Rede von
Reinhold
Kreitmeyer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Zu dieser Frage Stellung zu nehmen, ist Sache der sozialdemokratischen Fraktion. Wenn meine Meinung falsch ist, wird sie mich schon korrigieren.
Ich meine also, wir sollten uns doch etwas mit dem Weißbuch der Engländer befassen; das ist sehr interessant. Darin wird nämlich eine ausgezeichnete Relation aufgestellt:
Es liegt im Interesse der wahren Verteidigung, daß die militärischen Ausgaben im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Erhaltung der britischen Finanz- und Wirtschaftskraft stehen. Großbritanniens Einfluß in der Welt hängt von seiner Gesundheit, seiner Binnenwirtschaft und seiner Ausfuhr ab. Ohne diese läßt sich auf lange Sicht keine militärische Macht aufrechterhalten.
Die Engländer, das hat Kollege Erler bereits ausgeführt, sagen ihrem Volke unverblümt:
Es muß offen zugegeben werden, daß gegenwärtig keine Möglichkeit besteht, die Bevölkerung Großbritanniens gegen die Folgen eines nuklearen Angriffs ausreichend zu schützen.
Und so geht es fort.
Ich habe noch einen besonderen Grund, ein solches Weißbuch auch für uns zu fordern. Der Herr Bundesverteidigungsminister hat erklärt, im Gegensatz zu früher hätten wir es nur noch mit dem Gegner Rot zu tun. Man sollte meinen, daß es dadurch für uns leichter wäre, die nötigen Mittel zu finden, dem Gegner Rot zu begegnen. Wir sind der Überzeugung, daß das nur dann möglich ist, wenn uns auf lange Sicht die Wirtschaftskräfte nicht ausgehen, die die Munition auch fließen lassen. Wir halten es daher für wichtig — und damit will ich diesen Punkt abschließen —, zunächst einmal sicherzustellen, daß die uns hier vorgeschlagene Kombination von konventieller und atomarer Aufrüstung auch tatsächlich von uns gemeistert werden kann. Wir dürfen nicht dem Größenwahn verfallen.
Nun möchte ich mich dem Begriff der Strategie der indirekten Verteidigung im einzelnen etwas näher zuwenden. Ich habe das Empfinden, daß die Öffentlichkeit sich noch nicht restlos darüber im klaren ist, was das eigentlich heißt. Ich möchte mir deshalb erlauben, zu einem Bild zu greifen, das weiten Teilen unseres Volkes sehr schnell geläufig werden wird, insbesondere unserer Jugend. Sie kennen alle das Sportfechten: mit Florett, Degen, Säbel. Unter den Arten des Sportfechtens gibt es eine spezielle, die des modernen Fünfkampfes. Die Eigenart dieser speziellen Art von Sportfechten besteht darin, daß nur auf einen einzigen Treffer gefochten wird. Wenn man nun an einem Tage 50 Gefechte dieser Art zu erledigen hat, bei denen es nur auf einen einzigen Treffer ankommt, dann stellt sich folgende Erscheinung heraus: je mehr die Zeit fortschreitet, je anstrengender die Situation wird, um so mehr entschließt sich der Fechter zu einer unüberlegten Handlung, die der Fechtlehrer zwar für die Abwehr lehrt, aber niemals als Angriff empfiehlt, in der Fechtersprache genannt „Tigersprung"; d. h., man entschließt sich sofort mit dem Glockenzeichen, bei Gefechtsbeginn, alles auf eine Karte zu setzen: komme ich an, dann habe ich gewonnen, komme ich nicht an, dann bin ich verloren.
Die Strategie der indirekten Verteidigung besteht in nichts anderem als darin, daß man sich wochen-, monate-, nein, jahrelang hochgerüstet, mit den modernsten Vernichtungsmitteln ausgestattet, gegenüberliegt und es nun dem überläßt, dem die Nerven reißen, zum Tigersprung anzusetzen.
