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ID0302600200

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    Deutscher Bundestag 26. Sitzung Bonn, den 25. April 1958 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Volksbefragung wegen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr (Drucksache 303) — Fortsetzung der Ersten Beratung — Dr. Greve (SPD) 14F° B Dr. Wilhelmi (CDU/CSU) 1467 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) 1476 D Dr. Schröder, Bundesminister 1480 D, 1503 A, 1506 C Dr. Arndt (SPD) 1489 A Heiland (SPD) 1505 A Ollenhauer (SPD) 1506 D Dr. Mommer (SPD) 1508 B Hoogen (CDU/CSU) 1508 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Viehzählungsgesetzes (Drucksache 298) — Erste Beratung — 1509 B Entwurf eines Gesetzes über Bodenbenutzungserhebung und Ernteberichterstattung (Drucksache 323) —Erste Beratung— 1509 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Dr. Schmidt [Wuppertal], Ruhnke, Margulies, Dr. Elbrächter u. Gen.) (Drucksache 301) — Erste Beratung — 1509 D Entwurf eines Vierten Bundesgesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung (Drucksache 318) — Erste Beratung — . . . . 1509 D Entwurf eines Gesetzes zum Schutze der arbeitenden Jugend (Drucksache 317) — Erste Beratung — 1510 A Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. 9. 1956 mit dem Königreich Belgien über eine Berichtigung der deutschbelgischen Grenze und andere die Beziehungen zwischen beiden Ländern betreffende Fragen (Drucksache 315) — Erste Beratung — 1510 B Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (Drucksache 324) — Erste Beratung — 1510 B Schreiben des RA Josef Jösch, Frankfurt am Main betr. Genehmigung des Strafverfahrens gegen den Abg. Vogt; Mündlicher Bericht des Immunitätsausschusses (Drucksache 286) und Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Dr. Fritz Rauhut, Würzburg; Mündlicher Bericht des Immunitätsausschusses (Drucksache 176) Jahn (Marburg) (SPD), Berichterstatter 1510 C Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abg. Dr. von Brentano; Mündlicher Bericht des Immunitätsausschusses (Drucksache 287) Ritzel (SPD), Berichterstatter . . 1511 C Nächste Sitzung 1511 D Anlage 1512 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1459 26. Sitzung Bonn, den 25. April 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9 Uhr.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 31. 5. Altmaier 26. 4. Bauer (Wasserburg) 26. 4. Bauereisen 26. 4. Bauknecht 10. 5. Dr. Bechert 26. 4. Dr. Becker (Mönchen-Gladbach) 25. 4. Frau Berger-Heise 3. 5. Birkelbach 25. 4. Dr. Birrenbach 25. 4. Frau Bleyler 26. 4. Blöcker 25. 4. Dr. Böhm 26. 4. Brese 25. 4. Frau Dr. Brökelschen 26. 4. Conrad 25. 4. Dr. Dehler 25. 4. Dr. Deist 25. 4. Diel (Horressen) 5. 5. Frau Dr. Diemer-Nicolaus 30. 4. Dr. Dittrich 26. 4. Dr. Eckhardt 30. 4. Eichelbaum 3. 5. Eilers (Oldenburg) 25. 4. Dr. Elbrächter 25. 4. Engelbrecht-Greve 26. 4. Erler 25. 4. Felder 30. 4. Dr. Frey 26. 4. Dr. Friedensburg 30. 4. Frau Friese-Korn 31. 5. Gaßmann 26. 4. Geiger (München) 26. 4. Frau Geisendörfer 23. 5. Geritzmann 25. 4. Gontrum 25. 4. Dr. Gülich 26. 4. Hahn 25. 4. Hamacher 25. 5. Dr. von Haniel-Niethammer 26. 4. Häussler 30. 4. Heinrich 15. 5. Heix 25. 4. Frau Herklotz 1. 5. Höcherl 10. 5. Höcker 25. 4. Dr. Hoven 25. 4. Frau Dr. Hubert 17. 5. Hufnagel 26. 4. Iven (Düren) 26. 4. Jacobs 25. 4. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Jordan 25. 4. Kalbitzer 25. 4. Keuning 25. 4. Frau Kipp-Kaule 26. 4. Frau Korspeter 26. 4. Dr. Kreyssig 25. 4. Kriedemann 25. 4. Kunze 15. 5. Kurlbaum 25. 4. Leber 25. 4. Dr. Leverkuehn 25. 4. Dr. Lindenberg 25. 4. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 6. Ludwig 25. 4. Dr. Maier (Stuttgart) 26. 4. Margulies 25. 4. Mattick 26. 4. Frau Dr. Maxsein 25. 4. Mellies 23. 5. Memmel 25. 4. Meyer (Oppertshofen) 26. 4. Neuburger 25. 4. Frau Niggemeyer 30. 4. Priebe 25. 4. Frau Dr. Probst 25. 4. Rademacher 25. 4. Rasch 25. 4. Frau Renger 10. 6. Richarts 25. 4. Frau Rösch 26. 4. Ruf 25. 4. Scharnberg 26. 4. Scharnowski 26. 4. Scheel 25. 4. Scheppmann 2. 5. Schlee 25. 4. Dr. Schmid (Frankfurt) 26. 4. Schneider (Hamburg) 25. 4. Dr. Schneider (Saarbrücken) 25. 4. Frau Dr. Schwarzhaupt 25. 4. Seidl (Dorfen) 25. 4. Dr. Seume 25. 4. Dr. Starke 25. 4. Storch 25. 4. Sträter 31. 5. Frau Strobel 25. 4. Struve 7. 5. Dr. Wahl 15. 5. Wegener 25. 4. Weimer 31. 5. Dr. Zimmer 26. 4. b) Urlaubsanträge Rasner 25. 5.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Otto Heinrich Greve


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Wie sehr der Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion über die Volksbefragung wegen eines Verbots der Atomaufrüstung der Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland die wunde Stelle der CDU und ihrer Regierung getroffen hat, hat der bisherige Verlauf der Debatte gezeigt.

    (Abg. Schlick: Ein großer Irrtum!)

    — Wer sich in diesem Irrtum befindet, werden andere besser entscheiden als Sie und ich. — Ich habe auch volles Verständnis dafür, meine Damen und Herren von der CDU, daß Ihnen das ganze Vorhaben aus politischen Gründen nicht paßt. Jeder meiner Freunde und ich würde es verstanden haben, wenn Sie sich aus diesen politischen Gründen gegen eine Volksbefragung gewendet hätten. Darüber kann man sich in aller Ruhe und darüber kann man sich auch in aller Leidenschaft unterhalten, das räume ich ohne weiteres ein. Aber die Art und Weise, wie insbesondere Herr Dr. Barzel geglaubt hat, den Entwurf der Sozialdemokratischen Partei angreifen zu müssen, zeigt doch, daß Sie einfach kein Verständnis dafür haben, daß die sozialdemokratische Fraktion ihre Handlungen nach ihren eigenen politischen Vorstellungen bestimmt und nicht nach Vorstellungen, die Sie für richtig oder für falsch halten.
    Es kann in keiner Weise die Rede davon sein, daß der Entwurf eine Verfassungsverletzung bedeutet oder daß er gar, wie es heute morgen der Bonner „Generalanzeiger" schreibt, den Willen zur kalten Machtergreifung zum Ausdruck bringt. So zu argumentieren, meine Damen und Herren, ist schlechthin infam.
    Ich sagte, wir können uns über die politischen Aspekte eines solchen Vorhabens unterhalten, aber nicht über Dinge, die einfach außerhalb jeder Erörterung liegen. Ihr bisheriges Vorgehen gegen den Entwurf, soweit es sich um die verfassungsrechtlichen Dinge handelt, ist vollends unverständlich. Denn man kann diese und man kann jene Rechtsauffassung haben. Aber wenn es richtig ist, daß die Fraktion der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union einstimmig beschlossen hat, daß der Entwurf meiner Fraktion verfassungsrechtswidrig sei, dann kann ich darüber nur lachen. Dadurch, daß eine Fraktion einstimmig beschließt, ob ein Gesetzentwurf verfassungswidrig ist oder nicht, wird die Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit noch in keiner Weise gelöst.

    (Zuruf des Abg. Schlick.)

