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ID0301916900

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    Deutscher Bundestag 19. Sitzung Bonn, den 21. März 1958 Inhalt: Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung des deutschen Zolltarifs 1958 (Drucksache 277); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksache 292) 917 B Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238); 917 B Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) . . . 917 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . . • 917 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 929 D, 944 D Wehner (SPD) 930 A Dr. von Brentano, Bundesminister . 945 D Dr. Jaeger (CDU/CSU) 947 C Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . . 959 C Frau Wessel (SPD) 964 D Lemmer, Bundesminister 976 A Dr. Kliesing (CDU/CSU) (§ 36 GO) 979 D Erler (SPD) (§ 36 GO) . . . . . . 980 C Dr. von Merkatz (DP) 981 A Döring (Düsseldorf) (FDP) 988 A Dr. Bucerius (CDU/CSU) . . . . . 996 C Strauß, Bundesminister 1003 C Nächste Sitzung 1012 C Anlagen • 1013 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1958 917 19. Sitzung Bonn, den 21. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9 Uhr.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 12. 4. Dr. Atzenroth 21. 3. Dr. Baade 21. 3. Bazille 1. 4. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Blachstein 29. 3. Dr. Böhm 21. 3. Conrad 18. 4. Cramer 21. 3. Euler 21. 3. Felder 31. 3. Frau Friese-Korn 31. 5. Funk 21. 3. Dr. Furler 21. 3. Frau Dr. Gantenberg 21. 3. Geiger (München)* 21. 3. Gottesleben 8. 4. Graaff 22. 3. Dr. Greve 22. 3. Heiland 31. 3. Hellenbrock 24. 3. Dr. Höck (Salzgitter) 31. 3. Höcker 15. 4. Frau Dr. Hubert 12. 4. Illerhaus* 21. 3. Jahn (Frankfurt) 29. 3. Jürgensen 31. 3. Frau Kipp-Kaule 29. 3. Dr. Kopf* 21. 3. Kroll 21. 3. Kunst 21. 3. Kunze 15. 5. Lenz (Trossingen) 29. 3. Dr. Lindenberg* 29. 3. Lücker (München)* 21, 3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Mauk 21. 3. Mellies 25. 4. Müller (Worms) 22. 3. Neumann 12. 4. Dr. Oesterle° 21. 3. * für die Teilnahme an der Tagung der Versammlung der Europäischen Gemeinschaften. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Paul 30. 4. Pelster 1. 4. Pütz 22. 3. Rademacher 21. 3. Ramms 31. 3. Scheel* 21. 3. Schneider (Hamburg) 31. 3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 3. Dr. Starke 22. 3. Frau Dr. Steinbiß 29. 3. Struve 22. 3. Dr. Vogel 22. 3. Vogt 12. 4. Dr. Wahl 21. 3. Walter 21. 3. Wehr 31. 3. Weinkamm 29. 3. Dr. Will 21. 3. Dr. Zimmermann 6. 5. b) Urlaubsanträge Diel (Horressen) 19. 4. Anlage 2 Drucksache 292 Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über den Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1958 (Montafoner Braunvieh usw.) (Drucksache 277) Berichterstatter: Abgeordneter Pernoll Der Außenhandelsausschuß hat sich in seiner Sitzung vom 19. März 1958 mit dem Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1958 (Montafoner Braunvieh usw.) - Drucksache 277 - befaßt. Nach längerer Aussprache hat der Ausschuß einstimmig der Verordnung mit den aus der Anlage sich ergebenden Änderungen zugestimmt. Bonn, den 19. März 1958 Pernoll Berichterstatter
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


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    Sonst enthält dieses Aide-memoire nichts Neues, es ist vertraulich, ich habe die Vertraulichkeit mit dem sowjetischen Botschafter vereinbart. Er fügte einen sehr tiefsinnigen Satz hinzu, in dem er sagte: Was da drinsteht, das stärkt nicht die Position der Regierung, das schwächt aber auch nicht die Position der Opposition.

