Rede von
Dr.
Hans-Christoph
Seebohm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst ,dem verehrten Mitglied unseres Hauses und Berichterstatter des Haushaltsausschusses für den Verkehrshaushalt, Herrn Kollegen Ritzel, im Namen meiner Mitarbeiter und im eigenen Namen herzlich für die große Mühe danken, die er ich auch in diesem Jahr wieder mit unserem Haushalt gemacht hat, und für das Verständnis, das er stets für unsere Sorgen und Nöte gezeigt hat.
Ich darf sodann über diese Debatte klar herausstellen: Von den verschiedenen großen Arbeitsgebieten des Bundesministers für Verkehr ist nen-
nenswerte Kritik nicht geübt worden an der Seeschiffahrt, an der Luftfahrt, an dem Wasserbau, an der Binnenschiffahrt und an dem Wetterdienst. Es gibt also eine ganze Reihe von bedeutenden Arbeitsgebieten, die — wie ich mit Befriedigung feststelle — nicht Anlaß zur Kritik gegeben haben. Die beiden weiteren großen Gebiete, die immer wieder und erneut zur Kritik, ja zu berechtigter Kritik, Anlaß geben, sind die Angelegenheiten des Straßenbaues und des Straßenverkehrs und die der Eisenbahn.
Ich darf zunächst einleitend darauf hinweisen, daß die Punkte, die der Herr Abgeordnete MüllerHermann in seiner ersten heutigen Darlegung herausgestellt hat, nämlich die Fragen des echten Leistungswettbewerbs, der Eigenwirtschaftlichkeit der Verkehrsträger und der Notwendigkeit des Nachholens der Investitionen, bekanntlich Ziele der Bundesregierung sind, die immer auch die Unterstützung dieses Hohen Hauses gefunden haben. Wir stehen genau wie der Herr Abgeordnete MüllerHermann auf dem Standpunkt, daß es, urn die Eigenwirtschaftlichkeit der Verkehrsträger zu sichern und um einen echten Leistungswettbewerb herbeizuführen, zweckmäßig und notwendig ist, nach der durch die Arbeit in diesem Bundestag erreichten Annäherung der Startbedingungen, um deren weitere Annäherung wir uns auch in Zukunft bemühen müssen, nicht nur die tarifeigene Lage der Binnenschiffahrt gegenüber der Eisenbahn zu erhalten, sondern auch dafür zu sorgen, daß nach und nach der Reichskraftwagentarif von dem Eisenbahntarif getrennt wird.
Ich habe dagegen allerdings gewisse Bedenken gegen die vorgeschlagene Auflockerung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen der Eisenbahn, von der Herr Abgeordneter Müller-Hermann in diesem Zusammenhang gesprochen hat; denn dieses Auflockern ist insofern eine gefährliche Angelegenheit, wenn wir an die revierfernen Gebiete, an die Zonengrenzgebiete und insbesondere an die mittelständischen Betriebe denken, denen im allgemeinen durch eine solche Auflockerung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen der Bundesbahn und der mit ihr tarifarisch verbundenen Verkehrsträger nicht gedient ist, sondern deren Wettbewerbslage gegenüber den Großunternehmen und gegenüber den im Kerngebiet des Landes liegenden Unternehmungen dadurch erheblich verschlechtert werden könnte. Ich glaube also, daß auf diesem Weg manche Bedenken überwunden werden müssen, die nur durch eingehende Beratung beseitigt werden können.
