Rede:
ID0303901800

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 3039

  • date_rangeDatum: 3. Juli 1958

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    Deutscher Bundestag 39. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1958 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1958 (Haushaltsgesetz 1958) (Drucksachen 300, 354, 357, 362 bis 365, 378, 400 bis 404, 408, 412, 413, 440 bis 444, 447, 460 bis 468) ; Zusammenstellung der Beschlüsse zweiter Beratung (Drucksache 490) — Fortsetzung der dritten Beratung — Allgemeine Aussprache Margulies (FDP) . .. . . . . . 2249 C Kurlbaum (SPD) . . . . 2253 B, 2279 D Dr. Steinmetz (DP) 2260 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 2262 B Dr. Deist (SPD) . . . . . . . . 2266 C Dr. Hellwig (CDU/CSU) 2272 A Dr. Starke (FDP) 2277 C Köhler (FDP) . . . . . . . . 2280 A Logemann (DP) 2283 B Dr. Sonnemann, Staatssekretär . 2286 B Bading (SPD) 2289 B Glahn (FDP) . . . . . . . . 2289 C Diekmann (SPD) 2291 A Dr. Schellenberg (SPD) 2293 B Blank, Bundesminister . . 2295 B, 2304 C Mischnick (FDP) 2300 A Frehsee (SPD) . . . . . . . 2301 D Frau Kalinke (DP) 2305 B Pohle (SPD) . . . . . . . . 2308 B Horn (CDU/CSU) 2308 D Rehs (SPD) . . . . . . . . 2309 B Kuntscher (CDU/CSU) . . . . . 2312 D Dr. Nahm, Staatssekretär . . . . 2315 C Weiterberatung vertagt . . . . . . . 2316 D Nächste Sitzung 2317 C Anlage 2319 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 39. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Juli 1958 2249 39. Sitzung Bonn, den 3. Juli 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 14.00 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 7. 7. Frau Albertz 5. 7. Altmaier* 5. 7. Dr. Atzenroth 4. 7. Dr. Barzel 5. 7. Bauknecht 5. 7. Bauer (Würzburg)* 5. 7. Frau Beyer (Frankfurt) 5. 7. Birkelbach* 5. 7. Fürst von Bismarck* 5. 7. Blachstein* 5. 7. Frau Dr. Bleyler 3. 7. Blöcker 4. 7. Burgemeister 5. 7. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 7. Döring (Düsseldorf) 5. 7. Euler 4. 7. Dr. Even (Düsseldorf) 3. 7. Even (Köln) 3. 7. Franke 12. 7. Dr. Friedensburg 5. 7. Frau Friese-Korn 5. 7. Gaßmann 5. 7. Geiger (Aalen) 3. 7. Gerns* 5. 7. D. Dr. Gerstenmaier 2. 8. Gockeln 3. 7. Graaff 4. 7. Dr. Gradl 5. 7. Dr. Greve 5. 7. Hackethal 5. 7. Hahn 3. 7. Dr. Dr. Heinemann 3. 7. Frau Herklotz 3. 7. Heye* 5. 7. Höfler* 5. 7. Frau Dr. Hubert* 5. 7. Jacobs* 5. 7. * für die Teilnahme an der Tagung der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Kemmer 5. 7. Kiesinger* 5. 7. Kirchhoff 3. 7. Dr. Königswarter 5. 7. Dr. Kopf* 5. 7. Frau Korspeter 5. 7. Kriedemann 5. 7. Kühn (Köln)* 5. 7. Leber 4. 7. Dr. Lindenberg 5. 7. Lücker (München)* 5. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 5. 7. Dr. Maier (Stuttgart) 5. 7. Frau Dr. Maxsein* 5. 7. Metzger* 5. 7. Dr. Meyer (Frankfurt)* 5. 7. Müller-Hermann 5. 7. Neubauer 5. 7. Frau Niggemeyer 12. 7. Paul* 5. 7. Pöhler 3. 7. Dr. Preiß 5. 7. Pusch 5. 7. Rademacher 5. 7. Ramms 5. 7. Ruf 5. 7. Scheel 5. 7. Schneider (Hamburg) 4. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 5. 7. Schoettle 19. 7. Schütz (Berlin) 5. 7. Schütz (München)* 5. 7. Frau Dr. Schwarzhaupt 5. 7. Seidl (Dorfen)* 5. 7. Spies (Brücken) 5. 7. Stahl 4. 7. Stenger 4. 7. Struve 5. 7. Teriete 3. 7. Wagner 3. 7. Dr. Wahl* 5. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen)* 5. 7. Welslau 3. 7. Dr. Will 5. 7. Dr. Winter 5. 7. Dr. Zimmer* 5. 7. Zoglmann 5. 7.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ludwig Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Sie können hier nicht einen Satz aus dem Zusammenhang reißen. Der ganze Aufsatz: „Zehn Jahre D-Mark" ist von einer so geringen Polemik erfüllt,

    (Lachen bei der SPD)

    daß das gegenüber dem, was sich vor zehn Jahren ereignet hat, wirklich nur ein leises Säuseln ist.

    (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Denn es ist doch nicht zu bestreiten, daß Sie vor zehn Jahren diese Wirtschaftspolitik und die eingeleiteten wirtschaftspolitischen Maßnahmen mit Erbitterung und Feindseligkeit abgelehnt haben.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Und ich muß sagen, ich bin wieder vornehm; sonst hätte ich die ganzen Bände hier und könnte eine Stunde lang Äußerungen zitieren, die Sie vor zehn Jahren getan haben, bis hin zu der, daß diese Wirtschaftspolitik in den Konsequenzen verhängnisvoller sein werde als das, was Morgenthau uns zugedacht hatte, und zu anderen Stilblüten mehr. Aber ich möchte darauf nicht zu sprechen kommen; ich möchte nur meinen, Sie haben gar keinen Grund, so zimperlich zu sein, wenn ein anderer sich an einem solchen Tage auch einmal zurückbesinnt an das, was gewesen ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Aber damit sei es erledigt.

    Im übrigen darf ich hinzufügen — es hätte vielleicht eine Verwechslung eintreten können —: ich habe den Begriff: „Die SPD setzt auf die Krise" nicht geprägt.

    (Abg. Kurlbaum: Nein. nein!)

    Das möchte ich ausdrücklich festgestellt haben.
    Ich glaube auch, daß wir die Konjunktur nicht sehr unterschiedlich betrachten. Ich glaube, das gilt für das ganze Haus. Daran, daß der Pulsschlag etwas schwächer geworden ist, ist gar kein Zweifel. Aber ich kann das nicht als ein Unglück empfinden. In mancher Beziehung hat es sogar günstige Wirkungen gehabt. Die Stabilität des deutschen Preisniveaus ist jedenfalls damit gefestigt worden, und auch jene Geneigtheit, die Volkswirtschaft zu überfordern, ist doch etwas zurückgegangen. Die Stabilität in allen Bereichen hat sich verstärkt. Im übrigen ist die Beschäftigung so ausgezeichnet, wie sie nur jemals war. Wir haben eine Arbeitslosenquote von 2 %. Das liegt noch erheblich unter dem, was nach internationaler Regel als Vollbeschäftigung gilt.
    Allerdings ist das Konjunkturbild sehr viel differenzierter geworden, als es in der Vergangenheit



