Rede:
ID0301900600

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Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 10
    1. Herr: 1
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 19. Sitzung Bonn, den 21. März 1958 Inhalt: Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung des deutschen Zolltarifs 1958 (Drucksache 277); Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksache 292) 917 B Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238); 917 B Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) . . . 917 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . . • 917 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 929 D, 944 D Wehner (SPD) 930 A Dr. von Brentano, Bundesminister . 945 D Dr. Jaeger (CDU/CSU) 947 C Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . . 959 C Frau Wessel (SPD) 964 D Lemmer, Bundesminister 976 A Dr. Kliesing (CDU/CSU) (§ 36 GO) 979 D Erler (SPD) (§ 36 GO) . . . . . . 980 C Dr. von Merkatz (DP) 981 A Döring (Düsseldorf) (FDP) 988 A Dr. Bucerius (CDU/CSU) . . . . . 996 C Strauß, Bundesminister 1003 C Nächste Sitzung 1012 C Anlagen • 1013 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1958 917 19. Sitzung Bonn, den 21. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9 Uhr.
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 12. 4. Dr. Atzenroth 21. 3. Dr. Baade 21. 3. Bazille 1. 4. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Blachstein 29. 3. Dr. Böhm 21. 3. Conrad 18. 4. Cramer 21. 3. Euler 21. 3. Felder 31. 3. Frau Friese-Korn 31. 5. Funk 21. 3. Dr. Furler 21. 3. Frau Dr. Gantenberg 21. 3. Geiger (München)* 21. 3. Gottesleben 8. 4. Graaff 22. 3. Dr. Greve 22. 3. Heiland 31. 3. Hellenbrock 24. 3. Dr. Höck (Salzgitter) 31. 3. Höcker 15. 4. Frau Dr. Hubert 12. 4. Illerhaus* 21. 3. Jahn (Frankfurt) 29. 3. Jürgensen 31. 3. Frau Kipp-Kaule 29. 3. Dr. Kopf* 21. 3. Kroll 21. 3. Kunst 21. 3. Kunze 15. 5. Lenz (Trossingen) 29. 3. Dr. Lindenberg* 29. 3. Lücker (München)* 21, 3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Mauk 21. 3. Mellies 25. 4. Müller (Worms) 22. 3. Neumann 12. 4. Dr. Oesterle° 21. 3. * für die Teilnahme an der Tagung der Versammlung der Europäischen Gemeinschaften. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Paul 30. 4. Pelster 1. 4. Pütz 22. 3. Rademacher 21. 3. Ramms 31. 3. Scheel* 21. 3. Schneider (Hamburg) 31. 3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 3. Dr. Starke 22. 3. Frau Dr. Steinbiß 29. 3. Struve 22. 3. Dr. Vogel 22. 3. Vogt 12. 4. Dr. Wahl 21. 3. Walter 21. 3. Wehr 31. 3. Weinkamm 29. 3. Dr. Will 21. 3. Dr. Zimmermann 6. 5. b) Urlaubsanträge Diel (Horressen) 19. 4. Anlage 2 Drucksache 292 Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über den Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1958 (Montafoner Braunvieh usw.) (Drucksache 277) Berichterstatter: Abgeordneter Pernoll Der Außenhandelsausschuß hat sich in seiner Sitzung vom 19. März 1958 mit dem Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1958 (Montafoner Braunvieh usw.) - Drucksache 277 - befaßt. Nach längerer Aussprache hat der Ausschuß einstimmig der Verordnung mit den aus der Anlage sich ergebenden Änderungen zugestimmt. Bonn, den 19. März 1958 Pernoll Berichterstatter
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    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Abgesehen davon, daß eine Schlittenfahrt auch ganz munter sein kann, Herr Präsident.

    (Heiterkeit in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren! Ich sage noch einmal: Die Herausforderungen in der ganzen Welt rechtfertigen es, all das in die Erinnerung zurückzurufen. Wenn es jemanden in Deutschland gibt, der sich anmaßt oder der glaubt, daß bei der Darstellung beispielsweise der Tatsachen übertrieben werde, daß in den letzten Jahren, seitdem unsere Brüder und Schwestern in Unfreiheit in der Zone zu leben gezwungen sind, Hunderte und Tausende einfach von der Bildfläche verschwunden sind, nachdem es morgens an der Tür klopfte, dann haben ich und meine Freunde von der DP hierfür kein Verständnis mehr.
    Wir haben auch kein Verständnis dafür, daß der Kollege Arndt gestern von dieser Stelle aus wieder das alberne, ich kann nur sagen: das alberne Wort von der Politik der Stärke gesprochen hat.

    (Zurufe von der SPD.)

    Wie oft ist in diesem Hause bereits von verantwortlicher Seite festgestellt worden, daß es sich ausschließlich um eine Politik der Selbstbehauptung und des Selbstbehauptungswillens handelt, die wir in den letzten Jahren betrieben haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe nicht die Aufgabe, hier den Bundesminister Strauß zu verteidigen. Er wird sicher selbst noch zu den Dingen Stellung nehmen, die es wert sind, erwähnt zu werden. Aber die Kritik, die der Kollege Maier von der FDP gestern an seine Ausführungen bzw. an seine Person gelegt hat, indem er davon sprach, daß hier ein Kriegsminister gesprochen habe, und die Tatsache, daß hier ein führender Mann der FDP-Fraktion sagte, das sei eine kriegslüsterne Rede gewesen, sind bedauerlich

    (Zurufe von der FDP)

    und bringen Sie in die Nähe des Jargons der sowjetzonalen Presse.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich darf dieses Haus wohl darauf hinweisen, daß auch die Freien Demokraten die Politik der vergangenen Jahre mitverantwortlich getragen haben und daß sie heute nicht gut daran tun, den Kopf aus der Schlinge ziehen

    (Lachen bei der SPD)

    bzw. sich der Verantwortung entziehen zu wollen,

    (Beifall bei der SPD)

    die Sie in der Tat auf sich genommen haben.
    Ich stelle fest, meine Damen und Herren, daß es Herr D r. Dehler war, der laut Radio Frankfurt am 27. Januar 1957 gesagt hat: Es ist nicht wahr, daß die deutsche Bewaffnung, diese selbstverständliche Verpflichtung jedes Volkes, das sich nicht selbst zum Untergang bestimmt, die deutsche Wiedervereinigung ausschlösse. Es ist eine weitere Tatsache — man kann natürlich aus der Vielzahl



    Schneider (Bremerhaven)

    des Materials nur weniges zitieren —, daß in der „Weltwoche" auf die Frage in einem Interview: „Halten Sie die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte nach wie vor für notwendig?" Herr Dr. Dehler eindeutig mit Ja geantwortet hat.

