Rede:
ID0301201700

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. Frau: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Kalinke.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 12. Sitzung Bonn, den 14. Februar 1958 Inhalt: Ergänzung der Tagesordnung 535 A Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft (Drucksachen 200, zu 200) Dr. h. c. Lücke, Bundesminister . . . 535 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall (FDP) (Drucksache 83) Mischnick (FDP) 543 B, 558 B Dr. Dittrich (CDU/CSU) 546 A Wischnewski (SPD) 548 B Frau Kalinke (DP) 550 A Börner (SPD) 556 B Schüttler (CDU/CSU) 557 A Horn (CDU/CSU) 558 D Entschließungen der 46. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union (Drucksache 124) 559 A Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfahren gegen den Abg. Dr. Dehler; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 171) Ritzel (SPD), Berichterstatter 559 B Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfahren gegen den Abg. Dr. Jaeger; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 172) Ritzel (SPD), Berichterstatter 559 D Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfahren gegen den Abg. Caspers; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 173) Dewald (SPD), Berichterstatter . . . . 560 B Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafvollstreckung gegen den Abg. Wehr; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 174) Muckermann (CDU/CSU), Berichterstatter 560 C Schreiben des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfolgung gegen Gustav Essig in Weiler; Mündlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 175) Dr. Dittrich (CDU/CSU), Berichterstatter 561 A Schreiben der RA Dr. Keßler, Rolf Gyger, München, betr. Strafverfahren gegen den Abg. Dr. Jaeger; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung (Drucksache 177) Dr. Bucher (FDP), Berichterstatter . 561 C Nächste Sitzung 562 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Schriftlicher Bericht des Wahlprüfungsausschusses (Drucksache 177) . . 563 A Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Februar 1958 535 12. Sitzung Bonn, den 14. Februar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Ackermann 14. 2. Frau Albertz 14. 2. Dr. Barzel 24. 2. Bauer (Wasserburg) 22. 2. Bazille 14. 2. Dr. Bechert 14. 2. Dr. Becker (Hersfeld) 15. 3. Frau Beyer (Frankfurt) 15. 2. Birkelbach 14. 2. Blachstein 14. 2. Frau Brauksiepe 14. 2. Dr. Brecht 14. 2. Conrad 14. 2. Frau Döhring (Stuttgart) 17. 2. Dopatka 15. 2. Drachsler 14. 2. Dr. Eckhardt 28. 2. Eilers (Oldenburg) 14. 2. Even (Köln) 15. 2. Faller 7. 3. Felder 31. 3. Franke 14. 2. Frau Friese-Korn 28. 2. Dr. Furler 14. 2. Gedat 22. 2. Gerns 14. 2. Dr. Gleissner (München) 14. 2. Günther 14. 2. Hahn 14. 2. Häussler 14. 2. Hellenbrock 14. 2. Dr. Höck 21. 2. Frau Dr. Hubert 28. 2. Illerhaus 14. 2. Jacobs 12. 3. Dr. Jordan 14. 2. Jürgensen 28. 2. Kemmer 14. 2. Dr. Kempfler 14. 2. Keuning 14. 2. Kiesinger 14. 2. Köhler 14. 2. Dr. Königswarter 14. 2. Dr. Kopf 15. 2. Kühlthau 14. 2. Kunze 15. 2. Dr. Leiske 22. 2. Lenz (Brühl) 14. 2. Dr. Leverkuehn 14. 2. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 3. Dr. Maier (Stuttgart) 14. 2. Maucher 14. 2. Mellies 8. 3. Dr. Mende 14. 2. Mengelkamp 14. 