Es tut mir leid, lieber Herr Kollege Strauß, daß Sie sich bei Ihrer Rede am 31. Januar nicht mit diesen Einschränkungen ausgesprochen haben, sondern mit einer Allgemeinheit, die ich bedauere.
Kollektive Sicherheit und Abrüstung werden wir nicht erreichen, solange die gegenwärtige Weltspannung dauert. Die Frage ist, ob wir etwas dazu beitragen können, diese Weltspannung zu vermindern, oder ob wir nicht diese Weltspannung vielleicht noch vergrößern, wenn auch wir zu einer Atommacht werden wollen.
Da erhebt sich doch die Frage, ob man nicht Anregungen wie die im Eden-Plan enthaltenen ein wenig ernster nehmen sollte, als es bisher geschehen ist.
Da sollte man sich fragen, ob einem die Erklärung von Präsident Eisenhower aus den letzten Tagen über eine neutrale Zone in Europa nicht vielleicht Anlaß geben sollte, das politische Konzept, von dem wir ausgehen wollen, neu zu durchdenken.
Wir sollten es tun. Es könnte sich lohnen. Auch die Wiedervereinigung Deutschlands steht ohne jede Frage in engstem Zusammenhang mit Abrüstung und kollektiver Sicherheit. Ich gehe vielleicht noch ein bißchen weiter als mein Freund Erler und sage
etwas, was mich nicht populär zu machen geeignet ist: daß ich der Meinung bin, daß die Wiedervereinigung Deutschlands nur als Folge einer allgemeinen Einigung der Großmächte wird zustande kommen können,
ihrer Einigung über die Neuverteilung der Machtverhältnisse in der Welt. Das ist ein hartes, ein brutales Wort; aber ich glaube, es ist die Wahrheit. Eine solche Einigung wird nicht zustande kommen, ohne daß vorher — auch mit den Deutschen — eine Vereinbarung über den politischen und militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands erfolgt ist.
Darüber sollte man sich wohl einig sein. Das macht aber dann die Behauptung von der Entscheidungsfreiheit einer deutschen Regierung nach der Wiedervereinigung zu einer Illusion.
Wir dürfen die Verhandlungen in London über die Abrüstung nicht dadurch stören, daß wir nunmehr auch zu einer Atommacht — wenn auch nur zu einer Atommacht mit taktischen Atomwaffen — werden wollen. Es sind in London gewisse Anzeichen einer Bereitschaft zum allmählichen Abbau der Rüstungen zu bemerken. Zur atomaren Abrüstung kann nur raten, wer selbst durch sein Verhalten dartut, daß er keine atomaren Waffen will.
Wie gesagt, ich glaube nicht, daß wir morgen zur Abrüstung und zur kollektiven Sicherheit kommen werden. Ich bin überzeugt, daß wir nur über sehr langwierig zu durchschreitende Etappen werden dahinkommen können. Aber wir können heute vielleicht schon gewisse Teilziele angehen. Ein solches erreichbares Teilziel scheint mir der Verzicht der Atommächte auf Versuchsexplosionen zu sein,
einmal um der biologischen Folgen willen, die uns alle betreffen können und die wir auch dann unseren Entscheidungen zugrunde legen sollen, wenn wir glauben, daß diese biologischen Folgen nur Angehörige fremder Völker treffen.
Es gibt aber, glaube ich, noch einen anderen Grund dafür, es für nützlich zu halten, daß mit diesen Probeexplosionen Schluß gemacht wird. Wenn es gelingen sollte, eine Vereinbarung darüber herbeizuführen, dann wird der erste Einbruch in den Aberglauben der Zwangsläufigkeit der Atompolitik geschehen sein. Wenn dieser Einbruch einmal geschehen ist, dann haben wir den archimedischen Punkt, an dem wir den Hebel weiter ansetzen können. Selbst wenn er ein einarmiger Hebel bleiben sollte, werden wir damit die Dinge dieser Welt vielleicht ein wenig weiter zum Guten hin bewegen können als geistern und heute.
Ich gehe so weit, folgende Feststellung zu treffen. — Hier spreche ich ganz für meine Person, nicht für meine Fraktion und für niemanden als für mich. — Ich bin der Meinung, daß der Westen auch einseitig ,auf ,diese Versuchsexplosionen verzichten sollte.
Es gibt nämlich eine politische Wirkung der spontanen moralischen Aktion aus sich heraus auch auf das Volk der .Sowjetunion!
