Das Wort hat der Abgeordnete Schneider .
Schneider (DP[FVP]): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte in diesem Hause zeigt wieder mit erschreckender Deutlichkeit, in welcher Situation wir uns als Deutsche befinden und in welcher Situation sich die ganze Welt befindet. Sie zeigt eine Welt, die nach dem fürchterlichen zweiten Weltkriege den Frieden noch nicht wiedergefunden hat, eine Welt, die durch Kriege, Unruhen und Mißtrauen nach wie vor gespalten ist. Ein Versagen der Politiker vielleicht, die nicht die Kraft und auch nicht den Mut gefunden haben, das zu tun, worauf alle Welt nach dem letzten fürchterlichen Erleben gewartet hat.
Es ist kein Wunder, daß sich bei dieser Sachlage auch heute wieder eine gewisse Kluft zwischen den Auffassungen der Regierungsparteien und der Opposition aufgetan hat. Allerdings geht es diesmal nicht allein um parteipolitische Gegensätze; es spiegelt sich in dieser Kluft auch das Dilemma, in dem sich zur Zeit die Welt befindet. Ich glaube, es ist keiner hier im Hause, der nicht davon angerührt gewesen wäre, als die achtzehn Wissenschaftler, als Professor Albert Schweitzer und andere ihre warnende Stimme erhoben. Wir sind allesamt in einen fürchterlichen Konflikt gestürzt worden. Wir müssen eine Entscheidung treffen von einer Schwere, wie wir sie vielleicht bisher nie treffen mußten; und das Volk ist — ich glaube, ich übertreibe nicht — ebenfalls in einen Abgrund geschleudert worden und lebt heute in der Angst vor dem, was unter Umständen kommen könnte.
Ich glaube, in dieser Situation erweist sich auch zum erstenmal, daß das Gewissen des Menschen selbst nicht mehr stark genug ist, diese Entscheidung allein übernehmen zu können. Ich glaube, wir sind allesamt unverdächtig, etwa Streit, Hader oder Krieg wieder herbeizusehnen; ich glaube, wir sind allesamt einer Auffassung, wenn es um die Frage des Krieges, der Bewaffnung und andere Dinge geht, gleichviel, wo wir politisch stehen. Ich glaube auch, daß gerade wir Deutschen nach dem Erleben des letzten Krieges und auch schrecklicher Jahre der Nachkriegszeit am glaubwürdigsten sind, wenn wir immer wieder nach Frieden verlangen.
Allerdings darf dieses Thema nicht mit Zynismus behandelt werden. Ich habe es sehr bedauert, daß der Pressedienst einer Fraktion in diesem Hause der Bundesregierung unterstellte, daß es ein gefährlicher Ehrgeiz sei, wohlbestallter Atombombenbesitzer zu sein. Ich glaube, daß dies dem Problem nicht gerecht wird,
daß wir vielmehr allesamt die Pflicht haben — wir alle! —, unserem armen gequälten Volke draußen, das zur Zeit nicht recht weiß, woran es ist und was es tun soll, wieder den klaren Weg zu zeigen und ihm aus diesem Labyrinth der Furcht und der Angst herauszuhelfen.
Ich sagte schon, die Entscheidung, die wir zu treffen haben werden, kann nicht allein vom Gewissen getroffen werden, weil die sachlichen, politisch-militärischen Notwendigkeiten mitgewogen werden müssen, wenn es uns wirklich ehrlich um die Sicherheit und die Freiheit unseres Vaterlandes und unserer Nation zu tun ist. Ich glaube, daß diejenigen es sich leicht machen, die unter bloßer Berufung auf einen Gewissensentscheid mit Entschließungen oder Forderungen arbeiten wollen. Weder nur das eine noch nur das andere kann uns aus der jetzigen Situation heraushelfen.