2. Dr. Meyers (Aachen) 8. 3. Muckermann 14. 2. 011enhauer 14. 2. Paul 28. 2. Anlagen zum Stenographischen Bericht Pelster 14. 2. Ramms 14. 2. Frau Dr. Rehling 14. 2. Dr. Rüdel (Kiel) 14. 2. Scharnberg 14. 2. Frau Schmitt (Fulda) 14. 2. Dr. Schneider (Saarbrücken) 14. 2. Schoettle 14. 2. Schütz (Berlin) 14. 2. Dr. Serres 14. 2. Seuffert 14. 2. Dr. Siemer 14. 2. Stahl 14. 2. Dr. Weber (Koblenz) 22. 2. Dr. Wilhelmi 14. 2. Zoglmann 14. 2. Anlage 2 Drucksache 177 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß) - Immunitätsangelegenheiten - betr. Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger gemäß Schreiben der Rechtsanwälte Dr. Ernst Keßler, Rolf Gyger, München, vom 31. Januar 1957 (I/3) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bucher. Die Rechtsanwälte Dr. Ernst Keßler und Gyger, München, haben als Prozeßbevollmächtigte des früheren Abgeordneten Kahn-Ackermann unter Beifügung der Privatklageschrift an das Amtsgericht Fürstenfeldbruck mit Schreiben vom 31. Januar 1957 gebeten, eine Entscheidung des Bundestages über die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger wegen Beleidigung herbeizuführen. Die Sache wurde bereits vom Ausschuß für Wahlprüfung und Immunität des 2. Deutschen Bundestages behandelt und ein Schriftlicher Bericht unter zu Drucksache 3582 vorgelegt, der jedoch vom Plenum des Bundestages nicht mehr verabschiedet werden konnte. Nunmehr hat dieser Bundestag darüber zu entscheiden. In der Begründung der Privatklage wird dem Abgeordneten Dr. Jaeger vorgeworfen, er habe ausweislich des in verschiedenen Tageszeitungen, u. a. in der „Landsberger Zeitung" vom 1. und 2. November 1956, erschienenen Berichts in einer Kreisversammlung der CSU in Fürstenfeldbruck am 31. Oktober 1956 in bezug auf den Privatkläger u. a. folgende Äußerungen gebraucht: „Wenn Kahn-Ackermann bekanntgebe, wie viele Briefe er beantwortet, wie viele Versammlungen und Sprechstunden er gehalten habe, dann müßte er - Dr. Jaeger - feststellen, daß er 3 Jahre in Bonn gearbeitet habe, während Kahn-Ackermann 3 Jahre lang im Lande herumgereist sei . ..". Ferner äußerte Dr. Jaeger in diesem Zusammenhang: „Der Aktivist Kahn-Ackermann bzw. Hennecke-Ackermann hat sein Soll erfüllt ... . 564 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Februar 1958 Es handelt sich hier um einen Streit der beiden aus dem gleichen Wahlkreis Fürstenfeldbruck kommenden Abgeordneten Kahn-Ackermann und Dr. Jaeger, wer mehr als Abgeordneter gearbeitet habe. Diese im politischen Raum liegende Auseinandersetzung, deren Schärfe unter dem Zeichen des bereits angelaufenen Wahlkampfes gesehen werden muß, führte auch zu einem Antrag des Abgeordneten Dr. Jaeger, die Immunität des früheren Abgeordneten Kahn-Ackermann wegen ähnlicher Äußerungen aufzuheben. Entsprechend der ständigen Praxis des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, bei Beleidigungen politischen Charakters die Immunität nicht aufzuheben, hat der Ausschuß in seiner Sitzung vom 17. Januar 1958 einstimmig beschlossen, dem Hohen Hause vorzuschlagen, die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Dr. Jaeger nicht zu erteilen. Bonn, den 28. Januar 1958 Dr. Bucher Berichterstatter
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Jürgen Wischnewski


