Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, daß dem Hohen Hause der Inhalt des Entwurfs eines Gesetzes zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen im wesentlichen bekannt ist. Ich will deswegen nur einige tragende Gedanken des Entwurfs herausstellen und zu einigen besonders wichtigen Fragen Stellung nehmen.
Es ist Ihnen bekannt, daß die Trink- und Brauchwasserversorgung der Bevölkerung und der Industrie nicht mehr überall gesichert ist. Krisenhafte Erscheinungen treten namentlich in den Gebieten auf, in denen Bevölkerung und Industrie zusammengeballt sind. Dies beruht darauf, daß hier der Bedarf aus dem Grundwasser längst nicht mehr gedeckt werden kann, vielmehr in zunehmenden Maße auf das Oberflächenwasser und auch auf das Wasser der großen Ströme zurückgegriffen werden muß. Das Wasser dieser Flüsse ist aber so mit Abwasser und Schmutzstoffen aller Art belastet, daß es vielfach für den menschlichen Genuß überhaupt nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten aufbereitet werden kann. Aus diesem Grunde haben verschiedentlich schon Pumpstationen von Wasserwerken stillgelegt werden müssen.
Durch die übermäßige Verschmutzung der Wasserläufe treten aber auch sonstige Schäden und schwerwiegende Nachteile auf. Der Herr Bundeskanzler hat sich bereits in seiner Regierungserklärung mit der Verunreinigung der Gewässer befaßt. Um Ihnen einen Eindruck von dem beunruhigenden Zustand zu geben, in dem sich die Bundeswasserstraßen befinden, war ich fast versucht, Ihnen einige Zahlen vorzutragen. Ich habe dieses Unternehmen aber aufgegeben. Denn was Verunreinigung der Bundeswasserstraßen heißt, das muß man persönlich erlebt, also gesehen und .mit seinem Geruchssinn aufgenommen haben. Deshalb hat mein Herr Minister daran gedacht, den Herrn Präsidenten zu bitten, einer Delegation dieses Hohen Hauses Gelegenheit zu geben, sich mit uns einmal den Zustand unserer Bundesflüsse anzusehen.
Wir würden Sie vielleicht zuerst an den unteren Main führen, wo sich metertief der Faulschlamm, der von den großen Mengen eingeleiteten Abwassers herrührt, im Flußbett ablagert und bei sommerlicher Hitze und geringer Wasserführung in Fladen in den Rhein abtreibt.
Wir würden Ihnen den Rhein unterhalb von Ludwigshafen und Mannheim zeigen, wo gewerbliche Betriebe, die zu den größten und wichtigsten im Bundesgebiet gehören, das biologische Leben des Flusses auf Kilometer schwer beeinträchtigen und ihren Einfluß noch weit stromab zeigen.
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Staatssekretär Dr. Seiermann
Wir würden Sie bitten, mit dem Schiff das Industriegebiet am Niederrhein zu bereisen und sich anzusehen, welche überaus wichtige Rolle der Rhein für die Abwasserwirtschaft und die Wasserversorgung im Industriegebiet spielt. Wir könnten Sie an Wasserläufe führen, die im Sommer wie eine Pestilenz auf die Geruchsnerven wirken, und Ihnen einen weiteren wasserwirtschaftlich und werkehrlich gleich wichtigen Fluß unserer Bundesrepublik zeigen, wo zeitweilig bei jeder Schleusung eines Schiffs sich Bug und Vorschiff bis zur Höhe des Steuerhauses mit dickem Schaum bedecken. Die Gesundheit aller, die mit diesem Wasser in Berührung kommen, es vielleicht sogar trinken müssen, ist ständig gefährdet.
