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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 1. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 15. Oktober 1957 1. Sitzung Berlin, den 15. Oktober 1957 Inhalt: Ansprache der Alterspräsidentin Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 1 A Namensaufruf der Abgeordneten und Wahl des Präsidenten 5 B Dr. Krone (CDU/CSU) 5 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . 5 D, 6 A Amtsübernahme und Ansprache des Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier 6 A Wahl der Stellvertreter des Präsidenten Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) 11 A Dr. Jaeger (CDU/CSU) i 1 A Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) 11 A Begrüßung einer Abordnung des britischen Unterhauses i 1 A Zusammensetzung des Ältestenrates . . . 11C Nächste Sitzung 11 C Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 1. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 15. Oktober 1957 1 1. Sitzung Berlin, den 15. Oktober 1957 Stenographischer Bericht Beginn: 15.00 Uhr
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    Rede von Dr. Marie-Elisabeth Lüders


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Die Sitzung ist eröffnet.
    Meine Damen und Herren Abgeordneten des Deutschen Bundestages! Zum zweiten und letzten Male wird mir, einem alten Brauch entsprechend, die Ehre zuteil, als ältestes Mitglied dieses Hohen Hauses an dieser Stelle zu stehen, um den Dritten Bundestag zu eröffnen. Ich bin am 25. Juni 1878 geboren. Ich frage, ob sich außer dem Herrn Bundeskanzler

    (Heiterkeit)

    ein Mitglied in diesem Hohen Hause befindet, das zu einem früheren Termin geboren ist. — Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann erkläre ich, daß der Deutsche Bundestag sich zu seiner dritten Wahlperiode gemäß § 1 Abs. 2 der Geschäftsordnung in der alten Reichshauptstadt Berlin konstituiert hat.
    Nach einer interfraktionellen Vereinbarung gilt die bisherige Geschäftsordnung vorläufig auch für die dritte Wahlperiode.
    Nach einer weiteren interfraktionellen Absprache darf ich zunächst acht Mitglieder des Hohen Hauses bitten, mir vorläufig als Schriftführer zur Seite zu stehen, und zwar bitte ich die Abgeordneten Frau Albrecht, Frau Geisendörfer, Herrn Huth, Herrn Lange, Herrn Matthes, Herrn Matzner, Herrn Stammberger und Herrn Siebel, dieses Amt zu übernehmen. Ich darf die Abgeordneten Huth und Lange bitten, neben mir Platz zu nehmen.
    Meine Damen und Herren! Die Einleitung dieser Stunde wird von zwei Gedanken und sich widersprechenden Gefühlen, der Trauer und der Freude, beherrscht. Wir alle sind gemeinsam mit dem ganzen deutschen Volk tief bedrückt von dem bitteren Leid, daß ein tragisches Schicksal mit dem stolzen Schiff, der Pamir, so viele tapfere Seemänner und ihren Kapitän in die Tiefe gerissen hat.

    (Die Abgeordneten erheben sich.)