Wenn ich vorhin schon anklingen ließ, daß wir erschüttert vor dem stehen, was die Atomwissenschaftler uns gesagt haben, dann sei es mir hier bei allem Respekt auch verstattet, eine Stimme aus dem Kreise derselben Physiker zu zitieren, die hier heute noch nicht zitiert worden ist und die eine andere Auffassung äußert. Es handelt sich um keinen geringeren als um den Professor Pascual Jordan. Herr Präsident, ich bitte um Genehmigung, einen Textteil verlesen zu dürfen. Professor Pascual Jordan — und ich glaube, diese Dinge sind so wichtig, daß die gesamte deutsche Öffentlichkeit sie wissen und hören sollte — sagt:
Leider muß die so dringlich gewordene Diskussion aber nicht nur offenherzig, sondern auch öffentlich geführt werden, nachdem eine Gruppe prominenter Physiker der Bundesrepublik eine bestimmte, extrem einseitige Beurteilung des Problems in sensationeller Form an die Öffentlichkeit gebracht hat, statt sie zunächst zum Gegenstand einer Meinungsforschung unter den Physikern selber zu machen.
Daß das sogenannte Göttinger Manifest während des anlaufenden Wahlkampfes erscheinen mußte, ist bereits einer der Punkte, die einer kritischen Prüfung zum Anlaß ernster Bedenken werden müssen, jedoch ist dies noch das geringste unter den Bedenken, die sich bei einer ruhigen Abwägung der Dinge ergeben müssen. Der Kernsatz des Manifests ist ja derjenige, in welchem ein Verzicht der Bundeswehr auf jede Art von Atomwaffen als angeblich bester Weg zur Milderung der drohenden Gefahren bezeichnet wird. Dieser Satz besitzt aber keinerlei zwingenden logischen Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt des Manifests. Seine logische Rechtfertigung ist nur dann möglich, wenn man zusätzlich eine bestimmte hypothetische Voraussetzung annimmt, die man etwa so formulieren könnte: „Die Sowjetunion wartet nur darauf, daß der Westen Verminderungen oder Begrenzungen seiner militärischen Kräfte einführt. Sofort wird dann auch die Sowjetmacht entsprechende Verminderungen ihrer Kampfkraft vornehmen."
Wenn diese Voraussetzung zutreffend ist, dann ist allerdings auch der im Manifest ausgesprochene Ratschlag ein guter und positiver Vorschlag. Dann ist es sogar empfehlenswert, daß sich die Bundesrepublik vom Westen trennt und eine Politik der Neutralisierung einleitet. Die Sowjets werden dann aus lauter Dankbarkeit Mitteldeutschland, Polen und Ungarn ebenfalls neutralisieren und schließlich freigeben.
Aber die Frage
— fährt Professor Pascual Jordan fort —
ist die, ob diese Voraussetzung richtig ist, und das ist nicht eine Frage theoretischer Betrachtung, sondern für uns Deutsche eine Frage auf Leben und Tod. Leider wird diese für den Inhalt des Manifests entscheidende Voraussetzung und das Hypothetische, Problematische dieser Voraussetzung in dem Manifest mit keinem Wort erwähnt. Sie wird einfach stillschweigend als scheinbar selbstverständliche Unterlage der Argumentation benutzt.
Es gibt aber auch eine gegenteilige Meinung, und diese gegenteilige Meinung wird nicht nur etwa von Schwachköpfen vertreten, sondern sie ist die im Wesen einheitliche Überzeugung zahlreicher kluger, zum Teil überragend kluger, sehr ehrenwerter und hervorragend informierter Menschen in vielen verschiedenen Nationen. Diese gegenteilige Meinung lautet: Die Gefahr eines alsbaldigen heißen Atomkrieges mit der ganzen Wucht seiner entsetzlichen Furchtbarkeit rückt um so näher, je größer die militärische Kampfkraft der Sowjetunion im Vergleich zu der westlichen Mächtegruppe ist.
Professor Pascual Jordan fährt fort:
Wenn diese Voraussetzung richtig ist, dann allerdings bedeutet der Ratschlag, eine Ausrüstung der Bundeswehr mit modernen Waffen zu vermeiden und sie nur mit älteren Waffen auszustatten, nicht mehr einen Hinweis auf den Weg der Rettung, sondern vielmehr eine an die Bevölkerung der Bundesrepublik gerichtete Aufforderung zum kollektiven Selbstmord. Man kann das wirklich nicht mit schwächeren Worten sagen. Man würde sonst ein understatement machen.
