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ID0301808400

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    Deutscher Bundestag 18. Sitzung Bonn, den 20. März 1958 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abg. Frau Dr. h. c. Weber 823 A Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) ; Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) Dr. Gradl (CDU/CSU) 823 D Dr. Mende (FDP) 828 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 840 C, 893 B Dr. von Brentano, Bundesminister 847 D, 894 C Dr. Arndt (SPD) 854 D Strauß, Bundesminister 861 B Erler (SPD) 880 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 895 B Kiesinger (CDU/CSU) 902 C Nächste Sitzung 913 D Anlage 915 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. März 1958 823 18. Sitzung Bonn, den 20. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 12. 4. Dr.-Ing. e. h. Arnold 20. 3. Dr. Baade 21. 3. Bading 20. 3. Bazille * 1. 4. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Bergmann * 21. 3. Birkelbach * 21. 3. Dr. Birrenbach * 21. 3. Blachstein 29. 3. Dr. Burgbacher * 21.3. Conrad 18.4. Cramer 21. 3. Dr. Deist * 21.3. Deringer * 21.3. Dr. Elbrächter * 21.3. Engelbrecht-Greve * 21. 3. Felder 31.3. Dr. Friedensburg * 21. 3. Frau Friese-Korn 31. 5. Funk 21.3. Dr. Furler * 21. 3. Frau Dr. Gantenberg 21. 3. Gehring 22.3. Geiger (München) * 21. 3. Gottesleben 22. 3. Dr. Greve 21.3. Hahn * 21. 3. Heiland 31.3. Hellenbrock 24.3. Heye 20. 3. Dr. Höck (Salzgitter) 31. 3. Höcker 15.4. Frau Dr. Hubert 12.4. Illerhaus * 21.3. Jahn (Frankfurt) 29.3. Jürgensen 31.3. Kalbitzer * 21. 3. Frau Kipp-Kaule 29.3. Dr. Kopf * 21.3. Dr. Kreyssig * 21.3. Kunze 15.5. Leber * 21.3. Lenz (Brühl) * 21. 3. Lenz (Trossingen) 29.3. Dr. Leverkuehn * 21.3. Dr. Lindenberg * 29. 3. Logemann 20. 3. Lücker (München) * 21. 3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Margulies * 21. 3. Mellies 25.4. Metzger* 21. 3. Müller (Worms) 22. 3. Müller-Hermann * 21. 3. Neumann 12.4. Frau Niggemeyer 21. 3. Dr. Oesterle * 21. 3. Paul 30.4. Pelster 1.4. Frau Dr. Probst * 21. 3. Pütz 21.3. Ramms 31.3. Dr. Ratzel* 21.3. Richarts * 21.3. Frau Rudoll 20. 3. Scheel * 21. 3. Dr. Schmidt (Gellsersen) * 21. 3. Schneider (Hamburg) 31. 3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 3. Dr. Starke 21. 3. Storch * 21.3. Storm (Meischenstorf) 20. 3. Sträter * 21. 3. Frau Strobel * 21. 3. Struve 21.3. Unertl 20. 3. Dr. Vogel 22. 3. Vogt 12.4. Wehking 20. 3 Wehr 31.3. Weinkamm 29. 3. Dr. Will 21. 3. Wittmann 20. 3. b) Urlaubsanträge Frau Dr. Steinbiß 29. 3. Dr. Zimmermann 6. 5. * Für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Reinhold Maier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Abgeordneten! Ich mache in der Beurteilung einen Unterschied zwischen der Vormittagssitzung und der Nachmittagssitzung. Ich bin nicht bekannt als besonders bundestagsfromm, aber wer durch die Vorgänge in der Nachmittagssitzung nun etwa mit besonderen Sympathien für die Art und Weise, wie hier teilweise gesprochen wurde, erfüllt sein sollte, der ist, glaube ich, mit einer Lampe zu suchen. Ich kann nur sagen: mir war, als ich den Herrn Bundesverteidigungsminister hörte, eigentlich so wie nach dem volkstümlichen Wort zumute: Mir ist von allem so dumm, als ginge mir ein Mühlrad im Kopfe herum.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP. — Lachen in der Mitte. — Abg. Kiesinger: Das liegt aber an Ihnen! — Weitere Zurufe von der Mitte. — Abg. Schoettle: Bei Ihnen geht's ohne Mühlrad!)

    Ich bin nicht zart besaitet.

    (Anhaltendes Lachen und Zurufe von der Mitte.)

    Ich habe den Kriegsausbruch von 1914 mitgemacht.

    (Zurufe von der Mitte: Andere Leute auch!)

    Ich habe eine Revolution mitgemacht; ich habe eine Machtergreifung mitgemacht, und ich habe den Zusammenbruch von 1945 mitgemacht.

    (Anhaltende Zurufe von der Mitte: Andere auch!)

    Ich war Soldat im ersten Weltkrieg vom ersten bis zum letzten Tag. Ich habe alle Dienstgrade durchschritten.