    Wir fühlen herzlich mit ihren schwergeprüften Angehörigen. Gleichzeitig danken wir von ganzem Herzen den Fliegern, den Seeleuten und allen anderen, die oft unter Einsatz ihres eigenen Lebens an der schwierigen Such- und Rettungsaktion teilgenommen haben. Die Männer sind trotzdem das Opfer der übermächtigen Naturgewalten — immer noch stärker als der Mensch — geworden.
    Mit gleicher Trauer erfüllen uns auch die beklagenswerten Folgen des schweren Eisenbahnunglücks bei Stuttgart-Cannstatt. Mit unserer Teilnahme für die Angehörigen verbinden wir die herzlichsten Wünsche für die Genesung der Verletzten.
    Unser Mitgefühl gilt auch den vielen Opfern, die von den Angehörigen anderer Staaten in großer Zahl bei jüngsten Unglücksfällen zu beklagen sind, wie z. B. in Spanien und Pakistan.
    Wir gedenken auch der Trauer des ganzen norwegischen Volkes um seinen König, der in aufrichtiger demokratischer Gesinnung viele Jahrzehnte zum Segen aller unter und mit seinem Volke gelebt hat.
    Neben den vielen, deren Verlust wir, meine Damen und Herren — obwohl wir keinen von ihnen persönlich gekannt haben —, so schmerzlich empfinden, steht die Erinnerung an 18 Mitglieder dieses Hohen Hauses, alles Kollegen, viele auch Freunde, die von uns gegangen sind. Ich darf unter ihnen nur wenige Namen nennen, ohne sie etwa über die anderen stellen zu wollen. Wir beklagen alle den schmerzlichen Verlust des kurz vor seinem Ableben zum Präsidenten des Bundesrates gewählten Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Dr. Otto Suhr. Er hat sich mit Aufbietung aller körperlichen und geistigen Kräfte unermüdlich dem Wohle Berlins gewidmet und, rücksichtslos gegen sich selber, im Dienst für diese Stadt aufgerieben.
    Neben ihm haben wir in der überlangen Reihe der Heimgegangenen den plötzlichen Tod des Kollegen Walter Brockmann zu beklagen. Auch seine Arbeit hat vornehmlich der Stadt Berlin gegolten. Er ist, noch nicht 56 Jahre alt, in treuer Pflichterfüllung, mitten aus der Wahlarbeit gerissen worden, einer von denen, die von der Last der Arbeit erdrückt worden sind, der schon so viele Kollegen zum Opfer gefallen sind.
    Vor wenigen Tagen ist unser bisheriger Kollege Michael Horlacher von uns gegangen. Er war seit 1949 im Deutschen Bundestag einer der profiliertesten bayerischen Politiker. Er war ein Bauernführer, der die Sorgen und Anliegen seines Standes im Parlament und in der Öffentlichkeit vertrat. Er verstand es, auch bei den anderen Ständen für das Bauerntum Verständnis zu wecken. Dr. Horlacher — das wissen wir alle — war ein Meister parlamentarischer Auseinandersetzungen und durch seine Sachkenntnis bei politischen Freunden und Gegnern in gleichem Maße geachtet und geschätzt.



    Alterspräsidentin Frau Dr. Dr. h. c. Lüders
    Verehrte Kollegen! Und abermals haben wir vor wenigen Tagen in tiefer Trauer an einer Bahre gestanden. Parlament und Regierung sind tief erschüttert durch den unerwarteten, viel zu frühen Tod Dr. Karl Georg Pfleiderers. Er war viele Jahre unser liebenswerter Kollege. Sein ganzes Streben und Arbeiten galt der Verbesserung und Ausweitung der diplomatischen Beziehungen Deutschlands auch zu den östlichen Ländern. Er diente diesem Gedanken auf dem exponierten Posten eines Botschafters in Belgrad mit dem Einsatz seines überlegenen Könnens und mit der Hingabe seines ganzen Wesens bis in seine Todesstunde.
    Sie haben sich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum ehrenden Gedenken an alle erhoben. Ich danke Ihnen.
    Meine Damen und Herren! Ich sagte schon, daß diese Stunde von den widerstreitenden Gefühlen der Trauer und Freude beherrscht wird. Es ist für uns alle — ich bin dessen sicher — eine lebhafte Freude, daß es uns zum ersten Male vergönnt ist, einem von mir und mehreren Kollegen gestellten Antrag entsprechend, uns endlich in der Reichshauptstadt Berlin wieder zusammenzufinden. Das ist ein erster und, so glauben wir, entscheidender Schritt aus einem achtjährigen Provisorium zurück in die angestammte Heimat der deutschen Volksvertretung.

    (Beifall.)

    Räumlich ist es auch heute noch wieder ein Provisorium, für dessen Bereitstellung wir dem Senat der Stadt Berlin und allen, die mit unermüdlichem Eifer sich um die Herrichtung dieses, man darf wohl ohne Übertreibung sagen, grandiosen Arbeitsplatzes bemüht haben, herzlich dankbar sind.
    Dieser Raum ist nicht nur ein Zeichen einzigartiger technischer und künstlerischer Leistungen. Er ist auch der sichtbare Ausdruck der großherzigen Bereitschaft der amerikanischen Benjamin-FranklinStiftung, Berlin bei der Errichtung einer seiner würdigen Kongreßhalle zu helfen; einer Bereitschaft, die wir Berliner Abgeordneten besonders dankbar empfinden. Man braucht kein Großsprecher zu sein, um zu meinen, daß auch das äußere Bild Berlins die Aufgabe hat, Ausdruck seiner politischen Bedeutung zu sein. Andere Parlamente tagen in historisch weltberühmten Gebäuden, uns hat die Kriegsfurie auch das Parlament geraubt. Aber es lebt in uns allen das unzerstörbare Gefühl für den Auftrag aus den Worten über dem Hauptportal des alten Reichstags „Dem Deutschen Volke!" Es lebt in uns die Sehnsucht und der Wille — ernsthaft gemahnt durch den Anblick unserer Parlamentsruine und durch die nur wenige hundert Meter entfernte Sektorengrenze, der ersten willkürlichen Barriere vor dahinterliegenden weiten deutschen Landen —, dem Wohl des ganzen deutschen Volkes dienen zu dürfen, vornehmlich derer, die heute noch keine frei gewählten und von uns so sehnlich erwarteten Abgeordneten in unsere Versammlung entsenden können, so wie sie früher in großer Zahl aus allen mittel-, nord- und ostdeutschen Gebieten als Kollegen und Freunde unter uns saßen.

