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ID0301914600

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    Deutscher Bundestag 19. Sitzung Bonn, den 21. März 1958 Inhalt: Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung des deutschen Zolltarifs 1958 (Drucksache 277); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksache 292) 917 B Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238); 917 B Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) . . . 917 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . . • 917 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 929 D, 944 D Wehner (SPD) 930 A Dr. von Brentano, Bundesminister . 945 D Dr. Jaeger (CDU/CSU) 947 C Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . . 959 C Frau Wessel (SPD) 964 D Lemmer, Bundesminister 976 A Dr. Kliesing (CDU/CSU) (§ 36 GO) 979 D Erler (SPD) (§ 36 GO) . . . . . . 980 C Dr. von Merkatz (DP) 981 A Döring (Düsseldorf) (FDP) 988 A Dr. Bucerius (CDU/CSU) . . . . . 996 C Strauß, Bundesminister 1003 C Nächste Sitzung 1012 C Anlagen • 1013 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1958 917 19. Sitzung Bonn, den 21. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9 Uhr.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 12. 4. Dr. Atzenroth 21. 3. Dr. Baade 21. 3. Bazille 1. 4. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Blachstein 29. 3. Dr. Böhm 21. 3. Conrad 18. 4. Cramer 21. 3. Euler 21. 3. Felder 31. 3. Frau Friese-Korn 31. 5. Funk 21. 3. Dr. Furler 21. 3. Frau Dr. Gantenberg 21. 3. Geiger (München)* 21. 3. Gottesleben 8. 4. Graaff 22. 3. Dr. Greve 22. 3. Heiland 31. 3. Hellenbrock 24. 3. Dr. Höck (Salzgitter) 31. 3. Höcker 15. 4. Frau Dr. Hubert 12. 4. Illerhaus* 21. 3. Jahn (Frankfurt) 29. 3. Jürgensen 31. 3. Frau Kipp-Kaule 29. 3. Dr. Kopf* 21. 3. Kroll 21. 3. Kunst 21. 3. Kunze 15. 5. Lenz (Trossingen) 29. 3. Dr. Lindenberg* 29. 3. Lücker (München)* 21, 3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Mauk 21. 3. Mellies 25. 4. Müller (Worms) 22. 3. Neumann 12. 4. Dr. Oesterle° 21. 3. * für die Teilnahme an der Tagung der Versammlung der Europäischen Gemeinschaften. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Paul 30. 4. Pelster 1. 4. Pütz 22. 3. Rademacher 21. 3. Ramms 31. 3. Scheel* 21. 3. Schneider (Hamburg) 31. 3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 3. Dr. Starke 22. 3. Frau Dr. Steinbiß 29. 3. Struve 22. 3. Dr. Vogel 22. 3. Vogt 12. 4. Dr. Wahl 21. 3. Walter 21. 3. Wehr 31. 3. Weinkamm 29. 3. Dr. Will 21. 3. Dr. Zimmermann 6. 5. b) Urlaubsanträge Diel (Horressen) 19. 4. Anlage 2 Drucksache 292 Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über den Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1958 (Montafoner Braunvieh usw.) (Drucksache 277) Berichterstatter: Abgeordneter Pernoll Der Außenhandelsausschuß hat sich in seiner Sitzung vom 19. März 1958 mit dem Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1958 (Montafoner Braunvieh usw.) - Drucksache 277 - befaßt. Nach längerer Aussprache hat der Ausschuß einstimmig der Verordnung mit den aus der Anlage sich ergebenden Änderungen zugestimmt. Bonn, den 19. März 1958 Pernoll Berichterstatter
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    Rede von Ernst Lemmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht das Wort ergriffen, um die Replik gegen meine Vorrednerin zu bestreiten.

    (Abg. Majonica: Vorrednerin? Vorleserin! — Gegenruf von der SPD: Immer noch besser als Nachquatscher!)

