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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Brönner 297 A Glückwünsche zum 65. Geburtstage des Abg. Dr. Baade 297 C Begrüßung des Sonderbeauftragten des Europarates für Flüchtlingsfragen, Pierre Schneiter 321 B Erklärung der Bundesregierung In Verbindung damit: Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Antrag der Fraktion der SPD betr. Bemühungen der Bundesrepublik um internationale Entspannung und Einstellung des Wettrüstens (Drucksache 54 [neu]) Dr. von Brentano, Bundesminister . . . . 297 C, 311 A 399 D Dr. Mende (FDP) 304 B, 417 D Ollenhauer (SPD) 312 C Kiesinger (CDU/CSU) 321 B Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) 333 C Schneider (Bremerhaven) (DP) . 343 C, 414 C, 418 D Dr. Gradl (CDU/CSU) 349 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 354 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 363 B, 375 D Erler (SPD) 368 D, 412 A Strauß, Bundesminister 376 A Dr. Dehler (FDP) 384 D Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . 401 A, 415 C Dr. Krone (CDU/CSU) 407 A Schmidt (Hamburg) (SPD) 408 B Höcherl (CDU/CSU) 408 D Cillien (CDU/CSU) 413 B Dr. Baron Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 415 A Dr. Furler (CDU/CSU) 416 A Dr. Mommer (SPD) 417 D Dr. Bucher (FDP) 418 B Nächste Sitzung 419 C Anlagen: Liste der beurlaubten Abgeordneten; Umdrucke 6 und 7, Schriftliche Erklärung des Abg. Dr. Atzenroth 420 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 297 9. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr.
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Baade 24. 1. Dr. Barzel 24. 2. Bazille 25. 1. Bauer (Würzburg) 31. 1. Dr. Becker (Hersfeld) 8.2. Berendsen 31. 1. Bettgenhäuser 30. 1. Blachstein 24. 1. Conrad 23. 1. Dr. Deist 24. 1. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 1. Faller 7. 2. Felder 31. 1. Dr. Friedensburg 23. 1. Gleisner (Unna) 24. 1. Graaff 23. 1. Dr. Gülich 24. 1. Heye 31. 1. Hoogen 2. 2. Dr. Jaeger 8. 2. Dr. Jordan 23. 1. Josten 31.1. Kalbitzer 25. 1. Knobloch 23. 1. Kühn (Bonn) 27. 1. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 31. 1. Majonica 15. 2. Meyer (Wanne-Eickel) 24. 1. Müller-Hermann 15. 2. Paul 28. 2. Dr. Preiß 31. 1. Probst (Freiburg) 5. 2. Rademacher 25. 1. Ramms 24. 1. Rasch 24. 1. Rehs 27. 1. Ruhnke 31. 1. Scharnowski 24. 1. Scheel 24. 1. Schoettle 24. 1. Schröder (Osterode) 31. 1. Dr. Seffrin 23. 1. Dr. Serres 31. 1. Spies (Brücken) 8. 2. Stierle 31. 1. Theis 24. 1. Wacher 3. 2. Dr. Wahl 10. 2. Dr. Weber (Koblenz) 24. 1. Anlage 2 Umdruck 6 Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOkonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten. Bonn, den 23. Januar 1958 Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion Umdruck 7 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, DP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATOKonferenz am 16. Dezember 1957 (Drucksache 82) Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, zur Sicherung des Friedens, zur Bewahrung der Freiheit und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands 1. sich dafür einzusetzen, daß Verhandlungen des Westens .mit der Sowjetunion fortgesetzt und nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung - gegebenenfalls durch eine Konferenz der Außenminister - in einer Konferenz auf höchster Ebene durchgeführt werden, die der Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West und dein Ziele der Herbeiführung der deutschen Wiedervereinigung dienen, 2. darauf hinzuwirken, daß die Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine kontrollierte Abrüstung alsbald wieder aufgenommen werden, sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder auf einer Konferenz auf der Ebene der Außenminister, und daß bei der Vorbereitung dieser Verhandlungen jeder ernsthafte Vorschlag zur allgemeinen oder teilweisen Abrüstung geprüft und auf seine politischen und militärischen Folgen untersucht wird, 3. dafür Sorge zu tragen, daß bei den aufzunehmenden Verhandlungen nur solche Lösungen in Aussicht genommen werden, die nicht zu einer Anerkennung des Status quo in Europa führen, sondern geeignet sind, die deutsche Teilung zu überwinden, 4. ihre Bemühungen zur Koordinierung der Außenpolitik der westlichen Verbündeten energisch fortzusetzen. Bonn, den 23. Januar 1958 Dr. Krone und Fraktion Schneider (Bremerhaven) und Fraktion 422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 23. Januar 1958 Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Atzenroth zu der Abstimmung über den Umdruck 6. An der Abstimmung über den Umdruck 6, Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Haltung der Bundesregierung auf der NATO-Konferenz am 16. Dezember 1957 — Drucksache 82 — habe ich mich nicht beteiligt, da ich an dem Beschluß, der die Unterschrift unter den obigen Antrag zur Folge hat, nicht mitgewirkt habe.
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    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    (Heiterkeit)


    (Erneute Heiterkeit.)


    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Mende: Und die haben mehr!)





    (lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP)


    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Was die Praxis der englischen Regierung anbetrifft, Herr Kollege Kiesinger, so haben Sie in einem Recht: Die englische Regierung betrachtet sich durchaus als etwas Eigenes, das dem Parlament gegenübersteht. Aber auch das englische Parlament betrachtet sich als etwas Eigenes, das der Regierung gegenübersteht,

    (Beifall bei der SPD)

    und eine englische Regierungspartei betrachtet sich im allgemeinen nicht als bloßen Eideshelfer und Büchsenspanner der Regierung,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    sondern eben als ein Element dieses unteilbaren Parlaments. Zu dem Begriff „governed by parliament" gehört bei den Briten auch die Opposition. Es ist noch nie vorgekommen in England — in Großbritannien, im Vereinigten Königreich, wie man heute sagt —, daß der Ministerpräsident eine Sache, die zu den Traktanden des Parlaments gehört,
    oder in absehbarer Zeit zu den Traktanden gehören wird, in der Öffentlichkeit behandelte, bevor er dem Parlament Rede und Antwort gestanden hat.

    (Abg. Kiesinger: Herrn Macmillans Nichtangriffspakt?! Tausend Fälle könnte ich Ihnen nennen!)

    — Nein, keine Sache, die zu den unmittelbaren Traktanden des Parlaments gehört; denn das würde sich in England auch die Regierungspartei nicht gefallen lassen.

    (Abg. Kiesinger: Ein Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion!)