    — Nein, Sie können das einstimmig beschließen und Sie können das auch noch einmal einstimmig beschließen, das besagt über die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit unseres Entwurfes gar nichts.
    Ich räume auch ein, daß man darüber verschiedene Rechtsauffassungen haben kann, ob der Entwurf verfassungsmäßig oder verfassungswidrig ist. Das muß schließlich dann von denjenigen Stellen entschieden werden, die in der Bundesrepublik Deutschland dazu berufen sind. Aber was Sie nicht dürfen, meine Damen und Herren, ist, uns unterstellen, wir hätten unseren Gesetzentwurf im Bewußtsein der Verfassungswidrigkeit einer solchen Volksbefragung eingebracht.
    Ich will mich mit den politischen Fragen unseres Entwurfs im einzelnen nicht befassen; das werden andere meiner Freunde noch tun. Ich will mich vornehmlich mit den Verfassungsrechtsfragen befassen, möchte aber vorab erklären, daß die sozialdemokratische Fraktion den Entwurf in der festen Überzeugung eingebracht hat, daß eine Volksbefragung der hier in Rede stehenden Art nach unserem Grundgesetz zulässig ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich sage weiter, daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands mit der Volksbefragung, auch mit ihren Nebenfolgen und mit ihren Nebenwirkungen, von denen wir wissen, daß sie eintreten können
    1460 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
    Dr. Greve
    und möglicherweise auch eintreten werden, keine verfassungsrechtlich unzulässigen Vorhaben verbindet, was Sie uns in Ihren Reden zum Teil vorgeworfen haben. — Doch, Herr Dr. Barzel! Ich komme noch im einzelnen darauf zu sprechen, und mein Freund Blachstein hat Ihnen schon einiges darauf erwidert. Sie haben sich leider nicht die Mühe gegeben, uns Ihre Argumente bekanntzugeben. — Nein, die Argumente haben Sie uns nicht bekanntgegeben. Wenn Sie sie haben, möchte ich Sie bitten, sie uns später zu sagen.
    Herr Dr. Barzel, Sie haben im einzelnen ausgeführt — und das gab mir Veranlassung zu diesen Bemerkungen —, der Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion bedeute einen Anschlag auf die Demokratie, denn die Verfassungswidrigkeit stehe ihm auf der Stirn geschrieben. Sie haben aber nicht gesagt, warum ihm die Verfassungswidrigkeit auf der Stirn geschrieben steht. Sie haben den Kommentator Hamann, der die Volksbefragung schlechthin für verfassungsmäßig hält, als einen fragwürdigen Kommentator bezeichnet, ohne zu sagen, warum er ein fragwürdiger Kommentator ist. Sie haben gesagt, es gebe nach dem Grundgesetz nur einen Weg, die Volksmeinung zum Ausdruck zu bringen, das seien die Bundestagswahlen. Sie haben davon gesprochen, daß die Volksbefragung eine verfassungswidrige Aktion bedeute, aber nicht gesagt, warum Sie diese Aktion für verfassungswidrig halten. Sie haben gesagt, daß der Gesetzentwurf wider den Geist und Buchstaben des Grundgesetzes sei.
    Sie haben weiter gesagt daß das Vorhaben der Volksbefragung eine Umgehung des Grundgesetzes durch pseudolegale Aktionen darstelle. — Das alles, Herr Dr. Barzel, sind Ihre Äußerungen. Herr Bundesminister Dr. Schröder, auf dessen Ausführungen ich später noch eingehe, hat sich zu einem Teil diesem Vorgehen von Herrn Dr. Barzel angeschlossen, und wenn er auch in der Erklärung, die er für die Bundesregierung abgegeben hat, einige Argumente vorgetragen hat, warum der Volksbefragungsentwurf der sozialdemokratischen Fraktion dem Grundgesetz widersprechen soll, ist er dennoch in manchen Punkten die Argumente schuldig geblieben.
    Eine Reihe anderer Redner ist dann darauf zu sprechen gekommen, warum nach unserem Grundgesetz die Volksbefragung unzulässig sein soll, und ist dabei auf die Beratungen des Parlamentarischen Rats und auf die Frage eingegangen, warum sich die Dinge so entwickelt haben, insbesondere wegen der Verhältnisse, wie sie in Weimar gewesen sind, und der Dinge, wie sie sich in den Volksbefragungsaktionen Hitlers abgespielt haben. Es ist Ihnen schon gesagt worden, daß ein Vergleich zwischen unserem Gesetzentwurf und den nach der Weimarer Verfassung zulässigen Volksbegehren und Volksentscheiden überhaupt nicht möglich ist, daß beide sowohl ihrem sachlichen als auch ihrem rechtlichen Gehalt nach etwas ganz anderes darstellen. Ich will versuchen, Herr Dr. Barzel, Ihnen das zu beweisen. Sie werden mir zugeben — darüber dürfte es überhaupt keine unterschiedlichen Auffassungen geben —, daß die Volksbegehren, die auf Grund des Gesetzes über die Volksabstimmung vom 14. Juli 1933 in Hitlers Ära veranstaltet worden sind, sowohl ihrem tatsächlichen als ihrem rechtlichen Gehalt nach etwas ganz anderes darstellten.
    Um das Ihnen allen, die Sie zum Teil vielleicht nicht mehr die Erinnerung an diese Dinge haben, klarzumachen, muß ich auf die Volksbegehren und die Volksentscheide in den verschiedenen Durchführungen zur Weimarer Zeit eingehen.
    Aus der Zeit der Weimarer Verfassung kann man zu den Dingen, wie sie gestern zur Diskussion gekommen sind, überhaupt keine eigentliche Einstellung, weder eine positive noch eine negative Einstellung haben. Das Volksbegehren und der Volksentscheid haben in der Praxis der Weimarer Zeit beileibe nicht die Rolle gespielt, die Sie ihnen heute zuerkennen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wenn Sie nämlich bedenken, daß in den 13 Jahren der Weimarer Zeit nur achtmal Volksbegehren eingeleitet worden sind, dann können Sie schon aus dieser Zahl entnehmen, welche geringe Bedeutung die Volksbegehren damals gespielt haben. Wenn ich Ihnen dann sage, daß davon nur drei Volksbegehren durchgeführt worden sind, dann wird das, was ich eben dargestellt habe, noch eklatanter. Noch offensichtlicher wird es, wenn ich Ihnen sage, um welche drei Volksbegehren es sich damals gehandelt hat und wie sie ausgelaufen sind.
    Das erste Volksbegehren war das der Kommunistischen Partei Deutschlands im Oktober 1928, mit dem sie den Bau des Panzerkreuzers A verhindern wollte. Dieses Volksbegehren scheiterte bereits mangels der vorgeschriebenen Mindestbeteiligung. Das zweite Volksbegehren war das Volksbegehren, das die entschädigungslose Enteignung der ehemals in Deutschland regierenden Fürstenhäuser vorsah, das am 20. Juni 1926 durchgeführt worden ist. Dieses Volksbegehren scheiterte ebenfalls daran, daß nicht die Mindestzahl der Staatsbürger sich an ihm beteiligte. Das dritte Volksbegehren war das Volksbegehren des Stahlhelms gegen die Kriegsschuldlüge und den Young-Plan, das im Dezember 1929 durchgeführt worden ist. Auch dieses Volksbegehren scheiterte mangels Mindestbeteiligung der Bevölkerung in Deutschland.
    Sie sehen also, daß die Volksbegehren, die in der Weimarer Zeit durchgeführt worden sind, für die Argumentation, mit der Sie glauben, gegen unser Volksbegehren vorgehen zu sollen, überhaupt nichts hergeben. Es gibt für Sie, meine Damen und Herren, aus der Weimarer Zeit keine Grundlage für die Beurteilung der Anrufung des Volkes zur Stellungnahme in bestimmten Fragen von grundsätzlicher Bedeutung. Denn all die Inhalte der eben von mir erwähnten Volksbegehren hatten beileibe nicht die grundsätzliche Bedeutung für die Zukunft des deutschen Volkes wie die Inhalte der Volksbefragung, die wir durchgeführt haben wollen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1461
    Dr Greve
    Herr Dr. Barzel, Sie werden doch zugeben, daß die Frage der Atombewaffnung der Bundesrepublik Deutschland für die Entwicklung unseres Volkes und für das Leben unseres Volkes von ganz anderer Bedeutung ist, als es die Fürstenenteignung oder die Kriegsschuldlüge oder der Panzerkreuzer gewesen sind.

    (Abg. Dr. Barzel: Sie werden doch zugeben, daß es keine Volksbefragungen gewesen sind!)

    — Ich gebe ohne weiteres zu, Herr Dr. Barzel, daß das keine Volksbefragungen, sondern Volksbegehren gewesen sind, die nach der Weimarer Verfassung expressis verbis zugelassen waren. Ich werde mich auch noch mit Ihnen darüber unterhalten, ob Volksbegehren, wie sie nach dem Grundgesetz expressis verbis nicht zugelassen sind, verfassungsmäßig oder verfassungswidrig sind; das ist ja die verfassungsrechtliche Frage.
    Sie und Ihre Freunde haben argumentiert, daß der Parlamentarische Rat auf Grund der Erfahrungen von Weimar und der Hitlerzeit davon Abstand genommen habe, Volksentscheide, Volksbegehren und auch Volksbefragungen für zulässig zu erklären. Ich gebe Ihnen auch ohne weiteres jetzt schon zu, daß im Parlamentarischen Rat über Volksbegehren und Volksentscheid gesprochen worden ist und daß man für die Gesetzgebung ausdrücklich von ihnen Abstand genommen hat. Auch ich halte sie nicht für zulässig. Ich werde Ihnen sagen, warum ich dagegen Volksbefragungen für zulässig erachte: weil ich nämlich Volksbefragungen für etwas tatsächlich und rechtlich anderes ansehe als Volksbegehren und Volksentscheid; und das ist das punctum saliens.
    Sie haben weiter versucht, aus Hitlers Ara Honig zu saugen; denn Sie sagten: Wir wollen auch auf Grund der Erfahrungen, die wir zur Hitlerzeit gemacht haben, keine Volksbefragungen dieser Art, das sind demagogische Maßnahmen, und wir werden solche Demagogie in der Bundesrepublik Deutschland nicht zulassen, jedenfalls nicht insoweit, als damit die Aufwiegelung des Volkes gegen die ordnungsgemäß zustandegekommene Regierung verbunden ist.
    Meine Damen und Herren, Sie wissen wahrscheinlich im Augenblick gar nicht, welche Volksbefragungen zur Zeit der Hitler-Ara durchgeführt worden sind. Ich erwähnte schon, daß im Juli 1933 das Gesetz über Volksabstimmungen verabschiedet worden ist, das Volksabstimmungen zuließ. Der erste Fall war der einer Volksbefragung über den Austritt aus dem Völkerbund und das Verlassen der Abrüstungskonferenz. Hier wurde das deutsche Volk, nachdem die damalige Reichsregierung beschlossen hatte, aus dem Völkerbund auszutreten, und nachdem ihre Vertreter die Abrüstungskonferenz verlassen hatten, befragt, ob es mit den bereits getroffenen Maßnahmen einverstanden sei.
    Der zweite Fall war die Volksbefragung über die Einsetzung Hitlers als Staatsoberhaupt, die bereits durch ein Gesetz am 1. August 1934 beschlossen worden war. Die Volksbefragung fand am 19. August 1934 statt.
    Der dritte Fall war der des Einmarsches deutscher Truppen in Österreich.
    In allen drei von mir erwähnten Fällen — und das sind alle Fälle, in denen Volksbefragungen dieser Art stattgefunden haben — hatte das Volk keine offene Frage zu beantworten, wie es nach unserem Vorhaben der Volksbefragung ist, sondern es handelte sich bei allen diesen Volksbefragungen darum, daß eine bereits getroffene und vollzogene Maßnahme nachträglich gebilligt werden sollte.
    Wenn Sie der Auffassung sind, meine Damen und Herren, daß die atomare Bewaffnung bereits stattgefunden hat und unsere Volksbefragung auch nur den Sinn haben könnte, nur eine bereits getroffene Entscheidung zu billigen, dann allerdings können Sie eine Parallele mit den Volksbefragungen der Hitlersehen Zeit ziehen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber ich glaube, so weit werden Sie selbst nicht gehen wollen.
    Die Beteiligung des deutschen Volkes an den Hitlerschen Volksbefragungen bedeutete weiter nichts als eine Akklamation, wie sie eben auch in den napoleonischen Volksabstimmungen in Frankreich in den Jahren von 1793 bis 1815 stattgefunden hat.
    Sie können also aus den Zeiten Weimars und aus den Zeiten Hitlers schon nicht sehr viel oder nichts für die Entscheidungen herleiten, vor die der Parlamentarische Rat gestellt war. Nun sagen Sie, es handelte sich im Parlamentarischen Rat vor allem darum, Volksabstimmungen schlechthin abzulehnen. Nein, meine Damen und Herren, es handelte sich im Parlamentarischen Rat gar nicht darum, Volksabstimmungen schlechthin abzulehnen!
    Sie haben in diesem Zusammenhang meinen Freund Dr. Rudolf Katz zitiert, der sich im Parlamentarischen Rat sehr wesentlich an der Diskussion über diese Frage beteiligt hat. Herr Dr. Katz hat ausdrücklich gesagt:
    Wir sind der Ansicht gewesen, daß normalerweise die Gesetzgebung
    — die Gesetzgebung! —
    im Wege der repräsentativen Demokratie durch die Parlamente durchgeführt wird und daß normalerweise ein Volksentscheid über ein Gesetz nicht herbeigeführt werden sollte.
    Ich wiederhole: Herr Dr. Katz spricht davon, daß die Gesetzgebung normalerweise im Wege der repräsentativen Demokratie durch die Parlamente durchgeführt wird und daß normalerweise ein Volksentscheid über ein Gesetz nicht herbeigeführt werden sollte. Herr Dr. Katz hat also erstens von Volksbegehren und Volksentscheid bei der Gesetzgebung gesprochen. Darum handelt es sich bei unserer Volksbefragung überhaupt nicht. Er hat außerdem davon gesprochen, daß normaler-
    1462 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
    Dr Greve
    weise eine solche Aktion nicht stattfinden sollte. Meine Damen und Herren, Sie werden mir doch zugeben, daß unsere Volksbefragung erstens nicht einen Gesetzgebungsakt darstellt und daß es sich zweitens bei der atomaren Aufrüstung der Bundesrepublik nicht um einen normalen Gesetzgebungsfall handelt.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Abnormal?)

