Rede von
Dr.
Erich
Mende
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen Herren! Ich erlaube mir, die Auffassung der Fraktion der Freien Demokratischen Partei zur vorliegenden Großen Anfrage und zur Regierungserklärung darzulegen. Lassen Sie mich zunächst mit einigen Bemerkungen zur formellen Seite der heutigen Debatte beginnen und dann in die materielle Wertung eintreten.
Als der Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaler sich in seiner Eigenschaft als Mitglied dieses Hauses zum Rednerpult begab, habe ich immer noch gewisse Bedenken gehegt, ob es gut ist, daß der zweite Mann dieses Staates, der Parlamentspräsident, sich in den politischen Meinungsstreit begibt. Ich ;gehöre zu denen, die trotz mancher Enttäuschung in .den acht Jahren parlamentarischer Tätigkeit hier im Bundestag immer noch an eine geistesgeschichtliche Grundlage des heutigen Parlamentarismus glauben. Bei manchen Entwertungen der modernen Parlamente ist immer noch das Parlament der höchste Träger der Souveränität in der parlamentarischen Demokratie und soll es bleiben, und sein Präsident als der zweite Mann soll tunlichst über allem Streit stehen.
Der Präsident hat auch in Verfolg dieser Tendenz zweieinhalb Jahre nicht das Wort ergriffen. Ich muß nunmehr nach der Rede des Abgeordneten Dr. Gerstenmater sagen: ich bin ihm dankbar, daß er nach zweieinhalb Jahren diesem Parlament ein Beispiel dafür gegeben hat, wie man in diesem Hause argumentieren soll.
Seit Stunden — und das hat der amtierende Präsident soeben bestätigt — empfindet nicht nur dieses Haus, empfindet auch das Volk, das durch die Mittel der Technik daran teilnehmen kann, daß die geistige Grundlage des Parlamentarismus jener diskursive Vorgang von Rede und Gegenrede, von Argument und Gegenargument ist mit dem Ziel, die relativ beste und richtigste Lösung zu finden. Absolute Lösungen gibt es nur im Bereich der exakten Wissenschaft. Was in der Politik jeweils die richtige Lösung ist ,das bestimmt erst viele Jahre oder Jahrzehnte später ,das Urteil der Geschichte. Was wir tun können, ist nur, um die relativ beste Lösung zu ringen tin der Hoffnung, daß sie dann auch die absolut richtige im Urteil der Geschichte sein wird.
Der Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei hat vor Wochen in einer Rede in SchwäbischHall, im Wahlkreis des Bundestagspräsidenten Dr. Gerstenmaier, darauf hingewiesen, daß diese
Schicksalsfrage Ides deutschen Volkes nicht Gegenstand des Wahlkampfes sein darf. Denn es geht hier urn mehr als um die Frage, welche Kombinationen und Koalitionen nach dem 15. September möglich sind. Es geht hier wahrlich um die Frage des Überlebens unseres Volkes und der Menschheit in dieser apokalyptischen Schau, die die Technik vor uns aufrichtet. Ich teile völlig die Auffassung meines verehrten Herrn Vorredners und sehe sie als eine Bestätigung des Bundesvorsitzenden Dr. Reinhold Maier, ebenfalls eines Schwaben, der im gleichen Schwäbisch-Hall dazu die gleiche Auffassung vertrat.
Hat der Bundestag immer in der gleichen Form debattiert, wie wir es heute tun? Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige kritische Bemerkungen an uns alle richten. Wie oft hat man an die Stelle sachlicher Argumentationen politischpersönliche Diffamierungen gesetzt, und wie oft hat man leider versucht, Argumente zu entwerten durch Abwertung der Personen, die sie vorgetragen haben. Und dann gab es jeweils das hysterische Geschrei auf dieser oder auf jener Seite. Der Verlierer im Ansehen der öffentlichen Meinung war jedesmal der ganze Deutsche Bundestag.
Es ist erfreulich, daß wir heute, jedenfalls bisher, nicht rückfällig geworden sind.