    Dann, Herr Kollege Kiesinger, haben Sie einige Zitate aus der sozialdemokratischen Provinzpresse gebracht. Man hört so etwas immer gern. Aber wie wäre es, wenn man aus der CDU-Provinz zitierte? Das ist doch sicher auch nicht die pädagogische Provinz Wilhelm Meisters.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Ich meine, wir alle sollten solche Zitate den lokalen Wahlversammlungen überlassen, denen es an Stoff fehlt. Auch Äußerungen von den Bänken — ich sage es mit allem Respekt, Herr Außenminister
    — der Europäischen Abendländischen Akademie

    (Zuruf des Bundesaußenministers Dr. von Brentano)

    — nein, nein, das geht an eine andere Adresse — sollten wir beiseite lassen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es lohnt sich nicht, solche Dinge hier zu zitieren.
    Was den Kollegen Gradl betrifft, so möchte ich ihn berichtigen. Es ist nicht wahr — Herr Kollege Gradl, wenn Sie länger in diesem Hause wären, wüßten Sie das —, daß wir der Bundesregierung vorwerfen, sie habe den jetzigen Zustand Deutschlands zu verantworten, sie habe ihn verschuldet. Das ist nicht richtig. Wir kennen doch die Rolle der Sowjetunion dabei so gut wie irgendein anderer, und wir haben das doch nie verschwiegen. Was wir sagen, ist doch nicht: die Bundesregierung ist schuld, daß Deutschland gespalten ist. Wir sagen vielmehr, daß die bisherige Politik der Bundesregierung uns auf dem Weg, aus diesem bösen Zustand herauszukommen, nicht weiter gebracht hat; das ist es, was wir sagen!

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie haben völlig recht, Herr Gradl, die russische Politik zeichnet sich nicht — jedenfalls in den Äußerungen, die an uns gelangen — durch besondere Phantasie aus. Aber ich halte es für falsch, nun zu glauben, daß man auf diese Phantasielosigkeit — Sie selber haben das Wort gebraucht — Sturheit setzen sollte. Ich glaube im Gegenteil, daß diese Phantasielosigkeit uns geradezu zwingt, um so mehr eigene Phantasie aufzuwenden, um die Lage aufzuweichen!

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Machen Sie Vorschläge!)

    — Herr Kollege, ich will versuchen, dazu noch etwas zu sagen.



    Dr. Schmid (Frankfurt)

    Die Politik einer Reihe von Staaten in Ost und West steht heute im Zeichen der Rüstung, einmal, weil man fürchtet, angegriffen zu werden — jeder fürchtet es von jedem —, dann, weil man glaubt, sich militärisch immer stärker machen zu sollen, um politisch in die optimale Verhandlungssituation zu kommen, — also entweder stärker zu werden als der andere oder zu warten, bis der andere schwächer geworden ist als man selber. Aus diesem primitiven Stärkekomplex ist das Wettrüsten dieser Zeit entstanden, mit ihm weitgehend politische Unsicherheit, politisches Ressentiment, das das klare Denken oft kränkt. Jedes Mehr bei sich selber löst ein Hurragefühl aus, jedes Weniger, das man bei sich feststellt, Niedergeschlagenheit. Ein Sputnik konnte eine große Nation mehr als nur nervös machen! Wo das Selbstbewußtsein wankt, besteht die Gefahr, daß Überkompensationen vorgenommen werden, und was das heißt, das haben wir doch schon erlebt.
    Das Wettrüsten wird immer ruinöser, ein Ende ist nicht abzusehen. In manchen Ländern hat es schon in die Inflation hineingeführt. Die Stimmung in den Völkern — wenigstens in manchen Völkern — wird immer mehr erhitzt. Man kann ein Ende mit Schrecken befürchten. Parallel damit geht eine stille Offensive im Vorderen Orient, wo der Westen eine Position nach der anderen verliert, ohne daß die Sowjets einen Soldaten in Bewegung zu setzen brauchten. Der Westen verliert dort seine Positionen vielleicht auch und, wie ich glaube, nicht zuletzt, weil das Wettrüsten Hilfeleistungen produktiver Art an die Völker dieses Teils der Erde unmöglich macht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Beim Wettrüsten sind die totalitären Staaten leider im Vorteil; die können ihren Völkern zumuten: „Lieber Kanonen statt Butter!" Wir haben das erlebt. Demokratien können das, Gott sei Dank, nicht; denn dann sagen die Völker: „Nein, so haben wir nicht gewettet!" Das ist gut und schön und das ist die Zierde und der Ruhm der Demokratie. Aber seien wir uns klar darüber: wenn man Politik auf Wettrüsten abstellt, dann sind die totalitären Regime im Vorteil; sie haben damit von vornherein einige Punkte voraus. Deswegen sollte man sich überlegen, ob man sich auf eine Politik einlassen oder bei einer Politik bleiben soll, zu deren Wesen nun einmal das Wettrüsten gehört.
    Natürlich wäre es das Törichtste, was es gibt, Schwäche anzustreben, weil Schwäche etwa besser wäre als Stärke;

    (Zuruf von der Mitte: Na also!)

    das wäre ein Unsinn. Ich glaube nicht, daß Sie mir zutrauen, daß ich so unsinnig denke. Aber ich meine, man könnte die heute noch bestehende Gleichgewichtslage nützen, um Voraussetzungen für eine Änderung der politischen Interessenlage und damit für eine Veränderung der Konstellationen sowie für eine Verbesserung der Chancen zu schaffen, die für unsere Lebensinteressen entscheidenden Probleme lösen zu können.
    Es scheint mir auf jeden Fall verkehrt, an die Stelle politischer Denkformen — die immer beweglich sein und immer auf Bewegung ausgehen müssen — das quantitativ operierende Denken aus der Vorstellungswelt der Strategie zu setzen, die immer starr ist und darum leicht zu Bruch geht.
    Natürlich gibt es keine ernsthafte Politik, ohne daß man strategische Verhältnisse berücksichtigte — das ist auch eine Binsenwahrkeit —; aber man kann politisches Denken nicht durch strategisches Kalkül ersetzen. Wohin es führt, wenn dies geschieht, hat man vor einigen Jahrzehnten beim Schlieffen-Plan gesehen. 1914 hat man, statt Politik zu machen, Generalstabsdenken praktiziert, und man hat damit den Krieg verloren, politisch zuerst, dann auch militärisch.
    Was nun dieses Denken aus der Vorstellungswelt der Strategie betrifft, so scheint es mir um so weniger erlaubt zu sein, sich darauf zurückzuziehen, wenn dieses strategische Kalkül auf Hypothesen über die Glaubwürdigkeit fremder Regierungen beruht. Denn das zu entscheiden ist nicht Sache der Generale; das zu entscheiden ist Sache der Politiker.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Das sagen wir auch!)

