Köln) 3. 7. Franke 12. 7. Dr. Friedensburg 5. 7. Frau Friese-Korn 5. 7. Gaßmann 5. 7. Geiger (Aalen) 3. 7. Gerns* 5. 7. D. Dr. Gerstenmaier 2. 8. Gockeln 3. 7. Graaff 4. 7. Dr. Gradl 5. 7. Dr. Greve 5. 7. Hackethal 5. 7. Hahn 3. 7. Dr. Dr. Heinemann 3. 7. Frau Herklotz 3. 7. Heye* 5. 7. Höfler* 5. 7. Frau Dr. Hubert* 5. 7. Jacobs* 5. 7. * für die Teilnahme an der Tagung der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Kemmer 5. 7. Kiesinger* 5. 7. Kirchhoff 3. 7. Dr. Königswarter 5. 7. Dr. Kopf* 5. 7. Frau Korspeter 5. 7. Kriedemann 5. 7. Kühn (Köln)* 5. 7. Leber 4. 7. Dr. Lindenberg 5. 7. Lücker (München)* 5. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 5. 7. Dr. Maier (Stuttgart) 5. 7. Frau Dr. Maxsein* 5. 7. Metzger* 5. 7. Dr. Meyer (Frankfurt)* 5. 7. Müller-Hermann 5. 7. Neubauer 5. 7. Frau Niggemeyer 12. 7. Paul* 5. 7. Pöhler 3. 7. Dr. Preiß 5. 7. Pusch 5. 7. Rademacher 5. 7. Ramms 5. 7. Ruf 5. 7. Scheel 5. 7. Schneider (Hamburg) 4. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 5. 7. Schoettle 19. 7. Schütz (Berlin) 5. 7. Schütz (München)* 5. 7. Frau Dr. Schwarzhaupt 5. 7. Seidl (Dorfen)* 5. 7. Spies (Brücken) 5. 7. Stahl 4. 7. Stenger 4. 7. Struve 5. 7. Teriete 3. 7. Wagner 3. 7. Dr. Wahl* 5. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen)* 5. 7. Welslau 3. 7. Dr. Will 5. 7. Dr. Winter 5. 7. Dr. Zimmer* 5. 7. Zoglmann 5. 7.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Georg Kurlbaum


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Ihnen heute nichts Außerordentliches mehr zumuten. Ich würde vorschlagen, den Streit über die Zahlen in der Volkswirtschaft in die Ausschüsse zu verlagern.

    (Zuruf von der Mitte: Ausgezeichnet!)

    Herrn Dr. Hellwig möchte ich nur das eine sagen. Wenn die Selbstfinanzierung so viel kleiner ist, als wir alle angenommen haben, dann frage ich mich, warum eine so massive Erniedrigung der Körperschaftsteuer notwendig war, um die Ausschüttungen anzuheben. Ich würde Ihnen raten, das nachträglich noch einmal zu überprüfen.

    (Abg. Dr. Hellwig: Wegen der künftigen Finanzierung über die Aktien!)

    — Dazu habe ich eingehend Stellung genommen.
    Noch etwas, Herr Dr. Hellwig. Mir sind Vergleiche mit den USA immer sehr sympathisch, weil ich glaube, daß dieses Land uns in manchen Vorstellungen bezüglich der Demokratie in der Wirtschaft wirklich weit voraus ist. Ist Ihnen bekannt, daß in den USA marktbeherrschende Unternehmen wie die public utilities vierteljährlich in bezug auf ihren Gewinn überprüft werden? Wenn der Gewinn zu hoch ist, wirken sich diese Überprüfungen sofort in einer Senkung der Preise — z. B. der Strompreise —aus. Wenn erst einmal in der Bundesrepublik alle Bürger einsähen, daß Monopolunternehmen aufs



