Rede von
Dr.
Erich
Mende
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Die nunmehrige Oppositionspartei der Freien Demokraten hat zu einer Zeit, da sie noch mitverantwortlich in der Regierung Koalitionspartei war, im Gegensatz zu der auch schon damaligen sozialdemokratischen Opposition den westlichen Bündnisverträgen ihre Zustimmung gegeben. In Konsequenz dieser Haltung hat sie auch sämtlichen Wehrgesetzen bis auf eines ihre Zustimmung gegeben und in Verfolg des Aufbaues einer Notwehr auch die dafür notwendigen Mittel gebilligt. Das war in den bisherigen Haushaltsdebatten so, wir werden auch diesem Haushalt des Verteidigungsministeriums, Einzelplan 14, unsere Zustimmung geben.
Das verpflichtet uns gleichzeitig, einige Anmerkungen in dieser Haushaltsdebatte zu machen und gewisse Mahnungen auszusprechen. Ich glaube nicht, daß man schon ein abschließendes Urteil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der deutschen Politik in den letzten Jahren so apodiktisch fällen kann, wie es der verehrte Kollege Wienand von der sozialdemokratischen Opposition soeben getan hat. Meine Freunde und ich sind immer noch überzeugt davon, daß es richtig war, sich in der Zeit des Wiederbeginnen einer westdeutschen Politik dem Schutz des großen atlantischen Bruders zu unterstellen. Wir haben nach 1945 die bittere Erfahrung machen müssen, daß entgegen den Versprechungen von Jalta, Teheran und Potsdam die Sowjetpolitik außerordentlich aggressiv und expansiv war. Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die Tschechoslowakei, ja Mitteldeutschland waren die sichtbaren Opfer dieser Politik. Berlin hätte vor dem Fall gestanden, wenn es nicht durch die Luftbrücke der Alliierten gerettet worden wäre. Es war ganz im Verfolg der leninistischen Theorien, daß man sich in den Besitz von Berlin setzen wollte. Denn Lenin schrieb 1920: Wer Berlin hat, hat Deutschland, und wer Deutschland hat, hat Europa! Es blieb uns gar keine andere Wahl, als uns unter den Schutz derer zu stellen, die bereit waren, das sowjetische Vordringen zu stoppen. Ich halte nach wie vor die damals abgeschlossenen Verträge — Beitritt zum Europarat und zur Montanunion, Übernahme gewisser Verpflichtungen, auch im Rahmen des Aufbaus einer Notwehr — für richtig, auch den Beitritt zur Westeuropäischen Union und zur NATO. Wir sind der Meinung, solange es nichts Besseres gibt, was an die Stelle dieser Bündnisverträge treten könnte, etwa ein europäisches kollektives Sicherheitssystem, sollten wir tunlichst
auf eine gute Zusammenarbeit im Schutz- und Trutzbündnis der freien Welt bedacht sein.
Aber für uns sind NATO und Westeuropäische Union nicht der Weisheit letzter Schluß. Wir glauben, daß durch die atomare Entwicklung, insbesondere dadurch, daß die amerikanische Überlegenheit in der nuklearen Rüstung verlorenging und das atomare Gleichgewicht eintrat—spätestens im Jahre 1954, als es den Sowjets gelungen war, ebenfalls in den Besitz von Wasserstoffbomben zu kommen —, für uns die Notwendigkeit entstanden ist, aus den neuen Situationen auch zu neuen Konstruktionen zu kommen.
Wir Freien Demokraten reden daher von einer Weiterentwicklung der Paktsysteme. Wir dürfen uns nicht darauf beschränken, lediglich die Sicherung von 51 Millionen Bundesrepublikanern im Auge zu haben; wir müssen auch die Aufgabe der Freiheit für rund 70 Millionen Reichsdeutsche sehen; denn immer stehen noch 18 Millionen Deutsche in Mitteldeutschland draußen vor der Tür. Wir sind - Gott sei's geklagt — in diesen acht Jahren, da wir hier politisch tätig sind, der deutschen Wiedervereinigung um keinen Schritt nähergekommen.
