Rede von
Dr.
Otto Heinrich
Greve
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Wie sehr der Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion über die Volksbefragung wegen eines Verbots der Atomaufrüstung der Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland die wunde Stelle der CDU und ihrer Regierung getroffen hat, hat der bisherige Verlauf der Debatte gezeigt.
— Wer sich in diesem Irrtum befindet, werden andere besser entscheiden als Sie und ich. — Ich habe auch volles Verständnis dafür, meine Damen und Herren von der CDU, daß Ihnen das ganze Vorhaben aus politischen Gründen nicht paßt. Jeder meiner Freunde und ich würde es verstanden haben, wenn Sie sich aus diesen politischen Gründen gegen eine Volksbefragung gewendet hätten. Darüber kann man sich in aller Ruhe und darüber kann man sich auch in aller Leidenschaft unterhalten, das räume ich ohne weiteres ein. Aber die Art und Weise, wie insbesondere Herr Dr. Barzel geglaubt hat, den Entwurf der Sozialdemokratischen Partei angreifen zu müssen, zeigt doch, daß Sie einfach kein Verständnis dafür haben, daß die sozialdemokratische Fraktion ihre Handlungen nach ihren eigenen politischen Vorstellungen bestimmt und nicht nach Vorstellungen, die Sie für richtig oder für falsch halten.
Es kann in keiner Weise die Rede davon sein, daß der Entwurf eine Verfassungsverletzung bedeutet oder daß er gar, wie es heute morgen der Bonner „Generalanzeiger" schreibt, den Willen zur kalten Machtergreifung zum Ausdruck bringt. So zu argumentieren, meine Damen und Herren, ist schlechthin infam.
Ich sagte, wir können uns über die politischen Aspekte eines solchen Vorhabens unterhalten, aber nicht über Dinge, die einfach außerhalb jeder Erörterung liegen. Ihr bisheriges Vorgehen gegen den Entwurf, soweit es sich um die verfassungsrechtlichen Dinge handelt, ist vollends unverständlich. Denn man kann diese und man kann jene Rechtsauffassung haben. Aber wenn es richtig ist, daß die Fraktion der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union einstimmig beschlossen hat, daß der Entwurf meiner Fraktion verfassungsrechtswidrig sei, dann kann ich darüber nur lachen. Dadurch, daß eine Fraktion einstimmig beschließt, ob ein Gesetzentwurf verfassungswidrig ist oder nicht, wird die Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit noch in keiner Weise gelöst.
— Nein, Sie können das einstimmig beschließen und Sie können das auch noch einmal einstimmig beschließen, das besagt über die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit unseres Entwurfes gar nichts.
Ich räume auch ein, daß man darüber verschiedene Rechtsauffassungen haben kann, ob der Entwurf verfassungsmäßig oder verfassungswidrig ist. Das muß schließlich dann von denjenigen Stellen entschieden werden, die in der Bundesrepublik Deutschland dazu berufen sind. Aber was Sie nicht dürfen, meine Damen und Herren, ist, uns unterstellen, wir hätten unseren Gesetzentwurf im Bewußtsein der Verfassungswidrigkeit einer solchen Volksbefragung eingebracht.
Ich will mich mit den politischen Fragen unseres Entwurfs im einzelnen nicht befassen; das werden andere meiner Freunde noch tun. Ich will mich vornehmlich mit den Verfassungsrechtsfragen befassen, möchte aber vorab erklären, daß die sozialdemokratische Fraktion den Entwurf in der festen Überzeugung eingebracht hat, daß eine Volksbefragung der hier in Rede stehenden Art nach unserem Grundgesetz zulässig ist.
Ich sage weiter, daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands mit der Volksbefragung, auch mit ihren Nebenfolgen und mit ihren Nebenwirkungen, von denen wir wissen, daß sie eintreten können
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Dr. Greve
und möglicherweise auch eintreten werden, keine verfassungsrechtlich unzulässigen Vorhaben verbindet, was Sie uns in Ihren Reden zum Teil vorgeworfen haben. — Doch, Herr Dr. Barzel! Ich komme noch im einzelnen darauf zu sprechen, und mein Freund Blachstein hat Ihnen schon einiges darauf erwidert. Sie haben sich leider nicht die Mühe gegeben, uns Ihre Argumente bekanntzugeben. — Nein, die Argumente haben Sie uns nicht bekanntgegeben. Wenn Sie sie haben, möchte ich Sie bitten, sie uns später zu sagen.
Herr Dr. Barzel, Sie haben im einzelnen ausgeführt — und das gab mir Veranlassung zu diesen Bemerkungen —, der Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion bedeute einen Anschlag auf die Demokratie, denn die Verfassungswidrigkeit stehe ihm auf der Stirn geschrieben. Sie haben aber nicht gesagt, warum ihm die Verfassungswidrigkeit auf der Stirn geschrieben steht. Sie haben den Kommentator Hamann, der die Volksbefragung schlechthin für verfassungsmäßig hält, als einen fragwürdigen Kommentator bezeichnet, ohne zu sagen, warum er ein fragwürdiger Kommentator ist. Sie haben gesagt, es gebe nach dem Grundgesetz nur einen Weg, die Volksmeinung zum Ausdruck zu bringen, das seien die Bundestagswahlen. Sie haben davon gesprochen, daß die Volksbefragung eine verfassungswidrige Aktion bedeute, aber nicht gesagt, warum Sie diese Aktion für verfassungswidrig halten. Sie haben gesagt, daß der Gesetzentwurf wider den Geist und Buchstaben des Grundgesetzes sei.
Sie haben weiter gesagt daß das Vorhaben der Volksbefragung eine Umgehung des Grundgesetzes durch pseudolegale Aktionen darstelle. — Das alles, Herr Dr. Barzel, sind Ihre Äußerungen. Herr Bundesminister Dr. Schröder, auf dessen Ausführungen ich später noch eingehe, hat sich zu einem Teil diesem Vorgehen von Herrn Dr. Barzel angeschlossen, und wenn er auch in der Erklärung, die er für die Bundesregierung abgegeben hat, einige Argumente vorgetragen hat, warum der Volksbefragungsentwurf der sozialdemokratischen Fraktion dem Grundgesetz widersprechen soll, ist er dennoch in manchen Punkten die Argumente schuldig geblieben.