Es fragt sich nun, ob es nicht möglich wäre, auf Grund des in der letzten Legislaturperiode noch verabschiedeten Wasserhaushaltsgesetzes die nötigen Maßnahmen zu treffen. Diese Frage ist zu verneinen. Das Wasserhaushaltsgesetz ist ein Rahmengesetz und bedarf der Gesetze der Länder, die es ausführen. Es soll darum auch erst am 1. März 1959 in Kraft treten. Es steht auch keineswegs fest, ob die Ausführungsgesetze der Länder sämtlich bis zu diesem Zeitpunkt erlassen, aber auch nicht, ob sie so einheitlich sein werden, daß sie für die großen Wasserläufe, die Bundeswasserstraßen, die alle durch mehrere Länder gehen, die nun einmal unerläßliche einheitliche Rechtsgrundlage schaffen werden. Dann erst kann wirksam gehandelt werden.
Die Bundesregierung will sich mit dieser Unsicherheit nicht abfinden. Sie will nicht zuwarten, sondern dafür sorgen, daß möglichst rasch etwas Durchgreifendes geschieht. Der Entwurf des Reinhaltungsgesetzes ist im übrigen mit den Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes sorgfältig abgestimmt worden. Eine Reihe von Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes sind wörtlich übernommen worden.
Ich komme nun zu der umstrittenen Frage, ob die Länder und ihre Behörden in der Lage wären, an den Bundeswasserstraßen die nach meinen Ausführungen notwendigen Maßnahmen durchzuführen. Wir verneinen diese Frage. Selbst wenn unterstellt wird, daß es den Ländern durch enge Zusammenarbeit gelingen sollte, wirklich Bleichlautende Ausführungsgesetze zu erlassen, so wären sie und ihre Behörden darum doch nicht in der Lage, mit Aussicht auf Erfolg die Maßnahmen an den Bundeswasserstraßen zu treffen, die erforderlich sind, um den Zustand dieser Bundeswasserstraßen so zu verbessern, wie es das Wohl der Allgemeinheit gebieterisch verlangt. Zwei Beispiele dafür.
Der Rhein durchfließt in der Bundesrepublik vier deutsche Länder oder er berührt sie. Von der Lautermündung bis oberhalb Kaub, also auf rund 200 km, ist er noch dazu Grenzfluß zwischen den Ländern Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen. Hätten also diese Länder durch ihre wasserwirtschaftlichen Behörden die Reinhaltung des Rheins auf dieser Strecke zu vollziehen, so gäbe es auf dieser Länge von rund 200 km eine linksrheinische und eine rechtsrheinische Wasserwirtschaftsverwaltung, die je nur bis zur Flußmitte für die Reinhaltung sorgen könnten.
Auch die Weser durchfließt oder berührt vier Bundesländer. Von Hannoversch-Münden bis Schlüsselburg, also auf rund 130 km, ändern sich die Landesgrenzen nicht weniger als 27mal. Müßten hier die Wasserwirtschaftsverwaltungsbezirke den Ländergrenzen folgen, so wäre eine ordentliche Verwaltung des Wasserschatzes des Flusses nach unserer Meinung nicht möglich. Unmöglich wären namentlich auch erfolgversprechende Maßnahmen zur Reinhaltung des Flusses.
Unzweckmäßig und abzulehnen ist unserer Meinung nach die vom Bundesrat in seiner letzten Sitzung vertretene Auffassung, die Bundes- und die Landeszuständigkeiten an dem Objekt Bundeswasserstraßen könnten in der Weise geteilt werden, daß der Bund die Verwaltungsmaßnahmen zu treffen habe, die ihm als Eigentümer der Bundeswasserstraßen oblägen oder die im Interesse des Wasserstraßenverkehrs erforderlich seien, während die Länder für die wasserwirtschaftlichen oder landeskulturellen Verwaltungsmaßnahmen zuständig sein sollten. Zwar ist der Bundesrat ferner der Ansicht, daß der Bund auch hinsichtlich der wasserwirtschaftlichen und landeskulturellen Verwaltungsmaßnahmen zuständig sei, wenn die Interessen des Bundes als Eigentümer und Verwalter der Wasserstraßen überwögen. Eine solche Trennung der Aufgaben ist aber praktisch unmöglich, weil sie zu ständigen verwaltungsmäßigen Überschneidungen und zu regelmäßig unlösbaren Zweifeln über die Zuständigkeiten der einen oder der anderen Behörde und damit letztlich zu einer unerträglichen Verzögerung des Ablaufs der Verwaltung führen müßte. Der Bundesrat hat geglaubt, auf Grund zwingender verfassungsrechtlicher Erwägungen zu dieser Trennung der Zuständigkeiten kommen zu müssen. Er hat die Bundesregierung gebeten, weiterhin in Zusammenarbeit mit den Ländern bald nach einer Lösung dieser schwierigen Frage zu suchen, gegen die verfassungsrechtliche Bedenken nicht zu erheben sind.