    (Beifall.)

    So schön auch alles zur Stunde für uns bereitet worden ist, so hoffen wir doch, nicht undankbar zu erscheinen, wenn wir lebhaft wünschen, daß es das letzte, das allerletzte Provisorium sein möchte und das Hohe Haus in absehbarer Zeit wieder seinen traditionellen Standort beziehen kann. Liegen auch die Weinberge fern, so sind doch die märkischen Wälder und Seen nahe, durch die Flüsse ziehen, die sich mit dem großen Elbstrom vereinen, einem Strom, der aus dem Südosten Europas kommt und bei der freien Hansestadt Hamburg in das freie Meer mündet. Möchte er ein Symbol sein für den Weg der Freiheit überhaupt, nicht nur für unsere eigene Freiheit. Und für Sie alle, verehrte Kolleginnen und Kollegen, bezieht diese Stadt aus ihren Seen und Wäldern aus erster Hand die berühmte „Berliner Luft", von der wir hoffen, daß sie unsere Arbeit nicht nur in Berlin, sondern nachwirkend auch noch am Rhein beflügeln wird.

    (Beifall.)

    Meine Damen und Herren! Wir sind unterschiedslos von zwei Gedanken erfüllt, die der Motor unserer Wünsche und unseres Handelns sind: der Sicherung des inneren und des äußeren Friedens und der Wiedervereinigung mit den angestammten Gebieten des ehemaligen Deutschen Reiches.

    (Beifall.)

    Wir wissen — und wir wollen es auch nicht anders —, daß die heute noch unter fremder Verwaltung stehenden Gebiete nur auf friedlichem Wege in die deutsche Volksgemeinschaft wieder einbezogen werden können. Es ist deshalb unsere Aufgabe, mit höchstem Eifer gemeinsam auf Mittel und Wege zu sinnen, mit denen dieses unser allerhöchstes Ziel erreicht werden kann, nicht nur um Deutschlands, auch nicht nur um Europas willen, sondern weil davon der Friede der ganzen Welt abhängt. Wir jagen keinem nationalistischen Ziel, keinem überheblichen Machtstreben nach, sondern wir fühlen uns der Welt verpflichtet, täglich und stündlich mit Geduld, Ruhe und Zähigkeit unseren Beitrag zu leisten, gleichberechtigt und gleichverpflichtet allen Deutschen Freiheit und Frieden zu erringen. Freiheit und Frieden dürfen keine Zonengrenzen kennen. Es wird — ich glaube es bestimmt — trotz der erneuten bitteren Erfahrungen in gemeinsamer Arbeit ein Weg gefunden werden, mit Verstand und gegenseitigem Verständnis zu einer Verständigung zu gelangen, die allmählich auch die geistig-seelischen Schranken überwindet, die durch die erzwungene räumliche und politische Zweiteilung unsere Einheit bedrohen.
    Die Wiederaufrichtung und der Ausbau unseres Landes und unserer Beziehungen zu der übrigen Welt sind in der vergangenen Legislaturperiode in beachtlichem Umfange gefördert worden. Der Anschluß an die westliche Welt ist vollzogen. Die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion sind mit unser aller Zustimmung wiederaufgenommen worden; andere Staaten, so hoffen wir trotz allem, werden folgen. Das Saargebiet ist in freier Entscheidung seiner Bewohner zu uns zurückgekehrt. Deutschland hat seine Souveränität wiedergewonnen. Das kühne Projekt der Europa-Verträge ist