    Kurlbaum
    kräftigste überwacht und ihre Erträge überprüft werden müssen, dann wären wir sehr weit.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nunmehr rückt die Grüne Front an. Das Wort hat der Abgeordnete Köhler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Otto Köhler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten ist der Auffassung, daß es nicht angängig ist, darauf zu verzichten, im Rahmen dieser Haushaltsdebatte die agrarpolitischen Probleme zu besprechen. Ich werde angesichts der fortgeschrittenen Zeit das, was ich glaube sagen zu müssen, .so konzentriert wie möglich sagen. Ich bedauere, daß es so spät geworden ist; das ist aber nicht unsere Schuld. Wir Bauern sind es ja gewohnt, Überstunden zu machen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Sie dürfen mir glauben, meine Damen und Herren, daß ich seit gestern morgen gebeten worden bin, nicht das Wort zu ergreifen. Es fällt mir nicht ganz leicht, diesem Wunsch nicht nachzukommen, also trotzdem zu sprechen. Wenn ich nicht wirklich glaubte, etwas zu sagen zu haben, würde ich Ihnen den Gefallen getan haben.
    Mit der Annahme des Einzelplans 10 werden dem Bundesernährungsminister wieder einmal die Mittel an die Hand gegeben, die Maßnahmen des Grünen Planes zu verwirklichen. Diese Verhandlungen scheinen mir ,der rechte Augenblick zu sein, um festzustellen, daß das Parlament sich den Wünschen der Landwirtschaft noch niemals versagt hat. Ich stelle dies in einer Zeit fest, in der draußen eine zunehmende Kritik an der Agrarpolitik geübt wird und in der der soziale Abstieg der Landwirtschaft zwar ganz allgemein erkannt wird, über seine Ursachen aber sehr unterschiedliche Auffassungen bestehen. Es wird nach unserer Auffassung Zeit, daß angesichts der babylonischen Verwirrung der öffentlichen Meinung, aber auch in so manchen Amtsstuben und Redaktionen einige Feststellungen getroffen werden, deren Richtigkeit nicht bestritten werden kann und von denen wir bei unseren weiteren Überlegungen ausgehen müssen.
    Erstens. Die Verschuldung der Landwirtschaft ist im Durchschnitt der Jahre um eine Milliarde jährlich gestiegen. Das ist kein „Gerede", wie wir es kürzlich von sehr verantwortlicher Seite hören mußten, sondern eine sehr bedauerliche und ernst zu nehmende Tatsache.
    Zweitens. Netto-Investitionen wurden in etwa gleicher Höhe vorgenommen, also mit Schulden bezahlt, während gleichzeitig in der industriellen Wirtschaft gewaltige Investitionen über den Preis finanziert wurden und laufend beträchtliche Reserven gebildet werden konnten.
    Drittens. Die landwirtschaftlichen Löhne hinken nach wie vor um 40 bis 60 % hinter denen der vergleichbaren Zweige der gewerblichen Wirtschaft her. Die Auffassung des Herrn Bundesernährungsministers, daß es nur 33 % seien, was ja auch viel zuviel wäre, ist nur dann einigermaßen richtig, wenn die Entlohnung ,der familieneigenen Kräfte nicht berücksichtigt wird. Für sie stehen, wenn auf jegliche Kapitalverzinsung verzichtet wird, 2,83 Milliarden DM zur Verfügung, was einschließlich Kost und Logis 75 Pf pro Arbeitsstunde und Arbeitskraft ausmacht.
    Viertens. Die Landflucht besteht nicht nur dort weiter, wo sie, wie wir ebenfalls einmal hören mußten, den Bestrebungen der Regierung entgegenkommt, sondern auch da, wo ihre Beseitigung eines der vordringlichsten Anliegen aller sein sollte, die die Erhaltung einer bodenständigen Landwirtschaft bejahen.
    Fünftens. Während in großen Teilen der übrigen Wirtschaft die Preise ganz allgemein laufend angestiegen sind und zum großen Teil durch Kartelle, Monopole und Preisbindungen .der zweiten Hand — darüber haben wir heute sehr viel Zutreffendes gehört — auf einer volkswirtschaftlich nicht mehr zu verantwortenden Höhe gehalten wurden, ist die Landwirtschaft mit ihren Preisen für eine ganze Reihe von ausschlaggebenden Verkaufsprodukten dort stehengeblieben, wo sie 1951 stand. Teilweise befindet sie sich sogar darunter. Wenn trotzdem die Verbraucher auch für Lebensmittel laufend mehr zahlen mußten, so ist die Landwirtschaft hierfür nicht verantwortlich. Es ist eine Tatsache, daß der Anteil der Erzeuger an den Endpreisen für landwirtschaftliche Produkte ständig niedriger geworden ist, während gleichzeitig die Gestehungskosten gestiegen sind.
    Die Agrarpolitik der Bundesregierung hat lange darauf verzichet, die landwirtschaftlichen Preise in eine richtige Relation zu der allgemeinen Preisentwicklung zu bringen, und jetzt kann sie es nicht mehr. Der im Jahre 1953 noch einmal bekundete freiwillige Verzicht auf höhere Preise hätte die glücklichsten Folgen zeitigen können, wenn man in der übrigen Wirtschaft ebenso gehandelt hätte. Dann wäre zwar an manchen Stellen sehr viel weniger verdient worden, aber wir wären dann dem Ziel der sozialen Marktwirtschaft wesentlich näher gekommen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Dann wäre auch die Lohn-Preis-Spirale nicht durch eine Preis-Lohn-Spirale ausgelöst worden. Schließlich wäre die preispolitische Eingliederung des agrarischen Sektors in die nun erforderliche europäische wirtschaftliche Neuordnung sehr viel einfacher gewesen.
    Wir können deshalb nur bedauern, daß die Erwartung des Herrn Bundesernährungsministers einer Senkung der Preise für landwirtschaftliche Produktionsmittel dem allzu einseitigen Gewinnstreben der industriellen Wirtschaft zum Opfer gefallen ist. Es war eine Utopie des Herrn Bundesernährungsministers, eine schöne Utopie, aber nur eine Utopie. Zu lange hat die deutsche Agrarpolitik gezögert, aus dieser Entwicklung die allein möglichen Folgerungen zu ziehen. Noch im März 1957 erklärte der Herr Bundesernährungsminister, daß der Landwirtschaft über den Preis nicht geholfen