    Bundesminister Dr. Dr. h. c. Erhard
    war, und ich glaube, das wird sich in der Zukunft noch stärker ausprägen.
    Am besten liegt im Konjunkturbild die Investitionsgüterindustrie, insonderheit aus den Aufträgen aus dem Inland, während die Verbrauchsgüterindustrie trotz einer starken Zunahme des Massenverbrauchs zurückhinkt. Als Gegenposten ist dann allerdings die verstärkte Spartätigkeit und vor allen Dingen ein Phänomen zu registrieren, das unser Konjunkturbild heute geradezu kennzeichnet: das ist die Tatsache, daß immer weitere und immer breitere Schichten unseres Volkes an einen gehobenen Lebensstandard herankommen, daß sie sich langlebige Gebrauchsgüter wertvollerer Art leisten können, ob das der Kühlschrank, die Musiktruhe, das Fernsehgerät oder jetzt auch schon das Auto ist. Weil man sich nicht alles zu gleicher Zeit leisten kann, ist ganz deutlich erkennbar, daß einige Bedarfe, Güter des täglichen und laufenden Bedarfs, etwas in den Hintergrund getreten sind. Darunter leiden vor allen Dingen heute manche Zweige der Textilwirtschaft, 'zum Teil auch die Bekleidungsindustrie, überhaupt ,die typischen Konsumgüterzweige, die Gegenstände des täglichen Bedarfs herstellen.
    Das sehe ich aber nicht als einen Einbruch in die Konjunktur an; vor allen Dingen ist es nicht als ein schlimmes soziales Vorzeichen zu werten. Es vollziehen sich hier echte strukturelle Umschichtungsprozesse. Sie entspringen sogar aus dem wachsenden Wohlstand unseres Volkes.
    Es ist ganz sicher, daß wir die Konjunktur und vor allen Dingen die konjunkturpolitischen Maßnahmen heilender oder lenkender Art nicht allein von dem Geschehen des Binnenmarktes her betrachten können, denn die deutsche Volkswirtschaft ist in so weitem Maße in die Weltwirtschaft eingespannt, idaß das Geschehen dort für uns natürlich schon bedeutsam ist. Wir haften .auf der Importseite mit 32 Milliarden DM, auf der Exportseite mit 36 Milliarden DM, auf der Ein- und Ausfuhrseite zusammengenommen also mit ungefähr einem Drittel unseres Sozialprodukts, im Weltmarkt.
    Ich glaube nicht, daß man in diesem Zusammenhang der viel zitierten amerikanischen Recession noch besondere Aufmerksamkeit zu schenken braucht; denn so eng ist die Verbindung der deutschen Volkswirtschaft mit dem amerikanischen Markt nicht, mindestens wenn man den unmittelbaren Güteraustausch betrachtet. Wir haben nach den Vereinigten Staaten einen Export von ungefähr 2,5 Milliarden DM und von dort einen Import von 5,7 Milliarden DM. Die Verflechtung wäre also isoliert betrachtet nicht so eng. Ich gebe natürlich gern zu, daß die Betrachtung der Verbindung zwischen den Vereinigten Staaten und Europa im ganzen bzw. der OEEC natürlich schon wieder ein etwas verändertes Bild 'ergibt.
    Der neuralgischste Punkt im Konjunkturbild der Welt ist zweifellos die Schwäche der Rohstoffmärkte und die dort sich immer noch nicht wendende Baisse. Hier, glaube ich, könnten die modernen Industrieländer wirklich etwas sehr Entscheidendes tun, wenn sie zu einer Änderung ihrer
    Rohstoffpolitik gelangten. Gerade die Baisse hat dazu geführt, daß man, anstatt eine Politik der Lageraufstockung zu betreiben, um den Ländern zu helfen und ihre Kaufkraftverhältnisse zu verbessern, das Umgekehrte tut und eine Politik des Lagerabbaus verfolgt, daß man von der Hand in den Mund lebt. Ich glaube, die Bundesregierung und der Bundestag sollten sich schon in Kürze mit etwaigen weiteren Maßnahmen beschäftigen, rum einen Anreiz zum verstärkten Import, vor allen Dingen von Rohstoffen, zu geben.
    In diesem Zusammenhang sind auch alle Anstrengungen und Pläne zu nennen, die den Entwicklungsländern Hilfe bringen sollen. Sie wissen, daß die Bundesregierung und die Deutsche Bundesbank gerade in diesem Jahre schon mehr als in den Jahren vorher getan haben, um dieser wirtschaftlichen Verpflichtung — fast noch mehr: dieser moralischen und sittlichen Verantwortung — zu genügen. Über die von der Bundesregierung bei der Weltbank eingezahlte Quote hinaus hat die Deutsche Bundesbank der Weltbank jetzt insgesamt ungefähr 11/4 Milliarden DM zur Verfügung gestellt, und die Bundesregierung hat im zweiseitigen Verfahren, im bilateralen Verhältnis, auch noch mehr getan, um jenen Ländern zu helfen. Ich bin der Meinung, ,daß alle Pläne gutgeheißen werden müssen, die hier von der Bilateralität allmählich zu einem gemeinsamen Handeln und zu multilateralen Verfahren führen. Es sind jetzt schon wieder ganz bestimmte Pläne — Monrony-Plan usw. — in Gang gekommen, die ich hier nicht im einzelnen kennzeichnen möchte, die deutlich machen, daß alle Leistungen für Entwicklungsländer indirekt auch eine Konjunkturstütze für die Industrieländer sind, weil die dort vermehrte Kaufkraft natürlich wesentlich in Aufträgen wieder den Industrieländern zufließt.
    Ich glaube nicht, daß man sagen kann, ich hätte es an dem Realismus in der konjunkturpolitischen Betrachtung fehlen lassen. Selbst an der von Ihnen zitierten Stelle wird unmittelbar nachher gesagt: Selbstverständlich, der Pulsschlag unserer Wirtschaft in der Konjunktur geht etwas schwächer. Aber auch in diesem Jahr, 1958, liegen die Zahlen in der Bundesrepublik immer noch höher als im vergangenen Jahr; es ist ganz interessant, einmal darauf zu verweisen. Das Sozialprodukt ist in den ersten 5 Monaten des Jahres 1958 gegenüber dem Vorjahr noch einmal um 2,5 % gestiegen, obwohl in dem gleichen Zeitraum die Arbeitszeit um 3,5 % verkürzt wurde und die Produktivität je Erwerbstätigen deshalb nur noch um 2,4 % zunahm. Gleichzeitig wurden die Stundenlöhne um 8,5 % erhöht. Das Lohneinkommen insgesamt liegt um 5 % über dem Vorjahr. Damit ist zugleich die ganze Spannung zwischen der Leistungskraft einer Volkswirtschaft und der Beanspruchung einer Volkswirtschaft durch die Menschen und ihre Gruppen deutlich gemacht.
    Im übrigen hat niemand so viel und so eindringlich das deutsche Volk immer wieder vor den Gefahren einer falschen Konjunkturbeurteilung gewarnt wie ich, und niemand hat deutlicher, und



    Bundesminister Dr. Dr. h. c. Erhard
    zwar nicht nur nach einer Richtung, sondern nach allen Richtungen den Gruppenegoismus angesprochen, der verhängnisvoll ist und meiner Ansicht nach auch jetzt wieder zu einem nicht immer richtigen konjunkturpolitischen Verhalten geführt hat und noch führt.
    Wenn z. B. in der Textil- und Bekleidungsindustrie die Importe sprunghaft zugenommen haben, dann sicher auch deshalb, weil wir durch die Zollsenkung hier freiere Bahn gegeben haben und über die Zollsenkung einen Druck auf das deutsche Preisniveau ausüben wollten. Soweit, glaube ich, sind wir uns einig gewesen. Aber dann kam zum gleichen Zeitpunkt noch einmal eine Lohnerhöhung und eine Arbeitszeitverkürzung, die in diesem Sektor von besonderem Gewicht war. Ich habe vor der Zustimmung der Arbeitgeber deutlich genug gesagt, man verlange von mir aber nicht, daß wir, wenn die Arbeitszeitverkürzung oder die Lohnerhöhung zu schwer wiegt und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie darunter Schaden leidet und der Import sich verstärkt, dann wieder in die Methode der Zollerhöhung zurückfallen, abgesehen davon, daß uns internationale Verträge das gar nicht ermöglichen würden.
    Ich glaube also, man muß, wenn man von Fehlern in der Konjunkturpolitik oder von einem falschen Verhalten der Menschen in der Konjunkturpolitik spricht, alles betrachten und nach allen Seiten schauen.
    Ich bin umgekehrt wieder mit Ihnen der Meinung, daß das Verhalten vieler Unternehmer in einer etwas schwächeren Konjunktur falsch ist, wenn sie nämlich lieber die Produktion zurückschrauben, um einen vorgestellten Preis halten zu können, und lieber einen höheren Import vom Ausland zulassen, anstatt selber im eigenen Lande die Preiskorrektur durchzuführen, die einen verstärkten Import verhindern könnte und eine höhere Beschäftigung in Deutschland, im eigenen Land, gestatten würde. Darüber sind wir uns, glaube ich, einig. Aber daraus wieder zu folgern, daß der Wettbewerb überhaupt nicht spielt, das geht meiner Ansicht nach wieder zu weit. Sie sagten, die Marktwirtschaft funktioniere nicht mehr, und sie sprachen dann in diesem Zusammenhang von den marktbeherrschenden Unternehmen.

    (Abg. Kurlbaum: Ich habe von einem schrittweisen Abbau durch die Konzentration gesprochen!)