    (Lachen bei der SPD und der FDP.)

    Und dann ging der Herr Bundeskanzler zu einer Atomraketen-Rede über. Von diesem Augenblick an verlagerte sich die ganze Debatte von der Diskussion über die mögliche Erörterung eines Friedensvertrages zu einer Diskussion über die Frage: Ist die atomare Aufrüstung der Bundeswehr politisch notwendig oder nicht?
    Dieses Aide-memoire, von dem der Herr Bundeskanzler gesagt hatte, es stehe nichts weiter darin, ist nun heute morgen veröffentlicht worden. Der Herr Bundeskanzler hatte gestern gesagt — ich habe das erwähnt —, es sei nun insoweit klar, als offensichtlich doch nur an den Abschluß eines Friedensvertrages mit e in e m Deutschland gedacht sei. Aber den Rest dieses Aide-memoire, von dem der Herr Bundeskanzler sagte, es enthalte weiter nichts Interessantes, hat er uns nicht mitgeteilt. Den Rest haben wir nun heute morgen zur Kenntnis genommen.

    (Abg. Dr. Hellwig: Fragen Sie doch, woher die Indiskretion kommt!)

    Dieser Rest besagt: Der Vorschlag der Regierung der DDR über die Bildung der Deutschen Konföderation eröffnet die realsten Möglichkeiten dafür; aber die Sowjetregierung ist weit davon entfernt, jemandem jene oder andere Rezepte für die Lösung der deutschen Frage aufzuzwingen. Es heißt weiter Was die Heranziehung der entsprechend bevollmächtigten deutschen Vertreter zu den Verhandlungen über die Vorbereitungen des Friedensvertrages im Anfangsstadium anlangt, so handelt es sich hier natürlich nicht darum, daß die Bundesrepublik die DDR oder die DDR die Bundesrepublik anerkennt, sondern darum, daß die Interessen beider deutscher Staaten auch auf dieser Etappe in gebührender Weise berücksichtigt werden.

    (Zuruf von der Mitte: „In gebührender Weise"!)

    Das ist also der ganze Text, soweit er die Auslegung angeht, ob es sich um den Abschluß eines Friedensvertrages oder zweier Friedensverträge handelt.
    Was hat gestern der Kollege Kiesinger gesagt? Der Kollege Kiesinger sagte in einem anderen Zusammenhang: Wenn man eines verschweigt, sagt man in allem nicht die Wahrheit.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Wenn ich mir diese Maxime des Herrn Kollegen Kiesinger zu eigen mache, würde das heißen, daß der Herr Bundeskanzler gestern dem deutschen Parlament und dem deutschen Volk nicht ganz die Wahrheit gesagt hat.

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Wieso? — Abg. Dr. Hellwig: Sie sollten eher mal fragen,. wie dieses Aide-memoire der Presse gegeben wurde!)

    Ich höre schon das Argument: Jetzt machen Sie sich noch zu den Anwälten der Sowjets!

    (Zurufe von der Mitte.)

    — Ach, wissen Sie, wir haben etwas von kommunistischen Praktiken gekannt, da hat mancher von Ihnen über kommunistische Praktiken noch bei Alfred Rosenberg nachzulesen versucht.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Ich habe einen Grund, so etwas zu sagen. Als ich heute mittag meine Frage stellte, die ich nicht zu wiederholen brauche,

    (Abg. Ehren: Als Sie Hitlerjunge waren, habe ich schon gegen die Kommunisten gekämpft!)

    kam von der rechten Seite der Zwischenruf: „Sie Halbkommunist!" Das ist die Methode, die wir nicht so gern haben, die wir aber so langsam gewöhnt sind. Sobald nämlich jemand eine andere Meinung als die Christlich-Demokratische Union, als die Regierungspartei hat, geht das Zetermordio los: „Neofaschisten, Nationalbolschewisten, Halbkommunisten, Ganzkomrnunisten, sowjethörig". Wir kennen diese Litanei. Aber das wird uns nicht davon abhalten, etwas zu tun, was wir für nötig halten, nämlich uns dafür einzusetzen, daß in einer so heiklen Frage, wie sie hier zur Diskussion steht, der Versuch gemacht wird, objektiv den Sachverhalt zu klären.

