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ID0301915400

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    Deutscher Bundestag 19. Sitzung Bonn, den 21. März 1958 Inhalt: Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung des deutschen Zolltarifs 1958 (Drucksache 277); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksache 292) 917 B Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238); 917 B Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) . . . 917 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . . • 917 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 929 D, 944 D Wehner (SPD) 930 A Dr. von Brentano, Bundesminister . 945 D Dr. Jaeger (CDU/CSU) 947 C Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . . 959 C Frau Wessel (SPD) 964 D Lemmer, Bundesminister 976 A Dr. Kliesing (CDU/CSU) (§ 36 GO) 979 D Erler (SPD) (§ 36 GO) . . . . . . 980 C Dr. von Merkatz (DP) 981 A Döring (Düsseldorf) (FDP) 988 A Dr. Bucerius (CDU/CSU) . . . . . 996 C Strauß, Bundesminister 1003 C Nächste Sitzung 1012 C Anlagen • 1013 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1958 917 19. Sitzung Bonn, den 21. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9 Uhr.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 12. 4. Dr. Atzenroth 21. 3. Dr. Baade 21. 3. Bazille 1. 4. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Blachstein 29. 3. Dr. Böhm 21. 3. Conrad 18. 4. Cramer 21. 3. Euler 21. 3. Felder 31. 3. Frau Friese-Korn 31. 5. Funk 21. 3. Dr. Furler 21. 3. Frau Dr. Gantenberg 21. 3. Geiger (München)* 21. 3. Gottesleben 8. 4. Graaff 22. 3. Dr. Greve 22. 3. Heiland 31. 3. Hellenbrock 24. 3. Dr. Höck (Salzgitter) 31. 3. Höcker 15. 4. Frau Dr. Hubert 12. 4. Illerhaus* 21. 3. Jahn (Frankfurt) 29. 3. Jürgensen 31. 3. Frau Kipp-Kaule 29. 3. Dr. Kopf* 21. 3. Kroll 21. 3. Kunst 21. 3. Kunze 15. 5. Lenz (Trossingen) 29. 3. Dr. Lindenberg* 29. 3. Lücker (München)* 21, 3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Mauk 21. 3. Mellies 25. 4. Müller (Worms) 22. 3. Neumann 12. 4. Dr. Oesterle° 21. 3. * für die Teilnahme an der Tagung der Versammlung der Europäischen Gemeinschaften. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Paul 30. 4. Pelster 1. 4. Pütz 22. 3. Rademacher 21. 3. Ramms 31. 3. Scheel* 21. 3. Schneider (Hamburg) 31. 3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 3. Dr. Starke 22. 3. Frau Dr. Steinbiß 29. 3. Struve 22. 3. Dr. Vogel 22. 3. Vogt 12. 4. Dr. Wahl 21. 3. Walter 21. 3. Wehr 31. 3. Weinkamm 29. 3. Dr. Will 21. 3. Dr. Zimmermann 6. 5. b) Urlaubsanträge Diel (Horressen) 19. 4. Anlage 2 Drucksache 292 Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über den Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1958 (Montafoner Braunvieh usw.) (Drucksache 277) Berichterstatter: Abgeordneter Pernoll Der Außenhandelsausschuß hat sich in seiner Sitzung vom 19. März 1958 mit dem Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1958 (Montafoner Braunvieh usw.) - Drucksache 277 - befaßt. Nach längerer Aussprache hat der Ausschuß einstimmig der Verordnung mit den aus der Anlage sich ergebenden Änderungen zugestimmt. Bonn, den 19. März 1958 Pernoll Berichterstatter
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    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aussprachen in diesem Hause haben zunehmend den Charakter deutscher Selbstgespräche bekommen. Sie werden in einem eigenartig empörten Ton der gegenseitigen Anklage gehalten, während es doch der Zweck und Sinn einer solchen Aussprache ist, das sachlich Richtige festzustellen und um die Errichtung der Fundamente für tragende gemeinsame Überzeugungen zu werben. Wir sollten so viel Selbstbeherrschung aufbringen, unsere Gefühle angesichts der Verhärtung der Machtgegensätze in der Welt in etwas willensklarere und auch ernsthaftere Formen zu bringen. Ich glaube, daß es notwendig ist, unser Volk psychologisch vorzubereiten, Überzeugungen für das Notwendige reifen zu lassen und das Bewußtsein zu stärken, daß eine verantwortungsbewußte Regierung die Kraft hat, etwa aufkommende Krisen zu meistern.

    (Unruhe.)