In diesem Zusammenhang hat Herr Abgeordneter Rademacher davon gesprochen, daß es schon immer sein Lieblingsgedanke gewesen sei, durch eine echte direkte Zusammenarbeit der Verkehrsträger zu Ergebnissen zu kommen, die die Spannungen zwischen den Verkehrsträgern Straße und Schiene milderten. Spannungen zwischen den Verkehrsträgern Binnenschiffahrt und Eisenbahn sind ja in dem Maße in den letzten Jahren glücklicherweise nicht aufgetreten; hier ist vielmehr ein gutes Zusammenwirken festzustellen. Er meint, daß diese Spannungen zwischen Schiene und Straße durch einen solchen direkten Austausch der Meinungen zwischen den Vertretern dieser Verkehrsträger selbst wesentlich gemildert werden könnten. Nun, es ist dem Hohen Hause bekannt, daß der Bundesminister für Verkehr schon im Jahre 1955 die maßgebenden Vertreter der Verkehrsträger Bundesbahn, Straßenverkehr und Binnenschiffahrt an einen Tisch gebracht hat und daß seitdem in dem „Ausschuß der Verkehrsträger" die Fragen, die hier heute von Herrn Kollegen Rademacher angesprochen worden sind, sehr intensiv unter Mitarbeit der Vertreter meines Hauses behandelt werden. In dem ersten Bericht des Ausschusses, der im Herbst vorigen Jahres vorgelegt undauch dem Hohen Hause zugänglich gemacht worden ist, heißt es am Schluß ausdrücklich:
Die Zusammenarbeit in diesem Ausschuß der Verkehrsträger
— also in dem Gremium, in dem die Vertreter dieser verschiedenen Verkehrsträger, und zwar aller drei, nicht nur der Straße und der Schiene, sonden auch der Binnenschiffahrt, zusammenwirken —
hat in gewissen Punkten zu einer übereinstimmenden Auffassung geführt und schließlich in weiteren Punkten zu einer klaren Abgrenzung der verschiedenen Meinungen beigetragen. Die Ergebnisse lassen es als erwünscht erscheinen, die so begonnene Zusammenarbeit fortzusetzen und dadurch die Möglichkeit zu einem ständigen Gedankenaustausch zu schaffen.
Diese gegenseitige laufende Konsultierung der Verkehrsträger würde nicht nur für die Fragen des Binnenverkehrs, sondern auch für die aus der europäischen Zusammenarbeit sich ergebenden, die Verkehrsträger berührenden Fragen nützlich sein.
Wenn ich mir erlaubte, auf diese Arbeit hinzuweisen, so deswegen, um darzutun, daß auf diesem von Herrn Rademacher angesprochenen Gebiet gerade in den letzten Jahren ein sehr wesentlicher Fortschritt erzielt und Grundlagen geschaffen wurden, die uns für die Zukunft weitere günstige Entwicklungen erwarten lassen.
Unter den vier Punkten, die Herr Abgeordneter Müller-Hermann herausgestellt hat, ist die Eigenwirtschaftlichkeit der Verkehrsträger als ein besonders wichtiger und entscheidender Punkt anzusehen. Wir sind, glaube ich, alle darüber einig, daß die Entgelte der Verkehrsträger noch nicht als die echte kostendeckende Einnahme gelten können und daß deshalb noch sehr erhebliche Arbeit zur Lösung dieser wichtigen Frage geleistet werden muß.
Betrachten wir aber einmal die tatsächliche wirtschaftliche Lage der einzelnen Verkehrsträger, jeweils in ihrer Gesamtheit, so dürfen wir feststellen, daß die Eigenwirtschaftlichkeit in der Seeschifffahrt, in der Binnenschiffahrt und auch im Straßenverkehr in sehr weitgehendem Maße besteht. Durch die Zahlen der letzten Jahre wird das bestätigt.
Das ist eine sehr bemerkenswerte Feststellung, weil es sich dabei um jene Sektoren des Verkehrs handelt, in denen der Verkehr privatwirtschaftlich betrieben wird, und die immer darüber klagen, daß sie im Schatten 'der großen gemeinwirtschaftlich betriebenen Verkehrsträger liegen.
Warum die Luftfahrt heute noch nicht ihre volle Eigenwirtschaftlichkeit erreicht hat, isst wiederholt dargestellt worden. Das hängt damit zusammen, daß wir nach dem halben Jahr ,des Anlaufs erst auf ein einziges ganzes Jahr voller Tätigkeit unserer Lufthansa zurückblicken. Die Entwicklung der Deutschen Lufthansa 1956 und besonders 1957 läßt hoffen, daß die Gesellschaft in absehbarer Zeit das Ziel erreichen wind, ihre Ausgaben durch ihre Ein-
nahmen decken zu können. Jedenfalls ist die Entwicklung sehr viel günstiger verlaufen, als vielfach angenommen wurde.