    (Hört! Hört! in der Mitte. — Zuruf von der FDP: Sind Sie der Putzlumpen für die CDU?)

    Aber, meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen auch sagen, was Herr D r. Schumacher, der hochverehrte sozialdemokratische Oppositionschef, zu dieser Frage einmal gesagt hat.

    (Große Unruhe. — Abg. Wehner: Herr Schneider, erinnern Sie sich an den Prozeß? — Weitere Zurufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten.)

    Dr. Schumacher meinte, die Diskussion über einen deutschen militärischen — —

    (Zurufe von der SPD)

    — Ich kann mir vorstellen, daß Sie nicht gern an das erinnert werden, was Ihr verstorbener Parteivorsitzender gesagt hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren, nachdem die Sozialdemokraten mich hier nicht frei und in Ruhe sprechen lassen, denke ich nicht daran, eine Zwischenfrage zuzulassen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Denken Sie an den Prozeß!)

    Dr. Schumacher meinte, die Diskussion über einen deutschen militärischen Beitrag kranke entscheidend daran, daß sie ohne die Fixierung absolut fester Voraussetzungen und ohne die Rücksicht auf die möglichen Gefahren für das deutsche Volk geführt werde. Es soll nicht wieder an das Wort Schumachers vom So-stark-Machen des Westens, daß er die erste Schlacht an der Weichsel schlagen könnte, erinnert werden. Ab und zu ist das Temperament einmal mit ihm durchgegangen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Aber immerhin, fest steht, daß diese Äußerungen getan sind, auch wenn es noch so unpopulär ist, über diese Dinge zu sprechen.
    Wir sind froh, daß wir durch die Politik, die wir getrieben haben, in Freiheit leben und auch in Freiheit sprechen können.

    (Abg. Ehren: Und die da drüben schimpfen dürfen!)

    Ich sage Ihnen für die Deutsche Partei: Sie mögen über die NATO denken, wie Sie wollen, — solange es nichts Besseres gibt, bleiben wir drin.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe gestern gehört, daß ein Sprecher der Sozialdemokraten gesagt hat, man müsse in der NATO eine bessere Politik zur Debatte stellen. Meine Damen und Herren, damit sind wir grundsätzlich einverstanden. Diese bessere Politik sollte man nicht nur in der NATO, sondern allenthalben in der Welt zur Debatte stellen. Ich glaube, daß die Art und Weise, in der der deutsche Regierungschef auf der Pariser NATO-Konferenz seine Ausführungen gemacht hat, ein Beweis dafür gewesen ist, wie man einem solchen Instrument, das unter ganz anderen Aspekten zustande gekommen ist, auch einen ausgesprochen politischen Akzent geben kann, — worüber wir alle sehr glücklich waren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber wir wehren uns dagegen, daß von bestimmter politischer Seite die Tatsachen verdreht und die Dinge so hingestellt werden

    (Zuruf von der CDU/CSU: Von welcher?)

    — ich habe vorsichtshalber nur gesagt „von bestimmter" —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie doch, von welcher!)

    als ob wir uns diesem Bündnis angeschlossen hätten, weil wir gar nichts Besseres zu tun haben, als unser Geld auszugeben und Unbequemlichkeiten freiwillig auf uns zu nehmen. Ich glaube, daß ich hierüber schon deutlich genug gesprochen habe.
    So sehr Sie teilweise dagegen sein mögen, meine Damen und Herren: wir werden jedenfalls nicht locker lassen, jeden Bürger unseres Staates aufzurütteln und immer wieder aufzurütteln und ihn daran zu erinnern, daß wir heute in Freiheit leben und sprechen können, daß wir Wert darauf legen, es weiter tun zu können, und daß wir nicht daran denken, der Unruhe des deutschen Herzens nachzugeben, das offenbar schon wieder irgend etwas anderes haben muß, weil dieser Zustand bereits wieder zu lange dauert und weil es schon wieder so selbstverständlich geworden ist, daß wir das alles haben. Hinfort mit der Trägheit aus dem westdeutschen Volk!
    Durch Gelübde und Gebete allein ist noch kein Krieg verhindert worden. Ich erinnere Sie daran, wie Hitler 1939 marschierte, weil er annehmen konnte oder annehmen mußte, daß der Westen den Polen nicht zu Hilfe eilen würde. Das ist nur ein , aber ein sehr markantes Beispiel für das, was sich in den letzten Jahrzehnten zugetragen hat, wenn eine Nation nicht wachsam und bereit war. Sie emotionieren sich so darüber, daß auch wir an der Politik der sogenannten Abschreckung zur Erhaltung nicht etwa des militärischen Gleichgewichts, sondern zur Erhaltung des Friedens schlechthin teilnehmen. Vielleicht haben Sie auch schon einmal darüber nachgedacht, daß man eine solche Politik der Abschreckung auch als ein Faustpfand in der Hand bei Verhandlungen betrachten kann.
    Wir sind uns mit Ihnen allen darüber einig, und es wird von niemandem bestritten, daß die Abrüstung und Entspannung — und zwar eine kontrollierte Abrüstung und Entspannung — die Grundvoraus-



    Schneider (Bremerhaven)

    setzung für die Lösung aller Probleme und aller strittigen Fragen in der Welt und speziell auch Deutschlands sind. Aber man muß sich dabei im klaren sein, daß wir keine Entspannung und auch keinen Frieden — und der ist das letzte und wichtigste oder, wenn Sie wollen, das erste und wichtigste — bekommen werden, wenn nicht gewisse Politiker des Auslands einsehen, daß es mit einem geteilten Deutschland im Herzen Europas eine Entspannung und einen Frieden niemals geben kann.

    (Beifall rechts.)

    Ich glaube, daß die deutschen Parteien — die größeren Parteien — vielleicht etwas aneinander vorbeireden, wenn die einen sagen: Ihr dürft nicht diese Bewaffnung nehmen — und dabei nur an das Gewissen appellieren --, und die anderen sagen: Wir müssen sie aber nehmen, weil die Lage so schrecklich ist, und dabei natürlich auch an ihr Gewissen denken. Nein, wir müssen beides tun, meine Damen und Herren. Wir müssen wachsam und bereit sein. Wir müssen leider, leider, leider die materiellen Opfer dafür auf uns nehmen. Aber wir müssen auch bereit sein, diese Wachsamkeit und Bereitschaft und diese Sicherheitsvorkehrungen gegebenenfalls zum Verhandlungsobjekt zu machen — natürlich nur in einem Umfang, der uns selbst unsere Sicherheit weiterhin garantiert und der auch den anderen, unseren Verhandlungspartnern, ein entsprechendes Maß an Sicherheit gewährleistet. Hier, glaube ich, sollten die Fronten etwas in Fluß gebracht werden. Das eine tun und das andere nicht lassen!

