Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf sagen: Es gilt hier in aller Deutlichkeit herauszustellen, daß die Frage der Ausstattung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen — wobei sowieso nur amerikanische Produktion in Betracht käme — überhaupt nicht zur Debatte steht.
Das ist die eine Erklärung.
Die andere Erklärung, die der Kanzler selber abgegeben hat, in derselben Sitzung, lautet folgendermaßen:
Noch ein Wort zu der Frage der atomaren Aufrüstung der Bundeswehr. Wenn man das hört, sollte man glauben, morgen oder übermorgen werde unsere ganze Bundeswehr mit Atomwaffen bis dorthinaus bewaffnet. Keine Silbe ist von einer solchen Vorstellung richtig.
Die Frage ist überhaupt noch nicht spruchreif;
sie hat sich noch gar nicht gestellt.
Und dann heißt es:
Ich wiederhole und sage das auch der deutschen Öffentlichkeit: Die Frage, ob wir Atomwaffen bekommen werden oder ob wir sie nicht bekommen werden, ist noch gar nicht spruchreif.
— Ich komme darauf, Herr Kiesinger, verlassen Sie sich darauf!
Dann kam der Wahlkampf, der ja auf Grund dieser Regierungserklärungen geführt wurde, ein Wahlkampf, der, jedenfalls von der Unionspartei, geführt worden ist nach dem Satz: Je weniger wir sagen, um so mehr haben wir — vermeintlich — freie Hand. Man hat alles mögliche gesagt, was nicht zur Sache gehört. Ich bedaure, daß ich heute darauf kommen muß, nachdem hier — zuletzt durch den Herrn Bundesinnenminister, auf dessen Ausführungen ich im einzelnen noch eingehen werde —
solche, na, es gibt kaum einen parlamentarischen Ausdruck, solche, ich will einmal sagen, Unterstellungen gegen die Sozialdemokratische Partei Deutschlands gerichtet worden sind, immer nach dem alten Wilhelminismus: Einmal waren es „vaterlandslose Gesellen", dann sind es die Leute, die das deutsche Volk wehrlos machen wollen, und jetzt denkt man schon in kommunistischen Kategorien. Das ist immer ein und dasselbe. Und dann ist die Rede von den „nichtbewältigten Komplexen der Vergangenheit". Aber im Wahlkampf — das weiß jeder unserer Sprecher, und das ist mir in jedem Dorf und in jeder Stadt geschehen, in die ich gekommen bin —, da hat man ganz in dem Stil, den Herr Barzel bedauerlicherweise hier für richtig hielt, gesagt, in der Weimarer Zeit hätten 14 Jahre lang die Sozialdemokraten regiert, und das Ergebnis sozialdemokratischer Weimarer Regierungszeit von 14 Jahren seien Massenarbeitslosigkeit und Hitler gewesen;
jetzt regiere Adenauer acht Jahre, und wir hätten Vollbeschäftigung und Wirtschaftswunder. — Das ist eine Volksvergiftung gewesen unerhörtester Art!
Es gibt noch eine Sache im Untergrund, auf die wir auch einmal zu sprechen kommen. Es hat zwischen Flensburg in Schleswig und Rosenheim in Bayern nicht eine Stadt, nicht eine Gemeinde gegeben, in der man nicht erzählt hat, daß Erich Ollenhauer Jude oder „Halbjude" sei, genau das, und die Unionspartei hat das mitgemacht.
— Herr Kiesinger, die Strafprozesse laufen doch, in die Unionsmitglieder verwickelt sind.
1490 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
Dr. Arndt
Das ist eines der entscheidendsten Untergrundereignisse im Wahlkampf gewesen.
— Ich kann alle meine Parteifreunde als Zeugen dafür benennen, daß uns dieses Gerücht im Wahlkampf die größten Schwierigkeiten gemacht hat.
Der Herr Kollege Jahn führt einen Rechtsstreit als Verteidiger,
wo zwei Angehörige der CDU
das in der gar nicht seltenen Weise gemacht haben: Sie kommen in das Restaurant, da ist eine sozialdemokratische Versammlung, und da sagen sie: „Ach, wie ist denn das, es gibt doch so Gerüchte über Herrn Ollenhauer." — „Ach, Gerüchte gibt es? Was für Gerüchte gibt es denn?" — „Ja, also Herr Ollenhauer, der soll doch Halbjude oder Jude sein, und da kann man doch eigentlich so einen Mann nicht zum Bundeskanzler wählen." — Ich glaube Ihnen die Empörung gern. Ich bin auch überzeugt, daß ein großer Teil der hier anwesenden Unionsparteiler oder vielleicht Sie alle nichts davon wissen.