    Aber da ich nun zufällig als erster nach ihr spreche, möchte ich einige ruhige Bemerkungen dazu machen.
    Es gibt rednerische Entgleisungen, denen wir alle einmal zum Opfer fallen. Keiner von uns wird, wenn er lange im politischen Leben wirkt, behaupten können, daß ihm so etwas nicht unterlaufen sei. Es gibt rednerische Entgleisungen aus der Köstlichkeit überschäumenden Temperaments oder aus tiefer Besorgnis, so wie wir sie gestern von Herrn Kollegen Erler gehört haben, als er den Vergleich mit der Sportpalastversammlung anstellte. Aber ich habe das Gefühl gehabt, es war eine spontane, für ihn entspannend wirkende Äußerung. Wenn man jedoch abliest, ganz kalt, und dann solche Beleidigungen gegen einen großen Teil unseres politisch wirkenden Volkes ausspricht, dann allerdings ist es eine ernste Angelegenheit.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Kliesing [Honnef] : Vorsätzliche Verleumdungen!)

    Ich gehöre zu denen, die vom Religiösen in der Politik keinen Gebrauch machen. Mir widerstrebt es, das, was meinen religiösen Glauben betrifft, in politische Auseinandersetzungen hineinzubringen,

    (Abg. Kalbitzer: Dann sind Sie in der falschen Partei!)

    und niemand von Ihnen wird so etwas aus meinem Munde gehört haben. Aber ich muß doch sagen, wenn man den Satz, man glaube mehr an die Atombombe als an Gott, Menschen entgegenruft, von denen man weiß, daß sie sich bewußt zum christlichen Glauben bekennen, dann ist das eine sehr harte Entgleisung, Frau Kollegin Wessel.

    (Abg. Erler: Und Herr Schneider vorher?)

    — Ich habe es nicht gehört. — Aber sehen Sie, das wirkt um so härter, wenn man vom Glauben an die Atombombe und vom geringeren Glauben an Gott spricht. Dann soll man in seiner Grundkonzeption doch nicht allzu deutlich diejenigen ignorieren, die zwar für die Verteidigung ihres Vaterlandes — wie es verkündet wird — an die Kraft der Atombombe, aber programmatisch nicht an Gott glauben.
    Ich glaube, daß alles, was Frau Wessel gesagt hat, soweit es um das Ethische ging, auch soweit es um die Zitate beispielsweise aus Kundgebungen hoher kirchlicher Stellen ging, in diesem Hause eigentlich gar keinen Widerspruch finden konnte. Auch für mich als evangelischen Christen ist ganz sicherlich eine Meinungsäußerung des Papstes von großer Bedeutung, und ich pflege sie sehr ernst zur Kenntnis zu nehmen. Aber man soll sie dann nicht einseitig in eine Auseinandersetzung hineinziehen, um die es in diesen beiden Tagen geht: um Rüstungsentscheidungen für die Bundeswehr.
    Wir haben da verschiedene Meinungen. Wollen wir doch versuchen, uns nicht zu erregen! Es hat sich herausgestellt, daß es zwischen Regierungslager und Opposition hier eine ganz klare Gegensätzlichkeit gibt. Es entspricht der Demokratie, daß man in wesentlichen Fragen auch verschiedener Meinung sein kann. Aber ich bin der Auffassung, daß es nicht angeht, dann grundsätzlich Auseinandersetzungen hier hineinzutragen, indem man sich nur gegen die eigene, das heißt freie Welt und Gemeinschaft wendet und sich an diese richtet. Ich bin überzeugt, daß, wenn sich der Papst für ein Verbot der Atombombenversuche ausgesprochen hat, das nicht nur für amerikanische, sondern auch für sowjetische Atombomben galt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Eschmann: Klar! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Ja, aber es klingt falsch, wenn es so vorgetragen wird, wie es eben geschehen ist. Und wenn man dann noch dazu eine Vorlesung hält, wo man doch im Kämmerlein wohlüberlegt seine Sätze formuliert hat, dann bin ich der Meinung, muß man so akzentuieren, daß kein Mißverständnis aufkommen kann.