Es wäre, da wir uns hier nach gutem Ratschlag immer befleißigen sollen, die gesamte Situation zu schildern, wohl doch sicherlich angebracht, nicht zu verschweigen, daß die Doktrin, die Anschauung der anderen Seite die feste Überzeugung beinhaltet, daß kapitalistische Völker den unerhörten Aufwand an Mitteln und Geld sich nur bis zu einem gewissen Grade leisten können und an dieser Situation selber scheitern. Das ist der Moment, wo es zum Kurzschluß auf der anderen Seite kommen soll. Ich meine, es ist unter diesen Umständen dringend erforderlich, endlich ernsthaft an eine Alternative zu gehen, die diese Situation des Gefechtes mit dem Ziel des einen entscheidenden Treffers beendet
Ich wende mich nun der Frage zu, ob damit die Situation gebessert ist, daß man das Potential der Wasserstoffbombenvergeltung durch das Potential der taktischen Atombomben in der Bundesrepublik vermehrt. Denn es ist uns mehrfach deutlich gesagt worden, daß wir unseren Anteil cm den Abschrekkungsmöglichkeiten im Rahmen der Solidarität der NATO zu liefern haben. Ich bin nicht etwa abgeneigt, einen Anteil der Abschreckung unsererseits zu leisten; er muß nur in einem sinnvollen rüstungsmäßigen Zusammenhang im Hinblick auf die militärisch-geographische Lage unseres Gebietes stehen, und der scheint mir nicht gegeben.
1034 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958
Kreitmeyer
Ich möchte aber noch gleichzeitig auf eine Situation aufmerksam machen, die geflissentlich übersehen wird. Es ist an den fünf Fingern unserer Hände abzuzählen, daß, wenn die Streuung des taktischen Abschreckungsmaterials so vorgenommen wird, wie man es vorhat, die andere Seite zu denselben Mitteln greift.
Nun aber noch ein anderes Bild! Der Herr Bundeskanzler hat es in einer sehr vorzüglichen Weise geschildert, so daß ich es wiederholen kann: Während wir uns hier in der Strategie der indirekten Verteidigung üben, haben die Sowjets in ganz anderen Gebieten schon längst zur Strategie des indirekten Angriffs angesetzt. Der Herr Bundeskanzler sprach von der Zange, die angesetzt wird und deren Folgen nicht ohne Einfluß auf unsere Situation sein werden. Bedenken Sie, daß man es dort, wo diese Ansätze sind, nicht mit Völkern zu tun hat, die auf dem Boden der christlich-abendländischen Weltanschauung stehen wie wir und unsere NATO-Partner. Wenn der Russe dort verständliche nationale Bewegungen gegen eine überlebte Kolonialherrschaft oder gegen ein überlebtes Feudalsystem ausnützt, sie in seine Dienstbarkeit bringt, dann ergibt sich doch das Bild, daß an den taktischen atomaren Verfügungspositionen des Nahen Ostens nicht USA-Offiziere stehen werden, sondern — ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken — die absolut zuverlässigen Trabanten Moskaus. Dann, glaube ich, hat die Ausweitung des atomaren Vergeltungspotentials wieder einmal das Pari, wenn nicht sogar das Übergewicht zum Nachteil der westlichen Seite erreicht.
Nun nochmals ein Wort zur indirekten strategischen Verteidigung! Der Herr Bundeskanzler nennt sie etwas anderes, er nennt sie: die notwendigen technischen Errungenschaften und Veränderungen, waffentechnischen Neuerungen, denen wir unbedingt folgen müssen.
Wir begehen keinerlei Indiskretion, wenn ich auf eine Nummer der Frankfurter Allgemeinen vom Februar hinweise. Da heißt es ganz schlicht:
Nachdem unser großer Freund und Partner durch die neuesten sowjetischen Möglichkeiten in der direkten Beschußzone liegt, kommt es darauf an, eine möglichst große Streuung zu erzielen, und dazu haben sich alle mit daran zu beteiligen.
Es ist aber nunmehr die Frage, ob wir diese Beteiteiligung im Sinne unserer Verteidigung in der richtigen Form durchführen.