: Nein, nicht alle!)
Aber Sie wissen manches nicht aus den Unterkleidern Ihrer eigenen Partei.
Aber ich komme jetzt zurück auf die besondere Rolle, die die atomare Ausrüstung der Bundeswehr im Wahlkampf gespielt hat. Es ging davon aus, daß wir am 10. Mai, der letzten Atomwaffen-Debatte vor der Bundestagswahl, diese ganz dezidierten Regierungserklärungen hatten. So ist es dann auch im Wahlkampf erklärt worden. Ich habe hier vorliegen „Fragenkatalog, Bundestagswahl 1957; Herausgeber: Bundesgeschäftsstelle der CDU, Bonn, Nassestraße 2". Ich darf annehmen, daß der Herr Präsident mir das wörtliche Zitieren erlaubt. Da gibt es einen Abschnitt, der heißt:
Wehrpolitik, allgemeine Wehrpflicht.
Die SPD fordert: Schluß mit der Wehrpflicht! Wollt ihr Mütter, daß eure Söhne wieder Soldat werden und in den Krieg müssen?
Dann heißt es weiter :
Frage: Auch andere NATO-Länder wie z. B. Großbritannien schaffen die allgemeine Wehrpflicht ab.
Antwort:
— das ist die Antwort des CDU-Redners —
Großbritannien schafft die allgemeine Wehrpflicht ab im Zusammenhang mit der Umstellung der Ausrüstung der Armeen von konventionellen Waffen auf Atomwaffen. Die Bundeswehr dagegen wird ohne Atomwaffen ausgerüstet.
Und das ist gesperrt gedruckt!
Schon aus diesem Grunde kann eine Wehrmacht, die nur aus Freiwilligen besteht, nicht genügend Soldaten zur Verfügung stellen.
Ganz klar aus dem Fragenkatalog.
Aber es gibt ein weiteres Dokument; es heißt „Christlich-Demokratische Union Deutschlands, Sonderrednerdienst: Außenpolitik im Wahlkampf — Ein außen- und wehrpolitischer Leitfaden für den Gebrauch im Bundestagswahlkampf 1957; CDU-Bundesgeschäftsstelle Bonn, Nassestraße 2". Dort kommt man dreimal auf die Atomrüstung. Auf Seite 29 werden dann Äußerungen aus dem sozialdemokratischen Pressedienst vorn 20. Mai und eine Äußerung meines Parteifreundes Fritz Erler zitiert. Und dann kommt die Antwort der CDU:
Antwort:
Die Bundesregierung beabsichtigt keine Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen. Das ist in der Regierungserklärung vom 10. Mai 1957 im Bundestag deutlich gesagt worden.
An der Eindeutigkeit und Klarheit dieser Antwort der CDU im CDU-Sonderrednerdienst kann ja eigentlich kein Zweifel sein. Es wird dann noch dagegen polemisiert, daß man ja nicht — wie die SPD es gewollt habe — einen Vorausverzicht für alle Zeiten aussprechen könne. Aber das ist etwas Theoretisches, Platonisches. Die Antwort für die Bundestagswahl ist ganz eindeutig: „Die Bundesregierung beabsichtigt keine Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen."
Es geht dann weiter auf Seite 31 dieses Sonderrednerdienstes. Da wird wiederum folgendes gesagt:
Keine Wehrpflicht — SPD-Behauptung. In der Antwort der CDU heißt es:
Wenn der Westen den 170 mit herkömmlichen Waffen ausgerüsteten sowjetrussischen Divisionen keine ebenbürtige konventionelle Streitmacht entgegenstellen kann — und ohne eine starke deutsche Bundeswehr ist das unmöglich —, dann steht er vor der ausweglosen Situa-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1491
Dr. Arndt
tion: Kapitulation oder Atomkrieg. Um eine solche sowjetrussische Spekulation zu verhindern, muß die Bundeswehr genügend groß sein. Nur die allgemeine Wehrpflicht kann aber die dafür erforderliche Anzahl gut ausgebildeter Soldaten als Reserve zur Verfügung stellen. Wenn darauf hingewiesen wird, daß z. B. England die allgemeine Wehrpflicht auch abschafft, so ist dazu zu sagen: England stellt seine Armee von der herkömmlichen auf Atombewaffnung um. Die Bundeswehr dagegen wird ohne Atomwaffen ausgerüstet. Daher muß sie genügend groß sein, um auch ohne diese einen starken Schutz zu bilden.
