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ID0301800400

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    Deutscher Bundestag 18. Sitzung Bonn, den 20. März 1958 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abg. Frau Dr. h. c. Weber 823 A Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) ; Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230) Dr. Gradl (CDU/CSU) 823 D Dr. Mende (FDP) 828 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 840 C, 893 B Dr. von Brentano, Bundesminister 847 D, 894 C Dr. Arndt (SPD) 854 D Strauß, Bundesminister 861 B Erler (SPD) 880 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 895 B Kiesinger (CDU/CSU) 902 C Nächste Sitzung 913 D Anlage 915 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. März 1958 823 18. Sitzung Bonn, den 20. März 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Frau Albrecht 12. 4. Dr.-Ing. e. h. Arnold 20. 3. Dr. Baade 21. 3. Bading 20. 3. Bazille * 1. 4. Dr. Becker (Hersfeld) 19. 4. Bergmann * 21. 3. Birkelbach * 21. 3. Dr. Birrenbach * 21. 3. Blachstein 29. 3. Dr. Burgbacher * 21.3. Conrad 18.4. Cramer 21. 3. Dr. Deist * 21.3. Deringer * 21.3. Dr. Elbrächter * 21.3. Engelbrecht-Greve * 21. 3. Felder 31.3. Dr. Friedensburg * 21. 3. Frau Friese-Korn 31. 5. Funk 21.3. Dr. Furler * 21. 3. Frau Dr. Gantenberg 21. 3. Gehring 22.3. Geiger (München) * 21. 3. Gottesleben 22. 3. Dr. Greve 21.3. Hahn * 21. 3. Heiland 31.3. Hellenbrock 24.3. Heye 20. 3. Dr. Höck (Salzgitter) 31. 3. Höcker 15.4. Frau Dr. Hubert 12.4. Illerhaus * 21.3. Jahn (Frankfurt) 29.3. Jürgensen 31.3. Kalbitzer * 21. 3. Frau Kipp-Kaule 29.3. Dr. Kopf * 21.3. Dr. Kreyssig * 21.3. Kunze 15.5. Leber * 21.3. Lenz (Brühl) * 21. 3. Lenz (Trossingen) 29.3. Dr. Leverkuehn * 21.3. Dr. Lindenberg * 29. 3. Logemann 20. 3. Lücker (München) * 21. 3. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 30. 4. Margulies * 21. 3. Mellies 25.4. Metzger* 21. 3. Müller (Worms) 22. 3. Müller-Hermann * 21. 3. Neumann 12.4. Frau Niggemeyer 21. 3. Dr. Oesterle * 21. 3. Paul 30.4. Pelster 1.4. Frau Dr. Probst * 21. 3. Pütz 21.3. Ramms 31.3. Dr. Ratzel* 21.3. Richarts * 21.3. Frau Rudoll 20. 3. Scheel * 21. 3. Dr. Schmidt (Gellsersen) * 21. 3. Schneider (Hamburg) 31. 3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 3. Dr. Starke 21. 3. Storch * 21.3. Storm (Meischenstorf) 20. 3. Sträter * 21. 3. Frau Strobel * 21. 3. Struve 21.3. Unertl 20. 3. Dr. Vogel 22. 3. Vogt 12.4. Wehking 20. 3 Wehr 31.3. Weinkamm 29. 3. Dr. Will 21. 3. Wittmann 20. 3. b) Urlaubsanträge Frau Dr. Steinbiß 29. 3. Dr. Zimmermann 6. 5. * Für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Erich Mende


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
    Die außenpolitische Debatte des 23. Januar dieses Jahres hat nicht nur in Deutschland, sondern zumindest in der westlichen Welt einen niederschmetternden Eindruck hinterlassen.

    (Lachen und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es waren zwar keine Überraschungen zu erwarten, die Fronten lagen im wesentlichen fest, trotzdem hoffte man, daß die die Weltöffentlichkeit so stark erregenden Vorträge des Amerikaners Kennan und der Plan des polnischen Außenministers Rapacki eine wünschenswerte Bewegung endlich auch in die deutsche Außenpolitik bringen würden.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    So beginnt der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und Parteifreund des Herrn Bundeskanzlers
    und spätere Botschafter der Bundesrepublik in



    Dr. Mende
    London Schlange-Schöningen seinen Artikel in der Zeitung „Die Welt" vom 22. Februar 1958.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    — Es empfiehlt sich, etwas zu warten und nicht zu früh zu klatschen.

    (Erneuter Beifall bei der FDP und der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Der Botschafter Dr. Schlange-Schöningen, CDU-Bundestagsabgeordneter des 1. Deutschen Bundestages und langjähriges Parteimitglied der CDU folgert schließlich:
    Was soll nun eigentlich werden? Niemand kann von, uns verlangen, zehn, zwanzig oder dreißig Jahre zu warten, bis die Russen geneigt sein könnten, mit uns über die Wiedervereinigung zu verhandeln.

    (Abg. Kiesinger: Was wollen Sie denn tun, um sie geneigt zu machen?)

    „Zu spät" wird es dann wieder einmal von der deutschen Außenpolitik heißen. Sind wir
    — so fragt Schlange-Schöningen —
    denn wirklich zu nichts anderem fähig, als njet zu sagen?

