Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende dieses Sitzungstages gilt es, in Form einer Willenskundgebung des Bundestages Konsequenzen zu ziehen aus dem, was diese Debatte zutage gebracht hat. Ich muß Ihnen offen gestehen, daß mir die Konsequenzen, welche die Fraktion der CDU/CSU zusammen mit der DP zu ziehen bereit ist, nicht auszureichen scheinen. Wir haben heute nicht darüber diskutiert, ob wir uns in dem Fernziel einig sind, daß irgendwann einmal auf dem Erdball die Waffen weggelegt werden, die großen wie die kleinen, die schrecklichen wie die weniger schrecklichen, und die Menschen sich des Friedens erfreuen können — in diesem Fernziel sind wir uns alle einig —, sondern wir haben heute eine Reihe von ganz konkreten Fragen zu prüfen gehabt. Ich finde, zu diesen sehr konkreten Fragen müssen wir uns klar und unmißverständlich äußern.
Die erste Frage, die in diesem Hause erfreulicherweise ein höheres Maß an Übereinstimmung gefunden hat, als das etwa in den europäischen Versammlungen in Straßburg der Fall gewesen ist, ist die nach der Beendigung der Versuchsexplosionen. Da bin ich der Überzeugung, daß wir, wenn wir wirklich Nägel mit Köpfen machen wollen, nach reiflicher Abwägung der Texte diesen Appell an alle richten müssen und darüber hinaus — nach den bitteren Erfahrungen, die es bisher gerade auf diesem Gebiet gegeben hat — dafür sorgen sollten, daß irgendeiner mal damit anfängt, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, und sagt: jetzt höre ich erst einmal auf und sehe, ob der andere trotzdem mit den Versuchen fortfährt.
Ich bin der Meinung, daß es den Westen ehren würde, wenn er anfängt. Außerdem gefährdet es nicht im geringsten seine Sicherheit. Denn es ist klar: wird nach einer solchen Erklärung mit Versuchen anderwärts fortgefahren, dann ist ein solches Unternehmen zunächst einmal leider gescheitert und eine neue Lage gegeben. Aber versuchen muß man das, zumal entsprechende Erklärungen auch von der sowjetischen Regierung gekommen sind. Man sollte die sowjetische Regierung hier endlich einmal beim Wort nehmen, statt ihr immer wieder Propagandamöglichkeiten und Ausflüchte zu lassen. Man sollte sie beim Wort nehmen und
*) Siehe Anlage 2
sagen: wir hören mit den Versuchsexplosionen auf, und nach euren eigenen Erklärungen bedeutet das, daß ihr die Versuchsexplosionen ebenfalls einstellt. — Das war der Inhalt des Punktes I unseres Antrags.
Zu den anderen Punkten, die es hier zu entscheiden gilt, ist folgendes zu bemerken. Es ist uns gesagt worden, daß die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen gar nicht aktuell sei. Immerhin ist aber doch die andere Frage sehr aktuell, die praktisch schon längst entschieden ist, nämlich daß sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den Händen unserer Verbündeten Atomwaffen befinden. Diese beiden Fragen kann man gar nicht voneinander lösen. Wir sollten ganz offen sagen, daß wir eine erhebliche Erleichterung der Situation für unser eigenes Volk, aber auch im weltpolitischen Gespräch darin erblicken würden, wenn es gelänge, aus einem solchen Krisenherd wie dem deutschen die Atomwaffen fernzuhalten. Wir sollten nicht die Hand dazu geben, daß noch mehr von diesem Sprengstoff in die beiden Teile Deutschlands hineingepreßt wird.
Das ist der Sinn unseres Antrags auf Umdruck 1093*) unter Punkt II Ziffern 1 und 2. Auch hier darf ich daran erinnern, daß die Sowjetregierung erklärt hat — Sie haben hier z. B. anläßlich der Debatte über das Stimmrecht der Berliner Abgeordneten den Erklärungen von drüben so großes Gewicht beigemessen, warum nicht auch in einer solchen Frage? —,
sie hielte es für nützlich, wenn mit den Westmächten ein Abkommen darüber getroffen werden könnte, daß der deutsche Boden hüben wie drüben von Atomwaffen frei bleibt. Das schließt ein, daß man das auch überwachen kann, denn ein solches Abkommen beinhaltet eine solche Überwachung.
