Das beantworte ich Ihnen sehr gern. Ich würde eine solche Befragung für ein sehr wichtiges Politikum halten. Ich komme gleich noch darauf, was es bedeutet. Das bedeutet sehr viel, wenn sich das Volk äußert. Meine Wähler haben bisher jedenfalls von mir immer gewußt und wissen es auch von der Sozialdemokratischen Partei, daß zu einer ihrer grundsätzlichen Forderungen die Abschaffung der Todesstrafe gehört.
— Ach, Sie sehen immer alles nur unter dem Gesichtspunkt des Wahlkampf-Gewinnens oder Wahlkampf-nicht-Gewinnens. Das ist doch gar nicht das Entscheidende.
Selbstverständlich muß der Abgeordnete, wenn es eine Volksbefragung über die Todesstrafe gäbe — das ist übrigens eine hochinteressante Gedankenverbindung, daß Sie, Herr Ehren und Herr Jaeger und andere, immer die atomare Ausrüstung für so eine Art Todesstrafe zu halten scheinen —,
ein großes politisches und moralisches Gewicht darauf legen.
Aber lesen Sie doch nach, was Carlo Schmid — ich kann es nur nochmals wiederholen — in geradezu meisterlicher Weise in der kurzen Geschäftsordnungsdebatte gesagt hat: Das Ergebnis einer Volksbefragung ist moralisch bedeutsam und ist politisch bedeutsam, und es darf ein verantwortliches Parlament nicht ohne weiteres daran vorbeigehen. Aber es enthebt auch die Volksbefragung das Parlament dann nicht von seiner letzten Verantwortung, die es hat. — Keiner von uns wünscht das. Wenn Sie etwa glauben, das sei der Hintergrund der Sache, dann irren Sie sich gewaltig.
Aber es ist etwas völlig anderes, wenn ich, wie Sie das meinen, sage: Ach Gott, ich habe ja hier eine Blankovollmacht; jetzt kann ich hier vier Jahre lang schalten und walten, wie ich will;
1498 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
Dr. Arndt
ich ordne die atomare Ausrüstung an,
oder ob ich das Ideal der Selbstbestimmung eines mündigen Volkes zu verwirklichen suche und auf das Volk horche. Keine Befragung kann so zuverlässig sein wie eine vom Bundestag angeordnete gesetzliche. Daß Sie selber sich und dem Bundestag dieses Recht nehmen wollen, daß Sie sagen: Der Bundestag darf das gar nicht, das ist im Grunde ein Griff nach Urrechten eines Parlaments, nämlich nach seinem Untersuchungs- und Ermittlungsrecht. Aber hier wird eben obrigkeitsstaatlich gedacht, obrigkeitsstaatlich in der Weise, daß der Bundestag eine Obrigkeit sei und die anderen sich zu fügen hätten.
Ich bin nicht der Meinung — ich unterscheide mich da etwas von meinem Kollegen Greve —, daß der Staat alles darf, was ihm nicht ausdrücklich verboten ist. Ich bin vielmehr durchaus der Meinung, daß Staatsgewalt in ihrer Ausübung voraussetzt, daß sie sich aus dem Grundgesetz, aus der Verfassung legitimiert. Aber diesen Fall halte ich bei unseren Zuständigkeiten für gegeben.
Es gibt eben in der Sozialdemokratischen Partei manchmal verschiedene Meinungen. Meine Damen und Herren, Sie zerbrechen sich durch irrige Interpretationen der Ausführungen meines Feundes Heinemann den Kopf, ob es denn nun hinsichtlich der Amerikaner zwischen Heinemann und Erler Unterschiede gibt. Ich glaube es weniger. Aber wenn ich es einmal unterstelle, so sind wir in der Lage, diese Unterscheidungen auszuhalten — meine Fraktion hat kürzlich erst Herrn Heinemann fast einstimmig zum Delegierten auch des Parteitages berufen —, weil nämlich bei uns die Gewissensgrenze und die Parteilinie nicht wie mit dem Lineal gezogen laufen, wie man das bei einigen der letzten Abstimmungen gesehen hat.