Damit möchte ich mich der taktischen atomaren Situation zuwenden. Ich tue das deshalb, weil wir ja noch immer unter dem Wort des Herrn Bundeskanzlers leben, der uns seinerzeit versichert hat — das ist hier mehrfach zitiert worden —, daß wir, wenn wir einmal Mitglied der NATO sind, keine Sorge mehr haben sollten; dann könne uns nichts mehr passieren, wir würden nicht mehr Schlachtfeld. Wie das in der Praxis aussieht, können Sie am besten aus der Ausgangslage der Übungen „Schwarzer Löwe" entnehmen. Ich darf sie noch einmal ganz
kurz in ihr Gedächtnis zurückrufen und mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus einem Artikel vorlesen:
Mehrere westdeutsche Großstädte waren schwer getroffen worden. Frankfurt war verwüstet, in Hamburg und Bremen hatten die sowjetischen Atomwaffen große Zerstörungen angerichtet, die Häfen der beiden Hansestädte waren unbrauchbar geworden. Auch Köln mit seinen Rheinbrücken war stark zerstört. Ein riesiger Flüchtlingsstrom ergoß sich aus den getroffenen und gefährdeten Großstädten der Bundesrepublik auf das Land.
Sowjetische Streitkräfte waren in Norwegen gelandet und drangen in Griechenland ein. In Deutschland überschritten sie die Zonengrenze an mehreren Stellen. Am frühen Abend des Mittwochs letzter Woche standen die sowjetischen Panzerkeile, die aus Thüringen vorgestoßen waren, wenige Kilometer vor dem brennenden Frankfurt. Starke sowjetische Panzerspitzen operierten im Raum zwischen Elbe und Weser. Schleswig-Holstein war von den übrigen Teilen der Bundesrepublik abgeschnitten.
Die NATO-Truppen hatten durch den sowjetischen Atomschlag schwere Verluste erlitten. Von den schwachen Verbänden der Bundeswehr, die schon aufgestellt sind, waren nur noch Reste einsatzfähig. Zusammen mit ihren NATO-Verbündeten zogen sie sich langsam vor dem nachdrängenden Gegner zurück.
Angesichts dieser Lage gab das atlantische Hauptquartier den Befehl, ebenfalls Atomwaffen einzusetzen.
Man kann nur sagen „schon"!
Bis zum Abend des Mittwochs letzter Woche waren über Mitteleuropa insgesamt mehr als 100 Atombomben abgeworfen worden. Die strategische Luftwaffe Amerikas und Englands hatte begonnen, über strategisch wichtigen Punkten der Sowjetunion Wasserstoffbomben abzuwerfen.
Ich wage die Frage zu stellen, ob wir in Wirklichkeit so glimpflich davonkommen, wie hier die Lage geschildert ist. Diese Lage ist sicherlich aus Übungsgründen so gewählt worden, weil man mit dem Manöver einen bestimmten Übungszweck z. B. auf den Gebieten der Meldetechnik, der Befehlsgebung und des Zusammenspiels des Apparates verbinden wollte und deshalb die Operationen künstlich in die Länge zog. Ich halte es für erforderlich, zu fragen: Ist das nun die Hoffnung auf die Kraft der Strategie der Abschreckung, von der wir ja erwarten, daß sie in der Lage ist, zu verhindern, daß es überhaupt so weit kommt? Wir haben ernste Zweifel, und zwar deshalb, weil es gleichzeitig noch um etwas anderes geht. Wir wollen ja zugleich verhindern, daß aus einem gespannten, nervösen Verhältnis, aus einer mehr Zufallserscheinung, aus einem mehr lokalen Zwischenfall automatisch dasselbe entsteht, was hier beschrieben worden ist.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958 1035
Kreitmeyer
Dazu, wird uns nun gesagt, ist nichts so gut geeignet wie die Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen. Hierzu muß ich Sie auf eine weitere Entwicklung in der militärwissenschaftlichen Forschung und Anschauung hinweisen. In zunehmendem Maße wird von den zuständigen Leuten, und zwar von Fachleuten, die sich bereits in den Jahren 1920 bis 1930 als ausgezeichnete Kenner der Situation und als Männer erwiesen haben, die die Entwicklung richtig vorausgesehen haben, festgestellt, daß die konventionellen Waffen heute allein in der Lage sind, die Ausweitung eines solchen Konflikts zu verhindern, und daß mit den taktischen Atomwaffen genau das Gegenteil von dem erreicht wird, was Sie mit ihnen glauben erreichen zu können. Wenn es etwas gibt, was mit Sicherheit die Wasserstoffbombe auslöst, dann ist es der Versuch, einen solchen Zwischenfall mit der taktischen Atomwaffe zu bereinigen.