    (Beifall bei der DP.)

    Wir sollten den Russen sehr eindringlich vorstellen, daß wir mit den Vorschlägen, die sie bisher in bezug auf die deutsche Wiedervereinigung gemacht haben, oder mit den Ablehnungen, die Herr Chruschtschow und andere Sowjetführer ausgesprochen haben, weder Frieden noch Entspannung noch Freundschaft miteinander gewinnen werden.
    Aber fir sollten auch nicht nachlassen, dem Westei, immer wieder zu sagen, daß wir seine Unterstützung bei der Lösung der Frage der deutschen Wiedervereinigung erwarten; denn der Westen muß sich auch darüber im klaren sein, daß es sein legitimes Interesse ist, daß dieses unruhige Gebilde im Herzen Europas verschwindet. — „Unruhig" bitte ich nicht falsch zu verstehen, ich meine einfach die Unruhe, die davon ausgeht, daß hier ein Land geteilt ist. Wenn dieser Zustand nicht verschwindet, könnte eines Tages unter Umständen die Gefahr bestehen, daß sich die Deutschen anderweitig orientieren. Das ist eine Gefahr, in die wir niemals kommen dürfen. Bei der Abwendung dieser Gefahr können und müssen uns unsere Freunde zur Seite stehen, damit wir wenigstens diesen Teil unseres Vaterlandes als freiheitlichen Teil behalten können.
    Es muß auch gesagt werden, daß es heute eine deutsch-russische Entspannung überhaupt nur bedingt geben kann, weil die Frage der Entspannung heute so in das Weltkonzert eingebettet ist und die Probleme so kompliziert sind, daß es eben nicht nur damit getan ist, ein freundliches Wort mit dem
    Botschafter dieser oder jener Macht zu wechseln. Allerdings wünschte ich manchmal, daß wir mit gewissen Botschaftern öfter freundliche Worte wechselten.
    Das alleine bedeutet nicht Freundschaft oder gute Nachbarschaft, daß man einmal lose miteinander spricht. Aber ich darf vielleicht darauf verweisen, daß wir mit die ersten waren, die gefordert haben, kein Tabu in einem Gespräch mit den Russen oder gar auch mit gewissen Ostblockstaaten zu sehen. Diese Forderung, die mein Freund von Merkatz schon vor Jahren in Lüneburg aufgestellt hat, möchte ich wieder aufgreifen.
    Es ist manchmal etwas schwierig, die Tabus in der Bundesrepublik zu beseitigen. Deswegen muß man sie mutig anpacken und mutig darüber sprechen, wie man nachher auch den Mut haben soll, mit anderen zu sprechen. Wir sind jedenfalls überzeugt, daß auch den Russen daran gelegen sein muß, von einem Gürtel freundschaftlich verbundener Nationen und nicht von einem Gürtel potentieller Gegner umgeben zu sein.
    Allerdings muß den Russen — das erfordert ihre Mentalität — auch mit aller Deutlichkeit klargemacht werden, daß auch sie sich hinsichtlich ihrer Forderungen und daß sie ihrem übertriebenen Propagandabedürfnis Beschränkungen auferlegen müssen. Wir müssen ihnen klarmachen, immer wieder klarmachen — auch das ist schon zu sehr in Vergessenheit geraten —, daß sie es waren, die in San Franzisko mit die UN-Charta unterschrieben haben, daß es ohne das Selbstbestimmungsrecht der Völker — und zwar für alle — auch keinen Frieden und keine Entspannung geben kann. Ich glaube, daß dies ein Punkt ist, in dem sich das ganze Haus einig ist. Dieses Selbstbestimmungsrecht muß für unser Volk immer und immer wieder gefordert werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir können den Sowjetführern nicht oft und nachdrücklich genug klarmachen, daß sie eines Tages dieses Selbstbestimmungsrecht hergeben müssen. Wir müssen das insonderheit in einem Moment klarmachen, wo es auf eine sogenannte Gipfelkonferenz zuzugehen scheint. Scheint, meine Damen und Herren! Denn noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Aber gleich, wie die Tagesordnung aussehen oder wie der Streit um die Tagesordnung dieser Konferenz ausgehen mag, eines steht fest: die Lösung der verworrenen weltpolitischen Probleme wird nicht nur diese eine Konferenz, sondern nach unserer Auffassung eine Serie großer Konferenzen erfordern. Wir wären zufrieden und glücklich, wenn auf der ersten wenigstens schon technische Probleme weitgehend eine Lösung finden könnten.
    Wir sind uns darüber im klaren, daß die Probleme, die uns und die anderen betreffen, mit einer Gipfelkonferenz nicht etwa aus der Welt geschafft sind. Wir müssen unserer Bevölkerung mit aller Deutlichkeit sagen, daß es jahrelanger, zäher Verhandlungen bedarf; denn wir haben es mit einem zähen Gegner zu tun. Wir müssen ihr auch sagen, daß der Friede und die Freiheit nicht von heute auf morgen gewonnen sind. Wir sind jedenfalls bereit, diese



    Schneider (Bremerhaven)

    jahrelangen Verhandlungen in Kauf zu nehmen; denn es ist eine alte Weisheit, daß, solange geredet oder verhandelt wird, nicht geschossen wird.
    Bis dahin, bis zu einer sich wenigstens in etwa abzeichnenden Lösung für Entspannung und Frieden müssen wir, wie ich schon sagte, Wachsamkeit und Bereitschaft üben. Wir werden demnächst in diesem Hause Gelegenheit haben, eine Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion, die sich mit den Verteidigungslasten unseres Bundeshaushalts befaßt, zu behandeln. Meine Damen und Herren, ich sagte vorhin schon, die Freiheit kostet Geld, und wenn sie keines mehr kostet, dann sind wir in der Unfreiheit.

    (Zurufe von der SPD.)