Es heißt dann weiter:
Welche der beiden Voraussetzungen kommt aber der Wahrheit näher, und wer ist imstande, uns darüber Auskunft zu geben? Wer kann die Verantwortung übernehmen, dazu eine Entscheidung zu treffen? Es handelt sich offensichtlich um eine Entscheidung, die mit Atomphysik nicht das geringste zu tun hat. Poli- tische Information ist erforderlich, gründlichste, umfassendste Kenntnis der heutigen Weltlage sowohl in ihren großen Zusammenhängen als auch in der Fülle ihrer bedeutungsvollen Einzelheiten. Nur solche Menschen, die über die Tendenzen, die Biographien und die persönliche Psychologie der verschiedenen führenden Sowjetpolitiker ebenso gründlich im Bilde sind wie ein Physiker über die Atome im Bilde ist, sind imstande, zu einer solchen Frage etwas Fundiertes zu sagen.
Meine Damen und Herren, ich lasse nun einen Passus aus und schließe mit dem, was Professor Pascual Jordan zum Schluß sagt:
An der entstandenen Verwirrung werden wir noch schwer zu tragen haben. Es gibt aber trotz der tiefgehenden Verschiedenheit der Folgerungen, die sich aus den gegensätzlichen Voraussetzungen bzw. hypothetischen Annahmen ergeben, bestimmte Notwendigkeiten dieser Stunde, die wohl von uns allen übereinstimmend anerkannt werden sollten, unabhängig von den Differenzierungen unserer sonstigen politischen Auffassungen. Diese Notwendigkeiten sind zweierlei:
Erstens. Nachdrückliche Fortsetzung der Bemühungen, eine kontrollierte beiderseitige Abrüstung der zwei großen Machtblöcke zustande zu bringen. Die westliche Welt hat es bislang versäumt, ihre Öffentlichkeit klar genug über die Tatsache zu unterrichten, daß es die Sowjetunion ist, die bislang alle Vorschläge zur kontrollierten beiderseitigen Abrüstung abgelehnt hat. Es muß durch eine Klarstellung dieser schweren Verantwortung versucht werden, die Sowjetunion endlich zur Einwilligung in
eine wechselseitig kontrollierte Abrüstung zu' veranlassen.
Zweitens. Solange aber die Sowjetunion in ihrer Ablehnung verharrt, muß die Verteidigung der freien Welt, vor allem auch durch umfassende städtebauliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, gesichert werden. Es darf der Öffentlichkeit nicht länger verschwiegen werden, daß durch Schutzanlagen modernster großzügiger Art, die im Ernstfall zu befürchtenden Verluste auf einen sehr kleinen Bruchteil des andernfalls Unvermeidlichen herabgesetzt werden können.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß man diesen Ausführungen nichts hinzuzufügen braucht. Nun hat der sehr verehrte Kollege Schmid heute vormittag gesagt, daß man bei der Behandlung dieses Problems die volle Wahrheit sagen müsse. Ich glaube, ich übertreibe wieder nicht, wenn ich feststelle, daß wir schon den ganzen Tag auf der Suche nach der vollen Wahrheit sind; und wir sollten weiter suchen und forschen, auf daß wir sie auch finden. Lassen Sie mich auf der Suche nach der vollen Wahrheit — heute vormittag ist sehr stark nur das Gewissensmäßige angesprochen worden — mit aller Deutlichkeit auch zum Politischen etwas sagen. Die volle Wahrheit ist, daß dieses Deutschland, dieses geteilte Deutschland von 1957 nicht das Deutsche Reich von 1937 ist, daß dieses Deutschland nach all dem, was gewesen ist, obgleich es seine Souveränität hat, nicht diejenige Handlungsfreiheit besitzt, die es einstmals als Großmacht in der Welt besessen hat, daß dieses Deutschland darüber hinaus a 11 e in in dieser Welt verloren wäre und daß dieses Deutschland, in dem wir hier leben, auch nur dadurch weiterbestehen kann — das ist eine vielleicht für diesen oder jenen bittere Tatsache, aber es ist eine Tatsache —, daß wir von einer der größten Nationen dieser Erde, den Amerikanern, eine Sicherheitsgarantie für unser Land einschließlich der Stadt Berlin haben. Wer könnte es wagen, sich freiwillig dieser Sicherheitsgarantie zu begeben, was unter Umständen nach sich ziehen würde, daß auch wir eines Tages als ein roter Klecks auf der Landkarte erscheinen.
