Rede von
Helmut
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Darf ich den Herrn Kollegen Schneider fragen, ab er in der Lage ist, zu belegen, wo sich jemals ein Sozialdemokrat für eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr ausgesprochen hat!
Schneider (DP [FVP]): Ich bin ja gerade dabei, Herr Kollege Schmidt; warten Sie einen Augenblick!
Herr Kollege Erler hat im Radio Frankfurt am 12. September 1956 geäußert:
Eis hilft hier gar nichts, nun etwa mit 500 000 deutschen Soldaten eine Lücke schließen zu wollen und zu glauben, daß man dann der Sowjetunion gewachsen wäre. Mit 500 000 deutschen Soldaten sind wir das ohne die Zuhilfenahme der taktischen Atomwaffen der anderen auch nicht.
Weiter — ich habe noch mehr —:
Es war schon bisher kein Zweifel daran, und die sozialdemokratischen Redner haben darauf im Parlament immer wiederhingewiesen, daß die strategischen Pläne bei der NATO auf dem sofortigen Einsatz von Atomwaffen basieren. Trotzdem hat man die Pläne für die Aufrüstung in der Bundesrepublik so entworfen, als wäre diese Tatsache nicht existent oder als wenn man an dieser grausamen Wirklichkeit noch vorbeikommen könnte. Will irgendein militärischer Fachmann angesichts dieser Tatsache noch behaupten, daß der Westen den Sowjets genügend Truppen mit konventionellen Waffen gegenüberstellen könnte?
So sprach Herr Mellies in der Zeitung „Die Freiheit" am 24. August 1956.
Ich stehe Ihnen aber auch gern noch mit weiteren Zitaten zur Verfügung, Herr Kollege Schmidt!
— Ich bin auch gern bereit, Ihnen dies abschriftlich zu geben, wenn Sie es wünschen.
Fest steht doch, daß ich beispielsweise die taktischen Atomwaffen der Amerikaner seit geraumer Zeit in der Bundesrepublik befinden und ,daß damals von seiten der Oppostion, jedenfalls soweit mir bekantgeworden ist, keine Einsprüche erhoben worden sind, jedenfalls keine solchen Einsprüche,
wie sie sich jetzt in der Entschließung niederschlagen, die Sie dem Hause vorgelegt haben. Meine Freunde und ich sind aber nicht bereit, die Bevölkerung oder die Soldaten in irgendeiner Form aufs Spiel zu setzen.
Daß darüber hinaus meine Behauptung richtig ist, daß die Sozialdemokratische Partei in der Wehrpolitik sehr verschlungene Wege gegangen sei, geht auch daraus hervor, daß man heute in verschiedenen deutschen Städten an den Litfaßsäulen ein Plakat sehen kann, auf dem steht: „Keine Wehrpflicht — darum SPD!" Man könnte fast glauben, im Augenblick sei die Wehrpflicht nicht mehr aktuell. Sie haben sie damals schon abgelehnt. Sie lehnen aber gleichzeitig jetzt auch das modernst ausgerüstete kleinere Berufsheer ab. Ich muß daraus schließen, daß Sie sich entweder nicht ganz schlüssig sind, was Sie letzten Endes wollen, oder 'daß Sie inzwischen sogar zu der Überzeugung gelangt sind, daß wir es bei den Sowjets nur noch mit Pazifisten zu tun haben.
Ich glaube darüber hinaus, daß die Bundesrepublik Deutschland durch den Verzicht auf die sogenannten A-, B- und C-Waffen und durch das Anerkenntnis einer Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung in dien abgeschlossenen Verträgen schon einmal vorab einen sehr wesentlichen Beitrag zur Abrüstung selbst und auch zur Entspannung geleistet hat.
Meine politischen Freunde sind der Auffassung, daß in allererster Linie — das ist hier dankenswerterweise schon von einigen anderen Rednern gesagt worden — eine kontrollierte — ich betone: eine kontrollierte — Abrüstung in der Welt Platz greifen muß. Wir werden. dem Hohen Hause nachher eine Entschließung vorlegen, die dies ganz deutlich zum Ausdruck bringt.
Jedenfalls kann erst, nachdem eine solche kontrollierte Abrüstung wenigstens in etwa stattgefunden hat, an eine Wiedervereinigung der gespaltenen Welt und auch unseres eigenen Vaterlandes gedacht werden, was ,dann eine Entspannung in der gesamten Welt und letzten Endes auch mehr Sicherheit für die jetzt bedrohten Nationen zur Folge haben würde.
Die Fraktion der DP schließt sich im übrigen natürlich der Auffassung der Bundesregierung an,
in der sie bekanntlich durch drei Minister und den Vizekanzler vertreten ist,
daß die Aufrüstung weiterer Mächte mit Atomwaffen nicht richtig ist, weil dies unter Umständen eine kontrollierte atomare Abrüstung erschweren könnte. Wir haben — das sei offen zugegeben — in unserer besonderen Lage sicherlich keine Veranlassung, uns in dieser Frage vorzudrängen. Auch wir wollen nicht, daß der Frieden etwa nur mit Geigerzählern gemessen wird.
Aber wir wollen auch nicht der Entscheidung ausweichen. Wir wollen — das erkläre ich für meine Fraktion — die taktischen und auch die sonstigen Atomwaffen nicht, wenn sie uns nicht durch die russische Politik in die Hand gedrückt werden. Denn noch immer gilt der Satz, daß das oberste Gebot jedes Staates ist, für die Sicherheit seiner Bürger Sorge zu tragen, auch wenn das manchmal unbequem ist.
Dort, wo es sich um die Sicherheitsfrage der Nation handelt, sollten die Parteipolitik und der Hader aufhören.
Ich möchte mit einem Wort von Herder schließen, das ich von dieser Stelle schon einmal sagte und das gerade in dieser Debatte so angebracht ist wie noch nie: „Wenn du mußt, so diene dem Staate, und wenn du kannst, so diene der Menschheit!"
Meine Damen und Herren, in der Situation, in der wir uns heute befinden, sollten wir uns befleißigen, beides zu tun.