Falls Sie den Herrn Bundeskanzler genau zitiert haben, darf ich Ihnen immerhin darauf erwidern, daß sich daraus, wie ich in meinen weiteren Ausführungen darlegen werde, eine Politik ergibt, die dazu führt, den Krieg durch Abschreckung zu verhindern. Zur Abschreckung aber braucht man Waffen.
Wir müssen erneut die Frage stellen, ob es eine sowjetische Bedrohung gibt oder nicht, und wir würden gern eine klare Antwort aus dem Munde eines der nächsten sozialdemokratischen Redner hören.
Ich bin in diesem Zusammenhang sehr bedenklich, daß die Herren der SPD doch offenbar die Gefahr der Sowjetunion verniedlichen, auch indem sie den prinzipiellen Unterschied zwischen der Politik der Sowjets und der Politik der Westmächte gar nicht erkennen. Wenn hier der Kollege Erler die Schuld für das Scheitern der Abrüstungsverhandlungen nicht nur der Nation feststellt, die mit ihren Satelliten tatsächlich allein Schuld trägt — der Sowjetunion, die nämlich den Vorschlag der Vereinten Nationen allein abgelehnt hat —, sondern auch noch eine Schuld der USA konstruieren will, wenn er damit die USA und die Sowjetunion international sozusagen moralisch auf die gleiche Ebene stellt, so muß ich sagen: da ist eine Blindheit für die Wirklichkeit der Welt vorhanden und auch eine Blindheit für die Wertordnung, die in beiden Staaten vertreten wird, die mich ebenso mit Sorge erfüllt wie das in seiner Rede und vielleicht noch mehr in einigen Zwischenrufen anderer Redner — Herr Mommer rief z. B., auch das US-Volk werde belogen; offenbar von seiner Regierung — doch langsam hervorkommende antiamerikanische Ressentiment, das wir Deutsche uns nicht leisten dürfen und zu dem auch kein Grund besteht.
Ebenso unverständlich ist mir der Satz, den Herr Kollege Erler gestern abend gesprochen hat: mit Erpressung sei die deutsche Frage nicht zu lösen. Abgesehen davon, daß gar niemand die deutsche Frage mit Erpressung lösen will, frage ich: Wer erpreßt denn seit zwölf Jahren? Erpreßt die kleine Bundesrepublik die große Sowjetunion? Ober treibt die Sowjetunion nicht ein schauriges Spiel mit der Freiheit von 17 Millionen deutscher Männer und Frauen?
Auch wegen der Wiedervereinigung ist es erforderlich, daß wir gesichert und geschützt sind, daß wir diese Bastion erhalten, von der aus die Wiedervereinigung allein möglich ist, das freie westliche Deutschland.
Ich darf auch hier den Kollegen Erler zitieren. Ich werde einmal nicht ein Zitat aus einer zurückliegenden Zeit von drei oder vier Jahren bringen, etwa Zitate, wo er sich für die allgemeine Wehrpflicht und dergleichen ausgesprochen hat; denn da hat ja nun seine Partei eine Kehrtwendung vollzogen.
Vielmehr zitiere ich ganz neu. Uns wurde gestern vorgeworfen, wir läsen nur die „Neue Zürcher Zeitung".
— Auch den Rheinischen Merkur", zwei der besten Zeitungen, die es überhaupt gibt.
Aber ich lese mitunter auch — vielleicht muß ich sagen: leider meistens — zweitbeste Zeitungen, z. B. die „Neue Gesellschaft". In dieser „Neuen Gesellschaft", und zwar im Januar/Februar-Heft dieses Jahres — das ist also sozusagen noch ganz warm —, schreibt der Herr Kollege Erler:
Es wäre sicherlich nützlich, wenn der kommende Parteitag in Stuttgart auf diesem Gebiet
— er meint die Verteidigung —
etwa noch bestehende Unklarheiten eindeutig ausräumen würde.
Wahrhaftig, es wäre sehr erstrebenswert!