Das ist nicht nur meine Überzeugung. Ich würde Ihnen doch empfehlen, einmal die politische Meinung des Herrn Miksche — ich glaube, er steht Ihnen sehr nahe — darüber zu lesen.
Gerade er ist es, der uns davor warnt, auf diese Art und Weise genau die Katastrophe einzuleiten, die wir zu vermeiden wünschen.
Abgesehen von den unerhörten Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, daß man einem Divisionskommandeur zumuten will, daß er von seinen taktischen Atomwaffen erst dann Gebrauch machen darf, wenn er dazu von weit, weit hinten von höherer Stelle auf Grund der Gesamtlage die Genehmigung bekommt, ist es doch wirklich keine Benachteiligung, keine Deklassierung unserer Bundeswehr, wenn wir auf diese Art der Kampfführung verzichten, solange auch nur die Idee einer Chance vorhanden ist, den wirklichen Ausweg aus dieser Situation zu gehen, nämlich den Weg der politischen Lösung.
Es war unser Freund Mende, der in einem Rundfunkgespräch — ich glaube, es war ein Gespräch mit dem Kollegen Erler und einem Offizier der Bundeswehr — diese Situation bis zum letzten durchgespielt hat. In diesem Gespräch entschied der Bundeswehroffizier immer wieder: Nein, ich darf nicht von den taktischen Atomwaffen Gebrauch machen. Praktisch blieben also doch dann immer nur drei Möglichkeiten übrig: Entweder gehen wir jetzt in russische Gefangenschaft, oder wir versuchen, die Atomwaffen zu sprengen, oder wir entschließen uns, in der Rundumverteidigung unserer soldatischen Pflicht so zu genügen, wie es sich für einen Soldaten nun einmal gehört.
Ich glaube, es ist nur im Interesse unserer Soldaten, wenn wir mit allen Mitteln versuchen, sie vor dieser ausweglosen Situation zu bewahren. Lassen Sie doch einmal den Nachbarn drüben Appetit bekommen. Das Volkswagenwerk und die Reichswerke Salzgitter liegen ja vor seiner Tür. Sie sind ja von seinen Kasernen aus in einer guten Nachtstunde im Winter so schnell, so billig, ohne jede Gegenwehr zu erreichen! Ich stelle die Frage: Wie wollen Sie in einem solchen Falle die Ausgangslage herstellen, ohne daß es zu der von uns befürchteten atomaren Auseinandersetzung kommt? Diese Provokation kann täglich passieren. Ihr ist nur durch eine hochgerüstete Truppe mit konventionellen Waffen zu begegnen.