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Warum ergreifen wir denn nicht jede gebotene Möglichkeit, wie sie uns in den verschiedensten Plänen auch vom Ausland nahegelegt wurden, um einen allerersten Anfang zu machen, aus dieser unfruchtbaren Erstarrung herauszukommen?
    Um aus dieser unfruchtbaren Erstarrung herauszukommen, haben die Freien Demokraten auf Drucksache 230 eine Große Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die im einzelnen zu begründen ich die Ehre habe. Wir fragen in dieser Großen Anfrage die Bundesregierung:
    Ist die Bundesregierung bereit, sich bei den vier Mächten dafür einzusetzen, daß auf der kommenden Gipfelkonferenz die Grundsätze eines Vertrages für Gesamtdeutschland erörtert werden?
    Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, daß wir in der Debatte des 23. Januar bereits ausgeführt und wiederholt erklärt haben, am Anfang der Entwicklung zur deutschen Wiedervereinigung stehe die Klärung des militärischen Status Gesamtdeutschlands und freie Wahlen müßten und würden am Ende eines langwierigen Entwicklungsprozesses stehen, gewissermaßen als Krönung unserer Bemühungen.
    Der Vorredner, Kollege Dr. Gradl, hat in der Rede am 23. Januar diese Auffassung bestätigt. Er hat auch bei einem Colloquium in Bonn diese Auffassung wiederholt, die da lautet: Freie gesamtdeutsche Wahlen stehen nicht am Beginn, sondern
    am Ende einer Entwicklung; am Beginn steht die Klärung des militärischen Status Gesamtdeutschlands.

    (Abg. Kiesinger: Und der Frage der provisorischen, nicht frei gewählten Regierung, nicht wahr?)

    Danach ist es ein Gemeinplatz, was ich hier wiederhole: zur deutschen Wiedervereinigung gehört das Ja aller vier Siegermächte, also auch das Ja der Sowjetunion. — Das Ja der Sowjetunion ist aber schwerlich zu erreichen, wenn Sie der Sowjetunion zumuten, daß sie auch noch den mitteldeutschen Raum und das mitteldeutsche Potential zur NATO schlagen lassen soll.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Eine solche Vorstellung schließt das Ja der Sowjetunion aus. Umgekehrt werden die Westmächte nicht ja sagen, wenn sie befürchten müssen, daß im Rahmen einer zeitlich langfristigen Entwicklung dieses wiedervereinigte Deutschland über ein neues Rapallo in den Sog des großen kontinentalen Nachbarn, der Sowjetunion, kommen könnte. Es gilt also eine Lösung zu finden, die verhindert, daß das Potential des 70-Millionen-Volkes der Deutschen und seines Raumes ausschließlich dem einen oder anderen der gegenwärtigen militärischen Bündnisse zufällt.

    (Beifall bei der FDP.)

    Damit beginnt die Problematik. Die Frage ist hier schon mehrfach gestellt worden: glauben wir denn wirklich nach allen geschichtlichen Erfahrungen, die andere mit uns und die wir mit anderen gemacht haben, daß man dem wiedervereinigten Deutschland militärische Handlungsfreiheit in dem Sinne geben wird, daß es in alleiniger Verantwortung entscheiden kann, wem es sich militärisch anschließen will?
    Diese Gedankengänge sind mehrfach durch den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU, durch den Herrn Bundestagspräsidenten Gerste nmaier, aufgenommen worden, zuletzt in verschiedenen Interviews und in der Broschüre einer Rede aus Stuttgart. Darin sagt der Herr Bundestagspräsident und stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU:
    Die Einbeziehung der Bundeswehr in die atomare Rüstung der NATO sollte jetzt weder in positiver noch in negativer Hinsicht entschieden werden. Der Aufbau unserer Streitkräfte muß und wird unabhängig davon selbstverständlich so lange weitergehen, bis wenigstens die ersten Stufen eines auch noch so bescheidenen, aber realen Abrüstungsabkommens wirksam werden.

    (Abg. Dr. Krone: Sehr gut!)

    Und dann faßt Dr. Gerstenmaier zusammen:
    Zusammengefaßt: wir wollen Verhandlungen mit folgendem Katalog: erstens die Methoden und Ziele der kontrollierten Abrüstung, zweitens die Klärung des politischen Status Gesamtdeutschlands und des Sicherheitssystems,



