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ID0302101600

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    Deutscher Bundestag 21. Sitzung Bonn, den 25. März 1958 Inhalt: Antrag der CDU/CSU auf Begrenzung der Redezeit Rasner (CDU/CSU) 1057 B Dr. Mommer (SPD) . . . . . 1057 D Dr. Bucher (FDP) . . . . . . 1058 D Große Anfrage der Fraktion der CDU/ CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238); Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) ; — Fortsetzung der Aussprache —. Dr. Dr. Heinemann (SPD) . 1059 D, 1117 D D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . . 1067 B Dr. Bucher (FDP) 1085 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 1088 D Ollenhauer (SPD) 1092 B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 1099 D Dr. von Brentano, Bundesminister 1103 D Strauß, Bundesminister . . . . . 1107 B Dr. Arndt (SPD) (zur GO) . . . . 1115 D Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . . . 1116 D Dr. Mende (FDP) (zur GO) . . . 1117 B Erler (SPD) 1118 B Dr. Bechert (SPD) 1122 D Dr. Martin (CDU/CSU) . . . . . 1125 C Dr. Achenbach (FDP) 1128 B Frau Herklotz (SPD) 1132 A Frau Dr. Rehling (CDU/CSU) . . 1133 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 1135 D Kiesinger (CDU/CSU) 1139 D Dr. Mende (FDP) 1145 D Erklärungen zur Abstimmung Ollenhauer (SPD) 1150 D Dr. Mende (FDP) 1151 B Dr. Krone (CDU/CSU) . . . . . 1151 D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 1152 A Dr. Friedensburg (CDU/CSU) (zur Behandlung der Berliner Abgeordneten) . . . . . . . . . . 1154 D Namentliche Abstimmungen, Einzel-abstimmungen Schneider (Bremerhaven) (DP) (zu Umdruck 34 Ziffer 5) . . . . 1155 A Kiesinger (CDU/CSU) (zu Umdruck 37, Umdruck 41) . . . 1157 B, 1160 B, D Erler (SPD) (zu Umdruck 41) . . . 1 160 B Dr. Bucher (FDP) (zu Umdruck 41) . 1160 C Dr. Mommer (SPD) (zu Umdruck 43) 1163 C Nächste Sitzung 1166 C Anlagen 1167 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 25. März 1958 1057 21. Sitzung Bonn, den 25. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.32 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albrecht 12.4. Dr. -Ing. E. h. Arnold 25. 3. Bazille 1.4. Dr. Becker (Hersfeld) 19.4. Blachstein 29. 3. Dr. Böhm 25.3. Conrad 18. 4. Diel (Horressen) 19. 4. Dr. Eckhardt 29.3. Eilers (Oldenburg) 26.3. Felder 31.3. Dr. Friedensburg 26.3. Frau Friese-Korn 31.5. Funk 29. 3. Gottesleben 8.4. Dr. Gülich 29.3. Häussler 29.3. Heiland 31.3. Dr. Höck (Salzgitter) 31.3. Höcker 15.4. Frau Dr. Hubert 12.4. Jacobs 20. 4. Jahn (Frankfurt) 29.3. Jürgensen 31.3. Frau Kipp-Kaule 29.3. Dr. Kopf 29.3. Kunze 15.5. Lenz (Trossingen) 29.3. Dr. Lindenberg 29.3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30.4. Dr. Maier (Stuttgart) 25.3. Mellies 25.4. Muckermann 30.3. Murr 25.3. Neumann 12.4. Paul 30.4. Pelster 1.4. Frau Dr. Probst 25. 3. Rademacher 26. 3. Ramms 31.3. Schneider (Hamburg) 31.3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 26. 3. Dr. Stammberger 26.3. Dr. Starke 26.3. Frau Dr. Steinbiß 29.3. Stenger 25. 3. Strauß 25.3. Struve 29.3. Vogt 12.4. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 29. 3. Wehr 31.3. Weimer 29.3. Weinkamm 29. 3. Dr. Will 26. 3. Anlagen zum Stenographischen Bericht b) Urlaubsanträge Abgeordneter bis einschließlich Bauknecht 10. 5. Even (Köln) 19. 4. Höcherl 10. 5. Dr. Ripken 15. 4. Dr. Zimmermann 10. 5. Anlage 2 Umdruck 33 Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird beauftragt, sich bei den Vier Mächten, den USA, der UdSSR, dem Vereinigten Königreich und Frankreich, dafür einzusetzen, daß eine Viermächtearbeitsgruppe (Ständige Konferenz der Stellvertreter der Außenminister oder Botschafterkonferenz) zur Behandlung der Deutschlandfrage gebildet wird mit dem Auftrag, die Grundzüge eines Vertrages für Gesamtdeutschland zu erarbeiten. Bonn, den 18. März 1958 Dr. Mende und Fraktion Anlage 3 Umdruck 34 Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, 1. einen Beitrag zur allgemeinen Abrüstung durch den Verzicht auf die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen zu leisten; unter Berücksichtigung der Spaltung unseres Vaterlandes und der Bemühungen zur Wiedervereinigung mit Hilfe geeigneter Kontrollmaßnahmen zu erreichen, daß sowohl in der Bundesrepublik als auch im anderen Teil Deutschlands Atomwaffen weder stationiert noch gelagert und Atomwaffenanlagen nicht errichtet werden; 1168 Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode -- 21, Sitzung. Bonn, Dienstag, den 25. März 1958 3. sich dafür einzusetzen, daß gleichzeitig mit einem Abkommen über eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa eine Vereinbarung über die Stationierung konventioneller Streitkräfte im Raum der atomwaffenfreien Zone erzielt wird; 4. sich in allen Fragen der gemeinsamen Verteidigung bei den Mächten der Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft um Berücksichtigung der besonderen Lage des geteilten Deutschlands zu bemühen; 5. in engem Zusammenwirken und dauernder Beratung mit der deutschen Atomwissenschaft dafür Sorge zu tragen, daß geeignete Maßnahmen für den Atomschutz der Bevölkerung getroffen werden und daß die Nutzung der Atomenergie ausschließlich friedlichen Zwecken dient. Bonn, den 18. März 1958 Dr. Mende und Fraktion Anlage 4 Umdruck 35 Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird beauftragt, mit allen Mächten, die noch keine atomaren Waffen herstellen und besitzen, Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel des Abschlusses einer Konvention über Verzicht auf Herstellung und Besitz atomarer Waffen. Bonn, den 18. März 1958 Dr. Mende und Fraktion Anlage 5 Umdruck 36 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag stellt fest, daß atomare Sprengkörper jeder Art Werkzeuge der blinden Massenvernichtung sind und ihre Anwendung keine Verteidigung, sondern unberechenbare Zerstörung alles menschlichen Lebens bedeutet. Atomare Sprengkörper rotten unterschiedslos und unbegrenzbar Frauen und Kinder, Männer und Greise, jung und alt aus und verwandeln das Land in eine strahlenverseuchte, unbewohnbare Wüste. Von der Bundesregierung wird erwartet, daß sie unter Berufung auf ihre feierliche Erklärung vom 3. Oktober 1954 — dem Vertrag über den Beitritt der Bundesrepublik zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag als Anlage I zum Protokoll Nr. III über die Rüstungskontrolle beigefügt —, in der die Bundesrepublik auf die Herstellung atomarer Sprengkörper verzichtet hat, den Staaten, die nicht über Atomwaffen verfügen, vorschlägt, ein Übereinkommen zum Verzicht auf Herstellung und Verwendung von Atomwaffen abzuschließen und dadurch zugleich den Atomweltmächten die moralische Verpflichtung aufzuerlegen, die Verhandlungen über die kontrollierte Begrenzung der Rüstungen so zu fördern, daß auch ein Abkommen über die Ausschaltung der Atomwaffen zustande kommt. Bonn, den 18. März 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 6 Umdruck 37 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, keinerlei Verpflichtungen einzugehen und keinerlei Maßnahmen zu treffen, die die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atom- und Wasserstoff-Sprengkörpern, die Stationierung von Atomraketen und den Bau von Basen für diese Raketen zum Ziele haben. Bonn, den 18. März 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 7 Umdruck 38 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der Regierung der Volksrepublik Polen und den anderen beteiligten Mächten in Verhandlungen über die Verwirklichung des Planes einer atomwaffenfreien Zone in Europa einzutreten. Bonn, den 18. März 1958 Ollenhauer und Fraktion Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 25. März 1958 1169 Anlage 8 Umdruck 39 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag stellt fest, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in gesicherter Freiheit Verhandlungen und Maßnahmen voraussetzt, die schrittweise eine Entspannung bewirken. Eine solche Politik dient zugleich der Kriegsverhütung und vermehrt die Aussichten auf die für das deutsche Volk lebensnotwendige Sicherheit. Eine atomare Ausrüstung der Bundeswehr ist abzulehnen, weil sie eine politische Lösung der deutschen Frage bis zur Hoffnungslosigkeit erschwert. Sie verschärft die Spannungen und ist der Sicherheit des deutschen Volkes abträglich. Bonn, den 18 März 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 9 Umdruck 40 Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, sich bei den Vier Mächten für die Aufnahme von Verhandlungen über einen Vertrag für Gesamtdeutschland einzusetzen. Bonn, den 22. März 1958 Dr. Mende und Fraktion Anlage 10 Umdruck 41 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP Der Bundestag wolle beschließen: 1. Der Bundestag ersucht die Bundesregierung, auch weiterhin getreu ihrer grundsätzlichen Auffassung bei allen internationalen Verhandlungen und Konferenzen, an denen sie teilnimmt oder auf die sie Einfluß hat, a) für eine allgemeine kontrollierte Abrüstung sowohl atomarer wie konventioneller Waffen einzutreten, b) die Bereitschaft zu bekräftigen, daß die Bundesrepublik jedes derartige Abrüstungsabkommen annehmen wird, um dadurch zur Entspannung und zur Lösung der internationalen Probleme einschließlich der deutschen Frage beizutragen. 