    (Zuruf von der Mitte: Das können Sie doch gar nicht!)

    — Sie fangen ja mit der Klärung gar nicht an, wir versuchen es wenigstens.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Ich teile durchaus die Auffassung des Herrn Bundesverteidigungsministers Strauß, wenn er sagt: Wir haben Veranlassung, allen solchen Überlegungen und Vorschlägen mit Skepsis gegenüberzustehen. Ich glaube, das ist eine Binsenwahrheit. Selbstverständlich betrachten auch wir solche Vorschläge mit der gebotenen Skepsis. Aber wir haben unsere Skepsis nicht nur nach Ost, wir haben sie in einer anderen Frage, in anderen Überlegungen auch ein wenig gegenüber unseren westlichen Verbündeten.

    (Zurufe und Unruhe in der Mitte.)




    Döring (Düsseldorf)

    Vielleicht darf ich hier mal sagen, warum wir eine gewisse Skepsis haben. Der Herr Bundesverteidigungsminister hat gestern hier Reminiszenzen an sein Studium der Jalta-Dokumente angestellt. Wenn man so etwas tut, wenn man Dokumente studiert, Herr Bundesverteidigungsminister, kann man wieder nicht so verfahren, daß man nur Teile wiedergibt und andere Teile nicht zitiert. Es ist bei den Jalta-Dokumenten auch schwierig. Ich will Ihnen dafür, warum wir hinsichtlich der Betrachtung der deutschen Frage von westlicher Seite her skeptisch sind, ein Beispiel geben. In den Dokumenten von Jalta — Sie finden das übrigens alles, wenn Sie Keesings Archiv nachlesen — steht eine Aussage des Ihnen allen bekannten Expremierministers Churchill.

    (Abg. Dr. Hellwig: Fangen Sie doch gleich bei Morgenthau an!)

    — Ach, so simpel sind wir gar nicht, Herr Kollege Hellwig. Das ist dieselbe Technik wie gestern. Wissen Sie, außerhalb der Industrie gibt es auch noch einigermaßen intelligente Leute.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Ich weiß gar nicht, warum Sie immer persönlich werden!)

    Da finden Sie eine Aussage des Expremierministers Churchill, die er gemacht hat, als darüber gesprochen wurde, was mit Deutschland geschieht, nachdem es niedergeworfen ist. Damals sagte er:
    Entscheidend ist nicht, daß Deutschland aufgeteilt wird. Wenn es in 16 Teile aufgeteilt würde, wäre es nur eine Frage der Zeit, wann diese Teile wieder den Wunsch haben werden, sich zusammenzuschließen. Das Kriterium ist, daß die aufgespaltenen Teile Deutschlands in andere lebensfähige staatliche Gebilde integriert werden.

    (Abg. Ehren: Aber da war doch noch Krieg!)

    Wenn uns das gelänge, auch nur für 50 Jahre, dann wäre schon sehr viel erreicht.

    (Abg. Ehren: Da war noch Krieg!)

    Ich unterstelle dem Expremierminister Churchill gar nicht, daß das unbedingt auch heute seine Meinung sein muß.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na also!)

    Das war damals seine Meinung. Aber ich kann feststellen: was er sich damals zum Ziel gesetzt hat, sieht unserer heutigen Wirklichkeit verteufelt ähnlich.

    (Abg. Wehner: Leider wahr!)

    Denn die Integration in andere lebensfähige Gebilde macht sowohl in West als auch in Ost ihre Fortschritte.