    — Es handelt sich hier wirklich um etwas Exzeptionelles, und dieses Exzeptionelle kann auch auf exzeptionelle Weise behandelt werden, Frau Kollegin Dr. Weber. Das ist nach unserem Grundgesetz in keiner Weise unzulässig.
    Sie scheinen allerdings — und das möchte ich gleich vorweg sagen — der Auffassung zu sein, die gemeinhin in Diktaturen und in totalitären Staaten vertreten zu werden pflegt, daß man in der Verfassungswirklichkeit nach dem Prinzip lebt: Alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist verboten. Wir sind allerdings der Auffassung — und darin unterscheiden wir uns offenbar von der Bundesregierung und von den Fraktionen, die aus verfassungsrechtlichen Gründen glauben unseren Gesetzentwurf ablehnen zu sollen —, daß das demokratische Prinzip allein die Lebensweise zuläßt, daß alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, erlaubt ist. Wir glauben, daß diese Art der Staaten, zu leben, eine höherwertige ist als diejenige nach dem Prinzip, daß alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, zu tun verboten ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich komme hier auf einen Punkt zu sprechen, der auch in den Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers angeschnitten worden ist. Sie wissen, daß im Parlamentarischen Rat eine nicht geringe Abneigung, das gebe ich ohne weiteres zu, gegen Volksabstimmungen bestand. Das Ergebnis dieser Abneigung war, daß man eben für die Gesetzgebung und — das muß ich in diesem Zusammenhang nochmals ausdrücklich erwähnen, damit das Verhalten der Mitglieder des Parlamentarischen Rats richtig charakterisiert wird — auch für die Wahl des Bundespräsidenten davon Abstand genommen hat, das Volk entscheiden zu lassen. Man hat für die Wahl des Bundespräsidenten vielmehr ein besonderes Organ in unserer Verfassung vorgesehen. Daraus den Schluß zu ziehen, daß Volksbegehren und Volksentscheide grundsätzlich unzulässig sind, ist verfassungsrechtlich schlechthin nicht möglich. Sie müssen schon andere Argumente vortragen, wenn Sie sich auf den Parlamentarischen Rat berufen wollen.
    Meine Damen und Herren, der Parlamentarische Rat hat sich über Volksbefragungen dieser Art, wie sie jetzt in unserem Gesetzentwurf vorliegt, überhaupt nicht geäußert. Der Parlamentarische Rat ist wohl der Auffassung gewesen, daß weithin Volksabstimmungen nicht durchgeführt werden sollten, sondern daß das normale Verfassungsleben durch das Parlament bewältigt werden sollte. Wir aber sind der Auffassung — und das sagte ich bereits —, daß es sich hier nicht um einen normalen Vorgang unseres staatlichen Lebens handelt, sondern daß es sich hier handelt um einen

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Abnormalen?)

    — exzeptionellen Vorgang. Wenn Sie Ihr eigenes Vorhaben für abnormal halten, Frau Kollegin Dr. Weber, dann kann ich das allerdings auch nur unterstreichen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich sagte, um einen „exzeptionellen Vorgang", den wir auch auf exzeptionelle, aber verfassungsmäßig zulässige Weise behandelt wünschen, wie das in unserer Vorlage zum Ausdruck kommt.
    Da Sie nun aus der Behandlung dieses Vorgangs durch den Parlamentarischen Rat nicht genügend für Ihre Rechtsauffassung herleiten konnten, sind Sie — und das muß ich sowohl für Herrn Dr. Barzel wie für den Herrn Bundesinnenminister Dr. Schröder gleicherweise annehmen — darauf verfallen, zu erklären, das Wesen der repräsentativen Demokratie lasse eine Volksbefragung nicht zu. Darüber soll im Bundesinnenministerium, möglicherweise sogar unter Beteiligung des Bundesjustizministeriums, ein sogenanntes Rechtsgutachten erstellt worden sein, das meinen Freunden und mir allerdings nicht zugänglich gemacht worden ist. Mein Freund Dr. Arndt hat sich bereits dagegen gewandt, derartige Auslassungen als Gutachten zu bezeichnen und damit den Anschein zu erwecken, als handle es sich hier um unabhängige Stellungnahmen unabhängiger Juristen. Das ist in keiner Weise der Fall. Damit ist gar nichts gegen den Wert solcher Ausführungen gesagt, aber Gutachten sind sie nicht. Sie sind schlechthin parteiliche Stellungnahmen, deren Wert nicht dadurch erhöht wird, daß sie aus einem Ministerium stammen, und die nicht deswegen richtiger sind, weil sie unter der Führung von zwei Bundesministern zustande kommen.
    Wir haben uns seit Beginn unseres Verfassungslebens, seit dem 1. Bundestag, gegen diese von der Regierung betriebene Zweckjurisprudenz gewandt. Das müssen wir auch heute wieder tun. Wir müssen uns dagegen wenden, daß gewissen Rechtsauffassungen deswegen ein größerer Wert beigemessen wird, weil sie Vorhaben der Bundesregierung zu stützen geeignet sind. Wir müssen uns dagegen wenden, daß sie ihrem Wert nach höher eingeschätzt werden, weil sie aus Ministerien kommen.
    Besonders unangenehm berührt es uns allerdings, Herr Bundesminister, wenn solche von Ihnen als Rechtsgutachten bezeichnete juristische Auffassungen, wenn sie schon bekanntgegeben werden, nicht dem ganzen Hause bekanntgegeben werden. Wenn es richtig ist, daß diese Ihre Rechtsauffassungen der CDU-Fraktion zugänglich gemacht worden sind, dann haben Sie damit etwas getan, was meine Freunde und ich nicht als einwandfrei bezeichnen können. Entweder bleiben solche von Ihnen als Gutachten bezeichneten Niederschriften in Ihrem Hause und werden niemandem vom Parlament bekanntgegeben — dagegen haben wir nichts ein-
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1463
    Dr. Greve
    zuwenden —, oder aber sie werden, wenn Sie sie schon bekanntgeben, allen Teilen des Hauses be-bekanntgegeben,

    (Beifall bei der SPD)

    also dürfen Sie sie nicht nur der CDU-Fraktion, sondern müssen sie auch der Opposition zur Verfügung stellen, damit auch wir dann die Möglichkeit haben, diese Auffassungen zur Kenntnis zu nehmen und uns mit ihnen auseinanderzusetzen.
    Ich gebe zu, es handelt sich hier für uns um staatsrechtliches Neuland. Bei der Beurteilung solcher Vorgänge sollte man sehr vorsichtig sein, nicht nur hier im Hause, sondern auch auf seiten der Bundesregierung. Diese vorsichtige juristische Beurteilung, Herr Bundesminister, kommt allerdings in den Erklärungen, die Sie uns hier gestern gegeben haben, nicht zum Ausdruck. Es ist gesagt worden, die repräsentative Demokratie lasse eine Volksbefragung deswegen nicht zu, weil diese ihrem Wesen widerspreche. Ich kann im Augenblick nicht sagen, ob es Herr Dr. Barzel oder Herr Bundesinnenminister Dr. Schröder gewesen ist, der gesagt hat, daß mit Ausnahme von Hamann, der hier schon mehrfach zitiert worden ist, die gesamte Literatur dieser Auffassung ist. Meine Damen und Herren, das stimmt einfach nicht. Der einzige, der sich ausdrücklich für die verfassungsmäßige Zulässigkeit der Volksbefragungen ausgesprochen hat, bevor sie rechtlich aus dem akuten Anlaß unseres Entwurfs behandelt worden ist, ist Hamann. Hamann hat an der von Ihnen bereits mehrfach zitierten Stelle seines Kommentars gesagt, daß Volksbefragungen zulässig sind. Die übrige Literatur ist zwar auf die Frage der Volksbefragungen überhaupt nicht eingegangen, aber — —

    (Abg. Dr. Barzel: Weil sie nicht in das System der Demokratie paßt!)

    — Herr Dr. Barzel, wie können Sie so etwas sagen, daß die Volksbefragung nicht in das System der Demokratie paßt!

    (Beifall bei der SPD.)

    Das ist doch schlechterdings unmöglich. Dann ist die Schweiz überhaupt keine Demokratie,

    (Beifall bei der SPD)

    wenn die Volksbefragung nicht in eine Demokratie hineinpaßt. Sie können sagen: Wir wollen auch heute die Volksbefragung nicht in unserer Demokratie haben. Das können Sie sagen, Sie können die Volksbefragung aus politischen Gründen ablehnen; das gebe ich Ihnen doch alles zu. Aber Sie können bei unserer heutigen Verfassungssituation nicht einfach ex cathedra erklären: Die Volksbefragung ist unzulässig.
    Es handelt sich hier nicht um eine Angelegenheit, die ex cathedra gelöst werden kann, sondern es handelt sich um eine Frage — folgen Sie mir doch bitte, Herr Dr. Barzel —, über die man völlig verschiedener Auffassung sein kann. Ich beschimpfe Sie doch deswegen nicht, weil Sie eine andere Auffassung haben als ich, sondern ich versuche doch
    nur, Ihnen meine Argumente für meine Auffassung nahezubringen. Ich wäre allerdings begierig, nicht nur zu erfahren, welche Auffassung Sie haben, sondern auch, mit welchen Argumenten Sie Ihre Auffassung stützen.

    (Beifall bei der SPD.— Zuruf von der SPD: Er hat ja keine!)

    Das sind Sie uns bisher schuldig geblieben. Ich kann nicht einfach sagen: „Ich bin dafür oder dagegen, weil ich dafür oder dagegen bin", sondern ich muß schon sagen, warum ich dafür oder dagegen bin. Allein das ist eine vernünftige verfassungsrechtliche Argumentation in diesem Hause. Sie können hier nachher, wie gesagt, mitteilen, welche Argumente Sie für Ihre Auffassung haben; aber dann bitte auch unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte, die ich Ihnen vorgetragen habe.
    Wenn ich, soweit mir die Zeit zur Verfügung gestanden hat, die Literatur und die Rechtsprechung richtig durchgesehen habe, dann steht von Mangoldt-Klein auf dem Standpunkt, daß nach unserem Grundgesetz das Volk die Staatsgewalt unmittelbar in den zwei Formen der Wahlen und Abstimmungen und damit nur ausnahmsweise ausübt. Mehr brauchen wir gar nicht, meine Damen und Herren. Es ist nicht richtig, daß, wie es in den letzten Tagen hier und auch in der Presse teilweise zum Ausdruck gekommen ist, mit dem Ausdruck ,,Abstimmungen" in Art. 20 Abs. 2 unseres Grundgesetzes nur die Abstimmungen über die Länderbereinigung in der Bundesrepublik gemeint sind. Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Auffassung vertreten, claß mit „Abstimmungen" nach Art. 20 Abs. 2 unseres Grundgesetzes nur die Abstimmungen über die Abgrenzung der Länder in der Bundesrepublik gemeint sind, dann sagen Sie mir bitte, warum Sie diese Auffassung vertreten und wo Sie für diese Auffassung Stützen finden, rechtliche Stützen.
    Es ist nicht so, daß der Parlamentarische Rat gewollt hat, daß nur die von mir eben erwähnten Abstimmungen als Abstimmungen im Sinne des Art. 20 Abs. 2 aufzufassen sind. Das geht auch daraus hervor, das Mangoldt sagt „ausnahmsweise". Richtig, zugegeben, nur ausnahmsweise übt das Volk unmittelbar die Staatsgewalt in der Form einer Abstimmung aus. Wir wünschen auch nicht — das ist verschiedentlich hier in den Äußerungen Ihrer Redner angeklungen —, daß Volksbefragungen zu einer Alltagsangelegenheit werden. Auch wir sind der Auffassung, daß solch eine Volksbefragung, wie wir sie heute wünschen, nur dann stattfinden soll, wenn es sich um das Leben unseres Volkes und unseres Staates schlechthin handelt, und nicht bei jeder x-beliebigen Angelegenheit. Ich glaube, Herr Dr. Jeager war es, der wieder mal eines der bei ihm üblichen Beispiele brachte: daß das Volk befragt werden sollte, ob Herr Ollenhauer Kanzler werden solle oder nicht. Meine Damen und Herren, das sind doch einfach unsinnige Vergleiche, auf die einzugehen einfach unnötig ist. — Ich versage es mir jedenfalls, auf solche Beispiele einzugehen —,

    (Beifall bei der SPD)

    1464 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den '25. April 1958
    Dr. Greve
    genauso wie Herr Dr. Jaeger den Vergleich gezogen hat, daß das deutsche Volk dann auch gefragt werden könnte, ob es damit einverstanden sei, daß die Bundesrepublik zum Aufmarschgebiet der Roten Armee würde. Meine Damen und Herren, kommt Ihnen der bare Unsinn eines solchen Vergleichs nicht selber zum Bewußtsein?

