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    Deutscher Bundestag 21. Sitzung Bonn, den 25. März 1958 Inhalt: Antrag der CDU/CSU auf Begrenzung der Redezeit Rasner (CDU/CSU) 1057 B Dr. Mommer (SPD) . . . . . 1057 D Dr. Bucher (FDP) . . . . . . 1058 D Große Anfrage der Fraktion der CDU/ CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238); Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) ; — Fortsetzung der Aussprache —. Dr. Dr. Heinemann (SPD) . 1059 D, 1117 D D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . . 1067 B Dr. Bucher (FDP) 1085 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 1088 D Ollenhauer (SPD) 1092 B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 1099 D Dr. von Brentano, Bundesminister 1103 D Strauß, Bundesminister . . . . . 1107 B Dr. Arndt (SPD) (zur GO) . . . . 1115 D Rasner (CDU/CSU) (zur GO) . . . 1116 D Dr. Mende (FDP) (zur GO) . . . 1117 B Erler (SPD) 1118 B Dr. Bechert (SPD) 1122 D Dr. Martin (CDU/CSU) . . . . . 1125 C Dr. Achenbach (FDP) 1128 B Frau Herklotz (SPD) 1132 A Frau Dr. Rehling (CDU/CSU) . . 1133 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 1135 D Kiesinger (CDU/CSU) 1139 D Dr. Mende (FDP) 1145 D Erklärungen zur Abstimmung Ollenhauer (SPD) 1150 D Dr. Mende (FDP) 1151 B Dr. Krone (CDU/CSU) . . . . . 1151 D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 1152 A Dr. Friedensburg (CDU/CSU) (zur Behandlung der Berliner Abgeordneten) . . . . . . . . . . 1154 D Namentliche Abstimmungen, Einzel-abstimmungen Schneider (Bremerhaven) (DP) (zu Umdruck 34 Ziffer 5) . . . . 1155 A Kiesinger (CDU/CSU) (zu Umdruck 37, Umdruck 41) . . . 1157 B, 1160 B, D Erler (SPD) (zu Umdruck 41) . . . 1 160 B Dr. Bucher (FDP) (zu Umdruck 41) . 1160 C Dr. Mommer (SPD) (zu Umdruck 43) 1163 C Nächste Sitzung 1166 C Anlagen 1167 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 25. März 1958 1057 21. Sitzung Bonn, den 25. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.32 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albrecht 12.4. Dr. -Ing. E. h. Arnold 25. 3. Bazille 1.4. Dr. Becker (Hersfeld) 19.4. Blachstein 29. 3. Dr. Böhm 25.3. Conrad 18. 4. Diel (Horressen) 19. 4. Dr. Eckhardt 29.3. Eilers (Oldenburg) 26.3. Felder 31.3. Dr. Friedensburg 26.3. Frau Friese-Korn 31.5. Funk 29. 3. Gottesleben 8.4. Dr. Gülich 29.3. Häussler 29.3. Heiland 31.3. Dr. Höck (Salzgitter) 31.3. Höcker 15.4. Frau Dr. Hubert 12.4. Jacobs 20. 4. Jahn (Frankfurt) 29.3. Jürgensen 31.3. Frau Kipp-Kaule 29.3. Dr. Kopf 29.3. Kunze 15.5. Lenz (Trossingen) 29.3. Dr. Lindenberg 29.3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30.4. Dr. Maier (Stuttgart) 25.3. Mellies 25.4. Muckermann 30.3. Murr 25.3. Neumann 12.4. Paul 30.4. Pelster 1.4. Frau Dr. Probst 25. 3. Rademacher 26. 3. Ramms 31.3. Schneider (Hamburg) 31.3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 26. 3. Dr. Stammberger 26.3. Dr. Starke 26.3. Frau Dr. Steinbiß 29.3. Stenger 25. 3. Strauß 25.3. Struve 29.3. Vogt 12.4. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 29. 3. Wehr 31.3. Weimer 29.3. Weinkamm 29. 3. Dr. Will 26. 3. Anlagen zum Stenographischen Bericht b) Urlaubsanträge Abgeordneter bis einschließlich Bauknecht 10. 5. Even (Köln) 19. 4. Höcherl 10. 5. Dr. Ripken 15. 4. Dr. Zimmermann 10. 5. Anlage 2 Umdruck 33 Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird beauftragt, sich bei den Vier Mächten, den USA, der UdSSR, dem Vereinigten Königreich und Frankreich, dafür einzusetzen, daß eine Viermächtearbeitsgruppe (Ständige Konferenz der Stellvertreter der Außenminister oder Botschafterkonferenz) zur Behandlung der Deutschlandfrage gebildet wird mit dem Auftrag, die Grundzüge eines Vertrages für Gesamtdeutschland zu erarbeiten. Bonn, den 18. März 1958 Dr. Mende und Fraktion Anlage 3 Umdruck 34 Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, 1. einen Beitrag zur allgemeinen Abrüstung durch den Verzicht auf die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen zu leisten; unter Berücksichtigung der Spaltung unseres Vaterlandes und der Bemühungen zur Wiedervereinigung mit Hilfe geeigneter Kontrollmaßnahmen zu erreichen, daß sowohl in der Bundesrepublik als auch im anderen Teil Deutschlands Atomwaffen weder stationiert noch gelagert und Atomwaffenanlagen nicht errichtet werden; 1168 Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode -- 21, Sitzung. Bonn, Dienstag, den 25. März 1958 3. sich dafür einzusetzen, daß gleichzeitig mit einem Abkommen über eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa eine Vereinbarung über die Stationierung konventioneller Streitkräfte im Raum der atomwaffenfreien Zone erzielt wird; 4. sich in allen Fragen der gemeinsamen Verteidigung bei den Mächten der Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft um Berücksichtigung der besonderen Lage des geteilten Deutschlands zu bemühen; 5. in engem Zusammenwirken und dauernder Beratung mit der deutschen Atomwissenschaft dafür Sorge zu tragen, daß geeignete Maßnahmen für den Atomschutz der Bevölkerung getroffen werden und daß die Nutzung der Atomenergie ausschließlich friedlichen Zwecken dient. Bonn, den 18. März 1958 Dr. Mende und Fraktion Anlage 4 Umdruck 35 Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird beauftragt, mit allen Mächten, die noch keine atomaren Waffen herstellen und besitzen, Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel des Abschlusses einer Konvention über Verzicht auf Herstellung und Besitz atomarer Waffen. Bonn, den 18. März 1958 Dr. Mende und Fraktion Anlage 5 Umdruck 36 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag stellt fest, daß atomare Sprengkörper jeder Art Werkzeuge der blinden Massenvernichtung sind und ihre Anwendung keine Verteidigung, sondern unberechenbare Zerstörung alles menschlichen Lebens bedeutet. Atomare Sprengkörper rotten unterschiedslos und unbegrenzbar Frauen und Kinder, Männer und Greise, jung und alt aus und verwandeln das Land in eine strahlenverseuchte, unbewohnbare Wüste. Von der Bundesregierung wird erwartet, daß sie unter Berufung auf ihre feierliche Erklärung vom 3. Oktober 1954 — dem Vertrag über den Beitritt der Bundesrepublik zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag als Anlage I zum Protokoll Nr. III über die Rüstungskontrolle beigefügt —, in der die Bundesrepublik auf die Herstellung atomarer Sprengkörper verzichtet hat, den Staaten, die nicht über Atomwaffen verfügen, vorschlägt, ein Übereinkommen zum Verzicht auf Herstellung und Verwendung von Atomwaffen abzuschließen und dadurch zugleich den Atomweltmächten die moralische Verpflichtung aufzuerlegen, die Verhandlungen über die kontrollierte Begrenzung der Rüstungen so zu fördern, daß auch ein Abkommen über die Ausschaltung der Atomwaffen zustande kommt. Bonn, den 18. März 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 6 Umdruck 37 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, keinerlei Verpflichtungen einzugehen und keinerlei Maßnahmen zu treffen, die die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atom- und Wasserstoff-Sprengkörpern, die Stationierung von Atomraketen und den Bau von Basen für diese Raketen zum Ziele haben. Bonn, den 18. März 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 7 Umdruck 38 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der Regierung der Volksrepublik Polen und den anderen beteiligten Mächten in Verhandlungen über die Verwirklichung des Planes einer atomwaffenfreien Zone in Europa einzutreten. Bonn, den 18. März 1958 Ollenhauer und Fraktion Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 25. März 1958 1169 Anlage 8 Umdruck 39 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag stellt fest, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in gesicherter Freiheit Verhandlungen und Maßnahmen voraussetzt, die schrittweise eine Entspannung bewirken. Eine solche Politik dient zugleich der Kriegsverhütung und vermehrt die Aussichten auf die für das deutsche Volk lebensnotwendige Sicherheit. Eine atomare Ausrüstung der Bundeswehr ist abzulehnen, weil sie eine politische Lösung der deutschen Frage bis zur Hoffnungslosigkeit erschwert. Sie verschärft die Spannungen und ist der Sicherheit des deutschen Volkes abträglich. Bonn, den 18 März 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 9 Umdruck 40 Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, sich bei den Vier Mächten für die Aufnahme von Verhandlungen über einen Vertrag für Gesamtdeutschland einzusetzen. Bonn, den 22. März 1958 Dr. Mende und Fraktion Anlage 10 Umdruck 41 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP Der Bundestag wolle beschließen: 1. Der Bundestag ersucht die Bundesregierung, auch weiterhin getreu ihrer grundsätzlichen Auffassung bei allen internationalen Verhandlungen und Konferenzen, an denen sie teilnimmt oder auf die sie Einfluß hat, a) für eine allgemeine kontrollierte Abrüstung sowohl atomarer wie konventioneller Waffen einzutreten, b) die Bereitschaft zu bekräftigen, daß die Bundesrepublik jedes derartige Abrüstungsabkommen annehmen wird, um dadurch zur Entspannung und zur Lösung der internationalen Probleme einschließlich der deutschen Frage beizutragen. 