Beim Straßenverkehr müssen wir einen Unterschied zwischen dem Nahverkehr und dem Fernverkehr machen. Die Lage im Nahverkehr ist wirtschaftlich weniger günstig. Aber im wesentlichen ist es ja der Fernverkehr, der sich von der Bundesbahn bedrängt fühlt. Für die Entwicklung des Güterfernverkehrs darf ich Ihnen einige Zahlen nennen: Die erzielten Frachteinnahmen sind von 1,1 Milliarden DM 1954 auf fast 1,5 Milliarden DM 1956 gestiegen. Die Zahl der vom gewerblichen Güterfernverkehr beförderten Tonnen ist von 38,4 Millionen t 1954 auf 47,3 Millionen t 1955 —das sind 23,1 % mehr — gestiegen; im Jahre 1956 sind rd. 37 % mehr Tonnen befördert worden als 1954.
Das sind sehr bemerkenswerte Zahlen; denn sie beweisen, daß der Güterfernverkehr in seinen Leistungen einen erheblich höheren Auftrieb erfahren hat als in dem gleichen Zeitraum z. B. die Bundesbahn. Das ist zweifellos eine Konsequenz des Verkehrsfinanzgesetzes, das — wie vorgesehen — zu einer gewissen Beschränkung des Werkverkehrs zugunsten des gewerblichen Verkehrs auf der Straße geführt hat. Es darf daher festgestellt werden, daß durch die gemeinsame Arbeit von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung in vieler Hinsicht Erhebliches für die Eigenwirtschaftlichkeit der Verkehrsträger erreicht worden ist. Wir dürfen infolgedessen annehmen, daß wir auf dem richtigen Wege vorangeschritten sind.
Der Herr Abgeordnete Müller-Hermann hat zur Lage der Bundesbahn einige Darlegungen gemacht, zu denen ich Richtigstellungen bringen muß. Er hat davon gesprochen, daß in diesem Haushalt der Bundesbahn ein Betrag von 1,6 Milliarden DM zugewendet werde.
Wenn Sie sich die Zahlen des Haushaltsplanes im einzelnen ansehen, werden Sie feststellen, daß diese Summe nicht ganz zutreffend ist. Die Bundesbahn erhält nach dem Haushaltsvoranschlag aus dem Verkehrsfinanzgesetz die bekannten 145 Millionen DM, sodann eine Finanzierungshilfe von 200 Millionen DM und Darlehen für Investitionen und in Form gestundeter Beförderungssteuer in Höhe von 430 Millionen DM. Das sind zusammen 775 Millionen DM. Dazu kommt der Antrag, zusätzlich einen Betrag von 500 Millionen DM in den Haushalt einzusetzen, der dadurch begründet ist, daß die Bundesbahn in diesem Jahr infolge von Lohn- und Gehaltssteigerungen und von Kostenerhöhungen, insbesondere durch Kohlenbezug aus dem Ausland, über 350 Millionen DM mehr aufzuwenden haben wird als 1956. Einschließlich dieses Betrages sind das also 1275 Millionen DM und nicht 1600 Millionen DM.
Ich mache den Herrn Abgeordneten Müller-Hermann darauf aufmerksam, daß die von der Bundesbahn selber besorgte Vorfinanzierung auf die Einnahmen aus dem Verkehrsfinanzgesetz in Höhe von 255 Millionen DM keine Leistung des Bundes ist und daß die vorgesehene Möglichkeit, in Höhe von 200 Millionen DM Schatzanweisungen durch den Bund anzukaufen, auf Grund der inzwischen eingetretenen Entwicklung der Haushaltslage sich wahrscheinlich nicht verwirklichen lassen wird. Diese in der Öffentlichkeit falscher Weise zugelasteten 455 Millionen DM müssen also abgezogen werden.
In diesem Zusammenhang haben verschiedene Redner auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage der Bundesbahn hingewiesen. Zweifellos ist die Bundesbahn — ganz abgesehen von den großen Investitionsbedürfnissen, die sie hat — nicht in der Lage gewesen, ihre Ausgaben voll durch eigene Einnahmen zu decken.