Wenn alles so bleibt — die Bundesrepublik bleibt bei der NATO, die Sowjetzone bleibt beim Warschauer Pakt —, wenn sich also an Elbe und Werra die vorderen Linien der beiden Militärblöcke weiter auf Nahkampfentfernung gegenüberliegen, dann Deutschland ade! Dann gibt es keine Wiedervereinigung. So fordern wir die Weiterentwicklung dieser Verträge im Einvernehmen mit unseren Partnern etwa im Sinne neuer größerer Sicherheitssysteme. Wir fordern die Schaffung entspannter Zonen, wir fordern das Auf-Distanz-Gehen der beiden Militärblöcke, die sich an Elbe und Werra gegenüberliegen, natürlich Zug um Zug und unter der Kontrolle der Vereinten Nationen. Wir sehen nicht ein, warum es, nachdem der Generalsekretär der Vereinten Nationen Hammarskjöld eine so außerordentliche Dynamik bei der Schaffung solcher entspannten Zonen am Sueskanal bewiesen hat, nicht möglich sein soll, im Rahmen der kommenden Abrüstungsgespräche auch für das zweigeteilte Deutschland neue Konstruktionen zu finden, die in der Lage sind, uns der deutschen Wiedervereinigung näherzubringen.
Wir hoffen, daß die nächste Note an die Sowjetunion sich etwas konkreter mit den seinerzeit von dem Kollegen Pfleiderer gemachten, später im Eden-Plan wiederkehrenden Vorschlägen befaßt, nachdem die Note der Bundesregierung im Herbst vorigen Jahres ja bereits etwas an den Eden-Plan heranging und ihn erwähnte, worauf die Antwortnote der Sowjetregierung kam, daß gerade dieser Vorschlag außerordentlich interessant und diskussionsreif sei.
Lassen Sie mich nun zu den konkreten Fragen Stellung nehmen, die auch mein Vorredner hier schon dargelegt hat. Zunächst zu der Frage: Ist manches, was wir in der vergangenen Planung in Angriff genommen haben, noch auf dem neuesten Stand? Ich erinnere mich noch der Debatten um das Wehrpflichtgesetz im Sommer vorigen Jahres. Wieviel Erregung, wieviel leidenschaftliche Auseinandersetzungen um ein Gesetz, das bisher in keiner Weise zur vollen Anwendung gekommen ist! Denn was ist das schon für ein Wehrpflicht-
Besetz, wenn man von einem Jahrgang von 90 000 nur 10 000 einzieht und auch noch meistens diejenigen, die ohnehin freiwillig gekommen wären? Was ist das für ein Wehrpflichtgesetz, wenn man im kommenden Jahr von einem Jahrgang von 100 000 voraussichtlich auch nur 20 000 einzieht? Es ist also bestätigt, was wir damals schon gesagt haben: daß es nicht mehr zeitgemäß ist, mit den alten Vorstellungen der Wehrpflicht zu operieren, daß man sie ausweiten muß zu einer allgemeinen Verteidigungspflicht, die den Staatsbürger, sei es in Zivil oder in Uniform, dazu anhält, gewisse Aufgaben im Rahmen der Landesverteidigung zu übernehmen.
Ich habe zu meiner Freude heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gelesen, daß diese neuen Planungen nunmehr offensichtlich die damaligen falschen Planungen des Wehrpflichtgesetzes ablösen sollen. Ich bin der Meinung, Sie sollten überhaupt einmal einen Augenblick bei der Frage verweilen: Warum müssen wir Parlamentarier die neueste Entwicklung aus der Presse erfahren? Ich beglückwünsche den verantwortlichen Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der in der Lage ist, in der heutigen Nummer Einzelheiten über die Planungen des Verteidigungsministeriums zu schreiben, während kein Mitglied des Verteidigungsausschusses bisher darüber auch nur eine Andeutung erfahren hat.
Sie sehen also, der Geheimausschuß ist offenbar weniger gut informiert als mancher gewandte und begabte Journalist. — Aber wir sind schon zufrieden, wenn wir wenigstens aus der Presse erfahren, daß man überholte Vorstellungen bereinigt und sich zu neuen, modernen Planungen entschließt.
