Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich am Schluß dieser Debatte auf einige Bemerkungen gegenüber dem letzten Sprecher der CDU, dem Herrn Innenminister Schröder, beschränken. Denn das scheint auch wieder eine neue Methode zu sein, daß die Regierungsmitglieder sich überhaupt nur als Sprecher der Fraktion der CDU/CSU fühlen.
Auch das ist ein gewisser Aufschluß über die Vorstellungen parlamentarischen Lebens, die sich in dieser Mehrheit immer mehr ausbreiten.
Der Herr Minister Schröder hat hier beklagt, daß aller Voraussicht nach die so wichtigen Landtagswahlen zu sehr unter den Einfluß bundespolitischer Fragen kommen. Herr Minister Schröder, wenn Sie
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1507
Ollenhauer
mit Herrn Adenauer über seine Schroth-ScharleyUnwahrheit sprechen, dann fragen Sie ihn einmal, ob es nicht stimmt, daß er am Tage nach der Wahl vom 15. September erklärt hat: „Nun aber los! Jetzt geht es um Nordrhein-Westfalen!" Das ist doch von vornherein Ihr Ziel gewesen.
— Ich polemisiere doch nicht dagegen. Sie sollen sich nur nicht künstlich aufregen und nicht so tun, als ob das die Schuld der SPD sei.
Das ist Ihre Politik, und Sie sollen wenigstens den Mut haben, dafür auch hier die Verantwortung zu übernehmen. Wenigstens das können wir doch von Ihnen verlangen.
Sie tun immer so, als wenn Sie von hoher Warte all diese Probleme behandeln müßten, und Sie argumentieren so, als wenn Ihr Standpunkt der verfassungsrechtlich richtige Standpunkt wäre. Das ist gar nicht wahr. Sie behaupten, Ihre Auffassung als Regierung und als Mehrheit sei die verfassungsrechtlich einzig richtige. Sie müssen schon gestatten, daß wir nicht bereit sind, diesen Trugschluß und diese Irreführung mitzumachen.
Wenn hier der Minister des Innern, der zum Schutz der Verfassung da ist, der Oppositionspartei und einer Partei wie der Sozialdemokratie vorwirft, sie demontiere das Grundgesetz, dann muß der Minister andere und stichhaltige Beweise für eine solche unglaubliche Verleumdung vorbringen.
Was ist denn der Kern des Streits? Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat legal, ordentlich den Antrag gestellt: Wir wünschen ein Gesetz über eine Volksbefragung über die atomare Ausrüstung. Das ist der ganze Inhalt. Woher nehmen Sie, Herr Verfassungsminister, das Recht, zu behaupten — so haben Sie entschieden —, dieser Antrag, dieser Gesetzentwurf sei eine Demontage der Verfassung? Das ist Ihre Meinung und vielleicht die Meinung der Mehrheit, das hat aber überhaupt nichts mit der Frage zu tun, ob dieser Entwurf im Rahmen der Verfassung möglich ist oder nicht.
Sie können doch auch nicht bestreiten, meine Damen und Herren, daß die andere Seite in dieser Debatte mindestens dieselben starken Argumente für die Verfassungsmäßigkeit dieses Entwurfs vorgebracht hat. Sie haben nicht das Recht, Herr Minister, aus Ihrem Amt eine solche Anmaßung herzuleiten und solche Unterstellungen zu machen, wie Sie es hier getan haben.
Die Frage, ob die Volksbefragung mit dem Grundgesetz vereinbar ist oder nicht, wird hier nicht
durch Mehrheit entschieden, sondern durch andere Stellen.
Ein letztes Wort, meine Damen und Herren! Es war ein sehr aufschlußreiches Wort des Herrn Bundesinnenministers, als er noch einmal die Worte meines Freundes Carlo Schmid hier zitierte: „Unruhe ist die erste Bürgerpflicht." Was hat der Herr Bundesminister getan? Er hat gesagt: Es ist Ihre Unverantwortlichkeit, daß Sie die Aufgabe, Unruhe ins Volk zu tragen, als Ihr Anliegen betrachten. Das zeigt mir doch, daß der Herr Bundesinnenminister und anscheinend auch sehr viele von Ihnen, die ihm Beifall geklatscht haben, von der wirklichen Situation in unserem Volke in dieser Frage meilenweit entfernt sind.
Es handelt sich nicht darum, daß die sozialdemokratische Opposition Unruhe ins Volk trägt.
— Ich will Ihnen etwas sagen: Ob es Ihnen paßt oder nicht, Hamburg und Berlin bleiben nicht die einzigen sichtbaren Kundgebungen für die Unruhe im Volk, die da ist.
— Ich weiß, das geht ans Magere, es soll Ihnen auch ans Magere gehen. Warum? Weil bei den Menschen die Unruhe da ist: Welche Konsequenzen hat Ihr Beschluß vom 25. März für Leben, Sicherheit und Gesundheit
nicht nur derer, die hier leben, sondern auch derer, die morgen und übermorgen als unsere Nachkommen in die Welt gehen werden mit der Hoffnung auf ein glückliches Leben? Das alles ist in Gefahr, und es wäre traurig um unser Volk, wenn eine solche Aussicht nicht bei ihnen eine wirklich tiefe Unruhe auslösen würde.
Glücklicherweise ist diese Unruhe da, und Sie können sie auch nicht durch solche Debatten und Erklärungen wie die des Bundesinnenministers aus der Welt schaffen. Was wir wünschten — —
— Ich verstehe das völlig! Diese Bemerkung war so aus Ihrem Geist und aus Ihrem Maß, daß ich das völlig verstehe.
Ich kann nur noch einmal das unterstreichen, was mein Freund Adolf Arndt über die inneren Beweggründe der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nach der Debatte und Entscheidung vom 25. März gesagt hat, und Sie auf die Möglichkeit hinweisen, daß man in einer solchen schicksalsschwe-
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ren Situation auch anders denken kann als nur in den machtpolitischen Vorstellungen der CDU und daß man den Versuch unternehmen sollte, hier wirklich eine gemeinsame Politik, eine andere Konstellation zu finden.
Das ist der Punkt, und ich nehme es Ihnen nicht übel, daß Sie es auch heute nicht zugeben. Aber, meine Damen und Herren, ich sage Ihnen eines: Wenn Sie hier die Volksbefragung ablehnen unter dem Vorwand, sie sei verlassungsrechtlich unzulässig, — die Frage, die hier aufgeworfen ist, die werden Sie nicht wieder los.
Sie haben mit Ihrer Mehrheit die Verantwortung, und wir werden alles das, was an Unruhe in unserem Volke ist, hier immer wieder zum Ausdruck bringen, weil wir dazu da sind, das deutlich zu machen, was Millionen Menschen jenseits aller Parteigrenzen bewegt.
Wir haben hier um unsere Vorlage gekämpft. Sie haben die Entscheidung. Aber denken Sie nicht, daß es bei uns so ist, daß wir erst noch eine Woche zur Überlegung brauchten, ob wir es wirklich so ernst gemeint haben, eine Woche, in der wir vielleicht noch zur Besinnung kämen, wie es gestern — ich glaube, es war Herr Dr. Jaeger — gesagt worden ist.
Tun Sie, was Sie für richtig halten. Für uns geht die Auseinandersetzung über die Schicksalsfrage „Atomaufrüstung oder nicht" als eine der Lebensfragen unseres Volkes weiter
mit dem Ziel, die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik dennoch zu verhindern.