Mit den verfassungsrechtlichen Erwägungen des Bundesrates hat sich die Bundesregierung wiederholt auseinandergesetzt, und zwar sowohl hinsichtlich der Verwaltungs- wie auch der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes. Ich darf hierzu auf die Anlage 3 des Ihnen vorliegenden Entwurfs Drucksache 46 verweisen. Ich selbst habe namens der Bundesregierung in der Plenarsitzung des Bundesrates am 29. November 1957 zu den Rechtsfragen nochmals eingehend Stellung genommen. Ich verweise hierzu auf meine Ausführungen im Bundesrat, die zum Teil im Bulletin der Bundesregierung und vollständig in der Bundesratsdrucksache Nr. 185 zu finden sind.
Hervorheben möchte ich heute nur, daß die Entstehungsgeschichte des Art. 97 der Weimarer Verfassung, auf den die Bestimmung des Art. 89 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes: „Der Bund verwaltet die Bundeswasserstraßen durch eigene Behörden" zurückgeht, eindeutig für die von der Bundesregierung vertretene Auffassung spricht. In der 70. Ple-
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narsitzung der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung haben — ich bitte, das festzuhalten — die Abgeordneten Dr. Haas, Leicht und andere beantragt, den ersten Satz des Art. 97 der Weimarer Verfassung wie folgt zu fassen:
Aufgabe des Reichs ist es, die Verfügung über die dem allgemeinen Verkehr dienenden Wasserstraßen und ihre Verwaltung unter Beschränkung auf die Zwecke des Verkehrs auf diesen Wasserstraßen zu übernehmen.
Zu diesem Antrag hat der Vertreter der Reichsregierung, Dr. Preuß, ausgeführt, daß eine Trennung der Verwaltung nach den verschiedenen Zwecken rein technisch unmöglich sei. Der Antrag, die Bundesverwaltung auf die Zwecke des Verkehrs auf diesen Wasserstraßen zu beschränken, wurde daraufhin mit großer Mehrheit abgelehnt.
Bei dieser Sachlage wird nicht mehr länger das Gegenteil behauptet werden können, daß nämlich Art. 97 der Weimarer Verfassung die Verwaltung der Wasserstraßen auf den Verkehrszweck habe beschränken wollen und deshalb eine solche Beschränkung nach der Entstehungsgeschichte zwingend auch in Art. 89 des Grundgesetzes hineinzuinterpretieren sei. Gerade das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein. Die Mehrheit der Nationalversammlung hat eine solche Einengung durch ihren Beschluß ausdrücklich mißbilligt und damit dem Reich die Verwaltungskompetenz in bezug auf das Objekt, nämlich die Bundeswasserstraßen, zugesprochen. Und der Parlamentarische Rat hat nirgend
wo zum Ausdruck gebracht, daß er die wörtlich übernommenen Bestimmungen aus der Weimarer Verfassung im Grundgesetz mit einem anderen begrifflichen Inhalt erfüllen wolle. Darum gilt jene Entscheidung der Nationalversammlung nach unserer Meinung ungekürzt und unverändert auch für die Auslegung des Art. 89 des Grundgesetzes.
Ich fasse den Schluß meiner Ausführungen in einem kurzen Satz zusammen: Eile tut not! Ich wäre dankbar, wenn der Gesetzentwurf den zuständigen Ausschüssen zur weiteren Behandlung überwiesen würde.