Wir haben seinerzeit bei der Beratung des Wehrpflichtgesetzes auch zum Ausdruck gebracht, daß gewisse Voraussetzungen für die Statuierung der Wehrpflicht oder einer allgemeinen Verteidigungspflicht erst geschaffen werden müssen. Ich beklage es ebenso wie mein Vorredner, daß wir bis heute noch nicht das Organisationsgesetz verabschiedet haben, daß wir also bis heute noch nicht wissen, wie die Fundamentierung des gesamten Verteidigungswesens aussieht. Wir bauen immer noch am Dach herum, haben aber noch keinen endgültigen Grundriß und noch keine endgültige Übersicht über die gedachten Fundamente, insbesondere auch nicht über die Aufgabenverteilung der beweglichen und der Heimatverteidigung, über die Verantwortlichkeiten und Aufteilungen im Ministerium und außerhalb des Ministeriums, über die Organisation und Funktion des Bundesverteidigungsrats und andere wichtige Fragen.
Auch das Besoldungsgesetz fehlt immer noch, auch die Zweite Novelle zum Gesetz gemäß Art. 131 des Grundgesetzes fehlt immer noch. Wir beklagen es, daß man diese psychologischen Fehler immer noch nicht bereinigt hat. Es gehört als psychologische Voraussetzung für den Aufbau einer neuen Bundeswehr nicht nur die ideelle, sondern auch die materielle Wiedergutmachung am alten Soldatentum. Ich hoffe, daß ,wir diese Zweite Novelle noch in diesem Sommer verabschieden. Aber viel böses Blut wäre vermieden worden, wenn man diese Angelegenheit damals in Angriff genommen hätte. Alle Kollegen, die in den zuständigen Ausschüssen zu tun haben, wissen sich kaum zu retten vor Anfragen gerade aus dem Kreis der alten Soldaten: Wo bleibt die Zweite Novelle, die uns im Wahlkampf 1953 alle Parteien versprochen haben und um die wir uns im Jahre 195'7 bei euch förmlich mühen müssen? Ich sage in meinen Antwortschreiben immer, man möge sich an jene Fraktion wenden, die dank ihrer absoluten Mehrheit allein in der Lage gewesen wäre, sie zu verabschieden, aber offensichtlich nicht die Zeit genutzt hat oder sie nicht nutzen wollte.
Lassen Sie mich auch zu der heiklen Frage des Personenkreises der ehemaligen Waffen-SS etwas sagen! Wir sind als Parlament verpflichtet, die Grenze zu ziehen zwischen einem bewaffneten Truppenteil, der den Namen „Waffen-SS" hatte, und Angehörigen einer politischen Organisation, die mit der kämpfenden Truppe der Waffen-SS nichts zu tun hatten, besonders gegenüber den Bewachungsmannschaften jener Konzentrationslager, deren Sadismus dem deutschen Namen so viel Schaden zugefügt hat. Der Kreis der noch lebenden Angehörigen der Truppe der Waffen-SS hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie er behandelt wird. Man kann ihnen, wenn sie jünger waren und nur niedere Dienstgrade hatten, nicht auf der einen Seite verwehren, Berufssoldaten zu werden, während man sie auf der anderen Seite in die allgemeine Wehrpflicht einspannt. Wir haben auf dem Würzburger Parteitag im Frühjahr vorigen Jahres diese Frage gestellt. Wir sehen aus der Anfrage einer anderen Fraktion dieses Hauses, daß der Status der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS beim Neuaufbau der Bundeswehr bis zum heutigen Tag noch nicht geklärt ist.
Lassen Sie mich hier zu der Frage der Heimatverteidigung noch einige kritische Bemerkungen anfügen. Wir haben vor wenigen Tagen Gelegenheit gehabt, das Lehrpersonal der Militärakademie von Bad Ems im Bundeshaus zu begrüßen. Herr Kollege Dr. Jaeger, Herr Kollege Erler und ich hatten Gelegenheit, auch einige Fragen der Offiziere entgegenzunehmen. Ein Offizier stellte uns die Frage: „Wie steht es mit der Organisation und Planung der Heimatverteidigung? Wir sollen als Lehrer unseren Offizieren Unterricht darüber geben, wie das Zusammenarbeiten der mobilen Verbände mit der Heimatverteidigung gedacht ist, aber wir Lehrer sind selbst noch völlig im unklaren über die Ziele der Heimatverteidigung. Was sollen wir lehren?" — Herr Kollege Jaeger beschränkte sich auf die Antwort, daß wir alles Augenmerk bisher auf den Aufbau der zwölf Divisionen, der taktischen Luftwaffe und der Marine hätten verwenden müssen und daß die Organisation der Heimatverteidigung dabei ohne Zweifel etwas zu kurz gekommen sei. was wir nachholen sollten. Aber, das ist doch keine befriedigende Antwort. Ich hoffe. daß das Verteidigungsministerium diese Lücke schließt. Denn wir wissen, daß die Heimatverteidigung im Zusammenhang mit dem Schutz der Zivilbevölkerung heute eine wesentlich wichtigere Rolle spielt als früher.