Sollten wir nicht wenigstem versuchen, diese Chance zu ergreifen, damit wir nicht eines Tages in derselben Lage stehen wie bei dem Abzug der englischen Truppen? Jahre hindurch ist von der Sowjetunion gesagt worden, man könnte über die Zahl von Truppen auf deutschem Boden miteinander ins Gespräch kommen. Um unserer vermeintlichen Sicherheit willen haben die Westmächte gesagt: Das kommt nicht in Frage. Eines Tages haben sich die Briten entschlossen, den teilweisen Abzug ihrer Truppen umsonst und ohne Gegenleistung vorzunehmen, statt wenigstens den Versuch zu unternehmen, das rechtzeitig zum Gegenstand von Verhandlungen zu machen und damit auch eine Erleichterung des Loses unserer Landsleute in der Sowjetzone zu erzielen. So ähnlich geht es uns eines Tages auch hier — davon bin ich fest überzeugt —, wenn wir nicht wenigstens den Versuch unternehmen, die Ansätze, die sich hier bieten, auszunutzen.
Es ist heute hier gesagt worden, manche in diesem Hause beschwörten die Angst vor den Atomwaffen herauf, und die Panik, die dadurch entstünde, sei immer ein schlechter Ratgeber. Lange ehe von dieser Atomgefahr die Rede war, ist hier Angst und Panik heraufbeschworen worden. Immer dann, wenn unser deutsches Volk aufgefordert worden ist, einmal die Blicke nach Osten zu richten,
*) Siehe Anlage 3
wurde plötzlich ganz zielbewußt Angst gesät, um
dadurch bestimmte Schrecksituationen auszulösen.
Ich teile die Meinung, daß Angst immer ein schlechter Ratgeber ist.
Ich teile die Meinung, daß wir uns ,auch nicht in eine blinde Atomangst hineinbegeben dürfen. Aber ich bin der Überzeugung, daß man bei allem gebotenen Maß an Nüchternheit eines nicht tun darf, nämlich .die Augen vor )dem grundsätzlich Neuen dieser Gefahren zu verschließen.
Denn wer eine Gefahr überhaupt nicht sieht, wer sie leugnet, der wird mit ihr auch nicht fertig.
— Jawohl, sehen Sie, ich leugne auch die sowjetische Gefahr gar nicht. Die Frage ist nämlich, auf welche Weise man diesen Kampf der Selbstbehauptung der Freiheit gegenüber einer Ordnung der Unfreiheit am erfolgreichsten besteht.
Ich bin nicht der Meinung, daß ,die Menschheit diesen Kampf mit den Atomwaffen am erfolgreichsten durchstehen wird.
Hier ist ein großer Satz gelassen ausgesprochen worden: Sie hätten unserem Volk Sicherheit gegeben. Meine Damen und Herren, wenn Sie unserem Volk Sicherheit gegeben hätten, dann hätte es doch dieser Debatte um die Atombewaffnung nicht bedurft.
Für unser Volk gibt es so lange überhaupt keine
Sicherheit, solange die Zeitbombe der Spaltung
Deutschlands hier im Herzen des Kontinents tickt.
Solange besteht jederzeit die Gefahr, daß aus dieser deutschen Spaltung heraus eine Explosion entsteht, die uns alle und unsere Nachbarn mit verschlingt.
Deshalb gibt es nur einen wirklichen Weg für die Sicherheit Deutschlands, und alles andere ist auf Illusionen aufgebaut. Dieser Weg besteht darin, mit Vorrang die Politik der Wiedervereinigung anzusteuern, weil lanes andere nur Ersatzlösungen bringt, und schlechte dazu.
Durch das Wettrüsten werden Sie die Wiedervereinigung unter gar keinen Umständen erreichen, sondern nur noch erschweren.
