Ist es auch heute noch seine Meinung, daß man diplomatische Beziehungen deswegen aufnimmt, um sie zum zweiseitigen Gespräch zu nutzen, natürlich mit Wissen der Partner — niemand von uns will eine Schaukelpolitik treiben —; oder richtet man diplomatische Beziehungen ein, um nachher den einen Diplomaten in Bonn zu brüskieren und den anderen in Moskau in den Wartestand zu versetzen?
Diese diffizilen Fragen schneiden wir auch mit dem letzten Punkt unserer Großen Anfrage an, der lautet:
Was hat die Bundesregierung unter Ausnutzung der diplomatischen Beziehungen bisher getan, um die durch die Erklärungen des ehemaligen USA-Botschafters in Moskau, George Kennan, wieder in Gang gekommene Erörterung der Deutschlandfrage zu konkreten Anträgen und Stellungnahmen bei den vier Mächten des Potsdamer Abkommens zu nützen?
Die jetzt eingetretene Situation sollte gerade den diplomatischen Draht zwischen Bonn und Moskau, aber auch zwischen Bonn, London, Paris und Washington geradezu heiß werden lassen. Wir haben aber das Gefühl, daß das Gegenteil geschieht.
Herr Bundeskanzler, die deutsche Wiedervereinigung ist in erster Linie eine Frage der deutschen Politik.
Amerikanische strategische Interessen und deutsche nationale Fragen müssen nicht unbedingt immer kongruent sein.
Es ist das Recht, es ist die Pflicht der amerikanischen Politik und Strategie, in erster Linie an Amerika zu denken. Es ist das Recht, es ist die Pflicht auch der britischen und französischen Politik und Strategie, in erster Linie an ihre Länder zu denken. Unsere Pflicht, Herr Bundeskanzler, ist es, in erster Linie an Deutschlands Einheit und Freiheit zu denken.
Wir erwarten daher, daß Sie, gestützt auf das Vertrauen des Westens, diplomatische Gespräche und Verhandlungen mit dem Osten suchen, um zur Entspannung beizutragen. Der Austausch von Propagandanoten beiderseits sollte zu Ende gehen.
Wir fragen Sie daher als Letztes: Sind Sie, Herr Bundeskanzler, immer noch der Meinung, daß eine Parlamentarierreise unter Führung des Bundestagspräsidenten nach der Sowjetunion
trotz seinerzeitiger Annahme der Einladung durch alle Fraktionen des Bundestages, auch durch Ihre, meine Herren Zwischenrufer,
zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zweckmäßig ist? Ist es wirklich so, daß eine Reise einer Delegation von Abgeordneten der CDU/CSU und DP unter Teilnahme der Vorsitzenden der Ausschüsse für Verteidigung und Außenhandel nach Formosa den deutschen Interessen mehr dienlich sein soll?
Wir erwarten daher als Ausfluß der heutigen
außenpolitischen Debatte, daß nicht alles beim alten
bleibt, sondern sich in diesem Hause Neues regt.
Wir erwarten für die Zukunft, daß nicht mehr propagandistische Noten gewechselt werden, sondern daß man zu Verhandlungen und diplomatischen Gesprächen bereit ist.
Außenpolitik, meine Damen und Herren, ist keine Marktware,
sie sollte kein Objekt von Postwurfsendungen sein, aber ebensowenig Anlaß bieten, sich über den kleindeutschen Rundfunk an das bundesrepublikanische Volk zu wenden und so dieses Parlament in seiner staatsrechtlichen Stellung zu degradieren.