Im ersten Weltkrieg war der Soldat der Hauptträger des Kampfes. Die Zivilbevölkerung hungerte vielleicht in den letzten Jahren. sie wurde aber nicht unmittelbar von den Kampfwirkungen getroffen, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Im zweiten Weltkrieg war es schon umgekehrt: im totalen Krieg war die Zivilbevölkerung oft mehr als
der Soldat der Leidtragende des Krieges und seiner Katastrophen. Wir wissen aus den Verlustziffern von Budapest, wir wissen auch aus den Verlustziffern am Sueskanal, daß in einem möglichen dritten Konflikt der Schwerpunkt aller Opfer bei der Zivilbevölkerung liegen würde. Das heißt, die ersten Betroffenen sind die Frauen und Kinder, sind die Menschen in den Großstädten, ist nicht der Soldat. Um wieviel mehr haben wir die Pflicht, die Erhaltung dieser Substanz zum letzten Sinn unserer Verteidigung zu machen! Verteidigung verliert ihren Sinn, wenn sie mit dem Untergang dessen endet, was verteidigungswert ist.
Sie kennen das Beispiel von den beiden Kumpeln vor Ort, wo sich der eine über eine Fliege ärgert, die auf seiner Nase sitzt. Der andere Kumpel will sie ihm entfernen. Er schlägt mit dem Schlegel zu. Die Fliege war weg, der Kumpel war — tot.
Das Wesen unserer ganzen Verteidigung, auch unserer großen materiellen Opfer, die wir in diesem Haushalt wieder vor uns liegen haben, ist doch die Erhaltung der Substanz. Verteidigung ist sinnlos, wenn sie mit dem Untergang dessen endet, was verteidigt und geschützt werden soll. Darum muß der Schwerpunkt unserer Betrachtung bei der Erhaltung der Substanz, d. h. beim Schutz des Heimatgebietes und der Zivilbevölkerung, liegen. Hier sind noch große Lücken auszufüllen, nicht nur im Ressort „Heimatverteidigung" des Verteidigungsministeriums, sondern auch im Ressort „Ziviler Luftschutz" des Bundesinnenministeriums. Aber das steht hier nicht zur Debatte.
Ein Weiteres zu der Frage der Fürsorge für die Truppe. Unsere Kollegen aus dem Verteidigungsausschuß haben mehrfach Gelegenheit gehabt, bei ) der Truppe festzustellen, wie sich unsere Gesetzgebungsarbeit in der Praxis auswirkt. Wir haben hier erschütternde Klagen über das Wohnungsproblem für Berufsoffiziere und Berufsunteroffiziere hören müssen. Meine verehrte Frau Kollegin, die Alterspräsidentin Dr. Lüders, wird Ihnen die Frage des Wohnungswesens und des Kasernenwesens noch näher darlegen und dabei untersuchen, ob unsere Praxis nicht in Widerspruch zu dem Artikel des Grundgesetzes steht, der Ehe und Familie dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung unterstellt. Was fanden wir vor? Wir haben uns sagen lassen müssen, daß leider mit dem Fertigstellen eines Kasernements nicht auch ein Teil der Wohnungen fertig wurde, sondern daß die Berufssoldaten zum Teil noch bis zu fünf Jahren auf die Zuteilung einer Dienstwohnung warten müssen. Das heißt, diejenigen, die durch Krieg und Gefangenschaft schon viele Jahre getrennt waren, müssen jetzt noch weitere Jahre, bis zu fünf Jahre, in Kauf nehmen, bis sie mit ihrer Familie verbunden sein können. Es erübrigt sich, auf die vielen Probleme einzugehen, die sich durch diese Trennung der Familien auch im menschlichen Bereich ergeben.