    Alterspräsidentin Frau Dr. Dr. h. c. Lüders
    durchgeführt worden. Die Verträge über Euratom und den Gemeinsamen Markt wurden verabschiedet.
    Unsere Wirtschaft hat sich nach den Prinzipien der freien Marktwirtschaft auf allen Gebieten so gefestigt, daß die Arbeitslosigkeit so gut wie beseitigt ist. Bemühen wir uns, daß in Zukunft ein Verhältnis zwischen den beiden großen Sozialpartnern in der Art entsteht, daß diese Erfolge nicht wieder in Frage gestellt und wir nicht plötzlich unsanft aus unserem Prosperitätsoptimismus gerissen werden.
    Der Wohnungsbau konnte erfolgreich gefördert werden, während von der allgemeinen Sozialreform bisher nur die sogenannte Rentenreform erledigt worden ist. Sie hat zwar das Los vieler Millionen erfreulicherweise erheblich verbessert, ist aber sehr vielen leider noch vieles schuldig geblieben. Es wird nicht leicht sein, begreifliche Wünsche und oft sehr stürmische Forderungen mit den finanziellen Möglichkeiten und der notwendigen Selbstverantwortung der Fordernden in Einklang zu bringen.
    Das Kartellgesetz und das Bundesbankgesetz wurden verabschiedet. Ebenso wurde der erste wichtige Schritt auf dem Wege der Reform des Familienrechts und der Änderung der Ehegattenbesteuerung getan, beide gemäß der zwingenden Vorschrift des Artikels 3 des Grundgesetzes.
    Von großer Bedeutung waren die intensiven Beratungen und die schließliche Annahme der Wehrgesetze mit den dafür notwendigen Grundgesetzänderungen. Wesentliche Schritte vorwärts sind auch auf dem Gebiete des Lastenausgleichs und des Kriegsfolgengesetzes, in der Versorgung der Kriegsopfer, der Eingliederung der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen zu verzeichnen, Fortschritte, die jedoch keineswegs endgültig befriedigende und befriedende Zustände geschaffen haben.
    Auf all diesen Gebieten kommt es nicht nur auf die materielle Hilfe an, die übrigens leider nur zu oft und nur zu lange auf sich warten läßt, sondern die rein menschliche seelische Verfassung der Betroffenen und ihre geistigen Bedürfnisse müssen immer von neuem unsere Sorge sein. Dies gilt vor allem für die übergroße Zahl der immer noch in Lagern und Baracken notdürftig untergebrachten Flüchtlinge, Vertriebenen und Heimatlosen. Die Sorge um das Mitmenschliche muß auch in den ausführenden Organen den sonst allzu spitzen Rechenstift führen; denn der Mensch lebt nicht von Brot allein. Guter Wille vermag viele Gräben zuzuschütten und viele verklemmte Türen zu öffnen, auch ohne ständige Erhöhung der materiellen Leistungen.
    Ehe ich zu dem übergehen darf, was uns an Arbeit bevorsteht, um einiges davon anzuführen, möchte ich noch einen ganz besonderen Dank an die Presse richten. Ich darf sicher sein, daß ich hier in Ihrer aller Namen spreche. Der Presse danken wir für die unermüdliche Beobachtung und Unterstützung unserer Arbeit.

    (Beifall.)