    — Also schön: von einem schrittweisen Abbau.
    Aber wollen wir noch einmal auf die Konjunktur zurückkommen! Sie sagten, der Herr Berg habe beim Bundesverband der Deutschen Industrie ja auch ein Eingreifen des Staates gefordert oder zumindest eine Bereitschaft hinsichtlich des Vorliegens ganz bestimmter Pläne, um bei einer weiteren Konjunkturverschlechterung aktiv eingreifen zu können. Ich glaube, dieses Anliegen wird niemand beiseite schieben wollen; es ist berechtigt. Aber ich habe immer einen Horror vor dem Begriff „aktiv". Ich muß sagen: ich habe vor der aktiven Konjunkturpolitik genauso viel Sorge und Angst wie vor der aktiven Lohnpolitik. Zu viel Aktivität scheint mir hier nicht angebracht zu sein, denn diese Aktivität führt meistens zum Dahinschwinden stabiler Verhältnisse.
    Ich bin im übrigen mit dem Präsidenten der Bundesnotenbank immer in Verbindung. Wir unterhalten uns in dieser Zeit natürlich sehr oft über die konjunkturpolitische Situation: wie sie im einzelnen zu werten ist und welche Entwicklungstendenzen sich abzeichnen. Ich kann Ihnen versichern, daß wir nicht nur in der Beurteilung des Konjunkturbildes einer Meinung sind, sondern auch in der Überzeugung, daß bis zu diesem Augenblick mindestens kein Anlaß vorliegt, schon im Sinne einer „aktiven" Konjunkturpolitik einzugreifen und damit die Verantwortung oder die eigentliche Funktion der Wirtschaft aus der eigenen Kraft heraus zu behindern oder gar zu schwächen.
    Die Preisbindung der zweiten Hand ist hier von Ihnen ausführlicher behandelt worden. Sicher, Sie haben recht, wenn Sie sagen, es sei ein Anliegen der Markenartikelhersteller, die Preisbindung der zweiten Hand für sich in Anspruch zu nehmen; insofern waren Ihre Ausführungen schon richtig. Aber Herr Dr. Bucerius hat ebenso recht gehabt: es ist nämlich ebensosehr ein Anliegen gerade des schwächeren Einzelhandels, im Wettbewerb diesen Schutz gegenüber dem mächtigeren Unternehmer zu haben, gegen den sie sonst nicht ohne weiteres bestehen können. Hier treffen sich also zwei Interessen, — womit ich nicht sage, daß sie volkswirtschaftlich unbedingt völlig übereinstimmen und richtig und zweckmäßig sind. Aber ich glaube, man kann die Preisbindung der zweiten Hand nicht als Ausfluß einer brutalen, engstirnigen und egoistischen Interessenpolitik der großen Unternehmungen hinstellen; das geht mir zu weit.

    (Zuruf des Abg. Kurlbaum.)

    Im übrigen ist ja auch aus unseren Beratungen des Kartellgesetzes deutlich geworden, daß wir uns in den verschiedenen Phasen manchmal durchaus einig, manchmal weniger einig waren. Ich denke nu an den schönen Kreis, der sich da gebildet hat, der sich besonders mit 'diesem Problem auseinandergesetzt hat. Auch Sie haben manchmal geschwankt, ob es richtig sei, die Preisbindung der zweiten Hand mit einem Strich aufzuheben, oder ob man vielleicht andere Formen finden könnte. Ich bin der festen Überzeugung, daß das Thema der Preisbindung der zweiten Hand noch nicht abschließend erörtert ist; es kommt meiner Ansicht nach so schnell nicht vom Tisch. Die Tatsache, daß in weiten Bereichen die Preisbindung der zweiten Hand doch schon unterlaufen, um nicht zu sagen: zusammengebrochen ist, ist ein weiterer Beweis dafür, daß der Wettbewerb doch auch noch in den Bereichen spielt, in denen die Möglichkeit der Anwendung der Preisbindung der zweiten Hand formal besteht.
    Im übrigen möchte ich sagen, daß der Kontrast zwischen den großen, mächtigen Unternehmungen und den mittelständischen Unternehmungen meiner Ansicht nach etwas überspitzt dargestellt worden ist. Ich habe hier Unterlagen, die ich Ihnen zwar



    Bundesminister Dr. Dr. h. c. Erhard
    im einzelnen nicht verlesen kann — es würde zu weit führen —, aber wir haben zusammengestellt, was die Bundesregierung für den gewerblichen Mittelstand bisher getan hat. Wir haben die sozialpolitischen Maßnahmen einmal registriert und zum anderen auch eine Zusammenstellung über die lau-leaden Finanzierungshilfen des Bundes für die mittelständische gewerbliche Wirtschaft gemacht. Ich werde mir erlauben, den Mitgliedern des Hohen Hauses diese Zusammenstellung schriftlich zu übermitteln.
    Hier nur einige Ziffern, die auch erhärten können, daß es jedenfalls ganz so schlimm nicht sein kann, wie es in der Öffentlichkeit manchmal dargestellt wird. Dazu möchte ich gleich die Umsatzentwicklung des Einzelhandels darlegen; ich nehme immer die Ziffern der Jahre 1950 und 1957, also eine Siebenjahresperiode. In diesem Zeitraum sind die Einzelhandelsumsätze — in denen die Umsätze der Ein-und Verkaufsgenossenschaften, der Versandhäuser usw. nicht enthalten sind — von 30,8 Milliarden DM auf 62 Milliarden DM gestiegen. Die Handwerksumsätze — ohne landwirtschaftliche Umsätze — sind von 19,9 Milliarden DM auf 57 Milliarden DM gestiegen. Die Nettolöhne stiegen im gleichen Zeitraum von 34,7 Milliarden DM auf 76,8 Milliarden DM, Pensionen und Renten von 11,9 Milliarden DM auf 27,5 Milliarden DM und das, was man gemeiniglich Masseneinkommen nennt, von 46,5 Milliarden DM auf 104 Milliarden DM. Wenn Sie die Industrieumsätze mitberücksichtigen, werden Sie sehen, es besteht zwischen allen diesen Ziffern eine relativ weitgehende Verwandtschaft, so daß aus den Ziffern jedenfalls nicht ohne weiteres nachweisbar ist, daß die eine Kategorie von Unternehmern oder Betrieben gegenüber anderen grundsätzlich begünstigt würde, mindestens ist das nicht wissentlich und bewußt etwa von seiten der Regierung geschehen.
    Trotzdem ist es richtig, daß wir uns mit dem Problem der Konzentration auseinanderzusetzen haben. Es wäre töricht, leugnen zu wollen, daß bei einer ungehinderten weiteren Entfaltung dieses Prozesses soziale, soziologische und auch volkswirtschaftliche Schäden auftreten können.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Aber ich glaube, man darf es nicht nur einseitig betrachten. Zunächst einmal folgt aus der Entwicklung der modernen Technik zweifellos — nicht in allen Bereichen, aber in vielen Bereichen — ein gewisser Druck zu einer stärkeren Konzentration. Das ist ja auch der Grund dafür, Herr Kollege Kurlbaum — auch wenn Sie mit der von der Regierung oder auch vom Bundestag bisher geleisteten Arbeit noch unzufrieden sind —, daß wir diesem Konzentrationsprozeß des Produktionskapitals einen Dekonzentrationsprozeß des Eigentums an diesem volkswirtschaftlichen Produktivkapital entgegensetzen wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Daß das nicht in einer Aktion, in einem Sprung von heute auf morgen gelingen kann, ist selbstverständlich, so wenig auch der deutsche Wiederaufbau in einem Jahr oder in einem kurzen Prozeß
    zu begreifen gewesen wäre. Aber darüber werden wir uns noch den Kopf zerbrechen.
    Das war die eine Seite. Die andere Seite ist, daß die Lohnpolitik, die ich hier gar nicht kritisieren, sondern als Faktum, so wie sie eben ist, darstellen möchte, darauf ausgerichtet ist — von kleinen Differenzierungen abgesehen —, im Grunde genommen von einem Modell auszugehen und sich dieses Modell in Bereichen von Wirtschaftszweigen zu bauen, die über eine relativ hohe oder vielleicht überhaupt die höchste Produktivität verfügen. Vom sozialen Standpunkt aus ist es sicherlich richtig, zu sagen: Der Arbeiter, der an einer Stelle arbeitet, die — aus welchen Gründen auch immer — weniger produktiv ist, leistet seine Arbeit mit der gleichen physischen Anstrengung, vielleicht muß er noch mehr inneren Widerstand überwinden als der, der an modernsten technischen Apparaturen nur Schalthebel bedient; also ist es nicht angemessen, hier unterschiedlich zu entlohnen. Das kann man sagen. Dann muß man sich aber auch der Konsequenzen bewußt sein, der Konsequenzen, die sich z. B. in den Vereinigten Staaten schon sehr viel deutlicher als bei uns ausprägen, die aber auch bei uns gesehen werden müssen, daß nämlich überall dort, wo die menschliche Arbeits- und Dienstleistung stärker in den Vordergrund tritt, die Preise naturnotwendig steigen müssen. Das erleben wir in der Bundesrepublik bei allen Dienstleistungen; wir erleben es aber auch innerhalb der industriellen und gewerblichen Fertigung, innerhalb des Handels, des Handwerks und überall. Denn je mehr der Arbeitskostenfaktor im Rahmen der Gesamtkosten einer Industrie ins Gewicht fällt, um so mehr fallen natürlich Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen ins Gewicht. Wenn dann gar noch so verfahren wird, daß der Maßstab für Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen aus jenen Industriezweigen genommen wird, die, wie soll ich sagen, seltene Fälle einer besonders hohen Produktivität und weiterer Produktivitätssteigerung sind, dann muß die Entwicklung so verlaufen, daß in einzelnen Bereichen zwar die Preise bestenfalls stabil bleiben, vielleicht auch einmal etwas sinken können, in dem großen Feld aber tendenziell Preissteigerungen zu verzeichnen sind. Diese Tendenzen sind im Augenblick etwas unterbrochen, und das ist der Grund dafür, daß ich im Zusammenhang mit einer gewissen Konjunkturabkühlung auch von günstigen Wirkungen gesprochen habe.
    Der große Betrieb hat natürlich auch schon rein technisch ganz andere und weitergehende Möglichkeiten einer Rationalisierung bis hin zur Automatisierung und wird natürlich von einer aktiven Lohnpolitik — ich sage es jetzt wirklich ohne Kritik — weniger stark in seiner Preispolitik und in den Möglichkeiten der Preisstellung berührt als der mittlere und der kleinere Betrieb, wo hohe Veredelungskosten und hohe Veredelungsleistungen der Wirtschaft das Gepräge geben. Bei den reinen Dienstleistungen schließlich ist es am schlimmsten.
    Ich bin gerne bereit — ich glaube, das wäre wirklich eine Aufgabe, die auch mit dem Blick in die Zukunft von größter Bedeutung wäre —, einmal