Der Herr Bundesverteidigungsminister hat die Frage gestellt, ob wir bereit seien, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln den Frieden zu verteidigen. Ich weiß, was er damit meint. Es ist aber verführerisch, vom Frieden zu sprechen, denn es ist ein Nicht-Frieden, in dem wir augenblicklich leben. Den Frieden wollen wir ja erst noch gewinnen. Wir haben zur Zeit keinen Frieden. Ich meine: das schlechteste Mittel ist die Wasserstoffbombe, das nächstschlechteste Mittel ist die taktische Atombombe. Aber die Skala aller anderen Mittel, die es uns vielleicht erlauben würden, zumindest eine Minderung des Spannungszustandes herbeizuführen, die geistigen Mittel, die kulturellen Mittel, die Mittel der möglichst häufigen Begegnung, nicht zuletzt des Sports, des reinen menschlichen Austausches, alle diese Mittel können wir deshalb nicht so ausschöpfen, wie es besonders unsere politische Jugend, aber auch die übrige organisierte Jugend, die nichtpolitische Jugend gerne möchte — nämlich Kontaktaufnahme, Herstellung menschlicher Beziehungen —, weil das Verhältnis, in dem für sie Geldmittel zur Verfügung gestellt werden, wohl 1 : 100 überschreitet, d. h. da, wo 99 gerne möchten, kann nur ein einziger gehen. Es ist sicherlich keine schlechte Empfehlung, wenn man sagt, man möge doch wenigstens für jede Million, die für die Rüstung investiert werden, 100 000 DM für den Zweck der Ausschöpfung aller friedlichen Mittel auf diesem Wege zur Verfügung stellen.
— Die Zahl hätten Sie nachlesen können; Herr Miksche hat sie Ihnen genau ausgerechnet.
— Ich bin nicht so kompetent wie die Experten
und möchte mich keinesfalls als ein Experte auf
diesem Gebiet bezeichnen. Ich bin ein kleiner Regimentskommandeur gewesen; ich maße mir nicht
an, beurteilen zu können, wieviel Divisionen dafür
heute zur Verfügung zu stellen sind. Aber ich kann
Ihnen sagen, was andere kompetente Leute ausgerechnet haben. Das fing an im Jahre 1951 vor
Lissabon. Da waren es 60 aktive und 40 Reservedivisionen. Dann erfand man die taktische atomare
Kanone, und Miksche sagt ja so glänzend: So absurd die Idee ist, es glauben die Leute heute noch
daran, man könne mit Hilfe der taktischen Atomkanone ein Gefecht führen, man könne in dieser
Verzahnung, die sich daraus ergibt -- ich habe es
Ihnen ja aus dieser Lage hier geschildert —, noch
taktische Atomkanonen und ähnliche Mittel be-
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Kreitmeyer
nutzen. Da kommt dann Miksche zu dem sehr schlichten Schluß: Wenn man die Mittel, die jährlich zur Erhaltung einer einzigen modernen Panzerdivision benötigt werden das sind 900 Millionen — mit drei multipliziert, dann bekommt man schon eine beachtliche konventionell ausgerüstete Verteidigungsmacht für unsere grenznahen Gebiete, z. B. das Volkswagenwerk, die Reichswerke Salzgitter.
Damit will ich nur sagen — ich bin dankbar für den Zwischenruf, durch den ich das hier noch mit einflechten konnte —: Es wäre eine unerhörte Erleichterung für den Herrn Bundesfinanzminister, wenn wir uns dazu entschließen könnten, wiederum von der absurden Idee abzugehen, daß man sich im Zeitalter des atomaren Feuers mit Divisionen von 3800 Fahrzeugen noch auf den Straßen bewegen könnte. Da gehen die alten Soldaten in die Löcher und sind noch kampfbereit, wenn es darauf ankommt.
--- Ich habe keine Zweifel an der Qualität der Offiziere der Bundeswehr. Ich habe keinen Zweifel, daß sie gerade auf diesem Gebiet der Tradition ihrer Väter und Brüder von ein oder zwei Weltkriegen nacheifern werden.
Der Herr Bundeskanzler ist der Überzeugung — sonst würde er das nicht so unbeugsam vertreten —, daß es erforderlich ist, diesen — nach unserem Dafürhalten militärisch nicht sinnvollen — Beitrag zu leisten, weil sonst die NATO platzen würde. Es muß jedermann bei dem Studium der Berichte über Sinn und Zweck der NATO aufgefallen sein, daß man ausgerechnet einer einzigen Teilorganisation die Vergänglichkeit ins Stammbuch geschrieben hat, daß man sagt: Gerade die militärischen Grundlagen, die militärischen Bemühungen sind das, was wir bei der NATO eines Tages über Bord werfen können, weil uns die geistigen, kulturellen und sonstigen Gemeinsamkeiten untrennbar verbinden.