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    Es ist nicht meine Aufgabe — ich habe sogleich über andere Dinge kurz zu sprechen —, mich hier in die Atomdebatte einzuschalten. Ich verstehe überhaupt nichts davon, nur von dem Politischen, wie ich hoffe.
    Aber ich muß sagen, daß immer wieder von allen Sprechern der Opposition eines ignoriert bleibt: daß die Bundesregierung und das Regierungslager in diesem Hause mit der Opposition völlig übereinstimmen in dem Wunsch, daß durch eine allseitige, gleichmäßige, kontrollierte Abrüstung, diese Teufelswaffen aus der Welt geschafft werden.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Weshalb dann zuerst aufrüsten?)

    — Ich komme darauf in einem anderen Zusammenhang noch zu sprechen. — Was wir ablehnen, sind einseitige Vorleistungen.
    Wenn ich hier auf den Bänken der Opposition gute Freunde insbesondere aus Berlin sehe, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß meine Berliner Kollegen auf den Bänken der Opposition anders denken können als ich. Wir, die wir uns in Berlin befinden, haben nicht den Wunsch — meine Damen und Herren, ich darf das jetzt als Berliner sagen —, daß die westliche Welt sich durch Vorleistungen



    Bundesminister Lemmer
    ohne Gewißheit von Nachleistungen unfähig macht, unsere Stadt eines Tages in ihrer freiheitlichen Existenz nicht sichern zu können.

    (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und nun zu der Debatte im ganzen! Meine Damen und Herren, ich unterscheide mich vielleicht von manchen dadurch, daß ich diese Auseinandersetzung bis zu dieser Stunde für ausgezeichnet halte. Wir haben leidenschaftliche und ruhige, wir haben in diesen 48 Stunden hier temperamentvolle und gelehrte Auseinandersetzungen vernehmen können. Aber wir haben die Unruhe gespürt, von der wir, wie ich meine, alle erfaßt sind, die Unruhe, die dadurch zum Ausdruck gekommen ist, daß ohne Verabredung doch augenscheinlich die deutsche Frage im Mittelpunkt der ganzen Auseinandersetzungen steht. Als Ressortminister für gesamtdeutsche Fragen, der ich zwar für die Wiedervereinigungspolitik nicht in erster Linie zuständig bin, kann ich meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß wir uns an der Schwelle des 14. Nachkriegsjahrs augenscheinlich leidenschaftlicher noch als früher über den Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands hier in diesem Hause auseinandersetzen. Das ist ein gutes Zeichen, und das werden auch die Landsleute jenseits der Werra so verstanden haben, daß wir uns, ob wir auf den Bänken der Opposition oder der Regierung sitzen, allerdings so innig und so intensiv mit ihrer Vereinigung mit uns in Freiheit und Sicherheit beschäftigen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    daß auch die Welt in Ost und West an diesem innerdeutschen Tatbestand nicht vorübergehen kann.
    Ich habe den Eindruck, wenn ich mich nicht täusche, im Kern der Gegensätze steht eigentlich folgendes: auf der einen Seite — das ist die verantwortliche Regierung — die Sorge, die absolute Sorge, möchte ich sogar sagen, um die Sicherheit dessen, was ist, und auf der anderen Seite gewiß auch die Sorge um die Sicherheit — sicherlich wird sie geteilt —, aber doch wohl mit einer größeren Bereitschaft, ein gewisses Risiko für das große Anliegen unseres Volkes, die Wiedervereinigung, einzugehen. Das ist der eigentliche Kern der Auseinandersetzung, und da darf ich bekennen — und ich glaube annehmen zu können, mit dieser Meinung bei dem Teil unseres Volkes, der seine Stimme nicht erheben kann, verstanden zu werden —, daß die Sicherheit dessen, was wir mit Recht die deutsche Realität, wenn auch beschränkte Realität, und Teilrealität der Bundesrepublik nennen dürfen, das Wichtigste ist, wenn wir nicht durch eine falsche Weichenstellung das, was besteht, den 53-MillionenStaat in Freiheit und Sicherheit, aufs Spiel setzen. Würde sie durch eine falsche Politik aufs Spiel gesetzt, dann wäre das für unsere Landsleute jenseits der Werra das Ende aber auch der letzten Hoffnung, auf eine andere Entwicklung noch vertrauen zu können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun befinden wir uns hier zweifellos in einem gewissen Dilemma, einmal was die Wiedervereinigung
    betrifft — ich habe das kurz dargestellt —, aber auch was die Vorleistungen betrifft. Man kann natürlich eine Politik empfehlen, durch Vorleistungen eine Atmosphäre zu schaffen, von der man hofft, daß der andere Teil, also in unserem Falle die Sowjetunion, bereit sein könnte, nachzuziehen. Aber wir haben keine Gewißheit, daß durch Vorleistungen eine Änderung der sowjetischen Politik erreicht wird. Darum meine ich, daß durch allzu frühe Vorleistungen — dazu gehören ja viele Probleme, insbesondere auch der Verzicht auf atomare Bewaffnung, über die wir uns hier auseinandersetzen — im Grunde nur der Weg zum Ziel erschwert wird, das wir anstreben.