    Bundesminister Dr. Dr. h. c. Erhard
    zu prüfen, wie eigentlich die weitere Entwicklung verlaufen wird und was wir durch Disziplin auf allen Seiten — wie ich noch einmal bemerken möchte — dazu beitragen können, um die Marktwirtschaft wirklich funktionsfähig zu halten.
    Wenn Sie von wirtschaftlicher Macht, von Marktbeherrschung und in der Terminologie des Kartellgesetzes von einem Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht sprechen, muß ich folgendes dazu sagen: Sicher, das gibt es. Wir haben uns lange genug darüber unterhalten. Aber es wäre völlig einseitig, wenn man etwa annehmen wollte, daß die wirtschaftliche Macht nur in der Hand privater Unternehmer oder überhaupt nur auf der Seite der Wirtschaft selbst tätig ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Bei den Sozialpartnern z. B., die gegenseitig ihre Arbeitsbedingungen auszuhandeln haben, gibt es auch wirtschaftliche Macht, und da gibt es eben auch einen Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich glaube, wenn man Marktbeherrschung und wirtschaftliche Macht als Ganzes, als Terminologie anwenden will, muß man auch so ehrlich sein, zuzugeben: Jawohl, das gibt es in der Wirtschaft, aber es gibt es eben nicht nur auf einer Seite. Hier ist nicht nur der private Unternehmer, sondern es sind alle angesprochen, die auf welchem Wege auch immer Einfluß auf das wirtschaftliche Geschehen und vor allen Dingen Einfluß auf die Gestaltung ihres eigenen Schicksals — das ihrer Gruppe — in dein gesamten Geschehen einer Volkswirtschaft ausüben können.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Im übrigen treffen wir uns wieder in der weitgehenden Übereinstimmung hinsichtlich der Notwendigkeit einer stärkeren Publizität. Ich habe immer darauf hingewiesen. Aber wenn Sie jetzt mit dem, was da heranreift, noch nicht ganz zufrieden sind, mögen Sie auch berücksichtigen, daß ja die Aktienrechtsreform nicht ersetzt werden soll, sondern es ist lediglich sozusagen ein erster notwendigster Schritt im Zuge einer Aktienrechtsreform, und wir werden uns hier also noch eingehend auseinanderzusetzen haben.
    Ich darf noch einmal zusammenfassen: Ich glaube, im ganzen gesehen sind wir uns weitgehend einig in der Beurteilung der Konjunktur, auch in der Überzeugung, daß bei 'der vorherrschenden Vollbeschäftigung und bei den allgemeinen Aspekten, die sich abzeichnen — und ich glaube sogar, vom Weltmarkt her kommen wieder etwas freundlichere Nuancen in die Konjunktur hinein, vor allen Dingen mit der Hilfe für Entwicklungsländer —, eine besondere Aktivität im Sinne künstlicher Eingriffe in die Wirtschaft noch nicht nötig ist. Die aktive Konjunkturpolitik bleibt also zurückgestellt. Aber das sei immer eine Mahnung an uns, bereit zu sein, wenn wirklich einmal Gefahr im Verzuge wäre.
    Wir haben uns weiter über die Gefahren der Konzentration unterhalten. Wir sind darin einig, daß hier schädliche Entwicklungen heranreifen könnten. Aber auch hier wollen wir uns von jeder Einseitigkeit abkehren und das Problem in seiner Komplexität und Totalität betrachten, so, wie es sich tatsächlich darstellt.
    Meine Damen und Herren, ich glaube, damit bin ich den Einwänden aller Redner wenigstens in etwa wenn auch nicht begegnet, habe aber Rede und Antwort gestanden. Ich sage noch einmal: Wegen des Mittelstandes werde ich Ihnen Unterlagen zuleiten, und wir können uns dann im Wirtschaftspolitischen Ausschuß und im Mittelstandsausschuß noch einmal über dieses Thema gesondert unterhalten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Deist.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich Deist


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich soeben in seinen Ausführungen einer Sachlichkeit und einer Zurückhaltung befleißigt, die bei seinem Temperament außerordentlich selten sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn ich mir dazu ein paar Bemerkungen erlauben darf, die keineswegs der Verschärfung der Situation dienen sollen, so würde ich wünschen, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister z. B. vor dem Fernsehen spricht, daran zudenken, daß es vielleicht der sachlichen Auseinandersetzung dient, wenn man gewisse Grenzen einhält.

    (Bundesminister Dr. Dr. h. c. Erhard: Beiderseits! — Abg. Dr. Hellwig: Und wie war das bei Ihrer Fernsehsendung?!)

    — Wenn Sie den Vergleich zwischen meiner Fernsehsendung vor den Bundestagswahlen und der vorgestrigen des Herrn Bundeswirtschaftsministers ziehen, dann traue ich Ihrem eigenen Urteil zu, daß Sie den Unterschied sehr deutlich merken.

    (Beifall bei der SPD. -Zuruf des Abg. Dr. Hellwig.)

    — Aber, meine Damen und Herren, lassen wir das! Ich möchte nämlich, da es sich um Probleme handelt, die sehr ernst sind, zu diesen Fragen genau in derselben sachlichen Weise Stellung nehmen. Was ich eben sagte, diente nur einer gewissen Erheiterung und Einleitung, weil mir wichtig erschien, einige Dinge doch auch von dieser Stelle aus einmal zu sagen.
    Ein paar Bemerkungen zum Konzentrationsprozeß! Der Konzentrationsprozeß selber ist von meinem Freund Kurlbaum hier deutlich dargestellt worden. Jedermann weiß — vor allen Dingen seit der letzten Tagung der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer in Wiesbaden — sehr genau, was das zu bedeuten hat. Ich hoffe, in Deutschland bekommt man im Interesse einer freiheitlichen Entwicklung allmählich vielleicht doch etwas mehr das Gefühl dafür, was wirtschaftliche Macht bedeutet. Dann könnten wir uns nämlich sehr viel leich-



    Dr. Deist
    ter darüber unterhalten, wie man in einem freiheitlichen Staat diesem Phänomen begegnet, während es so sehr schwierig ist, sachlich über dieses Problem zu reden, wenn man immer so tut, als wenn wirtschaftliche Macht eine Erfindung böser roter Sozialisten sei.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gesagt, dem Konzentrationsprozeß der Unternehmungen möchten Sie die Dekonzentration des Eigentums gegenüberstellen. Nun, meine Damen und Herren, ich will im Augenblick nicht über die Möglichkeiten, die in Ihren Plänen zur Dekonzentration des Eigentums stecken, sprechen, sondern will einmal für den Augenblick unterstellen, das wären wirklich brauchbare Möglichkeiten. Ich frage Sie: inwieweit können Sie dem Konzentrationsprozeß der Unternehmungen seinen Stachel nehmen, wenn Sie das Eigentum in den Unternehmungen dekonzentrieren? Im Gegenteil, Sie unterstützen die Entwicklung von Herrschaftspositionen in diesen Unternehmungen, die immer weniger Kontrollen unterliegen; denn je mehr Sie das Eigentum aufspalten und dekonzentrieren, um so weniger echte Kontrolle haben Sie in den Unternehmungen, um so stärker ist die unkontrollierte autoritäre Macht der Aufsichtsräte und Vorstände des Managements dieser Unternehmungen. Meine Damen und Herren! Das sollten Sie sich sehr genau überlegen. Die Dekonzentration des Kapitals ist kein Gegenargument gegen die Konzentration der Unternehmungen. Infolgedessen scheint mir dieser Einwand völlig fehlzugehen.

