Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soeben ist hier der Ausdruck vom „grausamen Spiel" gefallen, und von der CDU/CSU-Fraktion ist der Wunsch laut geworden, diese Aussprache möglichst am Dienstag zu beenden. Da mag es erlaubt sein, die Frage aufzuwerfen: Wer hat denn diese Debatte eigentlich
3) gewollt?
Zweifellos, hier sind einige grausame Worte gefallen; aber doch nicht so grausam wie die Atombomben, um die es bei dieser Debatte geht.
Meine Damen und Herren, wenn man sich unsere Tageszeitungen von heute anschaut — hier gibt es eine: „Adenauer will über Friedensvertrag verhandeln" steht da drüber, dann „Noch immer Streikgefahr" und dann „Viermächte-Gespräche in Paris" —, dann hat man das Gefühl, als ob es in Deutschland Leute gibt, die Zeitungen machen, die im Rundfunk sitzen, die offenbar noch gar nicht gemerkt haben, worum es in dieser Debatte geht. Es geht nicht um den Notenwechsel von 1952 oder 1954, es geht um nichts, was 1956 war, es geht um die Atombomben von 1958.
Wenn es überhaupt um vergangene Jahre ginge, meine Damen und Herren, und über das, was dieses Haus und diese Regierung in den vergangenen Jahren getan und unterlassen haben, dann doch nur um die Aufzeigung jenes geradlinigen Weges, der auf dem Petersberg begann, als der Kanzler hinter dem Rücken von Kabinett und Parlament die deutsche Aufrüstung anbot, der dann zum Eintritt in die NATO führte. Die weiteren Stufen waren das
Freiwilligenheer, die Wehrpflicht, und die letzte Stufe jetzt sind die Atomwaffen. Wir fragen uns: Was wird am Ende dieses Weges stehen?
Wenn man die Haltung der CDU/CSU-Fraktion in den letzten drei Tagen betrachtet, die diesen verhängnisvollen weiteren Schritt tun will, dann sollte doch ausdrücklich festgestellt werden, daß der Kanzler gestern so einfach, wie es ihm gemäß ist — und er rühmt sich ja dessen —, klar und deutlich gesagt hat: Die militärische Sicherheit der Bundesrepublik ist das erste Ziel, und dann erst kann man sich um die Wiedervereinigung bemühen.
— Das hat er sehr wohl so gesagt.
— Ich bin überzeugt, daß auch dies im Protokoll ein wenig anders zu lesen sein wird. Ich berufe mich ant die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die hier mitgeschrieben hat, Herr Bundeskanzler.
Das Protokoll steht uns ja erst dann zur Verfügung, wenn es vom Redner korrigiert wurde.
Der Kanzler hat gestern ganz klargemacht: In der aktuellen Politik dieser Bundesregierung rangiert an erster Stelle nicht die Widervereinigung, sondern der Wunsch nach einer atomaren Aufrüstung der Bundeswehr.
: So hat
er nicht gesagt! — Zuruf von der CDU CSU:
Wo hat er das gesagt? — Abg. Dr. Kliesing: Das ist aber eine Rabulistik!)
— Wenn man den bedingungslosen Beifall, Herr Dr. Kliesing, Ihrer 250 Kämpfer für Abendland und NATO zu allen den Ausführungen des Kanzlers, des Herrn Dr. Jaeger und des Herrn Strauß gehört hat, dann geht einem allerdings ein Wort im Kopf herum, das in seiner Diskussionsrede der CSU-Abgeordnete Dr. Jaeger aussprach. Er sagte nämlich:
Die Erzeugung einer Psychose wäre die schlechteste Voraussetzung für eine sachliche Prüfung der Frage der Atombewaffnung.
Mit welch frenetischem Beifall hat die CDU/CSU- Fraktion den Forderungen Jaegers nach atomarer Bewaffnung sekundiert!
1038 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958
Schmidt
Hier haben Sie es dank einiger routinierter Redner, dank einiger routinierter Aufpeitscher tatsächlich mit Psychose zu tun.
— Meine sehr verehrten Zwischenrufer von der CDU, Ihre Psychose geht so weit, daß sie vorgestern sogar Ovationen veranstaltet haben, als einer Ihrer Redner einen angeblichen Widerspruch in Erlers Rede aufzudecken sich abmühte, obgleich Sie doch die Rede Erlers gar nicht gehört hatten; denn Sie waren doch draußen!
— Ach, Sie haben durchs Schlüsselloch gehorcht?
Sie haben gejubelt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie haben gejubelt und Beifall geklatscht und getrampelt, als der Abgeordnete Dr. Jaeger in der bei ihm schon Tradition gewordenen Weise glauben machen wollte, Veranlassung zu haben — ich zitiere wörtlich, was er gesagt hat —, den deutschen Soldaten und Offizier gegen die Opposition in Schutz zu nehmen.
Diesmal hat er es gesagt an die Adresse der FDP; vor einem Jahr, am 1. Februar 1957, hat er an die Adresse meiner Partei gesagt: „Der Soldat, der sich der SPD nähert, der begeht Selbstmord."
— Zu Protokoll des Bundestages, Herr Seffrin.
Ich sage Ihnen: Das ist der wiederholte, immer wiederholte Versuch, die Bundeswehr zu einem Instrument dieser Regierungspartei zu machen.
Dieser Versuch wird nicht nur von Dr. Jaeger im Parlament betrieben, er wird von ihm und vielen anderen insbesondere außerhalb des Parlaments und innerhalb der Bundeswehr betrieben,
und Ihr frenetischer Beifall, Ihre bedenkenlose Zustimmung zu so bedenklichen, staatszerstörenden Reden
ist wirklich Psychose.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU- Fraktion, wir alle wie auch Sie gehören einem Volke an, das in einer Generation zwei Weltkriege geführt und verloren hat. Angesichts dieser Erfahrungen und der Schuld, die wir im Zusammenhang mit diesen Kriegen auf uns geladen haben — angesichts dieser Erfahrungen und dieser Schuld könnten, wenn Sie sich gezwungen glauben, zu Atomwaffen zu greifen, auch Sie das doch wohl nur mit größten Skrupeln tun, mit zweifelnder Sorge
und mit abgrundtiefem Widerwillen. -- Wenn der Bundeskanzler mir darauf zunickt, dann kann ich ihn allerdings nur fragen: wie ist dann die euphorische Begeisterung zu erklären, die sich gestern und vorgestern bei Ihnen abgespielt hat?
Wenn Sie wirklich mit abgrundtiefem Widerwillen, Herr Dr. Kliesing, an diese Entscheidung herangingen — wieso konnte dann der Herr Verteidigungsminister Strauß das halbe Bataillon CDU/CSU in diese Begeisterungsstürme hineintreiben?
Das Verhalten Ihrer Fraktion als eines geschlossenen Körpers
von durchaus verschiedenartigen Persönlichkeiten ist einer psychologischen Analyse wert. Ich habe einen Psychologen zu Rate gezogen.
— Meine Damen und Herren, Sie würden nicht so früh Bravo gesagt haben, wenn Sie wüßten, was nun kommt. Ich zitiere Ihnen Gustave Le Bon. 1895 schrieb er — er hat vorausgeahnt, ein besserer Prophet als der Bundeskanzler; hören Sie zu — — —
Er spricht von den psychologischen Massen, und das sind Sie ja, eine psychologische Masse.
— Herr Kiesinger, hier spricht er von der psychologischen Masse; ich lese es Ihnen vor.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958 1039