    Was sind das für Politiker, die aus berechtigtem Oppositionsbedürfnis der Regierung und der Öffentlichkeit zwar vorrechnen wollen, wie tief wir in den Säckel greifen müssen, die es aber nicht unterlassen können, gleichzeitig auch parteipolitische Interessen bei der Erörterung eines solchen Themas zu fördern! Das ist keine verantwortliche Politik. Die Wünsche der Völker bezüglich der Bequemlichkeiten und der Unbequemlichkeiten, die man tragen oder nicht tragen will, die Wünsche der Völker bezüglich des Tempos, in dem sich der Lauf der Welt bzw. der Lauf der Politik entwickelt, sind nun einmal mit den realen Gegebenheiten nicht immer in Einklang zu bringen. Soweit, glaube ich, die überwiegende militärisch-politische Realität.
    Ich darf nun zur Politik kommen. Da trage ich fast Eulen nach Athen, wenn ich sage, daß das deutsche Volk aus der Erkenntnis dessen, was im Lande war und was mit den anderen war, und aus der Wertung dessen, was wir nach dem Kriege erlebt haben, wie kein anderes Volk berufen ist, für den Frieden, für eine Politik des Friedens, der Freundschaft und der Verständigung mit allen Völkern, auch mit dem russischen Volke, zu stehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sollten es nicht unterlassen, der Öffentlichkeit immer wieder klarzumachen, daß wir eine Politik fest im Grundsatz betreiben. Wir sollten unseren politischen Gegnern nicht das Feld lassen, zu behaupten, daß wir nicht geschmeidig genug in der Methode oder in der Taktik seien. Nicht nur wir, sondern der ganze Westen muß sich auch etwas mehr der Taktik der Russen anpassen, wenn er zum Erfolge kommen will.
    Meine Damen und Herren, ich befinde mich hier in der angenehmen Gesellschaft führender Männer der Koalition, wenn ich sage, daß wir ruhig sogar im Westen insgesamt etwas aktiver werden sollten und daß wir Masurka auflegen sollten, wenn Herr Chruschtschow Krakowiak tanzen will.

    (Abg. Eschmann: Stellen Sie sich die Mischung einmal vor! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Die Hauptsache, es wird überhaupt getanzt, Herr Kollege Eschmann.
    Ich glaube, daß in diesem Zusammenhang ein Wort zur Arbeit des Auswärtigen Ausschusses auch aus den Reihen der Regierungsfraktion selbst gestattet ist. Wir wünschen, daß der Auswärtige Ausschuß in Zukunft aktiver wird als in der Vergangenheit. Die vielen Noten, Vorschläge, Diskussionsgrundlagen, Pläne, Briefe, und was an derlei Dingen heute ins Haus kommt, machen es einfach erforderlich, daß wir alle gemeinsam von links bis rechts im stillen Kämmerlein diese Dinge miteinander besprechen und nach Ansätzen für eine gemeinsame Politik suchen, wobei ich gern das Wort eines bekannten Parlamentariers dieses Hauses wiederhole, daß es weniger auf die Gemeinsamkeit als auf die Richtigkeit der Politik, auch einer solchen gemeinsamen Politik ankomme.
    Aber auch an die Regierung möchte ich ein Wort richten. Meine politischen Freunde haben gestern mit Erstaunen vernommen — sie hatten es vorher allerdings auch schon in der Zeitung gelesen —, daß der Herr russische Botschafter über Themen, die er mit dem Regierungschef bzw. dem verantwortlichen Minister erörtert hat, auch mit Mitgliedern dieses Hauses gesprochen hat.

    (Abg. Wienand: Darf er das nicht?)

    Nun sind wir die allerletzten, die etwa das Licht des Parlaments unter den Scheffel stellen wollten, aber ich möchte doch feststellen, daß diese Prozedur ungewöhnlich ist, und die Bundesregierung namens der Deutschen Partei bitten, daß sie den Botschafter der UdSSR

    (Abg. Wehner: Und der USA!)

    — und gegebenenfalls auch andere —

    (Abg. Wienand: Nennen Sie die anderen!) nicht in Gefahr bringt, die herkömmlichen Spielregeln der Diplomatie zu verletzen.


    (Beifall bei der DP. — Zurufe von der SPD und von der Mitte. — Abg. Wienand: Der diplomatische Knigge von Schneider!)

    (Lachen bei der SPD. — Abg. Wienand:
    „Benutzen"!)
    Wir sollten auch unseren eigenen Botschafter in Moskau — —

    (Abg. Wienand: Was Sie nicht alles benutzen! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Wenn ich Ihnen einmal vorrechnen wollte, wie
    oft Sie sich schon versprochen haben, Herr Wienand, so würde das überhaupt kein Ende finden.
    Ich glaube, wir sollten alle Mittel benutzen, um ins Gespräch zu kommen. Ein Gespräch ist immer geeignet, Mißverständnisse und Spannungen zu beseitigen. In diesem Zusammenhang begrüßen meine Freunde von der Deutschen Partei im Gegensatz zu einigen Regierungsmitgliedern auch — das sei von dieser Stelle aus ehrlich gesagt —, daß der Herr Professor Carlo Schmid eine Reise nach Warschau unternommen und dort menschlich und persönlich Kontakte geknüpft hat. Auch dieses Tabu muß mutig angefaßt werden. Wir können nicht setun, als ob dort ein weißer Fleck auf der Landkarte



    Schneider (Bremerhaven)

    sei. Die Polen sind nun einmal unsere Nachbarn, und man muß auch den Mut haben, mit unbequemen Nachbarn ein Gespräch zu führen. Allerdings gefällt es meinen Freunden nicht so sehr, daß Herr Professor Carlo Schmid dort vielleicht in etwas übertriebener Weise der Selbstbezichtigung gehuldigt hat.

    (Zurufe von der SPD.)

    Eins steht jedenfalls fest.

    (Abg. Wienand: Konkretisieren Sie das! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Kommen Sie doch herauf und halten Sie nachher selbst eine Rede! — Ich will Ihnen das präzisieren. Es steht fest, daß unser Schild — Gott sei es geklagt — nicht rein ist. Aber ich sage Ihnen: kein Brite, kein Franzose und kein Amerikaner würde so weit gehen, wie Herr Schmid in Warschau gegangen ist.

    (Beifall rechts. — Abg. Wienand: „Beifall bei der DP"!)

    Es gibt auch noch eine nationale Würde. Fehler haben alle Nationen begangen, und schuld am letzten Krieg ist nicht allein Deutschland gewesen.

    (Zurufe von der SPD: Was Sie von nationaler Würde reden! — Haben wir nicht Polen überfallen? — Kratzen Sie den Dreck erst bei sich selber ab!)