    (Abg. Dr. Hellwig: Dann ist die Enteignung auch kein Gegenargument!)

    — Bitte zwingen Sie mich nicht, weiterzugreifen auf Probleme, die mit der augenblicklichen Debatte nichts zu tun haben.

    (Abg. Dr. Hellwig: Doch!)

    Dann ein Wort dazu! Der Bundeswirtschaftsminister meinte, wenn man schon von wirtschaftlicher Macht sprechen wolle, dann müsse man auch von der Macht der Sozialpartner sprechen. Einverstanden! Wer wollte das bestreiten, daß Arbeitgeberverbände und Arbeitnehmerverbände auch eine wirtschaftliche Machtposition darstellen! Aber es gibt bestimmte Prinzipien darüber, wie man wirtschaftlicher Macht in der modernen Demokratie begegnet, und es gehört einmal zu den Prinzipien aller demokratischen Verfassungen, daß den Gefahren der Machtausübung der Sozialpartner dadurch begegnet werden soll, daß sie sich gegenseitig in freien Auseinandersetzungen ohne Eingreifen des Staates paralysieren. Das ist der Sinn der Koalitionsfreiheit und der Freiheit der Sozialpartner: die Arbeitsbedingungen frei auszuhandeln ohne Eingreifen des Staates. Das ist ein wichtiges Element der freiheitlichen Grundlagen demokratischer Staaten.
    Meine Damen und Herren, man kann sich darüber unterhalten, ob dieses Prinzip noch durchhält, ob es nicht Situationen gibt, wo ein Partner plötzlich eine solche Macht bekommt, daß darüber die gesunde soziale Ordnung zugrunde gehen kann. Aber es ist so, daß manche Menschen nicht recht merken, in welcher Situation sie sprechen. Wenn Sie heute etwa von einem Mißbrauch der Macht der Arbeitnehmerorganisationen sprechen, dann sollten Sie eigentlich zur Kenntnis nehmen, daß wir bereits in eine Phase der Konjunktur eingetreten sind, bei der es sehr zweifelhaft ist, ob nicht zur Zeit die Arbeitgeberverbände am .längeren Hebelarm sitzen. Denn das ist die Merkwürdigkeit an diesem konjunkturellen Ablauf, daß im Konjunkturaufschwung sicherlich die Arbeitnehmerverbände stärker sind und sie in der Regel die Möglichkeit haben, einiges von dem, was ihnen im Konjunkturabschwung verlorengegangen ist oder genommen wurde, wieder aufzuholen. Sowie aber der Konjunkturabschwung oder eine Stagnation kommt, befinden sich die Gewerkschaften normalerweise am kürzeren Hebelarm. Wer jetzt meint, man müsse dafür sorgen, daß hier nicht zuviel wirtschaftliche Macht mißbraucht wird, der kann sich, wenn er ehrlich ist, in der augenblicklichen konjunkturellen Situation eigentlich nur gegen die Arbeitgeberverbände richten, weil diese zur Zeit am längeren Hebelarm sitzen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Trotz der Vollbeschäftigung!)

    Meine Damen und Herren, so liegen die Dinge, wenn Sie versuchen, von dem Spiel der Macht in der Wirtschaft auf das angeblich so gefährliche Spiel der Macht der Sozialpartner auszuweichen.
    Wir sollten uns überlegen, ob sich dieses Machtspiel zwischen den Sozialpartnern im Ablauf der Zeiten nicht in einer gesunden Weise ausgleicht. Der Bundeswirtschaftsminister und die Regierung sollten sich hüten, dann, wenn es ihnen paßt, in dieses Spiel einzugreifen und dann, wenn es ihnen nicht paßt, darauf zu verzichten. Dieses Problem der Stellung der Sozialpartner in der Wirtschaft ist sicherlich sehr wichtig und stellt uns vielleicht einmal vor Fragen, die wir heute noch gar nicht kennen. Aber man sollte nicht so leichtfertig sein, das einfach mit dem Problem der wirtschaftlichen Macht marktbeherrschender Unternehmungen und von Kartellen in einen Topf zu mengen, wofür verfassungsmäßig und in der Praxis, wie wir heute sehen, eben noch keine brauchbare Regel zur Ordnung gefunden ist. Das wollte ich zu dem sehr weitschichtigen und vielfältigen Problem der wirtschaftlichen Macht gesagt haben.
    Nun einiges zu der Konjunkturbetrachtung des Herrn Bundeswirtschaftsministers. Der Bundeswirtschaftsminister meinte, wir sähen die Konjunktur wohl nicht wesentlich unterschiedlich. Ich glaube, in der Sache ist das richtig. Aber, meine Damen und Herren, es kommt darauf an, welche Akzente und welche Beleuchtung man dieser Beurteilung gibt, eigentlich nicht nur um der Beleuchtung selber willen, sondern um der Konsequenzen willen, die nun einmal in bestimmten konjunkturpolitischen Situationen gezogen werden müssen.
    Ich weiß nicht, ob es ganz richtig ist zu sagen: Die Beschäftigung war noch nie so ausgezeichnet wie heute. Ich sage nicht: wir befinden uns in einer