Dabei sind aber zwei Momente zu berücksichtigen: Der Bundesbahn sind erst jetzt nachträglich die betriebsfremden Lasten für die vergangenen Jahre abgenommen worden. Das wird erst durch diesen Haushalt zum Ausgleich der Bilanz 1956 führen. Wenn Sie die Beträge, die in diesem Haushalt durch den bekannten Leertitel gutgebracht werden, auf die einzelnen Jahre verteilen, kommen Sie zu dem überraschenden Ergebnis, daß in den letzten sechs Jahren bei der Bundesbahn drei Jahre erhebliche Überschüsse erbracht haben und nur in drei Jahren Verluste zu verzeichnen sind. Das Jahr 1951 hat mit fast 300 Millionen DM Überschuß, das Jahr 1952 mit 88 Millionen DM Überschuß und das Jahr 1955 mit 112 Millionen DM Überschuß abgeschlossen, wenn die Abnahme der betriebsfremden Lasten auf die einzelnen Jahre zurückgerechnet wird. Die Höhe der Fehlbeträge ist natürlich dadurch auch in den Jahren, in denen Verluste eingetreten sind, erheblich niedriger gewesen, als bisher ausgewiesen.
Es zeigt sich also, daß die durch die Arbeit des Ausschusses unter dem Vorsitz unseres Kollegen Dr. Bleiß erzielten Ergebnisse für die rückwärtige Zeit zu ganz anderen Ergebnissen der Wirtschaftlichkeit der Bundesbahn führen. Damit sind auch die hier zitierten Überlegungen richtig, die der Erste Präsident der Bundesbahn, Herr Professor Dr. Oeftering, kürzlich in diesem Zusammenhang ausgesprochen hat.
Naturgemäß bleibt die Lage der Bundesbahn infolge der seit den letzten Monaten auf sie zukommenden Erhöhungen ihrer Kosten erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt. Daher stellt sich die Frage der kostengerechten Entgelte bei der Bundesbahn natürlich noch schärfer als an irgendeiner anderen Stelle des Verkehrs.
In diesen Fragen können die entscheidenden Stellen — das ist nicht etwa der Bundesminister für Verkehr allein; es sind noch eine ganze Reihe von Ausschüssen und von Ministerien, schließlich Bundesregierung und Bundesrat, die über die Entgelte im Verkehr zu bestimmen haben — in ihren Überlegungen zu brauchbaren Ergebnissen natürlich nur kommen, wenn sie einen Überblick über die Entwicklung der Ausgaben haben. Diesen Überblick werden wir erst gewinnen können, wenn sich in den nächsten Wochen die Lage bezüglich der Beamtengehälter und der Arbeitszeit durch die Entscheidung dieses Hohen Hauses geklärt haben wird. Darüber hinaus wissen wir, daß mit der Aufgabe, die Arbeitszeit zu verkürzen, die heute ganz allgemein erörtert wird, auf die Bundesbahn bestimmte Probleme zukommen, die sie allein durch Rationalisierungsmaßnahmen nicht verkraften kann. Jede Stunde Arbeitszeitverkürzung wird für die Bundesbahn eine Mehrausgabe von jährlich 90 Millionen DM und voraussichtlich einen zusätzlichen Bedarf an 5000 bis 7000 Menschen mit sich bringen, denn ein Arbeitszeitausfall bei einem Verkehrsunternehmen läßt sich natürlich nicht in der Weise ausgleichen, wie das bei einem Produktionsunternehmen durch Betriebsverbesserungen möglich ist.
Als zweites Moment dürfen wir andererseits doch feststellen — ich beziehe mich dabei auf den Bericht, den der soeben abgelöste Vorstand der Bundesbahn über seine Dienstzeit erstattet hat —, daß der Vorstand der Deutschen Bundesbahn — das ist auch durch die Gutachten des Herrn Ottmann und seiner Mitarbeiter bestätigt worden — nichts unterlassen hat, was zur Rationalisierung der Bundesbahn hat beitragen können. Es sind z. B. — um nur einige Zahlen zu nennen — vom Jahre 1952 bis zum Jahre 1956 Steigerungen der Zahl der Wagenachskilometer um 10,1 %, der Nettotonnenkilometer der Güterwagen um 11,6 % und der Personenkilometer um 31,4 % eingetreten, während in der gleichen Zeit der Personalaufwand um 3,7 % verringert worden ist. Die genannten Leistungsverbesserungen konnten also trotz einer erheblichen Personalverringerung erzielt werden. Es sind somit erhebliche Rationalisierungserfolge erzielt worden, und die dadurch bewirkten Ausgabenersparnisse dürften die Größenordnung von rund 400 Millionen DM jährlich erreichen. Andererseits beläuft sich die Steigerung der Gesamtpersonalkosten, die trotz der Rationalisierung und der Verminderung des Personalbestandes auf die Bundesbahn zugekommen ist, in der gleichen Zeit auf 900 Millionen DM; die Rationalisierung und die Verminderung des Personalapparates ist also immer wieder durch die Steigerung der Löhne, Gehälter und Pensionen überholt worden.