Hat der Bundestag auch rechtzeitig mit dem genügenden Ernst die Frage, die heute zur Debatte steht, behandelt? Wie leidenschaftliche Debatten haben wir um das Ladenschlußgesetz geführt, um jenes blamable Gesetz des 2. Deutschen Bundestages! Wie hat das Haus die Frage erregt, ob im Rahmen eines Preistreibereiparagraphen im Wirtschaftsstrafrecht der Staatsanwalt die Brötchenpreise als angemessene oder unangemessene Preise nachkalkulieren darf! Die Schicksalsfrage, die heute zur Debatte steht, mußte leider erst von außen an dieses Haus herangetragen werden.
Im Grunde genommen verdanken wir die Mobilisierung der öffentlichen Meinung, verdanken wir diese Auseinandersetzung, die längst überfällig ist, jener Aktion der deutschen Wissenschaftler, jenem Göttinger Manifest; wir verdanken sie jenen aufrüttelnden Worten Albert Schweitzers, wir verdanken sie dem Appell Seiner Heiligkeit des Papstes Pius XII.
Welche Reaktion hat es gegeben, als sich die Wissenschaftler an die Öffentlichkeit wandten? Der Herr Bundeskanzler hat heute vormittag einige Erläuterungen gegeben, die uns nicht befriedigt haben. Bei aller Verehrung, die jedermann schon aus Gründen des Respekts vor der physischen Leistung des Herrn Bundeskanzlers empfindet, aber, Herr Bundeskanzler, so durften auch Sie nicht im ersten Arger — die Presse verzeichnete, daß Sie diese Aktion sehr ärgerlich zur Kenntnis nahmen — 18 hochverdiente deutsche Wissenschaftler werten! Hoffentlich war es nur ein Mißverständnis, aber die gesamte Darstellung, wie sie die Presse brachte, war leider ¡die einer abwertenden Reaktion, die man bei Ihnen nun einmal festgestellt zu haben glaubte. Wäre es vielleicht nicht besser gewesen, daß der in diesem Augenblick neben Ihnen stehende Berater — ich weiß nicht, wer das war; mancher erfreut sich hoher, mancher weniger hoher Gunst — Ihnen jenes Wort Voltaires auf einem Zettelchen zugesteckt hätte: „Ich mißbillige schärfsten das, was Sie sagen, aber ich will das Recht, daß Sie es sagen dürfen, mit meinem Leben verteidigen." Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß nach den Erklärungen des Kanzlers niemand mehr den Verdacht hat, daß durch derartige sofortige Reaktionen etwa die Meinungsfreiheit bei uns relativiert werden sollte.
Noch etwas schärfer war die Reaktion bei dem mir persönlich sehr sympathischen und schätzenswerten, ich möchte einahe sagen, Jahrgangskollegen, dem Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß. Bei aller Nachsicht, die wir lin den Vierzigern verdienen — man hat natürlich nicht die Zügelung des Temperaments eines Achtzigjährigen oder der verehrten Frau Kollegin Lüders —, mir schien die Reaktion des Verteidigungsministers falsch zu sein, als er die Erklärung der Atomwissenschaftler als — sei es auch fahrlässige, unbewußte — Schützenhilfe für die kommunistische Propaganda werten zu können glaubte. Man muß sich daran gewöhnen, daß auch 'eine andere und eine dritte und eine vierte Auffassung in Deutschland vertreten werden kann, ohne daß eine Seite allein für sich das Monopol beansprucht, antikommunistisch zu handeln. Es wäre gefährlich, wenn bei uns die Tendenz überhand nähme, CDU gleich Staatspartei gleich Demokratie gleich Staat und Kritik an der CDU -gleich Kritik an diesem Staat zu setzen, und wenn man diese Kritik in die Nähe verfassungsfeindlicher oder kommunistischer Umtriebe rücken wollte. Das gilt ebenso, wenn eine andere Partei in der gleichen Mehrheit ein ähnliches Monopol für sich beanspruchen wollte.
Wir freuen uns, daß die öffentliche Meinung doch ein Faktor ist. Wenn jemals ein Beweis dafür angetreten werden konnte, so ist er angetreten. Die öffentliche Meinung wirkt regulierend und korrigierend. Es stimmt, was der ebenfalls in Göttingen tätig gewesene Professor Leonard Nelson einmal gesagt hat: Der beste Anwalt des Kleinen, des Unterdrückten, des Schwachen ist die öffentliche Meinung. Die öffentliche Meinung hat es zuwege gebracht, daß die ersten harten Reaktionen des Herrn Bundeskanzlers, des Herrn Verteidigungsministers und der CSU-Korrespondenz, die heute hier schon zitiert wurde, erheblich verändert wurden und man auf eine wesentlich ruhigere Beurteilung des Schrittes der 18 Professoren und der anderen zurückwich.