Eine Reihe anderer Redner ist dann darauf zu sprechen gekommen, warum nach unserem Grundgesetz die Volksbefragung unzulässig sein soll, und ist dabei auf die Beratungen des Parlamentarischen Rats und auf die Frage eingegangen, warum sich die Dinge so entwickelt haben, insbesondere wegen der Verhältnisse, wie sie in Weimar gewesen sind, und der Dinge, wie sie sich in den Volksbefragungsaktionen Hitlers abgespielt haben. Es ist Ihnen schon gesagt worden, daß ein Vergleich zwischen unserem Gesetzentwurf und den nach der Weimarer Verfassung zulässigen Volksbegehren und Volksentscheiden überhaupt nicht möglich ist, daß beide sowohl ihrem sachlichen als auch ihrem rechtlichen Gehalt nach etwas ganz anderes darstellen. Ich will versuchen, Herr Dr. Barzel, Ihnen das zu beweisen. Sie werden mir zugeben — darüber dürfte es überhaupt keine unterschiedlichen Auffassungen geben —, daß die Volksbegehren, die auf Grund des Gesetzes über die Volksabstimmung vom 14. Juli 1933 in Hitlers Ära veranstaltet worden sind, sowohl ihrem tatsächlichen als ihrem rechtlichen Gehalt nach etwas ganz anderes darstellten.
Um das Ihnen allen, die Sie zum Teil vielleicht nicht mehr die Erinnerung an diese Dinge haben, klarzumachen, muß ich auf die Volksbegehren und die Volksentscheide in den verschiedenen Durchführungen zur Weimarer Zeit eingehen.
Aus der Zeit der Weimarer Verfassung kann man zu den Dingen, wie sie gestern zur Diskussion gekommen sind, überhaupt keine eigentliche Einstellung, weder eine positive noch eine negative Einstellung haben. Das Volksbegehren und der Volksentscheid haben in der Praxis der Weimarer Zeit beileibe nicht die Rolle gespielt, die Sie ihnen heute zuerkennen.
Wenn Sie nämlich bedenken, daß in den 13 Jahren der Weimarer Zeit nur achtmal Volksbegehren eingeleitet worden sind, dann können Sie schon aus dieser Zahl entnehmen, welche geringe Bedeutung die Volksbegehren damals gespielt haben. Wenn ich Ihnen dann sage, daß davon nur drei Volksbegehren durchgeführt worden sind, dann wird das, was ich eben dargestellt habe, noch eklatanter. Noch offensichtlicher wird es, wenn ich Ihnen sage, um welche drei Volksbegehren es sich damals gehandelt hat und wie sie ausgelaufen sind.
Das erste Volksbegehren war das der Kommunistischen Partei Deutschlands im Oktober 1928, mit dem sie den Bau des Panzerkreuzers A verhindern wollte. Dieses Volksbegehren scheiterte bereits mangels der vorgeschriebenen Mindestbeteiligung. Das zweite Volksbegehren war das Volksbegehren, das die entschädigungslose Enteignung der ehemals in Deutschland regierenden Fürstenhäuser vorsah, das am 20. Juni 1926 durchgeführt worden ist. Dieses Volksbegehren scheiterte ebenfalls daran, daß nicht die Mindestzahl der Staatsbürger sich an ihm beteiligte. Das dritte Volksbegehren war das Volksbegehren des Stahlhelms gegen die Kriegsschuldlüge und den Young-Plan, das im Dezember 1929 durchgeführt worden ist. Auch dieses Volksbegehren scheiterte mangels Mindestbeteiligung der Bevölkerung in Deutschland.
Sie sehen also, daß die Volksbegehren, die in der Weimarer Zeit durchgeführt worden sind, für die Argumentation, mit der Sie glauben, gegen unser Volksbegehren vorgehen zu sollen, überhaupt nichts hergeben. Es gibt für Sie, meine Damen und Herren, aus der Weimarer Zeit keine Grundlage für die Beurteilung der Anrufung des Volkes zur Stellungnahme in bestimmten Fragen von grundsätzlicher Bedeutung. Denn all die Inhalte der eben von mir erwähnten Volksbegehren hatten beileibe nicht die grundsätzliche Bedeutung für die Zukunft des deutschen Volkes wie die Inhalte der Volksbefragung, die wir durchgeführt haben wollen.
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Dr Greve
Herr Dr. Barzel, Sie werden doch zugeben, daß die Frage der Atombewaffnung der Bundesrepublik Deutschland für die Entwicklung unseres Volkes und für das Leben unseres Volkes von ganz anderer Bedeutung ist, als es die Fürstenenteignung oder die Kriegsschuldlüge oder der Panzerkreuzer gewesen sind.
— Ich gebe ohne weiteres zu, Herr Dr. Barzel, daß das keine Volksbefragungen, sondern Volksbegehren gewesen sind, die nach der Weimarer Verfassung expressis verbis zugelassen waren. Ich werde mich auch noch mit Ihnen darüber unterhalten, ob Volksbegehren, wie sie nach dem Grundgesetz expressis verbis nicht zugelassen sind, verfassungsmäßig oder verfassungswidrig sind; das ist ja die verfassungsrechtliche Frage.
Sie und Ihre Freunde haben argumentiert, daß der Parlamentarische Rat auf Grund der Erfahrungen von Weimar und der Hitlerzeit davon Abstand genommen habe, Volksentscheide, Volksbegehren und auch Volksbefragungen für zulässig zu erklären. Ich gebe Ihnen auch ohne weiteres jetzt schon zu, daß im Parlamentarischen Rat über Volksbegehren und Volksentscheid gesprochen worden ist und daß man für die Gesetzgebung ausdrücklich von ihnen Abstand genommen hat. Auch ich halte sie nicht für zulässig. Ich werde Ihnen sagen, warum ich dagegen Volksbefragungen für zulässig erachte: weil ich nämlich Volksbefragungen für etwas tatsächlich und rechtlich anderes ansehe als Volksbegehren und Volksentscheid; und das ist das punctum saliens.
Sie haben weiter versucht, aus Hitlers Ara Honig zu saugen; denn Sie sagten: Wir wollen auch auf Grund der Erfahrungen, die wir zur Hitlerzeit gemacht haben, keine Volksbefragungen dieser Art, das sind demagogische Maßnahmen, und wir werden solche Demagogie in der Bundesrepublik Deutschland nicht zulassen, jedenfalls nicht insoweit, als damit die Aufwiegelung des Volkes gegen die ordnungsgemäß zustandegekommene Regierung verbunden ist.