    (Abg. Dr. Mommer: Wo ist die Vorleistung? — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Lieber Herr Mattick, als Berliner sollten Sie etwas freundlicher zu mir sein.
    Vielleicht darf ich mich einmal etwas gemütlich ausdrücken. Es ist ja in „ganz Deutschland" bekannt, daß ich ein guter Skatspieler bin.

    (Abg. Dr. Kliesing: Bravo!)

    Ich weiß vorn Skat her, daß man den besten Trumpf nicht als Vorleistung zu früh, sondern erst in der entscheidenden Phase ausspielen darf.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Eschmann: Herr Lemmer, beim Skat weiß man aber auch nie, was man im Stock findet!)

    — In der Politik auch nicht! Nein in der Politik wissen wir es beide nicht. Irren ist menschlich!

    (Abg. Dr. Mommer: Es ist hier aber tödlich! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Ja, auch Ihr Irrtum kann tödlich sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Eschmann: Sie können sich in Ihrem Spiel leicht überreizen!)

    Ich möchte noch auf die Fragen eingehen, die an mich in meiner Eigenschaft als Verwalter des Ressorts für gesamtdeutsche Fragen gestellt sind. In der ersten muß ich zu meinem Bedauern wieder eine Meinungsverschiedenheit ansprechen. Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, etwa dem Hause mitteilen zu können, daß sie ihre Haltung gegenüber der Anerkennung oder Nichtanerkennung der sowjetzonalen Regierung geändert habe.
    Ich will kurz begründen, warum wir dazu nicht in der Lage sind. Wir sind der Meinung, daß wir wie bisher an dem Grundsatz — er soll nicht für alle Situationen zum Dogma erhoben werden — festhalten müssen, daß sich die Bundesregierung mit dem Bundestag als die einzige vom echten Willen unseres Volkes legitimierte Repräsentation betrachten darf.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Davon abzuweichen würde eine erhebliche Erschütterung dieses Grundsatzes bedeuten.
    Auf die zweite Frage ist zu sagen, daß eine Kontaktaufnahme von der Regierung in Bonn zur Regie-



    Bundesminister Lemmer
    rung in Ostberlin — es handelt sich nur um unsere innerdeutsche Beziehung; ich gehe auf das in diesem Zusammenhang erwähnte Außenpolitische nicht ein — zweifellos nicht nur die Aufhebung des eben erwähnten Grundsatzes bedeuten würde, sondern zugleich die Sanktionierung der Spaltung unseres Landes. Auch die Bevölkerung jenseits der Werra würde es nicht verstehen, wenn wir ausgerechnet in dieser Situation, angesichts der Krise in der SED, der Verfolgung der Intelligenz — wir sehen die veränderte Struktur des Flüchtlingsstromes seit einigen Wochen; ein geradezu erschütternder Beweis! —, in einem Augenblick, wo ein Paßgesetz zur Drosselung des innerdeutschen Verkehrs geschaffen worden ist, in einem Augenblick, wo Begegnungen Deutscher mit Deutschen unterbunden werden sollen, in biederer Weise, als ob nichts geschehen wäre, den Herren in Ost-Berlin die Hand gäben. Das würde die Bevölkerung nicht verstehen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Mommer: Gegen wen polemisieren Sie? — Gegenruf des Abg. Rasner: Gegen Frau Wessel! — Abg. Eschmann: Wer will das, Herr Lemmer! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Ich komme noch auf die Möglichkeiten, die ich sehe.