2. Solange der Kommunismus seine weltrevolutionären Ziele weiterverfolgt, die er noch im November 1957 auf der Tagung der Kommunistischen und Arbeiter-Parteien der sozialistischen Länder in Moskau erneut bekräftigt hat, können Friede und Freiheit nur durch eine gemeinsame Verteidigungsanstrengung der freien Welt gesichert werden. Der Bundestag stellt fest, daß die Bundeswehr lediglich der Erhaltung des Friedens und der Verteidigung dient. Darum fordert er die Bundesregierung auf, bis zum Zustandekommen eines allgemeinen Abrüstungsabkommens den Aufbau der deutschen Landesverteidigung im Rahmen der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft fortzusetzen. In Übereinstimmung mit den Erfordernissen dieses Verteidigungssystems und angesichts der Aufrüstung des möglichen Gegners müssen die Streitkräfte der Bundesrepublik mit den modernsten Waffen so ausgerüstet werden, daß sie den von der Bundesrepublik übernommenen Verpflichtungen im Rahmen der NATO zu genügen vermögen und den notwendigen Beitrag zur Sicherung des Friedens wirksam leisten können. 3. Das ganze deutsche Volk diesseits und jenseits der Zonengrenze erwartet, daß auf der kommenden Gipfelkonferenz die deutsche Frage erörtert und einer Lösung nähergebracht wird. Der Bundestag ersucht die Bundesregierung, sich dafür mit allen Kräften einzusetzen. 4. Der Bundestag wiederholt seine Überzeugung, daß freie Wahlen die Grundlage der deutschen Wiedervereinigung bilden müssen. Er lehnt mit Entschiedenheit ab a) den Abschluß eines Friedensvertrages für zwei deutsche Staaten, b) Verhandlungen mit den Vertretern des derzeitigen Zonen-Regimes, c) den Abschluß einer Konföderation mit diesem Regime. 5. Der Bundestag bekräftigt seine Überzeugung, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in Verbindung mit einer europäischen Sicherheitsordnung die dringlichste Aufgabe der deutschen Politik ist. Bonn, den 25. März 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 1170 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 25. März 1958 Anlage 11 Umdruck 42 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktionen der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag ein Weißbuch vorzulegen, aus welchen Gründen sie eine Ausbildung der Bundeswehr mit atomaren Massenvernichtungsmitteln in Erwägung zieht und welche Ausstattung der Bundeswehr mit solchen Massenvernichtungsmitteln sie plant. Das Weißbuch soll zugleich darlegen, wie die Bundesregierung nachteilige Folgen für die Aussicht auf Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit abzuwenden gedenkt. Bonn, den 25. März 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 12 Umdruck 43 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Frage, ob die Bundeswehr mit atomaren Massenvernichtungsmitteln üben oder ausgerüstet werden kann oder soll, wird zurückgestellt, bis die in Aussicht genommene Konferenz zwischen den Regierungschefs der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion stattgefunden hat. Von ,dem amerikanischen Angebot, 48 „Matador"- Raketen für die Bundeswehr zu erwerben, wird kein Gebrauch gemacht. Bonn, den 25. März 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 13 Umdruck 44 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, bis zum 31. Mai l958 zu berichten, welche konkreten Schritte und Maßnahmen sie den Regierungen der USA, UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs vorzuschlagen gedenkt, die nach ihrer Auffassung geeignet sind, a) schrittweise eine kontrollierte Abrüstung, b) eine engere Verbindung zu den Menschen in Mitteldeutschland, c) die Wiedervereinigung herbeizuführen. Bonn, den 25. März 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 14 Umdruck 45 Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP, SPD Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag wiederholt feierlich den im Grundgesetz enthaltenen Appell, daß das ganze deutsche Volk aufgefordert bleibt, die Einheit und Freiheit Deutschlands in freier Selbstbestimmung zu vollenden. Die Verpflichtung der Vier Mächte zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands wird hierdurch nicht berührt. Bis zu dem Tage, an dem sich das deutsche Volk in freier Entscheidung eine Verfassung gibt, besteht in Deutschland keine endgültige und bleibende Staatsordnung. Die Bundesrepublik ist sich bewußt, daß sie als Ordnung des staatlichen Lebens für eine. Übergangszeit geschaffen wurde. Der Deutsche Bundestag erwartet deshalb die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands nicht von einem zwischen zwei deutschen Teilstaaten ausgehandelten Staatsvertrag, sondern unmittelbar von einem freien Willensentschluß des gesamten deutschen Volkes in seinen heute noch getrennten Teilen, der nach der Beseitigung der nicht in deutscher Zuständigkeit liegenden Hindernisse herbeizuführen ist. Der Bundestag erklärt seine Bereitschaft, jede Verhandlung zu unterstützen, die die Wege zu einem solchen Willensentscheid des deutschen Volkes ebnet, sobald eine Vereinbarung der Vier Mächte diese Möglichkeit erschlossen hat. Bonn, den 25. März 1958 Dr. Mende und Fraktion Ollenhauer und Fraktion Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 25. März 1958 1171 Anlage 15 Umdruck 46 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/ CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird beauftragt, um die Verhandlungen über die allgemeine Abrüstung zu fördern und die furchtbaren Gefahren für die Gesundheit der Lebenden und der kommenden Generationen abzuwenden, auf die Mächte, die Atomwaffen produzieren, einzuwirken, daß die Versuchsexplosionen mit Atomsprengkörpern sofort eingestellt werden. Bonn, den 25. März 1958 Frau Albertz Frau Renger Frau Bennemann Frau Rudoll Frau Berger-Heise Frau Schanzenbach Frau Beyer (Frankfurt) Frau Strobel Frau Döhring (Stuttgart) Frau Wessel Frau Eilers (Bielefeld) Frau Wolff (Berlin) Frau Herklotz Ollenhauer und Fraktion Frau Keilnack Frau Kettig Frau Dr. Diemer-Nicolaus Frau Korspeter Frau Friese-Korn Frau Krappe Frau Dr. Dr. h. c. Lüders Frau Meyer-Laule Dr. Mende und Fraktion Frau Nadig Anlage 16 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Bausch nach § 36 der Geschäftsordnung. In der Sitzung vom Freitag, dem 21. März, hat der Abgeordnete Döring von der Fraktion der FDP u. a. erklärt, es werde „der Tag nicht mehr fern sein, wo die oppositionellen Kräfte nicht nur gegen diese Politik, die dahintersteckt stehen, sondern zwangsläufig gegen diesen Staat gestellt werden. Das würde denn auch bedeuten, daß diejenigen, die diesen Staat dann einmal in der Zukunft nicht mehr oder nicht als endgültige Lösung anerkennen wollen, die ersten Hochverratsprozesse zu erwarten haben." Ich habe darauf den Zwischenruf gemacht: „Hoffentlich". Wegen dieses Zwischenrufs bin ich im Verlauf der Debatte mehrfach angegriffen worden. Ich lege deshalb Wert darauf, folgendes festzustellen: 1. Der Abgeordnete Döring hat in der ersten Rede die er in diesem Hause gehalten hat, ganz offen angekündigt, der Tag werde nicht mehr fern sein, an dem oppositionelle Kräfte diesen Staat in Zukunft nicht mehr werden anerkennen wollen. Seit dem ersten Zusammentreten des Bundestages im Jahre 1949 ist es das erste Mal, daß von der Tribüne des Bundestages herab offen und unverhüllt eine Bewegung gegen diesen Staat angekündigt wurde. Dies verdient festgehalten zu werden. An einem solchen Vorgang kann man nicht einfach vorbeigehen. Hier wurde ein Zeichen aufgerichtet, das nicht übersehen werden darf. 2. Ich hoffe nicht, daß es zu einer solchen Entwicklung kommt. Ich würde dies für ein geradezu unabsehbares Verhängnis für unser Volk halten. 3. Wenn es aber so weit käme, dann allerdings hoffe ich — und dies war der Sinn meines Zwischenrufs —, daß sich alle staatstragenden Kräfte unseres Volkes in dem Willen vereinigen werden, diesen Staat zu verteidigen, und daß auch die Richter dieses Staates, ihrem Eide getreu, jeden daran hindern werden, seine Hand gegen den Staat zu erheben. Bonn, den 25. 3. 1958 Bausch
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    Rede von Dr. Gustav W. Heinemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Nein; nach der Beschränkung der Redezeit kann ich mir das nicht erlauben.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Sie werfen entgegen, die Kirche könne keine Weisungen geben. Das weiß sie selbst. Das liegt auch in dem Satz, den ich vorlas, gar nicht drin. Natürlich haben Sie selbst zu entscheiden, wie jeder von uns hier im Hause. Aber das bedeutet zugleich persönliche Verantwortung, und meine Frage ging eben dahin, nach welchem Maßstab Sie diese Verantwortung betätigen. Nach welchem Maßstab Sie diese Verantwortung betätigen. Nach welchem Maßstab? Sie haben ihn sich selbst gesetzt mit dem Namen Ihrer Partei. Bitte, jetzt stellen Sie sich diesem Maßstab! Wie verstehen Sie ihn in bezug auf Massenvernichtungsmittel? Sagen Sie bitte nachher nicht wieder, wie es am 23. Januar geschah, das gehöre nicht ins Parlament. Meine Damen und Herren, was Herr Oberkirchenrat Cillien, stellvertretender Vorsitzender Ihrer Fraktion, mir am 23. Januar hier antwortete, war eine schreckliche Blöße für die CDU.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Herr Cillien antwortete, es sei nicht üblich, hier von christlichen Überzeugungen zu sprechen. Frau Wessel hat schon daran erinnert, wie oft es geschah, wenn Sie glaubten, es brauchen zu können.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Herr Cillien hat in seinen Wählerbrief hineingeschrieben: Wir sind unter dem Zeichen „christlich" angetreten.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, zum Wahlkampf oder zur Verantwortung hier?

