Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir aufrichtig leid, daß ich nun noch einmal sprechen muß. Aber Sie werden es verstehen, und ich glaube, wir sind uns einig, daß diese Sache außerordentlich wichtig ist und daher mindestens jeden Zeitaufwand verdient, wenn nicht notwendig macht. Ich will mich aber bemühen, den Hauptpunkten in ganz wenigen kurzen Strichen nachzugehen, und zu dem Stellung nehmen, was mein Vorredner vorgetragen hat.
Ich fange an mit dem Verbot der Kommunistischen Partei durch das Bundesverfassungsgericht. Es ist gesagt worden, hier habe die Möglichkeit bestanden, das Grundgesetz nicht strikt zu behandeln, weil — —
— Sie täuschen sich! Den Text kann ich Ihnen noch einmal vorlesen. — Es sei möglich gewesen, hier nicht strikt vorzugehen, weil eine Weltmacht hinter der Kommunistischen Partei in der Bundesrepublik gestanden habe und das Bundesverfassungsgericht durch das Verbot der Kommunistischen Partei Erschwerungen für die Wiedervereinigung geschaffen habe. Ich weise die Behauptung als eine ungeheuer gefährliche, in meinen Augen brunnenvergiftende Behauptung zurück.
Einerseits kennen wir die Praxis der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken durch 30 Jahre hin in diesem Punkt, was das Schicksal kommunistischer Parteien im Ausland angeht. Wer andererseits aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kennt — und ich glaube, mein Herr Vorredner kennt es oder könnte es kennen —, weiß, daß das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ausgesprochen hat, daß zu jeder Zeit, zu der gesamtdeutsche Wahlen, um die wir alle ringen, möglich werden, die Kommunistische Partei für diese Wahlen wieder zugelassen werden könnte.
Meine Damen und Herren, ich habe in diesem Hohen Hause schon einmal gesagt: Ob dann bei gesamtdeutschen Wahlen CDU, SPD und KPD oder CDU, SPD, SED und KPD kandidieren werden, das wird in der Sache sicherlich keinen Unterschied bedeuten.
Der zweite Punkt, zu dem ich Stellung nehmen möchte, ist folgender. Das, was Herr Dr. Arndt gesagt hat und was ich jetzt wiederholen werde, paßt sehr schlecht zu dem, was er über die notwendige Einigkeit in Grundfragen gesagt hat. Er hat nämlich kurz und schlicht — ich drücke mich hier jetzt etwas abgekürzt aus — das gesamtdeutsche Denken meiner politischen Freunde mehr oder weniger mit einem Fragezeichen versehen. Herr Dr. Arndt, das ist eines der schlimmsten Worte, die hier gesagt werden können, und das paßt — ich wiederhole — sehr schlecht zu dem, was Sie selbst vorher über die Notwendigkeit der Einigkeit in den Grundfragen ausgeführt haben.
Meine Damen und Herren, uns ist nach 1945 von unserem Vaterland in mancher Beziehung nicht sehr viel geblieben. Aber das Wenige, was man da 1949 in eine grundgesetzliche Ordnung fügen konnte, in einer Weise zu demontieren, wie das hier geschehen ist und wie nach meiner Meinung Ihr Weg es weiter bedeuten würde, das halte ich in der Tat für einen Verstoß gegen jenes Minimum von Einigkeit in Grundfragen, das wir uns um des ganzen Volkes willen bewahren müssen und bewahren sollten.
Der nächste Punkt, auf den ich einzugehen habe, ist die Frage eines Generalstreiks. Sie werden verstehen, daß ich zu diesem Thema jetzt nicht ausführlich Stellung nehmen kann. Ich weise aber mit Entschiedenheit den Gedanken zurück, daß in dem Falle, um den es sich hier handelt, nach dem Grundgesetz ein Generalstreik erlaubt sein könnte.
Ich habe darüber eine umfangreichere Betrachtung vorliegen. Ich verzichte mit Rücksicht auf die Kürze der Zeit darauf, sie hier zur Kenntnis zu bringen, und beschränke mich auf die Feststellung.
Ich komme zum nächsten Punkt. Das ist das, was von meinem Vorredner so gerühmt worden ist als die Meisterleistung eines seiner politischen Freunde in der Vordebatte zu dieser Debatte. Meine Damen und Herren, in dieser Meisterleistung — ich will hier gar nicht zu der gegebenen Bewertung Stellung nehmen — gibt es einen Satz, den ich für todgefährlich halte. Dort wird nämlich gesagt, „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" habe es nach Jena geheißen. — Ich lese vielleicht lieber gleich den ganzen Absatz vor; dann wird es deutlicher:
Manche liehen jenes Wort sehr, das nach der Schlacht bei Jena in den Straßen Preußens angeschlagen worden ist und das da hieß: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! Zuzeiten, meine Damen und Herren, muß es anders heißen, nämlich: Unruhe ist die erste Bürgerpflicht!
Meine Damen und Herren, wenn ein so armes und gepeinigtes Volk wie das unserige mit seit Jahrzehnten unglückseliger Geschichte, von der die
1504 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
Bundesminister Dr. Schröder
l meisten hier doch den größten Teil erlebt haben, etwas braucht, dann ist ist es nicht das Aufschrekken in eine Unruhe, sondern dann ist es der Versuch, dieses Volk so behutsam wie möglich zu behandeln.