    — Na, lesen Sie doch das Gutachten der Generale.
    Wenn man das politische Denken durch solches quantitativ-strategische Denken ersetzt, wird das den Rückzug auf die politische Ideenlosigkeit, auf den Verzicht auf Politik überhaupt bedeuten; letztlich bedeutete es, daß man sich vom Gegner in eine Sackgasse manöverieren ließe und sich schließlich die Marschroute von ihm vorschreiben lassen müßte.
    Statt auf eine Bombe anderthalb Bomben setzen zu wollen, ohne — leider — viel Aussicht, dabei zu gewinnen, sollte man versuchen, Methoden und Ziele der Außenpolitik ausfindig zu machen, durch die man die Tendenz zum Wettrüsten gegenstandslos machen kann. Dabei sollte man alle Hoffnung darauf fahren lassen — wir müssen leider diese Hoffnung fahren lassen —, daß der Sowjetunion der Atem ausgehen könnte. Ich rufe in Erinnerung, daß sich die industrielle Produktion der Sowjetunion seit 1920 etwa verfünfzigfacht hat und daß diese Produktion die Tendenz hat zu wachsen, und vielleicht nicht nur im arithmetischen Verhältnis.

    (Zuruf von der Mitte: Was schlagen Sie vor?)

    Dabei geht es nicht, ohne daß man anerkennte, daß auch die Sowjets Interessen haben, Interessen, die uns gar nicht gefallen können, die aber existieren! Bei Interessen kommt es nun leider Gottes ausschließlich darauf an, ob einer glaubt, sie zu haben. Es hat keinen Sinn, ihm vorzurechnen, daß er sich dabei täuscht. Er meint es nun einmal und verhält sich dementsprechend. Das Subjektive ist in der Politik sehr oft ein Faktum, und gerade bei Interessenfragen ist das so. Ihre Interessen beruhen zum Teil in strategischen Positionen. Diese stehen für die Russen teils auf der Haben-Seite, teils auf der Soll-Seite des Buches der Geschichte dieser Zeit. Für die Aufgabe der Positionen, die auf der Ha-



    Dr. Schmid (Frankfurt)

    ben-Seite zu ihren Gunsten stehen, werden sie etwas heraushaben wollen, und für den Ausgleich der Positionen, die auf der Soll-Seite stehen, werden sie vielleicht bereit sein, etwas zu geben.
    Das ist die Formel im Abstrakten. Die Frage ist, wie man sie konkretisiert. Ich will versuchen, auch darüber zu sprechen. Ich bin nicht gewohnt, nur in Abstraktionen zu denken, ich denke am allgemeinen recht konkret. Das gehört u. a. auch zu meinem Beruf, und ich habe diesen Beruf, wie Sie wissen, ja nicht aufgegeben, obwohl ich ins Parlament gegangen bin.

    (Zuruf von der Mitte: Also konkret!)

    Do ut des! Wo man nicht zwingen kann, muß man bereit sein, Gegenleistungen zu machen, — eine ganz einfache Binsenwahrheit. Dabei muß man gelegentlich auch an die Frage des Zeitpunktes denken. Da fallen einem manchmal so alte Geschichten ein — Frau Kollegin Weber, Sie haben sie sicher auch nicht vergessen —, die Geschichte von den Sibyllinischen Büchern zum Beispiel. Es ist ganz nützlich, sie gelegentlich nachzulesen.
    Man sollte bei seinen politischen Entschlüssen von den gegebenen Machtverhältnissen ausgehen. Anders geht es nicht. Man muß dabei die Risiken kalkulieren. Ich bin der Meinung — ich mag mich täuschen, aber meine Meinung ist es —, daß das Risiko des Beharrens das größte Risiko wäre, größer jedenfalls, als wenn wir versuchten, die Dinge mit Wagemut in Bewegung zu bringen.
    Natürlich hat es keinen Sinn, nach Utopia zu
    blicken. Es ist auch nicht Zeit, an den ewigen Frieden zu denken. — Denken sollten wir immer an ihn, ja, aber es so zu tun, als könnten wir ihn herbeizaubern, nein, das geht nicht. — Auch der Weltstaat ist heute noch sehr, sehr, sehr weit entfernt. Und die UNO? Ich glaube, die UNO hat uns davon überzeugt, daß auch internationale Gremien uns nicht davon dispensieren, Politik machen zu müssen, d. h. mit Machtverhältnissen zu rechnen. Dessen sollten wir eingedenk bleiben.
    Was bleibt denn? Vielleicht eines: Daß man den schlimmsten Faktoren dieser Welt der Machtverhältnisse einiges von ihrer Virulenz nimmt. Das Schlimmste scheint mir die gegenwärtige Form zu sein, in der sich das militärische Denken der Regierungen und damit auch ihr politisches Denken vollzieht. Mit anderen Worten, man sollte den Versuch machen, die Rüstungen zu beschränken.

    (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Warten Sie! Ich sage etwas dazu. Ich weiß genau, was Sie mir zurufen werden. Ich vermisse bisher das übliche „Aha".

    (Heiterkeit.)

    Aber offenbar scheint sich der neue Bundestag andere Sitten angewöhnen zu wollen. — Sehen Sie, die Abrüstung ist bisher gescheitert. Denn jeder verstand unter Abrüstung die Abrüstung des anderen,

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch in der Mitte)

    qualitativ und quantitativ.
    Wer sich an Atomwaffen stärker fühlte, war dafür, daß man die konventionellen Waffen zuerst herabsetzte. Wer sich auf diesem Gebiet stärker fühlte, der verlangte, daß man zuerst die atomaren Waffen reduzierte. Lesen Sie doch die Verhandlungen des Londoner Unterausschusses nach! Ich habe es getan, Sie können es auch tun. Keiner wollte den Vorteil aufgeben, den er hat. Leider! Aber es ist eine Tatsache.
    Ich bin der Meinung, daß Abrüstung als eine umfassende Maßnahme heute keine Chance hat. Die allgemeine Abrüstungskonvention, auf die man hinauswollte, als man die UNO schuf, wird noch lange auf sich warten lassen müssen. Da sind eine ganze Reihe von Voraussetzungen nicht gegeben, ohne deren Vorhandensein sie nicht wahrscheinlich ist. Aber vielleicht kann man einiges Wenige tun, weil es, obwohl es ein Weniger ist, doch etwas nutzen kann. Man könnte z. B. damit beginnen, dem Wettrüsten, d. h. der Steigerung der bisherigen Rüstungen, ein Ende zu machen, indem man z. B. zunächst auf die Testexplosionen verzichtet. Es ist gesagt worden, damit werde man nicht sehr viel erreichen; viel wichtiger sei — das ist natürlich richtig, und es wäre besser —, die Fabrikation von A- und H-Bomben auf beiden Seiten des politischen Meridians überhaupt einzustellen. Aber mit der Einstellung der Testexplosionen wäre doch wenigstens et was geschehen! Der irre Wettlauf nach immer perfekteren Selbstmordwaffen wäre gestoppt, von den moralischen Rückwirkungen auf die immer mehr in Lebensangst versinkenden Menschen ganz abgesehen. Meine Damen und Herren, verkennen wir doch die Bedeutung moralischer Rückwirkungen nicht!