Meine Damen und Herren, Sie wissen wahrscheinlich im Augenblick gar nicht, welche Volksbefragungen zur Zeit der Hitler-Ara durchgeführt worden sind. Ich erwähnte schon, daß im Juli 1933 das Gesetz über Volksabstimmungen verabschiedet worden ist, das Volksabstimmungen zuließ. Der erste Fall war der einer Volksbefragung über den Austritt aus dem Völkerbund und das Verlassen der Abrüstungskonferenz. Hier wurde das deutsche Volk, nachdem die damalige Reichsregierung beschlossen hatte, aus dem Völkerbund auszutreten, und nachdem ihre Vertreter die Abrüstungskonferenz verlassen hatten, befragt, ob es mit den bereits getroffenen Maßnahmen einverstanden sei.
Der zweite Fall war die Volksbefragung über die Einsetzung Hitlers als Staatsoberhaupt, die bereits durch ein Gesetz am 1. August 1934 beschlossen worden war. Die Volksbefragung fand am 19. August 1934 statt.
Der dritte Fall war der des Einmarsches deutscher Truppen in Österreich.
In allen drei von mir erwähnten Fällen — und das sind alle Fälle, in denen Volksbefragungen dieser Art stattgefunden haben — hatte das Volk keine offene Frage zu beantworten, wie es nach unserem Vorhaben der Volksbefragung ist, sondern es handelte sich bei allen diesen Volksbefragungen darum, daß eine bereits getroffene und vollzogene Maßnahme nachträglich gebilligt werden sollte.
Wenn Sie der Auffassung sind, meine Damen und Herren, daß die atomare Bewaffnung bereits stattgefunden hat und unsere Volksbefragung auch nur den Sinn haben könnte, nur eine bereits getroffene Entscheidung zu billigen, dann allerdings können Sie eine Parallele mit den Volksbefragungen der Hitlersehen Zeit ziehen.
Aber ich glaube, so weit werden Sie selbst nicht gehen wollen.
Die Beteiligung des deutschen Volkes an den Hitlerschen Volksbefragungen bedeutete weiter nichts als eine Akklamation, wie sie eben auch in den napoleonischen Volksabstimmungen in Frankreich in den Jahren von 1793 bis 1815 stattgefunden hat.
Sie können also aus den Zeiten Weimars und aus den Zeiten Hitlers schon nicht sehr viel oder nichts für die Entscheidungen herleiten, vor die der Parlamentarische Rat gestellt war. Nun sagen Sie, es handelte sich im Parlamentarischen Rat vor allem darum, Volksabstimmungen schlechthin abzulehnen. Nein, meine Damen und Herren, es handelte sich im Parlamentarischen Rat gar nicht darum, Volksabstimmungen schlechthin abzulehnen!
Sie haben in diesem Zusammenhang meinen Freund Dr. Rudolf Katz zitiert, der sich im Parlamentarischen Rat sehr wesentlich an der Diskussion über diese Frage beteiligt hat. Herr Dr. Katz hat ausdrücklich gesagt:
Wir sind der Ansicht gewesen, daß normalerweise die Gesetzgebung
— die Gesetzgebung! —
im Wege der repräsentativen Demokratie durch die Parlamente durchgeführt wird und daß normalerweise ein Volksentscheid über ein Gesetz nicht herbeigeführt werden sollte.
Ich wiederhole: Herr Dr. Katz spricht davon, daß die Gesetzgebung normalerweise im Wege der repräsentativen Demokratie durch die Parlamente durchgeführt wird und daß normalerweise ein Volksentscheid über ein Gesetz nicht herbeigeführt werden sollte. Herr Dr. Katz hat also erstens von Volksbegehren und Volksentscheid bei der Gesetzgebung gesprochen. Darum handelt es sich bei unserer Volksbefragung überhaupt nicht. Er hat außerdem davon gesprochen, daß normaler-
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Dr Greve
weise eine solche Aktion nicht stattfinden sollte. Meine Damen und Herren, Sie werden mir doch zugeben, daß unsere Volksbefragung erstens nicht einen Gesetzgebungsakt darstellt und daß es sich zweitens bei der atomaren Aufrüstung der Bundesrepublik nicht um einen normalen Gesetzgebungsfall handelt.
— Es handelt sich hier wirklich um etwas Exzeptionelles, und dieses Exzeptionelle kann auch auf exzeptionelle Weise behandelt werden, Frau Kollegin Dr. Weber. Das ist nach unserem Grundgesetz in keiner Weise unzulässig.
Sie scheinen allerdings — und das möchte ich gleich vorweg sagen — der Auffassung zu sein, die gemeinhin in Diktaturen und in totalitären Staaten vertreten zu werden pflegt, daß man in der Verfassungswirklichkeit nach dem Prinzip lebt: Alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist verboten. Wir sind allerdings der Auffassung — und darin unterscheiden wir uns offenbar von der Bundesregierung und von den Fraktionen, die aus verfassungsrechtlichen Gründen glauben unseren Gesetzentwurf ablehnen zu sollen —, daß das demokratische Prinzip allein die Lebensweise zuläßt, daß alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, erlaubt ist. Wir glauben, daß diese Art der Staaten, zu leben, eine höherwertige ist als diejenige nach dem Prinzip, daß alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, zu tun verboten ist.
Ich komme hier auf einen Punkt zu sprechen, der auch in den Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers angeschnitten worden ist. Sie wissen, daß im Parlamentarischen Rat eine nicht geringe Abneigung, das gebe ich ohne weiteres zu, gegen Volksabstimmungen bestand. Das Ergebnis dieser Abneigung war, daß man eben für die Gesetzgebung und — das muß ich in diesem Zusammenhang nochmals ausdrücklich erwähnen, damit das Verhalten der Mitglieder des Parlamentarischen Rats richtig charakterisiert wird — auch für die Wahl des Bundespräsidenten davon Abstand genommen hat, das Volk entscheiden zu lassen. Man hat für die Wahl des Bundespräsidenten vielmehr ein besonderes Organ in unserer Verfassung vorgesehen. Daraus den Schluß zu ziehen, daß Volksbegehren und Volksentscheide grundsätzlich unzulässig sind, ist verfassungsrechtlich schlechthin nicht möglich. Sie müssen schon andere Argumente vortragen, wenn Sie sich auf den Parlamentarischen Rat berufen wollen.
Meine Damen und Herren, der Parlamentarische Rat hat sich über Volksbefragungen dieser Art, wie sie jetzt in unserem Gesetzentwurf vorliegt, überhaupt nicht geäußert. Der Parlamentarische Rat ist wohl der Auffassung gewesen, daß weithin Volksabstimmungen nicht durchgeführt werden sollten, sondern daß das normale Verfassungsleben durch das Parlament bewältigt werden sollte. Wir aber sind der Auffassung — und das sagte ich bereits —, daß es sich hier nicht um einen normalen Vorgang unseres staatlichen Lebens handelt, sondern daß es sich hier handelt um einen
— exzeptionellen Vorgang. Wenn Sie Ihr eigenes Vorhaben für abnormal halten, Frau Kollegin Dr. Weber, dann kann ich das allerdings auch nur unterstreichen.