Lassen Sie mich ein Weiteres feststellen. Über Krieg und Frieden entscheidet nicht die Bundesrepublik und entscheiden auch nicht die anderen kleineren Nationen, sondern darüber entscheiden bei der heutigen weltpolitischen Konstellation allein die Großmächte, Rußland oder Amerika. Die Tatsache, daß die Großmächte es bei den lokalen Konflikten, die sich in den letzten Monaten da und dort abgespielt haben, vermieden haben, einzugreifen, ist der klarste Beweis dafür, daß es von ihnen abhängt, ob es zu einem weltweiten Konflikt kommt oder nicht. Wenn aber Deutschland allein verloren ist, dann war es nur selbstverständlich, daß wir uns in einen Pakt hineinretteten, bei dem wir, verbündet mit anderen, darauf rechnen konnten, zu bestehen. Dieser Pakt ist die oftmals so zu Unrecht geschmähte NATO.
Diese NATO, seit Jahren sicherlich mit vielen organisatorischen und sonstigen Mängeln behaftet, oftmals nicht im guten Sinne kommentiert, hat eine Stärke, nämlich die, daß ihre Partner, wenn es darauf ankommt, wissen, daß sie zusammengehören, so daß uns und auch den anderen nichts passieren kann. Diesen Glauben muß man allerdings haben, und ich glaube, daß die Rolle, die wir
bisher innerhalb der NATO gespielt haben, uns dazu berechtigt, das auszusprechen. Denken wir doch noch einmal daran, wie es nach 1945 war, als man uns den Morgenthau-Plan beschert hatte. und denken wir daran, was heute in Deutschland ist! Diese Organisation der NATO, die insgesamt 450 Millionen Menschen umfaßt, die über zwei Drittel der Erdölproduktion hervorbringt, die über zwei Drittel der Weltstahlproduktion und über zwei Drittel der Weltkohlen- und Energieproduktion hervorbringt, ist ein wahrhaftiges Arsenal von Kräften für Freundschaft und Frieden, — wenn die Russen es wollen.
Es muß hier nochmals mit allem Nachdruck festgestellt werden, daß diese Organisation lediglich zu unserem Schutz gegen etwaige Übergriffe geschaffen wurde, und wenn sie einen Zweck bisher erfüllt hat, wenn auch über den Umweg der Westeuropäischen Union, dann den, daß zumindest unter den Verbündeten der NATO ein Krieg praktisch und faktisch unmöglich ist. Es wäre nichts logischer, als aus der bisherigen Zusammenarbeit die Konsequenz zu ziehen, daß dieses System, das einen Krieg unter den Vertragspartnern unmöglich macht, auf alle weiteren Nationen dieser Erde erstreckt werden könnte.
Herr Kollege Gerstenmaier hat heute mittag geäußert, daß ein wiedervereinigtes Deutschland innerhalb der NATO eine andere Stellung einnehmen könnte als heute; ich habe ihn sicherlich nicht falsch verstanden. Aber ich möchte es von mir aus noch dahin ergänzend kommentieren, daß meine politischen Freunde und ich keine Zweifel darüber haben, wie eine solche Entscheidung auch nach einer Wiedervereinigung ausfallen würde. Es ist deswegen bedenklich, wenn der Kollege Ollenhauer — und ich sage das ohne jedes Ressentiment gegenüber dem Kollegen Ollenhauer — kürzlich auf einer Pressekonferenz geäußert hat, es sei sehr fraglich, ob auf die Dauer die NATO die Sicherheit des Westens garantieren könne. Dies ist nur eine Außerung, die man gewiß nicht überbewerten und dramatisieren soll, aber sie steht, Herr Kollege Öllenhauer, im Widerspruch zu dem — und das muß ich feststellen —, was Sie anläßlich Ihrer Reise nach Nordamerika in den Staaten geäußert haben. Ich meine, wir sollten gerade in der derzeitigen Situation alles vermeiden, was etwa von unserer Seite aus den Eindruck erwecken könnte, als ob wir heute schon darauf brennten, endlich mal wieder etwas anderes zu haben. Es ist ja diese ewige Unruhe im Deutschen, ständig etwas anderes zu wollen und der Ansicht zu sein, daß die Dinge in eine andere Richtung gelenkt werden müßten. Ich glaube also, nicht zu übertreiben, wenn ich sage: Wir können uns bei den augenblicklichen Verhältnissen durchaus sicher und geborgen im Schoße dieser NATO fühlen und wir können großzügig über manche Dinge hinwegsehen, die uns dann und wann nicht passen. Es isst nun einmal auch unter Freunden nicht nur eitel Liebe und Freude.
