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ID0301802300

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    Deutscher Bundestag 18. Sitzung Bonn, den 20. März 1958 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abg. Frau Dr. h. c. Weber 823 A Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) ; Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) Dr. Gradl (CDU/CSU) 823 D Dr. Mende (FDP) 828 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 840 C, 893 B Dr. von Brentano, Bundesminister 847 D, 894 C Dr. Arndt (SPD) 854 D Strauß, Bundesminister 861 B Erler (SPD) 880 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 895 B Kiesinger (CDU/CSU) 902 C Nächste Sitzung 913 D Anlage 915 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. März 1958 823 18. Sitzung Bonn, den 20. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 12. 4. Dr.-Ing. e. h. Arnold 20. 3. Dr. Baade 21. 3. Bading 20. 3. Bazille * 1. 4. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Bergmann * 21. 3. Birkelbach * 21. 3. Dr. Birrenbach * 21. 3. Blachstein 29. 3. Dr. Burgbacher * 21.3. Conrad 18.4. Cramer 21. 3. Dr. Deist * 21.3. Deringer * 21.3. Dr. Elbrächter * 21.3. Engelbrecht-Greve * 21. 3. Felder 31.3. Dr. Friedensburg * 21. 3. Frau Friese-Korn 31. 5. Funk 21.3. Dr. Furler * 21. 3. Frau Dr. Gantenberg 21. 3. Gehring 22.3. Geiger (München) * 21. 3. Gottesleben 22. 3. Dr. Greve 21.3. Hahn * 21. 3. Heiland 31.3. Hellenbrock 24.3. Heye 20. 3. Dr. Höck (Salzgitter) 31. 3. Höcker 15.4. Frau Dr. Hubert 12.4. Illerhaus * 21.3. Jahn (Frankfurt) 29.3. Jürgensen 31.3. Kalbitzer * 21. 3. Frau Kipp-Kaule 29.3. Dr. Kopf * 21.3. Dr. Kreyssig * 21.3. Kunze 15.5. Leber * 21.3. Lenz (Brühl) * 21. 3. Lenz (Trossingen) 29.3. Dr. Leverkuehn * 21.3. Dr. Lindenberg * 29. 3. Logemann 20. 3. Lücker (München) * 21. 3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Margulies * 21. 3. Mellies 25.4. Metzger* 21. 3. Müller (Worms) 22. 3. Müller-Hermann * 21. 3. Neumann 12.4. Frau Niggemeyer 21. 3. Dr. Oesterle * 21. 3. Paul 30.4. Pelster 1.4. Frau Dr. Probst * 21. 3. Pütz 21.3. Ramms 31.3. Dr. Ratzel* 21.3. Richarts * 21.3. Frau Rudoll 20. 3. Scheel * 21. 3. Dr. Schmidt (Gellsersen) * 21. 3. Schneider (Hamburg) 31. 3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 3. Dr. Starke 21. 3. Storch * 21.3. Storm (Meischenstorf) 20. 3. Sträter * 21. 3. Frau Strobel * 21. 3. Struve 21.3. Unertl 20. 3. Dr. Vogel 22. 3. Vogt 12.4. Wehking 20. 3 Wehr 31.3. Weinkamm 29. 3. Dr. Will 21. 3. Wittmann 20. 3. b) Urlaubsanträge Frau Dr. Steinbiß 29. 3. Dr. Zimmermann 6. 5. * Für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Arndt hat insofern recht, als die von der SPD eingebrachten Entschließungen materiell Anträge sind, wenn sie auch infolge der Bestimmungen der Geschäftsordnung bei den Beratungen im Ältestenrat formell nicht als Anträge behandelt wurden. Ich habe deshalb die Absicht, auf die Anträge der Fraktion der SPD im Zusammenhang mit den heute morgen gestellten Fragen einzugehen. Ich will damit auch zeigen, daß die Regierung die Entschließungen der SPD in der Beantwortung wie materielle Anträge behandelt. Ich darf in diesem Zusammenhang einige allgemeine Gedankengänge zur Darlegung des Standpunktes der Bundesregierung zum Ausdruck bringen.
    Sowohl in der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU wie in der Großen Anfrage der Fraktion der FDP wie — mit einer ganz besonderen Zielrichtung — in den Anträgen der SPD ist das Problem der Sicherheit, wenn auch von verschiedenen Standpunkten aus, angesprochen worden.
    Kollege Dr. Arndt hat gerügt, daß die Regierungspartei während schwebender diplomatischer Verhandlungen selber die Initiative zu einer außenpolitischen Debatte im Parlament ergriffen hat. Er
    hätte die Regierungspartei eigentlich dafür loben müssen, daß sie den Vorschlägen und den kritischen Äußerungen der Sozialdemokratischen Partei nachgekommen ist. Diese kritischen Äußerungen besagten, das Parlament sei während schwebender Verhandlungen, sei es mit den Bundesgenossen, sei es mit anderen Partnern, nicht zu Worte gekommen. Nun, heute kommt es zu Wort.

    (Abg. Ehren: Und dann ist es wieder nicht richtig!)

    — Ist es wieder nicht richtig?
    Angesprochen ist das Problem der Sicherheit im allgemeinen, das Problem der europäischen und der deutschen Sicherheit im besonderen. Ich muß deshalb einige Ausführungen zum Problem der Sicherheit im allgemeinen machen und einige Erläuterungen zur Sicherheitspolitik der Bundesregierung geben. Es ist auch gut, wenn wir in diesem Zusammenhang einmal zu den Grundlagen der Politik zurückkehren.
    Es besteht kein Zweifel darüber, daß der Zweck eines Staates und damit auch die diesem Staate obliegende Pflicht und Aufgabe darin besteht, für die Bürger dieses Staates, für ihr Leben, für ihre Freiheit und für ihr Eigentum Sicherheit zu verschaffen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Selbstverständlich ist Sicherheit nicht die einzige staatliche Aufgabe, sondern die Garantie einer rechtsstaatlichen Ordnung und die Schaffung der Voraussetzungen für die Wohlfahrt des Bürgers — beides wesentliche Aufgaben der Innenpolitik — runden zusammen die Trias der Aufgaben des Staates ab, wenn man ihre wesentlichsten hier herausstellen will.
    Sicherheit ist ein Kernbestandteil der Außenpolitik, wenn sie auch nicht identisch ist mit der Außenpolitik in ihrem vollen Begriffe; aber sie ist ein Kernbestandteil der Außenpolitik, sie ist ihr Rückgrat. Ohne Sicherheit sind außenpolitische Dispositionen, sind außenpolitische Überlegungen und ist eine außenpolitische Aktionsfreiheit nicht mehr gegeben, auch nicht für friedliche Aktionen, gleich welcher Art.
    Rechtsstaatliche Ordnung und Wohlfahrt sind wesentliche Aufgaben der Innenpolitik. Es wird niemand bestreiten, daß Fehler der Innenpolitik Schwierigkeiten, Störungen im Zusammenleben der Bürger hervorrufen, daß sie aber das Leben der Nation an sich noch nicht in Frage stellen. Es dürfte aber für uns Deutsche mit den bitteren Erfahrungen unserer Generation — ich meine jetzt nicht im Stil der Weimarer Republik die Kriegsgeneration, sondern die heute Lebenden, die den ersten Weltkrieg zum Teil, die alle den zweiten Weltkrieg miterlebt haben — kein Zweifel bestehen, daß Fehler der Außenpolitik die Existenz eines Volkes überhaupt gefährden. Wir haben es in tragischer Weise in einem Jahrhundert, innerhalb weniger Jahrzehnte, zweimal Fehler der Außenpolitik erlebt, die, wenn ihnen auch verschiedene Motive zugrunde lagen, wenn auch ihre Quellen verschieden waren, im ersten Fall eine



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    Katastrophe unserer Nation hervorgerufen haben, im zweiten Fall uns an den Rand der physischen Vernichtung gebracht haben.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Das zweitemal war es kein Fehler, sondern ein Verbrechen!)

    — Es war ein Verbrechen der Außenpoltik im Motiv. In der Handlungsweise, nämlich den zweiten Weltkrieg zu wollen, systematisch vorzubereiten, vom Zaun zu brechen und ihn dann in der bekannten Weise zu führen und zu verlängern, war es, rein der Pragmatik nach gesehen, ein schwerwiegender Fehler. Aber wir wollen uns hier nicht, Herr Kollege Schmid, um Worte streiten.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Es ist schon sehr wichtig!)