Ich sagte, um einen „exzeptionellen Vorgang", den wir auch auf exzeptionelle, aber verfassungsmäßig zulässige Weise behandelt wünschen, wie das in unserer Vorlage zum Ausdruck kommt.
Da Sie nun aus der Behandlung dieses Vorgangs durch den Parlamentarischen Rat nicht genügend für Ihre Rechtsauffassung herleiten konnten, sind Sie — und das muß ich sowohl für Herrn Dr. Barzel wie für den Herrn Bundesinnenminister Dr. Schröder gleicherweise annehmen — darauf verfallen, zu erklären, das Wesen der repräsentativen Demokratie lasse eine Volksbefragung nicht zu. Darüber soll im Bundesinnenministerium, möglicherweise sogar unter Beteiligung des Bundesjustizministeriums, ein sogenanntes Rechtsgutachten erstellt worden sein, das meinen Freunden und mir allerdings nicht zugänglich gemacht worden ist. Mein Freund Dr. Arndt hat sich bereits dagegen gewandt, derartige Auslassungen als Gutachten zu bezeichnen und damit den Anschein zu erwecken, als handle es sich hier um unabhängige Stellungnahmen unabhängiger Juristen. Das ist in keiner Weise der Fall. Damit ist gar nichts gegen den Wert solcher Ausführungen gesagt, aber Gutachten sind sie nicht. Sie sind schlechthin parteiliche Stellungnahmen, deren Wert nicht dadurch erhöht wird, daß sie aus einem Ministerium stammen, und die nicht deswegen richtiger sind, weil sie unter der Führung von zwei Bundesministern zustande kommen.
Wir haben uns seit Beginn unseres Verfassungslebens, seit dem 1. Bundestag, gegen diese von der Regierung betriebene Zweckjurisprudenz gewandt. Das müssen wir auch heute wieder tun. Wir müssen uns dagegen wenden, daß gewissen Rechtsauffassungen deswegen ein größerer Wert beigemessen wird, weil sie Vorhaben der Bundesregierung zu stützen geeignet sind. Wir müssen uns dagegen wenden, daß sie ihrem Wert nach höher eingeschätzt werden, weil sie aus Ministerien kommen.
Besonders unangenehm berührt es uns allerdings, Herr Bundesminister, wenn solche von Ihnen als Rechtsgutachten bezeichnete juristische Auffassungen, wenn sie schon bekanntgegeben werden, nicht dem ganzen Hause bekanntgegeben werden. Wenn es richtig ist, daß diese Ihre Rechtsauffassungen der CDU-Fraktion zugänglich gemacht worden sind, dann haben Sie damit etwas getan, was meine Freunde und ich nicht als einwandfrei bezeichnen können. Entweder bleiben solche von Ihnen als Gutachten bezeichneten Niederschriften in Ihrem Hause und werden niemandem vom Parlament bekanntgegeben — dagegen haben wir nichts ein-
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Dr. Greve
zuwenden —, oder aber sie werden, wenn Sie sie schon bekanntgeben, allen Teilen des Hauses be-bekanntgegeben,
also dürfen Sie sie nicht nur der CDU-Fraktion, sondern müssen sie auch der Opposition zur Verfügung stellen, damit auch wir dann die Möglichkeit haben, diese Auffassungen zur Kenntnis zu nehmen und uns mit ihnen auseinanderzusetzen.
Ich gebe zu, es handelt sich hier für uns um staatsrechtliches Neuland. Bei der Beurteilung solcher Vorgänge sollte man sehr vorsichtig sein, nicht nur hier im Hause, sondern auch auf seiten der Bundesregierung. Diese vorsichtige juristische Beurteilung, Herr Bundesminister, kommt allerdings in den Erklärungen, die Sie uns hier gestern gegeben haben, nicht zum Ausdruck. Es ist gesagt worden, die repräsentative Demokratie lasse eine Volksbefragung deswegen nicht zu, weil diese ihrem Wesen widerspreche. Ich kann im Augenblick nicht sagen, ob es Herr Dr. Barzel oder Herr Bundesinnenminister Dr. Schröder gewesen ist, der gesagt hat, daß mit Ausnahme von Hamann, der hier schon mehrfach zitiert worden ist, die gesamte Literatur dieser Auffassung ist. Meine Damen und Herren, das stimmt einfach nicht. Der einzige, der sich ausdrücklich für die verfassungsmäßige Zulässigkeit der Volksbefragungen ausgesprochen hat, bevor sie rechtlich aus dem akuten Anlaß unseres Entwurfs behandelt worden ist, ist Hamann. Hamann hat an der von Ihnen bereits mehrfach zitierten Stelle seines Kommentars gesagt, daß Volksbefragungen zulässig sind. Die übrige Literatur ist zwar auf die Frage der Volksbefragungen überhaupt nicht eingegangen, aber — —
— Herr Dr. Barzel, wie können Sie so etwas sagen, daß die Volksbefragung nicht in das System der Demokratie paßt!
Das ist doch schlechterdings unmöglich. Dann ist die Schweiz überhaupt keine Demokratie,
wenn die Volksbefragung nicht in eine Demokratie hineinpaßt. Sie können sagen: Wir wollen auch heute die Volksbefragung nicht in unserer Demokratie haben. Das können Sie sagen, Sie können die Volksbefragung aus politischen Gründen ablehnen; das gebe ich Ihnen doch alles zu. Aber Sie können bei unserer heutigen Verfassungssituation nicht einfach ex cathedra erklären: Die Volksbefragung ist unzulässig.
Es handelt sich hier nicht um eine Angelegenheit, die ex cathedra gelöst werden kann, sondern es handelt sich um eine Frage — folgen Sie mir doch bitte, Herr Dr. Barzel —, über die man völlig verschiedener Auffassung sein kann. Ich beschimpfe Sie doch deswegen nicht, weil Sie eine andere Auffassung haben als ich, sondern ich versuche doch
nur, Ihnen meine Argumente für meine Auffassung nahezubringen. Ich wäre allerdings begierig, nicht nur zu erfahren, welche Auffassung Sie haben, sondern auch, mit welchen Argumenten Sie Ihre Auffassung stützen.
