Rede von
Dr.
Ludwig
Ratzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokratische Partei hat sich bereits frühzeitig dafür eingesetzt, daß gemeinsame europäische Anstrengungen auf dem Gebiet der Atomenergie ermöglicht werden. Der Vorsitzende der Sozialdemokratie hat am 17. und 18. Januar des vergangenen Jahres in Paris die Entschließung mit unterzeichnet, welche die Gründe für eine gemeinsame Erklärung zu diesem Thema darlegte. Daß der Deutsche Bundestag bereits am 22. März des vergangenen Jahres diese gemeinsame Erklärung des Aktionskomitees sich zu eigen machte, war nicht zuletzt auf die Initiative der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses zurückzuführen.
Unser Eintreten für eine Europäische Atomgemeinschaft zur Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke ist in einer Reihe von Überlegungen begründet. Nicht nur für die anderen europäischen Staaten, sondern auch für uns selber wird die Dekkung des steigenden Energiebedarfes aus den — wenn ich so sagen darf — klassischen Energieträgern ein immer schwierigeres Problem. Die ausreichende Versorgung mit Energie ist aber eine unabdingbare Voraussetzung für die Steigerung des Lebensstandards der breiten Schichten der Bevölkerung. Die europäischen Völker, die einmal in Wissenschaft und Technik führend waren, sind hinter den USA, der Sowjetunion und in geringerem Maße auch hinter Großbritannien zurückgeblieben, vor allem was die Anwendung dieser neuen Erkenntnisse betrifft. Sie können, jedes einzelne Volk auf sich allein gestellt, diesen Vorsprung — das dürfte entscheidend sein — auch nicht mehr einholen, da die Entwicklung der Kernenergie die Kraft kleinerer Völker sowohl in materieller als auch in personeller Hinsicht übersteigt. Gemeinsame Anstrengungen liegen deshalb im Interesse eines jeden einzelnen Volkes.
Die auch bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie möglichen Gefahren, insbesondere die Gefahren durch Steigerung des Strahlenpegels, machen eine möglichst breite internationale Zusammenarbeit notwendig. Kontrollen hinsichtlich der Strahlengefahren, die sich nur auf ein Staatsgebiet erstrecken, sind nicht ausreichend. Das gilt im besonderen Maße für unsere Verhältnisse in Europa. Schließlich ist es auch die Unüberschaubarkeit der Folgen, die sich aus der Anwendung der Kernenergie ergeben können, die nach Meinung aller verantwortlich denkenden Menschen eine lückenlose Kontrolle des spaltbaren Materials notwendig macht. Das ist unserer Auffassung nach nur möglich, wenn sich die Kernbrennstoffe nicht in privater Hand befinden.
Eine Europäische Atomgemeinschaft, die sich auf die ausschließlich friedliche Nutzung der Kernenergie beschränkt, stellt für niemanden eine Bedrohung dar, und das ist für uns auch ausschlaggebend. Wir glauben, daß im Gegenteil durch sie manche Spannungen und Ursachen von Spannungen und Konflikten beseitigt werden.
Ich darf noch einige Bemerkungen zur Frage des Energiebedarfs machen. Der Energiebedarf in der Welt steigt immer mehr. Das hat verschiedene Gründe: Ausweitung der Produktivität, Zunahme der Bevölkerung und Beteiligung neuer Völker an der industriellen Entwicklung. Was Westeuropa betrifft, so gibt es keinen Zweifel, daß die Lücke zwischen Energiebedarf und Energieangebot ständig größer wird. Der Schließung dieser Lücke müssen wir volle Aufmerksamkeit widmen. Wir sind aber durchaus nicht der Meinung, daß man dieses Problem dramatisieren muß. Man soll versuchen, einen vernünftigen Maßstab zu finden, insbesondere deshalb, weil die Entwicklung der neuen Energie gewisse Vorsichtsmaßnahmen notwendig macht; ein allzu rasches Tempo könnte hier schädlich sein. Es kommt hinzu, daß die Hauptenergiequelle, die Kohle, in immer größerem Maße als chemischer Rohstoff benutzt wird. Deshalb sollten hier rechtzeitig vorausschauende Maßnahmen getroffen werden.