Ich darf darauf hinweisen, daß Rationalisierungsmaßnahmen mit Erfolg auf allen Gebieten des Eisenbahnbetriebes — im Betriebsdienst, in den Reparaturwerkstätten, auf den Nebenbahnen und auf anderen Gebieten — durchgeführt worden sind.
Wenn man dazu einen Blick über die Grenzen auf die Lage der Eisenbahnen der benachbarten Länder wirft, so stellt man fest, daß die Eisenbahnen dort — mit Ausnahme der Schweiz und der Niederlande — wirtschaftlich gesehen wesentlich ungünstiger dastehen, und dies, obwohl in diesen Ländern die Entgelte in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind. Ich darf nur darauf hinweisen, daß von Ende 1952 bis heute die Entgelte z. B. für Wagenladungen in Dänemark um 11 %, in Frankreich um 13 %, in Großbritannien, Italien und den Niederlanden um 25 %, in Schweden um 17 % und in den Vereinigten Staaten ebenfalls um 17 % gestiegen sind, während sie bei uns gegenüber Ende 1952 sogar geringfügig niedriger sind. Man hat also auch in den anderen Ländern sich Tariferhöhungen nicht verschließen können, die bei den Personen- und Stückguttarifen etwa die gleichen Größenordnungen erreichen.
Man muß immer wieder darauf hinweisen, daß Tariferhöhungen der Eisenbahn sich nicht laufend in einer ständigen Anpassung der Entgelte an die steigenden Kosten — seien sie Lohn- und Gehaltskosten, seien sie Materialkosten — vollziehen können, sondern daß es bei den Eisenbahnen — mehr noch als bei den anderen Verkehrsträgern — nur möglich ist, die Entgelte in bestimmten Zeitabschnitten, dann aber auf Grund sehr eingehender Überprüfungen, zu erhöhen. Denn die Auswirkungen von Tariferhöhungen der Eisenbahn nicht nur auf die übrigen Verkehrsträger, sondern auf die gesamte Wirtschaft und hier wiederum insbesondere auf die mittelständischen und auf die revierfern gelegenen Betriebe sind von sehr einschneidender Bedeutung und müssen deswegen nach Art und Ausmaß besonders sorgsam überprüft und in ihren Auswirkungen ständig beobachtet werden.
Es muß allseits anerkannt werden, daß es der Verkehrspolitik der Bundesregierung trotz dieser nicht zu leugnenden Schwierigkeiten gelungen ist, der Wirtschaft einen ständig leistungsfähiger werdenden Verkehrsapparat zur Verfügung zu stellen. Ich verweise nicht nur auf die Zahlen über den Ausbau der Handelsflotte, der Binnenschiffahrtsflotte und des Luftverkehrs, sondern auch auf die Zahlen über die Leistungen, die im Straßenverkehr und bei der Eisenbahn erbracht worden sind. Wenn es tatsächlich erreicht worden ist, daß bei der stark ansteigenden Produktionskraft unserer Wirtschaft keine Klemmungen im Verkehr eingetreten sind, wenn die Befürchtungen, die der Herr Kollege Rademacher regelmäßig vorgetragen hat, daß diese Klemmungen eintreten könnten, nicht eingetreten sind, sondern es regelmäßig möglich gewesen ist, die steigenden Anforderungen der Wirtschaft und der Menschen in verkehrsmäßiger Beziehung voll zu befriedigen, dann ist das sicherlich nicht zuletzt auf die Möglichkeiten zurückzuführen, die sich aus der Verkehrspolitik für unsere Verkehrsträger ergeben haben. Es darf also festgestellt werden, daß der wesentlichste Erfolg der viel kritisierten Verkehrspolitik der Bundesrepublik darin zu sehen ist, daß ein ständig leistungsfähigerer Verkehrsapparat vorhanden ist und daß der Verkehrsapparat jeweils jenen Anforderungen voll hat genügen können, die an ihn gestellt worden sind.