    — Fehler der Außenpolitik gefährden die Existenz einer Nation. Ich glaube, darüber besteht kein Zweifel.
    Es ist deshalb ein legitimes, nicht nur ein legitimes, sondern ein selbstverständliches Anliegen der Bundesregierung, es ist ihre vornehmste Pflicht, daß sie das tut, was in ihren Kräften steht und was im Rahmen der deutschen politischen Möglichkeiten liegt, um für Sicherheit zu sorgen. Sicherheit steht selbstverständlich für uns nicht nur unter der Überschrift „Erhaltung des Bestehenden", also Sicherheit für die 50 Millionen Deutsche, sondern muß selbstverständlich auch darin bestehen, die Sicherheit des Ganzen und im Zusammenhang damit die Einheit des ganzen deutschen Volkes zu sehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich sage es ohne jede aggressive, offensive Zielrichtung, aber ich möchte trotzdem zum Ausdruck bringen, daß die Sicherheit für das Bestehende die Voraussetzung für die Schaffung und Sicherheit des Ganzen erst sein kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Opposition des 2. Bundestags hat seinerzeit die bekannten Pariser Verträge aus den ja in diesem Hause sehr oft diskutierten Gründen abgelehnt. Die Mehrheit dieses Hauses hat im 2. Bundestag den Verträgen zugestimmt. Sie hat damit zugestimmt, daß die Bundesrepublik die Souveränität übernimmt. Die Bundesregierung von damals und die Mehrheit von damals halten die Entscheidung auch heute noch, auch im Lichte der in der Zwischenzeit eingetretenen Ereignisse, für richtig; denn wäre es nicht möglich gewesen, die Souveränität für die Bundesrepublik zu erringen, wäre der deutschen Politik jede Bewegungsfreiheit überhaupt versagt geblieben, wäre sie nach wie vor ein Objekt im Spiel der Großmächte geworden, statt die bescheidenen Möglichkeiten eines Mithandelnden und Mitverhandelnden ausnutzen zu können.
    Selbstverständlich verbindet sich mit jeder Sicherheitspolitik die Frage des Risikos. Es gibt keine Sicherheitspolitik, es gibt aber auch keine Außenpolitik ohne Risiko. Die Frage ist: Wie weit kann man, wie weit darf man, wie weit muß man im Risiko nach dieser oder jener Seite hin gehen, um
    damit politische Lösungen zu ermöglichen? Das gilt nach der einen wie nach der anderen Seite. Es ist ebenso unbestreitbar richtig, daß Sicherheit für uns eng verbunden ist mit der Einheit unseres Volkes, daß Sicherheit für uns untrennbar verbunden ist mit der Freiheit Europas und ebenso untrennbar verbunden ist mit dem Frieden der Welt. In einer unfriedlichen Welt gibt es keine Oasen der Seligen. In einer unfriedlichen Welt gibt es auch keine Sondersituation für das deutsche Volk, gibt es auch keine regionale Entspannung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Weil also Sicherheit für Deutschland, Deutschland in seiner gegenwärtigen legitimen Vertretung, Deutschland in seiner gewünschten Gesamtheit, untrennbar verbunden ist mit der Freiheit Europas und mit dem Frieden auf der Welt, darum muß das Deutschlandthema, wenn nicht formell, dann materiell, immer auf dem Tisch einer Weltkonferenz sein

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und wird nicht eher von dort verschwinden können, als bis — sei es auch über eine lange Periode der Geduld, der Verhandlungen, der Bemühungen — diese Probleme wenigstens für geraume Zeit eine befriedigende Lösung gefunden haben.
    Kollege Arndt hat ein gefährliches Thema angeschnitten, über das in diesem Hause schon öfter gesprochen worden ist. Es wäre gut, wenn wir, vielleicht im Zungenschlag verschieden, aber in der Grundauffassung einheitlich über das Thema sprechen würden: Wer ist potentiell seit dem Ende des zweiten Weltkrieges und noch bis zur Gegenwart der Aggressor in dieser Welt, der allein fremde Völkerschaften in Unterdrückung hält und dem deutschen Volk das Recht der Selbstbestimmung vorenthält?

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    Es geht nicht darum, hier eine Siegermacht, eine große Nation, die eine Weltmacht darstellt, vor den Kopf zu stoßen und Verhandlungen durch solche Bezeichnungen zu erschweren oder unmöglich zu machen;

    (Abg. Wehner: „Todfeinde"!)

    es geht aber um die Feststellung eines ganz klaren Sachverhalts.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Warum gibt es überhaupt ein Sicherheitsproblem heute? Warum gibt es ein Sicherheitsproblem für uns? Warum gibt es ein Sicherheitsproblem für unsere Verbündeten? Warum gibt es ein Sicherheitsproblem für die ganze demokratische Welt? Ich will so weit gehen: Warum gibt es subjektiv auch ein Sicherheitsproblem für die Sowjetunion? Ich sage „subjektiv", denn die sowjetischen Machthaber mit ihrem ausgezeichneten Nachrichtennetz, mit ihren unzähligen Verbindungen, mit ihren zahlreichen Parteiorganisationen in vielen Dutzenden von Ländern auf der Welt wissen selbst sehr genau — wie heute vormittag, ich glaube, vom



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    Herrn Bundeskanzler, festgestellt wurde —, daß es die Struktur der Mitgliedstaaten der NATO, daß es die inneren Verhältnisse in den USA, in Großbritannien und in den anderen Ländern, die im übrigen allein sowieso zu schwach wären, um irgendein Sicherheitsrisiko für die Sowjetunion darzustellen, kurz, daß es die Struktur dieser auf der westlichen Seite vorhandenen Großmächte unmöglich macht, einen Präventivkrieg, einen Offensivkrieg zu unternehmen, und daß die inneren Bindungen in der NATO, aller in ihr zusammengefaßten Nationen, so ausgesprochen defensiver Art sind, daß in diesem Bündnis — und ich muß sagen: Gott sei Dank — niemand einen Angriffsbefehl geben könnte. Ich glaube, darüber gibt es doch nicht den geringsten Zweifel. Ein amerikanischer Präsident, der wie der Blitz aus heiterem Himmel — wozu Diktatoren in der Lage sind — einen Blitzkrieg gegen die Sowjetunion starten würde, würde auf seinen Geisteszustand untersucht werden.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Aber in der Zwischenzeit fallen die Atombomben!)

    — Ich weiß, Herr Kollege Schmid. Aber es ist besser, wenn ich Ihnen nicht darauf antworte, wir kommen sonst vom Thema ab.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] Wenn der Herr Minister ein Tänzchen wagen will?! — Heiterkeit.)

    — Auch hier wären noch Sicherheitsgarantien dazwischengeschaltet. Aber wir sollten diese Frage mit großem Ernst prüfen. Wir sollten jedes Argument, das von Ihnen oder von unserer Seite her kommt, sorgfältig prüfen. Wir sollten prüfen, ob die Argumentation, die ich hier gebrauche, richtig und stichhaltig ist.
    Aber ich stelle nochmals die Frage: Warum gibt es für uns, warum gibt es für unsere Verbündeten, warum gibt es für die ganze demokratische Welt heute ein Sicherheitsproblem? Ich stimme völlig mit den Auffassungen mancher Vorredner verschiedener politischer Farbe überein, wenn ich sage, daß unsere politische Aufgabe nicht in der Weltmachtpolitik liegt und seit vielen Jahrzehnten, seit der Änderung der Größenmaßstäbe auf dieser Welt nicht in ihr hätte liegen dürfen. Aber genauso richtig ist es; daß unsere politische Aufgabe auch nicht in der Neutralisierung liegt,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    die dazu führt, die kriegsverhindernden Gewalten dieser Welt zu schwächen und damit eine stimulative Wirkung auf solche auszuüben, für die Gewaltanwendung keine Frage der Moral, sondern eine Frage der Zweckmäßigkeit ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe von den Fehlern der deutschen Außenoder, um mich mehr auf mein Gebiet zu beschränken, der deutschen Sicherheitspolitik im Laufe dieses Jahrhunderts gesprochen. Sicherlich sind wir daran gescheitert — einmal aus Blindheit, das zweite Mal aus verbrecherischer Verblendung —, daß wir nicht die Aufgabe der deutschen Politik
    gesehen haben, die darauf hätte hinauslaufen sollen, einen Beitrag zur Einordnung Europas in das Staatensystem des 20. Jahrhunderts zu leisten, statt Weltmachtpolitik auf eigene Faust zu betreiben. Die Weltmachtpolitik hat uns zwei Katastrophen gebracht, die Neutralisierung würde uns die dritte Katastrophe bringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Im Jahre 1945 — so stellt es Hermann Mau in seiner Geschichte der bewußten zwölf Jahre mit Recht dar —, nach zwölf Jahren NS-Herrschaft, stand das deutsche Volk vor der Frage, ob es überhaupt je wieder einen Staat werde errichten können.