    Nicht alle Kommentare waren für uns unbedingt beglückend. Aber das darf unseren Dank nicht mindern, sondern wir müssen das Recht der Meinungsfreiheit für die Presse mit verteidigen. In dieser Verteidigung gehören die Volksvertretung und die Presse zusammen. Wir danken der Presse für die Kameradschaft, die sie uns in den vergangenen Jahren erwiesen hat.
    Meine Damen und Herren! Auch der noch vor uns liegende Weg ist hart und dornig genug, um zu einem Staat sozialer Gerechtigkeit zu gelangen, ohne die Freiheit und Demokratie nur leere Worte sind. Das muß vor allem beachtet werden im Hinblick auf unsere Brüder und Schwestern in Mittel- und Ostdeutschland, die beides leider nur vom Hörensagen kennen.
    Wir sehen auch mit Sorge auf die weitere Entwicklung der weltweiten Bemühungen um die Abrüstung und mit ihr auf die Frage nach der Verwendung spaltbaren Materials einzig und allein zu friedlichen Zwecken. Man braucht kein Schwarzmaler zu sein, um die latente Lebensangst von Millionen zu verstehen, die Leben und Gesundheit, auch der noch Ungeborenen, durch Kräfte bedroht sehen, die segenspendend, aber auch zerstörend sein können. Es liegt leider nicht allein in unserer Hand, ob diese Kräfte zum Guten oder zum Bösen angewendet werden; denn, um mit einem alten persischen Wort zu sprechen, „ob Wissenschaft nur reinen Segen spendet, kommt darauf an, wozu man sie verwendet". Um so mehr wird es unsere Aufgabe sein, alle Schutzmöglichkeiten gegen schädliche Nebenwirkungen, insbesondere durch Strahlen und Nebenprodukte, zu erforschen und mit äußerster Anstrengung alle Maßnahmen und Einrichtungen zum Schutze der Bevölkerung zu fördern. Für die Erfüllung dieser Aufgabe darf keine Ausgabe zu hoch sein; denn in der weltbedrohenden Atomfrage liegt der Schlüssel zur Erhaltung des äußeren Friedens. Der neueste atemberaubende Vorstoß in die überirdische Welt kann vielleicht alle veranlassen, durch die geistige Gemeinschaft auf wissenschaftlichem Gebiet und ihre nie geahnten Resultate, die zum Heil wie zum Übel eines jeden ausschlagen können, die politischen Gegensätze auf unserem ach so kleinen Sternlein zu überwinden. Die Voraussetzung hierfür liegt allerdings nicht in dem Wettlauf um die Verbreitung von Furcht und Schrecken, sondern in dem Willen, unsere ganze Kraft der Erhaltung der ewig gültigen sittlichen Werte für die ganze Menschheit zuzuwenden, bevor uns allen das Schicksal des Ikarus bereitet wird.
    Mit großer Sorge verfolgen wir auch die durch Kriegs- und Nachkriegsfolgen sowie durch äußere Einflüsse gefährdete Verfassung der Jugend. Sie wird uns zwingen, auch weiterhin sehr ernsthaft über Mittel und Wege nachzudenken, die der Jugend den notwendigen Schutz vor sich selber und vor skrupelloser Ausbeutung ihrer geistig-seelischen Labilität durch Dritte gewähren, ohne sie in ungebührlichem Maße an das Gängelband nehmen zu wollen.



    Alterspräsidentin Frau Dr. Dr. h. c. Lüders
    In diesen Bemühungen steht auch — trotz der bestehenden Kompetenzschranken — die Aufgabe vor uns, den Ausbau unseres Erziehungs-, des Schul- und Hochschulwesens auf allen Gebieten weit mehr als bisher zu fördern und Forschung und Lehre zu unterstützen, um mit der übrigen wissenschaftlichen Welt überhaupt Schritt halten zu können. Hierzu, meine Damen und Herren, gehört auch die von höchster Stelle bereits mehrfach geforderte Anerkennung geistiger und künstlerischer Leistungen, deren Bewertung dem angeblichen Volke der Dichter und Denker wahrlich nicht immer zur Ehre gereicht.
    Zahlreiche gesetzgeberische Arbeiten liegen vor uns, z. B. auf dem Gebiete der Steuerreform und Steuervereinfachung im Einklang mit einer Reform des Kapitalmarktes und mit den Erfordernissen der sozialen Marktwirtschaft, einer Steuerpolitik, die den Staat zum Sparen zwingt und dem Bürger das Sparen erleichtert. Ferner wartet die dringend notwendige Sozialreform auf uns, die — wie bereits angedeutet — keineswegs mit der Rentenreform erschöpft ist. Für die Strafrechtsreform ist schon überaus wertvolle Vorarbeit geleistet worden. Das Urheberrecht und das Richtergesetz analog dem Beamtengesetz, das immer wieder hinausgeschobene Jugendarbeitsschutzgesetz und das Lebensmittelgesetz warten ebenso auf uns wie der Abschluß des unvollendet gebliebenen Kriegsfolgengesetzes.
    Meine Damen und Herren! Der Wahlkampf hat auch die Notwendigkeit eines Parteiengesetzes erneut erwiesen. Bei einem solchen Gesetz werden alle nicht nur an der Frage interessiert sein, welchen Quellen die für die notwendige Parteiarbeit aufzubringenden Gelder entstammen, sondern auch daran, ob es weiterhin erwünscht sein kann, parteigebundene Zuwendungen — einerlei, von wem sie kommen — steuerlich zu begünstigen. Das ist, wie wir wohl alle fühlen, keineswegs nur eine steuerpolitische Frage, sondern es berührt direkt die politische und die moralische Unabgängigkeit der Parteien, auf die wir alle den größten Wert legen. Vielleicht wird auch einmal die Frage zu prüfen sein, ob der beliebige Wechsel der Fraktionszugehörigkeit — in der letzten Bundestagsperiode wechselten 85 Mitglieder die Fraktion — dem ursprünglichen Auftrag des Wählers an seinen Abgeordneten entspricht.