    Dr. Mende
    drittens Übereinstimmung über die Durchführung freier Wahlen und viertens Verhandlungsfrieden.
    Herr Dr. Gerstenmaier schließt:
    Es sollte mit größtem Nachdruck die ganz unabweisbare Forderung vertreten werden, daß die Deutschlandfrage in der Gestalt der Frage des Friedensvertrages auf die Tagesordnung dieser Ost-West-Konferenz gesetzt wird.
    Wir haben bei der Formulierung unserer Anfrage bewußt den Terminus technicus Friedensvertrag vermieden, um nicht schlafende Hunde zu wecken und Ansprüche möglicherweise aus entferntesten Winkeln dieser Erde zu provozieren. Aber im Inhalt stimmt unsere Formulierung „Grundsätze eines Vertrages für Gesamtdeutschland" mit dem überein, was Herr Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier mit den „Grundsätzen eines Friedensvertrages" in dieser und in anderen Reden gemeint hat.
    Ich frage nun die Bundesregierung: Wie steht die Bundesregierung zu dem Gedanken ihres stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU und Bundestagspräsidenten Dr. Gerstenmaier? Gilt die Aussage des Herrn Bundesaußenministers im Auswärtigen Ausschuß, daß solche Pläne schädlich und gefährlich seien, auch hier vor dem Deutschen Bundestag? Es bestehen begründete Vermutungen dafür, daß die Sowjetunion in ihrer Note an die USA vom 7. März 1958 die Gedankengänge des Herrn Bundestagspräsidenten und anderer Politiker aufgenommen hat. In dieser Note wird vorgeschlagen, daß auf der Gipfelkonferenz die Grundsätze eines Friedensvertrages mit Deutschland behandelt werden sollen.
    Wie war die Reaktion der Bundesregierung auf die Meldung von der Note der Sowjetunion an die Vereinigten Staaten? Die erste Reaktion war vollkommen negativ. Das Bundespresseamt ließ durch seinen Sprecher erklären, man wisse zwar noch nicht genau, was in der Note stehe, aber in jedem Fall sei es ein reines Propagandamanöver, und man solle keine großen Erwartungen darin setzen.

    (Abg. Dr. Bucerius: Das ist doch einfach nicht wahr!)

    Auf Fragen von Journalisten ist gesagt worden, man habe Anlaß, zu glauben, daß es der Sowjetunion nur darum gehe, einen Friedensvertrag mit zwei deutschen Staaten abzuschließen. Schließlich verdichtete sich — das läßt sich mit vielen Zeitungsmeldungen noch nachträglich beweisen, Herr Kollege Bucerius — diese negative Einstellung sogar in der Formulierung vieler Schlagzeilen, die am nächsten Tage in der Presse der deutschen Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht wurden.
    Man sagte, es sei die Bedingung enthalten, die Sowjetunion wolle einen Friedensvertrag nur mit zwei deutschen Staaten schließen. Das ist allerdings eine für uns alle in diesem Haus völlig indiskutable Lösung, und damit sollte dieser Vorschlag bereits im ersten Stadium vom Tisch verschwinden. Es ist glücklicherweise nicht dazu gekommen, sondern der Herr Bundestagspräsident hat es nach
    Rückfrage bei den Fraktionsvorsitzenden und nach Besprechung auch mit seinen Kollegen für zweckmäßig gehalten, diese schon für den letzten Mittwoch angesetzte Debatte mindestens bis auf den heutigen Tag, wenn nicht gar auf die nächste Woche zu verschieben, um Klärung darüber zu erreichen, was die Sowjetunion in ihrem Vorschlag, über einen Friedensvertrag auf der Gipfelkonferenz zu verhandeln, denn wirklich meint.
    Wir stellen fest: es handelt sich hier um eine und nicht die erste fahrlässige falsche Unterrichtung der deutschen Öffentlichkeit in dieser für die deutsche Frage so entscheidenden Problematik.

    (Beifall bei der FDP.)

    Dann kam eine Meldung, auf Grund deren sich die Initiatoren in der CDU/CSU-Fraktion bereit erklärten, ihre Vorstöße wieder einzustellen, da diese Frage ja nicht aktuell sei. Es handelt sich um die Meldung aus Manila, daß man auf der Gipfelkonferenz absolut nicht über die Deutschlandfrage, geschweige denn über einen Friedensvertrag, sprechen wolle, sondern lediglich über das Problem der Abrüstung. Und siehe da, während vorher die Bundesregierung es gewissermaßen als Conditio sine qua non deklariert hatte, daß auf der Gipfelkonferenz die Deutschlandfrage erörtert wird, zeigte sie nun plötzlich eine Schwenkung um 180 Grad.

    (Abg. Kiesinger: Stimmt ja gar nicht!)

    — Aber in der Abrüstungsfrage steckt ja die deutsche Frage drin, und so unbedingt brauchen wir an dieser Bedingung gar nicht festzuhalten. — Und siehe da, plötzlich stellt sich wieder heraus, die Manila-Meldung sei eine Falschmeldung. Das war zum zweitenmal eine grobe Fahrlässigkeit in der Unterrichtung der deutschen Öffentlichkeit, vielleicht mit tendenziösem Hintergrund.

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — Zuruf des Abg. Kiesinger. — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Denn der Zweck war erreicht, die Vorstöße waren eingestellt. Dabei ist es doch mit den heutigen Mitteln der Technik wahrlich sehr einfach, zurückzufragen, um sich sagen zu lassen, was wirklich gemeint ist. Die Rückfrage war sowohl im ersten Fall der fahrlässigen Falschunterrichtung der deutschen Öffentlichkeit wie im zweiten Fall möglich.
    Ich habe mir erlaubt, damals bei der Frage, ob wir die Debatte am vergangenen Mittwoch oder heute führen sollten, Kritik an der Tagungsweise des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages zu üben. Dieser Ausschuß ist im vergangenen ersten Halbjahr des 3. Deutschen Bundestages nur dreimal zusammengetreten!