    — Darf ich mir vielleicht die Bitte an unsere Koalitionsfreunde erlauben, die persönliche Höflichkeit aufzubringen, auch einen Vertreter eines Ihrer Partner anzuhören. Ich habe großes Verständnis dafür, daß nach so langstündiger Debatte und so langen anstrengenden Ausführungen die Aufmerksamkeit auch des gutwilligsten Menschen zu erlahmen beginnt. Dennoch glaube ich, diese Debatte ist so ernst, daß jedes Wort, das hier gesprochen wird, gewogen werden sollte und daß es nicht nur ein Gebot der Höflichkeit, sondern eine Notwendigkeit ist zuzuhören.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist unsere hohe Pflicht, der Bevölkerung bewußt zu machen, daß wir bis aufs äußerste Anstrengungen unternehmen werden, um den Frieden zu erhalten und unseren Familien, unseren Frauen und Kindern die Angst zu nehmen vor dem, was ihnen mit der drohenden Vorstellung des Atomtodes aufgezeigt wird,

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien)

    und ihnen zu sagen, wie wir diesen Gefahren begegnen können. Eine verantwortungsvolle Politik hat dafür Sorge zu tragen, daß es zu diesen Schrecken nicht kommt. Dazu dienen nicht nur die militärischen Mittel, mit denen Gewalt allein begrenzt werden kann, sondern in erster Linie auch die Mittel der Politik und einer geduldigen, zielstrebigen Diplomatie.
    Es ist unmoralisch, mit der Angst und der Unsicherheit der Zeit politische Geschäfte machen zu wollen. Zum moralischen Gebot der Politik gehört es, an die Stelle von Angst und Panik Festigkeit, Zuversicht und Vertrauen zu setzen. Herr Kollege
    Jaeger hat heute morgen ein sehr gutes Wort gesprochen: „Die Sprache der Angst ist nicht die Sprache des Gewissens." Ich darf ergänzen, sie ist auch nicht die Sprache der Staatsraison. Der Sinn unserer Politik — ich möchte das nachdrücklich unterstreichen — ist der fortgesetzte Widerstand gegen die Gefahr, in den Machtbereich des Bolschewismus einbezogen zu werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist nicht nur die Politik des deutschen Volkes in der Bundesrepublik, sondern auch die wahre Politik des ganzen deutschen Volkes, auch dort, wo das Volk in seiner Freiheit gehindert und unterdrückt wird, drüben in der sowjetischen Besatzungszone.
    Wir dürfen es nicht zulassen, daß die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von den Kernfragen unserer Existenz abgelenkt wird. Diese Kernfragen unserer Existenz sind erstens: Unsere Freiheit ist bedroht. Zweitens: Der Schutz unserer Freiheit hängt von der Wirksamkeit des NATO-Bündnisses ab. Drittens: Die Wirksamkeit dieses NATO-Bündnisses hängt wiederum wesentlich auch von unserem Leistungswillen ab. Viertens ist eine Kernfrage, daß die deutsche Spaltung nur überwunden werden kann, wenn die Interessen der freien Welt mit unseren Interessen verbunden bleiben,

    (Abg. Kiesinger: Sehr gut!)

    wenn wir also das volle Gewicht der Unterstützung der freien Welt hinter uns haben, die politische und die moralische Unterstützung auch zur Lösung unserer eigenen Probleme. Von diesen vier Kernfragen dürfen wir uns durch keine verwirrende Diskussion um die Atombewaffnung ablenken lassen. Diese Atombewaffnung ist eine unbedingte Notwendigkeit, wenn die Sowjetunion bei ihrem Nein zur wirklichen Abrüstung bleibt, weil dann nur das Mittel der Abschreckung zur Verhütung eines Krieges und zur Verhütung der Kapitulation vor dem Bolschewismus übrigbleibt.
    Die Sozialdemokraten sind uns leider auch heute eine schlüssige Antwort darauf schuldig geblieben, wie sie die Sicherung der Freiheit, eine Wiedervereinigung in wirklicher Freiheit und die Verhinderung einer Kapitulation vor der Macht des Bolschewismus erreichen wollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Eine der Grundthesen der Sozialdemokratie ist die, daß das Schutzbündnis mit dem Westen die Spaltung Deutschlands vertieft habe. Ich möchte aber doch wirklich einmal ernsthaft fragen: Was ist denn hier gespalten, der deutsche Staat oder etwa das deutsche Volk? Der deutsche Staat doch! Es gibt doch keine größere Spaltungsursache als die, daß man unter Mißbrauch des Besatzungsrechts drüben eine völlig andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, ja eine völlig andere Lebensphilosophie mit Zwang durchzusetzen versucht hat. Das ist die Ursache der Spaltung, und darin liegt die von Jahr zu Jahr fortschreitende Vertiefung. Diese Spaltung, die durch die bolschewistische Ordnung in der Zone hervorgerufen worden ist, kann nur