    (Lachen in der Mitte.)

    Ich war bei der schweren Artillerie,

    (erneutes Gelächter)

    und ich hatte es mit dem 21-cm-Mörser zu tun.

    (Anhaltendes Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Aber dem Herrn Bundesverteidigungsminister würde ich kein Feldgeschütz anvertrauen;

    (Beifall bei der SPD)

    denn wer so spricht wie der Herr Bundesverteididungsminister, der schießt auch.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Das war sogar nicht mehr die Rede eines Staatsmannes, sondern das war eine Rede von Krieg und war Kriegsgeschrei.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

    Es geht nämlich hier heute, auch nach der Anfrage der CDU, in erster Linie um das Verhalten der Bundesregierung bei der Gipfelkonferenz. Es geht in erster Linie um die Diplomatie, und es geht nicht um Kriegführung. Heute haben wir hier nicht den Verteidigungsminister einer eben in der Aufrüstung begriffenen Bundesrepublik gehört, sondern wir haben den Reichskriegsminister gehört.

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD. — Lebhafte Pfui-Rufe von der CDU/CSU.)

    Und es ist die Rede gewesen von Größenwahn: das war nicht mehr die Sprache eines friedlichen Staatswesens, sondern das war die Sprache eines hochgerüsteten Militärstaates.

    (Erneuter Beifall bei der FDP und bei der SPD. — Unruhe in der Mitte. — Abg. Wehner: Leider wahr!)

    Das war die Sprache aus dem Munde einer politischen Richtung, welche im Jahr 1949 dem deut-



    Dr. Maier (Stuttgart)

    schen Vaterland gegenüber noch so pflichtvergessen war, daß sie den Eintritt in die Bundesrepublik abgelehnt hat.

    (Zustimmung bei der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die CSU hat den Eintritt in die Bundesrepublik abgelehnt.

    (Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Mommer: Sehr wahr!)

    Ich wende mich aber hiermit — nach dieser Einleitung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriggelassen hat —

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    dem eigentlichen Thema dieser Sitzung zu. Ich möchte es auch deshalb tun, um den Herrn Bundeskanzler von der Rolle des Mauerblümchens zu erlösen, in die er durch die Rede des Herrn Bundesverteidigungsministers gekommen ist.

    (Beifall und Heiterkeit bei der FDP und bei der SPD. — Lachen in der Mitte.)

    Der heutige Vormittag liegt in seinem ruhigen Ablauf vor unserer Seele sozusagen wie eine stille, fromme Sage.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Trotzdem hat sich dabei verschiedenes Wichtiges ereignet. Nochmals ein Wort zu der Kontroverse zwischen dem Herrn Bundeskanzler und unserem Fraktionsvorsitzenden, Dr. Erich Mende! Es war die Frage: was hat der russische Botschafter gesagt? Hat er gesagt: ein Friedensvertrag mit ganz Deutschland?, oder: zwei Friedensverträge mit den beiden Deutschland? Der Herr Bundeskanzler hat schließlich bekanntgegeben, daß gestern abend die letzte Äußerung des Botschafters lautete: ein Friedensvertrag. Das Aide-memoire ist ja in der Zwischenzeit veröffentlicht worden; auch aus ihm ergibt sich, daß ein Friedensvertrag gemeint war.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aber was für einer!)

    Der Herr Bundeskanzler befindet sich in dieser Frage in einem Zweifrontenkrieg. An der einen Front erfolgte die Zunichtemachung des Planes des Herrn Abgeordneten Dr. Gerstenmaier, über den Tagesordnungspunkt „Friedensvertrag" die Deutschlandfrage auf die Gipfelkonferenz zu bringen. Der Abgeordnete Dr. Gerstenmaier hat für diesen Plan in der Abwesenheit des Herrn Bundeskanzlers sehr stark geworben, nicht nur hier in Bonn bei den Journalisten, auch in Stuttgart, auch in Hamburg. Und die Version, welche der Herr Bundeskanzler aus dem Gespräch mit dem russischen Botschafter heraushörte, daß nämlich zwei Friedensverträge geschlossen werden sollten, hat dem GerstenmaierPlan das Lebenslicht ausgeblasen. Hierzu war diese Version geeignet.
    Offenkundig war dieser Plan eine Gefährdung der Bundespolitik, und sie war die gefährlichere Frontseite. Sie wurde nicht im Parlament gebrochen, sondern in sicher nicht leichtem Ringen hinter den Türen des Fraktionszimmers der CDU/CSU und in Gesprächen zwischen dem Parteivorsitzenden der
    CDU und seinem Stellvertreter. Die Front Dr. Mende/Dr. Adenauer war eine durchaus nebensächliche Front. In sie hat der Herr Bundeskanzler heute vormittag seine geballte Kraft hineingelegt. Die Stoßrichtung in der Sache ging in ganz anderer Richtung. Je nach dem Ausfall der endgültigen Formulierung des Botschafters — ein Friedensvertrag oder zwei Friedensverträge — war nicht Dr. Mende desavouiert oder kompromittiert, sondern damit wurde entschieden, ob Herr Dr. Adenauer oder Herr Dr. Gerstenmaier mit der Beurteilung dieser Projekte recht hatte.
    Dann möchte ich dem Herrn Bundeskanzler noch eines sagen. Es ist die Frage aufgetaucht, ob ich vorgestern abend beim Herrn Bundeskanzler in Begleitung von Herrn Dr. Mende oder ich in seiner Begleitung dort erschienen bin.