    (Hört! Hört! bei der FDP.)

    In einer Zeit, da Noten unter den Staatsmännern gewissermaßen wie Postwurfsendungen gewechselt werden,

    (Lachen und Zurufe von der Mitte)

    hält es dieses so wichtige Gremium nicht für wichtig zu tagen.

    (Zuruf des Abg. Kiesinger und weitere Zurufe von der Mitte.)




    Dr. Mende
    Ich sehe wahrlich einen Mangel in der Funktionsfähigkeit unseres Parlaments darin, daß dieser Ausschuß, aus welchen Gründen auch immer, im ersten Halbjahr des Deutschen Bundestages nicht öfter zusammenkommen konnte als nur dreimal.
    Hier sollte der Präsident, hier sollte einmal der Geschäftsordnungsausschuß des Deutschen Bundestages prüfen, was man, sei es in geschäftsardnangsmäßiger, sei es in personeller Hinsicht, tun muß, um zu erreichen, daß dieser Ausschuß nicht weiter funktionsunfähig gemacht wird.

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — Lachen in der Mitte.)

    Nach seiner Rückkehr vom Urlaub hatte der Herr Bundeskanzler ein Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter Smirnow. Es scheinen sich über die Auslegung des Gesprächs Meinungsverschiedenheiten ergeben zu haben. Auch nach diesem Gespräch hielt der Herr Bundeskanzler an der Version fest, daß die Sowjets eine Bedingung gestellt hättediesen Vertrag nur mit zwei Deutschland oder mit einer Konföderation abzuschließen, wobei das konföderative Organ bis zur Gipfelkonferenz, also in wenigen Wochen, erstellt sein müsse, ein schon rein technisch unmögliches Unterfangen.
    Im Auswärtigen Ausschuß, der in seinen Verhandlungen vertraulich ist — aber die Frage, die ich stelle, dürfte nicht vertraulich sein —, hat sich der Herr Kollege Ollenhauer und habe ich mich bemüht, dieses Mißverständnis aufzuklären, und der Herr Bundesaußenminister hat uns zugesagt, daß er, sei es durch Rückfrage bei dem sowjetischen Botschafter in Bonn, sei es durch Rückfrage durch den deutschen Botschafter in Moskau, klären wolle, ob es eine Bedingung sei, daß der deutsche Friedensvertrag nur mit zwei deutschen Teilstaaten geschlossen werde. Denn wir beide fragten: Worauf gründet sich diese Behauptung der Bundesregierung, nachdem die Bedingung weder aus dem Text noch aus sonstigen Vorlagen zu entnehmen ist?
    Ich frage daher: Ist die Bundesregierung in der Lage, heute dem Deutschen Bundestag bekanntzugeben, welches Ergebnis diese zugesagte Klärung gehabt hat?
    Nach einer dpa-Meldung hat der Herr Bundeskanzler gestern den sowjetischen Botschafter erneut zu einer Unterredung empfangen, und bei dieser Unterredung soll der sowjetische Botschafter dem Herrn Bundeskanzler ein Aide-memoire seiner Regierung überreicht haben.
    Der Herr Bundeskanzler hat vor Beginn der Sitzung in einem Brief, den er mir zukommen ließ — wofür ich ihm danke —, Aufklärung über das gestrige Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter gegeben und bestätigt, daß die dpa-Meldung richtig sei. Ein Aide-memoire ist gestern dem Herrn Bundeskanzler überreicht worden.
    Ich frage daher: Herr Bundeskanzler, sind Sie nunmehr auf Grund des Textes des Aide-memoire in der Lage, hier vor dem Deutschen Bundestag zu erklären, daß die Sowjets nicht die Bedingung stellen, einen Friedensvertrag für zwei deutsche
    Staaten zu schließen, daß sie vielmehr auch in dem Aide-memoire vielleicht zum Ausdruck gebracht haben, daß sie einen Friedensvertrag mit Gesamtdeutschland abschließen wollen, daß auch der Vorschlag über eine Konföderation keine Conditio, sondern mehr oder minder einer von vielen Vorschlägen sein soll, daß die Sowjetregierung nicht daran denke, der Bundesregierung irgendwelche Rezepte in der deutschen Frage aufzustellen, und daß möglicherweise auch die Hinzuziehung Bonns und Pankows in einem gewissen Stadium der Verhandlungen nicht mit der Anerkennung gleichzusetzen sei, sondern die Sowjetregierung auch hier gar nicht daran denke, irgendeine Bedingung zur Anerkennung des einen durch den anderen und des anderen durch den einen zu fixieren?
    Meine Damen und Herren, wir haben von vornherein die — nachher bestätigte — Vermutung gehabt, daß die Sowjetregierung keine Bedingung stelle, einen Friedensvertrag nur mit zwei deutschen Teilstaaten zu schließen. Auch das Bundespresseamt hätte bei seinem großen Archivmaterial ebenso wie wir leicht die Möglichkeit gehabt, diese Vermutung zu erhärten.
    „Die Welt" brachte unter dem 7. Februar 1958 ein Interview mit Chruschtschow, der wohl einer der ersten Interpreten der wahren Absichten der Sowjetregierung sein dürfte.