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Pelster.)

    — Ja, Herr Pelster, schämen Sie sich nicht? Herr Pelster, es handelt sich hier doch nicht um die politische, sondern es handelt sich doch hier jetzt um die verfassungsrechtliche Betrachtung der Vorgänge. Kommt Ihnen denn nicht der Unsinn zum Bewußtsein, der darin liegt, solche Vergleiche zu ziehen? Als wenn überhaupt jemand auf den Gedanken kommen könnte, das Volk verfassungsrechtlich zulässig über eine Angelegenheit zu befragen, die wir ja gar nicht in der Hand haben! Aber Sie scheinen vollends vergessen zu haben, daß die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik Deutschland eine Angelegenheit ist, die in unsere Hand gelegt worden ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie scheinen schon so weit in das Fahrwasser der Vereinigten Staaten von Amerika gekommen zu sein, daß Sie gar nicht mehr zu unterscheiden vermögen, was wir zu bestimmen haben und was Herr Eisenhower und Herr Dulles zu bestimmen haben.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Majonica: Passen Sie auf, daß Sie nicht in ein anderes Fahrwasser geraten, Herr Greve! Passen Sie ja auf!)

    — Nein; ich glaube, die deutsche Sozialdemokratie hat in den Jahren nach 1945 Beweise genug dafür geliefert, das sie willens ist, jedem entgegenzutreten und jeden Widerstand aufzunehmen, um nicht in das Fahrwasser zu gelangen, das Sie jetzt meinen, ohne es auszusprechen, Herr Majonica.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das ist wieder eine der üblichen Verdächtigungen, für die Sie gar keinen — —

    (Abg. Majonica: Das andere sind keine Verdächtigungen?)

    — Nein, Herr Majonica! — Dafür hat Ihnen die Sozialdemokratie gar keinen Anlaß gegeben.

    (Abg. Schlick: Sie haben ja vorher Verdächtigungen ausgesprochen! — Abg. Majonica: Das ist Ihr Monopol!)

    — Ich habe keine Verdächtigungen ausgesprochen. Ich weiß, daß es Ihnen wehtut, wenn ich Ihnen den Unsinn dieses Vergleichs vor Augen führe, meine Damen und Herren. — Aber ich will mich über diese politischen Dinge hier nicht weiter auslassen; ich will mich darauf beschränken, weiter die verfassungsrechtliche Situation darzustellen.
    Meine Damen und Herren! Sie, Herr Dr. Barzel, glaube ich, haben gesagt, Hamann habe in seiner Einleitung zu seinem Kommentar etwas ganz anderes zum Ausdruck gebracht, als in der Kommentierung des Artikels 20. Das stimmt nicht, meine Damen und Herren. Und hier möchte ich Ihnen die Auffassung sagen, die auch ich vertrete. Hamann hat ausgedrückt:
    Volksbegehren zur Meinungserforschung können durch einfaches Gesetz beschlossen werden.
    Und er sagt dann weiter:
    Insofern ist heute alle Demokratie auf staatlicher Ebene repräsentative Demokratie.
    Das Letztere halte ich zwar nicht für richtig; aber es ist die Auffassung von Hamann.
    Hierbei handelt es sich nicht um eine wesentliche Eigenschaft der Demokratie, sondern um eine besondere Gestaltungsform.
    Und das ist der Unterschied, meine Damen und Herren. Sie sagten: Volksbefragung ist deswegen nicht zulässig, weil sie nicht in die Demokratie hineinpaßt. Ja, meine Damen und Herren, — —

    (Abg. Kiesinger: Nein, Nein!)

    — Doch, das ist gesagt worden.

    (Abg. Kiesinger: In die parlamentarische Demokratie!)

    — Bevor Sie in den Saal kamen, Herr Kiesinger, ist hier gesagt worden, daß die Volksbefragung nicht zur Demokratie passe. Darauf habe ich erwidert, daß dann die Schweiz keine Demokratie sei. Und dann erst, Herr Kiesinger, traten Sie in den Saal ein. Sie konnten es nicht wissen, aber es ist in Ihren Reihen gesagt worden. Ich freue mich, daß Sie anderer Auffassung sind und sich damit von den Auslassungen einiger Ihrer Freunde absetzen. — Gut, wenn Sie sagen: „nicht in das Wesen der parlamentarischen Demokratie paßt", dann gehe ich auch darin nicht mit Ihnen einig; aber dann hat das, was Sie sagen, schon eine größere innere Logik als die Behauptung, daß die Volksbefragung überhaupt nicht in die Demokratie paßt.

    (Abg. Majonica: Es paßt nicht in unser System!)

    Aber offenbar gibt es in Ihren Reihen nicht nur verschiedene Auffassungen, sondern auch Qualitätsunterschiede bei den Juristen, Herr Kollege Kiesinger.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Bei Ihnen auch!)

    — Bei uns auch, wird ja gar nicht geleugnet. —
    Meine Damen und Herren, es ist also nicht so, daß das Wesen auch der repräsentativen Demokratie die Volksbefragung nicht vertrüge, sondern es handelt sich da, wie Hamann sagt, nur um eine besondere Gestaltungsform, in der der Wille des Volkes zum Ausdruck gebracht wird. Der Wille des Volkes wird dann eben nicht mehr über das das Volk repräsentierende Parlament zum Ausdruck gebracht, sondern der Wille des Volkes wird dann dadurch, daß es seine Meinung äußert, unmittelbar zum Ausdruck gebracht.
    Dann ist Herr Professor Dr. Nawiasky von Ihnen bemüht worden. Ich weiß nicht, wie man es unter-
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1465
    Dr. Greve
    nehmen kann, die Ausführungen, die Herr Nawiasky in der Osternummer der „Süddeutschen Zeitung" gemacht hat, so auszulegen, als lehne er eine Volksbefragung auf Grund der Bestimmungen unseres Grundgesetzes ab. Wenn Herr Nawiasky hier sagt: „Wenn es schon in Art. 20 des Grundgesetzes heißt: 'Die Staatsgewalt wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung ausgeübt', so ist damit doch die generelle verfassungsmäßige Grundlage für eine durch einfaches Durchführungsgesetz zu regelnde Mitwirkung des Volkes vorgesehen und legitimiert, wenn auch das Grundgesetz selbst die spezielle Betätigung des Volkes auf einem bestimmten Gebiet noch nicht normiert hat." Ja, meine Damen und Herren, das ist doch gerade das, was unsere Volksbefragung und den entsprechenden Gesetzentwurf ausmacht. Nun argumentieren Sie dagegen doch mal verfassungsrechtlich, Herr Dr. Barzel! Dies ist doch eine Auffassung, eine Rechtsauffassung, die wir nicht bestellt haben, die wir uns aber gern zu eigen machen, da sie nicht nur unsere verfassungsrechtliche Situation stützt, sondern auch geeignet ist, unser politisches Vorhaben verfassungspolitisch zu rechtfertigen. Herr Dr. Barzel, ich meine, das sind zwei Dinge, über die wir uns unterhalten müssen, und zwar so, wie wir es als Juristen gewohnt sind.
    Man kann doch nicht einfach aus ich weiß nicht welchen Gründen hier zum Ausdruck bringen, Herr Nawiasky habe das Gutachten nicht auf Wunsch eines Ministeriums abgegeben, sondern seine Rechtsansicht in einer Zeitung veröffentlicht, und sie sei schon deswegen nichts wert, weil sie nur in einer Zeitung zum Ausdruck komme. So ungefähr ist argumentiert worden, Herr Majonica. Herr Nawiasky ist einfach als irgendwer abgetan worden, offenbar, weil der Bundesregierung bekanntgeworden ist, daß er eine Auffassung vertritt, die sie für ihre Position nicht gebrauchen kann. Herr Nawiasky ist sonst ein, soweit ich unterrichtet bin, auch in Ihren Kreisen und bei der Bundesregierung hochangesehener Rechtsgelehrter, und er genießt auch in unseren Kreisen großes Ansehen, obwohl er nicht zu meinen engeren politischen Freunden gehört, was Ihnen ja auch bekennt sein dürfte.
    Ich will Ihnen nur beweisen, daß Ihre Behauptung, das Wesen der repräsentativen Demokratie ertrage die Volksbefragung verfassungsrechtlich nicht, nicht in dem Umfang vertreten wird, wie Sie es uns gestern hier wahrmachen wollten. Dafür, daß unsere Auffassung richtig ist, haben wir eine ganze Reihe von namhaften juristischen Stützen. Ich will hier nur die schon mehrfach, ich glaube, auch von dem Herrn Bundesminister des Inneren, zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 2. August 1957 erwähnen, auf die Dr. Heinemann hier noch im einzelnen eingehen wird. Auch diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs hält eine Volksbefragung für eine neutrale Zielsetzung und für verfassungsrechtlich zulässig, auch wenn die Volksbefragung als Institution in unserem Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt ist. Meine Damen und Herren, damit müssen wir uns auseinandersetzen,
    wenn wir in der Frage, ob die Volksbefragung verfassungsrechtlich zulässig ist, ein richtiges Ergebnis erzielen wollen.
    Die Abschaffung von Volksbegehren und Volksentscheid als verfassungsmäßig dem Volk zugewiesene Institution mit verfassungsmäßiger Wirksamkeit durch den Parlamentarischen Rat erfolgte, wie ich Ihnen bereits sagte, aus ganz bestimmten Erfahrungen der Vergangenheit. Es ist aber rechtlich nicht zulässig, daraus den Schluß zu ziehen, daß damit auch jede Volksbefragung über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr ausgeschlossen ist. Sie kann nach unserer Rechtsauffassung nach dem von mir soeben erwähnten, für unser Verfassungsleben allein gültigen Prinzip verfassungsmäßig nicht für unzulässig erklärt werden. Ich sage: verfassungsmäßig nicht für unzulässig erklärt werden; wie Sie die Dinge politisch beurteilen, steht auf, einem ganz anderen Blatt. Bitte lassen Sie uns auch aus ganz bestimmten allgemeinen Gründen den Grundsatz nicht aufgeben, daß das, was nicht ausdrücklich im Grundgesetz erwähnt ist, nicht verboten ist, sondern lassen Sie uns das für erlaubt halten. Denn auch diejenigen, die im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz beschlossen haben, waren keine Götter und nehmen nicht für sich in Anspruch, etwas Vollendetes geschaffen zu haben. Manche Fehler, die inzwischen evident geworden sind, sind uns damals unterlaufen. Es wäre allerdings ein nicht wiedergutzumachender Fehler, wenn man sich heute hier im Bundestag auf den Standpunkt stellen wollte, daß Volksbefragungen deswegen nicht zulässig sind, weil sie im Grundgesetz nicht vorgesehen sind. Sie sind — und hier muß ich auf den Gesetzentwurf zu sprechen kommen, der Ihnen von meiner Fraktion vorgelegt worden ist — ihrem Wesen nach etwas anderes als Volksbegehren und Volksentscheid. Eine bloß informative oder konsultative Volksbefragung bringt ja keine Rechtswirkung etwa gar gesetzmäßiger Art mit sich, wie es beim Referendum, wie es bei Volksentscheiden der Fall ist.
    Wir sind uns durchaus darüber im klaren — das erwähnte ich eingangs schon —, daß wir bei der Durchführung der Volksbefragungen auch mit ganz bestimmten Nebenzwecken und Nebenwirkungen zu rechnen haben. Ich betone aber auch hier ausdrücklich, daß die sozialdemokratische Fraktion und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in keiner Weise beabsichtigen, mit der Durchführung der Volksbefragung verfassungsmäßig unzulässige Maßnahmen zu treffen. Alles, was als Nebenwirkung und was als Folge der Durchführung der Volksbefragung eintreten wird, muß verfassungsmäßig zulässig sein. Wir halten nichts davon, daß uns, wie es gestern Herr Dr. Jaeger getan hat, zum Vorwurf gemacht wird, wir wollten hier durch die Hintertür etwas in unser Verfassungsleben hineinbringen, was die Grundlagen unserer Verfassung zu zerstören droht. Wir müssen uns mit allem Nachdruck dagegen wenden, daß auch bei dieser Gelegenheit wieder zum Ausdruck kommt: die Sozialdemokratie will die Verfassung und damit die Grundlage unseres staatlichen Lebens zerstören.
    1466 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
    Dr. Greve
    Daß diese Nebenwirkungen und diese Folgen gewisse politische, psychologische und auch andere Wirkungen auf das politische Leben in der Bundesrepublik Deutschland einschließen, stellen wir nicht in Abrede. Wir haben auch die Absicht, damit gewisse politische Wirkungen zu verbinden; das leugnen wir gar nicht, Herr Kiesinger. Aber auch diese politischen Wirkungen müssen sich nach unserer Auffassung im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung halten.