    (Heiterkeit.)

    Wir haben keine solche Protokolleinrichtungen.

    (Heiterkeit. — Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Wir sind miteinander erschienen, und der Herr Bundeskanzler hat uns miteinander ein großes Staatsgeheimnis anvertraut mit dem Ersuchen um ganz unbedingte Geheimhaltung.

    (Lachen bei der FDP und SPD.)

    Er hat uns die Geschichte von dem Uran mitgeteilt. E: hat gesagt, daß die Russen wegen des Urans die Sowjetzone nicht verlassen wollen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Und nun kommt der Herr Bundeskanzler und plaudert heute vormittag vor dem ganzen Bundestag und der ganzen Weltöffentlichkeit dieses Geheimnis aus.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Wie gesagt, die militärischen Experten meiner Partei werden morgen dem Herrn Bundesverteidigungsminister noch verschiedene Mitteilungen zu machen und eine Reihe von Fragen an ihn zu stellen haben und werden seine Auffassung einer gründlichen Nachprüfung unterziehen. Meine Aufgabe ist es, dem Herrn Bundeskanzler zu antworten und damit die Dinge wieder auf das eigentliche Thema zurückzuführen, dessentwegen diese ganze Sitzung stattfindet.
    Es gibt ein Datum in der Weltgeschichte, nämlich die Iden des März, das ist die Monatsmitte des März. Diese ist der klassische Zeitpunkt für Mord und Totschlag im inneren Bezirk der Machthaber selbst.

    (Heiterkeit.)

    Die Iden sind vorbei, und es hat keine Toten und Verwundeten gegeben. Nur Versammlungstüren knallten zu. Wenn nicht alles trügt, naht der Frühling mit Brausen.

    (Heiterkeit.)

    Er hat in die schon verglimmende Asche politischer Unternehmungs- und Kampfeslust im Quartier der Regierungspartei gewaltig hineingeblasen und dort ein Feuerlein angezündet.



    Dr. Maier (Stuttgart)

    Nicht aus Schadenfreude registrieren wir das; es gibt uns die Hoffnung, daß aus diesem 3. Bundestag doch noch etwas wird,

    (Heiterkeit)

    daß er nicht Wahlmaschine, Abstimmungsmaschine, Zählmaschine bleibt, daß er nicht eine Institution ist, in der 51 % die anderen 49 % niederstimmen, die anderen mundtot machen.

    (Abg. Dr. Krone: Das ist nur Neid!)

    Die ihm zugedachte unrühmliche Funktion hat dieser Bundestag überwunden, und die Freie Demokratische Partei wird den ihr zukommenden Beitrag zur Erhaltung dieses heilsamen Feuers leisten; sie wird nicht Feuer löschen, sondern Feuer zünden.

    (Beifall bei der FDP. — Lachen in der Mitte.)

    Der Deutsche Bundestag ist kein Reservat, das dem Kommando der Regierungspartei unterstellt ist, wie sich das einige so vorgestellt haben, er ist eine Stätte freier demokratischer Auseinandersetzung; sonst ist er keinen Schuß Pulver wert, vor allem nicht die 20 Millionen DM, die er dem deutschen Volke jährlich kostet.

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — Abg. Kiesinger: Nicht so militaristisch!)

    Eine traurige, widernatürliche Position wäre dem 3. Deutschen Bundestag beschieden gewesen, wenn die gar nicht mehr verdeckten Absichten, die offenkundigen Absichten der Akteure hinter der Szene gelungen wären. Doch dieser Anschlag ist gescheitert. Die Natur und Eigenkraft des Parlaments hat sich deutlich zum Wort gemeldet, und sie ist nicht mehr zum Schweigen zu bringen.
    Und das alles hat mit einem katastrophalen psychologischen Fehlgriff der Herr Bundeskanzler persönlich fertiggebracht. Wir brauchen nicht in die sozusagen prähistorische Zeit des Jahres 1952 zurückzugreifen — auch das ist sehr lohnend —; bleiben wir bei der allergegenwärtigsten Gegenwart! Sie ist in voller Beweiskraft da: in nicht ganz vier Wochen, nämlich in seinem Entspannungsversprechen von Paris am 18. Dezember 1957, auf das der Herr Bundeskanzler in einem gewissen Schuldbewußtsein heute früh selbst zurückgekommen ist,

