Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich bedanke mich, Herr Präsident. — Vielleicht werden heute noch neue Argumente geltend gemacht; es würde mich freuen. Ich selber bin nicht in der Lage, etwas anderes zu sagen, als ich bisher schon gesagt habe. Ich werde Ihnen auch nicht das Ergebnis archivarischer Studien vortragen, wie das so ausgiebig gestern Ihnen angetan worden ist; entschuldigen Sie den Ausdruck. Ich habe auch nicht neue Pläne, mit denen ich aufwarten könnte; ich glaube, es ist alles gesagt. Was mein Freund Wehner, mein Freund Erler, mein Freund Arndt gesagt haben, das ist, was den Schematismus einer möglichen notwendigen Politik anlangt, auch meine Meinung.
Ich habe nur die Absicht, einige kritische Anmerkungen zu einigem hier Gesagten zu machen. Vielleicht kann das der Klärung der Fragestellung dienen. Ich glaube, wenn wir uns einmal darauf einigten, richtig zu fragen, wäre es mit dem Antworten nicht mehr so ganz aussichtslos, wie es heute scheint.
Erlauben Sie mir zunächst einige Bemerkungen über den Gang unserer bisherigen Verhandlungen hier. Die Regierungsparteien haben einen mächtigen Aufmarsch vollzogen. Es hat einige Redner veranlaßt, von einer Show zu sprechen, von einer Revue; ich möchte das nicht tun. Ich möchte eher sagen, daß sich hier die Karrees der alten und jungen Garde der Regierungskoalition neu formiert haben, um nach der Schamade des 23. Januar einmal wieder Fanfaren hören zu können.
Nun, Sie kennen das schöne Wort Cambronnes, des Kommandeurs der Alten Garde bei Waterloo; die Historiker sind sich nicht ganz einig, wie es in Wirklichkeit gelautet hat. Man hat auch in der Tat manchmal glauben können, so etwas wie Trommeln und Pfeifen hier zu hören, wenigstens den Widerhall davon, manchmal auch Blechmusik,
zum Glück nicht allzuviel. Mir kam es manchmal
vor, als ob hier geredet würde, wie wenn vor Jahrhunderten aus Byzanz an die Küsten des Nordlan-
1016 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 22. März 1958
Dr. Schmid
des zurückgekehrte Waräger das Bedürfnis gefühlt hätten, dem Alten vom Berge die Reverenz zu erweisen,
ihn ihrer Mannentreue zu versichern. Eine schöne Sache!
— Herr Krone, das haben Sie vortrefflich gemacht.
König Rother hätte wirklich in Byzanz nichts Besseres lernen können. Manchmal konnte man sich
auch zu Gast beim Förster im Silberwald wähnen;
das waren die mehr lyrischen Partien der bisherigen Verhandlungen. Einige haben auch die guten alten Zeiten Kurt Schumachers beschworen, mit anderen Worten, als man über ihn zu sprechen pflegte, als er noch lebte.
Allerdings gab es auch einige Töne, die mir nicht gefallen wollten. Es gab da das eine oder andere, das eher in einen Appell des Stahlhelms gehört hätte als in dieses Haus.
Der Abgeordnete Schneider hat sich in seiner Rede mit mir beschäftigt. Er sprach von meiner Reise nach Polen und fand sie
3 lobenswert. Er meinte allerdings, daß ich mit Selbstbezichtigungen zu weit gegangen sei. Ich erlaube mir, Herr Präsident, aus dem Protokoll zu zitieren, wenn Sie das gestatten:
Es steht fest,
-- hat er gesagt —
daß unser Schild — Gott sei es geklagt — nicht rein ist. Aber ich sage Ihnen: kein Brite, kein Franzose und kein Amerikaner würde so weit gehen, wie Herr Schmid in Warschau gegangen ist. Es gibt auch noch eine nationale Würde.
— So hat er gesagt. —
Fehler haben alle Nationen begangen, und schuld am letzten Krieg ist nicht Deutschland allein gewesen.
Er sagt also, daß ich gegen diese nationale Würde verstoßen habe — das ist die Schlußfolgerung, die man aus diesen Worten ziehen muß —, daß ich eine unwürdige Selbstbezichtigung ausgesprochen, mich also einer Art von Flagellantismus schuldig gemacht habe.
Meine Damen und Herren, ich glaube, nationale Würde besteht u. a. auch darin, daß man sich zu seiner Geschichte bekennt, auch zum Dunklen in seiner Geschichte
und daß man dieses Dunkle „dunkel" nennt und nicht „hell".
Nationale Würde besteht auch darin, daß man sagt, was es denn ist, was unser Nest beschmutzt hat. Das beschmutzt nicht der, der das ausspricht, sonder der, der den Schmutz hineingetan hat.
Wenn gesagt wird, schuld am Kriege seien nicht wir Deutschen allein gewesen, — dieser Krieg ist begonnen worden durch das nationalsozialistische Deutsche Reich!
Andere haben mitgemacht, andere haben es mit ermöglicht; aber gewollt, in diesem Zeitpunkt gewollt, auf diese Weise, wie er geführt wurde, gewollt hat ihn das Dritte Reich!