    (Beifall bei der SPD.)

    Ein anderes! Man könnte doch verhindern, daß der Besitz atomarer Waffen weiter gestreut wird, als er schon gestreut ist.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich glaube, daß es eine schlimme Sache wäre, wenn außer den bisherigen drei Atommächten weitere Mächte Atomwaffen in die Hand bekämen. Stellen Sie sich vor, die Bundesrepublik bekäme welche! Dann wird doch die Sowjetunion den Polen, den Tschechen und anderen auch welche geben!

    (Zurufe von der Mitte: Na, na!?)

    Dann wird die Türkei welche haben wollen, dann bekommt Syrien auch welche und Ägypten bekommt welche. Stellen Sie sich vor, wie groß dann die Chance noch sein kann, daß man jemals zu einer Begrenzung dieser Teufelswaffen kommt! Ich sehe dann keine Chance mehr.
    Deshalb meine ich, daß eines der Hauptanliegen sein sollte, den Besitz von Atomwaffen auf die Mächte zu beschränken, die heute schon welche haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Denn es ist nichts falscher — ich meine damit nicht die Bundesrepublik —, als wenn manche Mächte glauben, sie müßten sich verlorengegangenen Großmachtlorbeer dadurch neu verschaffen, daß auch sie



    Dr. Schmid (Frankfurt)

    jetzt ihre eigene Atombomben machen, irgendwo in irgendeiner Wüste! Ich glaube, sie gewinnen dabei nichts, und die Welt verliert dabei sehr viel.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich sage das ohne Überheblichkeit, ohne moralisch zensieren zu wollen. Ich würde das genauso sagen, wenn es sich um mein eigenes Land handelte.
    Das alles ist natürlich sehr schwer, das weiß ich auch. Aber es ist leichter zu erreichen als die Perfektion. Ich meine — und hier bin ich ganz Ihrer Auffassung, Herr Kiesinger —, wir müssen mit einem stufenweisen Vorrücken schon recht zufrieden sein. Die Frage zwischen uns ist nur die, ob, was ich für eine Stufe halte, die nach oben führt, für Sie auch eine Stufe nach oben ist oder eine Stufe nach unten.
    Diese Dinge aber sollte man nicht so sehr unter militärischen Erwägungen überdenken als unter politischen. Außenpolitik besteht doch letztlich darin, daß man über das jeweils Bedrohlichste und über die Voraussetzungen seiner Beseitigung verhandelt und daß man die Verhandlungen darüber mit den am Bestand Interessierten ebenso führt wie mit den an der Veränderung Interessierten. Man kann sich nämlich seine Verhandlungspartner nicht aussuchen. Man ist gezwungen — wenn man überhaupt Lösungen will —, gerade mit dem zu verhandeln, dessen Verhalten einem das Beharren im jetzigen Zustande am unleidlichsten macht. Ich möchte sagen: Mit seinen Freunden braucht man nicht zu verhandeln; aber mit denen, die einem das Leben schwermachen, muß man verhandeln. Dazu ist man verurteilt als Staat und als Regierung, und das Amt einer Regierung ist schwer.
    Was ist aber heute das Bedrohlichste? Was blokkiert denn die Möglichkeiten, die drängendsten Probleme politisch zu lösen? Doch im wesentlichen eines: die Atomwaffen und ihre Einstellung in die politischen Gleichungen der Mächte! Solange das so ist, wird nichts zur Ruhe kommen, solange wird keines der Probleme, die uns auf den Nägeln brennen, gelöst werden können. Denn jedes territoriale Problem hängt mit der Bewertung eines Gebiets als Faktor der atomaren Strategie zusammen. Es gibt heute kaum ein territoriales Problem — z. B. die Spaltung Deutschlands —, das nicht letzten Endes mit dadurch bedingt wäre, daß die eine und die andere Seite fragen: Wie wirkt sich eine Veränderung oder die Beibehaltung des jetzigen Zustandes auf unsere Chancen aus, unsere atomare Ausrüstung strategisch optimal verwerten zu können?
    Deswegen glaube ich nicht — es fällt mir nicht leicht, das zu sagen —, daß man diese Probleme allein aus sich heraus lösen kann. Man wird sie nur lösen können, fürchte ich, wenn man sie militärisch uninteressant gemacht hat, wenn man die militärische Virulenz aus dem Problem herausgenommen hat.
    Man kann sich über die Methoden streiten. Ich halte nichts von der epistolaren Diplomatie, die heute üblich geworden ist. Sie ist, wenn man so will, eine Methode, Propaganda zu machen, vielleicht eine
    sehr wirksame. Ich bin jedenfalls nicht überzeugt, daß wir darauf immer in der richtigen Weise propagandistisch reagiert haben; das ist eine Sache für sich. Aber Politik im Sinne von Schaffung von Tatsachen, durch die reale Verhältnisse verändert werden, kann man so, glaube ich, nicht machen.
    Ich für mein Teil halte auch nicht viel von der Konferenzdiplomatie, die man uns 1919 beschert hat; von Gipfelkonferenzen nur dann etwas, wenn vorher schon die Arbeit geleistet worden ist, auf die es ankommt.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Genauso wie wir! — Abg. Wehner: Sagen Sie „Aha"!)

    Das ist wirklich meine Meinung, und etwas, was ich sage, ist doch nicht schon deswegen falsch, weil es auch von Ihnen gesagt worden ist!

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Ich meine, man sollte es mit der guten, alten, klassischen Diplomatie versuchen. Ich sage das heute nicht zum erstenmal. Ich glaube, daß ich das in diesem Hause schon vor neun oder acht Jahren gesagt habe;

    (Abg. Frau Dr. h.c. Weber [Essen] : In Straßburg!)

    ich habe es auch in Straßburg oft genug gesagt. Das hängt nicht damit zusammen, daß ich eine besondere Vorliebe für bestickte Fräcke hätte, ganz und gar nicht. Aber ich bin der Meinung, daß Verhandeln eine Sache ist, die man am besten nicht vor aller Öffentlichkeit betreibt, und daß der Mann, der das letzte Ja und Nein zu sagen hat, das nicht in der Atmosphäre des Verhandlungszimmers zu tun haben sollte, sondern es in der Kühle seines Büros zu Hause tut, nachdem er die Berichte seiner Unterhändler studiert hat. Das zur Methodenfrage. Ich glaube, daß wir uns hier vielleicht einigen könnten. Das wäre schon etwas.
    Aber da ist noch etwas anderes. Sehen Sie, die Abrüstungsverhandlungen sind unter anderem — mit einer Reihe anderer Gründe — deswegen gescheitert, weil man sich darauf beschränkt hat, es ausschließlich mit der quantitativen und qualitativen Methode zu versuchen: soundsoviel Soldaten, die und die Art von Waffen. Ich glaube, daß bei dieser Methode die Verhältnisse aus Gründen, die hier niemand zu verantworten hat, nicht reif gewesen sind.
    Vielleicht käme man weiter, wenn man die Methode änderte, indem man es mit einer regionalistischen Methode versucht. Diese Methode ist nicht neu; sie ist recht alt. Schon im Westfälischen Frieden — verzeihen Sie den historischen Exkurs; Herr Kollege Maier, wir Schwaben haben es nun mal gern mit der Geschichte — hat man eine gefährliche Wetterecke der damaligen Weltpolitik aus dem Kräftefeld ausgeklammert, die Scheldemündung, weil man wußte: Wenn dieser Platz im Spiel ist, ist der Anreiz zu Kriegen groß; also klammern wir ihn aus. Das hat sich einige Jahrhunderte lang sehr vorteilhaft ausgewirkt. Dann hat man die Schweiz neutralisiert; nicht so sehr, um die Eidgenossen zu scho-



