Rede von
Dr.
Thomas
Dehler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich habe gesagt: So gewinnt man Wahlen — und es gibt keinen, der das besser versteht als Herr Dr. Adenauer —, aber so verliert man die Demokratie.
Ich nenne jetzt noch einen Vorgang, die MoskauReise des Herrn Bundeskanzlers, — sehr interessant für die ganze Situation, auch für das, was ich Ihnen darzulegen versucht habe! Man wußte ganz genau, in welche Situation man damals fuhr. Der Herr Bundeskanzler hat damals — nicht nur den Westalliierten, sondern auch uns, den Vertretern der westdeutschen Parteien, wofür Herr Ollenhauer und wohl auch Herr Carlo Schmid Zeuge sind — ausdrücklich erklärt, er werde in Moskau keine diplomatischen Beziehungen aufnehmen. Ich habe ihm zugestimmt und noch einmal ausdrücklich gesagt: Die Sowjetunion hat uns eingeladen — die „Beziehungen", das war die Konsequenz ihres Handelns, daß sie sich sagte, die DDR ist ein souveräner Staat — zum Zwecke der Normalisierung diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion. Ich habe dem Herrn Bundeskanzler gesagt: Es gibt keine Normalisierung der Beziehungen der Bundesrepublik; die Bundesrepublik ist immer das Anomale; es gibt nur die Beziehungen zwischen einem wiedervereinigten Gesamtdeutschland und der Sowjetunion.
Der Bundeskanzler hat uns das versprochen. Er ist nach Moskau gegangen und kannte doch die Situation ganz genau. Er wußte ganz genau, daß die Frage der Kriegsgefangenen zur Debatte stand. Er hat von Möglichkeiten, diese Frage der Kriegsgefangenen vorher zu regeln, keinen Gebrauch gemacht. Mende und ich haben ihm einen konkreten
Vorschlag vorgetragen. Wir wissen nicht, ob er zuverlässig war. Er hat ihn nicht sondiert. Ich weiß genau, daß ihm ein maßgebender Beamter des Auswärtigen Amtes den vollkommen richtigen Rat gegeben hat, doch nicht in diese unmögliche Lage nach Moskau zu gehen, sondern den Russen, dem Kreml, zu sagen: Ich komme, aber erst, wenn die Kriegsgefangenen zu Hause sind.
Er hat es nicht getan.
Dann kam die Situation — wollen Sie mir zeugen, vom Regierungstische bis hierher! —, das war die Alternative, in die man sich leichtfertig begeben hatte: entweder man geht ohne Kriegsgefangene nach Hause oder man schluckt die bittere Pille, daß man diese von den anderen gewollten diplomatischen Beziehungen nicht aufnimmt. Und dann — deswegen erzähle ich das — das klassische Wort des Herrn Globke: „Herr Bundeskanzler, denken Sie an die nächsten Wahlen." So gewinnt man Wahlen, so verliert man das Vaterland!