    (Abg. Wehner: Mit denselben Leuten!)

    — Wir sprechen hier ja nicht von einer Umwälzung, um kein anderes Wort zu gebrauchen; nicht mit denselben Leuten. — Ich habe in diesen Tagen die Protokolle von Teheran, von Jalta und von Potsdam gelesen, um geistiges Rüstzeug — —

    (Lachen bei der SPD.)

    — Warum Sie lachen, versteht kein vernünftiger Mensch.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn man kann doch nicht jeden Tag wie eine Eintagsfliege die Situation nur so sehen, wie sie sich in der Optik der Schlagworte bietet. Man muß als Politiker doch versuchen, in den Zusammenhängen und in den Verbindungen, die auch in die Vergangenheit reichen, Anhaltspunkte für die politischen Fragen der Gegenwart und ihre Lösung zu finden.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Nach diesen Protokollen von Teheran, von Jalta und — nicht mehr in dieser Ausdrucksform und nicht mehr in dieser profilierten Schärfe — von Potsdam war es durchaus fraglich, ob das deutsche Volk — als Politiker sagt man ja nie „jemals" — in absehbarer Zeit überhaupt noch einmal in die Lage kommen sollte und gekommen wäre, einen deutschen Staat zu bilden; die Frage stand doch im Jahre 1945 offen. Denn es ging ja den Besatzungsmächten damals nicht allein um die Beseitigung des Nationalsozialismus, weil man damals Deutschland und Nationalsozialismus in der Distanz der politischen, geographischen und historischen Betrachtungsweise mehr miteinander identifiziert hat, als es für die europäische Politik und für die gesamte Friedenspolitik einer zukünftigen Weltentwicklung gut gewesen wäre.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Das vermag niemand zu bestreiten. Aber man soll sich hier auch vor billigen deutschen Selbstentschuldigungen hüten, weil uns dafür die moralische Basis und die moralische Berechtigung fehlen. —
    Wenn man die Protokolle von Teheran und von Jalta analysiert — ich brauche das Verhältnis Deutschland-Rußland in seinen ganzen historischen Zusammenhängen jetzt nicht bis auf Jahrhunderte



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    zurückzuverfolgen —, so gibt es für die Zeit des bolschewistischen Rußland wohl keinen Zweifel, daß die bolschewistischen Machthaber Deutschland immer als einen Schlüsselpunkt ihrer Strategie angesehen haben. Das gilt sicher für Lenin, das gilt sicher für Stalin, und es scheint — obwohl die Maßstäbe sich zu unseren Ungunsten oder Gunsten, je nachdem, von welchem Standpunkt man ausgeht, verändert haben —, das gilt zu einem erheblichen Teil auch für Chruschtschow. Wenn man das Abkommen zwischen Hitler und Stalin vom 23. August 1939 mit den drei Zusatzprotokollen und die Gespräche, die Molotow im November 1940 in Berlin geführt hat, liest, dann ergibt sich aus diesen Andeutungen, aus diesen Unterlagen die Stoßrichtung der sowjetischen Politik während des zweiten Weltkriegs: nach der Ostsee, nach dem Balkan, nach den Dardanellen und nach den Ölquellen des Mittleren Ostens. Damit sollte die Neutralität noch für möglichst lange Zeit erkauft werden. Rußland wollte nicht in den Krieg gegen Hitler eintreten, jedenfalls nicht, bevor der Krieg zwischen Deutschland und den Westmächten in ein wesentlich fortgeschritteneres Stadium für beide getreten war. Die russische Politik während des Krieges steht, das stellt man bei der nachträglichen Analyse fest, in erstaunlich klarem Gegensatz zu der Politik der Westalliierten. Während es den Westalliierten um den militärischen Sieg über Deutschland und damit um die Hoffnung ging, den Friedensstörer des 20. Jahrhunderts zur Ruhe zu bringen, haben die Sowjets nach ihrem Sieg bei Stalingrad ihre ganzen militärischen Aktionen darauf abgestellt — auch in dem Wechsel der Schwerpunkte an ihren Fronten —, in den Forderungen gegenüber den Westalliierten möglichst viele politische Faustpfänder für die Nachkriegszeit und möglichst günstige strategische Ausgangspositionen für ihre Nachkriegspolitik zu gewinnen.

    (Abg. Dr. Bucerius: Ausgezeichnet!)

    Daran läßt sich heute, wenn man das mit der nötigen zeitlichen Distanz liest, kaum mehr zweifeln. So ist auch nur zu verstehen, wie in Teheran und wie in Jalta von seiten des gutgläubigen Roosevelt und des etwas argwöhnischen, aber weniger gewichtigen Churchill mit Stalin verhandelt wurde. Nur so ist das Abkommen über die befreiten Völker Europas zu verstehen; nur so sind eine Reihe von Entschlüssen, die in den Jalta-Dokumenten festgelegt sind, überhaupt zu verstehen, ist zu verstehen, warum man in Warschau stehengeblieben ist, während die Polen sich verblutet haben, und warum Stalin den Schwerpunkt der russischen Offensive auf den Balkan gelegt hat, warum man vor Berlin stehengeblieben ist, um zuerst Wien einzunehmen. Es müßte eine Verbindung von Generalstäbler und Historiker sein, der in der Geschichtschreibung einmal diese Motive und diese einzelnen Schwerpunkte der sowjetischen Kriegführung in ihrer unwahrscheinlich gelungenen Verbindung von militärischen Aktionen und politischen Zielen analysiert.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Die Sowjets haben es tatsächlich verstanden, den zweiten Weltkrieg, in den sie, äußerlich gesehen, durch den Angriff Hitlers hineingezogen wurden, zu einem Mittel ihrer Politik zu machen und ihre Kriegführung nicht allein auf den militärischen Endsieg abzustellen, wie es das subjektiv verständliche Interesse der Westmächte war, deren Völker und deren Regierungen doch kein anderes Interesse hatten, als möglichst bald den Krieg zu gewinnen, möglichst lange keinen weiteren Krieg mehr zu erleben, demobilisieren zu können, ihre Söhne nach Hause schicken zu können, Deutschland mit allen, wenn auch mit verschiedenen Vorstellungen der Demokratisierung zur Ruhe bringen zu können, um dann einer normalen demokratischen weiteren Entwicklung der Welt ihren Lauf zu lassen. Die Sowjets dachten offensichtlich ganz anders.
    Wenn wir heute die Frage stellen: „sowjetische Vertragstreue", dann ist es natürlich töricht, zu sagen: „Man kann mit den Sowjets keinen Vertrag schließen, weil sie nicht vertragswürdig sind."

    (Zuruf von der SPD: Ist aber hier gesagt worden! — Gegenruf von der CDU/CSU: Ist ja nicht wahr!)