    (Stürmischer Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Wenn Sie sich jetzt plötzlich in einem Augenblick, wo Ihnen einmal aus den Reihen der Sozialdemokratischen Partei Sprecher entgegentreten, die diese Fragen an Sie richten, zurückziehen wollen auf den Satz: Religion sei Privatsache, dann haben wir eine sehr bemerkenswerte Verkehrung der Fronten.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Kiesinger: Im Gegenteil! -Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Sie können auch nicht, wie es einer Ihrer Sprecher tat, mit durchschlagendem Gewicht antworten, daß angesichts der minimalen Anfälligkeit des Kreml für Fragen nach christlicher Verantwortung solche Fragen einseitig zu Lasten des Westens gingen. Meine Damen und Herren, ist die Geltung des Christlichen davon abhängig, daß es sich politisch auszahlt?

    (Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Dr. Krone: Ist denn die Verteidigung verboten? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wollen Sie sich ernstlich mit dem Kreml so gleichschalten,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    daß Sie sagen, wir können uns nur nach dem gleichen Maßstab anreden lassen, wie der sich anreden läßt? Dann hören Sie doch auf — und das war meine Bitte am 23. Januar —, davon zu sprechen, es ginge um Christentum gegen Marxismus. Professor von Weizsäcker hat auf einer Tagung in Loccum im November 1957 gesagt:
    Es schmerzt mich, zu sehen, daß heute die Christen, indem sie Realisten sein wollen, für ihre eigene Wahrheit oft am undurchdringlichsten sind. Sie sagen das, was alle wissen. Versäumen sie dadurch nicht,
    — so fragte er —
    der Welt das zu sagen, was nur sie sagen können? Das kann man freilich nur sagen, indem man es tut.

    (Zuruf von der CDU CSU: Nur!)




    Dr. Dr. Heinemann
    — Nur! Und genau das hat Weizsäcker beispielhaft vorgeführt.
    Meine Damen und Herren, die Verwerfung des politischen Satzes „Christentum gegen Marxismus" beinhaltet in gar keiner Weise Anerkennung einer marxistichen Irrlehre. Wir bekämpfen mit Ihnen marxistische Ersatzreligion und bolschewistisches System.

    (Lachen und Zurufe in der Mitte.)

    — Seien Sie doch froh, wenn wir Ihnen diese Bundesgenossenschaft anbieten.

    (Beifall bei der SPD und FDP. — Abg. Müller-Hermann: Sie sind aber praktisch der Schrittmacher!)

    Marxistische Ersatzreligion und bolschewistisches System sind in der Sowjetunion eine Einheit. Das rechtfertigt aber nicht, hier aus Christentum und NATO eine Einheit zu machen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und FDP.)

    Sie sprechen immer von der christlichen Einheitsfront.

    (Zuruf von der Mitte: Wo?)

    — In Ihrer politischen Propaganda, verehrter Herr Fragesteller; ich will Sie auf die Fülle der Flugblätter Ihrer Partei hinweisen. — Das Christentum wird von Grund auf verfälscht, wenn man es zur politischen Waffe, gegen wen auch immer, macht.

    (Zuruf von der Mitte: Richtig!)

    — Ich freue mich, daß wir uns wenigstens einiger) maßen finden.

    (Abg. Majonica: Sie haben ja nicht danach gehandelt, Herr Heinemann!)

    Ich sage Ihnen in aller Schlichtheit, daß das politische Nein niemals ein Nein Jesu Christi sein kann.

    (Zurufe von der Mitte: Das ist doch ganz klar!)

    — Ja, das ist ganz klar. Dann wundere ich mich nur, warum Sie noch mit solchen Worten operieren, wie wir sie hier so vielfältig gehört haben. Das angebliche christliche Nein gegen einen politischen Gegner kann immer nur das Nein einer Weltanschauung mit ihrer Gesetzlichkeit, mit ihren handfesten Interessen sein. Und eben in dieser weltanschaulichen Umdeutung zu einer politischen Waffe wird das Christliche verfälscht, hier in der Bundesrepublik zum Ärgernis und drüben hinter dem Eisernen Vorhang zur Belastung derer, die sich zur christlichen Kirche bekennen.

    (Beifall bei der SPD.) Deshalb meine Bitte, es zu lassen.

    Ich habe dies alles im Zusammenhang mit der Vorfrage aufgeworfen, ob Massenvernichtungsmittel christlich verantwortbar sein können. Es ist mir neulich, am 23. Januar, entgegengerufen worden: „Aber Notwehr!" Meine Damen und Herren, Notwehr ist ihrem Sinn und ihrem Charakter nach eine begrenzte Abwehr, aber Notwehr mit Massenvernichtung ist unmöglich.
    Sie sagen: Aber wir wollen ja diese Massenvernichtungsmittel nur zur Abschreckung, zur Drohung! Meine Damen und Herren, was heißt das praktisch? Als Ihnen hier in der Diskussion vorgehalten wurde, Sie wollten den Atomkrieg, haben Sie sich leidenschaftlich dagegen gewehrt. Ich verstehe diese Abwehr, wenn Sie sagen: Natürlich beabsichtigen wir nicht den Atomkrieg. Nein, das tun Sie nicht, aber Sie müssen dennoch letzten Endes sagen, daß Sie den Atomkrieg wollen, weil Sie ihn ja wollen müssen, wenn Ihre Drohung ernst sein soll, wenn Ihre Drohung wirksam sein soll.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Mit den alten, sogenannten konventionellen Waffen konnte man drohen, weil ihre Anwendung eine ausführbare Handlung war. Aber mit Atombomben und Wasserstoffbomben zu drohen, — ist das eine ausführbare Handlung, wenn die Drohung gegen einen Gegner exerziert wird, der mit diesen Waffen zurückschlagen kann? Diese Drohung ist entweder nicht ausführbar

    (Zuruf von der Mitte: Wer droht denn? — weitere Zurufe von der Mitte)

    — dann ist sie politisch wirkungslos —, oder hinter dieser Drohung steht die Entschlossenheit, Atombomben und Wasserstoffbomben anzuwenden. Dann aber sind Sie in der Bedrängnis der Frage, ob Sie solches tun dürfen und tun können.
    Meine Damen und Herren, die Alternative gegenüber all dem ist keineswegs, schlechthin waffenlos zu bleiben. Die 18 Göttinger haben Ihnen eindringlich genug gesagt, daß hier das Kalkül an die Grenze kommt und nur noch die Logik des Wahnsinns übrigbleibt. Sie alle sagen: Wahnsinn ist es, mit diesen sogenannten Waffen zu operieren. Und dennoch wollen Sie es probieren. Das, meine ich, sollte unterbleiben. Wir können den Sowjets und den Amerikanern die Massenvernichtungsmittel nicht aus der Hand nehmen. Aber wir können sie selber aus der Hand lassen. Es hat keinen Zweck, daß Sie dann rufen: Dann sollen es wohl andere für uns tun! Nein, ich mute es niemandem zu. Und wenn Sie sagen, dann gingen die anderen fort, so sage ich: ihre Massenvernichtungsmittel schützen uns ohnehin nicht. Wir sind besser geschützt, wenn der Atomwettlauf zum Stehen kommt.

    (Beifall bei der SPD. — Beifall und Zurufe in der Mitte.)

    Und wenn Sie dann immer noch weiter fragen, ja, ob denn das ohne Vorleistung geschehen solle, so weise ich noch einmal auf den sogenannten Rapacki-Plan hin, in dem ja Gegenleistungen zur Diskussion stehen.
    Meine Damen und Herren, wollen Sie eigentlich in dem Sinne politisch handeln, daß Leistung und Gegenleistung gegeneinander getauscht werden? Dann frage ich: Warum taten Sie es nicht längst? Dann frage ich: Wann erachten Sie jemals den Augenblick für gekommen, gegenüber der östlichen



    Dr. Dr. Heinemann
    Seite auf etwas zu verzichten, auf etwas zu verzichten an Waffen?

