Rede von
Helmut
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Zwölfte Gesetz zur Änderung des Zolltarifs, das praktisch nur aus dem soeben aufgerufenen einzigen Artikel besteht, sieht auf den ersten Blick recht bedeutungslos aus. Man muß schon die Materie der Mineralölzollgesetzgebung sehr genau kennen, und in dem ganzen Haus gibt es niemanden, der sie kennt, mit Ausnahme des Herrn Kollegen Krammig, der hier soeben als Berichterstatter auftrat, und ich glaube, Herr Kollege Krammig kennt sie auch nur beinahe ganz genau, aber nicht wirklich ganz genau. — Er nickt mir zu.
Es handelt sich hier um ein Dickicht, meine Damen und Herren, das schlimmer ist als die Rentengesetzgebung oder die Einkommensteuerdurchführungsverordnungen. Das ist wirklich eine schlimme Sache. Wenn man z. B. in dem Artikel 1, von dem wir jetzt sprechen, die Nr. 3 liest, die eine sehr wichtige Rolle in dem Gesetzentwurf spielt, dann muß sie dem Laien schlechthin unverständlich sein. Ich frage Sie z. B.: Wer von Ihnen hat etwa die Änderung verstanden, die der Herr Kollege Krammig in der Nr. 3 vorgetragen hat? Wenn Sie die Nr. 3 lesen, so ist sie für den Laien genauso unverständlich wie eine hethitische Grabinschrift.
Nun, die offizielle Begründung der Regierung für den Gesetzentwurf gibt vielleicht einen ersten
Fingerzeig, damit man dahinterkommt, was eigentlich gemeint ist. Ich darf, Herr Präsident, aus der offiziellen Begründung ein paar Sätze vorlesen. In dieser Begründung heißt es:
Durch die sogenannte Heizölnovelle vom 31. Oktober 1955 war der Heizölbegriff im Zolltarif beseitigt worden. Infolgedessen fielen nunmehr auch die sogenannten Heizöle, für die vorher eine abweichende Regelung bestanden hatte, unter die Vergütungsregelung nach dieser Anmerkung. Damit waren aber auch die sogenannten Heizöle aus deutschem Rohöl, die bis dahin nicht vergütungsfähig gewesen waren, bei der Ausfuhr vergütungsfähig geworden.
Und jetzt kommt der Satz, auf den es mir ankommt:
Das war zwar nicht angestrebt, aber im Interesse der Einfachheit und Klarheit damals in Kauf genommen worden.
Dieser Satz „im Interesse der Einfachheit und Klarheit in Kauf genommen" hat es in sich, meine Damen und Herren! Was wurde in Kauf genommen? Nach langem Forschen und Recherchieren werden Sie ausfindig machen, daß in Kauf genommen wurde ein Verlust für die Bundeskasse in Höhe von rund 40 Millionen DM, d. h. dieses hübsche Geschenk von 40 Millionen DM wurde an die Mineralölwirtschaft Deutschlands in Kauf gegeben.
Damals im Herbst 1955 wurde unter Irreführung des Parlaments mit Hilfe ähnlich komplizierter Verklausulierungen, wie sie auch in der heutigen Gesetzesvorlage wieder enthalten sind oder sein müssen, eine sogenannte Zollvergünstigung für den Export von Heizöl aus deutschem Rohöl in Höhe von 129 DM je Tonne erreicht. Das bedeutet eine vom Bundestag keineswegs gewollte Subvention.
In der Folgezeit hat sich daher dann trotz der großen Brennstoffknappheit in Deutschland, trotz der Energielücke, trotz des großen Mangels an Heizöl in der Sueskrise in den ersten neun Monaten des Jahres 1956 der Export von Heizöl aus deutschem Rohöl verdoppelt. Insgesamt sind seit November 1955, also seit der sogenannten HeizölNovelle, bis jetzt zirka 350 000 t Heizöl deutscher Provenienz exportiert worden, und jede einzelne Tonne dieser 350 000 t bekam aus der Staatskasse einen Bonus auf den marktmäßigen Preis in Höhe von 129 DM obendraufgelegt.
Zum Teil sind diese Dinge so gelaufen, daß man das Heizöl für zwei Tage exportiert hat, um es dann mit demselben Schiff zollfrei wieder zu reimportieren.