    (Abg. Erler: Gegen wen haben Sie eben gesprochen?)

    — Gegen niemanden; nicht gegen Sie.

    (Lachen und Zurufe von der SPD.)

    — Entschuldigen Sie! Ich bin gefragt worden, und habe nicht mit dem Blick auf meinen alten Kollegen Ollenhauer das eben gesagt, sondern mit einem Blick auf den Fragesteller, meinen Freund Johann Baptist Gradl, der die Anfrage der Fraktion begründet hat und mich nun fragt, wie die Regierung dazu steht. Ich glaube, das ist geklärt.

    (Zurufe von der SPD. — Zuruf links: Unmißverständlich!)

    Weil Herr Erler eine durchaus interessante Frage gestellt hat, darf ich ihm in Übereinstimmung mit der Politik der Bundesregierung sagen, daß wir nicht etwa, wenn irgendwann eine Ost-West-Konferenz zur Lösung der deutschen Frage einberufen würde und wenn wir zur Vertretung des deutschen Anliegens eingeladen würden, dann nicht gehen würden, weil auch Ost-Berlin eine Delegation entsendet. Das ist doch ganz selbstverständlich. Aber was wir ablehnen — auch auf einer solchen Konferenz —, wäre etwa, uns zu einer gesamtdeutschen Mannschaft mit diesen Damen und Herren fusionieren zu lassen. Das würden wir ablehnen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Im übrigen würden wir uns auch auf einer solchen Konferenz als die einzige legitime Vertretung des ganzen Deutschland betrachten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Lassen Sie mich zum zweiten Punkt, der Konföderation, ein paar Bemerkungen machen! Ich habe
    bereits in einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung" zum Ausdruck gebracht, daß der Begriff „Konföderation" außerordentlich unklar sei, daß ich mich allerdings niemals damit einverstanden erklären könne, daß Gleiches mit Ungleichem konföderiert würde. Ich habe hinzugefügt: wenn in Ost-Berlin, vielleicht unter der Eingebung der sowjetischen Macht, endlich nach zehn Jahren Passens echte Wahlen stattfänden und die Sozialdemokratie wie die CDU der Bundesrepublik sich an den Wahlen beteiligen könnten — und es würde sauber gewählt —, würden wir uns gar nicht scheuen, mit der aus dieser Wahl hervorgehenden Regierung vorübergehend im Beginn deutscher Wiedervereinigung eine Konföderation einzugehen, — aber nur unter dieser Voraussetzung!

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Da allerdings will ich zugeben, daß es eine theoretische Perspektive ist und nach menschlichem Ermessen kaum angenommen werden kann, daß es wirklich so vor sich gehen könnte.
    Weitere Einwände gegen eine Konföderation, wie sie Moskau und Ost-Berlin vorschlagen, lassen sich aus Erklärungen des meines Erachtens immerhin zweiten Mannes in der sowjetzonalen Regierung, Hermann Matterns, ablesen, auf die schon flüchtig hingewiesen worden ist. Hermann Mattern hat zur Frage der Konföderation am 8. März in Leipzig erklärt — nach dem „Neuen Deutschland" vom 16. März wortgetreu zitiert —:
    Es kommt dabei darauf an, daß die Positionen der Arbeiterklasse in Westdeutschland gestärkt werden, damit diese Konföderation wirklich Schritt für Schritt zu einem Deutschland führt, in dem die Arbeiterklasse die erste Geige spielt und tonangebend ist.
    Ich bin sicher, daß diese Sirenengesänge auf die Sozialdemokratie keinen Eindruck gemacht haben; denn sie weiß wie wir, was die Kommunisten unter der Herrschaft der Arbeiterklasse verstehen. Das ist jedenfalls etwas ganz anderes als meinetwegen das, was in sozialdemokratisch regierten Ländern wie in Skandinavien in Wirklichkeit zu sehen ist.

    (Abg. Kiesinger: Obwohl die Gänsefüßchen verlorengegangen sind!)