    (Zuruf von der Mitte: Was man nicht hat, darauf kann man nicht verzichten!)

    Lassen Sie es aus der Hand und nehmen Sie es nicht in die Hand! Denn die östliche Seite bietet jetzt gerade an, daß auch die Polen und Tschechen von diesen Waffen frei bleiben sollen.

    (Abg. Kiesinger: Das ändert doch nichts an der atomaren Situation, im Gegenteil!)

    Meine Damen und Herren, ich will zum Schluß kommen, nicht nur weil Sie uns die Redezeit beschränkt haben, sondern weil ich mit der Eindringlichkeit dieser einen Frage, die ich vor Sie hingestellt habe, überhaupt meinen Beitrag zur Diskussion hier als erfüllt ansehe. Ich handele nicht aus einem idealistischen Pazifismus. Ich kann wörtlich übernehmen, was der Herr Bundesverteidigungsminister sagte, indem er sich als einen Verantwortungspazifisten bezeichnete. Ich glaube so wenig wie er an den ewigen Frieden. Ich war bereit und bin bereit, gegenüber Bewaffnungen in der DDR hier in der Bundesrepublik ein Gegengewicht zu schaffen oder aufrechtzuerhalten.

    (Zuruf von der Mitte: Seit wann?)

    Nicht „seit wann?" Das war der Konflikt mit dem Herrn Bundeskanzler schon 1950, als ich damals sagte: ,Ich bin bereit, gegen die Volkspolizei da drüben hier Bundespolizei zu setzen. Aber ich war nicht bereit, mit einer militärischen Aufrüstung von 500 000, mit Dienstpflicht, Kriegswaffen, Militärbündnis zu antworten.

    (Beifall bei SPD und FDP.)

    Jenes Stadium ist mittlerweile überholt: aus Volkspolizei wurde Volksarmee, bei uns haben wir die Bundeswehr. Ich bejahe sie mit der Maßgabe, daß sie ohne Wehrzwang und ohne Atomwaffen bestehen soll. Und ich bin jederzeit bereit, mit der östlichen Seite über eine Begrenzung dieser Bewaffnungen in eine Regelung einzutreten.
    Meine Damen und Herren, Sie werden es mir nicht übelnehmen, daß ich auch einmal frage, wie es denn mit dem Schutz der Zivilbevölkerung in all Ihren Planungen aussieht.

    (Beifall hei SPD und FDP.)

    Der engliche Botschafter Steel erklärte vor einem Jahr, daß der Verzicht der britischen Regierung auf den Schutz der Zivilbevölkerung vor dem Atomkrieg eine der kühnsten Entscheidungen sei, die die britische Regierung je auf dem Gebiete der Verteidigung getroffen habe. Übertrifft unsere Bundesregierung an „Kühnheit" nicht doch noch diese englische Regierung?

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Alles, was über das hinausgeht, was ich eben sagte — eingeschlossen einen Schutz der Zivilbevölkerung — lehne ich ab, weil es nicht reif ist, weil es uns zerbricht.
    Es bedrückt uns ja alle, daß diese Aussprache hier im Bundestag einen so tiefen Zwiespalt zwischen uns und vielleicht die Unmöglichkeit, ihn zu überwinden, offenbart hat, sosehr ich immer noch darauf hoffe, daß wir aufeinander hören. Aber sehen Sie, nicht nur dieser Bundestag hier erweist sich als so zerspalten! Kommt nicht eine ähnliche Gefahr auf den Deutschen Gewerkschaftsbund zu? Kommt nicht eine ähnliche Gefahr auf die Evangelische Kirche in Deutschland zu? Sie wissen, auf welche Vorgänge ich jetzt anspiele; sie hängen mit der bevorstehenden Synode zusammen.
    Ich habe im Februar 1954 einmal einen Brief an den Herrn Bundeskanzler geschrieben. Es war der einzige in all den acht Jahren in diesen Fragen hier. Es war ein Brief zur Zeit der Berliner Konferenz, und ich habe dem Herrn Bundeskanzler damals gesagt: Herr Bundeskanzler, es wird der Zeitpunkt kommen, wo das deutsche Volk Ihnen in die letzten Konsequenzen Ihrer Politik nicht mehr folgen wird, und dann werden die Amerikaner die Getäuschten sein, und hier wird sich die politische Grundlage als brüchig erweisen. Vor vier Jahren! Fühlen wir nicht, daß dieser Zeitpunkt jetzt nahegekommen ist?

    (Widerspruch bei der CDU/CSU. — Zuruf: Das ist ein Irrtum! — Abg. Kiesinger: Sie werden sich genauso täuschen, wie Sie sich früher getäuscht haben!)

    — Ich würde herzlich bitten, das jetzt nicht so zu überrollen.
    Ich frage Sie nur eines. Sie haben ja die Verantwortung. Sie haben die Mehrheit.

    (Zurufe von den Regierungsparteien.)

    — Diese Frage darf ich Ihnen ja unterbreiten, und mehr tue ich nicht!

    (Erneute Zurufe von den Regierungsparteien. — Zuruf von der Mitte: Alle haben wir die Verantwortung!)

    Meine Bitte wäre, diese Frage in ihrem ganzen Gewicht zu hören und ernst zu nehmen: doch eine Bemühung daran zu wenden, daß wir aus der bisherigen Entwicklung heraussteuern, daß wir uns mit vollem Ernst und mit voller Konsequenz den Überlegungen zuwenden, nach welch einem sogenannten Status denn endlich einmal Gesamtdeutschland gestaltet werden soll. Diese Fragen — diese Fragen! — sind in der Vergangenheit viel zu sehr überrollt worden. Ich meine, es spricht sich doch nun auch in Ihren Reihen herum, daß in dieser Frage der Schlüssel zu einem guten Fortgang aller Entwicklungen liegt. Wir wollen nicht weniger Sicherheit als Sie, verehrte Damen und Herren, wir wollen eine andere Sicherheit und eine bessere Sicherheit.
    Wir bitten Sie — erlauben Sie mir, daß ich das so bescheiden wie möglich ausspreche —, sich davor zu bewahren, daß ein blinder Antikommunismus über uns Macht und Herrschaft gewinne. Er hat uns schon einmal ins Verderben, ja sogar in die Verbrechen geführt. Es gab 1933 einige, die da meinten,



    Dr. Dr. Heinemann
    wenn das heraufziehende Gewitter der Entrechtlichung, der Wegnahme der Staatsbürgerrechte, nur die Kommunisten beträfe, dann wäre das ja erträglich, ja dann wäre es sogar gut. Es ist über uns alle hinweggerollt. Lassen wir uns das zur Warnung gesagt sein!
    Meine Damen und Herren, wir haben uns lange .Jahrzehnte mit dem Satz erfüllt, Frankreich sei unser Erbfeind. Das ist Gott sei Dank überwunden, das ist Gott sei Dank begraben.

    (Zurufe von der Mitte.)

    — Jawohl, ich habe ja immer anerkannt, daß es notwendig war, den Ausgleich mit dem Westen herbeizuführen. Meine Bitte geht dahin: setzen Sie an die Stelle der Erbfeindschaft gegen Frankreich nicht eine Erb- und Todfeindschaft gegen den östlichen Nachbarn.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Bewahren Sie sich davor, indem Sie Abstand nehmen, immer von äußerer Bedrohung, sozusagen als Erziehungs- und Zuchtmittel, zu sprechen.
    Ich schließe mit einem Satz, den vorgestern in Frankfurt mein Freund Professor Heinrich Vogel, Berlin, sprach:
    Was uns betrifft, so hätten wir, die wir aus der großen Schuld des letzten Krieges herkommen, allen Anlaß, gerade auf unserem Boden das zu sagen, was den Stromkreis der Angst unterbrechen könnte, und das heißt: um des Friedens der Welt willen auf jede atomare Bewaffnung zu verzichten.
    Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, nehmen Sie Abstand von der atomaren Bewaffnung!