    (Abg. Ehren: Da war doch Krieg!) Das ist eine Stimme.

    Ich habe sehr interessiert den übrigen Reminiszenzen unseres Bundesverteidigungsministers gelauscht, der den früheren amerikanischen Präsidenten Roosevelt mit Gutgläubigkeit exkulpierte, Gutgläubigkeit, als er in der Praxis osteuropäische Staaten an die Sowjetunion auslieferte.
    Ich habe gesagt, das erste Anliegen, das in der Anfrage zum Ausdruck kommt, ist, die Bundesregierung möge den Versuch machen, auf einer Gipfelkonferenz einen Deutschland-Vertrag, einen wirklichen Deutschland-Vertrag zur Erörterung zu stellen. Es gibt einen Deutschland-Vertrag, den man so allgemein Deutschland-Vertrag nennt, nämlich den am 23. Oktober 1954 in Paris abgeschlossenen, aber von der Bundesrepublik, nicht von Gesamtdeutschland abgeschlossenen Deutschland-Vertrag. Dieser Vertrag heißt ja in seiner offiziellen Bezeichnung auch „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten". Er hat also noch einen weiteren Mangel: er ist ein Vertrag der Bundesrepublik mit drei Mächten, nicht mit den vier Mächten, welche einen wirklichen Deutschland-Vertrag abschließen können. Alles andere ist nur ein zeitbedingter Teilvertrag.
    Damit aber keine Mißverständnisse bei der Christlich-Demokratischen Union entstehen — Sie neigen ja so sehr zum Mißverstehen —, möchte ich erklären, daß ich damit den Deutschland-Vertrag aus dem Jahre 1954 in gar keiner Weise abwerten will.

    (Abg. Rasner: Ihr habt ja auch zugestimmt!)

    Er ist für die Bundesrepublik und ihre Beziehungen zum Westen ein grundlegendes Dokument. Denn dieser Vertrag, der in seiner Urfassung vom 26. Mai 1952 einmal „Bonner Vertrag" hieß, gibt uns die Handhabe, allen Versuchen entgegenzutreten, die gelegentlich von Historikern, Parlamentariern und politischen Prominenzen des Westens unternommen werden, uns in der Deutschland-Frage zu isolieren. Es heißt nämlich in diesem Vertrag, daß die Wiederherstellung eines völlig freien und vereinigten Deutschland auf friedlichem Wege und die Herbeiführung frei vereinbarter friedensvertragsrechtlicher Regelungen ein grundlegendes und gemeinsames Ziel der Unterzeichnerstaaten bleibt. Meine Damen und Herren, wir fragen uns an diesen Tagen: Was verlangen wir eigentlich von dieser Bundesregierung, daß sie sich so offensichtlich sträubt? Verlangen wir denn mehr, als daß sie den Versuch macht, auf einer Gipfelkonferenz mit unserer oder ohne unsere Beteiligung einmal den Status Gesamtdeutschlands erörtern zu lassen?

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Betrachten Sie die Debatte vom 23. Januar! Sie haben diesen Versuch bisher abgelehnt. Keiner von Ihnen hat bisher klar gesagt, daß er das will.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der SPD. — Widerspruch bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU: Zuhören! — Können Sie nicht mal Zeitung lesen, Herr Döring?!)

    Die Debatte vom 23. Januar ging nur darum, ob 1952 eine Chance verpaßt worden sei, und ich habe nicht die Absicht, mich selbst noch einmal in diese Argumente zu verstricken.



    Döring (Düsseldorf)

    Aber auch damals, 1952, war das Stichwort I „Friedensvertrag" gefallen. Sie kennen den Notenwechsel vom 10. März 1952, vom 25. März 1952, die erste Antwortnote der Westmächte. Ich will diese Noten im einzelnen gar nicht mehr aufzählen. Aber auch damals — so wurde am 23. Januar gesagt — habe möglicherweise die Chance bestanden, unser nationales Anliegen voranzutreiben.