Das schwierigste und uns alle am meisten bedrückende Kapitel innerhalb des gesamten Verkehrsraums ist das von Herrn Kollegen Ritzel mit Recht angesprochene Kapitel der Unfälle auf unserer. Straßen. Aber auch hier sollte man vielleicht nicht nur das Negative sehen. Sicherlich stehen wir mit den Zahlen der Toten und insbesondere der Verletzten im Straßenverkehr innerhalb Europas und in der Welt absolut und relativ auf einer sehr hohen Stufe.
Sicherlich muß hier Außerordentliches und noch mehr geleistet werden, als wir in den letzten Jahren getan haben.
Aber auf der anderen Seite können wir darauf hinweisen, daß sich die Steigerung, die der Kraftverkehr erfahren hat, erfreulicherweise tatsächlich nicht in gleichem Maße in der Zunahme der Unfallzahlen widerspiegelt. In dem letzten Jahresbericht der Bundesverkehrswacht wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die befürchtete Entwicklung, die Zahl der Unfälle würde in gleichem Maße zunehmen wie die Zahl der Kraftfahrzeuge, nicht eingetreten ist. Insbesondere wird die Tatsache vermerkt, daß für die Gruppe der schulpflichtigen Jugendlichen die Unfallziffer, absolut gesehen, seit einigen Jahren ständig zurückgeht.
Es muß darauf hingewiesen werden — und ich stimme in der Beziehung dem Herrn Abgeordneten Vogel voll zu —, daß, so bedeutungsvoll der Ausbau der Straßen für die Bekämpfung der Unfälle auch ist, tatsächlich damit allein diese ungeheure Gefahr und die Not, die sich daraus ergibt, nicht gebannt werden kann. Die Untersuchungen, die die Bundesverkehrswacht durchgeführt hat, zeigen, daß 12,8 % der Unfälle durch Nichtbeachten der Vorfahrt, 12,6 % durch falsches Überholen und Vorbeifahren, 11,2 % durch überhöhte Geschwindigkeit, 6,2 % durch falsches Einbiegen und Wenden, 5,7 % durch zu dichtes Auffahren, 4,2 % durch Trunkenheit am Steuer, 7,1 % durch Fuß-
gänger und 5,2 % durch Nichtbenutzung der vorgeschriebenen Fahrbahn verursacht worden sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind 65 % aller Unfälle! Natürlich entfällt ein erheblicher Teil davon auf die Ortschaften, in denen sich bekanntlich 3/4 aller Unfälle ereignen. Aber diese Zahlen zeigen doch, daß die Bemerkung der Herrn Kollegen Vogel durchaus berechtigt ist. Wir dürfen uns nicht vorstellen, daß allein durch den Straßenbau diese schwere Gefahr beseitigt werden kann. Eine Fülle anderer Maßnahmen muß dazutreten.
Wenn wir morgen hier in Bonn die 4. Verkehrssicherheits-Konferenz des Bundes und der Länder abhalten, dann beschäftigen wir uns in erster Linie mit diesen durch die genannten Zahlen belegten Tatbeständen und nicht mit dem Straßenbau. Wir beschäftigen uns vor allen Dingen mit den Verbesserungen in der Jugenderziehung und mit dem Ausbau des Schülerlotsendienstes. Beides sind für die Zukunft ungewöhnlich wichtige Maßnahmen. Nur über die Jugend werden wir ein Nachlassen der Unfallzahlen sichern.