Das sind Sie uns bisher schuldig geblieben. Ich kann nicht einfach sagen: „Ich bin dafür oder dagegen, weil ich dafür oder dagegen bin", sondern ich muß schon sagen, warum ich dafür oder dagegen bin. Allein das ist eine vernünftige verfassungsrechtliche Argumentation in diesem Hause. Sie können hier nachher, wie gesagt, mitteilen, welche Argumente Sie für Ihre Auffassung haben; aber dann bitte auch unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte, die ich Ihnen vorgetragen habe.
Wenn ich, soweit mir die Zeit zur Verfügung gestanden hat, die Literatur und die Rechtsprechung richtig durchgesehen habe, dann steht von Mangoldt-Klein auf dem Standpunkt, daß nach unserem Grundgesetz das Volk die Staatsgewalt unmittelbar in den zwei Formen der Wahlen und Abstimmungen und damit nur ausnahmsweise ausübt. Mehr brauchen wir gar nicht, meine Damen und Herren. Es ist nicht richtig, daß, wie es in den letzten Tagen hier und auch in der Presse teilweise zum Ausdruck gekommen ist, mit dem Ausdruck ,,Abstimmungen" in Art. 20 Abs. 2 unseres Grundgesetzes nur die Abstimmungen über die Länderbereinigung in der Bundesrepublik gemeint sind. Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Auffassung vertreten, claß mit „Abstimmungen" nach Art. 20 Abs. 2 unseres Grundgesetzes nur die Abstimmungen über die Abgrenzung der Länder in der Bundesrepublik gemeint sind, dann sagen Sie mir bitte, warum Sie diese Auffassung vertreten und wo Sie für diese Auffassung Stützen finden, rechtliche Stützen.
Es ist nicht so, daß der Parlamentarische Rat gewollt hat, daß nur die von mir eben erwähnten Abstimmungen als Abstimmungen im Sinne des Art. 20 Abs. 2 aufzufassen sind. Das geht auch daraus hervor, das Mangoldt sagt „ausnahmsweise". Richtig, zugegeben, nur ausnahmsweise übt das Volk unmittelbar die Staatsgewalt in der Form einer Abstimmung aus. Wir wünschen auch nicht — das ist verschiedentlich hier in den Äußerungen Ihrer Redner angeklungen —, daß Volksbefragungen zu einer Alltagsangelegenheit werden. Auch wir sind der Auffassung, daß solch eine Volksbefragung, wie wir sie heute wünschen, nur dann stattfinden soll, wenn es sich um das Leben unseres Volkes und unseres Staates schlechthin handelt, und nicht bei jeder x-beliebigen Angelegenheit. Ich glaube, Herr Dr. Jeager war es, der wieder mal eines der bei ihm üblichen Beispiele brachte: daß das Volk befragt werden sollte, ob Herr Ollenhauer Kanzler werden solle oder nicht. Meine Damen und Herren, das sind doch einfach unsinnige Vergleiche, auf die einzugehen einfach unnötig ist. — Ich versage es mir jedenfalls, auf solche Beispiele einzugehen —,
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Dr. Greve
genauso wie Herr Dr. Jaeger den Vergleich gezogen hat, daß das deutsche Volk dann auch gefragt werden könnte, ob es damit einverstanden sei, daß die Bundesrepublik zum Aufmarschgebiet der Roten Armee würde. Meine Damen und Herren, kommt Ihnen der bare Unsinn eines solchen Vergleichs nicht selber zum Bewußtsein?
— Ja, Herr Pelster, schämen Sie sich nicht? Herr Pelster, es handelt sich hier doch nicht um die politische, sondern es handelt sich doch hier jetzt um die verfassungsrechtliche Betrachtung der Vorgänge. Kommt Ihnen denn nicht der Unsinn zum Bewußtsein, der darin liegt, solche Vergleiche zu ziehen? Als wenn überhaupt jemand auf den Gedanken kommen könnte, das Volk verfassungsrechtlich zulässig über eine Angelegenheit zu befragen, die wir ja gar nicht in der Hand haben! Aber Sie scheinen vollends vergessen zu haben, daß die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik Deutschland eine Angelegenheit ist, die in unsere Hand gelegt worden ist.
Sie scheinen schon so weit in das Fahrwasser der Vereinigten Staaten von Amerika gekommen zu sein, daß Sie gar nicht mehr zu unterscheiden vermögen, was wir zu bestimmen haben und was Herr Eisenhower und Herr Dulles zu bestimmen haben.
— Nein; ich glaube, die deutsche Sozialdemokratie hat in den Jahren nach 1945 Beweise genug dafür geliefert, das sie willens ist, jedem entgegenzutreten und jeden Widerstand aufzunehmen, um nicht in das Fahrwasser zu gelangen, das Sie jetzt meinen, ohne es auszusprechen, Herr Majonica.
Das ist wieder eine der üblichen Verdächtigungen, für die Sie gar keinen — —
— Nein, Herr Majonica! — Dafür hat Ihnen die Sozialdemokratie gar keinen Anlaß gegeben.
— Ich habe keine Verdächtigungen ausgesprochen. Ich weiß, daß es Ihnen wehtut, wenn ich Ihnen den Unsinn dieses Vergleichs vor Augen führe, meine Damen und Herren. — Aber ich will mich über diese politischen Dinge hier nicht weiter auslassen; ich will mich darauf beschränken, weiter die verfassungsrechtliche Situation darzustellen.
Meine Damen und Herren! Sie, Herr Dr. Barzel, glaube ich, haben gesagt, Hamann habe in seiner Einleitung zu seinem Kommentar etwas ganz anderes zum Ausdruck gebracht, als in der Kommentierung des Artikels 20. Das stimmt nicht, meine Damen und Herren. Und hier möchte ich Ihnen die Auffassung sagen, die auch ich vertrete. Hamann hat ausgedrückt:
Volksbegehren zur Meinungserforschung können durch einfaches Gesetz beschlossen werden.
Und er sagt dann weiter:
Insofern ist heute alle Demokratie auf staatlicher Ebene repräsentative Demokratie.
Das Letztere halte ich zwar nicht für richtig; aber es ist die Auffassung von Hamann.
Hierbei handelt es sich nicht um eine wesentliche Eigenschaft der Demokratie, sondern um eine besondere Gestaltungsform.
Und das ist der Unterschied, meine Damen und Herren. Sie sagten: Volksbefragung ist deswegen nicht zulässig, weil sie nicht in die Demokratie hineinpaßt. Ja, meine Damen und Herren, — —
— Doch, das ist gesagt worden.