    (Abg. Kiesinger: Wie? Wie?)

    — Herr Kollege Kiesinger, lassen Sie uns doch erst einmal die Volksbefragung durchführen und eruieren, wie sich das Volk zur Atombewaffnung stellt! Dann werden Sie vielleicht selbst kalte Füße bekommen und Ihre Politik unter Umständen nach dem Ergebnis der Volksbefragung ausrichten. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, daß die gegenwärtige Bundesregierung im Falle eines positiven Ausgehens der Volksbefragung über einen solchen Entscheid hinweggeht, als handelte es sich urn gar nichts.

    (Abg. Kiesinger: Also doch Volksentscheid!)

    — Nein, nicht Volksentscheid, sondern Volksbefragung zur Feststellung der Meinung des Volkes in einer ganz bestimmten Frage, Herr Kiesinger, in einer Frage, die unser aller, auch Ihr Leben berührt. Wir sind allerdings weniger für unser Leben als für das Leben unseres Volkes verantwortlich. Deswegen haben wir uns zu unserem Gesetzentwurf veranlaßt gesehen.
    Ich möchte Ihnen gegenüber zum Ausdruck bringen, daß diese Dinge in anderen Ländern zum Teil auch anders gesehen werden.
    Vorher will ich mich jedoch kurz mit einigen Ausführungen des Herrn Bundesministers Dr. Schröder befassen. Herr Dr. Schröder hat gesagt, daß wir eine verfassungsmäßig unzulässige Frage in den Mantel einer harmlosen Meinungserforschung kleiden. Herr Bundesminister, was gibt Ihnen Veranlassung, unsere Frage für eine harmlose Meinungserforschung zu halten? Ich sehe es als geradezu grotesk an, die Befragung des deutschen Volkes, ob es die atomare Ausrüstung der Bundeswehr will, für eine harmlose Meinungserforschung zu halten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darin kommt doch viel mehr zum Ausdruck, als es nach außen hin den Anschein hat.
    Es ist anscheinend Ihre Auffassung, daß die Angelegenheit für das deutsche Volk so „harmlos" ist, daß es darüber seine Meinung gar nicht zu äußern brauche. Das ist Ihre Auffassung, Herr Bundesminister, und gegen diese Auffassung wehre ich mich mit allem Nachdruck. Ich wehre mich dagegen, daß Sie so denken, weil Sie gestern zum Ausdruck gebracht haben, daß sich, wenn ich richtig zitieren darf, die Qualität eines Juristen durch die Richtigkeit seiner Zitate erhärtet, Herr Bundesminister.
    Sie haben allerdings in den gleichen Ausführungen meinem Freund Wehner vorgehalten, daß er sich in der Sitzung des Bundestages vom
    26. April 1951 ausdrücklich gegen Volksbefragungen ausgesprochen habe. Herr Bundesminister, das ist nicht richtig, vor allen Dingen nicht unter Berücksichtigung Ihrer Ausführungen über die Qualität eines Juristen hinsichtlich der Richtigkeit seiner Zitate. Herr Kollege Wehner hat in der von Ihnen erwähnten Sitzung des Deutschen Bundestages folgendes gesagt — es handelte sich da urn die von Ihnen erwähnte Frage der Volksbefragung, die hier in der Bundesrepublik von den Kommunisten durchgeführt werden sollte: Es geht dabei — hören Sie bitte zu, Herr Bundesminister —, nicht um Volksbefragungen schlechthin und nicht um die Freiheit der Meinungsäußerung schlechthin. Herr Wehner hat dann gesagt, daß es bei solchen Volksbefragungen darauf ankomme, ihre wirklichen Ziele zu erkennen, und in diesem Fall sei das von Herrn Dahlem — den Sie ja auch zitiert haben — verfolgte Ziel, die in der sowjetischen Besatzungszone aufgerichtete Ordnung als Modell einer Friedensordnung für ganz Deutschland hinzustellen. Das hat Herr Wehner gesagt. Herr Wehner hat also genau das Gegenteil von dem gesagt, was Sie zitiert haben, Herr Bundesminister. Er hat nämlich ausdrücklich erklärt, er wende sich nicht gegen Volksbefragungen schlechthin, und es handelte sich auch nicht um die Freiheit der Meinungsäußerung schlechthin; er wende sich aber dagegen, daß die wirklichen Ziele, nämlich die Übertragung der Verhältnisse in der sowjetischen Zone auf die Bundesrepublik, nicht erkannt werden. Das zur Wahrheit und dazu, wie man richtig zitiert, Herr Bundesminister.

    (Beifall bei der SPD. — Bundesinnenminister Dr. Schröder: Vielleicht machen Sie mir die Freude, daß Sie mich richtig zitieren!)

    — Herr Bundesminister, ich habe mir Ihre Berner-kung notiert, daß die Qualität eines Juristen sich durch die Richtigkeit der Zitate erhärte.

    (Bundesinnenminister Dr. Schröder: Zitieren Sie richtig, was ich gesagt habe!)

    — Das wird sich aus dem Protokoll ergeben. Sie können mich ja nachher berichtigen, Herr Bundesminister; das steht Ihnen ja frei. Sie haben ja sogar das Recht, unmittelbar nach mir zu sprechen. Irgendwelche Belehrungen schulmeisterlicher Art bin ich auch von einem Bundesminister hinzunehmen nicht gewillt.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Zimmermann: Sie sollen richtig zitieren!)

    — Ja, ich zitiere richtig, ich habe richtig zitiert, Herr Kollege.
    Die Unruhe, die jetzt schon wieder zum Ausdruck kommt, macht eben klar, daß es sich um eine sehr schwierige Angelegenheit handelt, bei der immer politische und verfassungsrechtliche Argumente durcheinandergeworfen werden. Ich habe Ihnen gesagt, ich will mich hier im wesentlichen mit den verfassungsrechtlichen Momenten auseinandersetzen. Daß ich das nicht ausschließlich tun kann, liegt daran, das Ihre Redner und auch der Herr Bundes-
    Deutscher Bundestag — 3 Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1467
    Dr. Greve
    minister des Innern, der hier die Auffassung der Bundesregierung vorgetragen hat, sich nicht ausschließlich mit verfassungsrechtlichen Argumenten befaßt haben.
    Abschließend möchte ich Ihnen sagen, daß die Verfassungswirklichkeit in anderen Ländern, auch in Ländern, die nicht etwa irgendwo auf einem anderen Kontinent liegen, sondern die uns direkt benachbart sind, anders aussieht.
    Herr Kollege Hoogen, Sie werden das, was ich jetzt zitieren will, inzwischen gelesen haben. Ich meine die Ausführungen von Schneider, dem Professor an der Universität Tübingen, in seiner Abhandlung über Volksabstimmungen in der rechtsstaatlichen Demokratie, die Sie in der Gedächtnisschrift für Walter Jellinek nachlesen können. Ich will das hier nicht von mir aus vortragen; ich will es wörtlich zitieren, weil es so sehr unsere gegenwärtige Situation trifft, daß ich sie gar nicht besser darstellen kann als durch das Zitat von Schneider.
    Schneider sagt auf Seite 159 der von mir erwähnten Gedächtnisschrift für Walter Jellinek — und nun hören Sie genau zu, meine Damen und Herren! —:
    In Belgien glaubte die 1949 ins Amt gekommene christlich-demokratische Regierung die seit langem schwelende Königsfrage durch eine Volksbefragung lösen zu können, eine Möglichkeit, die weder die belgische Verfassungsurkunde vorsah, noch im Sinne einer repräsentativen Demokratie und einer konstitutionellen Monarchie (wie sie in Belgien bestand) lag. Die Volksbefragung sollte — so verteidigte die Regierung ihren Plan — nicht die Entscheidungsbefugnisse der verantwortlichen Verfassungsorgane ersetzen, wohl aber diese Stellen über den Stand der öffentlichen Meinung aufklären. Durch ein Gesetz wurde demgemäß diese einmalige Volksbefragung organisiert und am 12. 3. 1950 durchgeführt.
    So geschehen im Jahre 1950 in Belgien unter einer christlich-demokratischen Regierung und unter verfassungsrechtlich genau den gleichen Verhältnissen, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland nach unserem Grundgesetz haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Doch, lesen Sie es noch einmal genau nach! Oder vielleicht sind Sie, Herr Kollege Hoogen, so gut, es in dem zweiten Exemplar, das Ihnen zur Verfügung steht, nachzulesen und dazu Stellung zu nehmen, wenn Sie nachher hier erscheinen. Es ist genau dieselbe Situation! Es ist ausdrücklich gesagt, daß die Volksbefragung nicht stattfinden solle, um die Entscheidungsbefugnisse der verantwortlichen Verfassungsorgane zu ersetzen, wohl aber, um diese Stellen über den Stand der öffentlichen Meinung aufzuklären.
    Nichts weiter wollen wir. Wir wollen durch die Volksbefragung auch nicht die Entscheidungsbefugnisse der nach unserem Grundgesetz verantwortlichen Verfassungsorgane ersetzen, wohl aber wünschen wir, daß Sie und auch wir darüber aufgeklärt werden, wie die Meinung im Volke über die Frage der atomaren Ausrüstung in Wirklichkeit ist. Aber darin unterscheiden wir uns politisch; ich glaube gar nicht, daß wir uns verfassungsrechtlich so sehr unterscheiden. Ich möchte fast meinen, Sie halten unsere verfassungsrechtliche Situation für günstiger als die Ihre. Sagen Sie doch — das nimmt Ihnen keiner übel —, Sie wollen die Sache aus politischen Gründen nicht. Dann sparen wir uns die Auseinandersetzung über die verfassungsrechtlichen Grundlagen unseres Entwurfs. Das ist doch das Entscheidende.
    Aber wir wenden uns dagegen, daß Sie sagen, die Sache sei verfassungsrechtlich nicht zulässig, darüber einen einstimmigen Beschluß in Ihrer Fraktion fassen und dann so tun, als wenn wir nicht nur die Sache verfassungsrechtlich anders beurteilten, sondern auch mit unserem Vorhaben die ganze Bundesrepublik Deutschland aus den Angeln zu heben willens wären. Nein, vom Politischen her mögen Sie Ihre Situation anders beurteilen, als sie von uns beurteilt wird, vom Verfassungsrechtlichen her haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU, und Sie, meine Herren von der Regierung, kein Fundament, von dem aus Sie unsere Vorlage anzugreifen vermögen. Haben Sie den Mut, das zu erkennen, wenigstens dann, wenn wir im Rechtsausschuß diese Angelegenheit beraten, und unterlassen Sie es bitte, uns, weil wir das Volk in einer lebenswichtigen Frage unserer Zukunft befragen wollen, als Totengräber des Grundgesetzes und unseres Verfassungslebens zu verdächtigen! Diese Ihre Einstellung müßte abermals zur Zerstörung unseres Staatswesens führen, und die Schuld läge dann bei Ihnen.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Victor-Emanuel Preusker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wilhelmi.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Wilhelmi