2. Solange der Kommunismus seine weltrevolutionären Ziele weiterverfolgt, die er noch im November 1957 auf der Tagung der Kommunistischen und Arbeiter-Parteien der sozialistischen Länder in Moskau erneut bekräftigt hat, können Friede und Freiheit nur durch eine gemeinsame Verteidigungsanstrengung der freien Welt gesichert werden. Der Bundestag stellt fest, daß die Bundeswehr lediglich der Erhaltung des Friedens und der Verteidigung dient. Darum fordert er die Bundesregierung auf, bis zum Zustandekommen eines allgemeinen Abrüstungsabkommens den Aufbau der deutschen Landesverteidigung im Rahmen der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft fortzusetzen. In Übereinstimmung mit den Erfordernissen dieses Verteidigungssystems und angesichts der Aufrüstung des möglichen Gegners müssen die Streitkräfte der Bundesrepublik mit den modernsten Waffen so ausgerüstet werden, daß sie den von der Bundesrepublik übernommenen Verpflichtungen im Rahmen der NATO zu genügen vermögen und den notwendigen Beitrag zur Sicherung des Friedens wirksam leisten können. 3. Das ganze deutsche Volk diesseits und jenseits der Zonengrenze erwartet, daß auf der kommenden Gipfelkonferenz die deutsche Frage erörtert und einer Lösung nähergebracht wird. Der Bundestag ersucht die Bundesregierung, sich dafür mit allen Kräften einzusetzen. 4. Der Bundestag wiederholt seine Überzeugung, daß freie Wahlen die Grundlage der deutschen Wiedervereinigung bilden müssen. Er lehnt mit Entschiedenheit ab a) den Abschluß eines Friedensvertrages für zwei deutsche Staaten, b) Verhandlungen mit den Vertretern des derzeitigen Zonen-Regimes, c) den Abschluß einer Konföderation mit diesem Regime. 5. Der Bundestag bekräftigt seine Überzeugung, daß die Wiedervereinigung Deutschlands in Verbindung mit einer europäischen Sicherheitsordnung die dringlichste Aufgabe der deutschen Politik ist. Bonn, den 25. März 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 1170 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 25. März 1958 Anlage 11 Umdruck 42 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktionen der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag ein Weißbuch vorzulegen, aus welchen Gründen sie eine Ausbildung der Bundeswehr mit atomaren Massenvernichtungsmitteln in Erwägung zieht und welche Ausstattung der Bundeswehr mit solchen Massenvernichtungsmitteln sie plant. Das Weißbuch soll zugleich darlegen, wie die Bundesregierung nachteilige Folgen für die Aussicht auf Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit abzuwenden gedenkt. Bonn, den 25. März 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 12 Umdruck 43 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Frage, ob die Bundeswehr mit atomaren Massenvernichtungsmitteln üben oder ausgerüstet werden kann oder soll, wird zurückgestellt, bis die in Aussicht genommene Konferenz zwischen den Regierungschefs der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion stattgefunden hat. Von ,dem amerikanischen Angebot, 48 „Matador"- Raketen für die Bundeswehr zu erwerben, wird kein Gebrauch gemacht. Bonn, den 25. März 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 13 Umdruck 44 Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, bis zum 31. Mai l958 zu berichten, welche konkreten Schritte und Maßnahmen sie den Regierungen der USA, UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs vorzuschlagen gedenkt, die nach ihrer Auffassung geeignet sind, a) schrittweise eine kontrollierte Abrüstung, b) eine engere Verbindung zu den Menschen in Mitteldeutschland, c) die Wiedervereinigung herbeizuführen. Bonn, den 25. März 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 14 Umdruck 45 Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP, SPD Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag wiederholt feierlich den im Grundgesetz enthaltenen Appell, daß das ganze deutsche Volk aufgefordert bleibt, die Einheit und Freiheit Deutschlands in freier Selbstbestimmung zu vollenden. Die Verpflichtung der Vier Mächte zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands wird hierdurch nicht berührt. Bis zu dem Tage, an dem sich das deutsche Volk in freier Entscheidung eine Verfassung gibt, besteht in Deutschland keine endgültige und bleibende Staatsordnung. Die Bundesrepublik ist sich bewußt, daß sie als Ordnung des staatlichen Lebens für eine. Übergangszeit geschaffen wurde. Der Deutsche Bundestag erwartet deshalb die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands nicht von einem zwischen zwei deutschen Teilstaaten ausgehandelten Staatsvertrag, sondern unmittelbar von einem freien Willensentschluß des gesamten deutschen Volkes in seinen heute noch getrennten Teilen, der nach der Beseitigung der nicht in deutscher Zuständigkeit liegenden Hindernisse herbeizuführen ist. Der Bundestag erklärt seine Bereitschaft, jede Verhandlung zu unterstützen, die die Wege zu einem solchen Willensentscheid des deutschen Volkes ebnet, sobald eine Vereinbarung der Vier Mächte diese Möglichkeit erschlossen hat. Bonn, den 25. März 1958 Dr. Mende und Fraktion Ollenhauer und Fraktion Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 21. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 25. März 1958 1171 Anlage 15 Umdruck 46 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/ CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird beauftragt, um die Verhandlungen über die allgemeine Abrüstung zu fördern und die furchtbaren Gefahren für die Gesundheit der Lebenden und der kommenden Generationen abzuwenden, auf die Mächte, die Atomwaffen produzieren, einzuwirken, daß die Versuchsexplosionen mit Atomsprengkörpern sofort eingestellt werden. Bonn, den 25. März 1958 Frau Albertz Frau Renger Frau Bennemann Frau Rudoll Frau Berger-Heise Frau Schanzenbach Frau Beyer (Frankfurt) Frau Strobel Frau Döhring (Stuttgart) Frau Wessel Frau Eilers (Bielefeld) Frau Wolff (Berlin) Frau Herklotz Ollenhauer und Fraktion Frau Keilnack Frau Kettig Frau Dr. Diemer-Nicolaus Frau Korspeter Frau Friese-Korn Frau Krappe Frau Dr. Dr. h. c. Lüders Frau Meyer-Laule Dr. Mende und Fraktion Frau Nadig Anlage 16 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Bausch nach § 36 der Geschäftsordnung. In der Sitzung vom Freitag, dem 21. März, hat der Abgeordnete Döring von der Fraktion der FDP u. a. erklärt, es werde „der Tag nicht mehr fern sein, wo die oppositionellen Kräfte nicht nur gegen diese Politik, die dahintersteckt stehen, sondern zwangsläufig gegen diesen Staat gestellt werden. Das würde denn auch bedeuten, daß diejenigen, die diesen Staat dann einmal in der Zukunft nicht mehr oder nicht als endgültige Lösung anerkennen wollen, die ersten Hochverratsprozesse zu erwarten haben." Ich habe darauf den Zwischenruf gemacht: „Hoffentlich". Wegen dieses Zwischenrufs bin ich im Verlauf der Debatte mehrfach angegriffen worden. Ich lege deshalb Wert darauf, folgendes festzustellen: 1. Der Abgeordnete Döring hat in der ersten Rede die er in diesem Hause gehalten hat, ganz offen angekündigt, der Tag werde nicht mehr fern sein, an dem oppositionelle Kräfte diesen Staat in Zukunft nicht mehr werden anerkennen wollen. Seit dem ersten Zusammentreten des Bundestages im Jahre 1949 ist es das erste Mal, daß von der Tribüne des Bundestages herab offen und unverhüllt eine Bewegung gegen diesen Staat angekündigt wurde. Dies verdient festgehalten zu werden. An einem solchen Vorgang kann man nicht einfach vorbeigehen. Hier wurde ein Zeichen aufgerichtet, das nicht übersehen werden darf. 2. Ich hoffe nicht, daß es zu einer solchen Entwicklung kommt. Ich würde dies für ein geradezu unabsehbares Verhängnis für unser Volk halten. 3. Wenn es aber so weit käme, dann allerdings hoffe ich — und dies war der Sinn meines Zwischenrufs —, daß sich alle staatstragenden Kräfte unseres Volkes in dem Willen vereinigen werden, diesen Staat zu verteidigen, und daß auch die Richter dieses Staates, ihrem Eide getreu, jeden daran hindern werden, seine Hand gegen den Staat zu erheben. Bonn, den 25. 3. 1958 Bausch
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    Rede von Dr. Gustav W. Heinemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am vergangenen Samstag überschrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" ihren Leitartikel mit den Worten „Die Entscheidung ist gefallen". Als das geschrieben wurde, diskutierten wir noch. Heute, drei Tage später, treten wir zur Fortsetzung der Diskussion wieder zusammen. Ist die Entscheidung bereits gefallen? Es sind genug Mitglieder in diesem Hause, die davon überzeugt sind, daß diese Entscheidung noch beeinflußt werden kann, und es wäre wahrlich gut für uns alle, wenn wir ihr offenblieben.
    Der Bundeskanzler hat als Kernpunkt dieser Auseinandersetzung die Frage in den Vordergrund gestellt: NATO oder nicht. Diese Fragestellung lehnen wir ab.