— Bevor Sie in den Saal kamen, Herr Kiesinger, ist hier gesagt worden, daß die Volksbefragung nicht zur Demokratie passe. Darauf habe ich erwidert, daß dann die Schweiz keine Demokratie sei. Und dann erst, Herr Kiesinger, traten Sie in den Saal ein. Sie konnten es nicht wissen, aber es ist in Ihren Reihen gesagt worden. Ich freue mich, daß Sie anderer Auffassung sind und sich damit von den Auslassungen einiger Ihrer Freunde absetzen. — Gut, wenn Sie sagen: „nicht in das Wesen der parlamentarischen Demokratie paßt", dann gehe ich auch darin nicht mit Ihnen einig; aber dann hat das, was Sie sagen, schon eine größere innere Logik als die Behauptung, daß die Volksbefragung überhaupt nicht in die Demokratie paßt.
Aber offenbar gibt es in Ihren Reihen nicht nur verschiedene Auffassungen, sondern auch Qualitätsunterschiede bei den Juristen, Herr Kollege Kiesinger.
— Bei uns auch, wird ja gar nicht geleugnet. —
Meine Damen und Herren, es ist also nicht so, daß das Wesen auch der repräsentativen Demokratie die Volksbefragung nicht vertrüge, sondern es handelt sich da, wie Hamann sagt, nur um eine besondere Gestaltungsform, in der der Wille des Volkes zum Ausdruck gebracht wird. Der Wille des Volkes wird dann eben nicht mehr über das das Volk repräsentierende Parlament zum Ausdruck gebracht, sondern der Wille des Volkes wird dann dadurch, daß es seine Meinung äußert, unmittelbar zum Ausdruck gebracht.
Dann ist Herr Professor Dr. Nawiasky von Ihnen bemüht worden. Ich weiß nicht, wie man es unter-
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Dr. Greve
nehmen kann, die Ausführungen, die Herr Nawiasky in der Osternummer der „Süddeutschen Zeitung" gemacht hat, so auszulegen, als lehne er eine Volksbefragung auf Grund der Bestimmungen unseres Grundgesetzes ab. Wenn Herr Nawiasky hier sagt: „Wenn es schon in Art. 20 des Grundgesetzes heißt: 'Die Staatsgewalt wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung ausgeübt', so ist damit doch die generelle verfassungsmäßige Grundlage für eine durch einfaches Durchführungsgesetz zu regelnde Mitwirkung des Volkes vorgesehen und legitimiert, wenn auch das Grundgesetz selbst die spezielle Betätigung des Volkes auf einem bestimmten Gebiet noch nicht normiert hat." Ja, meine Damen und Herren, das ist doch gerade das, was unsere Volksbefragung und den entsprechenden Gesetzentwurf ausmacht. Nun argumentieren Sie dagegen doch mal verfassungsrechtlich, Herr Dr. Barzel! Dies ist doch eine Auffassung, eine Rechtsauffassung, die wir nicht bestellt haben, die wir uns aber gern zu eigen machen, da sie nicht nur unsere verfassungsrechtliche Situation stützt, sondern auch geeignet ist, unser politisches Vorhaben verfassungspolitisch zu rechtfertigen. Herr Dr. Barzel, ich meine, das sind zwei Dinge, über die wir uns unterhalten müssen, und zwar so, wie wir es als Juristen gewohnt sind.
Man kann doch nicht einfach aus ich weiß nicht welchen Gründen hier zum Ausdruck bringen, Herr Nawiasky habe das Gutachten nicht auf Wunsch eines Ministeriums abgegeben, sondern seine Rechtsansicht in einer Zeitung veröffentlicht, und sie sei schon deswegen nichts wert, weil sie nur in einer Zeitung zum Ausdruck komme. So ungefähr ist argumentiert worden, Herr Majonica. Herr Nawiasky ist einfach als irgendwer abgetan worden, offenbar, weil der Bundesregierung bekanntgeworden ist, daß er eine Auffassung vertritt, die sie für ihre Position nicht gebrauchen kann. Herr Nawiasky ist sonst ein, soweit ich unterrichtet bin, auch in Ihren Kreisen und bei der Bundesregierung hochangesehener Rechtsgelehrter, und er genießt auch in unseren Kreisen großes Ansehen, obwohl er nicht zu meinen engeren politischen Freunden gehört, was Ihnen ja auch bekennt sein dürfte.
Ich will Ihnen nur beweisen, daß Ihre Behauptung, das Wesen der repräsentativen Demokratie ertrage die Volksbefragung verfassungsrechtlich nicht, nicht in dem Umfang vertreten wird, wie Sie es uns gestern hier wahrmachen wollten. Dafür, daß unsere Auffassung richtig ist, haben wir eine ganze Reihe von namhaften juristischen Stützen. Ich will hier nur die schon mehrfach, ich glaube, auch von dem Herrn Bundesminister des Inneren, zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 2. August 1957 erwähnen, auf die Dr. Heinemann hier noch im einzelnen eingehen wird. Auch diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs hält eine Volksbefragung für eine neutrale Zielsetzung und für verfassungsrechtlich zulässig, auch wenn die Volksbefragung als Institution in unserem Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt ist. Meine Damen und Herren, damit müssen wir uns auseinandersetzen,
wenn wir in der Frage, ob die Volksbefragung verfassungsrechtlich zulässig ist, ein richtiges Ergebnis erzielen wollen.
Die Abschaffung von Volksbegehren und Volksentscheid als verfassungsmäßig dem Volk zugewiesene Institution mit verfassungsmäßiger Wirksamkeit durch den Parlamentarischen Rat erfolgte, wie ich Ihnen bereits sagte, aus ganz bestimmten Erfahrungen der Vergangenheit. Es ist aber rechtlich nicht zulässig, daraus den Schluß zu ziehen, daß damit auch jede Volksbefragung über die atomare Bewaffnung der Bundeswehr ausgeschlossen ist. Sie kann nach unserer Rechtsauffassung nach dem von mir soeben erwähnten, für unser Verfassungsleben allein gültigen Prinzip verfassungsmäßig nicht für unzulässig erklärt werden. Ich sage: verfassungsmäßig nicht für unzulässig erklärt werden; wie Sie die Dinge politisch beurteilen, steht auf, einem ganz anderen Blatt. Bitte lassen Sie uns auch aus ganz bestimmten allgemeinen Gründen den Grundsatz nicht aufgeben, daß das, was nicht ausdrücklich im Grundgesetz erwähnt ist, nicht verboten ist, sondern lassen Sie uns das für erlaubt halten. Denn auch diejenigen, die im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz beschlossen haben, waren keine Götter und nehmen nicht für sich in Anspruch, etwas Vollendetes geschaffen zu haben. Manche Fehler, die inzwischen evident geworden sind, sind uns damals unterlaufen. Es wäre allerdings ein nicht wiedergutzumachender Fehler, wenn man sich heute hier im Bundestag auf den Standpunkt stellen wollte, daß Volksbefragungen deswegen nicht zulässig sind, weil sie im Grundgesetz nicht vorgesehen sind. Sie sind — und hier muß ich auf den Gesetzentwurf zu sprechen kommen, der Ihnen von meiner Fraktion vorgelegt worden ist — ihrem Wesen nach etwas anderes als Volksbegehren und Volksentscheid. Eine bloß informative oder konsultative Volksbefragung bringt ja keine Rechtswirkung etwa gar gesetzmäßiger Art mit sich, wie es beim Referendum, wie es bei Volksentscheiden der Fall ist.