    (Lachen in der Mitte)

    und in seiner Kehrtwendung in der verhängnisvollen Rundfunkansprache vorn 15. Januar 1958, hat sich der Herr Bundeskanzler weit über das noch erträgliche Maß hinaus vorgewagt.
    Dieser abrupte Stellungswechsel wurde einfach abgelehnt. In Paris hat der Bundeskanzler unter dem Eindruck hoch angestiegener Weltgefahren, ja, unter dem Eindruck von richtig oder falsch eingeschätzten westlichen Unterlegenheitsbefürchtungen zwar von weiterer Rüstung gesprochen, jedoch mit klaren, unmißverständlichen Worten hat er im alten Jahr energische Schritte zur Entspannung zugesagt. Der Herr Bundeskanzler hatte vor der Weltöffentlichkeit sogar die Unterschiebung eines Meinungsgegensatzes zu dem amerikanischen Außenminister in Kauf genommen. Er hat die Schleusen der Hoffnung auf Abbau der Spannungen geöffnet, und er wollte sie auch öffnen. Die eindrucksvollen Ergebnisse der Meinungsumfrage gegen die atomare Ausstattung der Bundeswehr und gegen clie atomaren Anlagen in der Bundesrepublik standen ihm vor Augen; das sind einige der wenigen Realitäten, welche der Herr Bundeskanzler sieht, der ja immer in erster Linie Parteimann und in zweiter Linie Staatsmann ist.

    (Beifall bei der FDP. — Lachen in der Mitte.)

    Solche Realitäten sieht der Herr Bundeskanzler. Und das ist ja im Interesse der CDU gelegen, daß er sie sieht. Er gab Ballast ab, um kurze Zeit danach wieder das alte Lied zu beginnen. Vielleicht hat er seine verhätschelten Wirtschaftswunderphilister in ihrer Gedächtnis- und Beharrungskraft ganz richtig eingeschätzt. Die ernsten Menschen und die politischen Kreise in allen Lagern haben den Schock des Spätherbstes und Frühwinters 1957 noch nicht vergessen. Hier lag eine Selbstüberschätzung vor, und das hat die Menschen irritiert. Einen Widerspruch dieses Grades kann sich selbst der Regierungschef der Bundesrepublik nicht gestatten. Die eigenen Leute haben nicht mehr mitgemacht.
    Die eigenen Leute traten nicht zum Gegenangriff an, als ihrem Herrn im Parlament bös zugesetzt wurde. Nicht ein Wort sachlicher Widerlegung fanden in ihren kurzen Auftritten die berufenen Regierungs- und Fraktionsvertreter. Sie konnten nur noch Verunglimpfungen stammeln. Nur eine treue Seele fand sich zur Verteidigung des Chefs. Das war ein Mann vom Lande, weit ab von Bonn. Er mutete in diesem allgemeinen Kneifen an wie die sympathische Figur des tapferen Schneiderleins in der bekannten volkstümlichen Geschichte.

    (Abg. Hilbert: Wir wollten doch von der Gipfelkonferenz sprechen!)

    Dazu kommt man am besten über solche einfacheren Dinge.
    In diesen Monaten hat die öffentliche Meinung ein deutliches Wort mitgesprochen. Sie hat die Politik dorthin zurückgebracht, wohin sie gehört, nämlich primär in das Parlament. Hoffentlich tröstet sich der Herr Bundeskanzler nicht mit dem Sprichwort: Wenn die Katze fort ist, tanzen die Mäuse. Hoffentlich tröstet er sich nicht über die eigentliche Situation hinweg. Der Fall ist ernster, mit Nein allein nicht zu meistern, auch nicht mit nochmals höher und höher getriebener Politik der Stärke. Die alten Rezepte, zu oft gebraucht und zu oft mißbraucht, sie versagen. Ein halbes Dutzend neuer Pläne wurden aus dem engsten Kreis seiner Mitarbeiter — sie sitzen alle hier — zur Diskussion gestellt. Alle diese Männer, sämtlich von Rang und Ansehen und keine Hinterbänkler, konnten sich dem Meinungsdruck in ihrer Umgebung nicht entziehen. Sie wurden von der allgemeinen Unruhe erfaßt. Die Erkenntnis griff auch bei ihnen um sich, daß es so nicht weitergehen könne.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Ist das eine politische Rede?)

    Einer nach dem anderen legte seine eigenen Ideen öffentlich dar.
    Es kann gelingen, daß alle diese ehrenwerten Männer wieder zurückgepfiffen werden. Der Tat-



    Dr. Maier (Stuttgart)

    bestand, welcher sie zur Aktivität führte, bleibt. Zu tief ist der Bevölkerung der Schreck vor neuem Krieg in die Glieder gefahren, der Schreck vor Atomkrieg und Atomtod. Allgemein besteht das Gefühl: Vor dem Weitertreibenlassen der Entwicklung zum schlimmen Ende gilt es, alles zu versuchen, was eine Entspannung der Weltlage herbeiführen kann.

    (Zuruf der Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen].)