    (Zurufe von der CDU/CSU.) Es heißt hier:

    Es ist uns bekannt, daß die Frage des Friedensvertrages das deutsche Volk tief bewegt. Und das ist verständlich. Denn es sind zwölf Jahre seit Beendigung des zweiten Weltkrieges vergangen, und das deutsche Volk hat noch immer keinen Friedensvertrag, der endgültig einen Strich unter diesen Krieg und seine Folgen ziehen würde.
    Dann stellt Chruschtschow fest:
    Die Frage des Friedensvertrages ist die Frage der Wiederherstellung der vollen Souveränität und Unabhängigkeit Deutschlands, seiner Grenzen, des Abzugs der ausländischen Truppen von seinem Territorium.
    Chruschtschow sagt weiter:
    Es ist eine Sache, den Kriegszustand mit Deutschland zu beenden, was auch die sowjetische Regierung angesichts der negativen Einstellung der Westmächte zum Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland getan hat, und eine andere Sache ist der Friedensvertrag selbst, der die äußeren Bedingungen festzulegen hat, bei deren Beachtung die innere Entwicklung Deutschlands von jeder äußeren Einmischung geschützt würde.
    Schließlich ein Drittes aus diesem Interview Chruschtschows aus der Zeitung „Die Welt" vom 7. Februar dieses Jahres:
    Unter Berücksichtigung dessen, daß gegenwärtig in Deutschland zwei souveräne Staaten existieren,



    Dr. Mende
    — ich wiederhole: „gegenwärtig" in Deutschland zwei souveräne Staaten existieren —
    die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland, ist es wichtig,
    — so sagt Chruschtschow —
    die Ausarbeitung des Entwurfs eines Friedensvertrages nicht hinauszuschieben, damit das deutsche Volk klare Perspektiven für die zukünftige Entwicklung Deutschlands vor sich sieht.
    Nun kommt offensichtlich die Beteiligung der beiden deutschen Regierungen, auch der Regierung der sogenannten DDR, an den Modalitäten; denn Chruschtschow sagt:
    Es versteht sich, daß an der Ausarbeitung dieses Entwurfs die Deutschen selbst, die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland, teilnehmen müssen. Wiederum schafft nach meiner Meinung die realsten Möglichkeiten für den Abschluß eines Friedensvertrags mit Deutschland der Vorschlag der Deutschen Demokratischen Republik über die Gründung einer deutschen Konföderation.

    (Zurufe von der Mitte: Na also!)

    — Hören Sie zu! In diesem Fall könnte der Friedensvertrag also auch hier keine Bedingung bringen:

    (Widerspruch in der Mitte.)

    In diesem Fall könnte der Friedensvertrag sowohl mit den Organen der Konföderation wie auch mit den Regierungen der Staaten abgeschlossen werden, die zu dieser Konföderation gehören.

    (Abg. Kiesinger: Und welche dritte Möglichkeit, welche Alternative sehen Sie!)

    Auch Molotow hat auf der Berliner Konferenz, nicht ad personam, sondern offensichtlich als Vertreter der sowjetischen Außenpolitik, unter dem 1. Februar 1954 erklärt:
    Selbstverständlich kann der Friedensvertrag nur von einer gesamtdeutschen Regierung unterzeichnet werden, die von einem aus freien Wahlen hervorgegangenen Parlament gebildet wird. Eine unserer Hauptverpflichtungen besteht darin, die Durchführung solcher freien Wahlen zu beschleunigen.
    Ich bin mir darüber im klaren, daß Herr Molotow im Anschluß daran „freie Wahlen" etwas anders interpretiert als das, was wir unter freien Wahlen verstehen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Aber hier geht es doch um den Obersatz! Sie sagen: Der Friedensvertrag darf nur mit zwei deutschen Staaten abgeschlossen werden; so denken die Sowjets. — Ich sage, Herr Molotow und Herr Chruschtschow erklären: Selbstverständlich kann der Friedensvertrag nur von einer gesamtdeutschen Regierung unterzeichnet werden. Wer jetzt noch nicht weiß, daß auf keinen Fall eine Bedingung gestellt wurde, wer aus dem Wort „gegenwärtig" nicht schließt, daß das doch ein temporärer Zustand ist, den die Sowjets anerkennen, wenn sie sagen, daß gegenwärtig zwei deutsche Teilstaaten bestehen, daß sie nicht das Definitivum „zwei Deutschland" anerkennen, wer das jetzt noch nicht versteht, ist den Gesetzen der Logik verschlossen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der FDP und SPD. — Abg. Dr. Bucerius meldet sich zu einer Zwischenfrage.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Den Gefallen kann ich ihnen nicht tun, Herr Kollege Bucerius. Erst wenn nach den Begründungen und Antworten die allgemeine Aussprache eröffnet ist, sind Zwischenfragen zulässig.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Erich Mende


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Offensichtlich hat er das Stichwort schon jetzt bekommen!