    (Zuruf von der Mitte: Die FDP war immer anderer Meinung!)

    Vor einigen Tagen — es ist vielleicht vierzehn Tage her — wurde einmal der Kollege Gradl in einer Versammlung in Bonn gefragt, warum man eigentlich damals in keine ernsthafte Prüfung eingetreten sei. Der Kollege Gradl hat in dieser Versammlung, an der einer meiner Parteifreunde, der Justizminister Dr. Leverenz aus Schleswig-Holstein, teilgenommen hat, gesagt, man habe so seine Erfahrungen mit den Sowjets gemacht, und man habe keine falschen Hoffnungen wecken wollen. Das war ein ähnliches Argument, wie es der Bundespressechef auf der ersten Pressekonferenz verwendet hat. als über diesen Friedensvertrag erstmalig in der Öffentlichkeit gesprochen wurde.
    Wir hatten den Eindruck, daß man sich damals der Chance einer Prüfung begeben hat, weil man glaubte, damit möglicherweise das EVG-Konzept zu stören.

    (Sehr wahr! bei der FDP und SPD. — Gegenrufe von der CDU/CSU.)

    Der Herr Bundeskanzler hat gestern hier erklärt, I) auch die EVG sei am sowjetrussischen Einfluß gescheitert. Ich nehme an, daß es dem Herrn Bundeskanzler mindestens ebenso bekannt ist wie mir, daß in dem Augenblick, als der EVG-Vertrag gescheitert war und das entsprechende Abstimmungsergebnis in der französischen Nationalversammlung bekanntgegeben wurde, die Mehrheit dieses Hauses aufstand und die französische Nationalhymne sang, — ich glaube sicher nicht unter sowjetrussischem Einfluß, Herr Bundeskanzler.

    (Unruhe. — Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich habe mich auch sehr darüber gewundert, daß der Kollege Kiesinger in seiner Rede am gestrigen Abend gar nicht mehr auf die Frage der Bindungsklausel eingegangen ist. Diese Klausel hat ja in der Debatte am 23. Januar eine entscheidende Rolle gespielt.

    (Zuruf von der SPD: Das kann man wohl sagen!)

    Das war der härteste Vorwurf, der dem Herrn Bundeskanzler gemacht wurde, und die Tatsache, daß Sie nicht mehr darauf eingegangen sind, zeigt die Berechtigung eines solchen Vorwurfs.
    Aber es ist sehr interessant: in dieser Debatte ist von den Sprechern der Christlich-Demokratischen Union überhaupt eine ganze Menge nicht erwähnt worden.

    (Zuruf von der Mitte: Keine Sorge!)

    Da ist z. B. nicht erwähnt worden, daß die deutsche
    Presse am 20. Februar 1958 die Spalten mit dem
    Lemmer-Interview und den Kommentaren angefüllt hatte.

    (Abg. Kiesinger: Das hat Lemmer ja gesagt!)

    Der Minister für gesamtdeutsche Fragen — für gesamtdeutsche Antworten wäre uns eigentlich lieber —,

    (große Heiterkeit)

    war der einzige, der heute hier aufgetreten ist und in sehr milder Form, aber immerhin doch nach einem Ausweg gesucht hat, wie man sich aus dieser Klippe zwischen dem Interview, zwischen den Pressemeldungen am 20. und der derzeitigen Haltung der Christlich-Demokratischen Union in dieser Debatte herauswinden kann. Er hat das mit Anstand getan.
    Aber wir haben am 21. Februar dann in der Presse einen Fünf-Punkte-Plan des Herrn Bundesverteidigungsministers gelesen, und es wäre sicher für uns sehr interessant gewesen, diesen Plan etwas erläutert zu bekommen. In diesem Plan oder in diesem Interview, was es gewesen sein mag, hat er sich für die geographische Ausdehnung der im Rapacki-Plan vorgeschlagenen militärisch verdünnten, atomwaffenfreien Zone ausgesprochen. Er hat dann über die Möglichkeit des Ausgleichs der konventionellen Streitkräfte auf der Grundlage der Stärke des Westens gesprochen. Dann hat er über die totale Kontrolle des Verzichts auf Atomwaffen und die Stärke der konventionellen Streitkräfte gesprochen. Dabei spricht er von einem Abkommen der Atommächte, im Gebiet der verdünnten Zone keine Atomwaffen einzusetzen. Das sind alles Themen, die sicher aufkämen, wenn auf der Gipfelkonferenz über die Voraussetzungen für einen Vertrag mit Gesamtdeutschland gesprochen würde.