    Es sind mit den Sowjets viele Verträge geschlossen worden, von denen ein Teil gebrochen, ein Teil gehalten worden ist. Nur würde ich mit den Sowjets keinen Vertrag schließen, in dem die persönliche Existenz oder Leben und Freiheit eines Volkes von einer deklamatorischen Garantie statt von realen garantierenden Tatsachen abhängt.
    Wenn man beispielsweise ein Dokument liest — das ist auch ein Vertrag —, das die persönliche Unterschrift Stalins trägt — das ist ja derselbe Stalin, der durch Adenauer nach Meinung einiger Redner dieses Hauses verhindert worden ist, die deutsche Einheit im Jahre 1952 zu vollziehen —,

    (große Heiterkeit)

    die Erklärung über das befreite Europa nämlich, die die Unterschriften von Stalin, Roosevelt und Churchill trägt, wenn man dort liest, was die Drei vorhatten und was sie gelobt haben — Roosevelt und Churchill sicher ehrlichen Herzens und sicher ehrlicher Absicht —, daß sie gelobt haben, daß sie während der zeitweilig labilen Lage im befreiten Europa die Politik ihrer drei Regierungen zur Unterstützung der von der Herrschaft Nazideutschlands befreiten Völker und der Völker der ehemaligen europäischen Satellitenstaaten der Achse und zur Lösung ihrer drückenden politischen und wirtschaftlichen Probleme durch demokratische Mittel aufeinander abstimmen wollen, wenn man dort liest, daß sie sich zu den Grundsätzen der Atlantik-Charta bekennen, wörtlich ausgedrückt: zu dem Recht aller Völker, diejenige Regierungsform zu wählen, unter der sie leben möchten, bekennen zu der Wiederherstellung der souveränen Rechte und der Selbstregierung für jene Völker, die gewaltsam durch die Aggressorenstaaten ihrer beraubt worden sind — das stimmt, Aggressorenstaaten: wir waren ein Aggressorenstaat —, und wenn es dort weiter heißt, daß sich die Drei verpflichten, Verhältnisse für einen inneren Frieden zu schaffen, Notstandsmaßnahmen durchzu-



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    führen, einstweilige Regierungsbehörden zu bilden — in denen alle demokratischen Elemente der Bevölkerung weitgehend vertreten sind —, die zur bald-möglichen Einsetzung von frei gewählten und dem Willen des Volkes entsprechenden Regierungen verpflichtet sind, und sich weiter verpflichten, dort, wo es notwendig ist, die Abhaltung solcher demokratischen Wahlen zu erleichtern — Unterschrift: Josef Stalin —, und wenn man dem die Praxis in Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn von Litauen, Lettland, Estland gar nicht zu reden — gegenüberstellt, dann wird uns doch niemand verargen können, wenn wir die Frage der sowjetischen Vertragstreue mit einigen Bedenken und mit dem Wunsch nach Garantien betrachten.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Die Tinte auf diesem Dokument war ja noch nicht trocken, als der damals noch im Amt befindliche rumänische König innerhalb weniger Tage zwei Ultimaten erhielt, das Ultimatum, seinen Ministerpräsidenten zu entlassen, und das Ultimatum, an seine Stelle den Chef der Kommunistischen Partei in Rumänien als Ministerpräsidenten zu setzen. Was ist denn geworden aus der „Erklärung über das befreite Europa"? Wie kann man annehmen, daß die Sowjets das, was sie den Polen, Ungarn, Rumänen usw. usw. mit dieser Unterschrift — gegeben von Stalin — erklärt, garantiert haben, aber in der Praxis vorenthalten, uns zu gewähren bereit sind?

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Das kann man doch nicht einfach auf Grund der eigenen Wunschträume annehmen, oder man kann es doch nicht annehmen, weil man hier den Wunsch mit einer Möglichkeit und die eigenen Illusionen mit der Wirklichkeit verwechselt!

    (Erneute Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Es wäre uns, meine Damen und Herren von der Opposition, doch auch angenehmer, anders zu sprechen. Wir sprechen doch nicht so, weil wir uns nur von der Opposition unterscheiden wollen, was ja auf Gegenseitigkeit beruhen könnte.

    (Heiterkeit.)

    Wir sprechen so, weil uns unsere Analyse der Vergangenheit und der Gegenwart zu überhaupt keiner anderen Beurteilung in der Verantwortung die Möglichkeit gibt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist auch interessant, daß die Sowjets bis Potsdam von einer Zerstückelung Deutschlands gesprochen haben. Es ist in den Dokumenten schwarz auf weiß erhalten, daß sie nach der widerrechtlich vollzogenen Annexion der Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie, ihre Unterstellung unter die polnische Verwaltung, sehr bald das Thema geändert und, nachdem sie den Anteil hatten, den sie zunächst abtrennen wollten, von der Einheit Deutschlands gesprochen haben — allerdings — und das zieht sich durch die Außenministerkonferenzen von Paris, von Moskau, von London und wieder von Paris — alles in der Zeit vor der Gründung der Bundesrepublik. Sie haben immer die deutsche Einheit versprochen, aber als Voraussetzung dafür verlangt, daß die Sowjetunion ihre Reparationsforderungen erfüllt erhält. Darüber ließe sich reden. Wir haben dort viel angerichtet, und wenn wir uns da mit materiellen Mitteln loskaufen könnten, dann möchte mancher Spießbürger in der Bundesrepublik, der sonst nur kritisiert, in die Tasche greifen, um seine Treue zu Gesamtdeutschland auch materiell zu beweisen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber sie haben als Voraussetzung nicht nur die Erfüllung ihrer Reparationsforderungen verlangt, die damals unerfüllbar waren, über die man heute sicher im Sinne einer politischen Lösung reden könnte. Ich bin nicht legitimiert, das zu tun, aber als Politiker darf man gelegentlich auch einmal was denken.

    (Heiterkeit.)

    Ich wollte keine so hohen Ansprüche stellen. Aber sie haben es — und hier liegt des Pudels Kern — in jeder Außenministerkonferenz weiter abhängig gemacht von der Beteiligung der Sowjetunion an der Kontrolle über die Ruhr. Das zieht sich wie ein roter Faden durch. Hier muß man sagen, daß die Moskauer Außenministerkonferenz vom Jahre 1947 nicht gescheitert ist an den staatsrechtlichen Details über die innere Gestaltung Deutschlands, über die Entnazifizierung und Redemokratisierung. Sämtliche Außenministerkonferenzen sind gescheitert an dem Veto der Sowjetunion zur deutschen Einheit, weil sie nicht die Kontrolle über das Ruhrgebiet erhalten hat.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Deshalb bin ich auch sehr skeptisch, Herr Kollege Schmid.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Sie vergessen die Franzosen!)

    — Wenn die Sowjets den gleichen guten Willen gezeigt hätten, wie die Franzosen ihn gelernt haben,

    (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    und wenn die Sowjets in der gleichen Zeit die Konsequenzen gezogen hätten wie Frankreich, würden Sie aus meinem Mund das Wort „potentieller Aggressor" über sie hier nicht hören.

    (Beifall und Bravo-Rufe bei der CDU/CSU.)

    Aber daran scheiterte jede Außenministerkonferenz. Ich bin deshalb auch skeptisch — —

    (Abg. Mattick: Wo findet denn augenblicklich der Krieg statt? Was ist mit Algerien?— Zuruf von der CDU/CSU: Ach du liebe Zeit!)

    — Man kann nicht auf zwei so verschiedenen Ebenen eine politische Diskussion führen. Ich bedauere, daß ich mich habe ablenken lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber deshalb, Herr Kollege S c h m i d, bin ich sehr skeptisch gegen Ihre in guter Absicht und vor allen Dingen mit einer lobenswerten Zielsetzung



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    ausgesprochene Formulierung, die Bundesrepublik strategisch uninteressant zu machen. Man kann weder die Geographie des lieben Gottes ändern, noch kann man ein Land, in dem Ruhrgebiet und ähnliche Zentren liegen, wenn man nicht nachträglich, was Sie bestimmt nicht meinen, den Morgenthauplan vollzieht, strategisch uninteressant machen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.—Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Eine Zwischenfrage!)

    — Bitte!


Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sicher, man kann die Geographie nicht verändern. Aber man kann in eine Landschaft Batteriestellungen bauen und kann es lassen. Je nachdem verändert sich die politische Qualität einer geographischen Situation.

(Beifall bei der SPD. — Lachen in der Mitte und rechts.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Sie meinen, man kann Batteriestellungen bauen und man kann sie nicht bauen. Ob man sie bauen oder nicht bauen soll, ist keine Frage moralischer Erwägung; das ist in diesem Fall eine Frage des sicherheitsmäßigen Kalküls. Wenn ich damit jemandem den Zutritt versperre, dessen Eintritt bei mir ich für sehr widerwärtig halte, dann baue ich die Batteriestellungen.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Wobei der Konditionalsatz zu beweisen wäre, Herr Minister!)

