Ich weiß nicht, ob der Ausdruck „Infamie" so sehr parlamentarisch ist. Aber ich nehme die Dinge nicht so tragisch, Herr Kollege. Ich habe meine Unterstellung — sicher ist es eine Unterstellung, eine Annahme — begründet und habe gesagt, daß ich nicht annehme, daß in einer so straff geführten Partei wie der Sozialdemokratischen Partei eine Fraktion in Frankfurt am Main etwas Selbständiges tun kann.
— Na, meine Herren, wir wollen uns darüber nicht streiten, ob die Fraktion es entscheidet, wenn ein Wasserrohr verlegt werden soll. Aber hier dreht es sich ja nicht um die Verlegung eines Wasserrohrs oder den Ausbau einer neuen Straße,
sondern um eine hochpolitische Geschichte. Ich war lange genug in Frankfurt und habe mich mit Ihren Kollegen dort ausgezeichnet vertragen. Deshalb nehme ich ja auch den Beschluß in Frankfurt als solchen nicht so tragisch. Die Frankfurter haben einen alten Bürgersinn und sind alte Demokraten, auch Ihre Kollegen. Das sind ausgezeichnete Demokraten; die werden sich die Geschichte schon überlegen. Wahrscheinlich wäre es ihnen sehr angenehm, wenn sie von dieser unangenehmen Sache wieder herunter wären. Aber wir werden ihnen dazu verhelfen, meine Damen und Herren, daß sie davon herunterkommen, indem wir das Bundesverfassungsgericht anrufen. Dieses wird darüber entscheiden, und so lange brauchen wir, glaube ich, keinerlei Aufregung.
Es bleibt dabei: wir von der Christlich-Demokratischen Union sind eindeutig der Auffassung und glauben das auch durch die Rechtsgutachten unabhängiger Rechtsgelehrter belegt zu wissen, daß in der Demokratie, so wie sie durch unser Grundgesetz geschaffen worden ist, eine derartige plebiszitäre Maßnahme unzulässig ist. Wir sind des weiteren der Auffassung, daß dieses Gesetz auch rechtspolitisch absolut unzweckmäßig ist, weil es zu nichts anderem führt als zur Demagogie.
1476 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
Dr. Wilhelmi
Zum Beweise dessen brauchen wir auch nicht weit zu gehen, wir können in diesem Hause bleiben. Zunächst haben wir die demagogischen Fragen Ihrer Gesetzesvorlage selber. Sie werden ja wohl nicht bestreiten wollen, daß diese Fragen reichlich einseitig gefaßt sind und nicht das wiedergeben, was auch Ihre Auffassung in der außenpolitischen Debatte gewesen ist. Wenn das nämlich so einfach wäre, hätten wir uns wahrscheinlich nicht vier Tage hier darüber unterhalten. Sie haben sich aber sehr empört, als von meinen Parteifreunden andere Fragen formuliert worden sind, und haben nun diese wieder als furchtbar demagogisch gekennzeichnet, obwohl sie gar nichts anderes als die eindeutige Festlegung unseres Rechtsstandpunktes waren, wie es Herr Abgeordneter Jaeger Ihnen gestern vorgetragen hat. Sie sehen schon: wenn Sie eine Frage formulieren, erhitzen sich hei uns die Gemüter und wir sagen: Das ist eine demagogische Angelegenheit, und wenn von uns eine Frage formuliert wird, erhitzen sich bei Ihnen die Gemüter und dann sagen Sie: Es ist eine demagogische Angelegenheit. Ich glaube, man kann, wenn man sich den kühlen Kopf bewahrt, daraus den einen Schluß ziehen, daß in dieser Angelegenheit überhaupt nur demagogische Fragen gestellt werden können.
Deshalb ist es auch rechtspolitisch abwegig, diesen Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich darf zum Schluß noch eine Frage berühren, nämlich die, warum unsere Parteifreunde sich letztlich mit Mehrheit entschlossen haben, diesen Gesetzentwurf dem Rechtsausschuß zu überweisen, und warum wir das Gesetz, das wir a) nicht wollen und von dem wir b) überzeugt sind, daß wir es gar nicht annehmen können, weil es verfassungswidrig ist, nicht sofort ablehnen. Die beste Begründung für diesen Mehrheitsbeschluß, den wir schließlich gefaßt haben, den Entwurf dem Rechtsausschuß zu überweisen, ist die abgelaufene Debatte. Denn ich habe jedenfalls von seiten der Opposition nicht allzuviel juristische Gründe und detaillierte Gründe gehört, die für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechen. Ich habe vielmehr das Gefühl, daß man gestern abend und überhaupt in der ganzen Debatte im wesentlichen — mit Ausnahme vielleicht der Rede des Herrn Greve heute morgen — wieder versucht hat, die alte Wehrdebatte und die Atomdebatte zu verlängern. Ich habe durchaus Verständnis, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie jede Gelegenheit benutzen, über diese Fragen zu debattieren. Aber ich bitte auch um etwas Verständnis dafür, daß wir diese Fragen bei einem Gesetzentwurf, bei dem es sich um die Volksbefragung handelt, doch nur als stark neben der Sache liegend betrachten können. Wir sind nicht der Auffassung, daß das zu der Frage, ob ein Gesetz verfassungsmäßig ist oder ob es verfassungspolitisch klug ist, überhaupt dazugehört.
Sie dürfen auch eines nicht vergessen! Sie können mir natürlich einwenden, wir seien ja die Mehrheit, und mit Ihnen zusammen haben wir auch die Zweidrittelmehrheit, so daß wir auch eine Verfassungsänderung machen könnten. Zunächst ist es, wie Herr Kollege Barzel gestern in seinen Ausführungen schon richtig gesagt hat, zweifelhaft, ob das geht, ob der Art. 79 Abs. 3 das nicht ausdrücklich verbietet. Aber nehmen wir an, es ginge, man könnte in dieser Beziehung ein verfassungsänderndes Gesetz machen. Dann könnte man sicherlich nicht ein Gesetz ad hoc machen, d. h. für einen bestimmten Fall. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon in einer Entscheidung festgelegt.
Es hat ausdrücklich festgelegt, daß es niemals möglich ist, eine Verfassung aus einem bestimmten, ad hoc gegebenen Anlaß zu ändern.
— Sie werden ja nicht so töricht sein, einen Antrag zu stellen, wir sollten die Verfassung ändern; denn dann würden Sie ja zugeben, daß Sie selber der Ansicht sind, daß der Gesetzentwurf verfassungswidrig ist. Also diesen Antrag erwarte ich aus Ihren Reihen gar nicht. Ich erwähne das nur, weil ich es für völlig abwegig halte, zu der hier allein zu entscheidenden Frage, ob die Volksbefragung zulässig ist oder nicht und ob sie rechtspolitisch erwünscht ist oder nicht, immer wieder den konkreten Fall in die Debatte zu ziehen. Wenn wir hier sachlich diskutieren wollen, müssen wir über die Sache selbst diskutieren und dürfen nicht immer wieder auf Abwege geraten. Das ist meine Bitte für den weiteren Ablauf dieser Diskussion.