Ich weiß, daß die Verantwortung für gewisse Fehlentwicklungen nicht so sehr beim Verteidigungsministerium als beim Wohnungsbauministerium liegt. Aber wenn es einen Verteidigungsrat gibt, der funktionsfähig ist und funktioniert, dann sollten diese Dinge besser koordiniert werden, als das bisher im Nebeneinander von Verteidigungsministerium und Wohnungsbauministerium der Fall war.
Die Objektivität zwingt mich, festzustellen, daß das
nicht auf das Konto des jetzigen Verteidigungsministers, sondern auf das Konto seines Vorgängers geht, der ja dadurch, daß er sein Amt preisgeben mußte, eine gewisse Dokumentierung seines Versagens vor der Öffentlichkeit bereits erhielt.
Lassen Sie mich noch, ohne in die Gefahr zu kommen, die atomare Debatte wieder aufleben zu lassen, auch auf die Frage der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr eingehen und gleichzeitig eine Bemerkung zu unserem Änderungsantrag machen. Der Herr Präsident wird mir gestatten, daß ich diese Ausführungen dazu benutze, gleich den Änderungsantrag auf Umdruck 1102 mit wenigen Worten zu begründen.
Wir haben trotz aller frommen Wünsche bezüglich der Beschaffung von gutem und modernem Material und bezüglich einer Standardisierung und Typisierung bisher schlechte Erfahrungen gemacht. Mein Herr Vorredner hat das zum Teil dargelegt. Die gröbsten Pannen, der Panzerskandal und der Flugzeugskandal, konnten durch das Eingreifen des Verteidigungsausschusses beseitigt werden. Aber immer noch haben wir die Sorge, daß wir einen Kraftfahrpark und einen Waffenpark entwickeln, die sich in nichts von der Zerrissenheit unseres Beschaffungs- und Ausrüstungswesens in der Mitte oder am Ausgang des zweiten Weltkrieges unterscheiden.
Während die Gegner durch meisterhafte Standardisierung und Typisierung und Normierung nur über ganz wenige Typen verfügten und damit der Austausch und der Ersatz sehr gut vonstatten ging, waren wir geradezu ein Sammelsurium aller möglichen Typen dieser Erde geworden. Man sollte diesen Fehler nicht wiederholen. Auch föderalistische Rücksichten, Rücksichten auf Notstandsgebiete, Rücksichten auf gewisse Firmen sollten nicht dazu führen, daß wir von dem ersten Grundsatz der Ausstattung unserer Armee abgehen, so viel wie möglich zu normieren und zu standardisieren, um den Wirrwarr vergangener Zeiten, der mit Blut bezahlt werden mußte,
nicht wiederkommen zu lassen.
Wir wünschen mit unserem Antrag gewisse Abstriche, nicht etwa um das Verteidigungsprogramm der Regierung zu erschweren. Wir glauben, daß diese Abstriche möglich sind, ohne das Verteidigungsprogramm zu erschweren. Wir schlagen vor, in Kap. 1412 einen neuen Tit. 572 mit 200 Millionen DM als Zuschüsse zum Ausbau des deutschen Straßennetzes einzusetzen, soweit es im Interesse der Verteidigung liegt. Das Straßennetz pflegt im allgemeinen durchaus im Interesse des Verteidigungswesens zu liegen, insbesondere in einer Zeit der schnellbeweglichen Truppen und schneller Entscheidungen in einem Gebiet mit modernem Straßensystem. Wir haben auf den deutschen Straßen, wie in der Debatte vor einer Stunde zu hören war, jedes Jahr 13 000 Tote. Das heißt, wir verlieren eine volle kriegsstarke Division auf den deutschen Straßen, nicht zuletzt als Folge des dem heutigen Verkehr nicht mehr gewachsenen deutschen Straßenwesens, als Folge mangelhaften Straßenausbaus. Wir glauben, daß wir uns allen einen Dienst tun, wenn wir 100 Millionen DM bei Kap. 14 15 Tit. 852 und bei der Anschaffung von Flugzeugen ebenfalls
100 Millionen DM streichen. Auf diese Weise könnten wir jene 200 Millionen DM als Zuschuß des Verteidigungsministers zum Ausbau des deutschen Straßenwesens — natürlich mit dem Blickpunkt auf die strategische Bedeutung — aufbringen. Wir schlagen also nicht nur eine neue Ausgabe vor, sondern wir geben Ihnen auch Gelegenheit, die Deckung aus dem Verteidigungshaushalt selbst zu erbringen.