Über diese Energielücke für Europa haben wir gerade in diesen Tagen von einem Bericht der drei Atomweisen gehört, die angeben, daß augenblicklich die Energielücke nahezu 100 Millionen t Steinkohleeinheiten ausmacht, daß sie 1965 etwa 200 und 1975 gar 300 Millionen t Steinkohleeinheiten betragen soll. Man mag sich über die Genauigkeit dieser Zahlen im einzelnen noch streiten. Man kann der Auffassung sein, hier liegen etwas zu pessimistische Schätzungen vor. Aber am Vorhandensein dieser Energielücke ist nicht zu zweifeln, und wir wissen, was diese Lücke bedeutet. Das gilt nicht nur für Westeuropa insgesamt, sondern das gilt auch für die Bundesrepublik; auch bei uns bestand 1955 eine Energielücke, und zwar von 21 Millionen t Steinkohleeinheiten. Sie soll nach An-
gaben des Bundeswirtschaftsministeriums 1965 bei einem Gesamtbedarf von 245 Millionen 45 Millionen t betragen. Ich glaube, wir sind uns alle im klaren darüber, daß diese ständig wachsende Energielücke unsere Aufmerksamkeit erfordert und daß sie ein vorausschauendes Handeln notwendig macht.
Nun zu den der Gemeinschaft zugewiesenen Aufgaben! Ich darf vielleicht einige Worte über die Frage der gemeinsamen Forschung sagen. Wie aufwendig die Atomforschung ist und daß sie die Kraft von Nationalstaaten unserer Größenordnungen übersteigt, wissen wir. Deshalb ist es notwendig, daß gemeinsame Forschung betrieben wird, weil wir einfach sonst nicht in der Lage sind, mit den großen Atommächten Schritt zu halten.
Interessant ist in diesem Zusammenhang der Artikel 5 des Vertrags. Dort sind die Grundsätze niedergelegt. Da heißt es, daß die Kommission auf noch unzureichend erforschte Gebiete hinweisen soll, daß sie darüber hinaus in regelmäßigen Veröffentlichungen berichten und durch Stellungnahmen von überflüssiger Doppelarbeit abraten soll.
Das halten wir im Hinblick auf die Zweckforschung zweifellos für richtig. Aber wir können nicht umhin, in diesem Zusammenhang an eine Debatte zu erinnern, die wir hier vor einigen Wochen anläßlich unseres Gesetzesantrags betreffend einen Deutschen Forschungsrat geführt haben. Ich glaube, das, was wir damals vorgeschlagen haben, war viel vorsichtiger und viel freiheitlicher formuliert als das, was in den Verträgen vorgesehen ist. Dort hat man dann von „Dirigismus" gesprochen. Dieses Wort haben wir heute wieder gehört. Es ist ein Modewort geworden,
wenn man irgend etwas, was man mit guten Gründen nicht ablehnen kann, mit einem solchen Schlagwort beseitigen will.
Wir begrüßen es auch, daß gemeinsame Ausbildungsstätten — auch eine solche, die Universitätscharakter hat — vorgesehen sind. Wir haben gerade vor einiger Zeit Gelegenheit gehabt, das europäische Kernforschungsinstitut in Genf zu besichtigen. Wir konnten sehen, daß dort eine wirklich gute Zusammenarbeit möglich ist, obwohl es sich nicht um 6, sondern sogar um 12 europäische Staaten handelt. Wir stellen ja eigentlich dadurch, daß wir eine gemeinsame Forschung betreiben wollen, nur einen Zustand wieder her, der gerade auf dem Gebiet der Atomwissenschaft bis 1933 in Europa bestanden hat. Wir wissen, daß die großen Fortschritte auf dem Gebiet der Atomenergie zwischen 1900 und 1933 gerade durch die europäische Zusammenarbeit erreicht worden sind, sei es in England unter Rutherford, in Kopenhagen unter Bohr oder in Paris unter Madame Curie.