    — Sehr verehrte gnädige Frau Kollegin Dr. Weber, bitte, veranlassen Sie einen Ihrer männlichen Nachbarn, die Zwischenrufe zu machen. Ich möchte erstens ein Geburtstagskind nicht rauh angreifen, und zweitens: ich habe selbst auch graue Haare, aber ich huldige dem Grundsatz: Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und es ehren. Wenn Sie also Zwischenrufe machen wollen, fordern Sie einen Ihrer männlichen Nachbarn auf, damit ich dann entsprechend mit ihm umgehen kann.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Die Forderung, die Dinge nicht weiter treiben zu lassen, ist von der FDP in der Debatte vom 23. Januar eindringlich erhoben worden. Auch heute erheben wir diese Forderung kategorisch. Dabei plädieren wir gewiß nicht auf eine Entspannung um jeden Preis. Wir wünschen nicht die Kapitulation vor einem mächtigen Gegner, dessen Gefährlichkeit uns wohlbekannt ist. Wir wünschen aber die Ingangsetzung aller diplomatischen Mittel, Konzessionsbereitschaft im Tausch gegen echte reale Gegenleistungen, Prüfung aller, auch der geringsten Möglichkeiten, und wir wünschen die Anwendung eines beweglichen Verfahrens. Mit Sturheit und Starrheit wie bisher kommen wir per Saldo nicht weiter.
    Wir verlangen, daß der Bevölkerung endlich einmal die volle Wahrheit gesagt wird,

    (Beifall bei der FDP und SPD — Oh-Rufe von der Mitte)

    nicht mit allgemeinen Redensarten, sondern durch konkrete Erörterung des Standes der Weltpolitik und der für jeden einzelnen sich ergebenden praktischen Konsequenzen. Mit dem Menschentyp, den die Regierungspartei heranzüchtet, bezwingen wir die Lage nicht mehr.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Die Angst wird kultiviert und das Schielen auf die unbegrenzte Fortdauer des materiellen Standards. Nie werde ich vergessen einen Gang durch die Straßen der Stadt Frankfurt am Main im Höhepunkt der erregenden Vorgänge in Ungarn im November 1956. Von vorausgegangenen Kommunalwahlen prangten noch die Plakate mit folgendem Inhalt: Die CDU verbürgt Wohlstand und Ruhe! Mit diesem Wort hat sie sich dekuvriert, die ihr eigene Methode des Stimmenfangs nun offengelegt.
    Aus Gründen ihres inneren Bestands bedarf die Regierungspartei dieses verweichlichten Seelenzustands ihrer Anhänger. Zur Sicherung des äußeren Bestands braucht die Bundesrepublik das genaue Gegenteil. Keine Angsthasen, die im Ernstfall
    davonlaufen, kein kopflos hin- und herrennendes Hühnervolk,

    (Heiterkeit)

    sondern Männer und Frauen, die im Falle der Not hinstehen, zugreifen, Pflichten übernehmen und sie auch erfüllen.
    Die erstere, wenig erfreuliche Kategorie sprechen Sie mit ihrer Propaganda an. In seinem Streben nach persönlichem Wohlbefinden und vorgetäuschter Sicherheit lullen Sie diesen Menschenschlag ein und bestärken ihn in seinem gedankenlosen Dahinleben.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Die 10 oder 15 °/o, die Sie aus diesem zweifelhaften Bereich ziehen, verschaffen Ihnen die politische Übermacht. Wenn es zur Erprobung kommt, wird diese Schicht zerstieben wie Spreu im Winde.

    (Zuruf von der Mitte: Ihre!)

    Über diesen trügerischen Flugsand hat die Regierungspartei die staatliche Allmacht nun an sich genommen. Damit will die Bundesrepublik Weltpolitik machen. Der notorisch eingetretene Mißerfolg nimmt nicht wunder.

    (Abg. Majonica: Sie haben das Ergebnis vom 15. September noch nicht verwunden, Herr Maier!)

    Erfolg und Mißerfolg ist je und je nichts, gar nichts anderes, ob die Wiedervereinigung gelingt oder nicht gelingt. Was sich heute abspielt, ist das Gegenteil von Fortschritt. Das ist schwerster Rückschlag. Dieser führt haarscharf in die gefährliche Nähe eines Punktes Null der totalen diplomatischen Niederlage, noch schlimmer, des vielleicht innerlich schon vorgenommenen Verzichts.
    Es ist für eine Oppositionspartei nicht einfach, zu der außenpolitischen Debatte einen Beitrag zu leisten. Wir wollen nichts anderes, als die deutsche Außenpolitik voranbringen, allerdings eine andere als die bisherige. Wir sind auch bereit, die Regierung überall dort zu unterstützen, wo ihr Ziel und ihre Methode der Billigung wert ist. Voraussetzung ist aber, daß die Regierung die Einsicht zur Umkehr zeigt.
    Aber um mitwirken zu können, muß man das wirkliche Ziel und die Methode überhaupt kennen. Selbstverständlich kann und darf sich die Außenpolitik nicht auf dem offenen Markt abspielen. Die Regierung kann und darf selbst der eigenen Regierungspartei nicht das Letzte anvertrauen. Wir brauchen hier auch gar nicht zu warnen. Auch das tut der Regierungschef ganz von selbst, von sich aus nicht. Weit eher erhält einer der anerkannten Hofjournalisten eine Information als der Normalparlamentarier, auch der Normalparlamentarier der CDU. Dieser Generalmangel an amtlicher Unterrichtung führt zur Überschwemmung der Bundesrepublik und des Bundeshauses mit Nachrichten aus privaten und anderen Informationsdiensten, aus vielen sonstigen Quellen. Die Nachrichtenbörse gelangt zur Vollreife.