    Dr. Deist
    Krise; das würde ich für sachlich falsch halten. Außerdem kann niemand ein Interesse daran haben, durch Krisenredereien sogar schwierigere Entwicklungen hervorzurufen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Dagegen wehren wir Sozialdemokraten uns mindestens so stark wie andere.
    Ich bin dem Herrn Bundeswirtschaftsminister dankbar dafür, daß er — offenbar zu seiner Rechtfertigung — bestätigt hat, daß die Behauptung, die Sozialdemokratie spekuliere auf die Krise, nicht von ihm stamme, weil er also offenbar eine solche Formulierung auch für falsch hält.
    Bei einer realistischen Betrachtung der augenblicklichen Situation darf man aber z. B. nicht das Phänomen der Kurzarbeit übersehen. Wir haben in weiten Bereichen der Wirtschaft Kurzarbeit. Ich erinnere auch an die Feierschichten im Kohlenbergbau, wobei ich mir persönlich völlig darüber klar bin, daß vor dem 6. Juli die Feierschichten in einem so engen Ausmaß gehalten werden, daß das bittere Ende erst nach dem 6. Juli auf uns zukommt. Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister auch für den Hinweis dankbar, daß er angesichts der Schwäche der Rohstoffländer bei aller Bedeutung der Veränderungen der wirtschaftlichen Situation auf dem Kontinent gegenüber den USA, wie ich wohl anerkenne, doch weiß, daß von dieser Entwicklung auch gewisse Auswirkungen auf uns möglich sind. Es ist doch wohl richtig, wenn man dann die augenblickliche konjunkturpolitische Situation etwas eingehender seziert. Man kommt vielleicht doch zu dem Ergebnis, daß man vor dem Betreiben einer aktiven Konjunkturpolitik nicht so viel Angst zu haben braucht wie der Bundeswirtschaftsminister, daß man also nicht auf die notwendigen konjunkturpolitischen Maßnahmen zu verzichten braucht.
    Der Herr Kollege Vogel möge entschuldigen, wenn ich in diesem Zusammenhang auf ein Zitat zurückkomme, das er vorgestern bei der allgemeinen Debatte aus den Ausführungen unseres Freundes Baade gebracht hat. Ich habe ihm im Privatgespräch bereits angekündigt, daß ich dieses Zitat nicht so ohne weiteres durchgehen lassen könne. Ich behaupte nicht, daß Herr Dr. Vogel falsch zitiert habe; aber es kommt erstens einmal darauf an, in welchem Tonfall ich ein Zitat bringe, und zweitens darauf, ob ich es indem genügenden Umfang anführe. Man kann nicht von vier gleichwertigen Gedankengängen über eine Konjunktursituation nur einen Gedankengang, der einem gerade paßt, in den Vordergrund rücken.
    Der Kollege Baade hat mit seiner Betrachtung durchaus recht. Es ist gut, das hier zu sagen. Was er sagt, ist zur Beurteilung der konjunkturpolitischen Situation durchaus wichtig. Der Kollege Baade hat darauf hingewiesen, daß es vier Quellen einer inflationären Entwicklung gibt: den Zahlungsbilanzüberschuß, das Defizit in den öffentlichen Haushalten, die Preisauftriebstendenzen und eventuell auch Lohnerhöhungen.
    Meine Damen und Herren, ich will Sie nicht mit
    einer Erörterung aller vier Möglichkeiten für eine inflationäre Entwicklung langweilen, sondern nur auf das Problem der Zahlungsbilanzüberschüsse eingehen, weil das ein Punkt ist, in dem mir die allzu optimistische Darstellung des Herrn Bundeswirtschaftsministers über die Konjunkturlage bedenklich und gefährlich erscheint. Der Bundeswirtschaftsminister hat nämlich noch im Lagebericht für den Monat Mai dargelegt, daß die beträchtlichen Zahlungsbilanzüberschüsse, die wir trotz gleichbleibender Ausfuhr haben, ein wachstumsförderndes Element seien.
    Bei 'ernsthafter Überlegung wird man diese Ansicht in keiner Weise teilen dürfen. Erstens einmal sind Zahlungsbilanzüberschüsse in jeder wirtschaftlichen Situation sehr fragwürdige wachstumsfördernde Elemente; denn kein Land kann von ihnen leben, und die Länder, die mit uns im wirtschaftlichen Verkehr stehen, können es nicht dulden, daß wir ständig Zahlungsbilanzüberschüsse haben. Die Erzielung von Zahlungsbilanzüberschüssen bedeutet bei der Methode der Einlösung der Devisen durch die Bundesnotenbank in Deutsche Mark, daß ständig mehr Kaufkraft auf den deutschen Markt zuströmt, ohne ,daß ,dem gleichzeitig eine vermehrte Warenerzeugung gegenübersteht. Die Zahlungsbilanzüberschüsse haben also per se inflatorische Wirkung; darüber kann kein Zweifel bestehen.
    Ein zweites Moment darf man auch nicht vergessen. Ich habe mir erlaubt, vor dem Bundestagswahlkampf darauf hinzuweisen, daß wir in der Öffentlichkeit als Zerstörer der Weltmarktbeziehungen hingestellt würden. Der Herr Bundeskanzler hat geglaubt, im Bundestagswahlkampf drohend seinen Finger erheben zu müssen; er meinte, so etwas dürfe man nicht sagen, denn das entspreche nicht den nationalen Interessen Deutschlands. Wir kennen diese Tour! Herr Bausch hätte in einem solchen Fall wahrscheinlich ein Verfahren wegen Landesverrats für zweckmäßiger gehalten.
    Beim internationalen Währungsfonds wurde bereits Mitte des vergangenen Jahres festgestellt, 'daß 'die monetäre Situation keinen Anlaß zu den restriktiven Maßnahmen bietet, die die Ursachen für die starken Zahlungsbilanzüberschüsse sind. In diesem Frühjahr hat man sich auf der GATT-Tagung erneut mit dem Verhalten der Bundesrepublik und ihrer Außenhandelssituation befaßt und hat verlangt, daß die Importrestriktionen bis zum Herbst stark gedrosselt werden. Es wurde erklärt, daß das GATT andernfalls den übrigen Ländern das Recht zugestehen müsse, Kampfmaßnahmen gegen die Dumpingpolitik der deutschen Wirtschaft zu ergreifen.
    Deshalb, meine Damen und Herren, sollte man mit solchen Äußerungen vorsichtig sein, daß die Zahlungsbilanzüberschüsse in der augenblicklichen Situation günstige Momente seien. Eine solche Betrachtung verschließt uns nämlich den Blick für die Notwendigkeit, unsere wirtschaftliche Binnenstruktur darauf einzurichten, daß der deutsche Markt in viel größerem Umfang als früher auf Welt-



    Dr. Deist
    marktbeziehungen angewiesen ist. Protektionistische Tendenzen auf gewissen Gebieten sind nicht zu vereinbaren mit freien Weltmarktbeziehungen auf anderen Gebieten, solange dadurch das Zahlungsbilanzgleichgewicht auf die Dauer, also strukturell, gefährdet wird.
    Zur Entwicklung des Außenhandels folgendes. Der Herr Bundeswirtschaftsminister spricht von ständig hohen Ausfuhren. Ich vergleiche einmal bestimmte Monate mit den entsprechenden Monaten des Vorjahres. In der Zeit von März bis Mai 1957 stieg der Monatsdurchschnitt unserer Ausfuhren noch um 600 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr. In der Zeit von Juni bis August sank die Steigerung der Ausfuhr auf 400 Millionen DM, von September bis November auf 300 Millionen DM und von Dezember bis Februar 1958 auf nur noch 200 Millionen DM. Im März 1958 lag die Ausfuhr um 140 Millionen DM unter der Ausfuhr des Vorjahres, im Mai 1958 um 190 Millionen DM darunter und im April etwas darüber. Im Durchschnitt liegt die Ausfuhr jedenfalls um 50 Millionen DM unter der Ausfuhr des vergangenen Jahres. Hier zeigt sich ein ständiger Rückgang unseres Ausfuhrvolumens. Das muß man sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil diese Situation, vor der wir stehen, gefährlich und bedenklich ist.
    Den nächsten Punkt wollte ich besonders herausheben im Hinblick auf die Diskussion vor drei Tagen. Was das inflatorisch wirkende Defizit des Bundeshaushalts betrifft, so möchte ich darauf hinweisen, daß nicht Herr Kollege Baade die dort zitierte Auffassung vertritt. Sie mögen meinen, er sei nur in Streifen zu genießen, weil er immerhin zur sozialdemokratischen Fraktion gehöre.

    (Heiterkeit.)

    Aber ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß in demselben Heft der „Versicherungswirtschaft", in dem Herr Baade für Sie aufgetreten ist

    (Abg. Dr. Vogel: Auch Herr Schmölders geschrieben hat!)

    — Sie wissen genau, worauf ich hinaus will, aber es wird auch die anderen Damen und Herren dieses Hauses interessieren —, Herr Professor Schmölders über die Juliusturm-Politik folgendes gesagt hat:
    Heute sind wir dabei, diese angeblichen Kassenreserven, die inzwischen aus dem Geld- und Güterkreislauf bereits endgültig wieder ausgeschieden waren, wieder aufzulösen und zur Deckung von Bundesausgaben wieder einzusetzen. Das bedeutet volkswirtschaftlich nichts anderes als Defizitfinanzierung von Staatsausgaben mit dem Mittel der Geldschöpfung, durchgeführt im Zeitpunkt nicht der Depression, sondern der Vollbeschäftigung aller Produktionskräfte. Die Gefahren, die sich aus dieser Kassen-und Haushaltsgebarung für die Währung ergeben, liegen auf der Hand.

    (Abg. Dr. Vogel: Aber am Schluß macht er wieder einen Rückzieher!)