    (Zuruf von der Mitte: Halbe Wahrheiten sind das!)

    Aber der Herr Bundesverteidigungsminister hat uns davon gestern nichts gesagt. Auch er hat uns primär nur zu verdeutlichen versucht, warum die atomare Bewaffnung der Bundeswehr notwendig sei.
    Ich will nicht auf das eingehen, was der frühere Botschafter in London, Herr Dr. Schlange-Schöningen, gesagt hat. Das ist bereits erwähnt worden. Aber ich will einmal auf etwas eingehen, was z. B. auch unser Kollege Gradl vor dem Ring christlich-demokratischer Studenten in Bonn gesagt hat. Ein Teilnehmer — ich habe ihn vorhin genannt: mein Parteifreund Dr. Leverenz — hat diese Aussage mitstenographiert. Ich will hier gar nicht eine bösartige Festlegung vornehmen. Der Kollege Gradl hat in dieser Diskussion erklärt, er nehme an, es gebe ein berechtigtes Sicherheitsanliegen des Westens, der Bundesrepublik und der Sowjets. Er hat dann in dieser Diskussion auch gesagt, es sei unrealistisch, anzunehmen, die Vier Mächte würden sich auf eine Wiedervereinigung einlassen, wenn Gesamtdeutschland zum Warschauer Pakt oder zur NATO gehören soll. Das eine und das andere würde erhebliche Gewichtsverlagerungen bedeuten.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)




    Döring (Düsseldorf)

    Er hat in dieser Diskussion noch gesagt:
    Es muß der Versuch gemacht werden, vor der Wiedervereinigung den. militärischen Status Gesamtdeutschlands festzulegen.

    (Zurufe von der SPD: Ausgezeichnet! — Sehr gut!)

    Was ist aber aus all diesen Äußerungen geworden? Da kann man eigentlich nur sagen: Die Helden sind müde geworden.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und SPD.)

    Solange der Herr Bundeskanzler im Teehaus in Vence seinem wohlverdienten Urlaub frönte, waren hier die Puppen am Tanzen. Als er zurückkam, wurde gerade noch das Unbehagen über die Entwicklung deutlich. Wir haben den Eindruck, daß alle diese Überlegungen, die von den verschiedensten Prominenten der Christlich-Demokratischen Union angestellt worden sind, in jener denkwürdigen CDU-Fraktionssitzung erschlagen worden sind, wo der Herr Bundeskanzler Berichten zufolge gesagt haben soll: Wir wollen NATO, NATO und nichts anderes als NATO.

    (Widerspruch in der Mitte.)