Lassen Sie mich auf einen sehr wichtigen Punkt kommen. Die Gefahr, vor der wir stehen, ist ein Auseinanderklaffen der Bundestagsmehrheit und einer weiten, großen Volksmeinung. Das ist eine für die Demokratie tödliche Gefahr.
— Nun, Sie werden es sehen. Sie wissen doch selbst, Herr Kiesinger, wie es mit der Stimmung und der Meinung draußen ist; denn Sie würden sonst die Volksbefragung nicht so fürchten, wie Sie es tun.
Dann werden uns, wie meinem Freunde Blachstein eben von dem Herrn Bundesinnenminister, immer solche ausgesprochen legalistische Einwände gebracht, die auf den Kern der Dinge überhaupt nicht kommen. Dann wird uns „Verfassungszweideutigkeit", „Verfassungsuntreue", und ich weiß nicht was, vorgeworfen. Ich komme noch darauf, warum wir Sozialdemokraten glauben, daß wir solche Vorwürfe aushalten können und daß sie uns nicht im geringsten treffen, auch wenn gerade Herr Schröder glaubt sie aussprechen zu können.
Nur, Herr Schröder, das eine will ich Ihnen zu den Ausführungen des Kollegen Blachstein sagen. Sie haben gemeint, beim Verbot der SRP und der Kommunisten sollten etwa verschiedene Maßstäbe nach rechts und links angewandt werden. Sie haben weiter gefragt, ob wir denn Verfassungszweideutigkeit wollten oder ob wir einen Naturschutzpark für Kommunisten wollten. Nun, wir haben sehr wenig Sympathie für die Kommunisten und sind nicht bereit, ihnen einen Naturschutzpark zur Verfügung zu stellen.
— Ihnen ist das neu? Dann gratuliere ich Ihnen! (Heiterkeit bei der SPD.)
Es geht doch darum, daß die Entscheidung, ob das Verbot einer Partei zu beantragen ist, keine legalistische ist, sondern es im rechtlichen Ermessen einer pflichtmäßig handelnden Bundesregierung steht, ob sie etwas politisch Sinnvolles tut. Bei den Kommunisten war es so, daß wir, und zwar gerade wir Sozialdemokraten — aber Sie haben auch mitgeholfen, das will ich Ihnen gar nicht bestreiten —, jedenfalls daß es uns, allen Demokraten, gelungen ist, den letzten Kommunisten aus dem Bundestag herauswählen zu lassen und die Kommunisten auch aus fast allen Parlamenten der Länder herauswählen zu lassen. Da war keine Gefahr. Aber es geht bei der Abwägung der sinnvollen Gründe, ob man eine kommunistische Partei verbieten soll, auch darum, daß hinter dieser Partei eine Weltmacht steht, mit der wir verhandeln wollen, um die Wiedervereinigung zu erreichen.
— Ja, Sie wollen nicht verhandeln. Sie wollen anscheinend das, was Herr Wenger denkt.
Es geht darum, daß gesamtdeutsche Wahlen, ohne daß auch die Kommunistische Partei dabei kandidiert — Herr Kiesinger, das werden Sie mir zugeben —, nicht zu erreichen sind, daß Sie also auch in Karlsruhe eines der Schlösser vorgelegt haben vor die gesamtdeutschen Wahlen, und ich glaube nicht, daß eine Bundesregierung dazu legitimiert ist, wenn das ganze deutsche Volk nach der Präambel und nach Art. 146 des Grundgesetzes aufgefordert bleibt, in freien Wahlen sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1499
Dr. Arndt
Im übrigen kann ich mich nicht mit allem auseinandersetzen, was hier gesagt worden ist, bis auf ein Letztes.
— Bitte, Herr Kiesinger.