Es gab auch den umgekehrten Fall, daß man erst importierte und anschließend mit Subventionen dafür andere Mengen exportierte.
Diese Fälle decke ich hier nicht erstmalig auf. Sie sind den zuständigen Ministerien bekannt, meine Damen und Herren! Es kann keinen Zweifel geben, daß sie so passiert sind.
Als im Jahre 1955 diese phantastische HeizölNovelle vom Parlament verabschiedet und in Kraft gesetzt wurde, hat das Parlament nicht gewußt, was es tat. Wir sind hier überspielt worden. Das
Finanzministerium wurde damals aus Fachkreisen schriftlich darauf aufmerksam gemacht, was hier entstehen müsse. Ich kann beweisen, daß das Finanzministerium schriftlich darauf aufmerksam gemacht worden ist. Aber das Finanzministerium hat verschwiegen, daß solche Folgen eintreten können. Es hat auch den Ausschuß nicht aufgeklärt. Und heute schreibt man in die Begründung des Gesetzentwurfs, der diese Sache korrigieren soll, großzügig hinein: Die Folge war zwar nicht angestrebt, aber im Interesse der Einfachheit und Klarheit in Kauf genommen worden. Ich möchte an die Adresse des Finanzministeriums, das offenbar für die Begründung verantwortlich ist, sagen: das Parlament und die damals zuständigen Ausschüsse, Herr Staatssekretär Hartmann, haben das nicht in Kauf nehmen wollen; die sind darüber nicht informiert worden.
Inzwischen hat seit dem Inkrafttreten dieser Heizöl-Novelle im Jahre 1955 ein langer Kampf unter der Decke stattgefunden, und zwar zwischen dem Wirtschaftsministerium, das diesen Unfug wieder aufheben wollte, und dem Finanzministerium. Im Wirtschaftsministerium ist dabei sogar ein Referent „über die Klinge gesprungen" — wobei ich vermute, daß dieses Wortspiel nur von der Regierungsbank selber verstanden wird.
— Gut. Im Finanzministerium, scheint mir, sind die zuständigen Männer, die das zu verantworten hatten, noch am Werke, Herr Staatssekretär Hartmann. Aber das ist ja nicht unsere Sache. Unsere Sache ist es, hier zu fragen: Wer waren die eigentlichen Nutznießer dieser Subventionen? Nun, durchgeführt wurden die Geschäfte von mittleren oder kleineren Händlern. Die Gewinne, die hier gemacht wurden — 129 Mark pro Tonne auf den Marktpreis obendrauf! —, wurden abgeschöpft von DEA, von Elwerath, von Wintershall und anderen Gesellschaften. Abgesehen von jenen Kurfgeleien — mit dem gleichen Schiff hin und zurück usw. —, abgesehen von jener ausgesprochen mißbräuchlichen Ausnutzung des Gesetzes haben diese deutschen Gesellschaften, die ich soeben genannt habe, durchaus legal gehandelt. Diesen Gesellschaften ist gar kein Vorwurf zu machen, höchstens ein moralischer Vorwurf; sie haben das ausgeschöpft, was der Gesetzgeber ihnen auf Vorschlag der Bundesregierung an Möglichkeiten eröffnet hat. Der Bundestag hatte es nicht gemerkt, und das ist wieder einmal ein Musterbeispiel dafür, wie durch die immer höher getriebene Komplizierung und Differenzierung der Gesetzgebung praktisch das Parlament entmachtet wird, weil in dieser hochdifferenzierten Materie alles nur noch in Hieroglyphensprache geregelt werden kann, was geregelt werden soll, mit Abkürzungen und Buchstaben und Ziffern und wieder Abkürzungen und wieder Buchstaben. Das Parlament ist praktisch entmachtet und völlig angewiesen auf die loyale Mitarbeit und Mithilfe der Beamten in den zuständigen Ausschüssen, die uns Laien erklären müssen, was denn nun 27 10 a bis d Komma, Strich 3 usw. bedeutet. In diesem Falle ist also eine loyale Beratung damals nicht vollständig erfolgt.