    Ich habe das deshalb in Erinnerung gerufen, weil ich es tatsächlich einmal auch zur Rechtfertigung unseres Standpunktes anführen wollte. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, auch zu verstehen, daß man, gerade wo es um schwerwiegende Entscheidungen geht, nicht einfach aus der Tagespolitik oder aus den Schlagworten heraus urteilt, die man von dieser oder jener Seite hört, sondern versucht, sich ein, und sei es auch nur ein subjektives moralisches Fundament für das zu verschaffen, was man zu tun vorhat oder was man für notwendig hält. Deshalb ist nicht zu bestreiten, daß die Sowjets mit der Proklamation ihres Willens zur deutschen Einheit immer unerfüllbare Bedingungen, wie ihre Teilnahme an der Kontrolle über die Ruhr, verbunden haben. Es ist auch nicht zu bestreiten, daß sie sofort nach dem Einmarsch und nicht erst nach der Gründung der Bundesrepublik, nicht erst nach unserem Eintritt in die Montanunion oder in die NATO, auf den Spitzen der Bajonette der Besatzungsmächte mit der klassenkämpferischen Umwälzung in ihrer Zone von oben begonnen haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

    Ob das Bodenreform oder Entnatifizierung oder Sozialisierung oder Kollektivierung war — der Prozeß hat bereits im Jahre 1945 eingesetzt.
    Wenn man einmal nachprüft, was wir alles auf Grund des sowjetischen Vetos nicht hätten tun dürfen, dann kommt man zu folgenden heute, nachträglich gesehen, kaum mehr faßbaren Überlegungen. Wir hätten nicht die Verschmelzung der amerikanischen und der britischen Zone vornehmen dürfen; denn das spaltet Deutschland, hieß es. Wir hätten nicht die Währungsreform durchführen dürfen, weil sie eine gesamtdeutsche Währung verhindere. Wir hätten nicht die Bundesrepublik ins Leben rufen dürfen, weil sie gegen ganz Deutschland sei. Wir hätten nicht in den Europarat und nicht in die Montanunion eintreten dürfen! Wir hätten selbstverständlich nicht die Pariser Verträge abschließen dürfen, und wir durften auch nicht in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und nicht in die Europäische Atomgemeinschaft — mindestens an zweien dieser Organisationen waren Sie von der Opposition mitbeteiligt — eintreten. Denn jedesmal hieß es aus Moskau: Wenn ihr das macht, ist es ein Akt zur Verewigung der deutschen Spaltung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Als die Bundesrepublik gegründet war, änderte sich nicht das Ziel, da änderte sich nur die Taktik. Nachdem man immer scheinbar nur nachgezogen, d. h. die längst vollzogenen Tatsachen nach außen zugegeben hatte, hieß die Taktik dann: Jetzt muß ein gesamtdeutscher Rat, ein Konsultativorgan — neuerdings heißt es Konföderation — eingerichtet werden; jetzt müssen es die Deutschen unter sich ausmachen. Darum wage ich sehr wohl, einmal die Frage auch hier zu stellen — wenn es auch heute beinahe schon in Deutschland und wenn es hier in diesem Hause schon zu erregten Gegenrufen gekommen ist —: Wer verewigt denn die deutsche Spaltung? Wer verhindert denn die deutsche Wiedervereinigung? Doch niemand anders als der, der dem deutschen Volk das Selbstbestimmungsrecht vorenthält!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Arndt anders denkt, aber ich glaube nicht, daß die Sowjetunion sich durch das, was wir hier sagen, in ihrer Verhandlungsbereitschaft oder in ihrer Konzessionsfreudigkeit beeinflussen läßt, wenn wir Tatsachen feststellen, die für sie gar keine moralische Herabsetzung sind.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ein moralische Herabsetzung sind sie nur nach dem Sittenkodex der Demokratie, beileibe nicht nach dem Sittenkodex eines diktatorischen oder totalitären Staates.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe in diesem Hause schon öfter die Frage gestellt, die von dem uns heute beschäftigenden Problem Wiedervereinigung, Sicherheit und Atomwaffen nicht zu trennen ist: Was will denn eigentlich die Sowjetunion? Ich bin bisher nur in meinen Überlegungen zu drei Auffassungen gekommen. Will sie Sicherheit und wirtschaftliche Wohlfahrt für ihr eigenes Reich, für ihren eigenen Staat, Sicherheit und wirtschaftliche Wohlfahrt und Stabilität ihres Regimes? Um Herrn Arndt eine ganz klare Antwort zu geben: Es wäre töricht und



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    es wäre verbrecherisch, an einer Austreibung des Kommunismus mit Atomwaffen im Stile einer modernen Atomwaffenkreuzzugstheorie zu denken. Ich glaube, niemand von uns denkt daran. Falls das jemals so verstanden worden sein sollte, dann darf ich hier in aller Schärfe und Deutlichkeit feststellen: Der Kommunismus läßt sich nicht mit Atomwaffen bekämpfen! Nur seine weitere Ausdehnung läßt sich durch Abschreckung eines Angriffs, durch das Vorhandensein solcher Waffen verhindern. Der andere Kampf muß auf diplomatischem, politischem, wirtschaftlichem und psychologischem Weg ausgekämpft werden.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Frage war eigentlich: Was will die Sowjetunion? Will sie Stabilität ihres Regimes, will sie wirtschaftliche Wohlfahrt ihrer Bürger und will sie Sicherheit nach außen? Ich glaube, darauf läßt sich eine befriedigende Antwort finden. Wenn das ihr Ausgangspunkt ist — das sollte man feststellen, dafür wären geeignete Wege zu finden —, dann wird — vielleicht nicht schnell, vielleicht aber in einer Periode geduldig ertragener Jahre — eine Lösung möglich sein. Wenn ihre Absicht allerdings ist, über diesen oder jenen Plan, über die Phase der Koexistenz, über die innere Auflösung der NATO oder über die Auflösung der NATO unter dem Terrordruck der Atompanik die Herrschaft über Europa als vorletzte Stufe vor dem Endkampf mit den USA zu erringen, dann tun wir gut daran, das Potential der freien Welt nicht zu schwächen, damit wir diesen Plan durchkreuzen, d. h. dem Mörder in den Arm fallen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.) Soviel zur zweiten Hypothese.

    Die dritte Möglichkeit liegt in der Frage: Wissen die Sowjets selbst nicht, was sie wollen, und können wir Einfluß darauf nehmen, daß sie das eine oder andere wollen? Ich glaube, die sowjetische Politik hat bisher nicht bewiesen, daß die Sowjetunion nicht weiß, was sie will. Immerhin — daran kann man einfach nicht vorbeigehen; es hat gar keinen Sinn, in Entrüstung nach dieser oder jener Seite zu sprechen — tritt der expansive Weltkommunismus, der kommunistische Imperialismus immer noch in drei Erscheinungsformen auf. Eine Erscheinungsform ist der sowjetische Staat, der sich der Mittel der Diplomatie, der Außenpolitik, der Kulturpolitik, der Sportförderung, der wirtschaftlichen Beziehungen, des Außenhandels usw. bedient. Eine andere Form ist die Kommunistische Internationale. Was würde man heute sagen, wenn irgendein Staat auf der Welt, sagen wir die USA oder Großbritannien, eine bestimmte ideologisch fundierte Parteiorganisation hätte, eine sozialrevolutionäre oder religiösrevolutionäre Parteiorganisation hätte und in achtzig oder neunzig Ländern der Welt Parteien dieser Art unterhielte, deren Funktionäre regelmäßig in der Zentrale zusammengerufen, dort mit Material, mit Anweisungen, mit moralischer Rückendeckung versehen und dann wieder zurückgeschickt werden, um zu Haus die bestehende Gesellschaftsordnung sobald wie möglich und notfalls auch auf dem Wege der Gewalt umzustürzen?! Das ist doch bis zur Stunde bei der Kommunistischen Internationale noch der Fall!

