Sie haben offenbar Ihrem Kollegen nicht zugehört. Ich habe sehr sorgfältig zugehört.
Sie haben, Herr Kollege Schmid, ein Wort gesagt, das ich aufgreifen möchte; ich fand es sehr gut. Sie sagten, man könne, wenn man über die politische Situation spreche, den Vergleich ziehen, daß der eine sage: „Das Glas ist halb voll!" und der andere sage: „Das Glas ist halb leer!" Ich glaube, das ist ein gutes Wort, Herr Kollege Schmid; es sollte ein Hindernis dafür sein, uns Vorwürfe zu machen — und Sie haben es, weiß Gott, nicht getan —, weil der eine meint, das Glas sei halb voll, und der andere, es sei halb leer. Sie haben es nicht getan; aber andere haben es getan.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958 1029
Bundesaußenminister Dr. v. Brentano
Sie haben dann einen Vorschlag gemacht, als Sie fragten: Was muß geschehen? Wir stimmen Ihnen in diesem Vorschlag uneingeschränkt zu: erstens Ausräumung der strategischen Hypotheken, die in der politischen Situation auf uns liegen. Ich glaube, daß niemand von uns anders denkt. Wir müssen damit beginnen und haben damit begonnen, und zwar gemeinsam mit denen, von denen auch Sie sagten, daß wir es nur mit ihnen gemeinsam machen könnten: auf der Berliner Konferenz, auf der Genfer Konferenz, in den Londoner Abrüstungsverhandlungen. Und wir werden das auch auf einer möglichen Gipfelkonferenz tun.
-- Darauf komme ich noch, Herr Kollege.
Sie haben als Zweites genannt: Ausräumung der politischen Rückstände. Ich gebe Ihnen vollkommen recht. Es ist absolut notwendig im Verhältnis zum Osten und zum Westen. Da, wo wir es konnten, haben wir es schon getan. Wir haben versucht, all die trüben Rückstände einer schlechten, miserablen Zeit, die uns belasten, im Verhältnis zu denen auszuräumen, die bereit waren, daran mitzuarbeiten; wir haben sie gegenüber der gesamten freien Welt ausgeräumt.
Wir haben sie jeweils mit Ihrer Zustimmung ausgeräumt. Nicht daß wir uns dessen rühmen, daß wir Verpflichtungen erfüllt haben; aber wir haben sie ausgeräumt durch den Vertrag mit dem Staate Israel, durch eine Wiedergutmachungsgesetzgebung, die freilich nicht ausreichend ist, weil wir derartige Dinge nicht völlig wiedergutmachen können, sondern nur den Versuch unternehmen können, ein wenig wiedergutzumachen. Wir haben unser Verhältnis mit Frankreich, mit Belgien, mit Osterreich, mit allen Ländern auszugleichen versucht. Meine Damen und Herren, glauben Sie nicht, daß wir nicht bereit wären, diese Rechnung auch mit dem Osten auszugleichen? Aber der Osten hat sich noch nicht zum Gespräch gestellt.
Sie haben weiter gesagt — auch da folge ich Ihnen --, die dritte Phase sei die Sicherung, die Sicherung des Gebiets, die Sicherung des wiedervereinigten Deutschland. Auch darüber gibt es' keine Meinungsverschiedenheit. Auch darüber gibt es sicherlich keine Diskussion, daß dieses wiedervereinigte Deutschland der Sicherung bedarf.
Aber vielleicht gibt es eine Diskussion darüber -ich komme noch darauf —, daß wir die Sicherung des wiedervereinigten Deutschland nicht dadurch erwerben, daß wir zunächst die Sicherheit der Bundesrepublik preisgeben.
Und natürlich auch die Sicherung des uns umgebenden Raumes. Das habe ich gestern noch in
der Antwort, die ich gab, ausdrücklich hervorgehoben, daß wir wohl wissen, daß eine solche Vereinbarung selbstverständlich nicht nur uns, sondern auch die uns umgebenden Staaten verpflichten wird. Wir werden verpflichtet, anderen die Sicherheit zu garantieren, und andere werden verpflichtet, uns die Sicherheit zu garantieren.
Sie haben dann gesagt, Herr Kollege Schmid, in einer Situation, in der es trotz der ganzen Wirren sehr viel einfacher gewesen sei, nämlich nach dem Dreißigjährigen Krieg, habe diese Entwicklung acht Jahre gedauert. Ja, meine Damen und Herren, warum werfen Sie uns dann vor, daß wir nach acht Jahren noch nicht alles erreicht haben?