    Mit Bezug auf die Gipfelkonferenz ist in der Öffentlichkeit verschiedentlich das böse Wort „Störenfried" aufgetaucht, als seien die Deutschen die Störenfriede, die unter Umständen ein Zustandekommen dieser Konferenz überhaupt torpedieren würden, weil sie bestimmte Forderungen hinsichtlich der Tagesordnung vorzubringen hätten. Meine Freunde und ich glauben, daß genau das Gegenteil der Fall ist. Wir glauben, daß wir im Augenblick allenfalls als Störenfried erscheinen könnten, daß aber die Störenfriede diejenigen sind, die uns heute vorwerfen, daß wir es seien, nämlich jene, die den Status quo aufrechterhalten wollen, und daß sich diese Störenfriede daran schuldig machen werden, daß es nicht zu einer Entspannung und zu einer wirklichen Freundschaft unter den Völkern kommen kann. Ich sage also: jene, die auf dem Status quo beharren, machen sich auf lange Sicht als Störenfriede schuldig.
    Herr Kollege Mende hat — um dies hier einmal einzuschalten — in bezug auf die Wiedervereinigungspolitik der Regierung die altbekannten Sätze
    — so will ich vorsichtshalber sagen — vorgebracht. Er hat praktisch der Regierung wieder vorgeworfen, daß sie nie eine Initiative in der Frage der Wiedervereinigung entwickelt habe. Ich frage sowohl den Kollegen Mende wie auch die Sozialdemokraten, wo ihr Patentrezept für die Wiedervereinigung ist.

    (Zurufe von der SPD.)

    Ich darf darauf hinweisen, daß es mein Freund von Merk a tz gewesen ist, der schon vor Jahren einen Mehr-Phasen-Plan aufgestellt und später dann durch seine Lüneburger Vorschläge einen mutigen Vorstoß in dieser Frage gemacht hat.
    Aber ganz besonders interessant war doch, was Herr Mende hinsichtlich seines Gespräches mit Herrn Smirnow hier gesagt hat. Ich glaube, die Dinge sind immer noch nicht aufgeklärt, meine Damen und Herren.

    (Abg. Dr. Menzel: Doch, doch! Lesen Sie es nach!)

    Herr Mende hat hier seine Interpretation bezüglich des Friedensvertrags vorgetragen. Ich bin mit meinen Freunden recht unglücklich über die Äußerungen, die Herr Chruschtschow in seiner Rede in Minsk und in anderen Reden über die Deutschlandfrage von sich gegeben hat. Es sei mir gestattet, Herr Präsident, einige Sätze aus dem Aide-memoire zu verlesen; ich weiß nicht, ob es inzwischen veröffentlicht ist.

    (Abg. Wehner: Es wird doch gesagt, es sei vertraulich!)

    — Ich bin ja nicht der Regierungschef, aber ich darf mir trotzdem die Freiheit nehmen. Wenn Sie es noch nicht kennen, dann hören Sie gut zu! Hören Sie die Hauptstelle aus diesem bekannten Aide-
    memoire:
    Manche offiziellen Persönlichkeiten der Bundesrepublik scheuen sich nicht, den Sinn des sowjetischen Vorschlages zu entstellen, indem sie z. B. behaupten, die sowjetische Regierung trete angeblich für den Abschluß zweier Friedensverträge mit jedem deutschen Staat für sich ein. Damit weitere falsche Auslegungen vermieden werden,
    — ich betone ausdrücklich, daß ich dieses Material nicht aus den Händen der Regierung habe —

    (Aha-Rufe bei der SPD)

    hält die Sowjetregierung es für notwendig, nochmals zu erklären, daß sie eine Anhängerin des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Gesamtdeutschland ist.
    — Wir auch. —
    Der Vorschlag der Regierung der DDR über die Bildung der deutschen Konföderation eröffnet die realsten Möglichkeiten dafür.
    Das ist nämlich ein entscheidender Satz, meine
    Damen und Herren. Hier ist doch der Pferdefuß.
    Warum streiten wir uns in erster Linie darüber — —

    (Zurufe von der SPD: Weiterlesen!)

    — Ich lese weiter! Warten Sie, Herr Kollege Menzel, ich lese Ihnen alles vor, und Ihnen lese ich besonders gern alles vor.
    Wir streiten uns darüber, ob man einen oder mehrere Friedensverträge abschließen will, und übersehen dabei diesen wichtigen Passus; jedenfalls hat der Sprecher der Freien Demokraten ihn offenbar übersehen. Aber die Sowjetregierung ist weit davon entfernt, jemandem jene oder andere Rezepte für die Lösung der Deutschlandfrage aufzuzwingen. Im Gegenteil, sie würde den Entschluß über die entsprechende Vertretung Deutschlands bei der Unterzeichnung des Friedensvertrages als selbstverständlich annehmen, der als Ergebnis einer
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 19, Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1958 925
    Schneider (Bremerhaven)

    Vereinbarung zwischen beiden deutschen Staaten ausgearbeitet werden wird. Wir suchen ja auch nach einem Weg, nach einer Möglichkeit der Vereinbarung zwischen beiden deutschen Staaten. Bisher ist, Gott sei es geklagt, noch kein brauchbarer Weg gefunden worden, — es sei denn, man betrachtet die von Grotewohl und Ulbricht vorgetragene Konzeption der Konföderation als einen solchen Weg. Ich werde darauf auch noch zu sprechen kommen, denn maßgebliche sozialdemokratische Politiker haben zu dieser Frage Ausführungen gemacht, die zumindest wert sind, hier vor aller Öffentlichkeit festgehalten zu werden.
    Im Aide-memoire heißt es weiter:
    Was die Heranziehung der entsprechend bevollmächtigten deutschen Vertreter zu den Verhandlungen über die Vorbereitung des Friedensvertrages in den Anfangsstadien anlangt, so handelt es sich natürlich nicht darum, daß die Bundesrepublik die DDR oder die DDR die Bundesrepublik anerkennt, sondern darum, daß die Interessen beider deutschen Staaten auch auf dieser Etappe in gebührender Weise berücksichtigt werden.
    Jawohl, meine Damen und Herren, das ist ein grundsätzliches Statement; das können wir unterschreiben. Nur müssen wir nach dem Weg suchen, wie wir zu einer gebührenden Berücksichtigung — und was in diesem Zusammenhang „gebührend" heißt, wissen wir alle in diesem Hause kommen können.
    Dies war also das, was zum Aide-memoire zu sagen war. Auch hier kann ich nicht fortfahren, ohne noch einmal darauf hinzuweisen, daß auch in diesem Zusammenhang den Russen immer und immer wieder vorgestellt werden muß, daß wir nicht nur die Wiedervereinigung wollen, sondern daß wir das wollen, was international statuiert und von allen Nationen unterschrieben ist, nämlich das Selbstbestimmungsrecht für unser Volk.
    Ich wage von diesem Platze aus den Vorschlag: wie wäre es, wenn die Bundesregierung Herrn Bulganin und Herrn Chruschtschow einmal in diese provisorische Hauptstadt Bonn einlüde, um an Ort und Stelle die Probleme mit ihnen zu erörtern, die zwischen uns und den Russen stehen?
    Der Kollege Erler hat gestern gesagt, daß eine Gipfelkonferenz ohne die deutsche Frage auf der Tagesordnung überhaupt nicht in Frage käme. Ich freue mich über diesen Gesinnungswandel um so mehr, als Professor Schmid ausweislich der Basler Nachrichten — das Datum ist leider nicht zu lesen — gesagt hat, nun sei es an der Zeit, daß Moskau und Washington, die beiden übrigbleibenden wirklichen Großmächte, in direkte Verhandlungen miteinander eintreten, und man müsse es sogar hinnehmen, daß diese Verhandlungen über unsere Köpfe hinweg geführt werden.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Das ist genau das, wohin es nicht kommen darf. Es darf nicht über die Köpfe der Deutschen hinweg verhandelt werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Wir sind uns darüber einig, daß nicht ein lautes Propagandatheater, sondern eine sachliche und stille Vorbereitung dieser Konferenz der Sache sehr viel nützlicher wäre. Ich bin überzeugt, daß der Westen diesen Weg viel lieber wählen würde, wenn auch die Sowjets diesem Gedanken aufgeschlossener gegenüberstünden.

