Also das verfassungspolitische Bedenken erscheint mir sehr unbegründet. Denn das Entscheidende dabei ist, ob der Bundestag so handeln kann und darf, daß er am deutschen Volk und seiner Meinung vorbeigeht. Ich halte es auch für gar nicht witzig, was Herr Jaeger hier mit dem Interview getan hat, das mein Freund Helmut
1500 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
Dr. Arndt
Schmidt der Zeitschrift „Kultur" gegeben hat. Aber wir verstehen uns darin nicht, wenn Sie legalistisch denken. Wir denken in der Kategorie des Legitimen. Herr Schmidt ist gefragt worden, ob er einen Generalstreik als legitim ansehen würde. Er hat nicht einen Generalstreik ausgerufen. Das wäre auch gar nicht seine Sache. Denn über den Generalstreik zu entscheiden ist Sache des Deutschen Gewerkschaftsbundes, das wissen wir. Er hat gesagt — etwas, was ich mit ihm sage, damit Sie es wissen, und wovon ich glaube, daß meine ganze Fraktion es sagt —, daß auch die Arbeitsniederlegung ein legitimes Mittel der Demonstration und des Ausdrucks der freien Meinung ist.
— Ach, Herr Schütz, Sie reden immer von Generalstreik. Sie haben doch so gern zu Füßen des Herrn Spaak gesessen, und das ist doch nun der Mann, der an der Spitze eines Generalstreiks einen Thronwechsel in Belgien herbeiführte!
Nein, ich halte es nicht für gut, daß wir uns hier gegenseitig Illegalität vorwerfen. Da stimme ich dem zu, was Herr Jaeger sagt: es ist nicht gut, daß man sich manches von 1933 — so wie es hier in der letzten Zeit geschehen ist — immer so unterschiebt. Also mit der Illegalität — da sollte man vorsichtig sein.
— Nein, Herr Weber; ich habe geagt: Ich muß zur Ehrenrettung des deutschen Volkes und zur Ehrenrettung der Demokratie sagen, daß nicht das deutsche Volk dem Hitler die Mehrheit gegeben hat, sondern daß es Parlamentarier gewesen sind; wobei ich gar nicht bestreite, Herr Weber, daß unter diesen Parlamentariern eine ganze Reihe gewesen sind, die es in bester Absicht gemacht haben.
Ich habe im Jahre 1946 ein Rechtsgutachten gemacht, in dem ich dargelegt habe, daß Herr Reinhold Maier — bei dem die Frage damals aufkam durch einen öffentlichen Ankläger, „Meyer gegen Maier" — in der besten Absicht dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt habe und daß ihm daraus kein Vorwurf zu machen sei. Diesen Standpunkt habe ich im Jahre 1946 in einem Rechtsgutachten eingenommen. Und ich weiß, daß es damals Frauen und Männer gegeben hat, denen das Herz blutete, als sie das glaubten tun zu müssen oder tun zu sollen. Aber es dient einfach der geschichtlichen Wahrheit, daß man sagt: es ist das Parlament gewesen, das umfiel; und es ist nicht das deutsche Volk gewesen, das umfiel.
— Ach, Herr Müller-Hermann, da irren Sie sich. Was ist denn das für eine lausige Ausdrucksweise! Daß Herr Ulbricht natürlich seine dreckigen Finger
überall hineinsteckt, um darin herumzumogeln — das geht Ihnen so und das geht uns so. Beim Südweststaat hat die KPD mit Ihnen mitgemacht.
Also das ist doch unter anständigen Demokraten kein Argument, daß der Ulbricht seine dreckigen Finger hineinsteckt und daß er versucht, sein Süppchen, sein schmutziges Süppchen da auch zu kochen. Das sollten Sie doch endlich wissen.
Ich habe gesagt — Sie unterbrechen mich mit Ihren Zwischenrufen, und ich gehe gern darauf ein —, wir wollten uns die Illegalität nicht gegenseitig vorwerfen. Aber ich kann das nicht stehenlassen, was der Herr Bundesinnenminister hier gesagt hat über die Illegalität und mit seinem, ich muß schon sagen, Trickzitat aus Schwarzenberger. Denn Schwarzenberger hat sich ja nur über das Herstellen und das Besitzen der atomaren Waffen an der uns vorgelesenen Stelle ausgelassen, aber nicht über ihre Anwendung.
— Ja, eben; die Anwendung geht nur in der Retorsion. Was aber hat man uns hier in der letzten außenpolitischen Sitzung erzählt? Da hat man gesagt, man müsse die atomaren Waffen haben, weil der mögliche Aggressor mit so überlegenen konventionellen Streitkräften angreifen könne. Ist das denn eine Retorsion, oder ist das gerade die Vorbereitung auf den atomaren Einsatz in einem Falle, wo er nicht einmal völkerrechtlich zulässig ist?
— Aber sie kommen doch um eines nicht herum: daß die Anwendung der atomaren Waffen — und darum geht es, und Herr Kiesinger hat an einer etwas versteckten Stelle seiner letzten Rede gesagt. Sie hätten sich über die Anwendung der atomaren Ausrüstung lange Gedanken gemacht; also über die Anwendung! — keine Verteidigung mehr ist, sondern Massenselbstmord eines ganzen Volkes, restlos und für alle Zeit, und daß das sowohl den Artikel 25 als auch den Artikel 26 berührt.