— Wer spricht hier von Einschläfern? Hier geht es darum, daß der Nation eine Aufgabe gestellt ist, wie sie sie in dieser Größe und Schwere in ihrer ganzen Geschichte noch nicht vor sich gesehen hat, nämlich die, unter solchen Umständen, wie sie heute gegeben sind, ihre nationale Gestalt zurückzugewinnen.
Wenn Sie glauben, daß Sie da Unruhe in diesem Bereich stiften dürften, wie Sie das jetzt zu organisieren unternommen haben,
dann versündigen Sie sich an der deutschen Zukunft. Das sage ich Ihnen allen Ernstes.
Vielleicht denken Sie einmal darüber nach, ob nicht der erste Teil dessen, was oben gesagt worden ist, auch heute sehr viel richtiger wäre. Ich lese Ihnen das noch einmal vor; es ist ja einer Ihrer Freunde gewesen, und diesen ersten Teil finde ich sehr gut: „ . . . das nach der Schlacht bei Jena in den Straßen Preußens angeschlagen worden ist ...: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht".
— Ich kann nur zitieren, was hier steht, Herr Kollege Kiesinger. — Ich könnte mir denken, daß die Situation, in der die Deutschen sich heute befinden, nicht dazu geeignet ist, sie zu einer gesteigerten Unruhe aufzurufen, sondern eher dazu, ihnen zur Sammlung ihrer Kraft zu verhelfen.
Ich habe bereits gestern ausgeführt, daß ich das, was Sie vorhaben, als eine Demontage der Verfassung durch die Hintertür bezeichnen möchte. Sie haben geglaubt, Sie könnten mir eine hoffärtige Kritik Ihrer Denkkategorien vorwerfen. Meine Damen und Herren, ich würde mich mit Ihren Denkkategorien überhaupt nicht beschäftigen, wenn wir nicht die Früchte schon vor uns sähen — Hamburg und Berlin, wir haben die Zitate gehabt — und wenn wir nicht genötigt wären, dafür zu sorgen, daß sich nicht wirklich eine Welle der Radikalität entwickelt, die ja nicht nur uns treffen könnte; Sie selbst sind es, meine Damen und Herren, die das Ende dieser Radikalität ganz bestimmt nicht erleben möchten.
— Unsere Politik geht darauf aus, Herr Kollege Metzger, dafür zu sorgen — soweit wir das zu unserem kleinen deutschen Teil können daß nirgendwo in der Welt mehr Atombomben geworfen werden. Darauf geht unsere Politik aus: nirgendwo in der Welt!
Meine Damen und Herren, ich bitte, hier auch nicht den Eindruck zu erwecken, als ob wir dabei seien, wie Herr Blachstein es nannte, dem Volk den Maulkorb umzuhängen oder, wie hier gesagt wurde; das Volk für vier Jahre von seinen Meinungsäußerungen fernzuhalten. Vielleicht geben doch die meisten von Ihnen in einer stillen Stunde, die wir ja nach dieser Debatte einmal finden werden, zu, daß in Deutschland eher zu laufend und zu viel gewählt wird, daß zu viele politische Wahlentscheidungen laufend stattfinden, meistens mit denselben Themen, meistens auch noch am falschen Platz, als daß wir uns darüber beklagen könnten, das Volk habe nicht Gelegenheit genug, seine Meinung zu äußern.
Wir stehen in diesem Jahre vor einer Serie von nicht weniger als fünf Wahlen. Ich bin nicht derjenige, der es erfunden hat oder erfinden möchte, daß die Landtagswahlen unter die Gesetze der Bundespolitik gestellt werden, aber vielleicht lesen Sie, meine Damen und Herren, einmal in Ihrem Schrifttum nach, auf Ihren Plakaten nach, wie Sie seit 1951/1952 Landtagswahlen organisiert haben. Das Traurige, was dem deutschen Volk passiert, ist, daß ihm, nachdem es die falsche Thematik Ihrer Landtagswahlkämpfe, die sich mit Landespolitik überhaupt nicht beschäftigten, durchgestanden hat, nachdem es 1953 eine klare Entscheidung über die Wiederbewaffnung getroffen hat, die wir 1957, obwohl Sie sie inzwischen Jahr für Jahr in Frage zu stellen gesucht haben, wieder erkämpft haben, nun droht, daß Sie die ganze Verteidigungsfrage in neuer Auflage aufrollen. Sie wollen es gleichzeitig doppelt tun: Sie wollen es durch eine außerparlamentarische Aktion und durch Landtagswahlen. Nach meiner Meinung genügen die organisierten Landtagswahlen völlig. Ich beklage aufs tiefste, daß das zwangsläufig das Thema sein wird. Wir werden uns dem Thema stellen, und — seien Sie sicher — mit den richtigen Fragestellungen sehen wir dem Ergebnis dieser Wahlen mit großer Zuversicht entgegen.
An Sie richte ich aber den Appell: Fahren Sie nicht auf einem Weg fort, der zur innenpolitischen Demontage führt, und teilen Sie unser Vaterland nicht zum zweitenmal!