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Wir Freien Demokraten glauben vielmehr, daß die Sowjets sich vielleicht — aber das müßte man durch die diplomatischen Vertretungen bis ins einzelne klären — die deutsche Wiedervereinigung in mehreren Phasen vorstellen, daß sie an einen langwierigen Prozeß denken, vielleicht von mehreren Jahren. Die erste Phase, von der wir glauben, daß sie auf der Gipfelkonferenz behandelt werden kann, wäre die Festlegung der Prinzipien eines Vertrages für Gesamtdeutschland oder, wie der Herr Bundestagspräsident sagte, eines Friedensvertrages. Bei diesen Prinzipien wird es sich primär darum handeln, den militärischen und politischen Status Gesamtdeutschlands festzulegen. Das ist die Ausgangsfrage, von der nach unserer Auffassung alles andere abhängt. Vielleicht auch die Frage: Darf dieses Deutschland Atomwaffen produzieren? Ich glaube, nein. Wird es sie haben dürfen? Die Frage muß beantwortet werden! Wird es eine Streitmacht haben dürfen? Ich glaube, ja. Wie stark wird sie sein? Das werden die vier Siegermächte festlegen. Vielleicht wird sogar die heikle Grenzfrage auch schon zu den Prinzipien gehören, die im ersten Stadium wenigstens erörtert werden, nachdem das letzte Stadium ohnehin nur durch eine gesamtdeutsche Repräsentanz entschieden werden kann, da im Potsdamer Abkommen eindeutig festgestellt ist, daß die endgültige Regelung der deutschen Grenzen einem Friedensvertrag vorbehalten bleiben muß. Weder Bonn noch Pankow — das haben wir schon in der Saarfrage festgestellt — sind berechtigt, auf einen Fußbreit deutschen Bodens definitiv zu verzichten. Das ist eine Frage, die erst in einem Friedensvertrag durch eine gesamtdeutsche Repräsentanz enschieden werden kann.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Es ist möglich, daß die vier Siegermächte schon zu Verhandlungen über die Prinzipien die Hinzuziehung von Bonn und Pankow wünschen, gewissermaßen in einer beratenden Funktion; so scheint es ja in dem Brief des sowjetischen Regierungschefs Bulganin an den britischen Premierminister MacMillan gefordert zu sein.



    Dr. Mende
    Ich frage nun: Würde die Bundesregierung eine Behandlung der deutschen Frage daran scheitern lassen, daß möglicherweise in konsultativer Funktion auch die Pankower Vertreter da sein würden? Das ist eine sehr entscheidende Frage! Ich erinnere daran, daß schon einmal Vertreter der Bundesrepublik und Vertreter Pankows in konsultativer Funktion erschienen sind, und zwar bei der Versammlung der Vereinten Nationen im Jahre 1951, ohne daß daraus eine Anerkennung der DDR hergeleitet werden konnte. Es gibt genügend völkerrechtliche Möglichkeiten auch bei einer konsultativen Teilnahme, zu verhindern, daß Pankow daraus seine völkerrechtliche Anerkennung erschleicht. Denn hier gibt es keine Gegensätze in diesem Hause, in der Frage, daß für uns Pankow kein legitimer deutscher Staat ist und daß die Machthaber Pankows nur auf den Bajonetten der Roten Armee sitzen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Es ist möglich, daß dann nach der ersten Phase die Modalitäten in einer zweiten Phase ausgehandelt werden, und zwar innerhalb der beiden deutschen Teilstaaten, daß also gewisse Fragen beispielsweise des ökonomischen Angleichens, die Frage der sogenannten sozialen Errungenschaften,

    (Abg. Kiesinger: Die Eleganz, wie Sie so etwas zu sagen vermögen!)

    die Frage der Bodenreform, die Frage des Wahlgesetzes den beiden deutschen Staaten in einer Art Auftragsverhandlung zugewiesen werden. Wir haben bisher hier die Auffassung vertreten: Wir lehnen zweiseitige Gespräche und wir lehnen zweiseitige Verhandlungen mit Pankow ab; sie führen zu nichts. Wer etwas in der deutschen Frage erreichen will, muß mit dem Chef sprechen — der sitzt in Moskau — und nicht mit den Portiers; die sitzen in Pankow.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Das ist auch heute noch unsere Auffassung. Wir wollen mit den vier Siegermächten sprechen. Aber es ist eine andere Frage, ob nicht möglicherweise für die zweite Phase der Modalitäten eine Art Auftragserteilung durch alle Vier kommt.
    Die Sowjets haben nun einmal die Zwei-StaatenTheorie jahrelang vertreten. Glauben Sie, daß eine Großmacht vom Range der Sowjetunion es sich leisten kann, so von heute auf morgen von einer jahrelang vertretenen Auffassung herunterzugehen? Auch das ist eine reale Frage.

    (Unruhe bei der CDU/CSU.)