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und bei der FDP.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich bin leider in einer etwas mißlicheren Lage als mein verehrter Vorredner. Denn ich habe noch zu einem anderen Problem als zu der Frage der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr ein paar Worte zu sprechen.
    Ich möchte mir zwei Bemerkungen vor diesem Hause und in dieser langen Debatte erlauben —auf alle Vorbemerkungen verzichte ich, um Ihre Geduld nicht noch mehr zu überfordern —: Erstens eine Anregung zur Tagesordnung der Gipfelkonferenz, die darüber hinaus vielleicht auch ein kleiner Beitrag zur Klärung der Methode unserer Außenpolitik sein könnte. Mit diesem Versuch verbinde ich den Dank an Kollegen aus allen Fraktionen des Hauses, die sich in den letzten Wochen die Mühe gemacht habe.-, einen von mir eigentlich beiläufig, jedenfalls zunächst gar nicht programmatisch gemeinten Gedanken kritisch zu überprüfen, ihn zu wägen, ihn zu bejahen oder zu verneinen. Ich bedanke mich damit auch bei denjenigen, die sich in dieser Debatte die Mühe gemacht haben, sich gelegentlich damit zu befassen.
    Das zweite ist nun allerdings auch eine Bernerkung zur Frage der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr. Ich bedanke mich für den noblen Ton meines Vorredners — jedenfalls mir gegenüber —; denn ich habe ja nach dem 23. Januar an anderer Stelle mit ihm die Klingen gekreuzt. Er hätte eigentlich heute keine Rücksicht nehmen sollen; denn hier spricht ja heute nicht der Präsident dieses Hauses, sondern schlicht und einfach der Abgeordnete.
    Im Blick auf einige Bemerkungen, die Herr Dr. Heinemann an den Anfang seiner Rede gestellt hat, fühle ich mich nun aber doch verpflichtet, zu sagen, daß ich zwar nicht 1945 zu denen gehörte, die programmatisch an der Gestaltung der Christlich-Demokratischen Union mitgewirkt haben — ich hatte damals einiges andere zu tun —, daß ich aber zu denen gehöre, die in diesem Hause von Anfang an die europäische Konzeption einer deutschen Politik vertreten haben. — Dies sage ich auch zu den Bemerkungen von Herrn Dr. Heinemann über die Grundkonzeption und die Grundeinstellung des Herrn Bundeskanzlers und zu dem, was in der Gegenüberstellung von der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Reich Karls des Großen bis zum Deutschen Ritterorden angeklungen ist. Ich kann es nicht kürzer aussprechen als so: Mir jedenfalls — und ich weiß, daß es vielen anderen genauso gegangen ist — hat es geschienen, daß diese europäische Konzeption einer deutschen Politik nach dem zweiten Weltkrieg ein verpflichtendes Erbe, eine Verpflichtung der Erkenntnis gegenüber sei, die uns insbesondere im „Dritten Reich" und im zweiten Weltkrieg aufgegangen ist: daß es ein Ende haben müsse mit dem alten Hin und Her, mit der alten souveränen nationalstaatlichen Ordnung Europas, daß Konsequenzen gezogen werden müßten aus dem, was in zwei Weltkriegen zwischen den Völkern Europas und anderer Kontinente geschehen ist, — kurz und gut, daß die Massengräber zweier Weltkriege uns in all unserem Tun und Lassen his auf diese Stunde und darüber hinaus verpflichten.

    (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    Man kann nun natürlich falsche und richtige Konsequenzen ziehen. Ich gehöre nicht zu denen, die einfach sagen, wir seien der Überzeugung, daß jedes Detail, das wir in den letzten acht Jahren in diesem Saale durchzukämpfen hatten, wohl geglückt und voll gelungen sei. Ich glaube aber doch, daß jedenfalls die beiden wesentlichen Konsequenzen, die wir für die deutsche Politik in diesen Jahren aus dieser Grundeinstellung zu ziehen versucht haben, richtig sind und daß sie im Grunde von dem ganzen Hause mitgetragen worden sind und auch weiter mitgetragen werden könnten. Wir haben nämlich, glaube ich, erstens den Versuch ge- macht, auf die Wiederherstellung einer deutschen Groß- und Weltmachtposition zu verzichten zugunsten einer neuen Lebensgemeinschaft der europäischen Völker. Wir haben damit auch den Versuch gemacht, auf jede Art von nationaler Macht-



    D. Dr. Gerstenmaier
    und Gewaltpolitik zu verzichten. Es ist wahr: als wir 1950 nach Straßburg gingen, war es doch weder unser Wille noch unsere Absicht, unsere Bereitschaft zur Einigung Europas mit dem Gedanken an die Wiederbewaffnung Deutschlands zu verbinden. Das lag gar nicht in unserem Plan, das lag überhaupt nicht in unserer Absicht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir waren nicht bereit — auch damals nicht; niemals waren wir dazu bereit —, auf die Wiederherstellung Deutschlands im ganzen, also auf das zu verzichten, was wir inzwischen schlicht die „Wiedervereinigung" genannt haben. Aber wir waren jederzeit bereit, unter vernünftigen Bedingungen auf jede Art von deutscher Wiederbewaffnung zu verzichten. Daß wir dann doch in die Wiederbewaffnung eintreten mußten, war nicht eine Änderung unseres Denkens und unserer Grundeinstellung; es war auch nicht eine Änderung unseres Wünschens, sondern es war die rauhe Wirklichkeit der Weltgeschichte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Diese Wirklichkeit der Weltgeschichte hat uns schließlich nur zwei Möglichkeiten gelassen, nämlich erstens, teilnahmslos abzuwarten, welche Folgen die Auseinandersetzung zwischen den Besatzungsmächten des Westens und des Ostens auf deutschem Boden noch haben würden, und zweitens, in diesem Konflikt eine Stellung zu beziehen, wie es unseren freiheitlichen und rechtsstaatlichen Bedürfnissen entspricht. Das letzte haben wir doch alle zusammen für selbstverständlich gehalten.
    Ich habe mir erlaubt — ich glaube, damals kam die Frage zum erstenmal auf —, am 9. August 1950 vor dem Europarat in Straßburg in Übereinstimmung mit meinen politischen Freunden — sie sitzen ja noch alle hier —, aber ohne vorhergegangene Absprache mit der Bundesregierung zu sagen, daß wir bei aller Abneigung gegen jede Art neuer militärischer Maßnahmen doch nicht erwarteten, daß andere für uns und unseren Schutz etwas täten, was wir für uns selber nicht zu tun bereit seien.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das war damals, wie mir schien, nicht nur eine politische, sondern eine moralische Zwangslage. Ich halte immer noch dafür, daß die grundsätzliche Stellung, die wir dabei bezogen, richtig war und sich bis zum heutigen Tage und darüber hinaus vertreten läßt.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Selbstverständlich haben wir dann in den Jahren danach die Integration Europas nicht deshalb mit Leidenschaft betrieben, weil wir gesonnen wären, Deutschland selber desintegriert zu lassen. Davon kann gar keine Rede sein.
    Inzwischen ist die Deutschlandfrage in einem so unerhört hohen Maße ein menschliches Problem geworden, daß wir schon aus diesem Grunde, wie mir scheint, gezwungen sind, immer von neuem las Äußerste zu versuchen, um, wenn schon nicht die staatliche Einheit, so doch eine Entlastung zunächst für die 17 Millionen Menschen zu erreichen, die unter dem Terror der Ulbricht und Grotewohl immer schwerer leiden. Ich glaube, darauf könnten wir uns auch heute noch in den Ausgangspositionen in diesem Hause einigen. Bei allem unserem beharrlichen Reden und Ringen um die staatliche Wiederherstellung Deutschlands darf nicht außer acht gelassen werden, daß die menschliche Situation unter den 17 Millionen, die unter dem Terror Pankows leiden, sich inzwischen so erschwert hat, so drückend geworden ist, daß wir nicht nur unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Einheit, sondern vielleicht sogar in einer vordringlichen Weise unter dem Gesichtspunkt: was kann zur Entlastung, zur menschlichen Entlastung dieser 17 Millionen geschehen? an das Problem der Deutschlandfrage immer von neuem herangehen müssen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Mir scheint, daß die Abwälzung dieses Druckes noch wichtiger und vordringlicher ist als die Wiederherstellung unserer formellen staatlichen Einheit.
    Meine Damen und Herren, indem ich das ausspreche, sage ich etwas recht Unorthodoxes; aber ich möchte einmal den hören, der hier dawiderredet!
    Schon um hier Hilfe zu schaffen, schon um etwas zu tun für die Erleichterung, die Abwälzung dieses totalitären Druckes in Mitteldeutschland, bedarf es immer neuer Anstrengungen, d. h. es bedarf schon dazu einer intensiven politisch-diplomatischen Beziehung zwischen Bonn und Moskau. Denn das ist dafür die richtige Adresse, nicht die Herren in Pankow.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich meine, darauf können wir uns auch heute noch einigen.
    Schließlich aber bedarf es dieser Beziehung selbstverständlich auch deshalb, weil wir verpflichtet sind, in Übereinstimmung mit unseren westlichen Verbündeten an der Entspannung zwischen Ost und West zu arbeiten und auch in direktem Kontakt zwischen Bonn und Moskau dazu — wenn wir es vermögen — etwas Eigenes beizutragen. Es mag sein, daß dabei gar nichts herauskommt; aber es ist unsere Pflicht, mit größter Entschiedenheit und Unverdrossenheit daran zu arbeiten, gleichgültig, von welchen Zeitungen wir dafür gelobt oder getadelt werden.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, sollte es nicht mehr erlaubt sein, in diesem Zusammenhang festzustellen, daß der Bundeskanzler mit seiner Politik, die zur Souveränitätserklärung der Bundesrepublik am 5. Mai 1955 und zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Rußland geführt hat, dafür doch überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen hat?

    (Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)




    D. Dr. Gerstenmaier
    Das ist neben der Lösung der Sicherheitsfrage die andere wesentliche, wie mir scheint, konstruktive politische Leistung, die wir in acht Jahren nicht nur fur Deutschland, sondern auch für die internationale Politik erbracht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich meine, wir sollten doch vor allem im Blick auf das zweite uns von niemandem abhalten lassen, die uns danach Rechtens zustehenden Möglichkeiten zwischen Bonn und Moskau auszuschöpfen.