Uns Freie Demokraten interessiert in diesem Zusammenhang auch eine Frage zum Formellen. Wir haben einen ehrenwerten Mann, der für das Ressort der Atomenergie die Verantwortung trägt. Ich weiß im Augenblick nicht, ob er Mitglied des Hauses ist. Aber er ist Bundesminister und Mitglied dieser Regierung. Ich weiß, daß dieser Herr Bundesminister sehr mannhaft in seiner Fraktion seinen Standpunkt vertreten hat. Dafür gebührt ihm unsere Hochachtung.
Wie wäre es, wenn auch das Haus die abweichende Meinung seines Ressortministers zu dieser Fachfrage erfahren könnte?
Der Bundeskanzler bestimmt die Richlinien der Politik. Aber innerhalb dieser Richtlinien bestimmt jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbst verantwortlich. Der ehrenwerte Herr Bundesatomminister Professor Dr. Balke ist im Sinne des Grundgesetzes und des Eides, den er geleistet hat, auch diesem Haus verantwortlich, und wir sollten hören, was er uns in dieser Schicksalsfrage zu sagen hat.
Nun zu der materiellen Frage! Bei dieser Gelegenheit werde ich auch ,die von dem Herrn Vorredner, dem Abgeordneten Dr. Gerstenmaier, an die Freien Demokraten gestellten Fragen beantworten. Wir Freien Demokraten haben, anders als die Sozialdemokraten, die Verträge in diesem Haus mit angenommen. Wir stehen zu ihnen und würden, wenn wir noch einmal in der gleichen Situation wären, nicht anders handeln. Wir haben seit 1949 den Beitritt zum Straßburger Europarat, zur Montanunion, zur EVG, die an der Assemblée Nationale scheiterte, zur Westeuropäischen Union und zur NATO mitverantwortet und wir bleiben bei dieser Verantwortung. Wir haben in Verfolg dieser Verpflichtung auch sämtliche Wehrgesetze — mit einer Ausnahme — in diesem Haus mit angenommen und wir haben sämtliche Haushalte, die zum Aufbau der Bundeswehr Milliarden beitrugen, mit unseren Stimmen ebenso verantwortet, wie wir auch den in den nächsten Tagen zur Debatte stehenden Haushalt des Bundesverteidigungsministers, Einzelplan 14, annehmen werden.
Sie sehen also: unsere Opposition ist anders als die der Sozialdemokraten. Die Sozialdemokratische Partei hat seit 1949 all diese Verträge abgelehnt. Es gibt also hier keine Opposition als bundesrepublikanischen Oppositionseintopf, sondern wir legen darauf Wert — und die Sozialdemokraten wie der BHE legen mit Recht darauf Wert —, daß sich unsere Opposition von ihrer unterscheidet. Insofern ist die Frage, die Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier stellte, ebenso unrichtig gewesen wie die Gleichsetzung unserer Entschließung mit der Entschließung der Sozialdemokratischen Partei. Wäre sie gleich, dann hätten wir uns deren Entschließung angeschlossen. Im ersten Absatz allerdings stimmen wir ihr ebenso zu, wie der Herr Bundestagspräsident selber es getan hat. Da gibt es hoffentlich in diesem Hause überhaupt keinen Streit.
Wir haben auch bei den Debatten um das Wehrpflichtgesetz, um die Fragen der ganzen Gestaltung unserer Bundeswehr und der Grundgesetzergänzungen immer betont — und das gilt auch heute noch —, daß wir für unsere neue Bundeswehr in Gliederung, Ausrüstung und Bewaffnung das Modernste haben wollen, das wir bekommen können. Darum haben wir im Verteidigungsausschuß den Panzerkauf verhindert, der die deutschen Divisionen für Jahre hinaus zum Schrottabladeplatz all des alten Geräts gemacht hätte, das man anderswohin nicht verkaufen kann.
Deswegen gehen wir jetzt auch in der Flugzeugbeschaffung andere Wege.