Er schreibt zwar nur von „etwaigen" Unklarheiten, das will ich also bemerken, aber für uns sind es wirkliche Unklarheiten.
— Wir haben nun schon sechs oder sieben Jahre drauf gewartet!
— Das ist nicht sehr höflich, aber ich nehme es hin.
— Weiter:
Das ist um so erwünschter, als eine kraftvolle Wiedervereinigungspolitik nach Osten
— ich zitiere wieder Herrn Erler —
desto leichter geführt werden kann, je überzeugender der Bevölkerung durch das praktische Verhalten in den Aufgaben der Sicherung der Bundesrepublik bewiesen wird, daß damit nicht etwa unser Volk dem sowjetischen Einfluß schutzlos ausgeliefert werden soll.
Ostpolitik und Verteidigung bedingen einander.
So sagt Herr Erler.
Ich freue mich besonders, daß hier nicht nur von der Sicherheit eines wiedervereinigten Deutschland gesprochen wird, sondern auch von der Notwendigkeit, die Sicherung dieser Bundesrepublik zu garantieren.
952 Deutscher Bùndestag — 3. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1958
Dr. Jaeger
Nun warte ich auf das „praktische Verhalten in den Aufgaben der Sicherung der Bundesrepublik" auf der Seite der Sozialdemokratischen Partei.
— Herr Kollege Erler, an Spielen denkt kein Mensch! In dem Zeitpunkt meiner Rede, wo Sie auf den hinteren Bänken gesessen und, wie Sie gesagt haben, genau zugehört haben, habe ich sogar gesagt, daß die deutschen Offiziere nicht einmal den Schlüssel dazu haben. Ich weiß jetzt nicht, ob Sie den Amerikanern Spielerei auf diesem Gebiet vorwerfen wollen. Aber angesichts des Ernstes dieser Bomben würde ich doch nicht von Spielerei reden. Die Zeiten, wo man Soldat spielte, wie man das früher nannte, sind weiß Gott vorbei, wenn es sie überhaupt gegeben hat.
Nun, meine Damen und Herren, wir waren eigentlich nach den Ausführungen der Herren Kollegen Erler und Carlo Schmid so weit, einstimmig festzustellen, daß man taktische Atomwaffen braucht. Es erhebt sich dann die weitere Frage: genügt es, wenn die anderen diese taktischen Atomwaffen haben, so daß wir Deutschen sie nicht brauchen? Es wurde das Wort von dem Heiligen Florian, der das andere Haus anzünden solle, in dieser Debatte schon gebraucht. Hieran erinnert diese Frage allerdings.
In einer Verteidigungsgemeinschaft ist das Risiko für alle da; es ist gleich so, daß sich keiner heraushalten, sich davon ausnehmen kann. Auch der NATO-Vertrag sieht gleichmäßige Leistungen aller Mitglieder vor. Daraus folgt die Notwendigkeit einer gleichmäßigen Bewaffnung.
Ich bitte Sie aber doch zu bedenken, daß wir Deutschen noch einen besonderen Grund haben, das Notwendige zu tun, weil wir ja immerhin eher „dran sind" als jede andere Nation, wenn es zu einer Auseinandersetzung örtlicher oder globaler Art kommen sollte.
Jetzt bitte ich Sie, einmal zu überlegen, was passieren wird. Die Planungen der NATO sehen 30 Divisionen vor. Hier im SPD-Wehrgutachten steht es auch, es ist also gar keine Neuigkeit. 12 davon sollen deutsche, 18 sollen alliierte sein. Wenn jetzt die 18 Divisionen der Alliierten taktische Atomwaffen haben und die 12 Divisionen der deutschen Bundesrepublik haben sie nicht, dann weiß der Gegner, wo er seinen Schwerpunkt bilden und wo er die Front durchbrechen muß.
Weil er es weiß, kann er es auf den Krieg ankommen lassen. Wenn er weiß, daß eine solche Schwerpunktbildung sinnlos ist, weil auch die deutschen Soldaten gleiche Waffen haben, dann wird er es auf einen Krieg hoffentlich nicht ankommen lassen.