    (Abg. Dr. Menzel: Warum geschieht es nicht?)

    — Herr Kollege Menzel, wenn ich Sie verstehen könnte, würde ich gerne antworten.
    Meine Damen und Herren, verzeihen Sie diese kurze Vergegenwärtigung; aber ich wollte diesen allgemeinen Hintergrund wenigstens mit einigen Strichen umschreiben, um Ihnen zu zeigen, auf welchem Grund die Anregung steht, die ich nach dem Bekanntwerden der Note Bulganins an Eisenhower vom 8. Januar 1958 gemacht habe. Der Herr Kollege Döring wird dann sein Wort zurücknehmen, daß die Helden müde geworden sind. Herr Kollege Döring, ich bin kein Held; ich habe das jedenfalls nie beansprucht. Aber müde, — müde bin ich nicht. Ich nehme an, daß Sie mich auslassen.

    (Abg. Dr. Mende: Er hat Sie nicht gemeint! Ich bestätige das ausdrücklich! — Heiterkeit.)

    — Er hat mich nicht gemeint? Danke vielmals.
    Bulganin hatte in jener Note neun Verhandlungspunkte zur Tagesordnung der Gipfelkonferenz vorgeschlagen. Die deutsche Frage war dabei ausgeschlossen geblieben. Selbstverständlich lag für jeden Nachdenklichen die Vermutung sehr nahe, daß die Russen mit dieser Auslassung den Status quo in Deutschland nicht zu ändern, ja wahrscheinlich eher zu zementieren beabsichtigten.
    Der Vorschlag Bulganins schließt konsequent an an die Ostberliner Rede Chruschtschows vom 26. Juli 1955. — Erinnern Sie sich, Herr Kollege Wehner, es war die Rede drei Tage nach dem Ende der Genfer Gipfelkonferenz. Damals hat Chruschtschow in Ostberlin gesprochen, und jene Rede Chruschtschows vom 26. Juli 1955 bedeutete mindestens bis auf weiteres das Ende eines zehnjährigen Ringens in der internationalen Politik um die Wiederherstellung Deutschlands, um es ganz kurz zu sagen.
    Drei Tage zuvor war die Genfer Gipfelkonferenz zu Ende gegangen mit einer Direktive der Regierungschefs an die Außenminister — ich zitiere —, daß „die deutsche Frage und die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen in Einklang mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes und auch im Interesse der europäischen Sicherheit gelöst werden sollen". Meine Damen und Herren, diese Direktive behält etwas Beispielhaftes auch für die internationale Debatte im gegenwärtigen Augenblick.
    Die Rede Chruschtschows in Ostberlin wischte diese Direktive einfach vom Tisch, und damit war die zweite Genfer Außenministerkonferenz vom Herbst 1955, die ja ausführen sollte, was von der Genfer Gipfelkonferenz als Direktive festgelegt war, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Herren Außenminister hätten nach dieser Chruschtschow-Rede überhaupt gar keine Fahrkarte nach Genf mehr zu kaufen brauchen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Chruschtschow stellte gegen die von Bulganin mitunterzeichnete Genfer Direktive den Satz von der unerläßlich notwendigen vorangehenden Einigung zwischen Bonn und Pankow, und damit betrieb er die Ausklammerung der Deutschlandfrage aus der zehnjährigen Viermächtediskussion und ihre Unterwerfung unter das Gutdünken Pankows. Ich versuche damit ein deutsches Wort zu bringen für das, was man etwas konventioneller das Pankower Veto nennen müßte.
    Die deutsche Außenpolitik ist vom Frühjahr 1950 bis zum Frühjahr 1958, his zu diesem Augenblick, davon ausgegangen, daß die bestehende Teilung Deutschlands ein Ergebnis, eine Funktion der weltpolitischen Entwicklung sei, die sich für jeden sichtbar und spürbar in der Ost-West-Spannung darstelle. Es war deshalb nur logisch und konsequent, wenn die Bundesregierung auch ihre Wiedervereinigungspolitik nicht unabhängig und nicht ohne Rücksicht auf die weltpolitische Entwicklung betrieben hat, sondern wenn sie davon ausging, daß die Wiedervereinigung Deutschlands mit größter Wahrscheinlichkeit eine irgendwie geartete Entspannung zwischen Ost und West zur Voraussetzung haben müßte.
    In dieser Einsicht drückt sich aber auch die Erkenntnis aus, daß nicht nur die Teilung Deutschlands, sondern auch die Wiedervereinigung Deutschlands im wesentlichen eine Funktion der Weltpolitik sein werde. Ich sage „im wesentlichen", weil ich damit natürlich nicht ignorieren will, daß auch der andere Satz einen Wahrheitsgehalt hat, der Satz nämlich, daß es ohne die Wiedervereinigung Deutschlands eine Stabilisierung des politischen und militärischen Friedens in Europa und damit in der Welt nicht geben wird. Wir haben diesen Satz hier oft und sehr präzise formuliert, z. B. von dem Kollegen Erler, aber auch von anderen Mitgliedern des Hauses, gehört, und der Satz ist sicher richtig. Aber es kommt hier doch, wie ich meine, auf die Rangfolge der Aussagen an.
    Was ich damit meine, kann ich beispielhaft darstellen in der Kritik eines Satzes, den ich kürzlich in einer Zeitung — in einer deutschen Zeitung — las. Dort hieß es:
    Washington läßt wieder erkennen, daß es sich die Grundthese der deutschen Bundesregierung, nämlich Entspannung als Folge der Wiedervereinigung, nach wie vor zu eigen macht.
    Nun, meine Damen und Herren, wenn dieser Satz
    richtig wäre, dann hätte der Herr Kollege Dr. Heinemann mit seiner Feststellung, die er am 23. Januar



    D. Dr. Gerstenmaier
    hinsichtlich der Forderung nach freien Wahlen getroffen hat, unzweifelhaft recht.
    Nun hat Herr Kiesinger gegen diese Behauptung des Herrn Dr. Heinemann vom 23. Januar, daß die Bundesregierung mit der ungewöhnlich verheerenden Parole „Freie Wahlen zuerst" die Entspannung und die Wiedervereinigung verhindert habe, geltend gemacht, daß sich in dieser Forderung alle Fraktionen einig gewesen seien. Ich bin der Meinung, daß Herr Kiesinger mit dieser Feststellung recht hat. Er behält damit auch dann recht, wenn die SPD sich in der Zwischenzeit — nach meinem Eindruck bedauerlicherweise — Herrn Dr. Heinemanns Satz im ganzen zu eigen gemacht haben sollte. Ich habe das zwar nicht ganz scharf verstanden. Aber es klang doch aus Darlegungen einiger prominenter SPD-Sprecher so heraus, als ob sie sich in der Zwischenzeit diese These von Herrn Heinemann zu eigen gemacht hätten.
    Nun, ich bin der Meinung, daß ein solches Bußbekenntnis der SPD gar nicht erforderlich, sondern ganz unnötig ist; denn jene Feststellung von Herrn Dr. Heinemann ist historisch gar nicht richtig. Ich wäre Ihnen deshalb sehr dankbar, Herr Kollege Dr. Heinemann, wenn Sie nach einer nochmaligen Überprüfung des geschichtlichen Verlaufs der letzten acht Jahre diese These fallen ließen.
    Ich habe in der Auseinandersetzung mit Herrn Dr. Heinemann anderwärts darauf hingewiesen, daß weder die Bundesregierung noch der Bundestag jemals gefordert haben, daß Verhandlungen zur Beseitigung internationale Spannungen, zur Abrüstung oder zu anderen Problemen, die der Entspannung dienen könnten, erst stattfinden dürften, nachdem die freien Wahlen uns vom Osten und vom Westen mit Brief und Siegel verbürgt seien.

    (Abg. Wehner: Ungefähr so!)

    — Nein, Herr Kollege Wehner, es ist nicht „ungefähr so". Ich kenne die Archive nicht, aber wir kennen doch keine einzige Verlautbarung oder Außerung oder Andeutung der Bundesregierung, aus der zu entnehmen wäre, daß irgendeine Verhandlung mit unseren westlichen Alliierten unter diesem Gesichtspunkt geführt worden wäre, z. B. vor der Berliner Konferenz, vor der Genfer Gipfelkonferenz und vor den Londoner Abrüstungsverhandlungen. Es gibt schlagende Beispiele für das Gegenteil! Ich glaube deshalb, daß die Feststellung des Herrn Dr. Heinemann vom 23. Januar abends, mit der Parole „Zuerst freie Wahlen" seien die Entspannung, die Wiedervereinigung und die freien Wahlen verhindert worden, nicht richtig ist. Ich glaube nicht, daß dieser Satz sich halten läßt.
    Weil aber dieser Satz sich nicht halten läßt, deshalb ist auch der andere Satz jener deutschen Zeitung, die übrigens nicht der SPD nahesteht, „Entspannung nur als Folge der Wiedervereinigung" grundfalsch.

    (Beifall in der Mitte.)