    (Beifall bei der SPD.)

    Niemand fordert gegenwärtig unser Ausscheiden aus der NATO. Sie sagen, wenn die Bundeswehr nicht atomar bewaffnet wird, dann sei die Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur NATO in Frage gestellt. Wir antworten: Der NATO-Vertrag sagt nicht, daß wir atomar bewaffnet sein müssen.
    Wir lehnen diese atomare Bewaffnung aus einer Fülle von Gründen ab. Sie machen daraus eine NATO-Frage, weil Sie wissen, daß die atomare



    Dr. Dr. Heinemann
    Bewaffnung unpopulär Ist. Soll das durch die Verschiebung der Frage auf die NATO überdeckt werden? Auch wenn wir keine atomare Aufrüstung der Bundeswehr vollziehen, kann die Bundesrepublik gegenwärtig in der NATO bleiben, so wie auch andere Nationen in ihr sind, ohne atomar bewaffnet zu sein, andere Nationen zumal, die nicht gespalten sind wie wir.
    Herr Bundesverteidigungsminister Strauß hat uns in den vergangenen Tagen das Leitbild seiner politischen Sicht entwickelt. Dieses Leitbild bedeutet in meinen Augen ein bündiges Entweder - Oder. Entweder die Sowjetunion verwandelt sich, sie hört auf zu sein, was sie ist, sie gibt nach, sie kapituliert, — oder wir beschränken uns auf uns selbst, auf Westeuropa, auf ein Reich Karls des Großen.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Wehner: Leider wahr! — Lachen in der Mitte.)

    Dies mit wenigen Strichen deutlich zu machen, wird nicht schwer sein, meine Damen und Herren.
    Zu der aufschlußreichsten Lektüre, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, gehört für mich die Adenauer-Biographie von Paul Weymar. Darin finden Sie, daß der Herr Bundeskanzler bereits im Oktober 1945, unmittelbar nach Kriegsende, als sein Leitbild einen westdeutschen Bundesstaat, bestehend aus den drei Westzonen, eng verflochten mit Frankreich und Belgien, bezeichnete.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Im Oktober 1945! Sie finden in dieser Biographie Aussagen, daß für ihn die Europäische Verteidigungsgemeinschaft eine „Weltanschauungsfrage" sei, daß sie „nicht aus militärischen Gründen" gesucht werde. Sie finden darin Aussagen, daß die Frage der Handlungsfreiheit einer gesamtdeutschen Regierung, wenn sie einmal käme, nur eine akademische Frage sei, weil die Kraft der Tatsachen und der Sinn der Integration einer Bundesrepublik in die westlichen europäischen Staaten etwas Unauflösliches herbeiführen würden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Das alles mit Bezug auf eine Bundesrepublik, von der wir sagten, sie sei ein Provisorium.

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    Meine Damen und Herren, erlauben Sie — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das war 1945!)

    — Das war 1945 und ist es auch noch lange danach gewesen.
    Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, daß ich ein Wort des Kardinal Frings zitiere, wobei ich Wert darauf lege, zu sagen, daß es sich um ein politisches Wort handelt. Kardinal Frings sagte im September 1952 in Köln auf einer großen Kundgebung in Gegenwart auch des Herrn Bundeskanzlers:
    Die Verwirklichung des Ideals, das Reich Karls des Großen neu zu errichten, ist noch nie so nahe gewesen wie jetzt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Sehen Sie, von da her schließt sich für mein Verständnis manches auf, was etwa zusammenhängt mit einer Abendländischen Akademie, mit der Abneigung gegen Berlin, das ja von dem Herrn Bundeskanzler als eine heidnische Stadt apostrophiert wurde

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und infolgedessen nur mit Trostpreisen der Unterbringung einiger spärlicher Bundesbehörden bedacht wird, während alles übrige sich auf einen Europarat nach Straßburg, nach Luxemburg usw. hin verlagert.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Symbolhaft für diese Linie ist der in Aachen zu verleihende Karlspreis,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    und symbolhaft für jene andere Linie, hingewendet zum Osten, ist der Deutsche Ritterorden,

    (Beifall bei der SPD)

    ist die Politik der Stärke, die bis hin zur Neuordnung ganz Osteuropas greift .