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir uns heute noch einmal mit dem sehr ernsten Problem des kranken Arbeiters beschäftigen müssen, dann liegt die Schuld nicht bei unserer Fraktion. Wir haben im 2. Bundestag mit der Drucksache 1704 den Antrag eingebracht, durch eine entsprechende Änderung des § 616 BGB die Arbeiter und Angestellten völlig gleichzustellen. Nach wie vor ist das nach unserer Auffassung der richtige Weg, um dieses Problem zu meistern.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn es um die Lösung großer gesellschaftlicher Probleme geht — und um ein solches handelt es sich hier —, dann sollte man kein Flickwerk und kein Stückwerk machen, sondern dann sollte man den Mut haben, die Probleme auch ganz zu lösen. Das ist leider versäumt worden.

    (Abg. Ruf: Noch größere Fehler machen?)

    Das Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle hat — das muß hier auch einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden — für einen nicht unbedeutenden Teil der Arbeiterschaft auch erhebliche Verschlechterungen mit sich gebracht. Ich erinnere an die betrieblichen Regelungen, die bereits eine Zahlung von 90 % und mehr vorsahen, wobei durch höhere
    Beitragszahlung oder durch Verminderung des entsprechenden Betrages Verschlechterungen eingetreten sind. Ich war neulich in einem solchen Betrieb. Dort haben die Arbeiter die Auffassung vertreten, das Gesetz müsse eigentlich heißen „Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeitgeber".

    (Abg. Ruf: Dann hätte man es doch beim alten belassen sollen! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Ich möchte nur feststellen, daß auch einzelne solcher Fälle vorliegen. Es geht mir darum, zu sagen, daß also nicht für alle eine Verbesserung, sondern für einen ganzen Teil auch eine erhebliche Verschlechterung eingetreten ist. In Köln gibt es einen Betrieb, in dem 15 000 Arbeiter durch dieses Gesetz eine Verschlechterung erfahren haben. Wenn ich das sage, so will ich damit natürlich keineswegs abstreiten, daß für den größten Teil der Arbeiterschaft tatsächlich eine Verbesserung eingetreten ist.

    (Abg. Ruf: Kein Betrieb wird gehindert, mehr zu tun, Herr Kollege!)

    Nun zu dem Antrag der FDP auf Drucksache 83. Es geht hier um zwei Probleme: erstens um den Begriff des Nettoarbeitsentgelts und zweitens um das Problem der Karenztage. Dem ersten können wir keineswegs zustimmen. Was degegen das Problem der Karenztage angeht, so sind wir ohne weiteres bereit, noch darüber hinauszugehen.

    (Beifall bei der SPD. — Heiterkeit in der Mitte.)

    Nettoarbeitsentgelt ist immer volles Arbeitsentgelt, d. h. Arbeitsentgelt mit allen Zuschlägen. Sie wollen die Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge und auch die Lohnzuschläge herausnehmen, die für die Besonderheit der Arbeit gezahlt werden. Das würde bedeuten, daß sich für einen großen Teil der Arbeitnehmer entscheidende Minderungen ihrer Löhne ergeben würden. Ich denke hier z. B. an den Gießereiarbeiter, bei dem der Lohn zu rund 20 % immer aus Zuschlägen besteht. Ich denke auch noch an eine Reihe von anderen Gruppen, bei denen eine derartige Situation gegeben ist. Hier würden also nicht zu verantwortende Härten eintreten. Es gibt demnach keine Möglichkeit, das Problem, das Sie hier ansprechen, auf diese Art und Weise zu regeln.
    Der Herr Kollege Dr. Dittrich hat bereits darauf hingewiesen, daß es sich außerdem bei einer solchen Regelung um eine sehr einseitige Entlastung, d. h. nur um die Entlastung der Arbeitgeber handeln würde. Meine Damen und Herren, wir sollten doch einmal klar und deutlich feststellen, daß im Augenblick sowieso nur Pfennigbeträge bezahlt werden. Lassen Sie mich bitte zwei Beispiele bringen: bei einem Bruttoverdienst von 300 DM bekommt der verheiratete Arbeiter mit zwei Kindern einen täglichen Ausgleich von 46 Pf, bei einem Bruttoverdienst von 400 DM eines verheirateten Arbeiters mit zwei Kindern beträgt der Ausgleich täglich 65 Pf. Das sind also nur Pfennigbeträge. Der Kollege Dr. Dittrich hat trotzdem gesagt, daß das



    Wischnewski
    Gesetz insbesondere für die mittelständische Wirtschaft eine sehr starke Belastung sei. Nun, ich darf bei dieser Gelegenheit daran erinnern, daß die sozialdemokratische Fraktion bei der Beratung des Gesetzes diesem Hause den Vorschlag unterbreitet hat, einen Ausgleichsstock einzuführen, um auf diese Art und Weise eventuelle Härten unter den Betrieben ausgleichen zu können. Bedauerlicherweise ist man damals auf diesen Vorschlag unserer Fraktion nicht eingegangen.