    — Das war ein etwas zögernder Beifall. Aber ich würde mich freuen, wenn der Beifall an diesem Punkte recht spontan würde. Denn hier geht es um ein gemeinsames Gedankengut, um eine gemeinsame Linie des Hauses, die in acht Jahren vertreten und verfochten worden ist und die wir nicht fallen lassen sollten, wie man auch sonst immer über die Sache denkt.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte.)

    Man kann über die Außenpolitik der Bundesregierung das oder jenes sagen, natürlich, wir haben ja auch alles mögliche dagegen gehört. Aber es hat keinen Sinn, die Kritik zu übertreiben. Wir sind uns in diesem Hause in dieser Dominante unserer Außenpolitik einig gewesen, daß die Wiedervereinigung nach aller Wahrscheinlichkeit eine Folge vorausgegangener Entspannungsversuche und Entspannungsergebnisse zwischen Ost und West sein wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Deshalb ist unsere Außenpolitik auch maßgeblich darauf ausgerichtet gewesen, eine internationale Entspannung zur Ermöglichung der Wiedervereinigung und zur Verhinderung eines Krieges mit herbeizuführen.

    (Abg. Erler: Zur Entspannung paßt jetzt genau die Atombewaffnung!)

    — Herr Erler, wir kommen noch darauf!

    (Abg. Wehner: Und während Genf der Beschluß: Jetzt rüsten!)

    — Herr Wehner, wir kommen noch darauf! Es gibt das schöne Wort von der Filigranarbeit. Wir haben in dieser Debatte so viel Leidenschaft und so viel Kraftworte gehört, daß es vielleicht uns allen gut tut, wenn wir wieder einmal ein bißchen über so subtile Dinge verhandeln.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich sage noch einmal, meine Damen und Herren: Der Satz „Wiedervereinigung als Folge der Entspannung" schließt natürlich nicht die Auffassung aus, daß ohne Wiedervereinigung die Entspannung und der Friede nicht stabilisiert seien. Dieser Satz bedeutet aber keineswegs — ich wiederhole es —, daß vor jeder internationalen Verständigung schon freie Wahlen stattfinden müßten, wenn es selbstverständlich auch noch so wünschenswert wäre, daß diese freien Wahlen ohne alle Rücksichten schon heute oder morgen stattfänden. Freie Wahlen wird es nach menschlichem Ermessen erst geben, wenn einige fundamentale politische und militärische Meinungsverschiedenheiten zwischen Ost und West in einer Vereinbarung zwischen den Vier Mächten beseitigt sind. Unsere Aufgabe dabei ist es nicht, mit der Forderung einer illusionären Reihenfolge den Beginn der Entspannung zu verzögern oder zu verhindern — das eben hat, wie ich meine, Herr Dr. Heinemann uns zu Unrecht vorgeworfen —, sondern unsere Aufgabe ist es, erstens den Beginn einer solchen Entspannung zu fördern und zweitens allerdings auf das genaueste darauf zu achten, daß bei solchen Viermächteverhandlungen und Übereinkünften der Status quo, d. h. die Teilung Deutschlands, nicht noch weiter befestigt oder zementiert wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)




    D. Dr. Gerstenmaier
    Aus Überlegungen dieser Art heraus habe ich seinerzeit zu dem Vorschlag Bulganins an Eisenhower über die Tagesordnung der Gipfelkonferenz mit seinen neun Punkten angeregt, keinen langen Streit über den einen oder anderen Tagesordnungspunkt zu veranstalten, sondern dafür zu sorgen, daß die Deutschlandfrage mit auf die Tagesordnung komme. Natürlich kam es mir mit dieser Anregung auf ein Zweifaches an, erstens darauf, die Viermächtekonferenz über Deutschland genau wieder dorthin zu bringen, wo sie von Rechts wegen nach einer zehnjährigen Praxis hingehört, nämlich in die Verantwortung, jedenfalls in die entscheidende Mitverantwortung der ehedem gegen Deutschland kriegführenden großen Mächte. Praktisch heißt das: Die Deutschland-Debatte muß dort weitergeführt werden, wo sie am 23. Juli 1955 in der Direktive der Genfer Gipfelkonferenz stehengeblieben ist.
    Meine Damen und Herren, ich habe mich seit Jahr und Tag, seitdem Sie mir hier oben Zeit lassen, nachzudenken, mit der Prüfung der Frage beschäftigt, ob es ausreichend ist und ob wir weiterkommen, wenn wir die Deutschlandfrage auch im internationalen Bereich vorwiegend oder ausschließlich im Blick auf die Modalitäten der Wiedervereinigung diskutieren. Ich habe den Widerstand der Opposition in diesem Hause gegen die aktive Einbeziehung der Bundesrepublik in die Schutzgemeinschaft der freien Welt bekämpft. Aber ich habe eine kritische Anregung aufgenommen und habe auch in der Hitze des Wahlkampfes nicht darauf verzichtet, mich positiv mit ihr auseinanderzusetzen. Ich sage noch einmal: Bislang war dieses Haus darin einig, daß man nicht nur in Sachen des Verfahrens der Wiedervereinigung eine feste Meinung haben müsse, daß man darauf bestehen müsse, daß z. B. eine gesamtdeutsche Regierung oder ein gesamtdeutsches Parlament nicht anders als durch freie Wahlen zustande kommen dürfe. Das alles ist notwendig, ist ganz unverzichtbar, und ich hoffe, daß das Haus bei dieser Übereinstimmung bleibt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber um praktisch weiterzukommen, meine Damen und Herren, glaube ich, ist es richtig, auch an der Klärung der Frage zu arbeiten, welchen Status ein wiedervereinigtes Deutschland denn haben würde, ob und worauf sich denn Ost und West mit uns Deutschen zusammen in dieser entscheidenden Frage einigen könnten. Ich bin nicht der Meinung, daß es sich dabei allein um die Klärung des militärischen Status handeln würde oder handeln könnte. Es müßte vielmehr auch klipp und klar festgestellt werden, ob z. B. Deutschland die gesicherte Freiheit besitzen würde, sich an wirtschaftlichen und politischen Integrationen zu beteiligen und seine gesellschaftliche, seine wirtschaftliche und seine staatliche Ordnung nach den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen selbst zu bestimmen. Diese Charta der Vereinten Nationen ist von den Mächten im Westen wie im Osten unterzeichnet worden.
    Es würde zu weit führen, hier in die Erörterung der Möglichkeit eines solchen Status einzutreten.
    Aber wie aktuell das politische Problem und wie aktuell seine militärischen Konsequenzen wären, das ergibt sich z. B. daraus, daß für den Fall einer Einigung über wirtschaftliche und politische Integrationsfreiheit für Gesamtdeutschland die militärische Konsequenz mit größter Wahrscheinlichkeit die der erheblich verdünnten Zone vom Rhein bis zur Ostgrenze Polens sein könnte. Ich sage: sein könnte, und ich rede damit vielleicht von einem Optimum. Natürlich ist damit zugleich eine wesentliche Teilfrage der allgemeinen, der kontrollierten Abrüstung wie der europäischen Sicherheit zur Erörterung gestellt. Indessen kam es mir nicht darauf an, Teilvorschläge zur Abrüstung zu machen. Mein Vorschlag zur Tagesordnung der Gipfelkonferenz zielt einfach auf ein Dreifaches: erstens die Deutschlandfrage, wie gesagt, in der Viermächtediskussion auf ihre substantielle Kernfrage hin zur Debatte zu stellen, in der Erwartung, daß dann, falls eine Einigung zwischen Ost und West über den politischmilitärischen Status Gesamtdeutschlands überhaupt im Bereich der Möglichkeit liegt, auch die Verhandlungen über die Modalitäten der Wiedervereinigung ein anderes Gesicht bekommen würden, ja, daß sie eine politische Grundlage gewännen, von der aus an ihre Verwirklichung gedacht werden könnte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der FDP.)

    Meine Damen und Herren, ich sehe nicht, wie man sonst über das von der März-Note von 1952 bis zum Aide-memoire vom 19. März 1958 von Moskau immer wieder verlangte Vetorecht — und zwar absolute Vetorecht — Pankows hinwegkommen könnte.

    (Abg. Erler: Hoffentlich sieht es jetzt Herr Kiesinger endlich auch! Er hat eben Beifall geklatscht. Das hat mich sehr gewundert. Bei mir sagt er immer, die Geschichte hat die Frage noch gar nicht an uns gestellt!)

    — Aber, Herr Erler, Herr Kiesinger würde doch wahrscheinlich auch nach Ihrer Meinung damit recht behalten. Sehen Sie, was ich sage, ist ja jetzt nur eine Verfahrenserörterung. Aber, Herr Erler, wir sind uns doch völlig darüber im klaren, zusammen mit Herrn Kiesinger, daß, wenn über den Status verhandelt wird, selbstverständlich kein Mensch sagen kann, ob die Meinungen zwischen Ost und West nicht so weit auseinandergehen, nicht so absolut gegensätzlich sind, daß auch die bescheidenste Chance einer Verständigung in der Substanz ausgeschlossen ist.

    (Abg. Erler: Eben dies gilt es zu ergründen!)

    — Ja, das soll ergründet werden. Aber gerade dazu hat doch Herr Kiesinger gesprochen, und da ist seine Meinung, das sollte man dann der geschichtlichen Situation überlassen, darauf zu antworten.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Erler: Ich verstehe Ihr Wohlwollen! Man muß mit Freunden barmherzig sein! — Abg. Kiesinger: Na, na!)