    (Abg. Kiesinger: Herr Heinemann, das eine schließt doch das andere aus: Karl der Große und Deutscher Ritterorden!)

    Wenn Sie die Sowjetunion zur Kapitulation kriegen, treten Sie gern aus dem westlichen Bereich heraus. Tun Sie es nicht, so werden Sie sich auf den Westen beschränkt halten, eben in dieser engen Begrenzung. „Neuordnung Osteuropas", — das war keineswegs ein falscher Zungenschlag, sondern sie kommt in sehr vielen Reden vor, und von da her, sehr verehrter Herr Kiesinger, ergibt sich ja auch die Ablehnung der Note vom März 1952.

    (Zustimmung bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/ CSU: Bleiben Sie bei der Wahrheit! — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Dr. Heck [Bonn] : Sie müssen doch die Noten gelesen haben, Herr Heinemann!)

    — Haben Sie noch einen Augenblick Geduld, mich anzuhören, trotz Beschränkung der Redezeit!

    (Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU.)

    Herr Kiesinger hat mir den Vorwurf gemacht, ich hätte aus der Note von 1952 nur die Stücke hervorgekehrt, die ein verzerrtes Bild ergäben. Herr Kiesinger, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß diese Note deshalb wichtig ist, weil sie eine Möglichkeit war zu verhandeln. Und genau dieses war von Ihnen nicht gewollt.

    (Lebhafter Widerspruch von der CDU/CSU.) Ist es denn so schwer zu erkennen, frage ich, (anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    daß mit jener Note von der östlichen Seite ein Kompromiß zur Diskussion gestellt wurde? Sie haben uns hier in dieser Diskussion gesagt: Die Sowjetunion will ganz Deutschland. Sie haben von der Ruhrkontrolle und allem möglichen geredet. Aber als die Sowjetunion anfing, darüber sprechen



    Dr. Dr. Heinemann
    zu wollen, daß sie bereit sei, auf ganz Deutschland zu verzichten, wenn der Westen bereit sei, seinerseits auf ganz Deutschland zu verzichten, haben Sie diese Fragestellung nicht geklärt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Herr Kiesinger, ich gebe Ihnen, wenn Sie so wollen, den Vorwurf, den Sie mir machen, zurück, weil Sie aus jener Note den einen für mich kardinalen Satz nicht gelten lassen:
    Die Sowjetunion schlägt vor, diesen Entwurf zu erörtern, und erklärt sich bereit, andere Vorschläge zu prüfen.
    Herr Carlo Schmid hat Ihnen entwickelt, was der Unterschied ist zwischen Verhandeln und sich einem Ultimatum zu unterwerfen. Oder, wenn ich es Ihnen in Form einer Anekdote, die man Bismarck zuschreibt, erläutern soll: Bismarck erhielt einmal ein politisches Angebot von den Russen, und jemand sagte zu ihm: Dieser Vorschlag hat doch einen Pferdefuß! Bismarck antwortete: Sie sind sehr optimistisch; er hat bestimmt mehrere Pferdefüße. Und als der andere dann sagte: Und Sie wollen trotzdem verhandeln?, erklärte Bismarck: Lieber Freund, Politik ist nichts anderes als das Studium von Pferdefüßen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Kiesinger: Eben!)

    — Ich freue mich, Herr Kiesinger, daß Sie mir zustimmen.

    (Abg. Kiesinger: Das Studium!)

    und frage Sie: Was würden Sie sagen, wenn die Sowjetunion ihr Angebot von 1952 heute wiederholte,

    (Beifall bei der SPD)

    nämlich Viermächtekonferenz, Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung, hervorgegangen aus Wahlen, Klärung des Status eines Gesamtdeutschland auf Grund von Viermächtevereinbarungen?

    (Lebhafte Zurufe von der Mitte: Freie Wahlen? — Weitere Zurufe von der Mitte. — Unruhe.)

    Wenn Sie ernstlich sagen wollen, daß Sie auch heute noch nicht bereit wären, auf eine Erörterungsgrundlage zu treten, wie sie 1952 von den Sowjets zur Diskussion gestellt wurde — verehrte Damen und Herren, nehmen Sie es mir nicht übel —, dann ist mir Ihr ganzes Gerede von Wiedervereinigung vollends fragwürdig!

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und FDP.)

    Damals haben Sie diese Offerte beiseite geschoben mit den drei Worten „Zuerst freie Wahlen". Es ist keineswegs richtig, daß die Kritik gegen diesen Satz nur vereinzelt ausgesprochen worden sei. Ich erinnere daran, daß Dr. Pfleiderer damals sagte:
    Mit Beschlüssen über gesamtdeutsche Wahlen
    beginnen zu wollen, verrät deutlicher als
    irgend etwas anderes die Absicht, den Verhandlungen mit der Sowjetunion auszuweichen und die Möglichkeit einer Wiedervereinigung im Keime zu ersticken.

    (Abg. Kiesinger: Pfleiderer war der einzige seiner Partei!)

    — Ach, ob der einzige — —(Zurufe von der Mitte: Ja, ja!)

    — Ist es richtig oder falsch?

    (Abg. Kiesinger: Er war der einzige seiner Fraktion!)

    — Ja, dann loben Sie ihn doch wenigstens!

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Oder wollen Sie immer noch stehenbleiben bei dem, was der Herr Bundeskanzler zu einem amerikanischen Journalisten von „United Press" im März 1952 auf dessen Frage „Ist diese Offerte nicht ein Anzeichen dafür, daß die Sowjetunion sich in die Defensive gedrängt sieht?" antwortete: „Ja, aber wir müssen sie noch mehr in die Defensive hineindrängen!"? Und alsbald wurde auch geäußert: „Wer den Frieden will, der muß den Wettlauf mit der sowjetrussischen Atomrüstung veranstalten." Meine Damen und Herren, dieser Satz wurde bereits vor fünf Jahren von dem Herrn Bundeskanzler gesprochen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.) Heute soll es wohl so weit sein.

    Wir lehnen, wie gesagt, die Fragestellung „NATO oder nicht?" ab. Wir wollen, daß eine andere Lösung unternommen wird, die es möglich macht, aus der Inanspruchnahme durch die beiderseitigen Blockmächte herauszubleiben. Wir spekulieren nicht auf die Beseitigung der Sowjetunion, und wir lassen uns nicht trösten mit einem Rückzug in die Grenzen eines Reiches Karls des Großen. Wir wollen den Ausgleich und die Entspannung in einer mitteleuropäischen Verantwortung. Wir wollen die Herauslösung der Ostzone aus der Pfandhalterschaft, die die Sowjets an ihr genommen haben, um sich dagegen zu sichern, daß keine neuen militärischen Gefahren für sie erwachsen, genauso wie die Westmächte entsprechende Pfänder hier genommen haben.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Die Gründe dafür im einzelnen darzulegen, ist nicht mehr notwendig. Meine Fraktionsfreunde haben sie Ihnen ausführlich gesagt, und ich kann mich darauf beziehen.
    Nach der Aussprache vom 23. Januar sind mir allerlei Fragen zugeschoben worden, von denen ich eine hier wenigstens noch streifen will. Sie haben sich darüber aufgeregt, daß ich hier von der „DDR" gesprochen habe, von der „Deutschen Demokratischen Republik". Lassen Sie mich dazu dieses sagen: Es gibt immer noch einige gesamtdeutsche kirchliche Organe — ich gehöre ihnen zu —, das sind Synoden und Rat der EKD sowie einige Dienststellen. Es ist unter uns offizielle Sprach-



    Dr. Dr. Heinemann
    regelung, daß wir von der „Bundesrepublik Deutschland" und von der „Deutschen Demokratischen Republik" sprechen. Da ich in innerdeutschen Angelegenheiten keine Zweisprachigkeit kenne, rede ich auch hier genauso, und ich meine, das müßte wenigstens Geltung haben für alle diejenigen unter uns, die mit mir in der gleichen Lage sind, indem auch sie zur Synode der EKD gehören.
    Sie haben mir den Vorwurf gemacht, in entstellender Weise allerdings, ich wollte mit der DDR verhandeln. Meine Damen und Herren, es gibt zwei Extreme. Man sagt: Deutsche an einen Tisch!, — so etwa nach der Parole: Frieden, Freude, Eierkuchen, alles durcheinander! Es gibt den anderen Satz: Deutsche an keinen Tisch! — so etwa nach der Parole: wir können einander nur verfluchen! An beiden Extremen habe ich mich nie beteiligt.