    (Abg. Dr. Dittrich: So wie beim Kindergeldgesetz?)

    — Nein, zwischen diesem Ausgleichsstock und dem anderen, Herr Kollege, besteht ein erheblicher Unterschied.

    (Abg. Ruf: Worin besteht er denn?)

    Wenn man sich die Situation einmal genau betrachtet, wird man das sehr schnell feststellen können. Hier geht es um einen Ausgleich, damit sich die Betriebe mehr untereinander helfen können.
    Zu dem Problem der Karenztage auch noch einige wenige Worte! Der Kollege Professor Schellenberg hat bei der Verabschiedung des Gesetzes vor der Schlußabstimmung gesagt: „Die Beibehaltung von Karenztagen ist eine soziale Diffamierung der Arbeiter." Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: dazu bekennen wir uns nach wie vor. Wir sind gern bereit, alles zu tun und mitzuarbeiten, damit die Karenztage überhaupt abgeschafft werden, d. h. damit dieses Problem endgültig aus der Welt geschafft wird.
    Nun auch noch einige wenige Worte zu dem in der Öffentlichkeit viel zitierten und auch hier zitierten Mißbrauch. Lassen Sie mich vorweg folgendes sagen. Ich will gar nicht bestreiten, daß in einzelnen, ganz, ganz wenigen Fällen ein Mißbrauch einmal vorkommen kann.

    (Unruhe rechts. — Abg. Ruf: Wo leben Sie denn?)

    Meine Damen und Herren, wo gibt es im Leben keinen Mißbrauch? Wenn in einem dieser seltenen Fälle ein Arbeiter Mißbrauch treibt, dann macht er krank. Es gibt Mißbräuche auf anderen Gebieten in weit stärkerem Maße, die aber niemals in dem Umfang in der Öffentlichkeit und vielleicht, auch nicht in diesem Hause diskutiert worden sind. Wogegen wir uns in aller Deutlichkeit wehren müssen — ich meine, das sollte einheitliche Auffassung in diesem Hause sein —, ist die Behauptung, daß die größte Gruppe unserer Gesellschaft in der Bundesrepublik weniger Verantwortungsbewußtsein als irgendeine andere Gruppe unserer Gesellschaft habe. Die Arbeiterschaft hat in den vergangenen Jahren hohes Verantwortungsbewußtsein bewiesen. Ich denke nur an die Zeit vor der Währungsreform, wo die Arbeiter praktisch für eine Scheibe trockenen Brotes bereit waren, ihren Arbeitsplatz einzunehmen, wo sie höchstes Verantwortungsbewußtsein bewiesen haben. Ich denke auch an die Zeit nach der Währungsreform, wo die Arbeiterschaft bereit war, den entscheidenden Anteil am Zustandebringen des sogenannten Wirtschaftswunders zu übernehmen.
    Nun einige sehr konkrete Zahlen. Hier ist vorhin immer gesagt worden, in der Zeitung stehe das und das. Die Zahlen, die ich Ihnen jetzt nennen werde, erbringen den Beweis dafür, daß die Situation offensichtlich etwas anders ist. Wir sollten uns alle darüber im klaren sein, daß niemand die Grippeepidemie verniedlichen kann. Sie ist gekommen wie ein Naturereignis. Wir haben auf Grund dieser Grippeepidemie allein im Lande Nordrhein-Westfalen mehr als 200 Tote gehabt; ein Beweis dafür, daß es sich wirklich um ein Naturereignis gehandelt hat. Wenn wir zu konkreten Ergebnissen in dieser Frage kommen wollen, dann müssen wir die Unterschiede untersuchen zwischen der Situation der Gruppe, für die durch dieses Gesetz eine Änderung eingetreten ist, und der Gruppe, für die keine Änderung eingetreten ist. Hier ergibt sich folgendes. Gegenüber dem 1. August 1956 war am 1. August 1957 die Krankenzahl bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen um 17,6 % höher, bei den Ersatzkassen für Angestellte um 20,6 %. Hier ist der Beweis dafür erbracht, daß die Krankenzahl sich unabhängig von dem Gesetz entwickelt hat. Wenn wir die Situation dann noch einmal per 1. September betrachten, ergibt sich folgendes Bild. Gegenüber dem 1. September 1956 war am 1. September 1957 die Krankenzahl bei den Ortskrankenkassen um 17,9 % höher, bei den Ersatzkassen um 31,6 %. Das sind konkrete Zahlen, die den Beweis dafür erbringen, daß die Dinge unabhängig von diesem Gesetz gelaufen sind, daß man also von seiten der Arbeiterschaft mit größtem Verantwortungsbewußtsein an dieses Problem herangegangen ist.
    Wir sollten dabei auch nicht übersehen, daß die Krankenzahl in der Bundesrepublik insgesamt etwas angestiegen ist, d. h. unabhängig von diesem Gesetz; ein Beweis dafür, daß der Gesundheitszustand unserer Bevölkerung nicht der denkbar beste ist. Es ist ja gar nicht so lange her, daß der Verband deutscher Rentenversicherungsträger für das Jahr 1956 festgestellt hat, von den 206 000 neu gezahlten Renten würden nur 29,2 % wegen Erreichung der Altersgrenze und 70,8 % wegen Frühinvalidität gezahlt. Diese Zahlen sprechen nicht für einen hervorragenden Gesundheitszustand. Sie sind ein Beweis dafür, daß unabhängig von dem Gesetz die Krankenzahl in der letzten Zeit noch stärker ange- stiegen ist.
    Hier noch ein konkretes Beispiel aus dem Kölner Raum! Ich habe vorhin schon einmal von diesem Betrieb gesprochen. Er hat 15 000 Beschäftigte, für die am 1. Juli 1957 keinerlei Besserstellung eingetreten ist. Trotzdem ist in diesem Betrieb die Krankenzahl erheblich mehr gestiegen als bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse desselben Ortes, bei der für die Arbeiter eine Verbesserung eingetreten ist. Wir alle sollten uns gegen das viele Gerede vom Mißbrauch energisch wehren. Wir trauen dieser Gruppe der Gesellschaft, der Arbeiterschaft, genauso viel Verantwortungsbewußtsein zu wie jeder anderen Gruppe unserer Gesellschaft. Deswegen treten wir für die Abschaffung jeder diffamierenden Regelung ein. Wir sind nach wie vor dafür, daß Arbeiter und Angestellte gleichgestellt werden, nicht aus einer Gleichmacherei heraus, son-