    Dr. von Merkatz
    dadurch überwunden werden, daß der Widerstandswille im ganzen deutschen Volk lebendig bleibt und die Fackel der Freiheit angezündet bleibt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das deutsche Volk ist und wird nicht dadurch gespalten, daß der freie und handlungsfähige Teil des deutschen Volkes, also wir, alles dafür tut, daß Machtwille des Bolschewismus über unser deutsches Volk nicht zum Ziele kommt.
    Ich muß mich aber doch mit einigen Thesen des Herrn Kollegen Wehner beschäftigen. Dabei möchte ich alle unnütze Polemik vermeiden: denn es geht mir hier um nüchterne, sachliche Fragen. Erste These des Herrn Kollegen Wehner: der Herr Bundeskanzler habe nicht das Äußerste getan, um in Verhandlungen mit der Sowjetunion deren Bedingungen für die Wiedervereinigung zu ergründen; ich fasse es etwas zusammen; ich gebe es nicht wörtlich wieder, Sie haben es etwas anders gesagt. Diese These bedeutet schon, daß damit die Bundesregierung in eine Position der verteidigenden Rechtfertigung gedrängt werden soll. Ich möchte aber einmal sachlich fragen: Ist denn das alles vergessen, unser ganzer Weg, den wir die Jahre gegangen sind? Wie schwierig war es doch, nach dem Absturz ins völlige Nichts nach den Beschlüssen von Jalta und Potsdam überhaupt wieder eine Position zu gewinnen, um gefragt zu werden und dann nicht nur gefragt zu werden, sondern mit handeln zu können! Das ist nicht nur eine leere Beschönigung. Was bedeutete es bereits im Jahre 1953/54, daß die deutsche Bundesregierung bei der Vorbereitung der Berliner Konferenz und der dabei aufgeworfenen Fragen und der ersten Diskussion über die Deutschlandfrage mit der Sowjetunion eingeschaltet war und daß der Plan, den wir hier gemeinsam in allen Parteien damals war noch Vernunft drin — erarbeitet hatten über die Vorstellungen vom Weg zur Wiedervereinigung, in Gestalt des Eden-Plans auf dem Konferenztisch lag und seitdem aus der internationalen Diskussion nicht mehr zurückgezogen worden ist!