    — Herr Kollege Vogel, Sie können nicht sagen, daß
    der Satz etwa völlig aus dem Zusammenhang herausgezogen sei, sondern Professor Schmölders hat diesen Satz sehr deutlich in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellt.
    Nun komme ich zu einem Kapitel, das auch der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht hat lassen können, weil es zu seinen Spezialkapiteln gehört. Das ist der Einfluß der Lohnerhöhung auf die Preisgestaltung und auf die Konjunktur, ein Kapitel, das eine ernsthafte Betrachtung verlangt.
    Gestatten Sie mir, daß ich dazu einiges sage, nachdem ich vorher noch zur Korrektur des Zitats des Herrn Vogel dargelegt habe, was Herr Professor Baade abschließend über die vier inflationsfördernden Elemente in der Wirtschaftspolitik gesagt hat. Das ist nämlich nicht ganz uninteressant. Er schreibt:
    In einer Volkswirtschaft, in der man die drei anderen Inflationsquellen sprudeln läßt, d. h. konkret gesprochen: in der man weiterhin Zahlungsbilanzüberschüsse über das Notenbanksystem finanziert, eine Defizitpolitik der öffentlichen Haushalte betreibt, indem man angebliche Ersparnisse in einem Juliusturm in einer Zeit aufbraucht, wo diese inflationistisch wirken muß, und indem man dem Druck von Interessentengruppen in Landwirtschaft und Industrie im Sinne von Preissteigerungen oder der Verhinderung notwendiger Preissenkungen nachgibt, in solch einem Augenblick kann ein Appell an die Einsicht der Sozialpartner insbesondere auf der Arbeitnehmerseite nur wenig Erfolg haben.
    Herr Kollege Vogel, das ist der Extrakt dessen, was Herr Kollege Baade in seinem Artikel geschrieben hat. Es zeigt sehr deutlich, daß, jedenfalls im Gegensatz zu Ihrer Darstellung, nach seiner Auffassung das Schwergewicht der inflationären Tendenzen auf den drei anderen Gebieten — Zahlungsbilanzüberschüsse, Kassendefizit und preissteigernde Politik der Bundesregierung — liegt und nicht auf dem Gebiet der Lohnpolitik.
    Aber wie haben sich eigentlich die Löhne wirklich entwickelt? In der Zeit von 1949 bis 1957 sind die nominellen Bruttostundenverdienste um 78 % gestiegen, das Produktionsergebnis je Arbeiterstunde stieg in der Industrie um 72 %. Zu konzedieren ist, daß die nominellen Löhne etwas über der Entwicklung der realen Erhöhung des Sozialprodukts liegen. Die reale Lohnerhöhung lag bei 63 %, also unter der Ausweitung der Industrieerzeugung. Hinter dieser realen Erweiterung des Wirtschaftsvolumens aus der Industrie ist die Lohnerhöhung zurückgeblieben. Viel interessanter jedoch ist, daß es sich dabei nicht etwa um einen Trend handelt. Vielmehr hinkte die Lohnentwicklung in den Jahren 1949 bis 1951 und 1953 bis Mitte 1955 hinter der übrigen wirtschaftlichen Entwicklung her, während es in den Zwischenräumen möglich war, etwas nachzuholen.
    Nun komme ich auf das zurück, was ich vorhin sagte, daß wir eine Periode der konjunkturellen Entwicklung erreicht haben, die eine ganz andere Betrachtungsweise verlangt. In der Sitzung des Bundestages vom 5. November 1957 — das ist nunmehr acht Monate her — hatte ich mir erlaubt, folgendes auszuführen:



    Dr. Deist
    . . . hier liegt die wirkliche konjunkturpolitische Gefahr ... Es kommt entscheidend darauf an, ob die zukünftige Konjunkturentwicklung — da sie sich nicht mehr auf die Investitionsgüterindustrie stützen kann — nunmehr durch einen steigenden Verbrauch getragen wird. Die Gefahr liegt eher darin, daß wir einen zu niedrigen Verbrauch, zu niedrige Masseneinkommen haben, als daß wir einen zu hohen Verbrauch haben.
    Das, meine Damen und Herren, hatte ich mir im November vorigen Jahres erlaubt zu sagen, und ich glaube, heute kann eigentlich bei ruhiger Betrachtung der Konjunkturlage kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß wir bei diesem inflationären Trend, den wir seit etwa 1953 in der Wirtschaft haben, bei dieser langsamen, schleichenden Entwertung der D-Mark, bei diesen inflationistischen Tendenzen auf der Lohn- und Preisseite, wo sich nunmehr alles gegenseitig treibt, zu einem Ergebnis gekommen sind, bei dem es zweifelhaft erscheint, wie aus dieser Entwicklung wieder Ansatzpunkte für einen wirtschaftlichen Aufschwung gewonnen werden können. Denn diese kontinuierliche inflationäre Entwicklung muß auch bei geringem Ausmaß zunächst zu Ungleichgewichten führen. In diesem Stadium sind wir heute, und auf die Dauer besteht die Gefahr, daß das wirkliche Wachstum der Wirtschaft gefährdet wird.
    Ich sage das mit der genügenden Vorsicht, weil ich nicht meine, daß man hier ein Krisengerede anstimmen sollte. Aber man muß die Fakten sehen, und dazu möchte ich nun drei Beispiele nennen, die mir wichtig erscheinen.
    Einmal der berühmte Kampf um die Metallarbeiterlöhne in Nordrhein-Westfalen: letzte Lohnerhöhung im Frühjahr 1958, vorherige Lohnerhöhung am 1. Oktober 1956, Zeitraum: 1/2, Jahre. In diesen 11/2 Jahren ist der Lohn durch den Tarifvertrag im Schnitt um 51/2 % erhöht worden, während die Lebenshaltungskosten nach den statistischen Ausweisen um 6 % gestiegen sind. In diesem einen Beispiel jedenfalls haben die Lohnerhöhungen nicht mehr ausgereicht, um die zwischenzeitliche Steigerung der Lebenshaltungskosten und damit des Preisniveaus wettzumachen.
    Aber nun eine zweite Feststellung. Die gesamten in Deutschland gezahlten Netto-Löhne und -Gehälter lagen im ersten Quartal 1958 nach den Feststellungen der Bundesbank nominell um 5 % über den im ersten Quartal 1957 gezahlten Löhnen: nominelle Erhöhung der Kaufkraft um 5 %. Die Steigerung der Lebenshaltungskosten in dieser Zeit betrug 41/2 %. Angesichts der gesamten Lohn- und Gehaltsentwicklung in der ganzen Bundesrepublik bedeutet das also eine reale Kaufkraftsteigerung von nur 1/2 %. Wenn Sie jetzt außerdem daran denken, wie stark der Sparprozeß zugenommen hat, dann wird Ihnen eindeutig klar werden, daß in diesem Jahre eine Ausweitung der wirksamen realen ,Kaufkraft .einfach nicht mehr stattgefunden hat. Das ist ein ernsthaftes Symptom, das wir beachten müssen.
    Das letzte Bulletin, das die Bundesregierung herausgegeben hat, stellt denn auch bei der Untersuchung der Lohnsituation ganz eindeutig klar, daß die Bruttowochenverdienste in der Industrie einschließlich der Abzüge für Arbeitszeitverkürzung usw. — also das, was als Kaufkraft dazukommt — vom November 1957 bis zum Februar 1958 nicht mehr gestiegen, sondern leicht zurückgegangen sind. Das ist immerhin eine statistische Feststellung im Bulletin.
    Dann eine dritte Feststellung, die zu einer sachlichen Beurteilung notwendig ist: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hat festgestellt, daß im ersten Quartal 1953 gegenüber dem ersten Quartal 1957 die Preise für die importierten Güter der gesamten deutschen Wirtschaft um 500 Millionen DM gestiegen sind, daß im Gegensatz dazu die Preise für die gelieferten Waren und die zur Verfügung gestellten Dienstleistungen um 1,6 Milliarden DM gestiegen sind, d. h. eine Steigerung insgesamt von 2,1 Milliarden DM — Preiserhöhung der Wertschöpfung, sagt das Institut —, die weit über die Kostensteigerungen durch Lohnerhöhungen hinausgeht. So die Feststellung dieses Institutes!
    Dann ist es furchtbar uninteressant, ob auf bestimmten Sektoren, z. B. bei den Dienstleistungen, das Gewicht der Löhne so groß ist, daß hier Preissteigerungen notwendig sind. Entscheidend ist, daß auf den Gebieten, wo diese Notwendigkeit nicht besteht, wo im Gegenteil durch den wirtschaftlichen Fortschritt Kostensenkungen eintreten, auch die entsprechenden Preissenkungen erfolgen. Niemand verlangt, daß auf jedem Gebiet, bei jedem Preis das Niveau festgehalten werde. Das ist in einer lebendigen Wirtschaft nicht möglich, und gerade bei den Dienstleistungsbetrieben werden wir häufiger einmal für Lohnerhöhungen auch Preiserhöhungen brauchen. Wesentlich ist, daß das gesamte Preisniveau gehalten wird. Aus dieser Ubersicht ergibt sich aber haargenau, daß das bei der augenblicklichen Situation durchaus möglich ist.
    Aber die Entwicklung von Löhnen und Preisen ist eben so — wenn ich versuche, es einmal nach großen Vorbildern primitiv auszudrücken —: Wirtschaftlicher Aufschwung bedeutet doch, daß mehr produziert wird als in vorhergehenden Perioden. Das heißt auch, daß mehr gekauft werden kann, und wenn sich die reale Kaufkraft nicht im Verhältnis zu den produzierten Gütern steigert, dann besteht die Gefahr eines Rückschlages. Nun tut es mir sehr leid, den Herrn Bundeswirtschaftsminister da etwas korrigieren zu müssen. Es ist richtig, daß in den ersten Monaten, global gesehen, auch die Industrieerzeugung noch über der Industrieerzeugung des vergangenen Jahres lag. Aber sie ist seit dem Januar gegenüber dem Vorjahresergebnis ständig zurückgegangen, und im Mai dieses Jahres haben wir zum erstenmal festzustellen, daß die industrielle Produktion Westdeutschlands unter dem Niveau des vergangenen Jahres liegt, und das insbesondere auf dem Gebiet der Konsumgütererzeugung. Das ist ein indirekter Beweis für meine Be-