    Wischnewski
    dern weil in dieser Frage für alle Arbeitnehmer gleiches Recht gelten soll. Wenn wir aber an einer entscheidenden Regelung dieser Frage interessiert sind, dann sollten wir auch alle zusammen dazu beitragen, daß dieses große gesellschaftliche Problem so schnell wie möglich gelöst werden kann.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Margot Kalinke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In der gestrigen Aussprache über die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion wegen der Auswirkungen der Rentenreform habe ich mir erlaubt, wieder einmal auf die grundsätzlichen Zusammenhänge aller sozialpolitischen Lösungen hinzuweisen. Ich habe schon gestern erklärt und wiederhole es heute noch einmal, daß der Auftrag der Gesetzgebung nicht nur dahin geht, gute Gesetze zu machen, sondern auch, deren Wirkung zu bedenken. Wir haben uns heute über den Inhalt eines der Gesetze zu unterhalten, das man bei einer Gesamtbetrachtung wohl nicht als gutes Gesetz ansehen kann. Bei der Diskussion über den Inhalt von Gesetzen, ihre Anwendung und ihre Auswirkung haben wir uns auch darüber klar zu werden, welche moralischen Auswirkungen sie haben. Wir haben also zu prüfen, ob sie die Sozialmoral heben oder ob sie nicht die Arbeitnehmer, von denen hier leider immer nur die Rede ist, oder die Arbeitgeber oder gar die Ärzte oder die Versicherungsträger in Gefahr bringen. Wir haben uns schließlich darüber zu unterhalten, welchen erzieherischen, sozialethischen Auftrag wir mit einem Ja oder einem Nein zu einem Antrag oder einer gesetzlichen Regelung verbinden.
    Nicht Streik und nicht Zeitdruck und nicht Reden mit Klassenkampftönen, auch nicht solche von Funktionären, die oft gar nicht in Übereinstimmung mit der Auffassung unserer Arbeitnehmer stehen, dienen der Fortentwicklung der Sozialgesetzgebung. Solche Reden sollten auch bei der sachlichen Betrachtung des Inhalts von Gesetzen nicht geführt werden. Man sollte allerdings auch nicht, wie es der Kollege Dittrich tat, den Freien Demokraten Vorwürfe machen, wenn sie mal in einer Frage mit einem Vorschlag der Sozialdemokraten übereinstimmen; denn auch die CDU stimmt oft mit Vorschlägen der Sozialdemokraten überein. Wir sollten vielmehr die Vorschläge prüfen und sollten dann sagen, warum der Antrag der SPD und aus welchen Gründen der Antrag der FDP zur Zeit — oder überhaupt — keine Lösung des Problems bringt. Ich meine, daß diese Form der Untersuchung und der Betrachtung dem sozialen Fortschritt mehr dient.
    Deshalb möchte ich ohne jedes Vorurteil, aber auch mit dem Mut, die unpopulären Dinge anzusprechen, das Problem als solches untersuchen. Ich halte es für falsch, zu einem Gesetz, auch wenn es nicht gut ist, sofort eine Novelle zu machen. Insofern stimme ich mit meinen Freunden in der CDU überein. Ich bin aber auch nicht dafür, überhaupt keine Novelle zu einem Gesetz zu machen, um nicht zugeben zu müssen, daß man Fehler gemacht hat. Über den Zeitpunkt einer notwendigen Novelle werden wir uns — das sage ich ganz deutlich — sehr bald zu unterhalten haben, falls die endgültige Krankenversicherungsreform nicht so früh möglich ist, wie ich es noch immer hoffe; wenn sie früh genug kommt, dann allerdings sollten wir diese Probleme in dem größeren Zusammenhang sehen, in den sie gehören.