    — Sie haben diese Meldungen niemals dementiert.
    Aber vielleicht kann man den müde gewordenen Helden etwas Auftrieb geben, wenn man sie an ein Wort des österreichischen Bundeskanzlers Raab erinnert — vielleicht eine aktuelle Nennung: ein Ordensbruder des Herrn Bundeskanzlers —,

    (Lachen bei der FDP und SPD)

    ein Wort, das er wenige Tage, bevor der österreichische Staatsvertrag Wirklichkeit wurde, ausgesprochen hat. Er sagte damals:
    Wer die freie Entscheidung nicht mehr sucht, sondern Spielball der Mächte bleiben will, verwirkt seine Chancen für die Zukunft. Es gibt keine Pensionsanstalt für Staaten.
    Die müde gewordenen Helden wissen genauso wie wir, daß auch die NATO keine Pensionsanstalt für die Bundesrepublik ist; sie wagen es nur nicht zu sagen.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler hat, glaube ich, auch heute sogar noch einmal gesagt, er sei bereit, jederzeit mit der Sowjetunion zu verhandeln. Aber es ist immer unklar, worüber er eigentlich bereit ist, mit der Sowjetunion zu verhandeln.

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Nun, wenn er bereit ist, mit der Sowjetunion zu verhandeln, dann ist eine mittelbare oder unmittelbare Chance auf einer Gipfelkonferenz mit dem Thema „Friedensvertrag" gegeben. Aber die Verhandlungen über den Export von Stecknadelkissen reichen eben nicht aus.

    (Zuruf von der Mitte: So etwas Billiges! — Weitere anhaltende Zwischenrufe von der CDU/CSU.)

    — Ach, kommen Sie doch nicht mit diesen Zwischenrufen. Wir warten darauf, daß Sie uns endlich einmal sagen, welche Vorstellungen Sie haben außer der der atomaren Bewaffnung!

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Wir sind der Auffassung, daß die Möglichkeit, auf der kommenden Gipfelkonferenz über eine Festlegung des politischen und militärischen Status Gesamtdeutschlands zu verhandeln, vielleicht die letzte Möglichkeit ist, unmittelbar mit den Sowjets über die Deutschlandfrage oder über die Voraussetzungen zur Lösung der deutschen Frage zu sprechen. Ich wage heute zu sagen: wenn diese Chance wieder vertan wird, wie möglicherweise 1952 eine Chance vertan worden ist, wird spätestens der Nachfolger des Herrn Bundeskanzlers vor einer teuflischen Alternative stehen.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Er wird dann vor der teuflischen Alternative stehen, entweder auf die Wiedervereinigung verzichten zu müssen oder nur noch die Möglichkeit der direkten Verhandlungen zwischen Bonn und Pankow zu haben,

    (Abg. Dr.-Ing. E. h. Arnold: Das wollen Sie ja jetzt schon!)

    oder — als dritte Möglichkeit — sich in einen Krieg verwickeln zu lassen. Meine Damen und Herren, die Reden, die wir hier in 48 Stunden gehört haben, haben mir eigentlich den Eindruck und das Gefühl vermittelt, daß sie durchaus geeignet sind, zur Heraufbeschwörung eines weiteren Krieges beizutragen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der FDP und der SPD. — Erregte Zurufe von der Mitte: Pfui! — Unverschämt! — Hetzer! — Abg. Müller-Hermann: Übler Provokateur! — Anhaltende Zurufe.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Einen Augenblick! Herr Abgeordneter Döring, habe ich Sie recht verstanden: Wollen Sie unterstellen, daß die Bundesregierung oder das Haus oder die Mehrheit des Hauses mit ihren Entschlüssen der Vorbereitung eines dritten Weltkrieges oder eines anderen Krieges Vorschub leisten will? Herr Abgeordneter, habe ich Sie recht verstanden oder ist das ein Mißverständnis?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Döring


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ich habe erklärt, daß Reden, die in dieser Debatte gehalten worden sind, geeignet seien, die Gefahr eines dritten Krieges heraufzubeschwören.

    (Widerspruch in der Mitte. — Abg. Hilbert: Das Wort „Gefahr" hat er nicht gebraucht! —Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Ich habe nicht erklärt, daß Sie das bewußt täten. Wenn ich der Meinung wäre, daß Sie das bewußt täten, würde ich Ihnen das auch sagen.

    (Abg. Hilbert: Haben Sie auch getan! — Weitere Zurufe von der Mitte.)