    Köhler
    werden könne, — um sich dann ein Jahr später selber zu korrigieren. Daß die Subventionen und andere Hilfen nur ein schlechter Ersatz für kostendeckende Preise sind, habe ich im Februar hier eingehend begründet; ich will nicht wieder darauf zurückkommen.
    Die Landwirtschaft hat nun versucht, dieser Lage durch immer größere Anstrengungen, d. h. durch Mehrerzeugung sehr großen Ausmaßes zu entrinnen. Das Ergebnis ist, daß heute auf vielen Gebieten die Bedarfsgrenze ganz oder beinahe erreicht wurde und auf einigen Märkten Überangebote bestehen. Das hat zu einer Situation geführt, die den Herrn Bundesernährungsminister vor kurzem veranlaßt hat, den gequälten Ausruf zu tun: Man soll mir doch einmal sagen, wie ich in einer Zeit der Überproduktion kostendeckende Preise erzielen soll. — Leider wußte er das in der Zeit, als wir noch keine Überproduktion hatten, auch nicht.
    Es verdient festgehalten zu werden, daß die durch rückläufige Preise bei Veredelungsprodukten verursachten Mindererlöse die Subventionen und Förderungsmittel voll aufwiegen und dadurch um ihre Wirkung bringen. Auf der anderen Seite sehen wir, wie durch Subventionen verbilligte Düngemittel trotz enormen Mehrverbrauchs im Preise ansteigen. Ja, wir haben das zweifelhafte Vergnügen, zu sehen, daß der deutsche Stickstoff um 15 % billiger ins Ausland geliefert wird als an die deutsche Landwirtschaft. Wir müssen feststellen, daß trotz des Kartellgesetzes noch immer weitere Lieferanten von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln zur Methode der Preisbindung der zweiten Hand übergehen, so z. B. auch die Schlepperindustrie. Bei dieser vollzieht sich jetzt zwar unter dem Druck der Verhältnisse eine leichte Wandlung, aber ob sie wirksam wird, muß die Zukunft zeigen. Die deutsche Landwirtschaft muß tagtäglich im freien Wettbewerb auf den Märkten konkurrieren. Bei den Herstellern ihrer Produktionsmittel wird dieser Wettbewerb weitgehend ausgeschaltet. Man möge einmal nachlesen, was Professor Plate über das große Ausmaß der stillen und völlig geräuschlosen Interventionen im industriellen Sektor auszusagen hat. Wäre die Zeit nicht so kostbar, würde ich mich hierüber verbreiten.
    Nun, lesen Sie einmal die optimistische Voraussage des Bundesernährungsministers in seinem Grünen Bericht 1958: Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß für 1958/59 die Aussichten noch ungünstiger sind und daß wir es lediglich einer Reihe von überdurchschnittlichen Ernten zu verdanken haben, daß die Landwirtschaft sich bisher mühsam durchquälen konnte. Die deutsche Landwirtschaft steht wahrhaftig in keiner günstigen Ausgangsposition, wenn es nun in die EWG hineingeht. Die ersten Schritte muß die deutsche Landwirtschaft ohne liquides Eigenkapital tun und ohne daß man ihr die Möglichkeit gegeben hat, durch Verbesserung ihrer Einnahmen ihre Betriebe zu modernisieren und so die notwendigen Voraussetzungen für einen guten Start zu schaffen. Das wiegt um so schwerer, als einige Partner der Europäischen
    Wirtschaftsgemeinschaft nicht nur durch Klima und bessere Böden bedingte günstigere Voraussetzungen mitbringen, sondern zum Teil - besonders Frankreich — auch noch sehr viel größere Produktionsreserven haben als wir.
    Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft entstand in Fortsetzung der Politik der Bundesregierung, über eine wirtschaftliche Integration Teileuropas das politische Ziel zu erreichen, das ihr mit dem EVG-Vertrag zu erzielen 1952 nicht gelang. Ob es ihr jetzt gelingen wird - angesichts der politischen Entwicklung in Frankreich —, läßt sich wohl kaum übersehen.
    Ich kann nur sagen, daß meine Partei, die aus guten Gründen seinerzeit den EVG-Vertrag ablehnte, in der Freihandelszone eine Möglichkeit sieht, manche Gefahren und Unzulänglichkeiten des EWG-Vertrags zu beseitigen. Ohne die Freihandelszone wird die EWG immer nur Stückwerk bleiben und nicht zum geeinten Europa hinführen, sondern zu seiner weiteren Teilung. Es erscheint jedoch notwendig — besonders angesichts der Verhandlungen, die jetzt in Stresa geführt werden —, unmißverständlich zu erklären, daß das Werden Europas, wovon wir vorläufig nur bescheidene Anfänge sehen, nicht schon in seinem Entstehen mit einer Opferung lebenswichtiger landwirtschaftlicher Interessen erkauft werden kann.
    Die Landwirtschaft ist bei ,den Verhandlungen über den EWG-Vertrag nicht beteiligt worden. Wir würden es begrüßen, wenn wir im Rahmen der jetzigen Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Freihandelszone im Ernährungsausschuß Näheres darüber erfahren könnten, ob und welche Möglichkeiten der Mitarbeit für die Vertreter der Landwirtschaft jetzt bestehen. Das bisherige Schweigen ist beunruhigend. Wir können uns nicht die weitverbreitete Auffassung zu eigen machen, daß in der EWG die agrarischen Lösungen eine größere Anlaufzeit hätten und daher nicht besonders aktuell seien und daß auch in der Freihandelszone nichts so heiß gegessen werde, wie es gekocht wird. Wir glauben vielmehr, daß schon im Entstehen dieser neuen Wirtschaftsordnung auch für die deutsche Landwirtschaft auf lange Zeit hinaus — vielleicht für alle Zeiten — eine schicksalhafte Entscheidung getroffen wird und daß das Terrain, das jetzt verlorengeht, niemals wieder zurückerobert werden kann.
    Leider müssen wir aus Äußerungen des Herrn Bundesernährungsministers — auch aus solchen der letzten Zeit — entnehmen, daß er die Lage der Landwirtschaft nicht realistisch genug sieht. Das aber ist die erste Voraussetzung für ein zähes und erfolgreiches Verhandeln. Wir vermissen in der Agrarpolitik eine Schau, die die Dinge im Zusammenhang sieht und sich nicht darauf beschränkt, bald die eine und bald die andere verfahrene Situation — sie sind beinahe Legion — mit oder ohne Erfolg zurechtzurücken. Und die Bauern im Lande müssen auch endlich wissen, ob sie mehr oder weniger erzeugen sollen, was sie künftig noch erzeugen sollen und was nicht. Das ist zwar eine etwas vereinfachende Formulierung, das gebe ich zu; aber