    Um die Mängel dieses Gesetzes kann man nicht herumreden. Wir brauchen auch kaum noch sehr lange Zeit, um genug zuverlässiges Material zu bekommen. Ich glaube, dem Arbeitsministerium liegt heute eine solche Fülle von Material vor, daß man auch dort schon sagen kann, wie es alle Sachverständigen tun, daß viele Ansatzpunkte dieses Gesetzes nicht richtig waren.
    Wir haben alle — ich meine damit die Opposition genauso wie die Regierungsparteien — eine Vorstellung von dem Ausmaß der Probleme. Ich bin heute wie schon bei den Beratungen im vorigen Jahre mit den Kollegen einig, die aus Sachkenntnis deutlich gemacht haben — der Kollege Horn und ich haben das bei der zweiten und der dritten Beratung hinsichtlich der Karenztage sehr klar gesagt —, daß die Fragen nur in dem größeren Zusammenhang der Reform der Krankenversicherung gesehen, diskutiert und gelöst werden können.
    Nun könnte ich es mir in meinen Darlegungen furchtbar leicht machen, noch leichter als bei der Debatte über die Reform der Rentenversicherung, die ja so viele Probleme umfaßt, während der Kreis der Probleme hier enger ist. Ich könnte nämlich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einfach zitieren, was ich im Mai 1957 in der zweiten und dritten Lesung des Gesetzes gesagt habe. Ich will das nicht alles vorlesen, sondern Ihnen nur in die Erinnerung rufen — der Präsident möge es mir gestatten, und Sie darf ich bitten, das Protokoll nachzulesen —, daß ich damals schon darauf hingewiesen habe, das Problem des Ausgleichs und der Fürsorge im Krankheitsfall, besonders im Falle der langanhaltenden Krankheiten — das ist das sozialpolitische Problem — könne mit diesem Gesetz nicht gelöst werden; es gehe nicht nur um die Frage der Lohnfortzahlung oder um die Zahlung des Krankengeldes oder um die Frage der ersten vier Wochen oder der Karenztage, sondern vor allem darum, wie man dafür sorgen könne, daß der Arbeitnehmer bei langanhaltenden schweren Krankheiten nicht in finanzielle Not gerate.
    Ich glaube, es ist auch heute noch unser aller Meinung, daß dies das Hauptproblem der Reform ist. Ich habe damals im Gegensatz zu der Mehrheit in diesem Hause nicht geglaubt, daß die Krankenversicherungslösung die allein richtige Lösung sei. Aber der Augenblick ließ keine bessere Lösung zu. Sie haben uns hier gezwungen, unter Zeitdruck eine Lösung zu suchen. Die Lösung wäre besser geworden, wenn dieser Zeitdruck nicht dahintergestanden hätte.
    Ich stimme mancher Auffassung in den Reihen der Gewerkschaften, der Sozialdemokraten und der