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Greve hat es als erster von der sozialdemokratischen Fraktion unternommen, die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs, den diese Fraktion eingebracht hat, rechtlich zu begründen. Der Versuch ist ihm meines Erachtens nicht gelungen, aber ich bin doch recht dankbar, daß das versucht worden ist. Denn es ist doch wohl die erste Vorbedingung für die Einbringung eines Gesetzentwurfs durch eine demokratische Fraktion, daß sie Überlegungen anstellt, ob dieses Gesetz verfassungsmäßig wäre, und es ist einigermaßen selbstverständlich, daß sie das tut, wenn sich herumgesprochen hat — ich glaube, das ist geschehen —, daß die größte Fraktion dieses Hauses das Gesetz für verfassungswidrig ansähe.
    Was wir von Herrn Kollegen Greve über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs gehört haben, ist nicht allzuviel. Er hat zunächst beanstandet, daß unsere Fraktion angeblich einen Beschluß gefaßt habe, durch den sie die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs festgestellt habe. Ich bin sehr erstaunt, daß die SPD-Fraktion so wenig über die
    1468 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
    Dr. Wilhelmi
    Interna unserer Fraktion orientiert ist. Ich habe mir immer eingebildet, daß das alles in der Presse steht und daß man infolgedessen auch in anderen Fraktionen genau darüber unterrichtet ist. Aber es scheint doch nicht ganz so zu sein.
    Was in unserer Fraktion geschehen ist, ist dies: die ganze Fraktion ist einstimmig der Auffassung unserer Experten gefolgt, daß der Gesetzentwurf verfassungswidrig ist. Selbstverständlich ist das kein Gerichtsurteil und kann kein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ersetzen, sondern es ist das Ergebnis der Meinungsbildung in der Mehrheitsfraktion dieses Hauses, nicht mehr und nicht weniger. Aber das ist immerhin schon eine ganze Menge, denn diese Entscheidung ist nicht so aus dem Ärmel herausgeschüttelt worden, sondern nach sehr eingehenden Beratungen. So ist es also nicht, sehr verehrter Herr Kollege Greve, daß wir einfach sagen: wir fassen einen Beschluß, und damit stellen wir fest, ob der Entwurf verfassungsmäßig ist oder nicht. Wir haben uns vielmehr die Mühe gemacht, an Hand des Grundgesetzes festzustellen, ob Ihr Gesetzentwurf verfassungsmäßig ist oder nicht.
    Ich darf gleich einen Irrtum berichtigen, der hier vielleicht entstanden ist. Es kann natürlich nicht die Rede davon sein, daß eine Volksbefragung schlechthin in jeder Demokratie unzulässig ist. Selbstverständlich gibt es Demokratien, in denen eine Volksbefragung stattfinden kann. Allerdings hat bekanntlich schon Rousseau gesagt, daß sich nur kleine Einheiten für eine unmittelbare Beteiligung des Volkes an der Gesetzgebung und an der Willensbildung ganz allgemein eignen und größere Gebilde — zu denen ja auch unsere klein gewordene Bundesrepublik immerhin noch zählt — für eine derartige unmittelbare Beteiligung des Volkes nicht geeignet erscheinen. Trotzdem, das ist nicht das Entscheidende.
    Wir haben auch nie gesagt, daß Ihr Gesetzentwurf gegen den Geist der Demokratie schlechthin verstößt.

    (Zuruf von der SPD: Doch, Herr Barzel hat es gesagt!)

    — Das ist ein Irrtum. Herr Barzel hat sehr genau ausgeführt, was er meint. Er hat in etwas abkürzender Weise diese Bemerkung nur in einem Zwischenruf gemacht. Zwischenrufe pflegen, speziell wohl auch bei Ihnen, Herr Kollege Metzger, etwas abkürzend und etwas zusammenraffend zu sein. Man sollte also einen solchen Zwischenruf nicht allzu ernst nehmen, wenn eine Rede vorausgegangen ist, in der Herr Barzel sehr ausführlich und sehr genau unterschieden hat, in welcher Art von Demokratie eine Beteiligung des ganzen Volkes
    — sei es in der Form des Volksentscheids, sei es in der Form des Volksbegehrens, sei es in der hier in Betracht kommenden Form der Volksbefragung
    — möglich ist. Er hat sehr klar zum Ausdruck gebracht, daß wir eben eine ganz besondere Art der Demokratie geschaffen haben, und das muß man auch klar sagen. Der Begriff der Demokratie ist etwas durchaus Schwammiges und nicht Faßbares;
    muß erst einmal konkretisiert und in eine bestimmte Form gebracht werden.
    Das ist bei uns geschehen, zum Glück unter Mitwirkung der großen Parteien, also auch unter Mitwirkung der Partei, die jetzt diesen Gesetzentwurf eingebracht hat, und zwar durch die Schaffung des Grundgesetzes. Entscheidend ist nun: wir müssen allein aus dem Grundgesetz erkennen, was gewollt ist. Die Beratungen, die zum Grundgesetz geführt haben, haben juristisch nur die Bedeutung — und nicht mehr —, daß sie daraufhin zu überprüfen sind, ob bei der Formulierung des Grundgesetzes eine Lücke übersehen worden ist. Im übrigen gilt der Grundsatz, daß jedes Gesetz, ganz gleichgültig auf welchem Gebiet, zunächst nach den Normen, die es enthält, auszulegen ist. Man kann aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes allenfalls entnehmen, ob eine Lücke entstanden ist, an die der Gesetzgeber nicht gedacht hat.
    Von anderer Seite meiner Fraktion ist ausgeführt worden, daß von einer solchen Lücke gar keine Rede sein kann. Es ist sehr eingehend über die Frage gesprochen worden — ich will es einmal ganz allgemein ausdrücken —, ob man eine plebiszitäre oder eine repräsentative, parlamentarische Demokratie einführen soll. Sie wissen genau wie ich, wenigstens die Juristen unter Ihnen, daß Professor Weber in Göttingen eine für uns Parteien ziemlich herbe Schrift geschrieben hat, in der es heißt, das Grundgesetz sehe eine extrem repräsentative Demokratie vor, infolgedessen könne nur durch die Parteien eine Willensbildung erfolgen. Die Willensäußerung des Volkes sei allein auf die Wahlen zum Bundestag — soweit es sich um Bundesfragen handelt — und zu den entsprechenden Gremien auf anderen Ebenen beschränkt. Hier stellt ein Schriftsteller, der jedenfalls unserer Partei nicht besonders gewogen ist — ich glaube allerdings auch der Ihren, meine Damen und Herren von der SPD, nicht —, der ganz allgemein etwas auf die Parteienherrschaft schimpft und sich dagegen wendet, fest: Es ist eine ganz besondere Art der Demokratie, die durch das Grundgesetz bewußt geschaffen ist.
    Damit komme ich zu der Frage, ob ein Volksbegehren, ein Volksentscheid oder eine Volksbefragung zulässig sind. Es ist notwendig, zwischen diesen drei Institutionen juristisch zu entscheiden; das ist klar. Aber nach dem Grundgedanken, der im Grundgesetz zum Ausdruck kommt, handelt es sich um die allgemeine Ablehnung des plebiszitären Prinzips. Wenn Sie das so auffassen — ich glaube, so müssen Sie es auffassen; so tun es alle Schriftsteller, auch Hamann, den Sie so oft zitiert haben —, kommen Sie zu dem Endergebnis, daß die Frage, ob plebiszitäres Prinzip oder nicht, alle drei verschiedenen Formen, Volksbefragung, Volksentscheid und Volksbegehren, völlig gleichmäßig umfaßt.
    Nun sagen Sie — das ist eigentlich das einzige, was ich aus den Ausführungen von Herrn Greve herausgehört habe —: Was nicht im Gesetz, in der Verfassung verboten ist, ist erlaubt. Diesen Grundsatz gibt es in unserem Recht ausschließlich im
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1469
    Dr. Wilhelmi
    Strafrecht in etwas anderer Form. Das heißt, da kann niemand wegen eines Tatbestandes bestraft werden, der unter Strafe gestellt ist. Sonst gilt dieser Grundsatz in unserem Rechtssystem überhaupt nicht, und er gilt ganz gewiß nicht in unserem Staatsrecht, das sich damit befaßt, auf der einen Seite den Staatsbürger vor Eingriffen des Staates zu schützen und auf der anderen Seite die staatlichen Funktionen zu ordnen. Da gilt der Grundsatz, der immer in unserem Recht gilt, daß man ein vorliegendes Gesetz sinngemäß auszulegen hat. Da wir uns doch mit dem Bundesverfassungsgericht herumschlagen müssen — zwar nicht in der Angelegenheit Ihres Gesetzes, aber auf anderer Ebene —, darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1951 vorlesen, in der es heißt:
    Eine einzelne Verfassungsbestimmung kann nicht isoliert betrachtet und allein aus sich heraus ausgelegt werden. Sie steht in einem Sinnzusammenhang mit den übrigen Vorschriften der Verfassung, die eine innere Einheit darstellt. Aus dem Gesamtinhalt der Verfassung ergeben sich gewisse verfassungsrechtliche Grundsätze und Grundentscheidungen, die den einzelnen Verfassungsbestimmungen übergeordnet sind.
    Herr Barzel hat im Gegensatz zur Ansicht von Herrn Greve zu diesen Rechtsfragen sehr ausführlich Stellung genommen. Ich kann es mir deshalb ersparen, im einzelnen darauf zurückzukommen, und darf nur stichwortartig das wiederholen, was Herr Barzel gesagt hat. Er hat den Art. 20 Abs. 2 und Abs. 3 des Grundgesetzes, nicht in seinem Wortlaut, sondern in seinem Zusammenhang, wie er in der Verfassung steht, herausgehoben und hat darauf abgestellt, daß in der gesamten Verfassung von Abstimmung nur noch bei dem bekannten Fall der Regulierung der Ländergrenzen die Rede ist. Auch da darf ich mich auf Weber, Göttingen, beziehen, der ganz treffend sagt, man solle doch davon Abstand nehmen, diese Befragung der Bevölkerung in den Ländern hinsichtlich der Grenzregulierungen als „Volksentscheid" anzusehen; das sei doch eigentlich mehr ein „Bevölkerungsentscheid"; denn es stimmten ja nur die Leute ab, die an dieser Grenzziehung interessiert seien. Herr Kollege Barzel also hat sich mit dieser Frage des Art. 20 durchaus beschäftigt.
    Er hat sich weiter auch mit der Frage der freien Meinungsbildung beschäftigt, die ja schon Ihr Herr Kollege Dr. Carlo Schmid in der Geschäftsordnungsdebatte berührt hat; er hat dabei die Meinung vertreten, vor allem Grundgesetz stehe zunächst einmal die freie Meinungsäußerung; ich glaube, so sagte er wörtlich. Die freie Meinungsäußerung ist grundsätzlich etwas anderes als das Recht auf freie Information. Auch diese Frage ist im Grundgesetz geregelt worden, und zwar auch in Art. 5. Da heißt es, daß jeder das Recht habe, sich zu informieren. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß jeder berechtigt ist, sich aus den üblicherweise zugänglichen Quellen die „freie Meinung" zu bilden.
    Es ist also die Schranke vor einer Zensur oder vor dem, was wir in der sowjetisch besetzten Zone haben, wo man etwa keine Westzeitungen lesen kann. Also, das ist der Schutz des einzelnen Staatsbürgers, seine Meinung zu formen und seine Meinung zu äußern. Daraus ist aber in gar keiner Weise zu entnehmen, daß ein anderer Staatsbürger das verfassungsmäßige Recht hätte, nun seinerseits die Meinung seiner Mitbürger zu erforschen. Ich bin im Gegenteil der Auffassung, daß das eine ganz bedenkliche Angelegenheit wäre. Da griffe man sehr stark in die persönliche Rechtssphäre des einzelnen ein. Ich würde es mir eigentlich sehr verbitten, wenn ich irgendwie gezwungen wäre, meine Meinung außerhalb der staatlich vorgeschriebenen Grenzen zu äußern.
    Aus der Meinungsfreiheit und der Informationsfreiheit, die Art. 5 sichert, können Sie also wirklich keinen Honig für die Überzeugung von der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfes ziehen.
    Eine ganze Reihe von anderen Möglichkeiten und Problemen ist von Ihnen nicht angesprochen worden. Ich darf es mir deshalb ersparen, in diesem Augenblick auf sie einzugehen.
    Es hat auf mich einen großen Eindruck gemacht, daß Herr Kollege Greve so sehr an uns von der CDU appelliert hat, wir möchten doch glauben, daß seine Fraktion von der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzentwurfs überzeugt sei. Meine Damen und Herren von der SPD, wir dürfen Ihnen sehr gern glauben, daß dem so ist; aber Sie machen es uns ein wenig schwer, und zwar nicht deshalb, weil Sie nun das Gesetz hier eingebracht haben. Es kann schon einmal passieren, daß eine Fraktion einen Gesetzentwurf einbringt, der gegen die Verfassung verstößt. Aber Sie haben diesen Gesetzentwurf ja nicht nur hier eingebracht. Man kann Ihre Aktion nicht nur danach beurteilen, was Sie uns hier vorgelegt haben, sondern man muß doch wohl berücksichtigen, auf welchem Gesamthintergrund dieser Gesetzentwurf eingebracht worden ist.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Das spielt für uns Juristen, die wir gewiß gewohnt sind, die Dinge weitestgehend abstrakt zu betrachten, auch eine große Rolle. In unserem Rechtsleben wird es immer mehr klar, daß der Jurist, wenn er ein guter Jurist sein will, auch gezwungen ist, die Dinge so zu sehen, wie sie im Leben stehen, und nicht völlig abstrakt, wie wir es früher einmal gewohnt waren.