Was die patentrechtlichen Bestimmungen betrifft, so glaube ich, daß bei der Schwierigkeit dieser Materie in den Ausschußberatungen über die einzelnen Bestimmungen und ihre Bedeutung Aufschluß erreicht werden muß. Aber wir bedauern es, daß in dem Vertrag Geheimhaltungsvorschriften sind, die es ermöglichen, daß ein einzelnes Land, ein einzelner dieser sechs Staaten aus militärischen Gründen die Geheimhaltung fordern kann. Der Verzicht auf die ursprüngliche Absicht, daß nicht nur die Gemeinschaft, sondern auch die einzelnen Mitgliedstaaten sich ausschließlich auf die friedliche Verwendung der Kernenergie beschränken sollten, ist in jeder Hinsicht zu bedauern. Durch eine solche Beschränkung wäre unseres Erachtens nicht nur der Schaffung von Vertrauen in der Welt ein großer Dienst geleistet worden, sondern wir sind der Meinung, daß dadurch die Chance, den Vorsprung der großen Atommächte aufzuholen, wesentlich größer gewesen wäre. Die militärischen Anstrengungen des einen oder anderen Landes auf dem Atomsektor verhindern doch mit Sicherheit eine Konzentrierung der Kräfte auf dem Gebiete der friedlichen Nutzung. Die Fachkräfte der Kernenergie, die sicherlich nicht allzu dicht gesät sind, werden ebenso absorbiert wie die materiellen Mittel. Wir begrüßen es deshalb in diesem Zusammenhang auch, daß die 18 führenden deutschen Atomwissenschaftler ihrerseits erklärt haben, sie setzten sich nur für die friedliche Atomforschung ein. Wir wollen hoffen, daß sie darüber hinaus nicht nur in Deutschland, sondern auch im Gebiet der Gemeinschaft und in der übrigen Welt Nachahmung finden.
Es würde uns aber interessieren, welche Haltung die Bundesregierung in dieser Frage eingenommen hat, nämlich auf die Bestimmung zu verzichten, daß nicht nur die Gemeinschaft, sondern auch die einzelnen Mitgliedstaaten auf die militärische Anwendung verzichten.
Ein wichtiger Punkt in dem Aufgabenbereich der Gemeinschaft ist der Gesundheitsschutz. Herr Kollege Geiger hat bereits ausgeführt, daß er eine internationale Zusammenarbeit in möglichst großem Rahmen erfordert. Das gilt für die europäischen Verhältnisse in ganz besonderem Maße. Wir wissen, daß auch die friedliche Anwendung der Atomenergie nicht ohne Gefahren ist. Wir wollen die Dinge gar nicht übersteigern; aber es ist notwendig, daß hier von Anfang an eine vernünftige Weichenstellung vorgenommen wird, daß man dafür sorgt, daß wir nicht zu einem ähnlichen Zustand gelangen, wie wir ihn auf dem Gebiet der Luft- und der Gewässerverunreinigung haben. Dabei ist den Gewässern eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Wir sind der Meinung, daß die in Aussicht genommenen Mindestnormen anfänglich vielleicht ruhig etwas schärfer sein können, weil wir auf diesem Gebiet noch nicht über konkrete und endgültige Erfahrungen verfügen, wie uns ja von den Sachverständigen ausführlich dargelegt wurde.
Weiterhin sind wir der Meinung, daß auch die Haftungsbestimmungen in dem Vertrag von Bedeutung sind und daß hier — es ist ja vorgesehen, daß zwei Jahre nach Inkrafttreten Richtlinien zu erlassen sind — solche Maßnahmen getroffen werden sollten, daß die Abdeckung der Schäden in jedem Falle die gleiche ist, unabhängig davon, auf welchem Territorium sich der Verursacher befindet.
Es ist auch eine Aufgabe der Gemeinschaft bzw. der Kommission, regelmäßige Veröffentlichungen mit hinweisenden Programmen zu machen, insbesondere hinsichtlich der Ziele für die Erzeugung von Kernenergie und der im Hinblick hierauf erforderlichen Investitionen. Wir haben dieser Tage das Programm der „drei Weisen" kennengelernt. Sie hatten einen Auftrag, ein solches Programm zu erarbeiten. Wenn wir die in diesem Programm angegebenen Zahlen betrachten, wird uns, glaube ich, klar, daß einiges auch an finanzieller Beanspru-
chung auf uns zukommt. Dieses Programm sieht vor, daß bis 1967 15 000 Megawatt zu installieren sind. Sowohl nach den Angaben, die man aus dem Programm der englischen Regierung ausrechnen kann, als auch nach den Angaben der „drei Weisen" selbst bedeutet dieses Programm, daß bis 1965 etwa eine Summe von runden 30 Milliarden DM zu investieren ist. Die englischen Zahlen geben darüber hinaus auch Aufschluß, daß ein Kraftwerk von der Leistung 250 Megawatt 450 Millionen DM kostet — das ist ganz grob umgerechnet, aber in der Größenordnung sicherlich eine richtige Zahl —, und die Erstausstattung mit Kernbrennstoffen für ein solches Kraftwerk kostet 100 Millionen DM.
