Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Erler, Sie lassen keine Chance aus. Aber da wir es heute schon mit Weltstrategie und mit existentiellen Fragen der Menschheit zu tun haben, sollen Sie auf Ihre Frage auch eine offene Antwort haben. Ich sehe nicht, warum man dem nicht zustimmen soll. Wenn meine Fraktion anderer Meinung ist, dann werde ich das hinzunehmen wissen; aber hier vertrete ich jedenfalls das, was ich in dieser Sache für richtig halte.
Ich kann mir vorstellen, daß es andere begründete Auffassungen gibt. Ich denke z. B., daß sich der Herr Außenminister darüber nicht ganz so ungehindert und ungeschützt äußern möchte, wie ich das tue. Aber ich mache hier von meinem Recht als Abgeordneter Gebrauch. Sehen Sie, Herr Kollege Erler, das ist — das zu sagen möchte ich mir doch nicht verkneifen - wirklich der Vorteil der repräsentativen Demokratie — Grundgesetz Artikel 38 —; von dem wollen wir doch auch einen Genuß haben. Ich wende ihn an und sage: so wollen wir das machen!
*) Siehe Anlage 3
Mit Freuden habe ich auch gehört, daß der Herr Vizepräsident des Roten Kreuzes heute hier dem Haus gesagt hat, daß das Rote Kreuz — ich nehme an: das Internationale Rote Kreuz — in New Delhi ein Verbot der Atomwaffen in seine Konvention aufzunehmen beabsichtigt. Ich würde auch das begrüßen, wie wir überhaupt denkbar frei und offen alles tun sollten, was immer irgendwo in der Welt dazu angetan ist, um dieser fürchterlichen Bedrohung der Menschheit sei es die Kanten zu nehmen, sei es sie wirklich zurückzudrängen. Sicher wird das mit dem Verbot der Atomwaffen in der Rotkreuzkonvention nicht getan sein. Sicher bleibt bei uns, bei den Politikern, und den Staatsmännern der internationalen Politik doch die weitaus größere und schwerere Verpflichtung und Verantwortung. Aber man soll auch das Kleine nicht versäumen, wenn man das Große will. Ich glaube jedenfalls, daß in diesen Vorschlägen vernünftige Ideen stecken und daß der Herr Bundeskanzler sie aufnehmen könnte und an ihre Verwirklichung herantreten könnte kraft des Vertrauens, das er in der freien Welt genießt.
Aber da wir schon beim Herrn Bundeskanzler sind, erlauben Sie mir doch noch eine Bemerkung zu der Diskussion von heute früh. Bei dieser Diskussion ist mir eine Bemerkung eingefallen, die auch Herr von Weizsäcker neulich hier vor den Bonner Studenten getan hat. Herr von Weizsäcker hat nämlich kürzlich gesagt, daß gegen die Richtigkeit des politischen Kalküls des Herrn Bundeskanzlers gar nichts einzuwenden sei.
Aber der Herr Professor hat geltend gemacht, der Einwand der Achtzehn sei aus dem Glauben hervorgegangen, daß die Welt mit dem politischen Kalkül allein vor der atomaren Selbstvernichtung nicht zu retten sei und daß es Dinge gebe, die nicht zum Gegenstand eines politischen Kalküls gemacht werden dürften.
— Meine Herren, ich würde doch hier Beifall empfehlen, jetzt nicht für den Sprecher, sondern für den Herrn von Weizsäcker.
Denn wer könnte Herrn von Weizsäcker darin nicht zustimmen? Ich möchte es jedenfalls tun.
Aber ich möchte mir erlauben hinzuzufügen: Es darf auch nicht vergessen werden, daß genau dasselbe, was die Achtzehn für sich, ihr Gewissen, die Sorgsamkeit ihrer Überlegung in Anspruch nehmen, auch wir nicht minder für uns und unsere Überlegung in Anspruch nehmen können.
Heute früh hat der Herr Kollege Schmid gesagt, man könne doch zu den Achtzehn das Zutrauen haben, daß sie politisch richtig handelten. Gewiß, Herr Kollege Schmid, warum nicht? Warum sollen die Achtzehn nicht zu dieser politischen Konsequenz kommen?
— Man hat es ihnen abgesprochen? Ich habe es ihnen nie abgesprochen!