Es erscheint uns grotesk, daß wegen der Frage der taktischen atomaren Bewaffnung dieses wirklich erfolgreiche Bündnis scheitern soll, und zwar deshalb, weil man nicht gewillt ist, den berechtigten Wünschen unseres Volkes auf diesem Gebiet nachzukommen. Wir wollen uns nicht etwa drükken. Wir bieten an, unseren Beitrag in sinnvoller Weise zu leisten. Wir als Randgebiet sind doch der Nachbar des potentiellen Aggressors, wenn es zum Desaster kommt. Wenn man in der Situation der Strategie der indirekten Verteidigung gegen den vermeintlichen Gegner die Nerven nicht verliert, kann ich mir nicht vorstellen, daß man sie plötzlich vor dieser Drohung der NATO verlieren soll; man kann das Ganze doch nur als eine Drohung auffassen.
Wir opfern der taktischen atomaren Bewaffnung zuliebe eine ausgesprochen greifbare Chance der regionalen Entspannung, der regionalen Erleichterung der taktischen Situation. Man kann zu den Vorschlägen — angefangen von Pfleiderer bis zu Rapacki — stehen, wie man will, — es ist jedenfalls nicht möglich, daß in einer kurzen Zeit von sechs Nachtstunden ein Überfall auf deutsches Gebiet gemacht werden kann, wenn die nächsten sowjetischen Truppen sich hinter der polnischen Grenze befinden. Wer diese Möglichkeit der echten militärischen Entspannung nicht sehen will, dem kann man allerdings nicht helfen. Man kann nur sagen, daß er sich wirklich eine entscheidende Chance entgehen läßt. Es ist notwendig, diesen Versuch zu machen. Dadurch wird die Bereitschaft zur anderen Abwehr, zur Strategie der indirekten Verteidigung, größer, wenn das Vorgehen in dieser Situation scheitern sollte.
Noch eine Bemerkung zur Frage der Entspannung. Es ist ein Dogma aufgestellt worden: Es gibt nur eine totale, eine unteilbare kontrollierte Abrüstung — das Wort „Kontrolle" könnte Anlaß zu weiteren Ausführungen geben, aber ich will mich beschränken — oder gar nichts.
Ich glaube, es ist gut, aus dem Ihnen nicht unbekannten Artikel von Herrn Professor Wilhelm Grewe, der Ihnen doch nicht ganz so fernsteht, etwas zu zitieren. Diese außerordentlich interessante Studie über Abrüstungsmöglichkeiten enthält in drei Zeilen die ganz klare Widerlegung des hier von den Regierungsparteien aufgestellten Dogmas:
Je unmittelbarer man auf eine sofortige Totallösung der Abrüstungsfrage zusteuert, desto mehr riskiert man einen völligen Fehlschlag. Es empfiehlt sich daher, alle Anstrengungen zunächst auf eine begrenzte Anfangs- oder Teillösung zu konzentrieren.
Lassen Sie mich zum Schluß für die Freien Demokraten noch folgender Überlegung Raum geben. Indem man sich von Regierungsseite her bemüht, durch die Festlegung aller uns im bisherigen Ausmaß zur Verfügung stehenden Mittel die Haushaltspläne der nächsten drei Jahre zur absoluten Erstarrung zu bringen, verhindert man, daß für den Fernen und Mittleren Osten, der durch die bewegliche Strategie der Sowjets angegriffen wird, Mittel bereitstehen, mit denen man durchaus in der Lage wäre, dort eine entscheidende Korrektur der Situation herbeizuführen. Ich glaube, es ist nicht zu viel behauptet, wenn ich sage: Indem wir uns hier bemühen, auf die von der Bundesregierung vorexerzierte Weise den Frieden zu verteidigen, werden wir nicht nur nicht den Frieden gewinnen, sondern unter Umständen auch noch das höchste Gut verlieren, was wir überhaupt haben, die Freiheit.