    (Beifall in der Mitte. — Abg. Metzger: Gerade deshalb!)

    Wenn ich Ihnen dazu nun einiges sage, meine Damen und Herren von der SPD, so tue ich es nicht deshalb, weil ich Krakeel mit Ihnen suche — einige von Ihnen kennen mich und wissen, daß das nicht meine Art ist —; es geschieht vielmehr aus einer tiefen Sorge, daß die Partei, die doch eine große demokratische Vergangenheit hat, jetzt, wie ich fürchte, an die Grenze dessen gekommen ist, vielleicht ohne es zu merken, wo sie ihre demokratische Vergangenheit zu verleugnen trachtet. Das ist für
    1470 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958
    Dr. Wilhelmi
    uns alle in diesem Hause eine sehr ernste Angelegenheit; denn kein Parlament kann ohne eine gute Opposition auf die Dauer existieren. Es wäre aber fürchterlich für den Staat, wenn aus dieser Opposition eine Obstruktion entstünde,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    und es wäre noch schlimmer für den Staat, wenn eine so große Gruppe wie die Sozialdemokratische Partei Deutschlands sich gegen diesen Staat wendete.

    (Abg. Metzger: Wir sind doch für diesen Staat!)

    — Herr Metzger, wir kennen uns schon lange.

    (Abg. Metzger: Wir kämpfen doch für seine Existenz!)

    — Ja, ich weiß, Sie kämpfen für seine Existenz, nach Ihrer Auffassung, dürfen Sie aber doch wohl hinzufügen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Kollege Metzger, das sind immer die etwas abkürzenden Zurufe, die Sie zu machen pflegen.
    Wir sind verschiedener Auffassung über die Wege, die zu gehen sind. Wir sind aber völlig einer Auffassung -- um gleich zu einem Schlagwort zu kommen —: Kampf dem Atomtod!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Da gibt es niemanden in diesem Hause, der nicht aus tiefstem Herzen diese Sorge auf sich fühlt und der nicht die ganze Schwere der Verantwortung, die auf jedem einzelnen von uns ruht, mag er noch so sehr Hinterbänkler sein, empfindet.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich sprach davon, daß wir uns Sorgen darüber machen, daß Sie sich an der Grenze der Opposition zur Obstruktion und zur staatsfeindlichen Partei bewegen.

    (Widerspruch bei der SPD. — Abg. Heiland: Das ist an der Grenze der Verleumdung! — Abg. Metzger: Das glauben Sie doch selber nicht!)

    — Nein, Herr Kollege, ich bin ein Optimist. Herr Metzger, Sie kennen mich doch. Ich bin ein ausgesprochener Optimist. Ich bin so optimistisch, daß ich mir immer noch einbilde, daß vielleicht am Schluß dieser ersten Lesung, wo die rechtliche Möglichkeit noch besteht, einer Ihrer Herren auftritt und sagt: Wir ziehen den Gesetzentwurf zurück. So optimistisch bin ich.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich wollte Ihnen damit nur meinen Optimismus kundtun.
    Herr Kollege Metzger, das Bedenkliche ist doch folgendes. Kampf dem Atomtod! ist heute das Schlagwort, unter dem so manches läuft, unter dem Organisationen aufgezogen werden, denen Sie beitreten, die Sie unterstützen und die Sie in eine ganz bestimmte Richtung steuern. Meine Damen und Herren, da wird die Sache kritisch. Wir haben
    in diesem Hause vier Tage lang eine außenpolitische Debatte gehabt. In dieser ganzen außenpolitischen Debatte ist von Ihnen niemals der Vorwurf gekommen, daß wir den Atomtod wollten. Sie haben Ihre Sorge zum Ausdruck gebracht, daß unsere Politik dahin führt, und wir haben unsere Sorge zum Ausdruck gebracht, daß Ihre Politik dahin führt.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ich bin nach wie vor der Überzeugung, daß das so ist. Ich bin der Überzeugung, daß die Schaffung eines irgendwie gearteten Vakuums die Gefahr des Atomtods für uns Deutsche wesentlich vergrößern würde.
    Ich kann Ihre Argumentation nicht verstehen. Einer Ihrer Freunde, der mir ebenfalls nahesteht, hat einmal gesagt: Wenn die Abschußbasen in Deutschland errichtet würden, dann würde ich das den Sowjets verraten, um damit die deutsche Bevölkerung zu schützen. — Ich kann das schon rein militärisch nicht verstehen. Ich sehe gerade, der Herr Bundesverteidigungsminister ist da; er kann mich also unterstützen oder berichtigen, wenn ich jetzt etwas Falsches sage. Ich sagte, ich kann das schon rein militärisch nicht verstehen. Denn Sie sagen doch immer — und ich glaube, nicht mit Unrecht —, daß jedenfalls die nuklearen Waffen Flächenwaffen sind und naturgemäß eine große Fläche bestreuen, eine wesentlich größere Fläche, als das früher mit dem Artillerieflächenfeuer möglich war. Deshalb kann ich eigentlich nicht verstehen, wie man die Bevölkerung dadurch soll retten können, daß man etwaige in Deutschland befindliche Abschußbasen dem Feinde verrät, denn dann wird ja mindestens die dort wohnende Bevölkerung erheblich geschädigt. Also das sind so einige unlogische Dinge, die da unterlaufen und bei denen ich nicht folgen kann.
    Das Entscheidende ist doch, daß Sie bei der Aktion „Kampf dem Atomtod" die Dinge verkehren, als wollten wir bewußt den Atomtod und als führe Ihre Politik vom Atomtod weg. Das ist die Verfälschung, und das macht mir Sorgen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine demokratische Partei kann gegen die Regierung, gegen die Mehrheitsparteien kämpfen. Das ist ihr verdammtes Recht, ja sogar ihre Pflicht als Opposition, wenn die Dinge richtig funktionieren sollen.

    (Abg. Wehner: Formulieren S i e unsere Pflicht als Opposition?)

    Aber sie darf keine Unwahrheiten verbreiten, sie darf keine bewußt falschen Parolen ausgeben

    (Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Das darf nur der Bundeskanzler!)

    und sich ständig in dieser Aktion „Kampf dem Atomtod" — —

    (Abg. Wehner: „Der Untergang Deutschlands", „Christentum oder Kommunismus" !)

    — Nein, Herr Kollege! Es tut mir furchtbar leid,
    meine Damen und Herren, daß Sie immer noch
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1471
    Dr. Wilhelmi
    nicht das Hauptmotto verstanden haben, unter dem wir die außenpolitische Debatte geführt haben. Ich kann es Ihnen in einem Satz sagen.
    Wir sind der Auffassung, daß unsere Politik die Sicherheit vor dem Kommunismus und die Sicherheit vor dem Atomtod gewährleistet.

    (Abg. Wehner: Sie haben erklärt, wir seien der Kommunismus und wir seien der Untergang! Davon kommen Sie nicht weg!)

    — Herr Kollege, ich halte heute meine erste Rede in diesem Hause, aber das habe ich sicher nicht erklärt.

    (Abg. Wehner: Der Kanzler, entschuldigen Sie!)