    Dr. Maier (Stuttgart)

    Was aber dem Parlament als Ganzem in dieser Hinsicht an Unzureichendem geboten wird, übersteigt jede Vorstellungskraft und Darstellungsmöglichkeit. Das Parlament, also der Deutsche Bundestag in seiner Gesamtheit, hat einen parlamentarischen Ausschuß, den Auswärtigen Ausschuß, eingerichtet. Schon mehrere Redner sind heute auf die Tatsache zu sprechen gekommen, daß er seit dem Bestehen des Bundestages nun zusammen drei Sitzungen hat abhalten können.

    (Abg. Kiesinger: Vier!)

    — Die erste Sitzung möchte ich doch nicht als volle werten, Herr Abgeordneter Kiesinger.

    (Abg. Majonica: Waren Sie nicht da, oder warum?)

    Es ist eine jämmerliche Behandlung, die einer Parlamentsinstitution zuteil wird — gerade der Parlamentsinstitution, der Sie selbst vorstehen, Herr Abgeordneter Kiesinger —, und zwar in einem kritischen Augenblick der Weltgeschichte. Deutlicher kann man die Mißachtung des Parlaments durch eine immerhin demokratische Regierung nicht treiben.

    (Zurufe von der CDU/CSU: „Immerhin"!)

    Die Verhandlungen sind vertraulich. Die Vertraulichkeit wird aber nicht durchbrochen, wenn aus der letzten Sitzung folgender Bericht über einen äußeren Vorgang hier mitgeteilt wird. Als der Bundesaußenminister nach dreistündiger Anwesenheit mit mühevoller Arbeit und profunden Ausführungen die von Neuigkeiten und Neuigkeiten überangefüllten Abgeordneten verließ, setzte der Ausschußvorsitzende die Mitglieder des Ausschusses von einer besonderen, ihnen soeben zuteil gewordenen „Gnade" in Kenntnis: der Bundesaußenminister sei dankenswerter Weise ganze drei Stunden geblieben; er habe ursprünglich nur anderthalb Stunden bleiben wollen.

    (Heiterkeit bei der FDP und der SPD.)

    In einem Abschnitt von über fünfzig Tagen kann der Außenminister genau drei Stunden Zeit für den wichtigsten Parlamentsausschuß erübrigen. Da ist es doch besser, man löst den Auswärtigen Ausschuß auf

    (Abg. Majonica: Ich meine, Sie wollen zur Gipfelkonferenz!)

    und macht aus ihm einen CDU-Arbeitskreis,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Den haben wir schon!)

    der dann aber auch nichts erfährt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Diese despektierliche Meinung über die Informationspflicht hat der Außenminister nicht gestohlen. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Der Bundeskanzler hat einem anderen Bundesorgan,
    dem Bundesrat, gegenüber eine grundgesetzlich statuierte Pflicht zur Unterrichtung, und der Bundesrat hat ein grundgesetzliches Recht auf Unterrichtung. Ich hatte Gelegenheit, den Herrn Bundeskanzler in der Erfüllung dieser ihm gesetzlich obliegenden Aufgabe zu beobachten. Die Ministerpräsidenten so ziemlich aller Bundesländer ohne Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit fanden sich jeweils in der einheitlichen Beurteilung zusammen: man hatte ungefähr die Hälfte dessen gehört, was man vorher in der Zeitung gelesen hatte.

    (Erneute Heiterkeit bei der SPD und der FDP.)

    Allerdings, ein stereotyper Zusatz hat nicht ein einziges Mal gefehlt: „Die Lage ist ernst; ist ernster als je." Mit dieser Floskel ist die Bundesaußenpolitik von Stein zu Stein gesprungen. Jetzt ist die Lage objektiv todernst und lebensgefährlich. Die Bundespolitik hat uns an eine Steilwand heraufgeführt, und wir hängen in dieser Wand drin. Der Weiterweg ist versperrt,

    (Abg. Hilbert: Wir sind aber noch angeseilt!)

    und selbst der Rückweg ist verschlossen.
    Meine sehr verehrten Abgeordneten, die Weltenuhr ist weit fortgeschritten.

    (Abg. Majonica: Nur Sie haben es nicht gemerkt!)

    Der russische Koloß ist in voller Aktion. — Ja nun, Herr Abgeordneter Majonica, Sie haben vielleicht das Fortschreiten der Weltenuhr durch Ihre Spezialkenntnisse in Formosa besonders erweitert.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Ich warne Neugierige, Herr Abgeordneter Majonica.