    Dr. Schmid (Frankfurt)

    nen, sondern um ein Durchmarschgebiet aus dem politischen Kalkül auszuklammern, ein Gebiet, das man brauchte, wenn man in Oberitalien Krieg führen wollte oder von Süden her in dem süddeutschen Raum zwischen Donau und Bodensee. Dann hat man es mit Belgien so gemacht — das Band ist 1914 zerschnitten worden, immerhin hat es einige Jahrzehnte lang gehalten —; dann hat man die ÅlandInseln, entmilitarisiert, und auch das hat seinen Nutzen gehabt; man kann wohl sagen, daß die Dinge in der Ostsee nicht so wären, wie sie heute sind, wenn die Åland-Inseln nicht aus dem politischen Kräftefeld des Koordinatensystems der Weltpolitik ausgeklammert worden wären. Ich glaube, daß die Ausklammerung — ich will es einmal pathetisch-summarisch ausdrücken — notwendiger Schlachtfelder — notwendig, wenn bestimmte Staaten miteinander Krieg führen wollen — aus dem Kalkül der Politik auf alle Fälle die Kriegsgefahren vermindert, auch wenn sie sonst nichts weiter bringen sollte.

    (Abg. Dr. Mommer: Sehr gut!)

    Auch wenn es bei den bisherigen Truppenstärken und Bewaffnungsarten bleiben sollte, wäre das schon ein Vorteil. Es wäre nicht der letzte Vorteil, der angestrebt werden könnte; aber es wäre dem bisherigen Zustand gegenüber ein Vorteil.
    Man spricht davon, daß eine solche Politik den Status quo zementiere. Meine Damen und Herren, ich kann das nicht verstehen. Der Status quo wird doch am härtesten zementiert, wenn die Dinge so bleiben, wie sie heute sind!

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Durch Ausklammerung dieses Gebiets — von dem ich nachher sprechen werde — wird eine Lockerung doch eher erleichtert als erschwert!
    Die Anerkennung des Status quo — um es hier klar zu sagen — kommt für uns nicht in Frage.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Für uns auch nicht!)

    — „Aha!" Jetzt kommt das bekannte „Aha!"

    (Abg. Frau Dr. h.c. Weber [Essen] : Ja, das ist aber hier am Platze!)

    Eine solche Anerkennung kommt nicht in Frage.
    Die Frage ist, wie man aus dem Status quo herauskommt. Sicher nicht schon dadurch, daß man erklärt
    — wie der Kollege Gradl —, daß er schrecklich ist. Das ist er. Aber diese Erklärung für sich allein nützt nichts. Man kommt nur durch politische Arbeit heraus. Politische Lösungen setzen aber wahrscheinlich militärisch-strategische Lageberichtigungen voraus. Das ist es, was ich in Straßburg gesagt habe und was gelegentlich falsch interpretiert worden ist.
    Solcher politischer Lösungen gibt es wahrscheinlich in der Theorie sehr viele, nur eine wird aber stechen. Ich sprach zu Beginn von der politischen Phantasie. Ohne sie ist Politik nicht möglich. Nur muß es eine wissenschaftlich exakt operierende Phantasie sein. Ich glaube damit nicht mißverstanden zu werden.
    Was in der Berliner Erklärung der Botschafter der NATO-Mächte letztes Jahr gesagt worden ist, halte ich für keine gute Lösung. Natürlich war es gut, daß die Botschafter gesagt haben: „Unsere Regierungen stehen hinter der Wiedervereinigung Deutschlands." Das war gut, und dafür hat man zu danken. Aber nicht gut war es, daß sie dazu hier gesagt haben, die Regierung eines wiedervereinigten Deutschlands müsse frei sein, sich unter Umständen für den Eintritt ganz Deutschlands in die NATO zu entscheiden. Die Londoner „Times" hat darüber einiges Beachtliche gesagt. Sie hat gesagt: Wenn dem so sei, wenn die Mächte das wollten, dann sollen sie doch jeden Gedanken an die Wiedervereinigung Deutschlands begraben! Es ist doch so: Vor einer Wiedervereinigung Deutschlands muß leider Gottes die Einigung der interessierten Mächte über den politischen und militärischen Status dieses wiedervereinigten Deutschlands erfolgt sein!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Solange eine Seite fürchten muß, daß die Regierung
    des wiedervereinigten Deutschlands auf die andere
    Seite geht, wird sie doch nicht grünes Licht geben!

    (Zustimmung bei der SPD und der FDP.)

    Man hat Herrn Dr. Mende vorgeworfen, er habe von uns gelernt. Nun, es wäre keine Schande, auch von uns zu lernen. Warum denn? Auch wir haben von anderen gelernt.

    (Abg. Frau Dr. h.c. Weber[Essen]: Von uns!)

    — Aus Ihren Fehlern haben wir auch gelernt; aus eigenen auch.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Wir sollten uns nicht genieren, das zu sagen. Wir sollten immer lernen! — Herr Kollege Kunze, ich glaube, wenn Sie mir zunicken, so tun Sie es aus tiefstem Herzen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Wenn wir nicht bereit sind, bei Verhandlungen politischer Art das Problem des politischen und militärischen Status des wiedervereinigten Deutschlands in die Verhandlungen hineinzugeben, dann kommt es eben nicht zur Wiedervereinigung. Es ist schrecklich, aber es ist so.
    Ich glaube jedoch, daß man noch etwas anderes tun sollte. Ich glaube, man muß, was die Reihenfolge der Maßnahmen, die man anzugehen hat, anlangt, umdenken und auch Umkehrungen in den Methoden vornehmen. Ich habe früher selber geglaubt — sehen Sie, ich spreche auch von meinen Fehlern! —, zunächst müsse man die politischen Probleme lösen, insbesondere die territorialen, dann könne man entspannen, und dann könne man auch abrüsten. Die Erfahrung hat gezeigt, daß das falsch gedacht war. Zumindest wäre es falsch, wenn ich es heute noch dächte. Vielleicht war es damals unter den damaligen Voraussetzungen nicht falsch; heute wäre es falsch. Ich glaube, daß man heute wohl so denken muß: Erst muß man Schritte auf dem Wege zur Abrüstung getan haben, dann sind im Verhältnis zu diesen Schritten politische Lösungen möglich,



    Dr. Schmid (Frankfurt)

    Natürlich meine ich das nicht so, daß der eine alles zu kriegen hat, so daß man nachher als der Geprellte dasteht.