    Köhler
    sie umreißt die allgemein bestehende betriebswirtschaftliche Unsicherheit. Wir werden eine planvolle Lenkung der Erzeugung nicht mehr entbehren können, und je mehr wir das mit betriebswirtschaftlichen und marktkonformen Mitteln tun, um so mehr können wir auf dirigistische Maßnahmen, wie sie niemand schätzt, verzichten. Künftigen Schweinebergen müssen wir dadurch begegnen, daß aus der Marktforschung rechtzeitig Folgerungen gezogen werden, daß eine Futtermittelpolitik getrieben wird, die der bodengebundenen Schweinemast einen Vorteil gegenüber der gewerblichen Schweinemast bietet und daß, wenn die E- und V-Stelle noch einmal Schweine aus den Märkten herausnehmen muß, dann lieber Schweine mit 120 Pfund als mit 240 Pfund herausgenommen werden. Das ist billiger und sehr viel wirkungsvoller. Daß die Einfuhrpolitik mehr als bisher der Marktlage angepaßt werden muß, versteht sich von selbst.
    Vor künftigen Roggenbergen schützt uns nur eine durchaus mögliche Einschränkung des Anbaus von Roggen auf den besseren Böden. Mit der jetzt erfolgten Herabsetzung der Lieferprämie trifft man den Roggenanbau ganz allgemein, am härtesten dort, wo die ärmsten Böden sind. Die Herabsetzung der Lieferprämie wird an den Anbauverhältnissen nichts ändern, sondern lediglich die Einnahmen verringern. Den geringeren Böden, die — ganz gleich, wie der Preis ist — Roggen anbauen müssen, ob sie wollen oder nicht, ist nur mit einer Anhebung des Futtergerstenpreises auf etwa Roggenpreishöhe und mit einer fühlbaren Erhöhung des Preises für kleberhaltige Weizensorten geholfen. Dadurch geht der Roggenanbau auf den besseren Böden ganz von selbst zurück.
    Hinzu kommen muß dann aber auch eine Verbesserung der Fruchtfolgemöglichkeiten durch Förderung des Rapsanbaues. Wir sind gerade jetzt Zeugen der Verhandlungen des Herrn Bundesernährungsministers mit der Margarineindustrie über die Rapsbeimischung. Wir können wohl annehmen, daß es der Herr Bundesernährungsminister als einen Erfolg ansieht, wenn er bei von 750 DM auf vielleicht 640 DM herabgesetzten Preisen eine Erhöhung der Beimischung von 5 % auf 71/2 % erreicht. In Schweden werden z. B. 26 % beigemischt, und man kann sogar bis auf 30 % gehen. Das sind meine allerletzten Informationen, die absolut zutreffend sind. In der Bundesrepublik sträubt sich die Margarineindustrie unter Führung des Unilever-Konzerns schon gegen eine so geringe Beimischung. Sie erregt sich darüber, daß — wie sie es nennt - die „unvernünftige" Ausdehnung des Rapsanbaues in der Bundesrepublik weitere Fortschritte macht. Dabei haben wir etwa 45 000 ha mit Raps angebaut gehabt und die sehr viel kleinere schwedische Landwirtschaft 176 000 ha.
    Wenn der Raps die Bedeutung als Regulator innerhalb der Fruchtfolge gewinnen soll, die er haben kann und auch haben muß, werden auch wir zu einer wesentlich höheren Beimischung kommen müssen. Dieselbe Margarineindustrie, die in Deutschland einen Schutz genießt, wie ihn kaum ein anderer Wirtschaftszweig aufweisen kann, deren Rohstoffe vollkommen abgabefrei hereinkommen und deren Fertigfabrikate mit einem prohibitiven Zoll geschützt sind, muß erkennen, daß auch sie sich in den Dienst allgemeinwirtschaftlicher Überlegungen zu stellen hat.