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Von Berlin ging es nach Genf. Dort gab es den fälschlich „erweiterter Eden-Plan" genannten Plan, der die Reintegration, d. h. die Wiedervereinigung Deutschlands zu einer wirklichen Einheit in der Substanz und nicht nur in einer Scheinrechtsform zum Inhalt hatte. Der erweiterte Eden-Plan, der diese Gegenstände zum Inhalt hatte, lag in Genf auf dem Tisch, und es gelang dort durch die Aktivität und Initiative unserer Regierung, der anzugehören ich die Ehre habe, die Verknüpfung zwischen Sicherheit, Wiedervereinigung und freien Wahlen herzustellen und damit die eigentliche Diskussionsgrundlage — nicht nur im internen Kämmerlein unter den Bündnispartnern, sondern in der ganzen Welt — zu schaffen.
    Als dritter Schritt gelang es, die diplomatischen Beziehungen zu Moskau anzuknüpfen, ohne damit einen ganzen Berg von Mißtrauen bei unseren westlichen Bündnispartnern zu schaffen, nach dem, was auf diesem Gebiet in der Zeit nach dem ersten
    Weltkrieg geschehen war. Wir mögen es beklagen, aber das Mißtrauen mußte überwunden werden und muß noch täglich und in Zukunft überwunden werden. Damit ist das Instrument geschaffen worden, um überhaupt die zweite große Schicksalsfrage Deutschlands anzufassen. Die eine Schicksalsfrage ist das Verhältnis zum Westen. Es ist bereinigt, zwar noch nicht so bereinigt, daß wir daraufhin jeden Tag wie die Narren sündigen könnten; aber es gibt immerhin eine Basis der Existenz. Nun ist die zweite große Schicksalsfrage angegriffen worden, indem versucht wird, unser Verhältnis auch zu unseren osteuropäischen Nachbarn und zur Sowjetunion in solider Weise, nach den nüchternen Grundsätzen der internationalen Politik zu bereinigen, die sich bekanntlich nicht mit ideologischen Ressentiments abgibt, sondern wo es um die kühle, vorsichtige Abwägung von Interessen geht. Dieser Weg ist begonnen worden. Er ist unendlich schwierig, schon wenn man das Verhältnis zwischen Warschau und Moskau, wenn man all die Gefahren bedenkt, die auf diesem politischen Weg für eine unkluge, für eine ungeschickte, für eine elefantenhafte Politik und Diplomatie drohen, wenn man berücksichtigt, was da alles an Sandbänken und Riffen umschifft werden muß. Aber die Arbeitsinstrumente sind vorhanden. Es wird begonnen, es wird seit Monaten im stillen, von Stufe zu Stufe schreitend, ohne Mißtrauen in der Welt zu erregen, daran gearbeitet, dieses schwierige Problem der Ostpolitik anzufassen. Bitte, Sie fragen immer nach Aktivität. Sie sagen, das sei alles so starr und dogmatisch. Dieses ist eine höchst elastische Politik, und nur durch die Meisterschaft an Elastizität haben wir die Dinge so weit bringen können, wie sie gebracht worden sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In der Öffentlichkeit oder bei denjenigen, die glauben, die öffentliche Meinung zu machen, werden bestimmte Tatsachen einfach nicht zur Kenntnis genommen. Es wird immer danach` gefragt: Was für eine Konzeption — wir leben ja in der Zeit der Konzeptionitis — welche Vorstellungen, welche Konzeption habt ihr über das, was im Wege der Wiedervereinigungspolitik gemacht werden muß oder gemacht werden kann? Die sehr eingehende Note vom 2. September 1956, die ja ein ganzes Tableau von Wegen, Prozeduren, Vorstellungen und Diskussionsgrundlagen über die wichtige Frage unseres Verhältnisses zum Osten und über die Wiedervereinigung enthält, scheint niemand gelesen zu haben. Sie wird einfach übersehen. Die Berliner Erklärung von 1957 ist nur als ein Wahldokument wie ein Wahlflugblatt, das morgen im Papierkorb liegt und von der Straßenreinigung weggefahren wird, behandelt worden.

    (Zuruf von der SPD: So war sie doch auch gedacht!)

    Sie ist die Grundlage, von der allein eine kluge und zielstrebige Diplomatie für die weitere Entwicklung ausgehen kann.
    Insofern ist dieser Vorwurf der mangelnden Beweglichkeit ebenfalls unberechtigt. Sollte in diesem