    (Abg. Kiesinger: Sagen Sie nicht „Deutsche", sondern sagen Sie „das Regime drüben" ! — Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    — An beiden Extremen habe ich mich nie beteiligt.

    (Abg. Wehner: Nicht den Redner stören, nachdem Sie die Redezeit beschränkt haben!)

    Meine Damen und Herren, es gibt eine Fülle von menschlichen Dingen, die mit Entschiedenheit anzufassen und zu regeln Sie bisher leider nicht unternommen haben.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich will Ihnen sofort einige Beispiele dafür nennen. Wir beklagen die Verkehrsmiseren. Ich frage: muß Herr Seebohm als Leiter und verantwortlicher Mann für die Verkehrsdinge unbedingt politischer Minister sein? Könnte er nicht ein technischer Generaldirektor, oder wie immer Sie ihn mit einem Titel ausstatten wollen, sein?

    (Zuruf rechts: Das ist sehr interessant!)

    — Sehr interessant! Und wissen Sie, wer der Vater dieses Gedankens bei mir ist? Herr Seebohm persönlich!

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Er sprach sich einmal in einer Ausschußsitzung, an der ich teilnahm, selber dafür aus und warf die Frage auf: Warum muß das eigentlich so sein?
    Oder ich will daran erinnern, daß Unterhaltszahlungen in Familien, die teils hüben, teils drüben leben, nicht funktionieren. Es gibt Kinder, deren Väter drüben wohnen, der Vater kann aber nicht nach hier zahlen, und hier gibt es umgekehrt Väter, deren Kinder drüben leben. Man muß die Kinder auf andere Väter umschalten, damit es zu Unterhaltszahlungen kommt.
    Ich nenne als Letztes noch: Wann, verehrte Damen und Herren von der CDU, wollen Sie endlich einmal die politische Amnestie, die Amnestierung der politischen Gefangenen, ernst nehmen?

    (Beifall bei der SPD. Zuruf von der Mitte: Denken Sie an die Zahlen!)

    -- Genau auf die Zahlen komme ich jetzt. Am 30. Januar dieses Jahres hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe ein Urteil von grundsätzlicher Bedeutung in einem Fall gesprochen, in dem es darum ging, ob politische Betätigung für die KPD nur nach dem Verbot dieser Partei oder auch vor dem Verbot dieser Partei strafbar sei. Karlsruhe hat gesagt: Beide Tätigkeiten sind strafbar. Daß die Tätigkeit nach dem Verbot der Partei strafbar ist, erachte ich für eine Selbstverständlichkeit. Aber nun auch noch die Tätigkeit innerhalb der KPD von 1951 bis 1956 strafbar zu machen bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß viele Tausende solcher Funktionäre hier inhaftiert werden können.

    (Zurufe von der Mitte: „Können"!)

    Das ist eine Hypothek auf die gesamtdeutsche Situation, die den Gefangenen oder noch zu Inhaftierenden in der DDR teuer zu stehen kommen wird.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Wacher: Sie kennen doch die Praxis hier, Herr Heinemann!)

    — Was für eine Praxis kenne ich?

    (Abg. Wacher: Sie wissen doch ganz genau, wie das gehandhabt wird! Malen Sie doch nicht Gespenster hin, die es nicht gibt! — Zuruf rechts: Herr Dr. Heinemann, wie ist es denn da drüben? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Wenn Sie mir in dieser Frage einen Augenblick Gehör schenken wollen, so kann ich Ihnen nur sagen, daß mein eigenes Bemühen um Freilassung der politischen Gefangenen drüben auf den Widerstand stößt, daß man sagt: „Wir wollen abwarten,

    (Zuruf rechts: Aha!)

    um die Gegenrechnung nachher zu präsentieren."
    — Aber, meine Damen und Herren, ich habe nicht die Absicht, mich in diesen Seitengang von Überlegungen zu verlieren. Ich will Ihnen lediglich sagen: Wenn Sie nicht mit Nachdruck die Amnestierung der politischen Gefangenen aus dem Kalten Krieg beiderseits in Angriff nehmen, lassen Sie eine Hypothek auf dem gesamtdeutschen Schicksal stehen; und das mache ich Ihnen zum Vorwurf.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich komme zu einem anderen Punkt. Meine Damen und Herren, Sie sagen und haben uns in vielfältiger Form dargelegt, daß die atomare Rüstung der Bundeswehr eine Notwendigkeit sei, daß sie zweckmäßig sei, daß sie die Bedingung sei dafür, daß wir existieren könnten, daß wir in der NATO



    Dr. Dr. Heinemann
    bleiben könnten und so weiter. Erlauben Sie mir, daß ich Sie auf zwei Vorfragen aufmerksam mache, die zu beantworten unumgänglich ist, ehe Sie zu einer Entscheidung über atomare Bewaffnung kommen können. Die eine Vorfrage ist eine rechtliche und die andere eine ethische.
    Was das Rechtliche anlangt, so wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß das Völkerrecht wenigstens zwei Grenzen in der Handhabung des Krieges setzt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auch die Russen?)

    Erlaubt ist keinesfalls Gewalt gegen Nichtkombattanten, und die Kriegsmittel sind begrenzt. Ich erinnere daran, daß z. B. in der Haager Landkriegsordnung von 1907 der Satz steht:
    Die Kriegführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes.
    Ich erinnere daran, daß das Genfer Protokoll von 1925 — auch mit deutscher Beteiligung — Ähnliches sagt. Die neuen sogenannten Waffen sind die prinzipielle Außerkraftsetzung allen Kriegsrechts, sind das Ende aller Errungenschaften abendländischer Kultur.
    Ich überlasse es Ihnen, sehr verehrte Damen und Herren, welches Gewicht Sie dieser völkerrechtlichen Frage geben wollen. Aber es gibt etwas darin, dem Sie nicht ausweichen können: Völkerrecht ist Bundesrecht. In Artikel 25 unseres Grundgesetzes steht, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind, es steht darin, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen der Bundesrepublik vorgehen, daß sie unmittelbare Rechte und Pflichten für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen! Bitte, verübeln Sie mir nicht, daß ich auf diese Rechtslage aufmerksam mache. Eigentlich müßten Sie das ja tun. Sie bedeutet das Recht zur Gehorsamsverweigerung, ja sogar die Pflicht zur Gehorsamsverweigerung, wenn es um Massenvernichtungsmittel geht. Um diese Frage kommen Sie nicht herum, und letzten Endes wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dazu einmal sein Urteil zu sprechen haben, so wie ja auch in dem anderen noch anhängigen Verfahren, wo es um die Auslegung des Gewissensbegriffs in Artikel 4 der Verfassung geht. Der General Röttiger der Bundeswehr schrieb im März vorigen Jahres in der „Zeitschrift für Wehrkunde", daß die Atomdienstverweigerung in der Bundeswehr eine aktuelle Frage sei. Bitte, stellen Sie sich dieser Frage! Bitte, machen Sie deutlich, wie Sie an dem als Bundesrecht geltenden Völkerrecht der Verwerfung von Massenvernichtungsmitteln vorbeikommen, ohne daß Sie sich hier eines Tages von Karlsruhe attestieren lassen müssen, daß es gegenüber einer atomar aufgerüsteten Bundeswehr unter allen Umständen das Recht, ja sogar die Pflicht der Dienstverweigerung gibt.