Herr Kollege Schmid+ hat in der gestrigen Debatte um den Verteidigungshaushalt geäußert, die Regierungsparteien bzw. die Bundesregierung hätten es bisher aus bestimmten Gründen unterlassen. die westdeutsche Bevölkerung über den wirklichen Stand ihrer Sicherheit aufzuklären. Ich habe schon Gelegenheit genommen, von dieser Stelle aus dieser Auffassung zu wider-
sprechen. Aber um auch hier die volle Wahrheit zu sagen, ist es notwendig, festzustellen: diese Sicherheit der westdeutschen Bevölkerung sieht so aus, daß jenseits der Elbe bis an die Zähne bewaffnete Einheiten stehen, die über schwere Waffen und Flugzeuge in einem Umfang und einer Stärke verfügen, daß, glaube ich, manchem deutschen Bundesbürger das Grauen kommen würde, wenn er sich die Mühe machte, sich mit diesen Dingen wirklich zu beschäftigen. Unsere Sicherheit ist auch in dem begründet, was sich in den vergangenen Monaten in Ungarn abgespielt hat, was ich hier nicht neu zitieren möchte.
Eins möchte ich noch sagen: es steht denjenigen, die uns von der anderen Seite aus gezeigt haben, wie es um unsere Sicherheit bestellt ist, schlecht an, wenn sie, die gleichzeitig eine Serie eigener Atombombenversuche anstellen, Drohnoten an andere Staaten und darunter an uns senden.
Das muß auch ausgesprochen werden. Es wird hier immer so viel von Vorleistungen gegenüber dem Osten gesprochen. Ich stelle die konkrete Frage an die Verfechter dieser Auffassung: welche Vorleistung oder welche Gegengabe im Falle einer Forderung von der anderen Seite ist der westdeutschen Bevölkerung oder Regierung bisher vom Osten schon gegeben worden? Mir ist keine einzige bekannt. Die Forderungen sind immer nur von der anderen Seite gekommen; die leeren Versprechungen sind von der anderen Seite gekommen. In keinem einzigen Falle ist bisher gesagt worden: Wenn ihr das und das tut und erfüllt, werden wir euch das und das dafür geben.
Insbesondere vermissen wir ja allesamt schmerzlich vom Osten ein Wort über die Wiedervereinigung. Wir beschränken uns im allgemeinen darauf, uns gegenseitig — manchmal auf Grund parteipolitisch verschiedener Ansichten — Vorwürfe darüber zu machen, daß es mit der Wiedervereinigung nicht vorangeht. Ich frage Sie: wo sind die Vorschläge aus dem Osten zur Wiedervereinigung? Es sei denn das Angebot, die soziale Gesellschaftsordnung von drüben zu übernehmen oder überhaupt diesen Staat zuerst anzuerkennen und ihn dann in seiner Gesamtheit mit allem als den unseren zu betrachten. Das ist aber für uns kein Angebot. Das weiß der Osten, er muß es wissen, und deswegen meine ich, daß wir alle Veranlassung hätten, derartige Drohnoten, noch dazu, wenn sie unter solchen Umständen bei uns abgeliefert werden, an die Absender zurückzureichen. Beim Osten liegt es, jetzt einmal seinerseits guten Willen zu zeigen. Ich bedaure — ich sage auch das ohne jedes Ressentiment und stelle es nur fest —, daß der Kollege Mellies im Zusammenhang mit der Russennote geäußert hat, die Dinge, die darin enthalten seien, müßten unterstrichen werden und seien im übrigen eine Bestätigung für die Konzeption der Sozialdemokratischen Partei.
In diesem Zusammenhang kann es nicht ausbleiben, daß auch ein Wort über die Sicherheitspolitik schlechthin gesagt wird, die von der Opposition in der Vergangenheit geführt worden ist. Wir haben uns — ich möchte das auf derselben Basis tun, wie es bisher der Fall gewesen ist — den ganzen Tag mit allen möglichen Argumenten auseinanderzusetzen gehabt. Aber ich muß hier feststellen, daß der Kollege Schmid, der sehr fundiert und auch sehr zu Herzen gehend gesprochen hat und sich zum Zeugnis auf sein Gewissen berufen hat, uns
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die Antwort auf die Frage, welches nun wirklich die Sicherheitspolitik der sozialdemokratischen Fraktion ist, schuldig geblieben ist.