    (Beifall bei der SPD. — Zustimmung des Abg. Dr. Becker [Hersfeld].)

    Ein Fleißzeugnis, meine Damen und Herren, über die Anzahl der verabschiedeten Gesetze tut es aber keineswegs. Etwa 500 Gesetze hat der 2. Bundestag durchgearbeitet. Manches dieser Gesetze hält jedoch einer ernsthaften Prüfung der logischen und gesetzestechnischen Voraussetzungen für seine reibungslose Durchführung leider nicht stand. Die dadurch bedingten zahllosen Novellen und Verordnungen belasten Gesetzgebung und Verwaltung gleichermaßen. Vielleicht sollten wir gegen allzu großen Gesetzgebungseifer die Feststellung des alten Bräsig beachten: „In die Fixigkeit ist er mir über, in die Richtigkeit bin ich ihm über." Wenn wir uns bemühen, meine Damen und Herren, die uns gestellten Aufgaben durch ernsthafte gemeinsame Arbeit — der Ton liegt wieder auf der Gemeinsamkeit — und durch gewissenhafte Entscheidungen zu erfüllen, dann werden wir zwar, wie der Bundestagspräsident in der letzten Sitzung des 2. Bundestages sagte, keine Festreden halten können, aber der Würde des Parlaments, wie er hinzufügte, gerecht werden. Diese Würde dokumentiert sich nicht nur in unserem äußeren Verhalten in dem Hohen Hause, das sich, wie Sie alle wissen, in breitester Offentlichkeit, vor einer nicht gerade wenig kritischen Zuschauerschaft abspielt. Die Würde des Parlaments, meine Damen und Herren, und damit auch das Ansehen der Demokratie nach innen und außen ist vielmehr in die Hand eines jeden einzelnen von uns gelegt; wir haben sie, unbekümmert um persönliche Vor- oder Nachteile, unerbittlich gegen jeden Versuch zu verteidigen, der von außen durch einzelne, durch Gruppen oder deren Vertreter gemacht wird, daß auch nur einer von uns den egoistischen Interessen dieses oder jenes unsere höchste Pflicht: allein aus der Verantwortung des eigenen Gewissens zu handeln, zum Opfer bringt. Nur die Wahrung der eigenen Würde gibt uns letztlich auch das Anrecht auf das wertvolle Gut der Immunität.
    Die persönliche Würde bewahrt uns auch vor der Gefahr, „Arbeit" und „Betrieb" zu verwechseln, der Organisierung, der Mechanisierung und der Verstaatlichung unseres Menschseins anheimzufallen und uns dem Druck des Apparates zu beugen; denn Integrität und Immunität sind untrennbar. Das Parlament ist mehr als nur eine Versammlung mit mehr oder weniger nach ihrem Belieben tätigen Mitgliedern. Nein, meine Damen und Herren, wir repräsentieren, jeder einzelne stellvertretend für das ganze Volk, die höchste, die gesetzgebende Gewalt mit der Last der vollen Verantwortung eines jeden dem ganzen Volke gegenüber. Die beiden anderen Gewalten empfangen den Inhalt und Umfang ihrer Aufgaben und die Möglichkeit ihrer Durchführung aus unserer Hand. Wir besitzen also eine an sich totale Macht, die nur durch unsere eigene Verantwortung gegenüber dem Volke und durch die Schranken, die die Verfassung gesetzt hat, begrenzt ist. Unserer Macht entspricht aber die auf uns liegende politische und persönliche Last. Das, meine Damen und Herren, werden unsere neuen Kollegen erst nach und nach erfahren.
    Wir waren uns schon lange darüber einig, daß die gemeinsame Arbeit auf keinem Gebiet von so entscheidender Bedeutung ist wie in der Außenpolitik, von der auch die Möglichkeit zur Wiedervereinigung in hohem Maße abhängig ist. Wir haben uns alle in der Hitze des Gefechtes in Wort und Schrift, in Überbild und Überschall im Lautsprecher auseinandermanövriert. Machen wir doch alle einen Strich unter die sehr gefährliche Verwechslung der Begriffe „Gegner" und „Feind". Halten wir auf allen Gebieten Maß — nicht nur in dem Hohen Hause —, damit nicht verletzender Übermut im Bewußtsein des Monopols der Macht auf der einen und verbitternder Groll auf der anderen Seite Deutschlands Leben noch schwerer macht, als es — denken wir nur an Mittel- und Ostdeutschland! — sowieso schon ist. Nur auf der Grund-