    (Abg. Kiesinger: Was sagen Sie gegenüber einem atomar aufgerüsteten Gegner?)

    — Herr Kiesinger, wenn Sie mich fragen, was ich
    gegenüber atomar aufgerüsteten anderen Nationen
    sage, dann beantworten Sie bitte erst einmal, ob
    diese anderen Nationen auch so beispielhaft, wie es die Väter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat in unser Grundgesetz hineingeschrieben haben, das Völkerrecht zum Nationalrecht erklärt haben? Das haben die Väter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat getan, weil sie der Bundesrepublik eine beispielhafte Aufgabe in der Durchsetzung des Völkerrechts geben wollten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Und nun stehen Sie vor den Konsequenzen dieses Beispiels, das im Parlamentarischen Rat gewollt wurde in besserer Erinnerung an das, was gerade damals hinter uns lag, als heute.

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Meine Damen und Herren! Ich sagte, es steht eine zweite Vorfrage vor Ihnen und vor uns allen: Sind Massenvernichtungsmittel verantwortbar, christlich verantwortbar? Sie brauchen mir nicht zu sagen, daß nach der Lehre der beiden großen Kirchen eine Wehrdienstpflicht unter bestimmten Voraussetzungen gegeben sei. Die Frage ist die, ob alles das, was die beiden großen christlichen Kirchen in Jahrhunderten gesagt und entwickelt haben, Bestand hat gegenüber Massenvernichtungsmitteln von heute. Das ist die Frage! Massenvernichtungsmittel sind ja nach der Aussage auch vieler von Ihnen keine Waffen. Herr von Brentano hat das gesagt. Herr Kiesinger, Sie haben es gerade im Südwestfunk wiederholt, indem Sie aussprachen: Atomwaffen sind qualitativ etwas anderes. Sie sprachen von Teufelsdingern.

    (Abg. Kiesinger: Sehr richtig!)

    Ich nenne die Atomwaffen Ungeziefervertilgungsmittel, bei denen diesmal der Mensch das .Ungeziefer sein soll.
    Ist die Anwendung solcher Mittel christlich verantwortbar? Diese Frage richte ich zumal an Sie, die Sie christliche Partei dem Namen und dem Anspruch nach sind. Sie werden nicht sagen können, daß es Vorfragen dieser Art nicht gebe. Sie werden anerkennen, daß z. B. Selbstmord oder die Vernichtung „lebensunwerten" Lebens in den Bereich solcher Vorfragen gehören. Sie werden mir auch nicht entgegenhalten können, daß hier ein Dilemma sei: die Sowjetunion habe ja die Atomwaffen, und wir hätten sie nicht, und wenn wir sie nicht auch in die Hand nähmen — so belieben Sie zu deduzieren —, dann drohe das bolschewistische System auch für uns.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Es ist ja eben die Frage — und, bitte, stellen Sie sich ihr! —, ob irgendein Grund die Anwendung von Massenvernichtungsmitteln rechtfertigt.
    Ich will gar nicht darauf applizieren, daß Deutsche gegen Deutsche solche Atomwaffen anwenden würden. Es ist hier in den vergangen Tagen die Frage aufgeworfen worden, ob vielleicht Leipzig unter atomaren Beschuß kommen könnte, und Herr Dr. Jaeger sagte, es sei doch besser, wenn deutsche Offiziere als fremde Offiziere darüber zu befinden hätten. Inwiefern das besser ist, leuchtet mir nicht



    Dr. Dr. Heinemann
    ein. Entweder ist es tragischer, oder aber diese deutschen Offiziere müssen dann den Gehorsam gegenüber dem Befehl verweigern. Aber, meine Damen und Herren, lassen wir das beiseite. Alle Menschen sind gleich, und das Sterben ist für alle gleich.
    Ich richte noch einmal die Bitte an Sie: folgendem Satz — nur diesem einen einzigen Satz — aus einer Erklärung der Synode der Evangelischen Kirche der Union vom Dezember vergangenen Jahres Ihr Gehör zu schenken:
    Die Synode bekennt sich zu der vergebenden Langmut Gottes, der seinen Menschen auch in den notvollsten Verhältnissen das Leben schenkt und erhalten will bis an den Tag, an dem er selbst die Welt und ihre Geschichte an sein Ziel bringt.
    Sie fragen uns, ob wir verantworten wollen, daß die Sowjetunion uns überwinden könnte. Ich frage Sie: Können Sie es verantworten, daß unser aller Selbstmord als die Alternative gegen ein politisches System ins Augen gefaßt wird?

    (Abg. Müller-Hermann: Die falsche Konsequenz, Herr Heinemann! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Am vergangenen Sonntag hat der Berliner Professor Heinrich Vogel in Frankfurt auf der Kundgebung gegen den Satz „Lieber tot als Sklave" den Satz gestellt: „Lieber tot als Massenmörder." Das, verehrte Damen und Herren, ist es, worum es geht, nicht aber um NATO oder nicht NATO. Bitte stellen Sie sich dieser Frage! Das ist ja letzten Endes die Frage nach Ihrem Selbstverständnis als christliche Partei.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Kiesinger: Glauben Sie! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Niemand denkt daran, — —


Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
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  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gustav W. Heinemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Nein; nach der Beschränkung der Redezeit kann ich mir das nicht erlauben.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Sie werfen entgegen, die Kirche könne keine Weisungen geben. Das weiß sie selbst. Das liegt auch in dem Satz, den ich vorlas, gar nicht drin. Natürlich haben Sie selbst zu entscheiden, wie jeder von uns hier im Hause. Aber das bedeutet zugleich persönliche Verantwortung, und meine Frage ging eben dahin, nach welchem Maßstab Sie diese Verantwortung betätigen. Nach welchem Maßstab Sie diese Verantwortung betätigen. Nach welchem Maßstab? Sie haben ihn sich selbst gesetzt mit dem Namen Ihrer Partei. Bitte, jetzt stellen Sie sich diesem Maßstab! Wie verstehen Sie ihn in bezug auf Massenvernichtungsmittel? Sagen Sie bitte nachher nicht wieder, wie es am 23. Januar geschah, das gehöre nicht ins Parlament. Meine Damen und Herren, was Herr Oberkirchenrat Cillien, stellvertretender Vorsitzender Ihrer Fraktion, mir am 23. Januar hier antwortete, war eine schreckliche Blöße für die CDU.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Herr Cillien antwortete, es sei nicht üblich, hier von christlichen Überzeugungen zu sprechen. Frau Wessel hat schon daran erinnert, wie oft es geschah, wenn Sie glaubten, es brauchen zu können.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Herr Cillien hat in seinen Wählerbrief hineingeschrieben: Wir sind unter dem Zeichen „christlich" angetreten.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, zum Wahlkampf oder zur Verantwortung hier?

    (Stürmischer Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Wenn Sie sich jetzt plötzlich in einem Augenblick, wo Ihnen einmal aus den Reihen der Sozialdemokratischen Partei Sprecher entgegentreten, die diese Fragen an Sie richten, zurückziehen wollen auf den Satz: Religion sei Privatsache, dann haben wir eine sehr bemerkenswerte Verkehrung der Fronten.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Kiesinger: Im Gegenteil! -Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Sie können auch nicht, wie es einer Ihrer Sprecher tat, mit durchschlagendem Gewicht antworten, daß angesichts der minimalen Anfälligkeit des Kreml für Fragen nach christlicher Verantwortung solche Fragen einseitig zu Lasten des Westens gingen. Meine Damen und Herren, ist die Geltung des Christlichen davon abhängig, daß es sich politisch auszahlt?