Es hat sich schon manchmal gezeigt, daß das chinesische Sprichwort wahr spricht, wenn es sagt: Es gibt Zeiten, in denen das Weiche stärker ist ails das Harte.
Ich meine, daß wir in einer solchen Zeit leben. Spontaneität ist schon manchmal mächtiger gewesen als das bloße Rechnen mit sich !immer steigernden Größenordnungen. Bei diesem System kann jeder den anderen treiben, ibis er .die Flucht nach vorne antritt, und was das heißt, das wissen wir.
Ich möchte hier mit Erlaubnis des Präsidenten aus einer weisen Rede des Herrn Bundeskanzlers zitieren. Ja, Herr Bundeskanzler, die Rede, die Sie am 7. Oktober 1954 gehalten haben, war eine weise Rede:
Frieden, meine Damen und Herren,
— hat der Herr Bundeskanzler gesagt —
muß erarbeitet werden, Frieden muß mit Konsequenz und mit Zähigkeit und mit ruhiger Überlegung herbeigeführt werden, und der Frieden muß auch verteidigt werden — nicht mit den Waffen des Krieges, sondern mit den Waffen der, Gesinnung und den Waffen ,des Beispiels.
Nun, ein solches Beispiel hat die Bundesrepublik in London gegeben,
— fährt er fort
als sie erklärt hat, daß sie auf den Gebrauch
dieser fürchterlichen Waffen der Massenvernichtung,
— den Gebrauch, nicht nur die Herstellung, den Gebrauch! —
die allein doch schließlich auch Sowjetrußland schrecken könnten, verzichte ,und sich einer besonders strengen Kontrolle, daß dieser Verzicht innegehalten wird, zu unterwerfen bereit sei. Sagen Sie nicht: „Das hast du leicht sagen! Ihr habt ja gar nicht die Möglichkeit, weder finanzieller noch physikalischer Art!" Um chemische Waffen herzustellen, braucht man keine solch besonderen Möglichkeiten, urn biologische Waffen herzustellen, braucht man sie ebenfalls nicht; und wie es einmal mit der Entwicklung der Atomwaffen werden wird, das wissen wir jetzt auch noch nicht. Aber, meine Damen und Herren, die Bundesrepublik ist hier beispielhaft vorangegangen,
und ich glaube, das ist ein überzeugender Beweis für das, was wir wollen: Frieden in Europa und in der Welt.
Ich betone, daß ich diese Rede des Herrn Bundeskanzlers für eine weise Rede halte. Ich sage das ohne jeden Sarkasmus. Ich betone aber auch, daß der Herr Bundeskanzler in dieser Rede nicht nur die Herstellung, sondern auch den Gebrauch solcher Waffen absolut — und nicht nur relativierend — der Bundesrepublik versagt hat und darauf hingewiesen hat, welch gutes Beispiel das Vorangehen — also das einseitige
spontane Handeln vor den anderen — auf diese anderen haben könnte. Ich frage: Warum will er denn diese Weisheit nicht auf seine heutige Politik anwenden?
Die Bundesregierung sollte politisch und diplomatisch im Sinne dieser Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers aktiv werden. Es gibt hier Vorbilder, z. B. Japan. Auch der Papst hat sich in diesem Sinne geäußert, wenn auch natürlich nicht mit dem scharfen politischen Akzent, den ich hier anschlage. Das kann und darf er in seiner Stellung wohl nicht.
Man sagt, die Bundesrepublik sei nicht frei in den Entscheidungen. Lord Ismay, der es wissen muß, hat uns erklärt, daß kein Staat gezwungen sei, seine Truppen atomar auszurüsten, und auch kein Staat gezwungen sei, auf seinem Gebiet die Stationierung von Atomwaffeneinheiten dritter Staaten zu dulden. Wir können also, wenn wir wollen, handeln. Norwegen, Dänemark haben gehandelt. Vorhin wurde der 'dänische Ministerpräsident zitiert — ein schönes, ein mannhaftes Wort, eines Wikingers würdig.
— Es gibt auch sozialdemokratische Wikinger. Allerdings waren die nicht Mitglieder des WikingBundes. —
Sie haben eins bei Ihrem Zitat vergessen, Herr Verteidigungsminister: daß Herr Gerhardsen nur von Raketen gesprochen hat und nicht von den atomaren Sprengköpfen. — Doch, ich habe die Äußerung auch gelesen. Norwegen und Dänemark haben der Lagerung atomarer Waffen auf ihrem Gebiet nicht zugestimmt.