    (Beifall bei der FDP.)

    Die Neuregelung bringt der Margarineindustrie ganz erhebliche Vorteile. Während sie bisher 5 % zum Inlandpreis übernahm, sind es jetzt 7,5 %, sofern überhaupt so viel geerntet wird, was fraglich ist. Die Differenz zum Weltmarktpreis wird aus den Mitteln des Grünen Planes bestritten. Der Rücklieferungspreis für Rapsschrot bleibt jedoch in alter Höhe - nach Verlautbarung der Margarineindustrie - bestehen.
    Es ist schwer, das noch zu verstehen. Angeblich verfügt die deutsche Margarineindustrie nicht über eine Rezeptur, die es ihr ermöglicht, Rüböl ohne geschmackliche Beeinträchtigung der Margarine zu verarbeiten. Nun, dann soll man sich diese Rezeptur aus Schweden holen. Eine solche Ausrede kann nicht ernst genommen werden. Man möchte möglichst erst gar nicht den Anfang mit der Beimischung machen. Auch die bisher übernommenen 5 % sind ja angeblich gar nicht beigemischt worden. Man möchte nicht den Anfang machen, weil das zu einer Weiterentwicklung führen könnte, die den privatwirtschaftlichen Interessen der Margarineindustrie zuwiderläuft, und die deutsche Landwirtschaft macht das offenbar mit.
    Italien und Frankreich räumen ihrem eigenen Oliven- und Ölfrüchteanbau eine absolute Priorität ein. Frankreich bezahlt erhebliche Subventionen, und in Italien schirmt man sich durch Kontingente und Zölle ab. Beide Länder können es sich gar nicht leisten, ihren Ölfruchtanbau dem. Weltmarkt zu opfern. Sie werden also als Partner der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in dieser Hinsicht eine Haltung einnehmen müssen, die auch unserem Rapsanbau zugute kommt.
    Im übrigen würde eine Abschirmung des europäischen Ölanbaus gegenüber dem Weltmarkt der gesamten europäischen Milchwirtschaft zugute kommen. Das wäre wirklich einmal ein lohnendes Ziel und eine konstruktive europäische Agrarpolitik.

