Rede von
Reinhold
Kreitmeyer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Verehrter Kollege Wehner, ich möchte nicht meinem Kollegen Bucher etwas vorwegnehmen. Da ich ein junges Mitglied dieses Hauses bin, würde ich es nicht wagen, diesen Vorschlag zu machen. Ich will Ihrer Antwort nicht ausweichen, aber Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich sage: Diese Frage steht leider wieder in einem so unglücklichen Zusammenhang, daß sie geeignet ist — wie ähnliche Fragen in den letzten 24 Stunden —, die sachliche Arbeit dieses Hauses zu gefährden. Ich möchte deshalb auf diese Frage in dieser Minute keine Antwort geben; also nicht etwa, daß ich nicht wüßte, was ich zu sagen hätte.
Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, daß es doch Möglichkeiten gibt, eine Änderung herbeizuführen. Zunächst einmal möchte ich Ihnen, die Sie glauben, in der besten Überzeugung zu handeln. sagen: Es ist in der militärwissenschaftlichen Untersuchung von heute keineswegs erwiesen, daß das, was heute unter dem Stichwort „taktische Atomwaffe" rangiert, überhaupt eine Waffe ist, die dem Soldaten nützt.
Ich halte es für einen leider verführerischen Sprachgebrauch, die Wasserstoff- oder die Kobaltbombe ebenfalls mit der immerhin irrigen Bezeichnung „Watte" zu versehen; am Ende degradiert sie den Menschen doch zum Insekt.
Bei der Entscheidung, die die Bundesregierung im Begriff ist zu fällen, möchte ich nicht unterlassen, auf eine gute Tradition der englischen Regierung ihrer Bevölkerung gegenüber hinzuweisen. Vor solchen einschneidenden Entscheidungen in dieser traditionell gefestigten Demokratie pflegt sie ein Weißbuch herauszubringen. Es wäre wohl Anlaß gerade für eine junge Demokratie, sich zu bemühen, Erfahrungen der älteren unbesehen zu übernehmen. Es wäre dem sonstigen Gebrauch gegenüber guter Stil gewesen, wenn man uns in Form eines Weißbuches in 38 bis 58 Punkten, verehrter Herr Verteidigungsminister, auseinandergesetzt hätte, was vor uns liegt. Die englische Regierung hat es für richtig befunden, z. B. im Weißbuch des Jahres 1957 — und ich habe mir sagen lassen, sogar 1956, ein Jahr vorher — ihre Bevölkerung auf die kommenden Entscheidungen so vorzubereiten, daß solche lebenswichtige Entscheidungen nicht nur mit einer 51prozentigen Mehrheit gefällt werden, sondern mit der Zustimmung des ganzen Volkes!
Ich möchte die Hoffnung aussprechen, daß es in dieser Frage noch nicht zu spät ist.
Es wäre auch nicht uninteressant, sich einige Stichworte aus diesem englischen Weißbuch zu eigen zu machen. Zum Beispiel hat der Herr Bundesverteidigungsminister uns — allerdings soll man gegenüber den Nachrichtenquellen auf militärischem Gebiet sehr kritisch sein doch hier gesagt, es gebe begründete Anzeichen, daß die Sowjetunion auch strategische Angriffswaffen und andere Angriffswaffen entwickelt. Da sollte man sich nun überlegen, ob unmittelbare Kriegsgefahr besteht oder nicht. Die Briten halten sie für nicht gegeben. Man sollte sich auch mit dem Versuch auseinandersetzen, in einer kurzen, intensiven Rüstungsanstrengung das nachzuholen, was man versäumt hat.
— Verzeihung, das kommt später. Haben Sie keine Sorge. Ich bin nicht etwa der Meinung, daß wir auf die Abschreckung durch diese Waffen verzichten sollten, im Gegenteil. Es handelt sich nur um die Frage, vor der wir jetzt hier stehen: taktische atomare Aufrüstung.
— Wir bejahen die Abschreckung.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958 1033
Kreitmeyer
— Die Strategie der Abschreckung durch die Wasserstoffbombe bejahen wir; die lehnt überhaupt niemand in diesem Hause ab.
— Das könnte sein. Vielleicht Herr Heinemann persönlich, vielleicht auch Frau Wessel. Das sind aber Einzelerscheinungen, Persönlichkeiten, die man in jedem großen Parlament mit der nötigen Toleranz zu dulden weiß.