    (Sehr gut! bei der SPD. — Abg. Dr. Krone: Ist denn die Verteidigung verboten? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Wollen Sie sich ernstlich mit dem Kreml so gleichschalten,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    daß Sie sagen, wir können uns nur nach dem gleichen Maßstab anreden lassen, wie der sich anreden läßt? Dann hören Sie doch auf — und das war meine Bitte am 23. Januar —, davon zu sprechen, es ginge um Christentum gegen Marxismus. Professor von Weizsäcker hat auf einer Tagung in Loccum im November 1957 gesagt:
    Es schmerzt mich, zu sehen, daß heute die Christen, indem sie Realisten sein wollen, für ihre eigene Wahrheit oft am undurchdringlichsten sind. Sie sagen das, was alle wissen. Versäumen sie dadurch nicht,
    — so fragte er —
    der Welt das zu sagen, was nur sie sagen können? Das kann man freilich nur sagen, indem man es tut.

    (Zuruf von der CDU CSU: Nur!)




    Dr. Dr. Heinemann
    — Nur! Und genau das hat Weizsäcker beispielhaft vorgeführt.
    Meine Damen und Herren, die Verwerfung des politischen Satzes „Christentum gegen Marxismus" beinhaltet in gar keiner Weise Anerkennung einer marxistichen Irrlehre. Wir bekämpfen mit Ihnen marxistische Ersatzreligion und bolschewistisches System.

    (Lachen und Zurufe in der Mitte.)

    — Seien Sie doch froh, wenn wir Ihnen diese Bundesgenossenschaft anbieten.

    (Beifall bei der SPD und FDP. — Abg. Müller-Hermann: Sie sind aber praktisch der Schrittmacher!)

    Marxistische Ersatzreligion und bolschewistisches System sind in der Sowjetunion eine Einheit. Das rechtfertigt aber nicht, hier aus Christentum und NATO eine Einheit zu machen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und FDP.)

    Sie sprechen immer von der christlichen Einheitsfront.

    (Zuruf von der Mitte: Wo?)

    — In Ihrer politischen Propaganda, verehrter Herr Fragesteller; ich will Sie auf die Fülle der Flugblätter Ihrer Partei hinweisen. — Das Christentum wird von Grund auf verfälscht, wenn man es zur politischen Waffe, gegen wen auch immer, macht.

    (Zuruf von der Mitte: Richtig!)

    — Ich freue mich, daß wir uns wenigstens einiger) maßen finden.

    (Abg. Majonica: Sie haben ja nicht danach gehandelt, Herr Heinemann!)

    Ich sage Ihnen in aller Schlichtheit, daß das politische Nein niemals ein Nein Jesu Christi sein kann.

    (Zurufe von der Mitte: Das ist doch ganz klar!)

    — Ja, das ist ganz klar. Dann wundere ich mich nur, warum Sie noch mit solchen Worten operieren, wie wir sie hier so vielfältig gehört haben. Das angebliche christliche Nein gegen einen politischen Gegner kann immer nur das Nein einer Weltanschauung mit ihrer Gesetzlichkeit, mit ihren handfesten Interessen sein. Und eben in dieser weltanschaulichen Umdeutung zu einer politischen Waffe wird das Christliche verfälscht, hier in der Bundesrepublik zum Ärgernis und drüben hinter dem Eisernen Vorhang zur Belastung derer, die sich zur christlichen Kirche bekennen.

    (Beifall bei der SPD.) Deshalb meine Bitte, es zu lassen.

    Ich habe dies alles im Zusammenhang mit der Vorfrage aufgeworfen, ob Massenvernichtungsmittel christlich verantwortbar sein können. Es ist mir neulich, am 23. Januar, entgegengerufen worden: „Aber Notwehr!" Meine Damen und Herren, Notwehr ist ihrem Sinn und ihrem Charakter nach eine begrenzte Abwehr, aber Notwehr mit Massenvernichtung ist unmöglich.
    Sie sagen: Aber wir wollen ja diese Massenvernichtungsmittel nur zur Abschreckung, zur Drohung! Meine Damen und Herren, was heißt das praktisch? Als Ihnen hier in der Diskussion vorgehalten wurde, Sie wollten den Atomkrieg, haben Sie sich leidenschaftlich dagegen gewehrt. Ich verstehe diese Abwehr, wenn Sie sagen: Natürlich beabsichtigen wir nicht den Atomkrieg. Nein, das tun Sie nicht, aber Sie müssen dennoch letzten Endes sagen, daß Sie den Atomkrieg wollen, weil Sie ihn ja wollen müssen, wenn Ihre Drohung ernst sein soll, wenn Ihre Drohung wirksam sein soll.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Mit den alten, sogenannten konventionellen Waffen konnte man drohen, weil ihre Anwendung eine ausführbare Handlung war. Aber mit Atombomben und Wasserstoffbomben zu drohen, — ist das eine ausführbare Handlung, wenn die Drohung gegen einen Gegner exerziert wird, der mit diesen Waffen zurückschlagen kann? Diese Drohung ist entweder nicht ausführbar

    (Zuruf von der Mitte: Wer droht denn? — weitere Zurufe von der Mitte)

    — dann ist sie politisch wirkungslos —, oder hinter dieser Drohung steht die Entschlossenheit, Atombomben und Wasserstoffbomben anzuwenden. Dann aber sind Sie in der Bedrängnis der Frage, ob Sie solches tun dürfen und tun können.
    Meine Damen und Herren, die Alternative gegenüber all dem ist keineswegs, schlechthin waffenlos zu bleiben. Die 18 Göttinger haben Ihnen eindringlich genug gesagt, daß hier das Kalkül an die Grenze kommt und nur noch die Logik des Wahnsinns übrigbleibt. Sie alle sagen: Wahnsinn ist es, mit diesen sogenannten Waffen zu operieren. Und dennoch wollen Sie es probieren. Das, meine ich, sollte unterbleiben. Wir können den Sowjets und den Amerikanern die Massenvernichtungsmittel nicht aus der Hand nehmen. Aber wir können sie selber aus der Hand lassen. Es hat keinen Zweck, daß Sie dann rufen: Dann sollen es wohl andere für uns tun! Nein, ich mute es niemandem zu. Und wenn Sie sagen, dann gingen die anderen fort, so sage ich: ihre Massenvernichtungsmittel schützen uns ohnehin nicht. Wir sind besser geschützt, wenn der Atomwettlauf zum Stehen kommt.

    (Beifall bei der SPD. — Beifall und Zurufe in der Mitte.)

    Und wenn Sie dann immer noch weiter fragen, ja, ob denn das ohne Vorleistung geschehen solle, so weise ich noch einmal auf den sogenannten Rapacki-Plan hin, in dem ja Gegenleistungen zur Diskussion stehen.
    Meine Damen und Herren, wollen Sie eigentlich in dem Sinne politisch handeln, daß Leistung und Gegenleistung gegeneinander getauscht werden? Dann frage ich: Warum taten Sie es nicht längst? Dann frage ich: Wann erachten Sie jemals den Augenblick für gekommen, gegenüber der östlichen



    Dr. Dr. Heinemann
    Seite auf etwas zu verzichten, auf etwas zu verzichten an Waffen?

    (Zuruf von der Mitte: Was man nicht hat, darauf kann man nicht verzichten!)

    Lassen Sie es aus der Hand und nehmen Sie es nicht in die Hand! Denn die östliche Seite bietet jetzt gerade an, daß auch die Polen und Tschechen von diesen Waffen frei bleiben sollen.