    Alterspräsidentin Frau Dr. Dr. h. c. Lüders
    lage des inneren Friedens im politischen und menschlichen Bereich, nur mit dem Willen zur Toleranz kann es uns gelingen, auch den äußeren Frieden zu erhalten, Brücken zu schlagen, über die wir unser aller höchstes Ziel, die Wiedervereinigung, erreichen können.
    Meine Damen und Herren! Deutschland und Frankreich haben schon einmal durch ihre Staatsmänner Stresemann und Briand in Genf den ersten bedeutsamen Schritt zur Sicherung des Friedens durch Verständigung getan. Wir erinnern uns an die Hoffnungen, die von der ganzen Welt an jene Stunde geknüpft worden sind. Wir haben es aber auch mit Schaudern erlebt, wie der gotteslästerliche Übermut eines verbrecherischen Systems alles wieder niedergerissen und Millionen in den Abgrund gestürzt hat. Und wieder ist uns eine neue Hoffnung erstanden! Wir haben zusammen mit Frankreich der Welt abermals ein Beispiel dafür gegeben, daß es möglich ist, jahrzehnte-, nein jahrhundertealte Mißhelligkeiten, Vorurteile, Leidenschaften, nationales Prestigestreben und viele nur allzu bittere Erfahrungen zu überwinden und mit Verständnis auch für den anderen zu einer Verständigung zu kommen. Meine Damen und Herren, das war doch nur möglich durch den guten Willen auf beiden Seiten, auch die geistigen und gefühlsmäßigen Trümmer zum Nutzen aller endlich abzutragen. Sollte das nicht, meine Damen und Herren, auch unter uns Deutschen selber möglich sein?
    Gelingt uns das, dann, meine Damen und Herren, wird Tacitus' Urteil über uns Deutsche keine Geltung mehr haben, daß wir leicht die Beute anderer werden, weil ein jeder Stamm aus Mißgunst, aus Neid, „propter invidiam" der Feind des anderen sei.
    Ob Stamm, ob Stand, ob Gruppe oder einzelner, lassen wir uns alle von dem Wort leiten:
    Und handeln sollst du so, als hinge von dir und deinem Tun allein
    das Schicksal ab der deutschen Dinge und die Verantwortung wär dein!

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    In Anbetracht dessen, daß es sich um die konstituierende Sitzung des Bundestags handelt, lasse ich in Abweichung von der bisherigen Übung die Namen der beurlaubten Abgeordneten bekanntgeben. Ich bitte den Herrn Schriftführer Huth, die Namen zu verlesen.


Rede von Eugen Huth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Der Herr Präsident hat Urlaub erteilt den Abgeordneten Bauer (Wasserburg), Dr. Bechert, Etzel, Freiherr von Feury, Geiger (Aalen), Geiger (München), Dr. Gleissner (München), Günther, Höfler, Illerhaus, Knobloch, Kunze, Lücker (München), Frau Meyer-Laule, Peters, Dr. Pferdmenges, Reitzner, Scheel, Schultz, Dr. Starke, Strauß und Wehr.

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    Rede von Dr. Marie-Elisabeth Lüders


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Ich komme nunmehr zu Punkt 2 der Tagesordnung:
    Namensaufruf der Abgeordneten.
    Ich empfehle, zur Vereinfachung des Geschäftsganges diesen Punkt der Tagesordnung mit Punkt 3:
    Wahl des Präsidenten,
    zu verbinden. Das Hohe Haus ist, wie ich sehe, damit einverstanden.
    Die Wahl des Präsidenten und seiner Stellvertreter ist in § 2 der Geschäftsordnung geregelt. Er bestimmt erstens, daß die Wahl des Präsidenten mit verdeckten Stimmzetteln durchzuführen ist, und zweitens, daß gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält. Die Berliner Abgeordneten sind voll stimmberechtigt. Es ist daher auch nur eine Urne im Saal aufgestellt.
    Ich bitte um Vorschläge zur Wahl des Präsidenten. — Herr Dr. Krone, wenn ich bitten darf.