    Frau Kalinke
    FDP zu und meine auch, daß eine behutsame arbeitsrechtliche Lösung — ich komme darauf zurück — über den Tarifvertrag dem sozialen Fortschritt besser gedient hätte. Aber — das werde ich dem Kollegen, der hier aus der Schau der IG-Metall gesprochen hat — nachher noch sehr deutlich sagen: der Gesetzgeber darf bei der Suche nach Lösungen nicht nur die Großindustrie und die Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes sehen, sondern muß auch an die große Zahl der Arbeitnehmer denken, die in kleinen und mittleren Betrieben tätig sind, für die sich eben nicht die gleichen Lösungen anbieten.

    (Beifall rechts.)

    Was die Karenztage anlangt, so brauche ich nur zu wiederholen, was ich damals deutlich gemacht habe: daß auch diese Frage nicht nur im Zusammenhang mit der Frage der Lohnfortzahlung zu regeln ist, sondern daß dies ein eminent wichtiges Problem der Krankenversicherungsreform ist, das nur im größeren Zusammenhang mit den Reformplänen gelöst werden kann.
    Der Minister für Arbeit hat in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage einiger Abgeordneter seiner Fraktion die Frage nicht schlüssig beantwortet, sondern vielmehr offengelassen, „ob die Krankheitsdauer tatsächlich sprungartig angestiegen ist". Der Kollege Dittrich von der CSU hat diese Frage anscheinend als die bedeutsamste des heutigen Gesprächs angesehen und vor allem ihr seine Betrachtungen gewidmet.
    Das Arbeitsministerium wird wissen, daß diese Frage trotz der ersten größeren und der jetzigen kleineren Grippewelle heute schon ziemlich eindeutig zu beantworten ist. Der Bericht des Verbandes der Ortskrankenkassen, der uns vorgestern zuging, sowie die vielen Berichte, die wir aus der Wirtschaft haben, bestätigen übereinstimmend dieses Ansteigen der Krankheitsdauer und die Tatsache, daß dieses Ansteigen nicht nur mit der Grippewelle zusammenhängt. Die Berichte aus den Kreisen nicht nur der Vertrauensärzte, sondern auch der behandelnden Ärzte bringen eine weitere Bestätigung.
    Der frühere Bundesarbeitsminister, unser Kollege Storch , hat in der Pressekonferenz hier in Bonn eine sehr richtige Voraussage gemacht. Ich glaube nicht immer an seine Voraussagen; aber hier hat er ziemlich genau das Richtige getroffen. Er hat gesagt, man habe im Bundesministerium damit gerechnet, daß das Gesetz über die Lohnfortzahlung eine Erhöhung des Krankenstandes um 20 bis 25 % zur Folge haben werde. Das hat das „Handelsblatt" so berichtet; ich war nicht bei dieser Pressekonferenz.
    Die Erkenntnisse, die von einem Obervertrauensarzt in der Zeitschrift der Land- und Innungskrankenkassen „Die Krankenversicherung" zusammengefaßt dargestellt worden sind, sind von Herrn Kollegen Dittrich bereits zitiert worden. Ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten das Zitat mit nur einem Satz ergänzen. Der genannte Obervertrauensarzt schreibt:
    Und wenn Sie mich fragen, ob das Besserstellungsgesetz einen wesentlichen Beitrag zur Notlage der Krankenkassen geliefert hat, so zwingen mich die Erfahrungen dazu, diese Frage eindeutig zu bejahen.

    (Hört! Hört! bei der DP.)