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Man könnte darüber reden, wie die Situation wäre, wenn Moskau das einstellte, wenn man nicht mehr die Agenten für Afrika, Asien und Südamerika schulte, wie es heute noch geschieht. Tausende von Agenten werden geschult, Hunderte gehen monatlich hinaus. Sie wissen doch selbst, was in Afrika geschieht — nicht ohne Schuld gewisser anderer Mächte —, was in Südamerika, in gewissen asiatischen Bereichen geschieht. Das ist doch Aggression! Niemand behauptet, daß die Sowjetunion so plump ist wie Hitler, ein militärischer Aggressor zu sein.

    (Abg. Majonica: Das ist sie auch gewesen!)

    — Herr Kollege Majonica, für die Sowjetunion ist die militärische Aktion nur ein Ausschnitt aus der reichhaltigen Palette ihres Instrumentariums.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn es ohne Gewalt und ohne Tote abgeht, ist es ihr lieber.
    Sie will aber auch das Risiko bemessen halten, und darin liegt unsere Chance, die Chance für unsere Sicherheitspolitik. Darin liegt auch die Chance für eine Lösung auf dem Wege zur Abrüstung, zur Entspannung und all dieser Probleme. Die Sowjetarmee ist sicherlich nur ein Werkzeug der politischen Strategie, sie ist nicht der Sinn und der Inhalt der politischen Strategie.
    Deshalb, meine Damen und Herren von der Opposition, bitte ich Sie, zu der Frage — die Sie mir nicht übelnehmen und nicht als eine Suggestivfrage oder meinungsbildende oder beeinflussende Frage auffassen wollen —, ob nach Ihrer Meinung nach wie vor und unverändert eine sowjetische Gefahr besteht und ob es nötig ist, sich gegen sie zu schützen, ganz klar Stellung zu nehmen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das hat nichts mit einer billigen Identifizierung oder Unterstellung zu tun. Man kann sich — wie in England die Sozialisten gegenüber Hitler es in den dreißiger Jahren getan haben — moralisch und politisch himmelweit von einem System unterscheiden und trotzdem nicht die rechtzeitige Vorsorge treffen, sich vor einem Übergreifen dieses Systems zu schützen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn diese Frage beantwortet wird, sollte man nicht Ausdrücke gebrauchen wie die, daß die sowjetische Armee oder die Gefahr der Sowjetunion von dem Bundeskanzler, der Regierung und den Regierungsparteien als Kinderschreck an die Wand gemalt werde. Die Frage ist nicht die, daß wir die Rote Armee brauchen, um damit unsere Politik zu rechtfertigen. Unsere Politik ist so, weil die sowjetische Strategie sich bisher so verhalten hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Ursache und Wirkung!




    Bundesverteidigungsminister Strauß
    Zu der Frage „verhandeln oder nicht" habe ich mich schon geäußert. Selbstverständlich verhandeln! Ich begehe keine Fahnenflucht und brauche auch nachher kein pater peccavi zu sagen, wenn ich ein Wort aufgreife, das aus Ihren Reihen kommt: Lieber zehn Jahre verhandeln, als einen Tag Atomkrieg führen! Darüber, glaube ich, gibt es gar keine Meinungsverschiedenheit. Aber wenn man mit den Sowjets verhandelt, muß man wissen, mit wem man verhandelt. Und wenn man weiß, mit wem man verhandelt, dann ist es nur eine Feststellung von Tatsachen, wenn ich sage, daß die Sowjetunion seit 1925 58 Verträge, Vereinbarungen und Abkommen politischen Inhalts mit fremden Regierungen geschlossen und davon 47 gebrochen, verletzt oder ohne Verhandlungen einseitig gekündigt hat.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Von 11 Nichtangriffspakten hat sie 10 gebrochen, davon 4 nach 1945, von 18 Bündnissen 15, davon 11 nach 1945. Die Sowjetregierung hat 6 Friedensverträge abgeschlossen, davon mittlerweile 3 gebrochen. Von sämtlichen in Jalta getroffenen Abkommen ist ein einziges eingehalten worden, nämlich die Zusage, in den Krieg gegen Japan einzutreten,

    (Lachen in der Mitte)

    und das ist geschehen im August 1945, um noch rechtzeitig an der asiatischen Beute beteiligt zu werden.

    (Zuruf des Abg. Wehner.)

    — Das ist doch nicht zu bestreiten! Deshalb geht es nicht um die Frage „verhandeln oder nicht", sondern um die Frage der Verhandlungsplattform und der Verhandlungsbasis und die Frage der zu fordernden Garantien.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Darüber sollte man, ganz gleich, wie man sich im Tenor verhält, sich eigentlich einig sein und gar keinem Zweifel hingeben.
    Die wirkliche Sicherheit — ich muß auch hier dem zustimmen, was Herr Kollege Erler in einer der letzten Debatten gesagt hat — liegt heute nicht mehr im Technischen, sie liegt auch nicht mehr im Militärischen. Es gibt gegen diese Waffen keine Sicherheit im technischen Sinne, wenn sie einmal angewendet werden. Man soll sie auch nicht verniedlichen, sondern ganz offen sagen, was ein weltweiter, globaler, totaler, nuklearer Krieg bedeuten würde. Die Sicherheit liegt heute nicht mehr im Militärischen; sie liegt sicher und sie könnte liegen im Moralischen, wenn die Maßstäbe gemeinsam sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Weg dazu liegt in der Politik. Der Beweis dafür liegt in der Bereitschaft zur kontrollierten Abrüstung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich möchte drei Gesichtspunkte nennen, die leicht, isoliert für sich allein gegriffen, wieder in der üblichen Art, einen Satz herauszunehmen, gegen den Urheber verwendet werden können. Weder Abrüstung noch Frieden noch Wiedervereinigung sind
    absolute Werte. Abrüstung im Sinne einer einseitigen Abrüstung, daß man selbst keine Waffen hat, können wir jederzeit haben, wenn wir wollen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Frieden in dem Sinne, daß man sich nicht zu wehren braucht oder sich nicht mehr wehren kann können wir auch jederzeit haben. Aber auch Frieden ist kein absoluter Wert; er kann nur ein relativer Wert sein. Und Wiedervereinigung? Ich gebrauche einen völlig eigenen Gedankengang: Ist es denn wirklich die Wiedervereinigung, die uns in erster Linie drängt, quält, bedrückt und treibt? Es ist doch weniger die Wiedervereinigung im Sinne der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands; es ist doch mehr das Herzensanliegen der Wiederherstellung demokratischer und menschenwürdiger Zustände in diesem Gebiet.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es gab nach dem ersten Weltkrieg ja auch ein Wiedervereinigungsproblem anderer Art: Zusammenschluß zwischen der Weimarer Republik, zwischen dem Deutschen Reich und Osterreich. Wir wissen, daß das Wiener Parlament, ich sage es jetzt aus dem Gedächtnis, ich glaube, 1919 einstimmig beschlossen hat, den Anschluß an das Deutsche Reich zu vollziehen. Wir wissen ebenso sicher, daß dank der Genialität der deutschen Politik in absehbarer Zeit wohl kein Wiener Parlament noch einmal dasselbe beschließen würde.

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Aber der Zusammenschluß zwischen Deutschland und Österreich war ein Herzensanliegen von Millionen von Menschen, bis er von einem Verbrecher mißbraucht wurde. Angenommen, die Weltmächte, die großen Siegermächte hätten das Programm gehabt — das sie auch hatten —, aber: konsequent durchgesetzt, nach dem Kriege diesem Deutschland die Möglichkeit zu nehmen, eine Kräftekonzentration zu bilden, ein Deutschland, von dem aus wieder ein Krieg gestartet werden kann, und sie hätten uns auferlegt, bis zum Jahre X unter Herstellung völlig freiheitlicher Zustände die drei westlichen Besatzungszonen unter einem Staat zu haben, dazu die heutige sowjetische Besatzungszone, sagen wir, in einem Staatswesen, wie es heute Österreich darstellt, mit den dort bestehenden Verhältnissen, mit der dort bestehenden großen Koalition, mit dem dort herrschenden politischen Proporz und mit dem dort herrschenden System Raab-Schärf oder RaabPittermann — ja, wäre dann die Frage der Wiedervereinigung für uns das Gewissensproblem, das es heute ist? Darum ist „Wiedervereinigung" für sich allein irreführend, es ist die Wiederherstellung demokratischer Zustände und menschenwürdiger Verhältnisse in diesem Gebiet.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Darf ich im zweiten Teil meiner Ausführungen etwas zum Zweck unseres Verteidigungssystems sagen. Kollege Arndt. Kollege Mende haben heute, wenn auch mit ganz drastisch unterschiedlichen Nuancen, bestimmte Auffassungen vertreten. Wenn



