Rede von
Rudolf-Ernst
Heiland
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte meine Wortmeldung schon zurückgezogen und wäre auch der Meinung gewesen, daß wir jetzt diese ernste Frage, die uns alle angeht, draußen im Gespräch mit der Bevölkerung in die Dikussion nehmen sollten.
Der Herr Minister fühlte sich berufen, zu sagen, daß Herr Dr. Arndt die gesamtdeutsche Haltung der CDU angezweifelt habe. Meine Damen und Herren, wenn die gesamtdeutsche Haltung der CDU in den letzten Tagen in Zweifel gekommen ist, dann durch Herrn Wenger vom „Rheinischen Merkur".
— Warten Sie doch ab! Ich werde sagen, daß die Partei offiziell davon abgerückt ist. Aber ich werde dem Herrn Minister auch sagen, daß Herr Wenger mit diesen Ausführungen die Grenze des Landes-und Hochverrats gestreift oder überschritten hat.
Herr Minister, es gibt Strafanträge, die Sie von Amts wegen zu stellen hätten. Sie haben ja heute hier unausgesprochen einige Drohungen in dieser Beziehung — und zwar in anderer Richtung — vom Stapel gelassen.
Dann haben Sie sich mit der Frage der Unruhe als erster Bürgerpflicht auseinandergesetzt. Ich habe manchmal das Gefühl, als ob die Menschheit und vor allen Dingen das deutsche Volk die strukturellen Veränderungen unseres Seins in den letzten hundert Jahren bewußt nicht zur Kenntnis zu nehmen bereit ist. Sie ist vor allen Dingen nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das technische Zeitalter das militärische Denken der vergangenen Jahrhunderte überholt und sinnlos gemacht hat.
— Sie leben nur nicht danach!
Vielleicht quälen Sie sich damit. — Ach, Herr Pelster, ob ich danach lebe!!
Es wurde hier auch gesagt, daß in diesen letzten Zeiten mit politischen Dingen demagogisch umgegangen würde. Nun, ich will Ihnen zum Kapitel Demokratie und Demagogie von einem Fall berichten. Es hat bei cien Bundestagswahlen einen Wahlkreis gegeben, da wurde ein gedrucktes Flugblatt Ihrer Partei verteilt, in dem nicht mehr und nicht weniger stand als dies: „Wissen Sie schon, daß unter ihrer Regierung" — gemeint war die SPD, es stand dabei — „vor 1933 7 Millionen Erwerbslose, damit Hitler und damit der zweite Weltkrieg kamen?!" Der Kandidat der CDU in diesem Wahlkreis hat bis zum 4. März 1933 dem Reichsbanner angehört. Am 13. März 1933 hat er den Kandidaten der SPD aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Was da geschehen ist, war sogar geschmacklos. Wir würden in solchen Fragen gar nicht bis in die letzten Einzelheiten aufrechnen. Aber es gehört zum guten Ton, daß der, der beim Nationalsozialismus mitgemacht
hat — wenn auch gegen bessere Überzeugung —, bei der Schuldaufrechnung sich ruhig verhält.
— Ich habe im Zuchthaus gesessen, als der Kandidat der CDU SA-Sturmbannführer wurde.
Ich wollte mich mit dem Herrn Minister und seinem Ausdruck: „Demontage durch die Hintertür" auseinandersetzen; der Herr Minister meinte doch wohl: die Demokratie durch die Hintertür demontieren.
— Also unsere demokratische Grundlage, aus der wir leben; die Verfassung ist der Ausdruck davon. Herr Minister, Sie sprachen von Demontage durch die Hintertür. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß unser gesamtes gesellschaftliches Sein sich in einem unerhörten Maße verändert hat. Sie haben vorhin einmal sehr kluge Marxsche Gedanken interpretiert; Sie haben sie offenbar gut studiert. Die von mir angedeutete Entwicklung bedingt auch, daß wir die Veränderung im gesellschaftlichen Sein der Welt zur Kenntnis nehmen. Dazu gehört auch, daß Sie zur Kenntnis nehmen, daß die Atombombe keine politischen Probleme mehr löst. Die Atombombe kann nur eines erreichen: daß das biologische Leben auf dieser Erde zu Ende ist, wenn sie angewandt wird.
— Nein, ich sage es auch an Ihre Adresse, Herr Kollege Kiesinger,
weil wir alle begreifen müssen, daß ein neues Denken auch im militärischen Raum Platz greifen muß.
Ich bin der Meinung, daß wir es an die Adresse Moskaus sehr deutlich zu sagen haben.
Sehen Sie, Herr Kiesinger, ich komme aus dem Ruhrgebiet, und ich stehe nicht erst seit heute in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus. Das ist eine Tätigkeit, die ich im politischen Raum schon von Kindesbeinen an ausgeübt habe. Die Rote Armee hatte meinen Vater bereits 1920 zum Tode verurteilt. Die Begegnung mit dem Kommunismus ist mir schon von Kindesbeinen an bekannt. Als sie meinen Vater nicht bekamen, haben sie meine Mutter verhaftet. Wenn der Kommunismus im Ruhrgebiet nach 1945 und in den späteren Zeiten keine entscheidende Rolle mehr gespielt hat, dann deswegen, weil die Sozialdemokratische Partei ihn energisch heruntergekämpft hat.
— Wird nicht bestritten, Herr Pelster!
Das deutsche Volk beschäftigt sich also mit einer Frage, die an das Sein oder Nichtsein eines jeden
1506 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
Heiland
einzelnen von uns rührt. Das sollte uns gemeinsam veranlassen, vor der Entscheidung mit jedem Staat" burger in Gespräche über diese Problematik einzutreten. Um nicht mehr und nicht weniger geht es. Wir wünschen, daß Sie gemeinsam mit uns draußen mit den Bürgern, deren Schicksal entschieden werden soll, diese Frage diskutieren.
Das kann eine wichtige Frage für eine Entscheidung sein. Herr Pelster, Sie wissen ganz genau, daß, wenn es um das Sein oder Nichtsein geht — und der Bischof Clemens Galen zu Münster ist ein leuchtendes Beispiel dafür —, wenn die Nation und ihre Grundlagen in Gefahr sind, man eventuell auch Dinge aussprechen und tun muß, die irgendwo nicht gern gehört und gesehen sind.
Der Herr Minister hat aber noch ein gefährliches wort gesagt: er habe den Eindruck, es werde in Deutschland zuviel gewählt. Wir haben in allen Parlamenten, die ich kenne, die vierjährige Legislaturperiode.
— Das ist dem Herrn Minister zuviel.
— Das hat der Herr Minister gesagt. Ich habe es wörtlich mitgeschrieben.
— Ach, hören Sie, wenn es darum geht, mit der Wahrheit sträflich umzugehen, habe ich die Sorge, Sie sind uns über.
Sie haben einen so guten Lehrmeister im Kanzler, daß wir das gar nicht schaffen können.
— Und wenn Sie noch so laut „Pfui!" schreien, so werden Sie doch nicht bestreiten können, daß die Behauptung des Kanzlers, Schroth und Scharley hätten von den Kommunisten vor der Bundestagswahl 1953 10 000 DM bekommen, nicht stimmt, unwahr ist und daß er diese Meldung, obwohl er von seinen Staatssekretären darauf aufmerksam gemacht worden war, daß sie nicht geprüft war, trotzdem gebraucht hat, weil er, wie er von diesem Pult aus sagte, den Standpunkt vertreten hat: Wenn es mir bei meinen Wählern Millionen Stimmen gebracht hat, dann bin ich froh darüber.