Ich erinnere mich genau, wie der Kollege Professor Gülich im Herbst 1955 bei der Heizölnovelle mit starkem Soupçon, geschult an früheren Vorgängen auf diesem Sektor, vermutete, daß in der Heizölnovelle Kinken enthalten seien. Ich habe mich damals auch bemüht zu klären, ob alles in
Ordnung sei, und ich habe nichts gefunden. Die damalige Begründung der Regierung zu dieser Bestimmung, die nun tatsächlich 40 Millionen DM gekostet hat, lautete ja: „Der vorliegende Entwurf verfolgt den Zweck, rechtliche Schwierigkeiten zu beseitigen, ohne an dem sachlichen Inhalt der Gesetze mehr als unvermeidlich zu ändern." Von dem Inkaufnehmen nicht erstrebter Nebenwirkungen, wie es heute getan wird, war damals keineswegs die Rede. Ich glaube sogar, daß der Herr Finanzminister selber und der Herr Staatssekretär des Finanzministeriums damals überspielt worden sind und nicht gesehen haben, was hier entstehen würde. Ich habe damals für meine Person dem Kollegen Gülich gesagt, ich könne keine Bedenken ausfindig machen, und auch sonst hat im Parlament niemand Bedenken gehabt, und so ist die Bestimmung über die Bühne gegangen.
Nun sind aber durch die nachfolgende Sues-Krise die Auswirkungen der Heizölsubvention außerordentlich schwerwiegend gewesen. Wir haben zeitweilig während der Sues-Krise, während der großen Heizölknappheit in Deutschland, bis zu 80 % unseres deutschen Heizöls exportiert, weil ja dieses wunderbare Geschäft — 129 DM obendraufgelegt — damit gemacht werden konnte. Das war schon gar nicht mehr schön. Als dann im Herbst 1956 die Sues-Krise sich zuspitzte, von sozialdemokratischer Seite in der Öffentlichkeit schärfste Vorstellungen gegen diesen Mißbrauch erhoben wurden, hat das Bundeswirtschaftsministerium eingegriffen, und ich möchte das hier ausdrücklich anerkennen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat auf der rechtlichen Grundlage der Außenhandelsgesetzgebung eine Buchungsbescheinigungspflicht für Heizölexporte dekretiert und gleichzeitig an das Bundesamt für die gewerbliche Wirtschaft eine Dienstanweisung gegeben, in der es hieß,. daß solche Buchungsbescheinigungen nicht gewährt werden dürfen. Damit war also zunächst einmal dieser Heizölexport abgestoppt. Jetzt ist allerdings die Sues-Krise als Begründung für eine Buchungsbescheinigungspflicht nicht mehr existent. Die interessierten Händlerfirmen haben bereits Klagen angedroht, und es sind neue Umgehungen dieser Maßnahme bereits zu erkennen. Es wird also höchste Zeit, daß die Nr. 3 dieses Artikels 1 schleunigst in Kraft tritt. Ich freue mich, daß auch von der Seite der Mehrheit hier mit dem Kopfe genickt wird. Wir werden nachher, Herr Kollege Hellwig und Herr Kollege Krammig, zu Art. 2 einen Antrag einbringen, der dafür sorgt, daß in diesem Punkte das Inkrafttreten des Gesetzes vorgezogen wird, und ich nehme an, daß auch das Wirtschaftsministerium das begrüßen wird.
Die Nr. 3 des Art. 1 ist also in Ordnung. Hier wird ein wirklicher Skandal aus der Welt geschafft. Dagegen gibt es gegen die Nr. 1 desselben Artikels schwere Bedenken, denn bei der Nr. 1 handelt es sich um ein neues, heute gesetzlich zu fundierendes Millionengeschenk an die Mineralölwirtschaft, diesmal allerdings an eine andere Gruppe von Mineralölfirmen.
— Wir sind daran unschuldig und Sie auch, Herr Kollege. Ich will damit nur sagen, Herr Pelster, daß ich die ganze Rede von Herrn Westrick vorausahne. Er wird seine Rede sicherlich unter der Überschrift anfangen: „Zahlen Sie keine Suespreise!" Da ich das vorausahne, möchte ich von vornherein nur sagen, daß wir Sie im vorigen Herbst gewarnt bzw. in Ihrem Bemühen, keine Bewirtschaftung einzuführen, gestützt haben. Darüber hat es nie einen Zweifel und keinen Streit gegeben. Meinungsverschiedenheiten hat es zwischen dem Wirtschaftsministerium und uns nur über die Höhe der Preise gegeben, die man noch zulassen sollte.