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    man diese Debatte heute hört, dann möchte man oft ein beklemmendes Gefühl empfinden, ein beklemmendes Gefühl, als ob die berechtigte Furcht vor der Wirkung der nuklearen und der thermonuklearen Waffen als politischer Explosivstoff für die Sowjetstrategie bereits gewisse Erfolge bei uns errungen hätte — die berechtigte Furcht!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Was ist der Zweck des Bündnissystems, in dem wir uns befinden? Ich habe heute ausgeführt, daß es sowohl der Natur der Regierungen, der Natur der politischen Systeme der Mitgliedstaaten wie auch der Natur des Bündnissystems nach unmöglich ist, mit diesem Bündnis einen aggressiven oder gar einen präventiven militärischen Akt zu unternehmen. Ich glaube auch, daß ich keine besondere Legitimation vom Regierungschef brauche, wenn ich sage,

    (Abg. Dr. Mommer: Vorsicht!)

    daß die Bundesregierung und — ich glaube, ich brauche auch keine formelle Zustimmung der Mehrheitskoalition in diesem Hause — daß auch die Koalition niemals in ein militärisches Bündnis eintreten würden, dessen Zweck es wäre, politische Ziele mit Gewaltanwendung zu erreichen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sprechen damit ein klares Nein zur Gewaltanwendung als einem Mittel der Politik.
    Der Zweck dieses Bündnisses ist es — solange die Verhältnisse so sind, wie sie sind und wie sie nicht durch Interpretation oder subjektive Analyse geändert werden können —

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    nicht, einen kommenden Krieg zu gewinnen, sondern ist es, den Ausbruch des dritten Weltkrieges unmöglich zu machen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Kollege Arndt hat heute auch in die Geschichte zurückgegriffen und hat davon gesprochen, daß ja auch im Jahre 1914 Demokratien in den Krieg hineingeschlittert sind, in Verblendung hineingeschlittert sind. Das ist richtig. Damals gab es in allen Staaten einen hochexplosiven Nationalismus, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, auch in Rußland, auch anderswo. Damals glaubte man, Territorialprobleme geringeren Umfangs mit Blut und Eisen lösen zu müssen. Diese Zeit ist längst vorbei. Der zweite Weltkrieg wäre nicht gekommen, wenn ihn nicht Deutschland eröffnet hätte und wenn man nicht der deutschen Politik unter der Leitung eines verbrecherischen Subjekts die Möglichkeit gegeben hätte, ihn zu eröffnen.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU. — Abg. Mattick: Wo bleibt der Beifall?)

    — Ich glaube, die Dinge sind zu ernst, als daß man darüber lachen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich gehöre zwar nicht zum Klub der unschuldigen HJ-Leute, aber man kann diese nicht für schuldig
    erklären, ganz bestimmt nicht. Meine Generation — das darf ich mit dem Kollegen Mende sagen — ist damals nur sehr passiv und beobachtend beteiligt gewesen. Aber es geht heute nicht um Schuld oder Unschuld, die man von damals heute noch nachträglich verteilen soll, sondern es gilt, aus diesen Dingen zu lernen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Und den Elementen im westlichen Ausland, die die Gefahr Hitler immer unterschätzt haben, eine Vorbereitung der Abwehr gegen ihn verhindert oder verzögert haben, ist das Lachen vergangen, als seine Panzer vor den Toren von Paris und am Kanal standen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Da konnte keiner mehr etwas dagegen unternehmen.
    Ich weiß, wie gefährlich der Irrealis in der Politik, der Rückblick auf die Historie ist. Ich bin heute noch fest davon überzeugt: hätte Hitler im Jahre 1939 gewußt, daß der Überfall auf Polen den Krieg und die Vernichtung Deutschlands bedeuten würde, er hätte ihn nicht angefangen, obwohl er ein Verbrecher war. Sogar das muß und kann noch in das Kalkül eingestellt werden. Die Ungewißheit darüber, ob ihm die freie Welt energisch entgegentreten wird, hat ihn zu dem Abenteuer verführt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, sage ich: das hat mit der subjektiven Frage der Moral und der Schuld bei ihm gar nichts zu tun. Denn man kann auch nicht einem Hausbesitzer die Schuld an einem Mord geben, wenn er seine Tür nicht verriegelt, aber man kann ihm sehr wohl Fahrlässigkeit und Saumseligkeit vorwerfen, wenn es sich um ein gefährdetes Viertel handelt.
    Die Frage, vor der wir heute stehen, wie man einen dritten Weltkrieg verhindern kann, wo sich immerhin Waffen von einem kontinentalen Zerstörungsausmaß in den Händen auch skrupelloser Machthaber befinden, kann man nur damit beantworten, daß der Krieg verhindert werden kann, wenn der Angreifer weiß, daß der Angriff auf irgendein Mitglied des Bündnisses — ein großes oder ein kleines, ein schwaches oder ein starkes Mitglied — den Rückschlag sämtlicher Kräfte des gesamten Bündnisses auslösen würde.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, auch wenn man es uns oft nicht gern glaubt, sage ich: was wäre uns lieber, als anders zu sprechen! Aber die Wasserstoffbombe und überhaupt die nuklearen Waffen befinden sich in den Händen der Sowjets. Die Rakete von über 1000 km Schußweite ist in Einführung bei der Truppe, die Mittelstreckenrakete wird es in kurzer Zeit sein. Die interkontinentale Rakete mit einem sich ständig vervollständigenden Arsenal von Wasserstoffköpfen wird ebenfalls in wenigen Jahren in den Händen der Sowjets sein. Die haben das doch nicht getan, weil wir in die NATO eingetreten sind, — um heute dieselbe Frage noch einmal in anderem Zusammenhang zu stellen. Wir müssen den Sinn dieses Bündnisses, der darin liegt, den dritten Welt-



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    krieg zu verhindern, durch unseren aktiven Beitrag erfüllen helfen.
    Kollege Erler hat in zwei Verlautbarungen — die eine war, glaube ich, in der Neuen Rhein-Zeitung und die andere war eine Wiedergabe seiner Äußerungen in der Neuen Welt — zum Ausdruck gebracht, daß die Aufgabe der Bundeswehr darin bestehe, ein Gegengewicht zur Ulbrichtschen Volksarmee zu schaffen, und daß das unsere militärische Zielsetzung, sei es im Bündnis, sei es außerhalb des Bündnisses, sei. Sicherlich befinden sich in der Sowjetzone mehr Bewaffnete als in der Bundesrepublik, und sicherlich befanden sich schon viele Jahre, bevor bei uns mit der Verteidigung begonnen wurde, militärische Einheiten in der Sowjetzone. Aber ich möchte auch hier versuchen, ein sehr realistisches Bild zu bieten: Wir trauen diesen Einheiten nicht sehr viel Kampfkraft zu, weil ihnen, wie es sich am 17. Juni 1953 gezeigt hat, die innerliche, moralische Berechtigung für eine militärische Verwendung fehlt, so daß sie keine zuverlässigen Einheiten wären, sicherlich dann nicht, wenn der erste Rückschlag gekommen wäre. Unsere Aufgabe ist nicht, Herrn Ulbricht ein Pari zu bieten. Unsere Aufgabe ist es, die kriegsverhindernde Barriere, die kriegsabschreckende Wirkung der Gesamtbündnisstaaten um unseren Anteil zu erhöhen und um dieses Maß auch die Aussicht zu erhöhen, den dritten Weltkrieg nicht erleben zu müssen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich weiß, wie schwer es erstens ist, die Strategie der indirekten Verteidigung selber konsequent zu durchdenken — es ist ungeheuer schwer —, und zweitens, diese Strategie verständlich zu machen. In beidem sind Sie uns in der Opposition hinsichtlich der vulgären Wirkungskraft der Argumente ohne Zweifel voraus.
    Die Strategie der indirekten Verteidigung beruht darauf, daß man das, was man früher aufgeboten hat, um einen Krieg zu gewinnen, heute aufbieten muß, um ihn zu verhindern. Im ersten und im zweiten Weltkrieg fielen die militärischen Entscheidungen immer so, daß wir die Blitzsieger in der ersten Phase waren, daß es in der zweiten Phase ein Hin und Her gab und daß wir in der dritten Phase regelmäßig die „zweiten Sieger" waren.
    Die technische Entwicklung, die Zerstörungskraft der Waffen, die Schnelligkeit, mit der sie getragen werden, bieten heute einem Angreifer, der ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung seines Landes und die politische Struktur seiner Nation losschlagen kann, ungeheure Vorteile, Deshalb muß, solange die Sowjetunion nach der Analyse der Lage, nach der Prüfung der politischen Situation fähig ist, einen solchen Angriff zu unternehmen, und solange sie nach der Mentalität ihrer Machthaber auch keine Garantie dagegen bietet, die kriegsverhindernde Wirkung des Bündnisses aufrechterhalten werden. Anders läßt sich eine deutsche Sicherheitspolitik nicht machen.
    Wir wissen doch aus der Vergangenheit, daß der frühere deutsche Generalstab das Rundumdenken hatte. Da hat man die Fälle Anton bis Zeppelin — Blau, Gelb, Weiß, Grün usw. — gehabt, und da hatte
    man eine Lösung für Westen und Osten — und nun kam der Norden noch hinzu — in Generalstabsstudien niedergelegt. Die Zeit der Auseinandersetzung der europäischen nationalstaatlichen Demokratien oder auch nichtnationalstaatlichen Demokratien ist historisch vorbei. Es gibt heute für die militärische Vorbereitung zur Verhinderung eines Krieges nur mehr einen einzigen Fall; das ist der Fall Rot und sonst kein Fall mehr auf der ganzen Welt.