    (Zuruf von der Mitte: Aha!)

    — Aha!

    (Heiterkeit und Zurufe bei der SPD.)

    — Ja, das Vokabular der verschiedenen Menschen ist verschieden groß.

    (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Und dann gibt es gewisse Urlaute, die selbst dem Weisesten auf die Zunge kommen können.

    (Anhaltende Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich glaube, daß der Versuch, auf dem Wege der Abrüstung voranzukommen, damit beginnen müßte, daß man gewisse Bereiche Mitteleuropas militärisch uninteressant macht. Das ist auch kein neuer Gedanke. Hier in diesem Hause haben ihn unser verstorbener Kollege Pfleiderer und unser Kollege Lütkens öfters angesprochen. Man sprach damals von militärisch verdünnten Zonen. Eden hat dasselbe getan, als er Ministerpräsident des Vereinigten Königreichs war. Seine Pläne hat man sich totlaufen lassen. Heute haben wir den Vorschlag Rapackis, heute haben wir die Vorstellungen Kennans.
    Was den Rapacki-Plan betrifft, so meint doch keiner von uns, daß man nur auf den Tisch zu greifen, und ihn anzunehmen braucht. Natürlich muß auch darüber verhandelt werden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Aber der Vorschlag ist ein möglicher Ausgangspunkt für Verhandlungen, von denen heute niemand weiß, wohin sie schließlich führen würden. Sehr häufig kommt man ja zu etwas anderem, als man anstrebte. Die Alchimisten des Mittelalters wollten Gold suchen. Sie haben es nicht gefunden; aber sie haben Blei und Zinn gefunden, und die moderne Chemie geht letztlich auf sie zurück. Ich will damit sagen, daß Verhandeln oft den Wert haben kann, daß dabei etwas anderes abfällt, als was man eigentlich angestrebt hatte — oft etwas Nützliches. Wenn etwas gefährlich abfallen sollte, muß man sich eben vorsehen. Politik ist eine Sache, bei der es nicht ohne Risiken geht. Wenn Sie jedes Risiko ausschließen wollen, dann bleibt doch nur übrig — verzeihen Sie mir, Herr Kollege —, daß wir uns offen zum Biedermeier bekennen.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

    Das Gebiet, das Rapacki meint, soll Deutschland, Polen und die Tschechoslowakei umfassen. Es sollen dort keine Atomwaffen irgendwelcher Art stationiert sein. Natürlich hat das nur einen Sinn, wenn dieses Gebiet wirksam kontrolliert wird, wobei ich Ihnen gleich sagen möchte, daß ich keinen Vertrag unterschreiben würde, in dem nur stünde „Kontrolle", sondern nur, wenn er einen Katalog von Kontrollmaßnahmen enthielte.

    (Zuruf von der Mitte: Aha! — Große Heiterkeit bei der SPD.)

    — Aha! Die Urlaute!

    (Erneute Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich muß gestehen, daß solche Zwischenrufe die Diskussion beleben.

    (Anhaltende Heiterkeit bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Geistige Anregung!)

    Man hat die Initiative Rapackis zu entwerten versucht, indem man sagte, das sei ja keine eigene Initiative Polens. Nun, ich kann nicht in das Gehirn von Herrn Rapacki hineinschauen; ich weiß nicht, was er denkt. Nur eines möchte ich sagen — ich habe es schon in Straßburg gesagt —: wir sollten von den Polen nicht immer als „Satelliten" sprechen. Immerhin hat dieses Volk gezeigt, daß es imstande ist, sein Schicksal in recht wirksamer Weise innerhalb bestimmter Möglichkeiten selbst in die Hand zu nehmen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Was die Polen in dieser Zeit geleistet haben — Sie wissen, was ich meine —, ist aller Ehren wert.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Ich meine, daß ein solches Volk doch durchaus imstande ist, auch außenpolitisch von seinem Interesse aus zu denken, und vielleicht könnte es sein, daß man in Warschau der Meinung ist, das Interesse Deutschlands könnte auf Gebieten, auf denen beide Staaten gefährdet sind, mit dem Interesse Polens identisch sein.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Das zu überdenken und sich hier zu informieren, ist zumindest der Mühe wert, und schon deswegen sollten wir in Warschau einen Botschafter haben, damit man fragen kann!

    (Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Nun gibt es Leute, die sagen: Ach der Rapacki-Plan, der ist doch ganz unerheblich; bei der heutigen Reichweite der Raketen ist es doch sinnlos, ein paar hundert Kilometer auszuklammern! Wenn es wahr ist, wenn es keinen Wert hätte, dieses Gebiet zu „entnuklearisieren", wie das neue Wort heißt, dann ist es auch in positivem Sinne bedeutungslos, ob dort Atomwaffen stehen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP. — Abg. Kiesinger: Das stimmt nicht!)

    Im übrigen sagt man, man könne über den Rapacki-Plan nur verhandeln, wenn man die DDR an- erkenne. Das ist nicht richtig. Es genügt doch völlig, daß die Mächte, die Atomwaffen haben — die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien —, untereinander vereinbaren, auf den genannten Gebieten keine Atomwaffen zu stationieren. Da brauchen sie weder uns zu fragen noch die Herrschaften in Pankow, und sie können sich gegenseitig verpflichten, keiner Regierung dieses Gebiets atomare Waffen zu überlassen.

    (Abg. Dr. Bucerius: Rapacki hat etwas anderes verlangt!)




    Dr. Schmid (Frankfurt)

    — Richtig, Herr Kollege!

    (Abg. Dr. Bucerius: Er verlangt ein Abkommen zwischen uns und der DDR!)

    — Nun, ich sagte ja, daß ich nicht bereit sei, den Plan einfach vom Tisch zu nehmen und in meine Tasche zu stecken; aber ihn als Ausgangspunkt zu nehmen — —

    (Abg. Frau Dr. h.c. Weber [Essen] : Mit wem?)

    — Mit wem? Zunächst einmal würde ich, Frau Kollegin Weber, mit den Polen darüber sprechen.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Ich glaube aber, daß das nur ein erster Schritt sein könnte und sein würde: Gesetzt den Fall, man käme dazu, Mitteleuropa atomwaffenfrei zu machen, dann würde es wohl auch zur Zurückziehung der Stationierungstruppen aus diesem Gebiet kommen, wobei ich betone, daß nur ein gleichwertiger Rückzug der Stationierungstruppen — so steht es in unserem Antrag — einen Sinn hätte.
    Dabei sind Kilometer nicht einfach zu messen, sondern strategisch zu wägen.