— Ich bin also jetzt in diesem Augenblick wirklich kein Bundestagspräsident, aber ich fühle mich in der gleichen Situation, hier den Unterschied betonen zu müssen, obwohl mir nicht deutlich geworden ist — —
— Hören Sie, ich bin Ohrenzeuge der Erklärung gewesen, die der Herr Bundeskanzler in Eichholz abgegeben hat. Ich muß wirklich sagen, ich habe es nicht für eine gute Sache gehalten, daß irgend jemand in der Presse behauptet hat, der Herr Bundeskanzler hätte die Achtzehn abgekanzelt. Das ist nicht der Fall gewesen. Er hat sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß die Leute nicht von der Empfehlung des Bundesverteidigungsministers Gebrauch gemacht haben und zu ihm gekommen sind. Ich sehe nicht, warum er das nicht tun sollte. Ich fand in dieser — —
— Nein, meine Damen und Herren, ich fand in dieser Haltung — das muß ich dann doch sagen — nun wirklich nichts Unehrerbietiges von seiten des Mannes, der die Richtlinien der Politik bestimmt, gegenüber den Vertretern der deutschen Kunst, des deutschen Geistes und der Wissenschaft.
Aber damit Frieden und Klarheit ist: Ich sage ausdrücklich, ich stimme mit dem Herrn Professor Carlo Schmid darin überein, daß ich auch nicht einsehe, warum man zu den Achtzehn nicht das Zutrauen haben sollte, daß sie politisch richtig handelten.
Aber, Herr Kollege Schmid, indem wir das so aussprechen, sagen wir noch lange nicht, daß jede andere politische Konsequenz nicht ebenso sittlich verantwortet, nicht ebenso gründlich überdacht sei.
Man kann zu den Achtzehn durchaus dieses Vertrauen haben und dennoch zu total anderen politischen Ergebnissen kommen;
denn andere Leute haben ihr eigenes Gewissen, und das braucht nicht schlechter zu sein, und sie haben ihr eigenes politisches Denken, das auch nicht schlechter zu sein braucht. Kurz und gut, so kommen Menschen zu verschiedenartigen Konsequenzen.
Ich glaube also nicht, daß wir uns an diesem Punkt noch länger das Leben schwermachen sollten. Wir beabsichtigen in keiner Weise, in irgendeiner Hinsicht irgendeinem deutschen Staatsbürger
— selbst wenn er noch nicht einmal den hohen Rang eines Atomphysikers oder eines Nobelpreisträgers hat — das Recht auf ein politisches Urteil abzusprechen. Wir werden auch dem ärmsten deutschen Knecht nicht absprechen, daß er seine Meinung sagt, selbst wenn er sie nicht so artikuliert und so formvollendet vortragen kann, wie es die Achtzehn getan haben. Nur keine Diskreditierung! Das einzige, was wir möchten: wir möchten damit nicht selber diskreditiert werden, Herr Kollege Schmid.
— Nein, Sie haben es nicht getan, das habe ich ausdrücklich gesagt; aber ich möchte nun, daß wir
uns über diesen Punkt verständigen und uns dabei keine Schwierigkeiten bereiten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur sagen, daß das, was der Atomphysiker von Weizsäcker unser „politisches Kalkül" nennt, natürlich nicht nur der Ausdruck einer taktisch-rationalen Überlegung ist, einer Überlegung, die beliebig gewechselt werden könnte. Nein, dieses „politische Kalkül" ist der auch von uns unablässig geprüfte Ausdruck — es fällt mir etwas schwer, das hier zu sagen —, es ist der geprüfte Ausdruck des Gewissensernstes, mit dem wir es uns nicht leicht machen, unsere Politik zu treiben.
Und es ist auch der Ausdruck — ich glaube, meine Herren, das sollten Sie akzeptieren, selbst wenn unsere Konsequenzen falsch wären — eines Friedenswillens und es ist der Ausdruck eines Rechtsbewußtseins, in dem wir mit Ihnen einig sind. Es ist der Ausdruck eines Friedenswillens und eines Gewissensernstes, von dem ich glaube, daß er dem unserer Kritiker nicht nachsteht.
Wir achten jeden Ausdruck des Gewissensernstes und sind bereit, jeden Vorschlag für einen besseren Weg zum Frieden der Welt, zur Freiheit und Einheit Deutschlands zu prüfen. Aber, meine Damen und Herren, wir reichen unsere Hand zu nichts, was nach unserer Überzeugung dazu angetan ist, den Zusammenhalt der freien Welt zu gefährden, Deutschland zu isolieren und es der Gefahr der Versklavung zu unterwerfen,
und das möglicherweise auch noch, ohne die Welt in Tat und Wahrheit von der Angst vor dem Atomtod damit befreien zu können.
Darum sind wir den Verlockungen zu einfacheren, zu leichteren, zu populäreren Wegen in dieser Frage der Freiheit und des Lebens jedenfalls mit dem Maß an gewissenhafter Vorsicht und Verantwortung gegenübergetreten, das uns hier noch mehr als sonst geboten scheint. Wir haben daran auch - und wir werden das auch in Zukunft tun — die Macht gewagt, die uns das Vertrauen des deutschen Volkes im Jahre 1949 und im Jahre 1953 gegeben hat.