    (Abg. Kiesinger: Das ändert doch nichts an der atomaren Situation, im Gegenteil!)

    Meine Damen und Herren, ich will zum Schluß kommen, nicht nur weil Sie uns die Redezeit beschränkt haben, sondern weil ich mit der Eindringlichkeit dieser einen Frage, die ich vor Sie hingestellt habe, überhaupt meinen Beitrag zur Diskussion hier als erfüllt ansehe. Ich handele nicht aus einem idealistischen Pazifismus. Ich kann wörtlich übernehmen, was der Herr Bundesverteidigungsminister sagte, indem er sich als einen Verantwortungspazifisten bezeichnete. Ich glaube so wenig wie er an den ewigen Frieden. Ich war bereit und bin bereit, gegenüber Bewaffnungen in der DDR hier in der Bundesrepublik ein Gegengewicht zu schaffen oder aufrechtzuerhalten.

    (Zuruf von der Mitte: Seit wann?)

    Nicht „seit wann?" Das war der Konflikt mit dem Herrn Bundeskanzler schon 1950, als ich damals sagte: ,Ich bin bereit, gegen die Volkspolizei da drüben hier Bundespolizei zu setzen. Aber ich war nicht bereit, mit einer militärischen Aufrüstung von 500 000, mit Dienstpflicht, Kriegswaffen, Militärbündnis zu antworten.

    (Beifall bei SPD und FDP.)

    Jenes Stadium ist mittlerweile überholt: aus Volkspolizei wurde Volksarmee, bei uns haben wir die Bundeswehr. Ich bejahe sie mit der Maßgabe, daß sie ohne Wehrzwang und ohne Atomwaffen bestehen soll. Und ich bin jederzeit bereit, mit der östlichen Seite über eine Begrenzung dieser Bewaffnungen in eine Regelung einzutreten.
    Meine Damen und Herren, Sie werden es mir nicht übelnehmen, daß ich auch einmal frage, wie es denn mit dem Schutz der Zivilbevölkerung in all Ihren Planungen aussieht.

    (Beifall hei SPD und FDP.)

    Der engliche Botschafter Steel erklärte vor einem Jahr, daß der Verzicht der britischen Regierung auf den Schutz der Zivilbevölkerung vor dem Atomkrieg eine der kühnsten Entscheidungen sei, die die britische Regierung je auf dem Gebiete der Verteidigung getroffen habe. Übertrifft unsere Bundesregierung an „Kühnheit" nicht doch noch diese englische Regierung?

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Alles, was über das hinausgeht, was ich eben sagte — eingeschlossen einen Schutz der Zivilbevölkerung — lehne ich ab, weil es nicht reif ist, weil es uns zerbricht.
    Es bedrückt uns ja alle, daß diese Aussprache hier im Bundestag einen so tiefen Zwiespalt zwischen uns und vielleicht die Unmöglichkeit, ihn zu überwinden, offenbart hat, sosehr ich immer noch darauf hoffe, daß wir aufeinander hören. Aber sehen Sie, nicht nur dieser Bundestag hier erweist sich als so zerspalten! Kommt nicht eine ähnliche Gefahr auf den Deutschen Gewerkschaftsbund zu? Kommt nicht eine ähnliche Gefahr auf die Evangelische Kirche in Deutschland zu? Sie wissen, auf welche Vorgänge ich jetzt anspiele; sie hängen mit der bevorstehenden Synode zusammen.
    Ich habe im Februar 1954 einmal einen Brief an den Herrn Bundeskanzler geschrieben. Es war der einzige in all den acht Jahren in diesen Fragen hier. Es war ein Brief zur Zeit der Berliner Konferenz, und ich habe dem Herrn Bundeskanzler damals gesagt: Herr Bundeskanzler, es wird der Zeitpunkt kommen, wo das deutsche Volk Ihnen in die letzten Konsequenzen Ihrer Politik nicht mehr folgen wird, und dann werden die Amerikaner die Getäuschten sein, und hier wird sich die politische Grundlage als brüchig erweisen. Vor vier Jahren! Fühlen wir nicht, daß dieser Zeitpunkt jetzt nahegekommen ist?

    (Widerspruch bei der CDU/CSU. — Zuruf: Das ist ein Irrtum! — Abg. Kiesinger: Sie werden sich genauso täuschen, wie Sie sich früher getäuscht haben!)

    — Ich würde herzlich bitten, das jetzt nicht so zu überrollen.
    Ich frage Sie nur eines. Sie haben ja die Verantwortung. Sie haben die Mehrheit.

    (Zurufe von den Regierungsparteien.)

    — Diese Frage darf ich Ihnen ja unterbreiten, und mehr tue ich nicht!

    (Erneute Zurufe von den Regierungsparteien. — Zuruf von der Mitte: Alle haben wir die Verantwortung!)

    Meine Bitte wäre, diese Frage in ihrem ganzen Gewicht zu hören und ernst zu nehmen: doch eine Bemühung daran zu wenden, daß wir aus der bisherigen Entwicklung heraussteuern, daß wir uns mit vollem Ernst und mit voller Konsequenz den Überlegungen zuwenden, nach welch einem sogenannten Status denn endlich einmal Gesamtdeutschland gestaltet werden soll. Diese Fragen — diese Fragen! — sind in der Vergangenheit viel zu sehr überrollt worden. Ich meine, es spricht sich doch nun auch in Ihren Reihen herum, daß in dieser Frage der Schlüssel zu einem guten Fortgang aller Entwicklungen liegt. Wir wollen nicht weniger Sicherheit als Sie, verehrte Damen und Herren, wir wollen eine andere Sicherheit und eine bessere Sicherheit.
    Wir bitten Sie — erlauben Sie mir, daß ich das so bescheiden wie möglich ausspreche —, sich davor zu bewahren, daß ein blinder Antikommunismus über uns Macht und Herrschaft gewinne. Er hat uns schon einmal ins Verderben, ja sogar in die Verbrechen geführt. Es gab 1933 einige, die da meinten,



    Dr. Dr. Heinemann
    wenn das heraufziehende Gewitter der Entrechtlichung, der Wegnahme der Staatsbürgerrechte, nur die Kommunisten beträfe, dann wäre das ja erträglich, ja dann wäre es sogar gut. Es ist über uns alle hinweggerollt. Lassen wir uns das zur Warnung gesagt sein!
    Meine Damen und Herren, wir haben uns lange .Jahrzehnte mit dem Satz erfüllt, Frankreich sei unser Erbfeind. Das ist Gott sei Dank überwunden, das ist Gott sei Dank begraben.

    (Zurufe von der Mitte.)

    — Jawohl, ich habe ja immer anerkannt, daß es notwendig war, den Ausgleich mit dem Westen herbeizuführen. Meine Bitte geht dahin: setzen Sie an die Stelle der Erbfeindschaft gegen Frankreich nicht eine Erb- und Todfeindschaft gegen den östlichen Nachbarn.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Bewahren Sie sich davor, indem Sie Abstand nehmen, immer von äußerer Bedrohung, sozusagen als Erziehungs- und Zuchtmittel, zu sprechen.
    Ich schließe mit einem Satz, den vorgestern in Frankfurt mein Freund Professor Heinrich Vogel, Berlin, sprach:
    Was uns betrifft, so hätten wir, die wir aus der großen Schuld des letzten Krieges herkommen, allen Anlaß, gerade auf unserem Boden das zu sagen, was den Stromkreis der Angst unterbrechen könnte, und das heißt: um des Friedens der Welt willen auf jede atomare Bewaffnung zu verzichten.
    Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, nehmen Sie Abstand von der atomaren Bewaffnung!

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und bei der FDP.)