    (Zuruf von der Mitte: Was heißt das konkret?)

    — Dann muß man aushandeln, Herr Kollege. Da genügt es nicht, zu sagen: Das will ich. Der andere wird sagen: Ich will etwas anderes. Dann muß man eben versuchen, ob man sich irgendwo begegnen kann, wo man zustimmen kann oder nicht. Das ist der Sinn des Verhandelns.

    (Abg. Frau Dr. h.c. Weber [Essen] : Wenn man es für richtig hält!)

    — Aber wenn Sie immer nur dann verhandeln wollen, wenn der andere Ihnen von vornherein schon konzediert hat, was Sie für richtig halten, dann werden Sie nicht sehr weit kommen. Mancher Ihrer Zwischenrufe ist so zu deuten.

    (Widerspruch in der Mitte.)

    — Ich glaube sie so deuten zu sollen. Wenn ich
    mich getäuscht habe, bitte ich sehr um Vergebung.
    Auch das bedingt keine Anerkennung des Status quo. Auch hier betone ich und wiederhole ich: der Status quo wird sehr viel stärker festgehalten, wenn beide Teile Deutschlands besetzt bleiben! Zum mindesten würde ein Zurückziehen fremder Truppen aus dem ganzen Raum — ich betone: dem ganzen Raum; das macht für den Westen 200 km, für den Osten 600 km — unsere Lage nicht zum Schlimmeren, sondern zum Besseren ändern. Denken Sie doch an die Freude, die Herr Ulbricht haben würde, wenn die sowjetischen Truppen sich zurückzögen!

    (Heiterkeit bei der SPD. — Zuruf der Abg. Frau Dr. h.c. Weber [Essen].)

    — Sie meinen, er hätte eine Freude? Dann beurteilen Sie ihn anders als ich, Frau Kollegin Weber.

    (Heiterkeit.)

    Was das Militärische betrifft, zwei deutliche Worte — ich habe sie schon anderswo ausgesprochen —: Wenn es zu einem Weltkrieg mit massivem Einsatz nuklearer Waffen größter Ordnung käme, brauchten doch bloß die beiden Giganten über Deutschland zwischen Alpen und Nordsee atomares Sperrfeuer zu schießen, und kein Mensch kann dort mehr Truppen bewegen. Denken wir an den anderen Fall, den Buschfeuerkriegsfall, wie die Amerikaner heute sagen, an den lokalen Konflikt! Glauben Sie nicht, daß unsere Situation strategisch sehr viel besser wäre, wenn in Polen, in der Tschechoslowakei keine Russen stünden und in Deutschland nur Deutsche? Auf jeden Fall würde eine solche Operation das strategische Interesse an Mitteldeutschland vermindern und damit die Verhandlungschancen steigern, Chancen von Verhandlungen, durch die wir vielleicht erreichen könnten, daß der unmenschliche Zustand, von dem unser Kollege Gradl gesprochen hat, zu Ende geht.
    Manche sagen, die Sowjetunion werde das nicht annehmen. Ich verstehe, daß man das sagt. Aber schieben wir ihr doch einmal den Schwarzen Peter zu!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Warum ihr denn die Wiedervereinigungs- und Friedensparolen überlassen? Bieten wir ihr doch einmal Verhandlungen über dieses Thema an! Hören wir, wie sie reagiert, und ziehen wir die Konsequenzen aus der Art, wie sie reagieren wird!

    (Beifall bei der SPD und FDP.)

    Aber legen wir in die Verhandlungen nicht bloß die Randprobleme, sondern die Kerne der Problematik hinein! Nur dann haben sie einen Sinn.
    Man meint, jetzt, wo die Russen den Sputnik lanciert haben, werde es schwer sein, mit ihnen zu verhandeln. Ich glaube genau das Gegenteil. Mit den Russen kann man wahrscheinlich leicht verhandeln, wenn sie ganz schwach sind und kapitulieren müssen; mit den Russen kann man wahrscheinlich sehr schlecht verhandeln, wenn sie stark genug sind, nein zu sagen, aber nicht so stark, daß sie das Gefühl haben können: Wir könnten eigentlich alles, was wir möchten. Am leichtesten kann man mit ihnen verhandeln, wenn sie das Gefühl haben, wirklich an der Spitze zu sein. — Das zeigt die ganze russische Geschichte.

    (Unruhe in der Mitte.)

    — Am leichtesten konnte man mit dem zaristischen Rußland nach der Schlacht bei Leipzig verhandeln
    — wegen des gewachsenen Selbstgefühls der Russen. Sie brauchen nur die Dokumente dieser Zeit nachzulesen.

    (Abg. Kiesinger: Es sitzen nicht nur Russen in Moskau, sondern Kommunisten!)

    — Qui gratte le communiste, trouvera le Russe! Wenn es zu einer Vereinbarung dieser Art käme, bestünde auch die Notwendigkeit — und das scheint mir wichtig zu sein und ein Grund mehr, auf eine solche Operation hinzuwirken —, den „RapackiRaum" politisch und militärisch zu organisieren. Dann könnte es möglich werden, ein funktionieren-



    Dr. Schmid (Frankfurt)

    des Sicherheitssystem zu schaffen, nicht auf dem Reißbrett, sondern auf Grund ad hoc geschaffener konkreter politischer Machtverhältnisse.
    Und dann müßte man notwendigerweise über das Deutschland-Problem sprechen; denn ohne das läßt sich auf die Dauer der Zustand, von dem ich sprach, nicht halten.
    Damit kein Zweifel an unserer Haltung besteht: Wir Sozialdemokraten wollen keine Neutralisierung des wiedervereinigten Deutschlands. Wir wollen aber, daß man bereit sei, über den politischen und militärischen Status des wiedervereinigten Deutschlands rechtzeitig zu verhandeln. Warum dies fürchten? Die Vereinbarung müßte ja u. a. die Unterschrift der Vereinigten Staaten von Amerika tragen!
    Zweitens: Wir wollen auch keine Neutralisierung der Bundesrepublik. Wir wollen lediglich, daß die militärischen Vorkehrungen auf ihrem Gebiet durch Vereinbarungen aller Beteiligten beschränkt werden — wie auch in Polen, wie auch in der Tschechoslowakei. Dieses Gebiet ist für uns dabei ein untrennbares Ganzes.
    Nun ist hier über die „Werwolf-Strategie" George F. Kennans gesprochen worden. Warum soll auch ein so bedeutender Mann nicht einmal einen skurrilen Gedanken haben können?

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Kiesinger: In einem entscheidenden Punkt.)