    — Ich komme noch darauf zurück, wie gefährlich Ihre Politik ist, seien Sie unbesorgt!
    Das ist die eine Seite, die wir berücksichtigen müssen bei der Frage, ob dieser Gesetzentwurf verfassungsmäßig ist oder nicht: der Hintergrund „Kampf gegen den Atomtod", der ein falscher, ein verfälschter Hintergrund ist.
    Die zweite Seite ist folgende, und da komme ich wieder mehr auf das rein juristische Gebiet. Sie wissen so genau wie ich, daß bei den Mehrheitsverhältnissen in diesem Hause Ihr Gesetzentwurf keine Aussicht hat durchzugehen. Deshalb ist es zunächst naheliegend, daß sie versuchen, den Gesetzentwurf dort zum Zuge zu bringen, wo Sie die Mehrheit haben. Das wäre unbedenklich, wenn
    Sie damit nicht — ja, ich bitte um Entschuldigung, aber ich muß es Ihnen sagen — wirklich an den Grundpfeilern unseres geordneten Verfassungsrechtsstaates rüttelten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin Jurist und muß mich deshalb auf konkrete Tatbestände berufen. Sie haben ausgerechnet die Stadt Frankfurt am Main zum Spitzenreiter in diesem Angriff gegen die Grundordnung gemacht. Nun ist ganz interessant, daß die Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt am Main, die eine sozialdemokratische absolute Mehrheit hat, zwei Beschlüsse gefaßt hat. Sie hat einmal einen Beschluß gefaßt, der fast haargenau Ihrem Gesetzentwurf hier entspricht. Aber vorab hat sie noch einen anderen Beschluß gefaßt, und der ist so interessant, daß ich ihn — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — in diesem Hohen Hause verlesen darf. Die Stadtverordnetenversammlung hat beschlossen,
    den Magistrat zu beauftragen, allen Plänen zur Stationierung oder Lagerung von Atomwaffen auf dem Gebiet der Stadt Frankfurt am Main entschlossenen Widerstand entgegenzusetzen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    — „Das ist sehr gut", sagen Sie. Ich habe wegen der Auswirkung dieses Beschlusses in der Stadt Frankfurt nicht allzu große Bedenken. Denn ich kenne meine Frankfurter. Sie haben nicht mal 1866 gegen die Preußen gefochten. Ich kann also nicht annehmen, daß nunmehr der Magistrat gegen den Bundesminister Strauß zu Feld ziehen wird, um
    diesem „entschlossenen Widerstand entgegenzusetzen".
    Ich bin mir auch durchaus darüber klar, daß die Frankfurter Stadtverordneten der sozialdemokratischen Fraktion, die diesen Beschluß gefaßt haben — oder wenigstens einige von ihnen —, wußten, daß in diesem Fall nicht nur die Gesetzgebungskompetenz beim Bund liegt, sondern auch die Verwaltungskompetenz, so daß dieser Beschluß praktisch vollkommen bedeutungslos ist und die Bundesverwaltung ihn wegwischen kann. Das ist wieder genau dasselbe wie bei der Atomgeschichte. Das ist eine Unehrlichkeit in Ihrer Politik. Ich darf bei einer so zentral gesteuerten Partei wie der Sozialdemokratischen wohl annehmen, daß das nicht Ihrer Kenntnis entgangen ist und daß der Beschluß der Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt am Main nur ein Beispiel ist, der Vorreiter für andere Beschlüsse, die Sie in anderen Städten zu produzieren gedenken.
    Das Bedenkliche an diesem Beschluß ist, daß hier ein amtliches Gremium, nämlich die Stadtverordnetenversammlung, ein anderes amtliches Gremium, nämlich den Magistrat einer Stadt, zum entschlossenen Widerstand gegen Maßnahmen auffordert, die die Bundesregierung auf Grund eines rechtmäßig zustande gekommenen Beschlusses dieses Hauses ergreifen könnte. Das ist doch ein Verhalten, das auch von Ihnen, meine Damen und Herren, nicht als verfassungsmäßig bezeichnet werden kann.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Das ist doch ganz schlicht und ganz einfach, wenn es ernst gemeint ist, die Aufforderung zur Verletzung der Pflicht zur Bundestreue. Die Pflicht zur Bundestreue ist für die Gemeinden genauso gegeben wie für die Länder, und zwar nicht nur mittelbar über die Länder, sondern unmittelbar. Das können Sie in jedem Staatsrechtskommentar nachlesen. Daß Sie so etwas zulassen, daß nun ein öffentliches Organ ein anderes öffentliches Organ direkt auffordert, gegen die Pflicht zur Bundestreue zu verstoßen, ist doch ein recht undemokratisches und recht bedenkliches Zeichen. Das ist eigentlich Aufruf zum Widerstand gegen die verfassungsmäßig eingesetzten Instanzen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Das berührt mich deshalb sehr ernst, weil ich der Auffassung bin, daß das deutsche Volk der Sozialdemokratie einiges zu verdanken hat, und zwar im Jahre 1918, als die Sozialdemokratie in ihrer Haltung die Entwicklung des Kommunismus verhindert hat, und auch im Jahre 1945, als die Sozialdemokratie eine Entwicklung zur SED abgelehnt hat und ihre Wege zu einer echten, freiheitlichen Demokratie gegangen ist. Aber gerade weil das so ist, ist unsere Sorge — und da darf ich, glaube ich, für alle Parteifreunde sprechen — besonders schwer. Wir sehen es mit großer Betrübnis und großem Ernst, daß sich eine demokratische Partei hier anschickt, zum Verstoß gegen die Pflicht zur Bundestreue aufzufordern und aufzufordern, Gesetze zu machen und Beschlüsse zu fassen, die eben nicht mit unserer Verfassung vereinbar sind.
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    Dr. Wilhelmi
    In dem zweiten Beschluß, der hier gefaßt worden ist — auch Frankfurt nur als Beispiel genommen; Sie werden das vielleicht in anderen Städten zu wiederholen versuchen —,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Darmstadt! — Göttingen!)

    wurde gesagt, daß in Frankfurt eine Volksbefragung abzuhalten ist mit der Fragestellung: Sollen auf deutschem Boden Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet und atomare Abschußbasen eingerichtet werden? Das sind Ihre beiden Fragen; etwas zusammengezogen, aber im wesentlichen ist es dasselbe.
    Auch hier wieder zunächst rein juristisch: Wir haben in den Gemeinden verbürgt die Selbstverwaltung und die sogenannte Allzuständigkeit. Aber diese Selbstverwaltung und die Allzuständigkeit der Gemeinden ist nach der Verfassung — Artikel 28 — ausdrücklich in zwei Richtungen eingeschränkt; sie haben diese Selbstverwaltung und diese Allzuständigkeit nur in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, und zum zweiten haben sie sie nur im Rahmen der bestehenden Gesetze.
    Beide Einschränkungen sind hier auf das gröblichste mißachtet. Sie werden nicht behaupten können, und kein Mensch wird behaupten können, daß die Frage, ob auf deutschem Boden Streitkräfte mit atomaren Waffen ausgerüstet oder Abschußbasen errichtet werden, eine örtliche Angelegenheit von Frankfurt ist. Übrigens: nicht nur auf dem Boden der Bundesrepublik. Offenbar will man die sowjetisch besetzte Zone hineinnehmen; das wäre eine erfreuliche Angelegenheit, aber ich glaube, darüber können wir nicht abstimmen. Ich kann mir denken, daß es Ihnen peinlich gewesen wäre, diese Frage örtlich zu stellen; denn dann hätte es nahegelegen, daß man sagte: „Na schön, dann machen wir die Abschußbasen in Bonn, da gehören sie eher hin als nach Frankfurt." Deshalb also haben Sie es allgemein gefaßt. Aber damit sind Sie aus dem Gesetz herausgerutscht. Es handelt sich nun nicht mehr um eine örtliche Angelegenheit, sondern Sie wollen, daß das ganze deutsche Volk mit dieser Sache beglückt wird.

    (Zurufe von der SPD.)

    Die zweite gesetzliche Beschränkung, die Sie nicht beachtet haben bei diesen Anweisungen an die Stadtverordneten von Frankfurt am Main, ist die, daß das Vorgehen im Rahmen der Gesetze bleiben muß. Ich habe vorhin schon ausgeführt, daß es bei der Frage der Gemeinden nicht nur um die Gesetzgebungskompetenz geht, die nach Artikel 73 des Grundgesetzes unzweifelhaft beim Bund liegt, sondern daß es hier im Falle der Verteidigung auch um die Einschränkung der Selbstverwaltung geht, nach Artikel 87a und 87b unserer Grundordnung, die nämlich eine eigene Bundesverwaltung für diese Dinge vorsieht.
    Also auch unter dem Gesichtspunkt der Allzuständigkeit der Gemeinden und der Selbstverwaltung der Gemeinden kann dieser Beschluß unter gar keinen Umständen als rechtmäßig betrachtet werden.
    Trotzdem hat der Magistrat der Stadt Frankfurt am Main, der natürlich auch eine sozialdemokratische Mehrheit hat, gegen diesen Beschluß keinen Einspruch eingelegt, und es ist auch nichts davon bekanntgeworden, daß etwa die Aufsichtsbehörde, der Innenminister von Hessen, dagegen Einspruch einlegen würde; im Gegenteil, er hat schon eine Erklärung abgegeben, aus der deutlich zu erkennen ist, daß er das nicht tun wird.
    Ich habe zu meiner großen Freude festgestellt, daß der Herr Bundesinnenminister entschlossen ist, gegen dieses ungesetzliche Vorgehen gerichtlich vorzugehen. Das ist ohne weiteres gegeben. Wir haben die Bestimmung, daß bei einem Meinungsstreit zwischen Bund und Ländern da Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann. Dieser Streit ergibt sich daraus, daß die Regierung des Landes Hessen offenbar nicht gewillt ist, ihr Aufsichtsrecht gegenüber der Gemeinde Frankfurt am Main auszuüben und diesen unzulässigen Beschluß aufzuheben. Daraus werden wir dann sehr bald einen Streit am Bundesverfassungsgericht haben mit der dazugehörigen einstweiligen Anordnung. Der Termin der Volksbefragung ist auch ganz interessant; es ist nämlich der 29. Juni, also eine Woche vor den Wahlen. Das zeigt, wie sehr Ihnen nur daran liegt, etwas für das deutsche Volk zu tun, und wie Ihnen gar nicht am Herzen liegt, Ihre Parteiinteressen zu vertreten. Aber das nur nebenbei. Es wird also sicher eine einstweilige Anordnung beantragt werden, um diesen so geschickt vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen liegenden Termin so lange hinauszuschieben, bis die gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache vorliegt.
    Nun noch ein Wort zu den Ländern. Bei den Ländern ist es nicht viel anders, und auch das steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Ihrem Vorgehen hier. Meine Damen und Herren, falls Sie es infolge der Länge meiner Rede vergessen haben sollten, darf ich noch einmal erklären — ich habe es nachzuweisen versucht —, daß es nicht richtig ist, wenn Sie sagen, Sie seien von der Verfassungsmäßigkeit der eingebrachten Gesetzesvorlage überzeugt; vielmehr ist es richtig, daß Sie sich bewußt sind, daß Sie hier einen Parteistreit führen und Ihr Parteisüppchen kochen wollen, und zwar da kochen wollen, wo Sie glauben, daß es entsprechende Wellen schlagen wird.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Das ist ja die Suppe Rasner-Barzel, aus der Sie jetzt schöpfen! — Weitere Zurufe.)

    — Verzeihen Sie, ich sage nichts, was ich nicht nachweisen kann. An dem Beispiel Frankfurt am Main habe ich es Ihnen doch nachgewiesen! Ist es denn Zufall, daß überall da, wo Sie die Mehrheit haben, solche Befragungen gemacht werden sollen? Es kann doch kein Zufall sein!

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wittrock: Ist es denn ein Zufall, daß Sie die Volksbefragung überall zu verhindern suchen? — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Ja, ich will Sie überall hindern, etwas zu tun,
    Herr Kollege Wittrock, was ungesetzlich ist. Das
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1473
    Dr. Wilhelmi
    werde ich mit ganzem Herzen tun, und ich weiß, daß das nicht nur meine Parteifreunde tun werden, sondern auch die Bundesregierung. Sie werden schon die nötigen Klagen am Bundesverfassungsgericht bekommen; seien Sie nur ganz unbesorgt!

    (Abg. Metzger: „Parteisüppchen", das ist Ihre Loyalität!)

    — Nein, das ist nicht meine Loyalität! Herr Kollege, das ist doch furchtbar einfach. Wenn es Ihnen um die Sache zu tun gewesen wäre, dann hätten Sie doch in Frankfurt in aller Ruhe abwarten können, was geschieht. Es tut mir leid, daß ich das Hohe Haus hier mit einer solchen Spezialfrage langweile.

    (Abg. Metzger: Sollen wir warten, bis die erste Atombombe fällt?)

    In Frankfurt hat man dem Beschluß über die Volksbefragung, den ich Ihnen vorgelesen habe, noch etwas angefügt: Der Magistrat hat mit den Vorbereitungen sofort zu beginnen, und die Vorbereitungen sind nur dann einzustellen, wenn etwa Hessen ein gleichlautendes Gesetz beschließt.

    (Zuruf von der SPD: Na und?)

    — „Na und?" sagen Sie. Damit kann ich Ihnen folgendes beweisen. Der Magistrat hat sofort begonnen; sogar noch bevor er Beschluß gefaßt hat, ist eine Anweisung an das Wahlamt ergangen, und er hat den Termin auf den 29. Juni festgesetzt. Es war brennend eilig. Man wußte nicht, ob und wann in Hessen ein solches Gesetz kommt. Im Moment ist es recht zweifelhaft, ob ein solches Gesetz in Hessen kommt. Aber es ist auch ganz charakteristisch, meine Damen und Herren, daß man nicht weise abgewartet hat, ob Ihr Gesetzentwurf hier etwa angenommen werden würde.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Es war Ihnen also — da gebe ich Ihnen die Antwort, Herr Metzger; das ist die Schlußfolgerung, die ich aus diesem Tatbestand ziehe — nicht darum zu tun, eine sachliche Entscheidung des deutschen Volkes über diese Frage herbeizuführen, sondern es war Ihnen darum zu tun, vor dem Wahltermin in Nordrhein-Westfalen an irgendeinem Punkt mit agitatorischen Fragen eine für Sie günstige Entscheidung zu bekommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)