Ich glaube überhaupt, daß die sozialdemokratische Opposition in der Verteidigungsfrage in der Vergangenheit oftmals sehr verschlungene Wege gegangen ist. Ich erinnere daran, daß sich die Bundesregierung jahrelang größte Mühe gegeben hat, die europäische Integration und die Souveränität für unseren eigenen Staat zu erreichen. Damals hat die Sozialdemokratische Partei der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen ständig Vorwürfe gemacht und hat gesagt, das seien Vorleistungen, die durch nichts gerechtfertigt seien. Damals galt es aber, sich mit Freunden zu arrangieren und zu verbünden. Heute stellt die Sozialdemokratische Partei die Forderung nach Vorleistungen an diese Regierung. Sosehr wir alle selbstverständlich die Heimkehr unserer Kriegsgefangenen begrüßen, es kann nicht geleugnet werden, daß der Kreml uns damals praktisch erpressen konnte. Eine weitere Vorleistung wäre die, daß wir die Handelsbeziehungen ohne jede Gegenleistung einfach aufnehmen, nur um gut Freund zu sein. Noch eine weitere Vorleistung wäre die, daß wir in Sachen Verteidigungspolitik auch nur in etwa Konzessionen machen, die zu dem führen müßten, was Professor Pascual Jordan ausgeführt hat, nämlich zum Selbstmord unseres eigenen Landes.
Ich kann nur feststellen, daß trotz aller Vorleistungen, die die Bundesrepublik auf den verschiedensten Gebieten bereits erbracht hat, nichts erreicht worden ist, was uns dazu berechtigt, anzunehmen, daß etwa durch weitere und größere Vorleistungen etwas erreicht werden könnte. Wir sollten aber das, was wir im eigenen Land haben, nicht durch einen solchen Zickzackkurs gefährden. Meine Freunde und ich glauben, daß der bedingungslose und einseitige Verzicht der schlechteste Weg ist, da er weder zur Sicherung unseres Staates noch zur Wiedervereinigung unseres Vaterlandes führen kann.
Meine Freunde und ich glauben darüber hinaus, daß es eher — das ist unsere Auffassung von der Opposition; sie kann anders handeln, das steht ihr selbstverständlich frei — Aufgabe der Opposition wäre, die Regierung dessen zu zeihen, daß sie bereit ist, Vorleistungen zu geben, ohne zugleich handfeste Gegenleistungen erwarten zu können.
— Bitte, Herr Kollege, lassen Sie mich doch aussprechen!
— Herr Kollege Schmidt, ich bitte Sie, mich aussprechen zu lassen. Ich möchte nicht die Atmosphäre stören, die heute hier gewesen ist, und bitte auch Sie, das nicht zu tun.
Ich möchte zur Frage der Wiederbewaffnung zurückkehren und noch feststellen, daß sich die Opposition, mit der ich mich als Vertreter der Rechten auseinanderzusetzen habe, damals nur zögernd bereit erklärte, überhaupt einer Wiederbewaffnung zuzustimmen, aber in einer Form, die auf ein kleineres, modern ausgerüstetes Berufsheer abgestellt war. Dabei erkenne ich ausdrücklich an, daß diese Entscheidung aus staatspolitischem Bewußtsein gefaßt wurde, und ich erkenne auch ausdrücklich an, daß die Herren Vertreter der Opposition, die mit diesen Dingen maßgeblich zu tun haben, ein gutes Stück Arbeit geleistet haben. Sie haben damals — sicherlich mit Recht — die modernste Ausrüstung für eine solche kleine Armee gefordert. Sie haben aber niemals — nehmen Sie auch das bitte lediglich als Feststellung einer Tatsache, und ich sage es ohne jedes Ressentiment —gefordert, daß diese modern ausgerüstete kleine Armee nicht mit atomaren Waffen ausgestattet werden dürfe. Vielmehr haben ihre Sprecher und haben ihre offiziellen Organe wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß nur so eine Bewaffnung überhaupt einen Sinn und einen Zweck haben könne. Ich darf vielleicht, Herr Präsident, ein kurzes Zitat bringen —