    D. Dr. Gerstenmaier
    — Herr Erler, Sie sind zwar nicht mein Feind, aber wir stehen hier als politische Gegner — nicht, wenn ich da oben bin, aber hier —; dennoch, Herr Erler, Sie können meines Wohlwollens versichert sein!

    (Beifall und Heiterkeit.)

    Meine Anregung beabsichtigte, damit die Deutschlandfrage in der internationalen Diskussion wieder dahin zu bringen, wo sie am 23. Juli 1955 bei der Genfer Gipfelkonferenz stehengeblieben war.
    Und sie beabsichtigte drittens, die Deutschlandfrage unter allen Umständen in der entscheidenden Mitverantwortung der Siegermächte zu belassen und sie der Lähmung durch die monotone russische Parole von der Verständigung zwischen Bonn und Pankow zu entziehen. Nun, das waren die schönen Absichten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nun können Sie kommen und sagen: Ja, das waren Gerstenmaiers Träume und Vorstellungen; und was haben die Russen gemacht, welchen Reif haben sie darüber fallen lassen! Meine Damen und Herren, ich bin nicht ein solcher Träumer, daß ich annähme, wenn ich mal gelegentlich etwas sage, würden es die Sowjets sogleich hundertprozentig aufnehmen. Bulganin hat mit seiner Note vom 28. Februar 1958 immerhin etwas getan, was uns doch alle stutzig machte. Er hat plötzlich nicht mehr gesagt: „Von der Deutschlandfrage darf auf dieser Gipfelkonferenz überhaupt nicht geredet werden!", sondern er sagte plötzlich: „Über den Friedensvertrag können wir ja reden; allerdings nicht über die Frage der Wiedervereinigung." Damit war natürlich der ganze schöne Gedanke entsetzlich verstümmelt; denn selbstverständlich gehört zu den wesentlichen Elementen des Friedensvertrags auch die Frage, wie denn ein solcher Friedensvertrag, wenn man sich im Kern einig wäre, verwirklicht werden müßte und verwirklicht werden könnte.

    (Abg. Dr. Mende: Soll das nicht lieber erst in den Verhandlungen geklärt werden?)

    — Schön, das kann in den Verhandlungen geklärt werden. Ich sage nur: es gehört zur Direktive, daß auch die Frage der Modalitäten der Wiedervereinigung behandelt werden müßte. Die Bulganin-Note hat sicherlich dem Gedanken nicht genützt, sondern nur geschadet, und zwar deshalb, weil sie ein Grundelement, das nicht nur formale Bedeutung hat, nämlich die Frage der Wiedervereinigung, gewaltsam abtrennte. Aber, meine Damen und Herren, was bedeutet das gegen den Gedanken überhaupt? Hören Sie: ist deshalb der Gedanke der allgemeinen kontrollierten Abrüstung in der Welt nichts wert, weil die Russen bis jetzt in dieser Sache einfach nicht gespurt haben? Wir denken doch gar nicht daran, auf die Idee der allgemeinen kontrollierten Abrüstung nur deshalb zu verzichten, weil bis jetzt leider Gottes nichts daraus geworden ist!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun, es gab auch einige bundesrepublikanische Befürchtungen, daß der Gedanke „Friedensvertrag" uns möglicherweise aus der politisch-taktischen Solidarität mit dem Westen — sprich: mit den Vereinigten Staaten von Amerika — heraustragen könnte. Diese bundesrepublikanischen Befürchtungen sind durch ein sehr interessantes Memorandum der Vereinigten Staaten von Amerika, das Memorandum vom 6. März 1958 an Moskau, zerstreut worden. Dort verlangen nämlich die Vereinigten Staaten die Anknüpfung an die Genfer Gipfelkonferenz und ihre Thematik, und damit vertreten sie den Gedanken, daß auf dieser Gipfelkonferenz auf jeden Fall über die Abrüstung und die europäische Sicherheit zusammen mit der Deutschlandfrage verhandelt werden müßte. Nun, das eben nenne ich die Kernprobleme eines Friedensvertrags mit Deutschland. Ich stelle deshalb fest, daß die neue Gipfelkonferenz auch nach amerikanischer Auffassung sich mit den wesentlichen, elementaren Bestandteilen eines Friedensvertrags befassen müßte.
    Indessen, schlimmer als die Ausklammerung der Wiedervereinigung in der Note von Bulganin war Chruschtschows Trennung von europäischer Sicherheit und Deutschlandfrage, eine Trennung, die Herr Chruschtschow in seiner Rede am 15. März 1958 in Moskau vorgenommen hat. Er hat gesagt: Es gibt einige Leute, die muten uns zu, über europäische Sicherheit u n d die Deutschlandfrage zu reden; das tun wir nicht. Meine Damen und Herren, ich finde diese Erklärung des Herrn Chruschtschow denkbar betrüblich. Ich muß den Kollegen, die sich ernsthaft, jedenfalls ebenso ernsthaft wie ich selber, mit dem Rapacki-Plan befaßt haben, zu erwägen geben, ob diese gewaltsame Trennung von europäischer Sicherheit und Deutschlandfrage, die Herr Chruschtschow im Blick auf die Gipfelkonferenz vornehmen wollte, nicht eine Art Präventivstoß gegen jede konstruktive Weiterbildung des Rapacki-Plans ist, der selbstverständlich auf die Verbindung von europäischer Sicherheit und Deutschlandfrage gerichtet sein muß, wenn er überhaupt einen Sinn haben soll.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Man hat gesagt, Rapacki habe sicher seine Sache nicht verkauft, ohne dafür vorher in angemessener Weise eine stillschweigende Deckung durch den Kreml zu haben. Ich habe neuerdings einige Zweifel, obwohl der Kreml den Plan ja später bestätigt hat. Er hat ihn aber nur bestätigt in der für uns, wie ich meine, völlig unbefriedigenden Ausgangsposition, mit der er serviert wurde, nämlich ohne das Junktim zwischen atomaren und konventionellen Waffen in der Abrstung und ohne das Junktim zwischen atomwaffenfreier Zone und Wiedervereinigung Deutschlands. Beide Junktims haben gefehlt, und deshalb habe ich gesagt: Tut mir schrecklich leid! Ich verkenne nicht, daß im Rapacki-Plan ein Fortschritt steckt, nämlich in der Installation der Kontrollen. Trotzdem ist er als Ausgangsbasis leider nicht brauchbar, solange die beiden essentiellen Junktims ausgeschlossen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Und nun kommt dieser Präventivstoß. Es ist mir aufgefallen, daß wir in dieser langen Kampfdebatte — und deshalb wäre es doch gut, daß wir vielleicht ab und zu unsern Stil wieder ändern —



    D. Dr. Gerstenmaier
    über diesen Punkt noch nicht mehr nachgedacht haben. Ich stelle mich gern jeder Kritik, und wenn es weiterbringt, lasse ich mich gern belehren. Aber ich frage, meine Damen und Herren, ob in dieser gewaltsamen Trennung von europäischer Sicherheit und Deutschlandfrage durch Chruschtschow — mit dem Ziel der Eliminierung der Deutschlandfrage — nicht ein Präventivstoß gegen jede mögliche konstruktive Weiterbildung der Idee von Rapacki steckt, ein Präventivstoß von Moskau.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.—Abg. Erler: Ein Grund mehr, daß wir den Plan nicht völlig fallenlassen, sondern lieber weiterentwickeln!)

    — Herr Erler, meine Bemühungen hier zielen darauf ab, einmal zu sondieren, was von unserer Seite aus politisch möglich ist. Ich sehe nicht viele Möglichkeiten; aber ich möchte gern das Wenige, was darin ist, herausstellen. Zweitens habe ich natürlich die Tendenz, auch nach dieser heftigen und langen Debatte den Versuch zu machen, wieder das zum Bewußtsein zu bringen, was vielleicht doch noch an Gemeinsamkeit in diesem Hause vorhanden ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Man hat ja das schöne Wort von der gemeinsamen Außenpolitik nicht dazu, um davor zu kapitulieren. Mein ehemaliger Landesvater, der Herr Ministerpräsident a. D. Dr. Reinhold Maier, hat mir etwas Unrecht getan. Natürlich bin ich der Meinung, daß eine einheitliche, eine gemeinsame Außenpolitik nicht nur darin besteht, Herr Kollege Dr. Mende, daß sie gemeinsam erarbeitet wird. Eine gemeinsame Außenpolitik muß nicht nur gemeinsam erarbeitet werden — das ist das erste —, sie muß — das ist das zweite — dann auch gemeinsam vertreten werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zustimmung des Abg. Dr. Mende.)

    Dabei spielt natürlich das Wahrheitselement und das, was man für richtig hält, eine ganz entscheidende Rolle. Ich sollte eigentlich diesen Hauptmann der Traditionskompanie des politischen Liberalismus in Deutschland

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    nicht daran erinnern müssen, daß es zum vortrefflichen Ideengut des politischen Liberalismus gehört, daß man nicht Einheitsgesichtspunkte unter allen Umständen Wahrheitsgesichtspunkten überordnen darf.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das nur nebenbei.