Wenn ich jetzt Gleiches mit Gleichem vergelten wollte, wie es der Herr Bundesinnenminister hier in seiner Erhabenheit getan hat, dann würde ich Ihnen sagen: dieser Schritt in die atomare Ausrüstung ist ein Schritt in die Illegalität.
— Aber, Herr Kiesinger, die Amerikaner haben weder den Art. 25 noch den Art. 26 in ihrer Unionsverfassung.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 28. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1501
1 Dr. Arndt
— Sie haben ihn nicht! Und dann lassen Sie doch einmal diese ewigen falschen Vergleiche mit den Amerikanern! Die führen doch zu nichts. Aber ich will darauf eingehen. Ich habe in meiner letzten Bundestagsrede gesagt, daß es uns nicht ziemt, den Amerikanern Ratschläge zu geben, und das bleibt auch heute meine Meinung. Aber da Sie immer solche falschen Vergleiche anstellen, will ich doch einmal versuchen, es Ihnen auseinanderzusetzen.
Zunächst gibt es faktische Unterschiede, die auch von sittlicher Bedeutung sind, nämlich daß die Bundesrepublik einer der kleinen Staaten und ein geteilter Staat und ein zum Teil noch besetzter Staat ist
— nein, das ist kein Zweckmäßigkeitsargument, und ich komme gleich darauf —, die Vereinigten Staaten jedoch eine Hegemonialmacht sind, bei der auch der Inhalt der Verantwortung ein anderer ist als bei uns. Aber vor allen Dingen — und das dürfen Sie doch in Ihren logistischen Interpretationen nicht übersehen — handelt es sich bei uns darum, ob wir die atomare Ausrüstung, die wir noch nicht haben, erstmals in die Hand nehmen, während es sich bei den Amerikanern darum handelt, daß sie die atomare Ausrüstung haben, daß sie dazu gekommen sind, wie man zu ihren Gunsten annehmen darf, ohne zu wissen, was das ist. Den Amerikanern stellt sich nach meiner laienhaften Meinung — ich bin nicht befugt, den Amerikanern Ratschläge zu geben — die sittliche Frage heute so, daß sie die atomare Ausrüstung weder behalten noch sich ihrer ohne weiteres entledigen dürfen und können, wobei Sie nicht vergessen dürfen, daß die Amerikaner auch tatsächlich gar nicht in der Lage sind, diese irrevisible Entscheidung zu widerrufen. Denn selbst wenn die Amerikaner auch den letzten atomaren Sprengkörper an der tiefsten Stelle des Pazifischen Ozeans versenken sollten, blieben sie atomare Macht. Wer einmal gewußt hat, wie man atomare Sprengkörper herstellt, und wer unter den Seinen Herrn Teller und Herrn Oppenheimer hat und sie nicht ermordet, der bleibt potentiell Atommacht. Das ist der furchtbare Schatten, der auf den Amerikanern liegt.
Für die Amerikaner ist die sittliche Entscheidung also eine völlig andere, weil sie die atomare Ausrüstung haben und weil sie sie weder behalten dürfen noch ohne weiteres ablegen können, zumal sie die Verantwortung auch für den Anfang besitzen und dafür, daß die atomare Waffe in der Welt ist, auch bei den Russen in der Welt ist. Das ist eine amerikanische Mitverantwortung, daß sie sich in der Welt ausgebreitet hat. Sie haben sie zuerst entwickelt und sogar geworfen. Sie, Herr Kiesinger, haben neulich gesagt, die Amerikaner hätten niemals von der atomaren Sprengkraft Gebrauch gemacht. Sie haben auf Hiroschima und auf Nagasaki geworfen; vergessen Sie das nicht! Aber mir liegt es fern, hier etwa pharisäerhaft den Amerikanern
irgendeinen Vorwurf zu machen; denn wir alle wissen, wie es gekommen ist. Wir alle wissen, daß ein Mann von der Unantastbarkeit eines Albert Einstein gesagt hat: Ihr müßt es, weil ihr sonst zu befürchten habt, daß Hitler es tut.
Also die Amerikaner wußten nicht, was sie damit anrichteten. Es liegt mir fern, ihnen einen Vorwurf zu machen. Aber die sittliche Frage dessen, der sie nun hat und der sich nicht mehr gewissermaßen unschuldig machen kann, der sie also weder aus der Hand legen darf noch behalten darf, ist eine völlig andere als die unsrige. Er kann nur auf einem dritten Wege heraus, indem er wirklich politisch und rechtlich und sittlich das Menschenmögliche tut, um das, was hier an Teufelswerk in die Welt gekommen ist, zu bändigen, zu entschärfen, ihm das Verhängnisvolle zu nehmen.
Aber unsere Lage ist doch nicht die der Amerikaner, und darum ist es, entschuldigen Sie, nicht redlich, wenn Sie dauernd sagen: Was den Amerikanern erlaubt ist, muß uns auch erlaubt sein. Denn wir haben die Atomwaffen noch nicht, wir sind in dem Stand, daß wir die Hand nach der atomaren Ausrüstung nicht auszustrecken brauchen.
Die Amerikaner sind das nicht mehr, das ist der Unterschied, und darum geht es in Deutschland.