    (Beifall in der Mitte.)

    Der Kollege Arndt hat heute zum Ausdruck gebracht, man müsse eine Zone der Entspannung schaffen, um von da aus das Problem der Abrüstung anzugreifen. Er hat sich zu einem gefährlichen Wort verstiegen — ich glaube, ich habe es richtig niedergeschrieben —, als er sagte, daß der Versuch, zu einem umfassenden Abrüstungsabkommen zu gelangen, identisch damit ist, die Abrüstung unmöglich zu machen.

    (Abg. Wehner: Da haben Sie aber schlecht mitgeschrieben!)

    — Wer ein umfassendes Abrüstungsabkommen verlangt, verhindert damit einen wirksamen Schritt zur Abrüstung. Ich zitiere es jetzt einmal sinngemäß; ich bin jederzeit bereit, mich belehren zu lassen. Aber der Sinn war der: Ihr verlangt zuviel in der Regierung, und darum kann auch nicht der Anfang gemacht werden. Das war doch der Sinn dieser Ausführungen.
    Nun, es ist gar kein Zweifel, daß es nicht möglich sein wird, in einem Übergang von 24 Uhr bis 0 Uhr eine umfassende Abrüstung zu erlangen. Es ist ganz klar, daß sowohl die Verhandlungen über die Abrüstung lange Zeit erfordern — das hat die Vergangenheit ja bewiesen; das Ergebnis war gleich Null —, aber daß auch die Durchführung einer solchen Abrüstung mit all den Institutionen, die eingesetzt werden müssen, lange Zeit dauern würde. Die Frage ist nicht die, ob man einem ersten Schritt zustimmt oder nicht, sondern die Frage ist die, ob man einem ersten Schritt nur dann zustimmt, wenn der zweite und der dritte Schritt nach aller politischen Wahrscheinlichkeit damit verbunden sind. Das ist die entscheidende Frage.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich habe in einer Fraktionssitzung meiner Partei persönliche Überlegungen, die im Zusammenhang mit dem Rapacki-Plan entstanden sind und auf die Herr Kollege Mende heute Bezug genommen hat, erwähnt. Sie sind in die Öffentlichkeit gedrungen. Ich habe keine Bedenken getragen, sie auch in einem Artikel als Überlegungen über die Punkte, über die man sprechen müßte, darzulegen. Alle Überlegungen führen dazu, daß eine geographische Teillösung für die Abrüstung eine geographische Entwaffnung ist; denn die modernsten konventionellen Waffen ergeben im Verhältnis zu den Atomwaffen mindestens dieselbe Proportion wie eine Armbrust im Verhältnis zu einem Maschinengewehr. Wahrscheinlich stimmt dieser Vergleich noch nicht einmal in den Dimensionen. Eine geographische Entwaffnung, mit der nicht der vertragsmäßige Zwang verbunden ist, die Stufe 2 und die Stufe 3 einzuführen, ist nichts anderes — es tut mir leid, das sagen zu müs-



    Bundesverteidigungsminister Strauß
    sen — als eine entscheidende militärische Schwächung der NATO in Europa, eine Verstärkung der kriegsanziehenden Wirkung und eine Ausschaltung Deutschlands aus den politischen Ereignissen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)

    Nun, Herr Kollege Mende, muß ich auf einige Fragen von Ihnen eingehen, soweit ich es kann. Aber die Opposition hat in ihrer Gesamtheit wirklich keinen einheitlichen Zungenschlag. Als Herr von Eckardt einmal sagte, der Bundeskanzler lehne den Rapacki-Plan ab, er habe sich ein Gutachten militärischer Sachverständiger eingeholt, da hieß es: Aha, die Generäle machen wieder Politik, und die Bundesregierung und ihre Abgeordneten sind nichts anderes als nur die Willensvollstrecker der Generalstabsoffiziere. Auf der anderen Seite der Opposition des Hauses tönt es umgekehrt: Die Generäle sind ja für den Rapacki-Plan, aber die Politiker ziehen nicht mit; man solle den Generälen doch dann folgen, wenn sie positiv dazu ständen. Könnten Sie sich vielleicht unter sich einmal einigen, wofür wir sein sollen? Das wäre eine geschlossene Antwort.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Sehr billig!)

    — Diesen Ausdruck muß ich ablehnen. Sie haben den Vorwurf erhoben, der Bundeskanzler habe sein Urteil getreu dem Vorschlag der Generäle gebildet. Herr Kollege Mende hat gesagt, er habe brauchbare Anhaltspunkte dafür, daß die Politiker den RapackiPlan ablehnten und die Generäle und Generalstabsoffiziere des Bundeswehrführungsstabs ihn partiell weitgehend empfohlen hätten. Das ist doch nur eine Feststellung von Tatsachen und nichts anderes.
    Ich habe das Original sogar bei mir. Die Zusätze, Herr Kollege Mende, die ich gemacht habe — ich bin bereit, sie Ihnen im Original zu zeigen —

    (Abg. Schmidt [Hamburg]: Das dürfen Sie nicht! Der Kanzler hat das untersagt!)

    — doch, darf ich schon; wir sind ja in einer CDU-Regierung —;

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    erstrecken sich auf zwei Punkte. Ich habe als Zusatz 1, Herr Kollege Mende, den Bundeswehrführungsstab darauf aufmerksam gemacht, daß es angesichts des Vorhandenseins von Mehrzweckewaffen — Sie wissen, was damit gemeint ist — in den Händen der Amerikaner und Briten und ganz sicher auch drüben, Artillerie und Raketen, und angesichts des geringen Gewichts von taktischen Atomsprengkörpern auch unter der strengsten Kontrolle möglich ist, auf dem Luft- oder Landweg überraschend Atomsprengkörper in diese Zone zu bringen; man möchte das mit aufnehmen. Die zweite Bemerkung hieß: Dieses Gutachten nimmt nicht Stellung zur politischen Seite des RapackiPlans, weder zur Frage der Auswirkung gegenüber dem Osten, noch zur Frage der Auswirkung gegenüber dem Westen. Ich habe das ausdrücklich eingefügt — und so ist es dem Herrn Bundeskanzler
    übergeben worden —, um festzulegen, daß der Bundeswehrführungsstab ausschließlich die militärischen Argumente pro und kontra liefert, die der Politiker braucht und die der Staatsmann braucht, um seinen Entschluß fassen zu können, nicht mehr und nicht weniger. So viel zur Beherrschung der Politik durch die Generäle oder zu den militaristischen Politikern!