    — Jawohl! — Und auch sonst ist Herr Mattern ganz sicher, daß über diese Konföderation eine glückliche Entwicklung für den Sozialismus bereitet werden könnte.
    In der zweiten Rede am selben Tag, zitiert im „Neuen Deutschland" vom 18. März, sagt Mattern:
    Ich kenne keinen Fall in der Geschichte der Arbeiterbewegung, wo die Arbeiterklasse durch den Stimmzettel die Macht erobert hat.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Es ist ganz klar, daß uns alle miteinander in einer solchen Auffassung, wie ich überzeugt bin, eine Welt trennt. Aber das entbindet uns nicht von der Pflicht, diese Blitzlichtaufnahme über das Ziel föderativer Politik im Zeichen der ostzonalen Re-



    Bundesminister Lemmer
    publik hier mit ganzem Ernst zur Kenntnis zu nehmen,

    (Beifall in der Mitte)

    und man muß erwarten, daß das auch in der Bevölkerung geschieht.
    Nun das letzte Zitat zu diesem Kapitel. Das „Neue Deutschland" vom 21. Februar hat sich mit meinem Interview in der Süddeutschen Zeitung beschäftigt. Es sollte in diesem Haus nicht unerwähnt bleiben:
    Nach Lemmers Auffassung sollten wir aus unserem sauberen Haus in eine verwanzte und verlauste Baracke ziehen. Erst wenn wir auch die Läuse hätten, dann wären wir Gleiche unter Gleichen.
    Ich habe mit großer Genugtuung feststellen können, daß Herr Mattern den Sinn meiner Stellungnahme in der Süddeutschen Zeitung offenbar sofort richtig verstanden hat.
    Lassen Sie mich abschließend die dritte Frage kurz behandeln. Ich werde durch den Interpellanten der CDU/CSU-Fraktion danach gefragt, wie wir uns die Entwicklung nach der Wiedervereinigung vorstellten, ob dann etwa eine Politik der Rache gegen bisherige Kommunisten in Mitteldeutschland veranstaltet werden solle. Ich kann mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren — das ist damals nicht genügend beachtet worden —, was die Bundesregierung in ihrer Note vom 2. September 1956 an die Sowjetregierung unter Ziffer 14 ausgeführt hat:
    Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß freie Wahlen in ganz Deutschland, wie sie immer auch ausfallen mögen, nur den Sinn haben dürfen, das deutsche Volk zu einen und nicht zu entzweien. Die Errichtung eines neuen Regierungssystems darf daher in keinem Teile Deutschlands zu einer politischen Verfolgung der Anhänger des alten Systems führen. Aus diesem Grund sollte nach Auffassung der Bundesregierung dafür Sorge getragen werden, daß nach der Wiedervereinigung Deutschlands niemand wegen seiner politischen Gesinnung oder nur, weil er in Behörden oder politischen Organisationen eines Teils Deutschlands tätig gewesen ist, verfolgt wird.
    Ich glaube, zu dieser Auffassung, die in diesem Dokument der Bundesregierung niedergelegt ist, bekennen wir uns auch heute und in Zukunft ohne jede Einschränkung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich will nicht verhehlen, daß dem Minister für die Fragen des deutschen Nebeneinander- oder Zusammenlebens das Herz in dieser Zeit schwer ist. Es bedurfte nicht der Ausführungen in der Diskussion, um mich wissen zu lassen, daß wir uns im Augenblick in der Wiedervereinigungspolitik zweifellos in einem politischen Tief befinden. Aber es wäre völlig verfehlt und würde bedeuten, daß man die Dynamik der Politik als solcher nicht begreift, nun etwa annehmen zu wollen, daß eine solch temporäre Stagnation unserer Bemühungen, zur deutschen Wiedervereinigung zu kommen, nun auch als Hypothek für eine längere Zukunft mit getragen werden müßte. Ich bin vielmehr — und ich bekenne das besonders auch vor unseren Landsleuten drüben — fest davon überzeugt, daß, wenn an der Realität der Bundesrepublik nicht gerüttelt wird, die weltpolitische Entwicklung zwangsläufig zur Entspannung und zugleich damit zur Lösung der deutschen Frage führen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Bis dahin haben wir freilich alles zu tun, um dafür zu sorgen — und ich rufe zur Mitarbeit alle in unserem Volke auf, nicht nur die Bürger, die im Regierungslager stehen, nicht nur die Behörden, sondern alle —, daß in der Zwischenzeit bis zur Realisierung der staatlichen Wiederherstellung ganz Deutschlands alles geschieht, um bei der staatlichen Trennung wenigstens die Einheit unseres Volkes aufrechtzuerhalten. Darum hat die Bundesregierung die Tore geöffnet. Für uns existiert keine Demarkationslinie, soweit es um die Freizügigkeit des Verkehrs deutscher Menschen in ihrer deutschen Heimat geht.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wenn angesichts des trüben Paßgesetzes, das wahrlich nicht in diese Zeit hineingehören dürfte, der innerdeutsche Besucherverkehr in den ersten beiden Monaten dieses Jahres im Vergleich zu derselben Zeit im Vorjahre um 60% zurückgegangen ist, so nicht deshalb, weil das Bedürfnis geringer geworden ist, daß sich deutsche Menschen begegnen, sondern weil es ein Regierungssystem gibt, das aus Minderwertigkeitskomplexen und aus schlechtem Gewissen sich bemüht, die Freiheit des deutschen Verkehrs zu unterdrücken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Kliesing.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Georg Kliesing