Wir sind uns durchaus darüber im klaren — das erwähnte ich eingangs schon —, daß wir bei der Durchführung der Volksbefragungen auch mit ganz bestimmten Nebenzwecken und Nebenwirkungen zu rechnen haben. Ich betone aber auch hier ausdrücklich, daß die sozialdemokratische Fraktion und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in keiner Weise beabsichtigen, mit der Durchführung der Volksbefragung verfassungsmäßig unzulässige Maßnahmen zu treffen. Alles, was als Nebenwirkung und was als Folge der Durchführung der Volksbefragung eintreten wird, muß verfassungsmäßig zulässig sein. Wir halten nichts davon, daß uns, wie es gestern Herr Dr. Jaeger getan hat, zum Vorwurf gemacht wird, wir wollten hier durch die Hintertür etwas in unser Verfassungsleben hineinbringen, was die Grundlagen unserer Verfassung zu zerstören droht. Wir müssen uns mit allem Nachdruck dagegen wenden, daß auch bei dieser Gelegenheit wieder zum Ausdruck kommt: die Sozialdemokratie will die Verfassung und damit die Grundlage unseres staatlichen Lebens zerstören.
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Dr. Greve
Daß diese Nebenwirkungen und diese Folgen gewisse politische, psychologische und auch andere Wirkungen auf das politische Leben in der Bundesrepublik Deutschland einschließen, stellen wir nicht in Abrede. Wir haben auch die Absicht, damit gewisse politische Wirkungen zu verbinden; das leugnen wir gar nicht, Herr Kiesinger. Aber auch diese politischen Wirkungen müssen sich nach unserer Auffassung im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung halten.
— Herr Kollege Kiesinger, lassen Sie uns doch erst einmal die Volksbefragung durchführen und eruieren, wie sich das Volk zur Atombewaffnung stellt! Dann werden Sie vielleicht selbst kalte Füße bekommen und Ihre Politik unter Umständen nach dem Ergebnis der Volksbefragung ausrichten. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, daß die gegenwärtige Bundesregierung im Falle eines positiven Ausgehens der Volksbefragung über einen solchen Entscheid hinweggeht, als handelte es sich urn gar nichts.
— Nein, nicht Volksentscheid, sondern Volksbefragung zur Feststellung der Meinung des Volkes in einer ganz bestimmten Frage, Herr Kiesinger, in einer Frage, die unser aller, auch Ihr Leben berührt. Wir sind allerdings weniger für unser Leben als für das Leben unseres Volkes verantwortlich. Deswegen haben wir uns zu unserem Gesetzentwurf veranlaßt gesehen.
Ich möchte Ihnen gegenüber zum Ausdruck bringen, daß diese Dinge in anderen Ländern zum Teil auch anders gesehen werden.
Vorher will ich mich jedoch kurz mit einigen Ausführungen des Herrn Bundesministers Dr. Schröder befassen. Herr Dr. Schröder hat gesagt, daß wir eine verfassungsmäßig unzulässige Frage in den Mantel einer harmlosen Meinungserforschung kleiden. Herr Bundesminister, was gibt Ihnen Veranlassung, unsere Frage für eine harmlose Meinungserforschung zu halten? Ich sehe es als geradezu grotesk an, die Befragung des deutschen Volkes, ob es die atomare Ausrüstung der Bundeswehr will, für eine harmlose Meinungserforschung zu halten.
Darin kommt doch viel mehr zum Ausdruck, als es nach außen hin den Anschein hat.
Es ist anscheinend Ihre Auffassung, daß die Angelegenheit für das deutsche Volk so „harmlos" ist, daß es darüber seine Meinung gar nicht zu äußern brauche. Das ist Ihre Auffassung, Herr Bundesminister, und gegen diese Auffassung wehre ich mich mit allem Nachdruck. Ich wehre mich dagegen, daß Sie so denken, weil Sie gestern zum Ausdruck gebracht haben, daß sich, wenn ich richtig zitieren darf, die Qualität eines Juristen durch die Richtigkeit seiner Zitate erhärtet, Herr Bundesminister.
Sie haben allerdings in den gleichen Ausführungen meinem Freund Wehner vorgehalten, daß er sich in der Sitzung des Bundestages vom
26. April 1951 ausdrücklich gegen Volksbefragungen ausgesprochen habe. Herr Bundesminister, das ist nicht richtig, vor allen Dingen nicht unter Berücksichtigung Ihrer Ausführungen über die Qualität eines Juristen hinsichtlich der Richtigkeit seiner Zitate. Herr Kollege Wehner hat in der von Ihnen erwähnten Sitzung des Deutschen Bundestages folgendes gesagt — es handelte sich da urn die von Ihnen erwähnte Frage der Volksbefragung, die hier in der Bundesrepublik von den Kommunisten durchgeführt werden sollte: Es geht dabei — hören Sie bitte zu, Herr Bundesminister —, nicht um Volksbefragungen schlechthin und nicht um die Freiheit der Meinungsäußerung schlechthin. Herr Wehner hat dann gesagt, daß es bei solchen Volksbefragungen darauf ankomme, ihre wirklichen Ziele zu erkennen, und in diesem Fall sei das von Herrn Dahlem — den Sie ja auch zitiert haben — verfolgte Ziel, die in der sowjetischen Besatzungszone aufgerichtete Ordnung als Modell einer Friedensordnung für ganz Deutschland hinzustellen. Das hat Herr Wehner gesagt. Herr Wehner hat also genau das Gegenteil von dem gesagt, was Sie zitiert haben, Herr Bundesminister. Er hat nämlich ausdrücklich erklärt, er wende sich nicht gegen Volksbefragungen schlechthin, und es handelte sich auch nicht um die Freiheit der Meinungsäußerung schlechthin; er wende sich aber dagegen, daß die wirklichen Ziele, nämlich die Übertragung der Verhältnisse in der sowjetischen Zone auf die Bundesrepublik, nicht erkannt werden. Das zur Wahrheit und dazu, wie man richtig zitiert, Herr Bundesminister.