Das gebieten Pflicht und Gewissen in einer parlamentarischen Demokratie auf jeden Fall. Denn welchen Sinn hätte sie, wenn die Nation nicht davon überzeugt sein könnte, daß ihre Regierung und 'die Kräfte, die sie tragen, nicht nur das scheinbar Populäre und Leichte tun, sondern das, was dem Volk auf die Dauer nach unserer Überzeugung allein zum Segen gereicht?
Die apokalyptische Vision des Atomtodes dieser Erde könnte dazu führen, daß die Menschheit in der Tat verzagt und resigniert, daß sie sich mit der Unabwendbarkeit einer solchen Entwicklung abfindet und ihr den Lauf läßt. Nun, es steht nirgends geschrieben, daß diese unsere Erde ewig grünen werde. Die meisten großen Religionen und großen Denksysteme der Menschheit treffen sich im Gegenteil in der Annahme der Endlichkeit unserer Welt. Doch dies liegt bei Gott. Sein ist Plan und Zeit. Wir können nur sagen: Solange wir
auf dieser Erde wandeln, sind wir entschlossen, in treuer Liebe zu allem, was heranwächst, zu unseren Kindern, zu unseren Freunden, zu Tier und Pflanze, alles daranzusetzen, um die Gefahr zu bannen, die menschlicher Geist und Wille heraufbeschworen haben.
Meine Damen und Herren! Heute geht es in diesem Hause nicht darum, den Beschluß zu fassen, die Bundeswehr mit Atomwaffen auszustatten. Heute geht es darum, der Angst zu widerstehen, die nach uns greift und die uns den Blick verdunkeln will für die Möglichkeiten — die realen Möglichkeiten —, die Deutschland in der Gemeinschaft der freien Welt heute gegeben sind. Freiheit, Frieden, Abrüstung, Einheit für uns und die friedenswilligen Völker der Welt — das alles sind doch keine Traum- und Truggespinste! Nein, das sind reale Möglichkeiten für uns und für unsere Kinder. Aber sie müssen — darin stimmen wir völlig überein — verwirklicht werden. Sie werden — das ist unsere Überzeugung, und darin trennen sich, glaube ich, heute unsere Wege — nicht verwirklicht
wenn wir Beschlüsse fassen, mit denen wir heute nichts, gar nichts gewinnen können, sondern mit denen wir uns einstweilen nur selber im Wege stünden.
Und die Einheit Deutschlands — nun, wir haben oft vielleicht etwas zu formelhaft gesagt: in Frieden und Freiheit. Ja, in Frieden, nicht anders denn in Frieden! Auch darum Abrüstung, Abrüstung auf der ganzen Linie und mit möglichst radikalen Konsequenzen! Aber auch in Freiheit, darum keine einseitige Abrüstung, kein Verzicht ohne klare greifbare Gegenleistung der anderen Seite!
Meine Damen und Herren, zu Beginn des Sommersemesters 1867, also vor genau 90 Jahren, hat
der Professor Jacob Burckhardt an der Universität
Basel in dem Vorlesungsverzeichnis seiner Universität eine der großen Vorlesungen angekündigt,
die nachmals seinen geschichtlichen Ruhm begründet haben. Jacob Burckhardt sagte damals:
Hier kommt es darauf an, wie unsere Generation Probe halten wird. Es können Zeiten des Schreckens und tiefsten Ernstes kommen. Wir möchten gern die Welle kennen, auf welcher wir im Ozean treiben. Allein wir sind diese Welle selbst. Aber zum Untergang ist die Menschheit noch nicht bestimmt, und die Natur schafft so gütig wie jemals. Wenn aber beim Elend noch ein Glück sein soll, so kann es nur ein geistiges sein: rückwärts gewandt zur Rettung der Bildung früherer Zeit, vorwärts gewandt zur heiteren und unverdrossenen Vertretung des Geistes in einer Zeit, die sonst gänzlich dem Stoff anheimfallen könnte.
Das war vor 90 Jahren. Nun, wenn die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union heute im Anblick noch größerer Gefahren gefragt wird nach dem tragenden Grund ihrer Politik und nach ihrem Gewissen in dieser Frage, dann kann sie diesem Wort Jacob Burckhardts nur hinzufügen, daß sie des Glaubens ist, daß Gott es den Aufrichtigen gelingen läßt, die die gerechte Sache ihres Volkes vertreten möchten. So jedenfalls gedenkt die CDU/CSU Probe zu halten.