    — Nein, das ist kein entscheidender Punkt. Vielleicht denkt er dabei an die alten Zeiten in West-point. Vielleicht reichen seine amerikanischen Vorfahren auch noch in jene Zeit zurück, die wir aus dem Lederstrumpf kennen. Ich weiß es nicht. Atavismen spielen aber gelegentlich eine Rolle.

    (Heiterkeit.)

    Ich halte das für Unsinn, und ich glaube, niemand in meiner Fraktion denkt darüber anders. Aber das nimmt doch dem Plan als solchem nichts von seinem Wert.
    Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß in diesem Fall dieser Raum, auch der deutsche Raum, durch ernst zu nehmende Truppenkontingente verteidigt werden müßte, die modern bewaffnet sind
    — mit Ausnahme atomarer Waffen.

    (Lebhafte Rufe bei der CDU/CSU: Aha!)

    Ich sage das klipp und klar und wiederhole es. Ich habe es übrigens schon immer gesagt.

    (Abg. Dr. Kliesing: Aber 12 Divisionen reichen da nicht aus!)

    — Fragen Sie die Generale; die sind der Meinung, daß 12 Divisionen schon sehr viel sind.


Rede von Dr. Georg Kliesing
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Darf ich Sie fragen, Herrr Kollege Schmid, wie Sie das Dilemma lösen wollen, das sich einerseits durch Ihre Forderung nach starken deutschen Kontingenten und andererseits durch Ihre Ablehnung der Wehrpflicht ergibt?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Distinguendum est inter et inter, Herr Kollege Kliesing. Wir lehnen die bisherige NATO-Politik der Bundesregierung ab, weil wir der Meinung sind, daß sie so, wie sie geführt ist — d. h. für sich allein geführt ist —, nicht die Chancen der Wiedervereinigung Deutschlands fördert, sondern diese Chancen kränkt. Deswegen sagen wir dazu nein. Wird aber eine Politik betrieben, die die Chancen der Wiedervereinigung mehrt — und wir glauben, daß die Politik der „Denuklearisierung", verzeihen Sie dieses Wort, Mitteleuropas die Wiedervereinigung fördert —, dann sind wir bereit, daraus die Konsequenzen zu ziehen; denn wir bejahen die Landesverteidigung.

    (Große Unruhe bei der CDU/CSU. — Zuruf von der Mitte: Interessant! — Abg. Dr. Mommer: Ist das neu? — Anhaltende Unruhe in der Mitte.)

    — Wenn die Unruhe sich gelegt hat, will ich gerne weiter sprechen.

    (Abg. Erler: Die CDU muß sich zur Beratung zurückziehen!)

    Solange kein Sicherheitspakt an die Stelle von NATO und Warschauer Pakt getreten ist, kein Sicherheitspakt, in den Gesamttdeutschland einzuplanen wäre, könnten die Bundesrepublik in der NATO und die Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes in diesem Pakt verbleiben. Das hat Herr Ollenhauer heute morgen gesagt, ich wiederhole es.
    Nun sagt man, das sei nicht möglich. Warum denn nicht? Militärisch-politisch würde es bedeuten, daß die Vertragsverpflichtungen erhalten bleiben — mit den vereinbarten Modifikationen, was die Truppenstärke usw. betrifft —, daß aber die Hauptkampflinie der beiden großen Blöcke auseinandergeschoben würde und daß die Selbstmordbatterien weiter auseinanderstünden. Das wäre schon ein Vorteil, um den zu kämpfen es sich lohnen könnte!
    Man sagt, damit würde das Angriffspotential der Sowjetunion gestärkt und das Verteidigungspotential des Westens geschwächt. Ich bin genau der gegenteiligen Auffassung: damit würden nämlich atomare Überfälle erschwert, und die konventionelle Abwehr würde gestärkt. Die strategische Verteitdigung durch atomare Gegenschläge könnte ja sowieso — das hat uns unser Bundesverteidigungsminister schon mehrmals gesagt — nicht von deutschem Boden ausgeführt werden.
    Auf dieser Grundlage könnte man über die Wiedervereinigung Deutschlands mit mehr Aussicht auf Erfolg verhandeln als heute; denn die Verhandlungen würden dann nicht mehr so sehr mit militärisch-strategischen Hypotheken belastet bleiben; es gibt andere Hypotheken, die sie belasten, die schwer genug sind. Wir sollten froh sein, wenigstens eine loszuwerden.
    Nun sagen manche, mit den Russen seien keine Vereinbarungen möglich, die ihre politische Position außerhalb ihrer eigenen Grenzen gefährdeten, z. B. solche, die zur Lockerung der Bande führen



    Dr. Schmid (Frankfurt)

    könnten, in denen sie gewisse Völker halten. Was gibt es denn dann noch für Alternativen? Die eine wäre: sie zwingen, mit Gewalt. Was das bedeutet, weiß jeder: den dritten Weltkrieg; den will niemand, auch niemand in diesem Hause, das weiß ich.
    Her Kiesinger hat gesagt, die Umstände könnten sie schließlich zwingen. Was sind das für Umstände? Früher, als auf dem Schachbrett noch eine Reihe großer Figuren standen, war das eine durchaus mögliche Art zu denken. Das ist aber heute nicht mehr der Fall. Heute stehen nur noch wenige große Figuren auf dem Schachbrett, zwei Könige, vielleicht noch ein Läufer und einige Bauern ganz weit im Hintergrund.

    (Abg. Hilbert: Aber noch Türme!)

    — Die sind weg, Kollege Hilbert! Letzten Endes kommt es dazu, daß König gegen König ziehen müßte, und das gäbe ein Remis — das ist der Status quo, aus dem wir doch herauswollen.
    Die zweite Alternative wäre: wir warten eben, bis das Regime in Moskau zusammenfällt. Nun, darauf warten wir seit 40 Jahren, seit 41 Jahren bald, und werden wir wohl noch lange warten müssen.
    Wenn man das alles nicht will und Vereinbarungen nicht für möglich hält, nun, dann sollte man harte, aber ehrliche Konsequenzen ziehen und sollte sie aussprechen. Ich hoffe, daß niemand so leicht den Mut finden wird, dies auch nur in Gedanken in sich zu vollziehen.
    Ich meine, daß wir den Weg, den ich hier aufgezeichnet habe, gehen sollten. Wir sollten auch unsere Partner von der Notwendigkeit, diesen Weg zu gehen, zu überzeugen versuchen. Ich sage ganz offen, daß ich nicht sicher bin, daß wir damit zum Ziele kommen. Wenn dies der Fall werden sollte, nun dann werden wir die Situation neu durchdenken und Konsequenzen ziehen müssen. Vielleicht werden wir nicht gewinnen; auf jeden Fall aber werden wir, wenn wir diesen Weg nicht versuchen, verlieren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Im Widerstreit zwischen „Vielleicht" und „Nie" entscheiden wir uns mit Vorsicht, aber entschieden für das Vielleicht.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD. — Beifall bei der FDP.)