    (Abg. Majonica; Wir sind gar nicht so neugierig, Herr Maier!)

    Der russische Koloß ist in voller Aktion. Die westliche Welt ringt mit Schwierigkeiten. Die NATO ist da, und wir stehen hinter dieser NATO. Von ihrer Effektivität hängt viel ab. Niemand in der FDP denkt daran, dieses Band etwa zu zerschneiden oder zerschneiden zu lassen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Die Verbündeten sind graduell verschieden leistungswillig. Nicht alle sind leistungsstark. Einige sind gehandicapt, von eigenen Sorgen übermannt. Der Hauptpartner über dem Atlantik drüben scheint in den Bannkreis konjunktureller Sorgen geraten zu sein. Wir haben aber das feste Vertrauen, daß er sie meistert. Seine Handlungsfähigkeit ist keineswegs in Mitleidenschaft gezogen. Die Überrundung in den technischen Gebieten höchsten Ranges dürfte temporär und einzuholen sein. Mit Sorgen blickt man auf Nordafrika und den Nahen Osten, auf viele Vorgänge in Asien, ferner auf die 3000 Inseln zwischen Pazifischem und Indischem Ozean. Das alles sind Sorgen, in welche andere unmittelbar noch enger und näher verwickelt sind als wir. Aber sie treffen uns alle miteinander in unserem innersten Kern. Wir stehen im nicht mehr zu steigernden



    Dr. Maier (Stuttgart)

    Höhepunkt der Krise der Wiedervereinigung. Die nicht wieder gutzumachende Verewigung der Spaltung Deutschlands steht vor der Tür. Ob sie sich vollzieht, ob sie endgültige Gestalt annimmt, darüber wird die Weltpolitik der allernächsten Zeit entscheiden.
    Was tun die deutschen Politiker in diesem Augenblick? Das Bild, das der Deutsche Bundestag heute geboten hat, macht eigentlich weitere Ausführungen unnötig. Wir veruneinigen uns immer mehr. Täglich liest der deutsche Bundesbürger: Die eine Partei sagt dies, die andere Partei sagt das Gegenteil. Täglich liest das die übrige Welt. Glaubt irgendwer, daß dieser chronische Hader und Zwist, der Streit aus Prinzip, sinnvoll oder nützlich ist? Seit Jahr und Tag ist er ein Schaden. Jetzt aber ist er zur Lebensgefahr geworden. Die FDP weiß sehr wohl, daß sie in die Wüste spricht, und Ihre Reaktion auf diese Gedanken ist ja ein Beweis dafür, daß sie tauben Ohren predigt. Wahrscheinlich liegt in der Person des Bundeskanzlers ein psychisches Unvermögen, die ganze Nation zusammenzufassen. Er sieht nur die Möglichkeit, durch den einseitigen Einsatz der Kräfte seiner eigenen Partei zum Ziele zu kommen.

    (Anhaltende Gegenrufe von der Mitte.)

    Er hat je und je alles unterlassen, die gesamte politische Kraft der Bundesrepublik zu mobilisieren, den geeinten Gesamtwillen aller in die Waagschale zu werfen. Er hat diesen Weg nie beschritten.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Bis zum heutigen Tag tut er alles, um ihn zu verhindern.

    (Erregter Widerspruch in der Mitte.)

    Wir können und wollen niemand zwingen. Wir sagen jedoch voraus, daß dieses einsichtslose Verhalten zum schlimmen Ende führen muß.
    In der Regierungserklärung ist die Notwendigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik verkündet worden. Wo ist diese gemeinsame Außenpolitik geblieben?

    (Lebhafte Zurufe von der Mitte: Wir fragen Sie!)

    – Sie haben alles verhindert, was dazu führen könnte.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Ein bedeutsames Kapitel der Außenpolitik der Bundesrepublik ist abgeschlossen. Es führte mit Hilfe des Westens zu ihrer wirtschaftlichen und staatlichen Stabilisierung, und wir stehen jetzt am Anfang ihrer militärischen Aufrüstung. Alle diese Schritte haben wir unter dem Widerspruch des Ostens durchgesetzt. Jetzt aber stoßen wir den Kopf an die Wand und an die Decke.

    (Erneute Zurufe von der Mitte.)

    Wir kommen nicht mehr weiter allein mit dem Westen, allein gegen den Osten. Unser Hauptverbündeter über dem Ozean zweifelt selbst, ob der Wettlauf weiter sinnvoll ist, ob für ihn und
    seine Verbündeten nicht doch ein Generalausgleich sich nahelegt. Das heißt nicht, daß der Westen sich wehrlos machen soll. Der Westen muß diesen Ausgleich erstreben und erreichen, solange er sehr stark ist und stark bleibt.

    („Bravo!" und Lachen in der Mitte.)