    Zurück zur Geheimdiplomatie! So sagte es auch der Herr Bundespräsident in seiner Neujahrsansprache. Dies ist ein Punkt, den die Bundesregierung für sich selbst und den auch unsere westlichen Partner nicht nur bei der Vorbereitung der Gipfelkonferenz, sondern auch bei allen Gesprächen, die uns betreffen, schlechthin mehr beherzigen sollten. Wie mir ein maßgeblicher Mann neulich sagte, soll es seit Bismarck aber keine wirklichen Diplomaten mehr gegeben haben.
    Nun zur Frage der Konföderation! Herr Ulbricht hat vor einiger Zeit geäußert, daß man uns bei einer Konföderation ja gar nicht die kommunistische Ideologie aufzwingen wolle, sondern man bescheide sich selbstverständlich damit — bescheiden, wie Ulbricht ist —, uns die sozialen Errungenschaften der Zone zu bringen. Meine Damen und Herren, das ist doch ein trojanisches Pferd! Jedes Kind draußen im Lande weiß heute, was damit gemeint ist: daß wir auf kaltem Umwege schlechthin Kommunisten werden sollen.

    (Beifall bei der DP.)

    Auf diese Aussicht pfeifen meine politischen Freunde allerdings.
    Ich erinnere daran, daß es Herr Grotewohl war — der einmal aus Ihren (zur SPD) Reihen kam, was ich nicht als Vorwurf zu werten bitte —, der in einer humanitären Anwandlung und in Verfolg eines Ideals, das er sich gesteckt hatte, etwas für die Einheit der Arbeiterklasse tun wollte. Das ist schiefgegangen; aus SPD und KPD ist die SED mit a11 dem geworden, was wir heute drüben haben. Meine Damen und Herren, sollte uns das nicht Veranlassung sein, vorsichtig und wachsam zu sein?
    Was die Konföderation betrifft, die von meinen politischen Freunden rundweg abgelehnt wird, weil wir dadurch auf kaltem Wege bolschewisiert werden sollen, so erklärte der Kollege Wehner im SPD-Pressedienst vom 3. September 1955:
    Ich halte es z. B. für ein Unding, daß wir im westlichen Teil Deutschlands die Verfassung der DDR und die Statuten dortiger Organisationen — nehmen Sie Gewerkschaften, nehmen Sie andere — sozusagen einfach deswegen in Bausch und Bogen verdammen, weil sie nicht möglichst demokratisch zustande gekommen sind.
    Meine Damen und Herren, das ist ein hartes Wort. In der westdeutschen „Neuen Presse" vom 16. April 1952 warnte der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für gesamtdeutsche Fragen, Herbert Wehner, im Zusammenhang mit der zweiten sowjetischen Deutschlandnote davor, sich schon vor Eintritt in Verhandlungen über gesamtdeutsche Wahlen auf eine bestimmte Kontrollmöglichkeit zu versteifen.

    (Hört! Hört! bei der DP.)




    Schneider (Bremerhaven)

    Meine Damen und Herren, auch das ist ein gravierendes Wort. Und der „Kölner Stadtanzeiger" schreibt, daß Herr Wehner am 12. Mai 1956 äußerte: da der direkte Weg zur Wiedervereinigung über freie Wahlen zur Zeit verbaut sei, könne als Zwischenstufe der Umweg über eine Föderation notwendig sein, in welche die Bundesrepublik mit ihrem nach Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft und Organisationsleistung überlegenen Potential bei einem Wettbewerb mit der Sowjetzone eintreten könne. Herr Wehner gibt sich hier der Täuschung hin, daß es genüge, dieses sogenannte Potential einzubringen, da sich dann alles zum Guten entwickeln werde. Er vergißt dabei, daß es kommunistische Minderheiten waren, welche demokratische Mehrheiten in allen möglichen Staaten Europas aus dem Sattel hoben.

    (Sehr gut! rechts und in der Mitte.)