    (Beifall bei der FDP.)

    Das Kernproblem für die Landwirtschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird der Getreidepreis und in allererster Linie der Futtergetreidepreis werden. Dieser wird künftig das Preisniveau aller Bodenfrüchte bestimmen. Er bestimmt aber auch den Preis für die Veredelungsprodukte.
    In der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist noch viel Platz für Futtergetreide und nur wenig Platz mehr für Brotgetreide. Es ist auch kaum noch Platz für Veredelungsprodukte. Auskömmliche Futtergetreidepreise entlasten das Brotgetreide, und sie wirken einer Überproduktion an Veredelungserzeugnissen entgegen, für die einfach der Markt fehlt.
    Nachdem ich in der Diskussion zum Grünen Bericht Grundsätzliches zu der Preispolitik des Herrn



    Köhler
    Bundesernährungsministers gesagt habe, will ich heute darauf verzichten. Aber angesichts seines Hinweises, daß ei- nicht nur Minister für die Erzeuger, sondern auch für die Verbraucher ist — was im übrigen von niemandem bestritten wird —, wiederhole ich, was ich bereits im Februar sagte, daß kein vernünftiger Mensch es für möglich hält, eine Agrarpolitik gegen die große Masse der Verbraucherschaft zu machen.

    (Abg. Pelster: Wenn Sie das nur einsehen!) — Hoffentlich sind wir da auf einer Linie.


    (Abg. Pelster: Ich sehe es ein!)

    — Das freut mich ganz besonders. Ich bin den Beifall aus Ihren Reihen gar nicht so sehr gewohnt.
    Aber angesichts der in vielen Fällen absolut parallel laufenden Interessen dieser beiden großen Schichten sollte es möglich sein, Verbraucher- und Erzeugerinteressen aufeinander abzustimmen. Dieser Aufgabe sollte sich jeder unterziehen, der die soziale Marktwirtschaft befürwortet.
    Ich halte es für das größte Unglück, daß die Agrarpolitik es nicht zuwege gebracht hat, diese beiden großen Gruppen einander näherzubringen. Durch viele unrichtige und unbedachte Äußerungen von sehr maßgeblicher Seite wurde das Verhältnis zwischen Erzeugern und Verbrauchern schwer belastet. Damit ist ein Kapital verlorengegangen, dessen Verlust ich viel höher schätze als die 10 Milliarden DM Schulden, die wir noch haben.
    In der Lage, in die die deutsche Landwirtschaft ohne ihre Schuld und nicht zuletzt durch eine unzulängliche Agrarpolitik hineingeraten ist — und zwar schon in einer Zeit, in der wir noch weitab von einer Bedarfsdeckung waren und tagtäglich von dem sogenannten Wirtschaftswunder sprachen
    muß sie jetzt hart um ihre Existenz kämpfen. Die Zeit des Hinhaltens, des Abwartens und der halben Maßnahmen muß endlich vorbei sein, wenn es kein Unglück geben soll. Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß ich nicht später einmal hier an diesen Satz erinnern werde.
    Mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Werden der Freihandelszone steht die deutsche Landwirtschaft am Scheidewege. Sie kann und darf sich nicht in eine Richtung drängen lassen, die zu ihrer Preisgabe führen muß. Ich glaube, daß es notwendig ist, das hier einmal zu sagen und das Parlament auf eine Lage aufmerksam zu machen, die niemand gleichgültig lassen kann und die zu großer Sorge Anlaß gibt.

    (Beifall bei der FDP.)