Nun ist soeben gesagt worden — und damit sind wir wieder bei dem Kern unserer heutigen Debatte —, die Bundesregierung habe sich ja gar nicht um Atomwaffen bemüht. Daß wir also diese Debatte heute auf Grund einer Anfrage der Sozialdemokraten führen, sei fast noch die Schuld derjenigen, die überhaupt wagen, von diesen Fragen der atomaren Bewaffnung hier in der Bundesrepublik zu sprechen.
Das ist nicht ganz richtig. Ich habe Ihnen vorgelesen, daß die Ausstattung auch der Bundeswehr mit Atomwaffen bereits seit dem Jahre 1955 im Verteidigungsministerium ins Auge gefaßt worden ist. Ich darf daran erinnern, daß der Bundesverteidigungsminister schon im November den Gedanken unterstützt hat, auch die Bundeswehr mit Atomwaffen auszurüsten. Aus einer Reihe von Reden, die heute gehalten wurden — ob Sie nun sagen, das sei aktuell oder nicht —, ergibt sich doch nur ein Schluß: daß Sie sich bemüht haben, unserem Volke klarzumachen, um unserer Gleichberechtigung und um der Effektivität des NATO-Bündnisses willen gebe es gar keinen anderen Weg als den, daß auch die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgestattet wird.
Der Herr Bundeskanzler hat in einer Auseinandersetzung mit meinem Freund Ollenhauer geglaubt, in Bausch und Bogen auf alle Fehlentscheidungen der SPD auf außenpolitisichem Gebiet aufmerksam machen zu müssen.
Meine Damen und Herren, darf ich Sie daran erinnern, wieviel Millimeter Sie eigentlich die Hauptfrage der deutschen Außenpolitik, nämlich die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands, in den sieben Jahren vorangebracht haben?
An diesen Resultaten gilt es doch ebenfalls Ihre praktische Politik zu messen! Die Spaltung unseres Landes ist in dieser Zeit nicht gemildert, die Aussichten für ihre Überwindung sind nicht verbessert, sondern die Spaltung unseres Landes ist verhärtet worden.
Der Bundeskanzler hat gesagt — und dia hat er recht, natürlich —, daß es sich bei den Spannungen in der Welt doch letzten Endes nicht um Spannungen zwischen der Sowjetunion und uns handelt — obwohl manchmal Äußerungen des Herrn Verteidigungsministers so klingen könnten —, sondern daß es sich um Spannungen zwischen der Sowjetunion und im wesentlichen den Vereinigten Staaten von Amerika und allen denen handle — zu denen auch wir zählen —, die sich um die Vereinigten Staaten von Amerika in einem bestimmten System von Verträgen geschart haben.
— Ich höre das Wort „freie Welt", und da lassen Sie mich eines sagen: Sie dürfen doch dieses Wort nicht dadurch noch in Unehre bringen, daß Sie die Mitgliedschaft eines Landes in einem Pakt gutgeheißen haben, in idem es heute genausowenig
freie Wahlen wie in anderen Diktaturländern gibt.
— Ich rede von Spanien, wenn Sie es genau wissen wollen.
Wer mit dem Begriff der freien Welt noch irgend etwas an Idealen verbinden will, der sollte wenigstens dafür sorgen, daß sich nur derjenige mit Stolz zur freien Welt zählt, dem es ernst ist um die freie Wahl zur Volksvertretung und um die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Volk.
Zurück zu dem Problem der Spannungen. Der Herr Bundeskanzler hat völlig recht mit der Aufzählung der Beteiligten. Also kommt es darauf an, um der Wiedervereinigung unseres Landes willen die Spannungen unter den Großmächten auszugleichen und nicht zu verschärfen. Der sicherste Weg zur Zuspitzung der Spannungen scheint mir die weitere Zuspitzung des atomaren Wettrüstens zu sein.