    Aber ich habe noch mehr dazu. Herr Dr. Schumacher hat gesagt: Die SPD ist sich von Anfang darüber im klaren gewesen, daß es das Ziel der Sowjetunion ist, ganz Deutschland unter kommunistische Herrschaft zu bringen. Der bolschewistische Totalitarismus versucht, den Kontinent zu erobern.
    Meine Damen und Herren, auch das ist ein Wort, das man nicht einfach übergehen kann. Und es sei erlaubt, in dem Zusammenhang noch folgendes von Dr. Schumacher zu zitieren. Er sagte am 15. Oktober 1949 in einer Stellungnahme zur Ausrufung der sowjetzonalen „Deutschen Demokratischen Republik", daß die Etablierung dieses Oststaates eine Erschwerung der deutschen Einheit darstelle. Wörtlich erklärte er: Der Protest der Sowjets gegen die Deutsche Bundesrepublik im Westen ist ein selbstverständlich gewordenes Begleitgeräusch. In Deutschland entrüstet sich niemand mehr über die Verdrehung der Tatsachen und die Lügenhaftigkeit dieser Argumentation. Selbst die herzzerreißende Einfältigkeit in Dingen der politischen Psychologie wird kaum noch zur Kenntnis genommen. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Etablierung dieses sogenannten Oststaates eine Erschwerung der deutschen Einheit ist. Die Verhinderung dieser Einheit aber kann dieses Provisorium im Osten nicht bedeuten, weil das deutsche Volk und besonders die Bevölkerung der Ostzone Gebilde russischer Machtpolitik auf deutschem Boden ablehnt.
    Er sagt weiter: Der ostdeutsche Außenminister Dertinger habe diese Art der Politik als die Gelegenheit bezeichnet, von innen heraus all die Dinge, die sich im Westen abspielen, zu beobachten und den Ereignissen im Osten nutzbar zu machen.
    Aber, meine Damen und Herren, ich kann noch mit mehr von Herrn Kurt Schumacher aufwarten. Er hat am 22. Mai 1950 auf dem Hamburger Parteitag der SPD gesagt: Die kleinste Konzession gegenüber östlichen Ansprüchen könnte leicht die Gefahr einer Aufgabe der Demokratie für ganz Deutschland bedeuten.
    Dem ist nichts hinzuzufügen. Herr Dr. Schumacher hat ferner in der „Rheinischen Zeitung" vom 30. Dezember 1950 gesagt: Man muß sich das Ziel jeder russischen Deutschlandpolitik vergegenwärtigen:
    ein einheitliches Deutschland soll es nur geben, wenn es ein russisches Deutschland, d. h. ein von Deutschen bewohntes Stück Rußlands ist.

    (Zuruf von der SPD: Damals haben Sie ihn aber auch bekämpft!)

    Meine Damen und Herren, wenn das heute vielleicht teilweise cum grano salis gilt, so gilt es letzten Endes doch im Grundsatz unverrückt, und wir sollten allen Bestrebungen in den Anfängen wehren, die von politischer Seite kommen und uns weismachen wollen, daß inzwischen alles halb so schlimm geworden sei, weil man im Gegensatz zu früher, als man die Nagaika schwang und die Leute in die Konzentrationslager sperrte, heute im offenen Wagen und im Sommeranzug durch die Hauptstädte Europas reist und dort schöne Ansprachen hält und sich von den Kindern Blumen zuwerfen läßt. Der Kommunismus ist in seinem Innern nicht geläutert, nur die Methoden und die Taktik sind geläutert. Wenn Sie das nur begreifen wollten, meine Damen und Herren!

    (Beifall rechts und in der Mitte. —Zurufe von der SPD.)

    Uns ist es klar, daß die Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes trotzdem Konzessionen von beiden Seiten erfordern wird. Der Kollege Erler hat hier gestern wieder die alte Behauptung ausgesprochen, daß die Politik der Stärke die Wiedervereinigung verhindert habe. Das muß ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Diese Politik der Stärke, oder besser gesagt, diese Politik der Selbstbehauptung hat vielmehr bewirkt, daß sich der Kollege Erler hier hinstellen und seine Reden so halten kann, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

    (Beifall rechts und in der Mitte. — Lachen und Zurufe links.)

    Diese Politik der Selbstbehauptung hat bewirkt, daß wenigstens ein Teil Deutschlands in Freiheit und Frieden erhalten geblieben ist.

    (Zuruf links: Sie sind ja ausgezogen!)

    — Meine Damen und Herren, wir sind nicht ausgezogen, sondern wir sind angezogen.
    Ich möchte im übrigen bezweifeln, ob die Kritiker der Bundesregierung, die ihr Mütchen an der Wiedervereinigungspolitik wie an aller anderen Politik zu kühlen pflegen, dann, wenn sie als Regierungsparteien die Verantwortung zu tragen hätten, bereit wären, diejenigen Risiken gegenüber dem deutschen Volk einzugehen, die sie uns heute zumuten wollen; ich glaube, sie wären es nicht.

    (Beifall rechts und in der Mitte.)

    Und es sei allen gesagt: das Trojanische Pferd ist sehr schnell in die Festung gezogen. Aber dann, meine Damen und Herren, pflegt es sehr schnell zu gehen. Ich glaube, in dieser Stunde, da wir uns über die deutsche Außenpolitik und auch über die Bewaffnung der Bundeswehr zu unterhalten haben, haben unsere Frauen und Mütter draußen ein Anrecht auf ein tröstendes und vor allen Dingen ein



    Schneider (Bremerhaven)

    klärendes Wort; denn meine Freunde haben den Eindruck, daß gerade diese, wie ja auch schon im Bundeswahlkampf geschehen, zu parteipolitischen Zwecken mißbraucht werden sollen.

    (Abg. Wienand: Wer hat das Trojanische Pferd gezeigt? — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Eigentlich sollte das Ergebnis dieser Parteipropaganda, das Ergebnis, das am 15. September herauskam, zu denken gegeben haben. Sie zäumen dieses Pferd nun zum zweiten Mal auf. Das ist Ihr gutes Recht. Aber ich gebe Ihnen Brief und Siegel: es wird seinen Reiter abwerfen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wienand: Wer hat das Trojanische Pferd gezeigt? — Zurufe von der SPD: Aufhören!)

    Jedenfalls sollten diejenigen, die Angst vor der eigenen Courage haben, uns einmal sagen, wie man sein Volk schützen kann. Daß man es nicht nur mit papierenen Reden und Verträgen schützen kann, das wissen wir alle; denn davor macht kein Panzer halt.

    (Zuruf von der SPD: Wo ist da die Schildund-Schwert-Theorie?)

    Wir sind — ich glaube, es ist niemand in diesem Hause, der dem anderen das bestreiten möchte — genau derselben Gewissensentscheidung wie Sie unterworfen. Und glauben Sie nur: wir haben allesamt, die wir auf der Rechten und in der Mitte des Hauses sitzen, nicht mit fliegenden Fahnen unsere Entscheidung getroffen, sondern sicherlich mit Fahnen, an die auch ein Trauerflor geheftet war. Aber wir sehen die politische Notwendigkeit, wir sehen die Realitäten in der Welt, jagen nicht Utopien und Phantomen nach. Da ist es leider so, daß wir — um es der Bevölkerung so deutlich zu sagen, wie der Herr Bundeskanzler das ja auch immer in so netter Weise sagt — unsere Soldaten einfach nicht mit Dreschflegeln marschieren lassen können, während die anderen mit Atombomben operieren. Wenn wir das wollten, würden wir verantwortungslos handeln. Wenn wir das wollten, sollten wir auch auch freimütig bekennen, daß wir da keine Landesverteidigung brauchen, und sollten unsere Soldaten nach Hause schicken.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Auch hier ist die Elle der Kritik gerade von den Freien Demokraten angelegt worden. Ich darf vielleicht auf das verweisen — „Lübecker Nachrichten" vom 18. Dezember 1952 —, was Herr Dehler auf einer Versammlung in Schleswig gesagt hat — ja, wir haben uns gut vorbereitet —:

    (Lachen bei der SPD. — Abg. Neubauer: Es ist aber nicht viel herausgekommen!)