    Umgekehrt hat der Deutsche Bundestag eine Auffassung fixiert, von der er auch nicht herunter will und herunter darf: Wir sprechen nicht mit denen drüben. Bei einer solchen Auftragsverhandlung über die Modalitäten würde sowohl die Sowjetunion wie auch der Deutsche Bundestag kein Prinzip aufgeben.
    Es kommt darauf an, aus der, wie SchlangeSchöningen sagt, erstarrten Situation herauszukommen; und aus der kommen Sie nicht heraus, wenn Sie der einen Seite zubilligen, ihr sowjetisches
    Dogma aufzustellen, und Sie hier das NATO-Dogma
    aufstellen. Dann gibt es keine Wiedervereinigung.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Wer die Wiedervereinigung will, muß bereit sein, auch die gegenwärtigen Blocksysteme zur Diskussion zu stellen, d. h. er muß bereit sein, ein Développement, eine Entwicklung der gegenwärtigen Vertrags- und Blocksysteme dieser Erde zu akzeptieren. Denn wer heute noch der Auffassung ist, daß die Sowjets mit ihrer Roten Armee aus Mitteldeutschland herausgehen, ohne daß die Westmächte in der Bundesrepublik ebenfalls einen gleichen Raum freigeben, ist — hoffnungslos! — ein Narr.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Die Zeit, da wir glaubten, mit Hilfe atomaren Drucks, durch eine NATO-Klammer die Sowjets aus Mitteldeutschland und aus den osteuropäischen Staaten hinauszudrücken, ist leider seit dem Augenblick vorbei, als die Sowjets in den Besitz der gleichen thermonuklearen Waffen kamen, als die Amerikaner vorher als die einzigen dieser Erde hatten. Das atomare Gleichgewicht hat die Phase des Druckes, die Phase des Roll-back beendet. Die Phase der Verhandlungen hat begonnen, und es gibt kein Zurück mehr auf das Roll-back;

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    es sei denn, meine Damen und Herren, Sie akzeptieren das, was Ihr Kollege Baron von ManteuffelSzoege hier erklärt hat: Man muß das Böse ausrotten, wenn es sein muß auch durch die Atombombe. Das Dumme ist nur, Herr Kollege von Manteuffel, wir werden mit ausgerottet, ob gut oder böse.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Eine dritte Phase wäre möglich in einer Festlegung der ausgehandelten Modalitäten. Es ist möglich, daß sich bei den Modalitäten Schwierigkeiten ergeben. Dann haben die vier Siegermächte immer noch die Möglichkeit, die Fragen an sich zu ziehen und zu entscheiden. Denn die vier Siegermächte haben ja gewisse Vorbehaltsrechte bezüglich Deutschland und Berlin als Ganzes — so steht es in den beiderseitigen Verträgen —, und die vier Siegermächte haben sich im Potsdamer Abkommen verpflichtet, die staatliche Einheit Deutschlands zu gewährleisten. Das ist für sie eine Rechtspflicht zu handeln; das ist für uns der Rechtsanspruch des deutschen Volkes auf seine staatliche Einheit.
    Die vierte Phase ist dann die Schlußphase: die Ratifikation eines solchen Friedensvertrages durch eine gesamtdeutsche Repräsentanz; wobei für uns eine solche Repräsentanz nur eine aus freien Wahlen hervorgegangene deutsche Nationalversammlung oder ein deutscher Reichstag sein kann.
    Diese vier Phasen könnten sich über Jahre erstrecken. Schließlich ist auch der österreichische Staatsvertrag nicht von heute auf morgen auf den Tisch zur Unterschrift gekommen, sondern auch er hat einen langwierigen Prozeß nötig gemacht.
    Herr Kollege Gradl hat hier gewisse Gespräche angezogen, die Vertreter der Freien Demokratischen Partei im Oktober 1956 in Weimar mit Funktionären



    Dr. Mende
    der dortigen sogenannten Liberal-Demokratischen Partei geführt haben. Wir sind damals auf der Fahrt zu einer Bundestagssitzung nach Berlin ausnahmsweise über Weimar gefahren, um einmal dort zu prüfen: Wie verhält es sich dort?

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    — Sie lachen auch diesmal zu früh! —

    (Beifall bei der FDP und bei der SPD.)

    Wir wollen prüfen: Können wir es nach der Parole „Deutsche an einen Tisch!" erreichen, daß wir sechs Versammlungen in Mitteldeutschland halten können, unter der Voraussetzung, daß wir ebenso sechs Versammlungen in Westdeutschland seitens unserer Partei der dortigen LDP anbieten? Meine Damen und Herren, eines steht auf jeden Fall fest: dieser Wunsch ging und geht nicht weiter als das Angebot des Bundesministers Lemmer, der sagt, er sei bereit, Ulbricht im Ruhrgebiet sprechen zu lassen, wenn er in Ost-Berlin sprechen darf.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Es zeigte sich allerdings, daß die Vertreter der LDP
    nicht in der Lage waren, uns diese Chance zu geben,

    (Aha-Rufe und Lachen bei der CDU/CSU)

    genauso wie Herr Ulbricht wahrscheinlich nicht in der Lage ist, Herrn Lemmer diese Chance zu geben. Aber eines steht fest — und Herr Dr. Gradl, der ja sehr viel von den Verhältnissen Mitteldeutschlands und auch von der Propaganda weiß, was ich sehr anerkenne, wird mir das bestätigen —: die Parole: „Deutsche an einen Tisch!" ist in dem Augenblick den Leuten aus der Hand geschlagen worden, als wir sie stellten und sie nicht in der Lage waren, uns diese Chance zu geben.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Die Parole: „Deutsche an einen Tisch!" ist nicht mehr zu hören. Wie schwach muß das System in Mitteldeutschland sein, wenn es nicht einmal in der Lage ist, sechs Vertreter einer Partei in Mitteldeutschland sprechen zu lassen, selbst auf das Gegenangebot, sechs dortige sogenannte Volkskammerabgeordnete in der Bundesrepublik sprechen zu lassen. Auf wie schwachen Füßen muß ein solches System stehen, das einen Professor Harich zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt!