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abgeordnete Frau Wessel hat es für richtig befunden, sich unter Herausstellung ihres katholischen Christentums zur Begründung ihrer politischen Einstellung auf Pius XII. zu berufen. Sie werden es verstehen, wenn ich sage, daß ich als katholischer Christ nur mit sehr großem Zögern und außerordentlichen Bedenken bereit bin, ihr auf diesem Wege zu folgen. Aber ich halte es für meine Pflicht, das zu tun, weil Frau Wessel nach meiner Überzeugung hier in einer Art zitiert hat, die die Auffassungen des Heiligen Vaters nicht objektiv und daher innerlich unwahrhaftig wiedergibt. Ich glaube, daß das nicht der Würde und der Autorität entspricht, die Äußerungen des Heiligen Vaters zu derartig wichtigen Fragen im katholischen Raum erheischen.

    (Abg. Dr. Mommer: Was das mit § 36 zu tun hat, weiß ich nicht!)

    Lassen Sie mich meinen Vorwurf, den ich gegen Frau Wessel erhebe, mit zwei Zitaten belegen, die
    980 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode —19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1958
    Dr. Kliesing (Honnef)

    Frau Wessel bewußt der Öffentlichkeit vorenthalten hat. Ich sage „bewußt" deshalb,

    (Zuruf von der SPD: Wieder eine Unterstellung!)

    weil sie sich in der gleichen Quelle — nämlich der Herder-Korrespondenz — befinden, die Frau Wessel hier angegeben hat.

    (Zurufe von der SPD: Das ist doch keine persönliche Erklärung!)

    Bei dem ersten Zitat handelt es sich um ein Zitat aus der Ansprache des Heiligen Vaters vom 30. September 1954 an die Teilnehmer des 8. Ärztlichen Kongresses. Es heißt dort folgendermaßen:
    Ist der moderne totale Krieg, besonders der ABC-Krieg, grundsätzlich erlaubt? Es kann kein Zweifel darüber bestehen, namentlich wegen der Schrecken und unerläßlichen Leiden, die durch den modernen Krieg hervorgerufen werden, daß es ein der strengsten nationalen und internationalen Sanktionen würdiges Verbrechen darstellt, ihn ohne gerechten Grund zu entfesseln, d. h. ohne daß er durch ein evidentes Unrecht von äußerster Schwere, das auf andere Weise nicht verhindert werden kann, aufgezwungen ist.

    (Abg. Schmidt [Hamburg] : Das ist doch eine Diskussionsrede!)

    Man kann auch die Frage nach der Erlaubtheit des Atomkrieges, des chemischen und bakteriologischen Krieges grundsätzlich nur für den Fall stellen, daß er als unvermeidlich zur Selbstverteidigung unter den angegebenen Bedingungen beurteilt wird.