Ich darf, wieder im Zusammenhang mit dem Jahresbericht 1956 der Bundesverkehrswacht, darauf hinweisen, daß gerade im letzten Jahr erhebliche neue Möglichkeiten der Bekämpfung der Unfälle gefunden worden sind. Wir haben eine sehr starke Intensivierung der Schulverkehrserziehung erreicht. Wir begrüßen dankbar, daß eine sehr intensive Zusammenarbeit mit den Kirchen in der Unfallbekämpfung ermöglicht wurde. Wir haben mit der Einführung freiwilliger Selbstteste on Erwachsenen, mit der Indienststellung von Verkehrssicherheits-Omnibussen, mit der Einrichtung von Mopedkursen, mit der Zusammenarbeit mit den Jugendorganisationen, mit der Vorbereitung der Einführung der Verkehrserziehung bereits in den Kindergärten, mit der Veranstaltung von Verkehrssicherheitstagen, mit der Durchführung der Aktion Ford-Leihwagen für Lehrer usw. eine ganze Menge an zusätzlicher Einwirkung erreicht. Wir hoffen daß das in diesen Tagen herausgebrachte kleine Heft, in dem die Verkehrsregeln in der Art einer Fibel der Öffentlichkeit dargeboten werden und das zunächst an alle Schulen geht, weiter helfen wird, die Ursachen der Unfallgefahr auf der Straße noch intensiver zu bekämpfen. Das soll uns aber nicht hindern, auf dem Gebiete des Straßenbaus unser Bemühen nachdrücklich zu verstärken.
Dabei muß ich in diesem Zusammenhang doch einmal sagen, daß es nicht zutreffend ist, wie oft zu hören ist, daß man bei der Einreise vom Ausland nach der Bundesrepublik den Eindruck eines wesentlich schlechteren Straßennetzes habe.
Auch ich komme sehr viel vom Ausland zurück, und ich muß feststellen, daß eigentlich eines der entscheidende Eindruck ist: je mehr man sich der deutschen Grenze nähert — und erst recht, nachdem man sie überschritten hat —, spürt man eine sich immer mehr verstärkende, ja geradezu erstaunliche Verdichtung des Verkehrs gegenüber der Straßenverkehrsdichte in allen angrenzenden Ländern. Das gilt selbst für Norditalien und Belgien, wo der Verkehr, verglichen mit all den anderen Ländern, noch der dichteste ist. Jedenfalls würde diese Dichte des Verkehrs, wenn wir sie auf andere, benachbarte Länder übertragen könnten. dort für den Straßenverkehr mindestens die gleichen Bedingungen schaffen, wie sie bei uns bestehen. Ja,
ich glaube, sie würde dort sogar eine noch erheblich ungünstigere Verkehrslage auf den Straßen hervorrufen.
Wir müssen doch auch berücksichtigen, daß in Zukunft die Probleme des Fernverkehrs auf der Straße ohne Autobahnen — darüber sind wir uns doch wohl alle einig — nicht zu lösen sind. Der Fernverkehr bedarf der Autobahnen, und die Autobahnen sind, weil sie Ortschaften nicht berühren, jedenfalls vom Verkehrssicherheitsstandpunkt aus, besonders zu begrüßen. Denn damit fällt für diese Strecken die Massierung der Unfallgefahren in den Ortschaften weg.
Es gibt in Westeuropa etwa 3500 km Autobahnen. Von diesen 3500 km entfallen auf die Bundesrepublik 2405 km; davon sind 230 km in den letzten zwei Jahren neu entstanden, und weitere 260 km befinden sich im Bau.
Dem müssen wir gegenüberstellen, daß die Niederlande, die am stärksten gebaut haben, bisher 600 km Autobahnen haben, daß Italien, das Autostradas hat, 500 km hat, Belgien 120 km, Frankreich 70 km, Schweden 16 km, daß aber Dänemark, die Schweiz und England überhaupt noch keine Autobahnen haben. Das sollten wir auch einmal mit bewerten, wenn wir von unserem Straßensystem sprechen .
Ich darf dazu noch feststellen: in keinem Land Europas sind ir. den letzten Jahren so viel Autobahnen begonnen und fertiggestellt worden wie bei uns. Das ist doch wohl am besten ein Beweis dafür, daß für den Ausbau unseres Bundesstraßennetzes einiges getan wird.
Auch hierzu möchte ich noch einige Zahlen angeben. wenn wir von den umfangreichen Reparaturen einschließlich der Beseitigung der Kriegsschäden an den Straßen selbst absehen, sind in den letzten Jahren Bundesstraßen durch Um- und Ausbau, Neubau oder Ortsumgehungen in einer Länge von 3717 km praktisch neu geschaffen worden. Dazu kommen ,die von mir bereits genannten neuerstellten Autobahnen mit 230 km. Das heißt, wir haben in den letzten Jahren praktisch 3947 km Straßen neu gebaut, das entspricht einer Erneuerung von 17 % des Netzes unserer Bundesfernstraßen und Bundesautobahnen.