Ich kenne z. B. eine Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers an die Adresse der Mineralölbosse, in der ihnen empfohlen wird, zu jedem Preis, egal wie hoch, jedes Heizöl draußen aufzukaufen und zu importieren, das man nur irgendwie kriegen könne. Das war sicherlich ein zweckmäßiger Rat. Nur wirkt er ganz besonders komisch, wenn man weiß, daß zur gleichen Zeit die deutsche Bundeskasse 129 DM pro t Heizölexport draufzahlte.
So war also die Politik der Bundesregierung in jener Phase nicht ganz einheitlich.
Aber uns interessiert viel mehr, was heute ist. Die Sueskrise ist vorbei, und die deutschen Benzin- und Dieselpreise liegen immer noch weit über dem Vor-Sues-Stand. Das wirkt sich an den Tankstellen für uns, die wir bloß mit einem Pkw herumfahren, gar nicht einmal so stark aus. Die Tankstellenpreise sind schon wieder bis auf eine Differenz von 2 bzw. 1 Pf heruntergegangen. Aber es wirkt sich noch furchtbar für den gewerblichen Kraftverkehr, für den Güternahverkehr, für den Güterfernverkehr, für die großen Omnibusbetriebe der Kommunen und genauso für die Omnibusbetriebe der Privaten aus. Denn diese Unternehmen haben heute noch sehr viel mehr an erhöhten Preisen zu zahlen im Vergleich zum Vor-Sues-Stand. Bei ihnen sind die ganzen sog. Proper-Rabatte weggefallen; sie zahlen heute tatsächlich für 1 Liter Dieselkraftstoff nicht 1 oder 2 Pf mehr als vor der Sueskrise, sondern 8, 9, 10 Pf mehr als vorher.
Nun will ich gar nicht dafür plädieren, daß die Proper-Rabatte wieder eingeführt werden. Wenn man aber durch Beseitigung dieser Mengenrabatte diesen großen Rebbach gemacht hat, dann mußte man ihn jedermann, jedem Verbraucher an der Tankstelle wieder zugute kommen lassen. Dies geschah nicht. Nun, Herr Westrick hat in früheren Debatten einmal darauf aufmerksam gemacht, es gebe auch sogenannte „weiße" Tankstellen, auch hier in Bonn, und wir sollten doch dort konzernfreies Benzin kaufen. Ich tue das auch seit Ihrem Ratschlag —, aber, Herr Westrick, ich habe gefunden, daß das ein sehr zeitraubendes Verfahren ist. Mein Kraftfahrer - ich mache das nicht selber, weil das so weit weg ist und es in Bonn nur eine solche Tankstelle gibt — braucht immer eine halbe Stunde, bis er von jener .Tankstelle ,wiederkommt. So ganz praktisch ist das also doch nicht.
Praktischer wäre es vielmehr, wenn Sie und Ihr Haus, Herr Westrick, auf einen Grundsatz zurückkämen, den der Minister Erhard im Februar 1957 aufgestellt hat. Er hat damals die Erwartung ausgedrückt, daß die deutschen Ölgesellschaften ihre Preise nach dem Abflauen der Sueskrise wieder anpaßten und dem Verbraucher nur diejenigen Lasten zumuteten, die zu beseitigen nicht im Bereiche unternehmerischer Tüchtigkeit liege.
Nun, wie ist es damit? Wollen Sie den Leuten nicht ein bißchen auf die Sprünge helfen, Herr Westrick, daß das nun endlich in Gang kommt? Ich muß Sie vielleicht daran erinnern, daß Ihre alten Äußerungen, die von der Regierungsbank vor der Sueskrise getan wurden, wieder in Kraft sind und wieder Gültigkeit haben.
So hat zum Beispiel der Herr Staatssekretär Westrick — ich darf zitieren, Herr Präsident — in diesem Hohen Hause vor einiger Zeit gesagt:
Der Treibstoffmarkt stellt den Prototyp eines Oligopols dar, also einer Marktform, aus der in der Tat kein gleichgewichtiges Auspendeln der Preise zu erwarten ist.