    — Ihr Johlen kann mir nicht imponieren, meine sehr verehrten Herren Kollegen. Ich möchte Ihnen sagen, daß es sich hier um Gedanken handelt, die auch Ihre ernste Würdigung durchaus verdienen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Dieses neue Kapitel — und da kommen wir auf den Grund der Dinge — ist für die Bundesrepublik unendlich schwieriger als das vorangegangene. Das weiß ja die Bundesregierung selbst am besten. Nach vorwärts stürmen ist leichter als nur auf der Stelle treten. Aber für den ganzen Westen ist bei aller Aufrechterhaltung der sachlichen Positionen der Zeitpunkt für die Änderung der inneren Methode gekommen. Offensichtlich ist der Westen in diese neue Periode schon eingetreten. Nur haben manche
    von Ihnen das noch nicht gemerkt. Dieses neue Kapitel gibt uns Anlaß, trotz aller negativen Aspekte die Staatsnotwendigkeit einer gemeinschaftlichen Außenpolitik als unverzichtbares Postulat dieser hochkritischen Zeit in den Vordergrund zu stellen. Der Präsident des Deutschen Bundestages hat unmittelbar nach seiner Wahl bei der Eröffnung des 3. Bundestages in Berlin ebenfalls eine gemeinschaftliche Außenpolitik befürwortet, allerdings mit einer seltsamen Einschränkung: Gemeinschaftliche Außenpolitik, jawohl, die Außenpolitik müsse aber vor allem richtig sein. Man wundert sich bei dem Präsidenten des vornehmsten demokratischen Bundesorgans über einen solchen Vorbehalt. Gemeinsame Außenpolitik ist eine unter Mitwirkung aller erarbeitete Außenpolitik, eine nach gründlicher, vom Willen zu schließlicher Einigung aller getragener Auseinandersetzung gefundene Außenpolitik. Eine solche Außenpolitik ist ihrer Natur nach stärker, sie ist richtiger, weil die Gesamtheit aller hinter ihr steht, weil die Gesamtheit sie mitträgt. Sie mag nur zu 80 % dem qualitativ denkbar besten Ergebnis entsprechen, sie verfügt wegen ihres demokratischen Unterbaus über die stärkere Lebenskraft, sie ist jeder anderen überlegen, vollends einer einseitig oktroyierten Außenpolitik, wie sie bekanntlich gescheitert ist.
    Wie gesagt, trotz aller enttäuschenden, ja verletzenden Zurückweisung ist die FDP bereit, sich mit allen im Deutschen Bundestag und in den Landesparlamenten vertretenen Parteien über einen neuen gemeinsamen Weg in der Deutschlandpolitik zu einigen. Trotz des betrüblichen Zustandes der inneren Verhältnisse der Bundesrepublik hat die FDP eine gemeinsame Deutschlandpolitik zum Leitgedanken als Oppositionspartei gemacht, und wir haben genaue Vorstellungen über den sachlichen Inhalt dieser Politik und über das Verfahren. Es bleibt uns vorläufig nichts anderes übrig, als uns erneut in das parlamentarische Kampfgetümmel zu begeben. Wir haben in Klarheit die Dinge unter uns beraten, und wir haben heute von der Bundes-
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 18. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 20. März 1958 901
    Dr. Maier (Stuttgart)

    regierung und der Regierungspartei eine ganze Menge vernommen. Eine Vorfrage drängt sich auf: Ist das die offizielle Politik, wie sie durch die Bundesregierung über die Bundesdiplomatie vertreten wird? Bis vor wenigen Tagen drangen harte Meinungsverschiedenheiten im Regierungslager nach außen. Selbst die interne Sitzungsdisziplin war in Frage gestellt. Sind die heutigen Darlegungen der Bundesregierung und der Regierungspartei nur das Instrument zur Herbeiführung des inneren Parteifriedens, oder sind sie eine verbindliche Aussage zu der äußeren Bundespolitik? Die allerschlechteste Außenpolitik ist diejenige, welche den innerpolitischen Zwecken dient und vor allem von parteipolitischen Motiven bestimmt ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

    Wir sind ja heute Zeuge einer der Öffentlichkeit vorgeführten einstudierten außenpolitischen Großrevue.

    (Abg. Kiesinger: Am besten studiert haben Sie!)

    Das ist verdächtig. In die Arena steigen und werden noch steigen diejenigen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen den Punkt mitlesen!)

    welche in den vergangenen Wochen nebenhinaus gegangen sind, Pardon — hinausgedacht haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was haben Sie mit Ihren Düsseldorfern gemacht?)

    Sie rufen zur Mutter CDU nicht: Ave Caesar! Morituri te salutant! Wir grüßen dich, die wir zum Sterben bestimmt sind.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Nein, wir grüßen dich, weil wir den Tod durch Parteihand nicht sterben wollen; wir haben uns lobenswert unterworfen. Keine Gladiatoren werden wir erblicken, sondern diejenigen, die vorher revoziert und depreziert haben.


Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage, die der Abgeordnete Bucerius stellen möchte?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Reinhold Maier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Bitte!