    Dr. von Merkatz
    Vorwurf der Starrheit eine Art von moralischer Wertung liegen, kann ich darauf nur antworten: Ist es etwa Starrheit, wenn man die Kraft aufbringt, in den Grundfragen der Freiheit und der Sicherheit keine Zugeständnisse zu machen? Das ist doch gerade der psychische Druck, der auf unserem Volke liegt: uns zu veranlassen, koste es, was es wolle, in den wesentlichen Punkten unserer freiheitlichen Substanz Zugeständnisse zu machen. Hier gilt es, die seelische, geistige Kraft aufzubringen, Widerstand zu leisten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Herr Kollege Wehner hat in seiner — ja klaren — Rede gesagt, jeden sowjetischen Schritt müsse man auf die Probe stellen. Darf ich hierauf einmal ganz primitiv antworten: Rät man uns mit diesen Verfahren nicht an, nach dem Köder zu schnappen, um dann im Fuchseisen zu sitzen?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Kollege Wehner hat in seiner Rede, deren Text auch noch eines sehr sorgfältigen Studiums wert ist, eine Grundthese aufgestellt. Er hat ausgeführt, man müsse jeden Schritt kombinieren, eine Kombination von Schritten vornehmen, an der die vier Mächte und beide Deutschlands beteiligt sind. Ein Viermächtebeschluß über Deutschland allein sei nicht mehr zu erreichen; es handle sich um beide Deutschlands. Ich möchte hier nicht zu viel unterstellen, weil eine solche Unterstellung in diesem Hause nach außen bereits den Eindruck erwecken könnte, als sei in bezug auf die Betrachtung der illegitimen Gewalt der sowjetischen Besatzungszone in der deutschen Meinung und vor allen Dingen in der Meinung dieses Hauses eine Unsicherheit festzustellen. Aber das, was der Herr Kollege Wehner hier anrät, ist nichts anderes als eine gefährliche Verstrickung in das, was der Jurist die normative Kraft des Faktischen nennt; oder volkstümlicher ausgedrückt: man findet sich mit dem Unrecht ab.
    Und dann die leidenschaftlich vorgetragene Forderung, wir sollten endlich zu Verhandlungen wenigstens über den sogenannten Rapacki-Plan ja sagen. Vom Verteidigungsminister, von vielen Sprechern dieses Hauses ist eindringlich klargestellt worden: was uns von regionalen und Teillösungen abhalten muß, ist ganz einfach der Grundsatz, daß wir nichts tun dürfen, was im gegenwärtigen Augenblick die Position der freien Welt schwächt, ohne daß eine Gegenleistung im Grundsätzlichen erfolgt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir wollen uns nicht in Rabulistiken, was Verhandlungen sind und was nicht, streiten. Es gibt das eine, das ist die laute Propaganda, die die Dinge stört und die nichts anderes ist als eine Art geistiger Kriegführung; und es gibt das andere, das ist eine gesunde, nüchtern abwägende, analysierende und behutsame Diplomatie.
    Nun zu dem Vorschlag des Herrn Kollegen Wehner, der sich auf die Annäherungspolitik der beiden deutschen Staaten, die nun einmal faktisch seien, bezieht. Es ist eigentlich eine tolle Sache, daß Herr Chruschtschow uns sagt: Über euere Wiedervereinigung müßt ihr Deutsche euch untereinander unterbhalten! — Es gibt ja geschichtliche Erinnerungen. Auch im ersten Weltkrieg standen deutsche Truppen als Besatzungsmacht tief in Rußland. Damals bestand auch die Gefahr des Auseinanderbrechens Rußlands. Ganze Landesteile waren abgefallen. Auch dort waren Regime errichtet, die sich auf die damalige Besatzungsmacht stützten. Nichts gegen Herrn Skoropadskij! Man sagt ihm nach, er sei von der damaligen Besatzungsmacht gestützt worden. Was hätte Lenin gesagt, wenn wir ihm damals gesagt hätten: Bitte, unterhalten Sie sich über die Wiedervereinigung mit der Ukraine mit Herrn Skoropadskij! Lenin hätte gesagt: Das ist eine Verhöhnung des russischen Volkes!

    (Beifall bei der DP und in der Mitte.)

    Es gibt gewisse unverzichtbare Maßstäbe der inneren Selbstachtung. Ich darf es sagen: auch mich beseelen nicht die geringsten feindseligen Gefühle gegen das russische Volk. Ich glaube, niemand hier in diesem Hause wird von solchen Gefühlen beseelt, kein Mensch. Das russische Volk hat in den Krisen der nationalen Geschichte Rußlands stets ein hohes Maß an nationaler Würde, an Verteidigungskraft und an Beständigkeit zutage gelegt. Aber ich möchte doch auch sagen — auch den russischen Staatsmännern sagen —, daß dasselbe Maß, das sie an die Geschichte ihres Volkes anlegen, auch unserem deutschen Volk zuerkannt werden sollte.

    (Beifall bei der DP und in der Mitte.)

    Ich sagte bereits, nicht die Bevölkerung, sondern die Regierungsgewalten sind gespalten, und jeder Weg zwischen der legitimen und der von uns nicht als eine deutsche Regierung anerkannten Gewalt in Pankow gefährdet das Einheitsbewußtsein unseres Volkes, verleugnet den Glauben unserer Menschen drüben, die ja in uns und nicht etwa in ihrer Regierung die einzig Handlungsfähigen, die rechtmäßig im deutschen Namen zu handeln vermögen, sehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Möglichkeiten der Außenpolitik werden meiner Ansicht nach in der gegenwätigen Lage von folgenden Gegebenheiten bestimmt: Entweder ist die Sowjetunion zu einem wirklichen Ausgleich, zu einer Entspannung und einer Beseitigung der Spannungsursachen bereit, oder sie ist es nicht. Diese Grundbereitschaft oder Nichtbereitschaft muß geklärt werden. Das Forum der Klärung wäre eine Gipfelkonferenz, die aber dann so vorbereitet werden muß, daß auf die Frage eine Antwort gefunden werden kann. In diesem Falle haben alle Maßnahmen für die potentielle Verteidigung nur den Sinn, das Interesse an der Abrüstung wachzuhalten. Im andern Fall, wenn keine Bereitschaft zur Entspannung gezeigt wird, muß die Politik der Kriegsverhütung mit allen Mitteln, auch militärischen Mitteln, ausgestattet werden, die erforderlich sind, um einen Angriff abzuwehren.


Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?




  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Bitte sehr!