    Dr. Deist
    hauptung, daß die Steigerung der Kaufkraft eben nicht mehr ausreicht, um das Niveau der Erzeugung in diesen Massenbedarfsartikeln weiter zu steigern oder nur aufrechtzuerhalten.
    Es ist auch nicht richtig, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister meint, darin sei nur eine Verlagerung von Massengütern zu gehobenen Bedarfsgütern zu sehen. Das verschärft zwar die Situation; aber der innere Grund für diese konjunkturelle Situation ist, daß die Kaufkraft nicht mehr ausreichend steigt und infolgedessen keine Ansatzpunkte und Akzente mehr für wirtschaftlichen Aufschwung vorhanden sind. Da kann man nicht mehr, wie es der Herr Bundeswirtschaftsminister in seinem Mai-Bericht getan hat, von einem „ausgeglichenen Gesamtbild bei ruhiger Fortentwicklung auf dem erreichten hohen Stand" sprechen, sondern die Sachlage ist so: Der inflationäre Trend hat dazu geführt, daß die Lohnerhöhungen nicht mehr ausreichen, die Preiserhöhungen wettzumachen, und daß wir keine steigende Kaufkraft mehr haben. Und was viel schwieriger und tragischer ist: Bei der augenblicklichen Machtverteilung auf dem Arbeitsmarkt bei rückläufiger Konjunktur erscheint es auch nicht möglich, durch Lohnkämpfe eine stärkere Erhöhung der Kaufkraft durchzuführen, wobei ich ganz offenlasse, ob in diesem Stadium der steigenden inflationären Entwicklung nicht auch Preissteigerungen durch eine neue Lohnsteigerung verursacht würden.
    Die meinem Empfinden nach einzige Möglichkeit, in dieser Situation wieder Ansatzpunkte für eine Aufwärtsentwicklung zu bekommen, ist, die Preisstarrheit auf dem deutschen Markt aufzuheben. Diese Preisstarrheit hängt entscheidend mit dem zusammen, was mein Kollege Kurlbaum über die Macht der Konzentration und über die Vermachtung der Gesamtwirtschaft gesagt hat. Es geht doch wohl etwas zu weit, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister, weil hie und da, z. B. hier in Bonn, einige Preise unterboten werden, meinte sagen zu sollen, jetzt beginne die Starre nachzulassen und das Preisniveau einzubrechen. So ist die Situation leider nicht. Ich weiß auch nicht, ob ein ungeregelter Zusammenbruch von Preisen wirklich eine günstige Ausgangsposition für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung ist oder ob man nicht andere Methoden anwenden muß, um Ansatzpunkte für eine Wiedererhöhung der Konjunktur zu finden.
    Entscheidend kommt es darauf an — insoweit stimme ich mit dem Bundeswirtschaftsminister überein —, Ansatzpunkte für eine Steigerung der Mengenkonjunktur zu schaffen, Ansatzpunkte für Auslösung einer Mengenkonjunktur. Denn die Wirtschaft muß in diesem Zirkel, in dem sie sich befindet, der Verlangsamung im Zuwachs der nominellen Einkommen durch Preisanpassung Rechnung tragen. Da aber wundert mich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister zu diesem Problem, zu der Frage, was von der Bundesregierung getan werden könne, nicht ein einziges Wort gesagt hat. Auch dem Wunsche meines Kollegen Kurlbaum, doch im Sinne einer psychologischen Kriegführung einmal zu sagen, was die Bundesregierung tun wird, wenn stärkere Einbrüche erfolgen, hat er nicht entsprochen. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß man in Amerika dieses Rezept befolgt. Pläne zur Steigerung der Wirtschaft anzukündigen und vorzubereiten, ist dort ein wichtiges Mittel der Konjunkturpolitik. Der Bundeswirtschaftsminister hat — ich glaube, in Dortmund war es — einmal laut ausgerufen: „Ich habe einen Plan." Ich meine: wenn er einen hat, irgendwo in einer Schublade, würde er der Öffentlichkeit einen Dienst erweisen, wenn er von diesem Plan gelegentlich einmal auch Gebrauch machte.
    Aber wenn man will, daß über eine Senkung oder wenigstens ein Festhalten des Preisniveaus, eine Verhinderung weiterer Preissteigerung dafür Sorge getragen wird, daß nominell steigende Löhne auch wirklich zusätzliche reale Kaufkraft darstellen, dann muß man ernsthaft etwas gegen diese Preisstarrheit tun, und dann genügen Deklamationen, wie sie der Herr Bundeswirtschaftsminister übt, und seine berühmte Seelenmassage eben leider in keiner Weise mehr. Vielmehr gehört dazu vor allen Dingen u. a. eine Kartellpolitik, die diesen Namen verdient. Wir bedauern sehr, daß die Bundesregierung von diesen Maßnahmen bisher so gut wie keinen Gebrauch gemacht hat, so daß wir ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Kartellgesetzes noch nicht einmal eine funktionsfähige Kartellbehörde haben. Und die Bundesregierung muß, wenn sie die Mengenkonjunktur einleiten will und wenn sie weiß, was Preiserhöhungen in solcher Situation bedeuten, sich entscheiden und dafür sorgen, daß die von ihr beeinflußten Preise, wie Mieten und Milchpreise, nicht weiterhin steigen, sondern zum mindesten auf ihrem Niveau gehalten werden. Dann muß sie von ihrer defizitären Finanzpolitik abgehen. Nur so läßt sich das Wort des Bundeswirtschaftsministers wirklich realisieren, daß den Ausgangspunkt für eine bessere Entwicklung nur eine Mengenkonjunktur bieten kann.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Sinne wünschen wir von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister wirtschaftspolitische Aktivität. Wir bedauern es sehr, daß seine Angst vor Aktivität, soweit es um das politische Handeln geht — sonst ist er fürchterlich aktiv —, ihn einfach davon abhält, auch nur die einfachste aktive wirtschaftspolitische Maßnahme zu ergreifen; wobei ich dahingestellt lasse, wieweit Mitglieder dieser Bundesregierung im Hinblick auf die hinter ihr stehenden Kräfte — das ist ja ein Stück Verfilzung von wirtschaftlicher und politischer Macht — überhaupt in der Lage wären, Maßnahmen zu ergreifen, die notwendigerweise in den Interessenbereich bestimmter Gruppen eingreifen müssen. Aber ich möchte ganz deutlich sagen, meine Damen und Herren: Die entscheidende Krisengefahr sehen wir heute nicht in der wirtschaftlichen Lage, sondern in der Untätigkeit der Bundesregierung.
    Wenn aber die Dinge so liegen, dann sollten die Bundesregierung und der Herr Bundeswirtschaftsminister es sich nicht so leicht machen und die Verantwortung für diese Wirtschaftsentwicklung, die uns unter Umständen vor schwere Probleme stellen



    Dr. Deist
    kann, den breiten Schichten der Arbeitnehmer aufladen wollen, die heute schon nicht mehr in der Lage sind, durch Lohnerhöhungen die Folgen der Geldentwertung auszugleichen.

    (Zuruf von der Mitte: Oh!)

    — Ich hätte gedacht, Sie würden, nachdem ich Ihnen die zahlenmäßigen Beispiele genannt habe, wenigstens von Urlauten als Argumenten absehen. Ich nehme an, daß der Herr Kollege Hellwig etwas mehr als diese Urlaute zu dieser Auseinandersetzung beitragen kann.
    Meine Damen und Herren, es ist nicht fair, für ein Versagen und Verschulden der Bundesregierung und ihrer Politik die breiten Verbraucherschichten in Deutschland verantwortlich zu machen.

    (Beifall bei der SPD.)