Das ist Ihr Sonderrednerdienst; und das deckt sich also mit dem, was auch im Fragenkatalog steht. Im Fragenkatalog kommt dann noch eine andere Stelle, die ich eben überschlagen habe. Die heißt: „Wehrpolitik — atomare Bewaffnung"; und dann steht links ausgerückt:
„Die SPD behauptet:
Die CDU bereitet systematisch die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen vor."
Und dann kommt:
Die Wahrheit:
— also die Wahrheit, wie die CDU sie versteht —
Das trifft keineswegs zu. Im Gegenteil sagte Bundeskanzler Dr. Adenauer am 10. Mai 1957 vor dem Bundestag:
— und nun kommt das Zitat —
Ich möchte sagen, daß die Bundesregierung keine atomaren Waffen gefordert hat, daß sie entschlossen ist, an der Erklärung festzuhalten, die sie seinerzeit auf der Londoner Konferenz im Oktober 1954 abgegeben hat.
Und dann geht es weiter:
Antwort der CDU: Auf der Londoner Konferenz hat die Bundesregierung Verzicht auf die sogenannten ABC-Waffen geleistet, atomare, biologische und chemische Waffen. Die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen wird also
— gesperrt gedruckt und fett gedruckt —
nicht von der CDU angestrebt.
An diesen Dokumenten kommen Sie nicht vorbei.
Das ist das, worum sich der Wahlkampf abgespielt hat, bei dem Sie jetzt hinterher behaupten wollen, das deutsche Volk im Westen habe gewußt, daß es Ihnen hier eine Generalvollmacht gebe, auch die atomare Bewaffnung durchzuführen.
Und nun komme ich auf das, was Herr Kollege Kiesinger mir in einem Zwischenruf sagen wollte; nämlich jetzt kommt die Ausrede: ja, aber danach seien die Londoner Abrüstungsverhandlungen gescheitert. — Nun, Herr Kiesinger, Sie wissen genauso gut wie ich, wie das mit den Londoner
Abrüstungsverhandlungen war. Das ist nicht — wie es heute so dargestellt zu werden pflegt — irgendeine Gipfelkonferenz gewesen; das ist ein Unterausschuß des Abrüstungsausschusses der UN gewesen, ein Unterausschuß, der aus fünf Mitgliedern bestand, vier aus dem Westen und einem Sowjetunion-Mann — oder Sowjet-Mensch nennen die sich ja wohl —, der beauftragt war, Vorschläge zu machen über etwas, was Sie jetzt ja selbst nicht wollen, nämlich den berühmten ersten Schritt und nur diesen ersten Schritt, den Sie selbst in den letzten Regierungserklärungen ausdrücklich immer wieder abgelehnt haben; Sie sagen: Es gibt keinen ersten Schritt. Sie, Herr Kiesinger, haben erklärt: Wir müssen beim ersten Schritt eine Automatik machen, bei der wir auch den letzten Schritt wissen; einen ersten Schritt allein gibt es nicht. Also er hat nur über etwas geredet, was nach Ihrer Auffassung gar nicht irgendwie bedeutungsvoll oder relevant war. Er hat über Inspektionszonen geredet, über Inspektionszonen in der Arktis und nachher über Inspektionszonen in Europa, um dem Ausschuß für Abrüstung Vorschläge zu machen, und dann erst sollte es an die Vereinten Nationen kommen.
Also da waren keine Entscheidungen zu treffen dergestalt, daß Sie sagen könnten: Jetzt hat sich die ganze Weltlage verändert; wir waren damals, am 10. Mai, und als wir diese Wahlschriften herausgaben, des Glaubens, eine Einigung mit der Sowjetunion bei einer Gipfelkonferenz über Abrüstung stehe unmittelbar bevor, und weil diese unsere Erwartungen so bitter enttäuscht worden sind, haben wir auf einmal das Steuer herumgeworfen. Das ist doch einfach nicht richtig. Wenn es nicht zu Vorschlägen gekommen ist oder jedenfalls nicht zu Vorschlägen, die Aussicht auf Annahme hatten — und ich empfehle Ihnen, zu lesen, was Herr von Senger und Etterlin über die beiderseitige Unehrlichkeit bei diesen Vorschlägen schreibt —, so wissen Sie ja auch, daß, vielleicht nicht ganz ohne Zutun der Bundesregierung und der Bundesrepublik, der letzte Vorschlag der war: die Inspektionszone, dieser offene Himmel, den wir für einen sehr guten ersten Schritt halten, sollte so gestaltet werden, daß zwar nach Osten hin die gesamte Sowjetunion einen offenen Himmel haben müßte, aber nach Westen hin die amerikanischen Stützpunkte in Spanien, Portugal und Nordafrika von dem offenen Himmel ausgenommen sein sollten.