Wie Herr Kollege Wienand schon sagte, ist die Frage der Entwicklung der Kampffahrzeuge mitten in der Diskussion. Er sprach von dem französischen Panzer AMX, den wir im Februar südlich Paris vorgeführt erhielten. Ähnliche Gedanken sind ja bei der Entwicklung eines deutschen Panzers in der Diskussion. Wir können uns durchaus leisten. hier kurzzutreten, die Entwicklung abzuwarten und diese 100 Millionen DM bei der Beschaffung der Kampffahrzeuge einzusparen.
Es bleiben dann immer noch 734 954 000 DM übrig.
Das gleiche gilt von den Flugzeugen. Sie alle wissen, meine Damen und Herren — Sie haben sich das letzte Mal noch mokiert, als wir darüber sprachen —, daß die Zeit des Horizontalstarts zu Ende geht. In wenigen Jahren wird der Senkrechtstart die Norm sein. zumindest bei den Jagdflugzeugen. Der uns südlich Paris vorgeführte Atar volant, ein senkrecht startender und landender Düsenjäger mit Überschallgeschwindigkeit, hat vor wenigen Tagen seinen ersten gelungenen Start mit einem Piloten durchgeführt, während er damals noch ferngelenkt war. Auch in der Flugzeugbeschaffung sollte man kurztreten, um sich nicht durch Fehlinvestitionen eine mögliche Entwicklung zu verbauen; denn man soll ja seinen Soldaten die modernsten Waffen geben. Das bedeutet nicht, daß man ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt Atomwaffen gibt.
Lassen Sie mich zum Schluß eine Antwort auf eine Frage erbitten, die uns Sorge macht. Wir haben in der Atomdebatte dieses Hauses gehört, daß die Regierungspartei der CDU und die Koalitionspartei der DP erklärt haben, daß die Frage der atomaren Bewaffnung gegenwärtig gar nicht aktuell sei, frühestens in zwei oder drei Jahren. Andererseits haben aber die Mitglieder der CDU in der Beratenden Versammlung der Westeuropäischen Union der sofortigen Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Raketen zugestimmt.
Das ist ein Widerspruch in sich, und wir möchten gerne hören, was nun gilt. Gilt dieser Beschluß der Westeuropäischen Union, oder gilt das, was Bundeskanzler und Verteidigungsminister gesagt haben und was der Inhalt der Entschließung der Regierungsparteien ist?
Lassen Sie mich, um die Tatsachen sprechen zu lassen und den nachfolgenden Sprechern der CDU Gelegenheit zu geben, zu diesen Behauptungen Stellung zu nehmen, die Tatsachen selbst wiederholen.
In der Straßburger Delegiertenversammlung ist für eine unverzügliche — ich wiederhole: für eine unverzügliche — atomare Bewaffnung der Bundesrepublik gestimmt worden,
während im Bundestag ein Mehrheitsbeschluß herbeigeführt wurde, wonach — ich zitiere wörtlich aus der Entschließung — „die Bewaffnung der Bundesrepublik mit atomaren Waffen jetzt nicht zur Entscheidung steht".
Obwohl es offensichtlich ist, daß die politische Entscheidung für oder gegen die Atomrüstung der Bundeswehr — einerlei. ob die technische Durchführung Monate oder Jahre dauert — jetzt ansteht, sucht die CDU vor der deutschen Öffentlichkeit den wirklichkeitswidrigen Eindruck zu erwecken, die Frage stelle sich erst in zwei oder drei Jahren.
Folgende Tatsachen beweisen meine Behauptung.
1. Im Dezember 1956 ist bei den Beratungen der NATO-Konferenz das Problem aufgeworfen worden, ob die europäischen Streitkräfte der NATO — darunter die Bundeswehr — mit leichten Atomwaffen ausgestattet werden sollen, wie der Verteidigungsminister laut Bulletin der Bundesregierung am 8. April 1957 mitteilte. Der Verteidigungsminister Strauß fügte hinzu, für die Bundeswehr stelle sich das Problem zwar nicht innerhalb der nächsten Monate, die Bundesregierung verlange jedoch Gleichberechtigung mit den übrigen europäischen Streitkräften der NATO.