— Herr Bundesminister, ich habe mir Ihre Berner-kung notiert, daß die Qualität eines Juristen sich durch die Richtigkeit der Zitate erhärte.
— Das wird sich aus dem Protokoll ergeben. Sie können mich ja nachher berichtigen, Herr Bundesminister; das steht Ihnen ja frei. Sie haben ja sogar das Recht, unmittelbar nach mir zu sprechen. Irgendwelche Belehrungen schulmeisterlicher Art bin ich auch von einem Bundesminister hinzunehmen nicht gewillt.
— Ja, ich zitiere richtig, ich habe richtig zitiert, Herr Kollege.
Die Unruhe, die jetzt schon wieder zum Ausdruck kommt, macht eben klar, daß es sich um eine sehr schwierige Angelegenheit handelt, bei der immer politische und verfassungsrechtliche Argumente durcheinandergeworfen werden. Ich habe Ihnen gesagt, ich will mich hier im wesentlichen mit den verfassungsrechtlichen Momenten auseinandersetzen. Daß ich das nicht ausschließlich tun kann, liegt daran, das Ihre Redner und auch der Herr Bundes-
Deutscher Bundestag — 3 Wahlperiode — 26. Sitzung, Bonn, Freitag, den 25. April 1958 1467
Dr. Greve
minister des Innern, der hier die Auffassung der Bundesregierung vorgetragen hat, sich nicht ausschließlich mit verfassungsrechtlichen Argumenten befaßt haben.
Abschließend möchte ich Ihnen sagen, daß die Verfassungswirklichkeit in anderen Ländern, auch in Ländern, die nicht etwa irgendwo auf einem anderen Kontinent liegen, sondern die uns direkt benachbart sind, anders aussieht.
Herr Kollege Hoogen, Sie werden das, was ich jetzt zitieren will, inzwischen gelesen haben. Ich meine die Ausführungen von Schneider, dem Professor an der Universität Tübingen, in seiner Abhandlung über Volksabstimmungen in der rechtsstaatlichen Demokratie, die Sie in der Gedächtnisschrift für Walter Jellinek nachlesen können. Ich will das hier nicht von mir aus vortragen; ich will es wörtlich zitieren, weil es so sehr unsere gegenwärtige Situation trifft, daß ich sie gar nicht besser darstellen kann als durch das Zitat von Schneider.
Schneider sagt auf Seite 159 der von mir erwähnten Gedächtnisschrift für Walter Jellinek — und nun hören Sie genau zu, meine Damen und Herren! —:
In Belgien glaubte die 1949 ins Amt gekommene christlich-demokratische Regierung die seit langem schwelende Königsfrage durch eine Volksbefragung lösen zu können, eine Möglichkeit, die weder die belgische Verfassungsurkunde vorsah, noch im Sinne einer repräsentativen Demokratie und einer konstitutionellen Monarchie lag. Die Volksbefragung sollte — so verteidigte die Regierung ihren Plan — nicht die Entscheidungsbefugnisse der verantwortlichen Verfassungsorgane ersetzen, wohl aber diese Stellen über den Stand der öffentlichen Meinung aufklären. Durch ein Gesetz wurde demgemäß diese einmalige Volksbefragung organisiert und am 12. 3. 1950 durchgeführt.
So geschehen im Jahre 1950 in Belgien unter einer christlich-demokratischen Regierung und unter verfassungsrechtlich genau den gleichen Verhältnissen, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland nach unserem Grundgesetz haben.
— Doch, lesen Sie es noch einmal genau nach! Oder vielleicht sind Sie, Herr Kollege Hoogen, so gut, es in dem zweiten Exemplar, das Ihnen zur Verfügung steht, nachzulesen und dazu Stellung zu nehmen, wenn Sie nachher hier erscheinen. Es ist genau dieselbe Situation! Es ist ausdrücklich gesagt, daß die Volksbefragung nicht stattfinden solle, um die Entscheidungsbefugnisse der verantwortlichen Verfassungsorgane zu ersetzen, wohl aber, um diese Stellen über den Stand der öffentlichen Meinung aufzuklären.
Nichts weiter wollen wir. Wir wollen durch die Volksbefragung auch nicht die Entscheidungsbefugnisse der nach unserem Grundgesetz verantwortlichen Verfassungsorgane ersetzen, wohl aber wünschen wir, daß Sie und auch wir darüber aufgeklärt werden, wie die Meinung im Volke über die Frage der atomaren Ausrüstung in Wirklichkeit ist. Aber darin unterscheiden wir uns politisch; ich glaube gar nicht, daß wir uns verfassungsrechtlich so sehr unterscheiden. Ich möchte fast meinen, Sie halten unsere verfassungsrechtliche Situation für günstiger als die Ihre. Sagen Sie doch — das nimmt Ihnen keiner übel —, Sie wollen die Sache aus politischen Gründen nicht. Dann sparen wir uns die Auseinandersetzung über die verfassungsrechtlichen Grundlagen unseres Entwurfs. Das ist doch das Entscheidende.
Aber wir wenden uns dagegen, daß Sie sagen, die Sache sei verfassungsrechtlich nicht zulässig, darüber einen einstimmigen Beschluß in Ihrer Fraktion fassen und dann so tun, als wenn wir nicht nur die Sache verfassungsrechtlich anders beurteilten, sondern auch mit unserem Vorhaben die ganze Bundesrepublik Deutschland aus den Angeln zu heben willens wären. Nein, vom Politischen her mögen Sie Ihre Situation anders beurteilen, als sie von uns beurteilt wird, vom Verfassungsrechtlichen her haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU, und Sie, meine Herren von der Regierung, kein Fundament, von dem aus Sie unsere Vorlage anzugreifen vermögen. Haben Sie den Mut, das zu erkennen, wenigstens dann, wenn wir im Rechtsausschuß diese Angelegenheit beraten, und unterlassen Sie es bitte, uns, weil wir das Volk in einer lebenswichtigen Frage unserer Zukunft befragen wollen, als Totengräber des Grundgesetzes und unseres Verfassungslebens zu verdächtigen! Diese Ihre Einstellung müßte abermals zur Zerstörung unseres Staatswesens führen, und die Schuld läge dann bei Ihnen.