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    — Diese Möglichkeit, daß wir das sagen können, haben wir aus eigener Anschauung und nicht nur aus der Presse entnommen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    Es ist damals sehr bequem gewesen, bei Kempinski am Kurfürstendamm die Füße unter den Tisch zu strecken und uns drei, die wir in Weimar waren, zu kritisieren. Es war wesentlich schwieriger, nach Weimar zu fahren und sich mit drei Vertretern einer Partei, deren Führung leider auch eine halb
    kommunistische geworden zu sein scheint, auseinanderzusetzen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD. — OhRufe und Lachen bei der CDU/CSU.)

    Natürlich ist für uns nach wie vor die deutsche Frage nur lösbar in der Entscheidung der vier Siegermächte. Pankow hat für uns keine Legitimation. Aber was noch viel wesentlicher ist — man soll sich bei juristischen Dingen nicht selber blokkieren —: Pankow hat für uns auch keine Position, um mit uns über die deutsche Frage verhandeln zu können. Oder glauben Sie, daß, wenn Pankow entscheidet, die 22 sowjetischen Divisionen sollen abziehen, dann die Pankower auch die Rote Armee dazu veranlassen könnten? — Nein, die deutsche Frage klärt sich nur im Gespräch mit den vier Siegermächten, in diesem Falle im Gespräch mit Moskau und nicht mit Pankow.
    Der Bundeskanzler selber hat in der 101. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages am 22. September 1955 erklärt:
    Die Sowjetunion ist eine der vier Siegermächte, ohne deren Mitwirkung das vornehmste Anliegen unserer Politik, die Herstellung der Einheit unseres Landes, nicht verwirklicht werden kann.
    Das Fehlen von Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten, die sich daraus für uns ergebende Unmöglichkeit, unsere nationalen Anliegen auch selbst in Moskau zu vertreten, ist eine Anomalie. Würde man uns
    — so schloß der Bundeskanzler —
    auch deshalb nicht mit Recht unklug genannt haben, wenn wir das von der Sowjetregierung gemachte Angebot, diplomatische Beziehungen aufzunehmen, abgelehnt hätten?
    Wir fragen: Ist es auch noch heute die Meinung der Bundesregierung, daß sie alle sich bietenden diplomatischen Möglichkeiten auch gegenüber der Sowjetunion nützt, um in der deutschen Frage voranzukommen? Herr Kollege Gradl hat es eben so dargestellt, Gespräche, Verhandlungen, Zusagen der Sowjetunion seien von vornherein indiskutabel, da man mit dieser Macht ja doch nicht verhandeln könne. Auch hier finden wir wieder das Fuldaer Manifest in seiner absoluten Ablehnung.

    (Beifall bei der FDP und SPD. — Gegenrufe von der CDU/CSU.)

    — Wenn es wirklich so ist, daß Verhandlungen mit der Sowjetunion schlechthin aussichtslos sind, daß Verträge mit der Sowjetunion schlechthin nicht abgeschlossen werden können, dann frage ich mich, warum der Bundeskanzler es dann für richtig hielt, damals mit einer solchen Macht die diplomatischen Beziehungen aufzunehmen.

    (Beifall bei der FDP und SPD. — Zuruf von der Mitte: Also! — Abg. Majonica: Sie dementieren sich selbst, Herr Dr. Mende!)

    Wir sind der Meinung, man muß sich auch im Verhältnis zur Sowjetunion ein gewisses Minimum an



    Dr. Mende
    Vertrauen erhalten. Wenn man nicht einmal mehr dieses Minimum für möglich hält, dann ist die Konsequenz nur noch, daß wir uns alle auf den dritten atomaren Weltkrieg einrichten.

    (Beifall bei der FDP und SPD. — Zuruf von der CDU: Das ist ja Unsinn! — Weitere Gegenrufe von den Regierungsparteien.)

    Im übrigen hat Ihnen Schlange-Schöning e n selbst in seinem Artikel — ich bitte, das einmal nachzulesen, da ich nicht allzuviel von Ihren Freunden zitieren will — erklärt, daß Sie nicht so sehr immer nur nachrechnen sollten, was der Sowjetunion an Vertragsbrüchen vorgehalten werden könne; uns Deutschen stünde es gut an, auch einmal zu prüfen, wieviel Vertragsbrüche wir in dieser Generation begangen haben. Dann sei es zweckmäßiger, sagt Schlange-Schöningen, — —

    (Lebhafte Zurufe von der Mitte. — Unruhe.)

    — Ja. meine Damen und Herren, Sie wollen doch hier nicht alle erklären, — —

    (Anhaltende große Unruhe in der Mitte.)