2. Am 19. März 1957 befaßte sich der Rat der Westeuropäischen Union laut Kommuniqué auf Grund der vom deutschen Bundeskanzler gemachten Vorschläge bezüglich einer neuen Gesamtüberprüfung der Hilfsquellen der Allianz mit dem Verhältnis zwischen herkömmlichen und atomaren Streitkräften und Waffen.
3. Am 20. März 1957 erklärte der Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa. General Norstad — laut „Times" —, daß er anläßlich eines Besuches in Bonn nachdrücklich empfohlen habe, die atomische Leistungskapazität der NATO-Streitkräfte einschließlich der Bundeswehr zu entwickeln. Nachzulesen in Keesings Archiv, Nr. 6329.
4. Am 12. April 1957 unterrichtete die USA-Regierung — laut „Times" — den Nordatlantikrat von ihrer Absicht, ihren Bündnispartnern taktische Raketen zu liefern, deren atomische Sprengköpfe außerhalb des Ernstfalles in amerikanischer Verwahrung bleiben sollten. Keesings Archiv, Nr. 6385.
5. Am 8. Mai beschloß die Beratende Versammlung der Westeuropäischen Union in Straßburg — Sie fragten vorher, mit welchen Stimmen: mit 39 gegen 7 Stimmen bei 19 Enthaltungen; bei diesen Ja-Stimmen waren die Stimmen sämtlicher CDU-Vertreter dieses Bundestages! —,
daß als Minimum 30 Divisionen mit taktischen Atomwaffen ausgestattet werden und daß außerdem eine strategische nukleare Vernichtungswaffe im Sinne der fortschrittlichen Strategie für die Verteidigung Europas bereitgestellt wird. Dokument Nr. 38 der Versammlung der Westeuropäischen Union und entsprechende Presseberichte.
Entgegen diesem von der CDU mit verfaßten Straßburger Beschluß vom 8. Mai verkündete die CDU-Fraktion am 10. Mai im Bundestag, daß die
Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen keineswegs aktuell sei; sie beschloß mit den Stimmen ihrer Koalitionsabgeordneten von der DP: Die Bewaffnung der Bundesrepublik mit atomaren Waffen steht jetzt nicht zur Entscheidung. Und der Bundeskanzler erklärte ausweislich des Protokolls des Bundestages: Die Frage, ob wir Atomwaffen bekommen werden oder ob wir sie nicht bekommen werden, ist noch gar nicht gestellt. Wie der Herr Bundeskanzler, so haben auch der Herr Kollege Dr. Jaeger und der Herr Bundesaußenminister von Brentano erklärt, die Frage werde erst in zwei oder drei Jahren spruchreif sein.
Was gilt nun? Gilt im Rahmen unserer Vertragstreue das, was bei der Westeuropäischen Union mit den Stimmen der CDU-Abgeordneten beschlossen worden ist, oder gilt das, was — anders geartet — der Kanzler und die Sprecher der CDU erklärt haben und was die Entschließung der CDU zum Inhalt gehabt hat? Diese Antwort sollte dem Hause doch gegeben werden. Ich hoffe, daß sie lautet: Es gilt das, was das Haus mit Mehrheit beschlossen hat; das heißt, die Sache wird erst in zwei oder drei Jahren spruchreif und dann zur Entscheidung dieses Hauses stehen und nicht zur Entscheidung etwa eines Mannes.
Es würde vielleicht sehr interessant sein, auch das hier zu zitieren, was die hochangesehene schweizerische unabhängige Tageszeitung „Die Tat" in ihrer Ausgabe Zürich, Montag, den 20. Mai 1957, unter der Überschrift „Die wahren Gründe der deutschen Atombewaffnung" in einem Artikel von Herrn von Üxküll schreibt. Ich möchte im Hinblick auf die gedrängte Tagesordnung darauf verzichten.
Wir stimmen trotz aller Bedenken diesem Haushalt zu, erwarten aber die Klärung der Fragen, die ich hier gestellt habe.