Sie alle wollen zwar im Prinzip ihren guten Willen für die Abrüstung in einem Beschluß zum Ausdruck bringen. Aber in wieviel Untertönen wurde heute hörbar, mit welchem Übermaß an Skepsis ein großer Teil in Ihren Reihen, meine Damen und Herren, den sehr ernsten Londoner Abrüstungsverhandlungen gegenübersteht! Da darf ich Ihnen aus einem Dokument, das der „Nachrichtenspiegel" des Bundespresse- und Informationsamtes verteilt hat, wenigstens vorlesen, auf welche Hauptprobleme man sich konzentriert hat, damit Sie sehen, daß es keine leeren sozialdemokratischen Deklamationen sind, wenn wir sagen: dort wird jetzt ernsthaft um die Probleme gerungen.
Es handelt sich um die folgenden Fragen:
1. Herabsetzung der herkömmlichen Streitkräfte auf zunächst 21/2 Millionen, dann 11/2 Millionen für die USA, die Sowjetunion und China, auf 750 000 und dann in der zweiten Phase auf 650 000 für Großbritannien und Frankreich. Zumindest über den ersten Abschnitt dieses sowjetischen Planes besteht Übereinstimmung. Die 11/2-Millionen-Ziffer des zweiten Abschnittes ist bisher von den USA jedoch nicht angenommen worden.
Das bezieht sich auf eine uralte Diskussion, wir haben sie schon öfter hier im Hause gehabt. Es ist ein früherer westlicher Vorschlag, der dann plötzlich, als die Pläne für die 500 000 bundesrepublikanischen Soldaten aktuell wurden, von der westlichen Seite in die Versenkung befördert wurde.
2. Der amerikanische Plan, auf die Herstellung weiterer Atomwaffen nach dem 1. März 1958 zu verzichten und am 1. September 1957 einen Sachverständigenausschuß mit der Ausarbeitung eines geeigneten Kontrollsystems beginnen zu lassen.
3. Die amerikanischen und die sowjetischen Pläne für Zonen der Luftüberwachung, die sich in Europa in der Ausdehnung wenig, in Sibirien und ,auf dem amerikanischen Kontinent wesentlich unterscheiden.
4. Ein sowjetischer Kontrollplan mit Überwachungsposten an Eisenbahnknotenpunkten, in Häfen und auf Fernstraßen, der auch die westlichen Grenzbezirke der Sowjetunion und den östlichen Teil der USA erfaßt.
5. Ein amerikanischer Plan für ein Kontrollsystem im Rahmen der UNO, das aus einem ... Kontrollrat ... mit Vetorecht für die fünf ständigen Mitglieder ... , einer Versammlung aller angeschlossenen Staaten und aus den ausführenden Organen bestehen soll.
6. Die sowjetischen Vorschläge, Atomexperimente einzustellen rund eine Verpflichtung einzugehen, Atomwaffen nicht anzuwenden.
Meine Damen und Herren, dieses Dokument faßt die Vorschläge beider Selten. zusammen, und zwar ernste Vorschläge. Sollen wir in dieser Situation durch eine mißverständliche Erklärung dieses Hauses in der ganzen Welt den Eindruck schaffen: die Bundesrepublik sagt zwar vor der Wahl, die Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen sei nicht aktuell, aber in Wahrheit hält sie sie für später für unvermeidlich!
Unsere Standpunkte, meine Damen und Herren, sind hinlänglich bekannt, so daß uns hier gar nichts weiter übrigbleibt, als die Position sehr klar zu bekenne. Ich möchte dem Herrn Bundeskanzler sagen — er bestritt hier, früher von der Politik der Stärke gesprochen zu haben —: Herr Bundeskanzler, ich erkläre mich bereit, Ihnen aus dem Wahlkampf des Jahres 1953 in ausreichender Fülle Zitate aus Ihren eigenen Reden dazu zur Verfügung zu stellen.
Meine Damen und Herren! Worauf es ankommt, ist nicht, daß wir jetzt hier Erklärungen abgeben, daß wir die Politik der militärischen Stärke als verfehlt betrachten, sondern worauf es ankommt, ist, daß der Bundestag durch seinen Appell an die Weltmächte wenigstens 'den Versuch unternimmt, dem Verhängnis in die Speichen zu greifen und dem Wettlauf zum atomaren Selbstmord ein Ende zu setzen.