    Für die Bundeswehr forderte Dr. Dehler im Gegensatz zum Kanzler eine Umstellung auf Atomwaffen. Dieser zwangsmäßigen Entwicklung müsse auch die Bundesrepublik Rechnung
    tragen; denn die Kriegsgefahr vergrößere sich überall dort, wo atomare Waffen fehlen.
    Meine Damen und Herren, glauben Sie ja nicht, wenn ich dies hier zitiere, daß ich selbst etwa mit einer leichten Handbewegung einer Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen, die gegebenenfalls kommen muß, zustimmen würde

    (Abg. Eschmann: Man hat aber doch den Eindruck!)

    — Gerade weil Sie den Eindruck haben und weil Sie dazu neigen, andere Leute zu verdächtigen, deswegen sage ich das, Herr Kollege Eschmann.

    (Abg. Eschmann: Sie haben die falsche Konsequenz gezogen, das ist mir immer deutlicher!)

    Da muß ich Ihnen noch einmal sagen: Ich glaube, es gibt hier niemanden im Hause — wenn es jemanden gibt, möge er aufstehen und zuerst den Stein auf einen anderen werfen —, der in dieser Frage nicht seit langem, langem sein Gewissen eingehend prüft.
    Gestern wurde der Vergleich von der Armbrust und der Atombombe gebraucht; ich hatte mir das Stichwort „Zündnadelgewehr" aufgeschrieben. Natürlich, wir sind mit Ihnen einig, am schönsten wäre es, wenn es überhaupt keine Gewehre, Granaten und Bomben mehr gäbe in der Welt. Wir sind auch bereit, daran mitzuwirken, daß sie abgeschafft werden. Aber es ist doch eine Realität, daß wir hier nicht in einer Oase des Friedens leben und daß wir deswegen das primitive Recht des Staatsbürgers und des Staates in Anspruch nehmen müssen, uns eine ausreichende Verteidigung zu schaffen. Auch meine Freunde und ich wünschten uns noch eine weitere Galgenfrist für diese schwere Entscheidung. Aber wir wissen, meine Damen und Herren, wir werden den Mut zur Entscheidung haben, weil Sie den Mut nicht haben.

    (Zurufe von der SPD.)

    Es muß einmal gesagt werden: Es ist nicht so in Deutschland, wie es die Sozialdemokraten mit ihrer Bewegung gegen den Atomtod der Bevölkerung weiszumachen versuchen, daß die einen für und die anderen gegen den Atomtod sind.

    (Zuruf von der SPD: Doch! Was denn sonst?)

    — Meine Damen und Herren, wenn Sie das behaupten, verschlägt es mir allerdings die Sprache.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich sage Ihnen: wenn wir uns nicht einmal im Grundsatz einigen können — über die Methode mögen wir uns streiten — und da wir uns darüber streiten müssen, will ich Ihnen sagen, daß wir — leider ist es so; wir wünschten, es wäre anders — die Realitiät sehen, daß der Friede dieser letzten Jahre auf dem Gleichgewicht der militärischen Kräfte beruht hat und daß er wahrscheinlich, Gott sei's geklagt, auch noch einige Jahre darauf ruhen wird.

    (Zuruf von der SPD: Und dann?)




    Schneider (Bremerhaven)

    Und solange diese Realität da ist, werden wir ihr Rechnung tragen und den Mut zur Verantwortung vor unserem Volke haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Wir haben den Mut zur Verantwortung!)

    Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn ich sage,

    (Zuruf von der SPD: Herr Schneider, und danach?)

    daß wir die Atomwaffen grundsätzlich nicht wollen, wenn sie uns die russische Politik nicht in die Hand drückt, dann habe ich das wohl richtig ausgedrückt.
    Ich muß mich aber entschieden gegen das wehren, was der Herr Kollege Erler hier gestern mit Emphase von sich gegeben hat, als er sagte, daß eine ausreichende Bewaffnung womit die Atombewaffnung der Bundeswehr gemeint war — einen Selbstmord darstelle.

    (Zurufe von der SPD: Das ist es ja gerade!)

    Ich verkenne gar nicht, daß Sie sich von Gewissensgründen leiten lassen. Ich will dieses Ihr Gewissen gar nicht schmälern. Aber ich wehre mich dagegen, daß Sie ein parteipolitisches Geschäft aus der Sache zu machen versuchen.

    (Beifall. bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Rufe von der SPD: Unerhört!)

    — Das ist die Tatsache. Gerade weil wir gegen den Selbstmord sind, meine Damen und Herren, werden wir für Wachsamkeit und Bereitschaft in ausreichendem Maße sorgen

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und werden dafür deshalb sorgen, weil der Kollege Erler von der Sozialdemokratischen Partei gestern selber hier gesagt hat, daß der Schutz der Sinn der Waffen sei.

    (Abg. Corterier: Das haben wir alles doch schon mal erlebt!)

    Eine sinnvolle Verteidigung muß das Leben erhalten. Jawohl! Deswegen werden wir diesen Schritt gehen, weil nur eine sinnvolle Verteidigung das Leben erhalten kann. Und wenn Herr Kollege Erler dann hier weiter gesagt hat, man darf das nicht tun, man muß auf die anderen einreden, dann erinnere ich dieses Haus und die gesamte Öffentlichkeit an Ungarn. Wie hat die ganze Welt auf die Sowjets eingeredet, als Ungarn vor sich ging; und was hat das geholfen?

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Und was soll das Zureden erst helfen, meine Damen und Herren, wenn es sich um einen Konflikt ganz anderen Ausmaßes handelt, wie er unter Umständen — Gott verhüte es — einmal auf uns zukommt.

    (Zurufe von den SPD.)

    — Meine Damen und Herren: Gott verhüte es! Hoffentlich vermögen Sie an diesen Gott zu glauben, der es verhüten soll.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der SPD: Unerhört! — Unglaublich! — Abg. Wehner: Hören Sie doch auf! — Zuruf von der SPD: Ein unverschämter Lümmel steht da! — Rufe von der SPD: Raus! — Abg. Wehner: Ein Ehrabschneider! — Weitere Rufe von der SPD: Lümmel! — Unverschämtheit ersten Ranges!)