Es kommen auch noch andere Investitionen auf uns zu, die nicht minder umfangreich sind. Eine Isotopentrennanlage — und eine solche wird ja im Bereich der Gemeinschaft sicherlich errichtet werden — kostet nach einem Bericht der OEEC, wenn sie 1000 t Uran im Jahr verarbeiten soll, 1 Milliarde bis 1,3 Milliarden. Nun, das sind Zahlen, die zeigen, wie hoch die Belastungen sein werden. Ich glaube, es ist in diesem Zusammenhang der Hinweis nicht uninteressant, daß im Jahre 1956 die gesamte westdeutsche Industrie an Netto-Anlageinvestitionen nur 8 Milliarden DM ausgegeben hat.
Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage: Wie will die Privatwirtschaft diese Kosten tragen? — Wir sind der Meinung, daß hier doch in erster Linie die öffentliche Hand, d. h. die Gesamtheit der Steuerzahler, die Leistungen aufzubringen hat.
Trotzdem sind unseres Erachtens der privatwirtschaftlichen Initiative auf diesem Gebiet große Möglichkeiten gegeben. Ich brauche nur an den Bau und die Entwicklung der Reaktoren selbst zu erinnern oder an die Dampfturbinen oder an die elektrischen Anlagen und Kontrolleinrichtungen. Da ergibt sich für die private Industrie ein weites Feld der Betätigung.
In diesem Zusammenhang ist ein Bericht der „Deutschen Zeitung" vom 13. März dieses Jahres nicht uninteressant, der über Amerika berichtet und die Überschrift trägt „Private Atommeiler nicht gefragt". Nach diesem Bericht finden amerikanische Geschäftsleute die Suppe der Atomwirtschaft noch sehr heiß und wollen zum Erstaunen der amerikanischen Regierung und des amerikanischen Volkes keine Pionierarbeit leisten, zumindest nicht mit eigenen Finanzmitteln. So weit die „Deutsche Zeitung". Frage: Wird die europäische Wirtschaft risikofreudiger sein als die amerikanische?
— Ich habe bei der Beratung in Frankfurt, Herr Kollege Hellwig, in einer Unterhaltung mit Vertretern der chemischen Industrie nicht den Eindruck gehabt, daß diese Industrie sehr risikofreudig ist. Sie war noch nicht einmal willens, 3 Millionen DM für die Gefährdungshaftung aufzubringen.
Sie hat generall eine Staatshaftung gefordert.
— Ja, ich glaube, das ist eine altbekannte Tatsache.
Nun, ich meine aber, angesichts der Lasten und Risiken, die die Allgemeinheit bei der Entwicklung der Kernenergie auf sich zu nehmen und zu tragen hat, ist ein Anspruch auf Privateigentum an Kernbrennstoffen zumindest in absehbarer Zeit noch nicht gerechtfertigt. Entscheidender noch dürfte jedoch bei der Frage des Eigentums die besondere Gefährlichkeit der spaltbaren Stoffe sein und der unübersehbare Umfang möglicher schädlicher Auswirkungen ihres Mißbrauchs in bezug auf die äußere und innere Sicherheit der Staaten sowie auf die Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung. Sie haben in allen Staaten, welche auf dem Gebiet der Erforschung und Nutzung der Kernenergie Fortschritte erzielt haben, zu einem solchen Maße an einschränkenden Vorschriften öffentlich-rechtlichen Charakters im Hinblick auf den Gebrauch und die Nutzung dieser Stoffe geführt, daß der herkömmliche zivilrechtliche Eigentumsbegriff für diese Stoffe so gut wie völlig seine praktische, insbesondere wirtschaftliche Bedeutung verloren hat.
Ich habe jetzt nicht etwa eine sozialdemokratische Begründung gegeben, sondern ich habe aus der Begründung der Bundesregierung zu den Verträgen vorgelesen. Wenn man diese Begründung mit der Begründung des Atomgesetzentwurfes vergleicht -- wo man immer gesagt hat: wir brauchen eine privatwirtschaftliche Betätigung; daß in Amerika oder in England die öffentliche Hand so engagiert ist, beruht nur auf der historischen Entwicklung, also darauf, daß man dort im Kriege die Sache angefangen hat —, dann muß man doch offensichtlich den Eindruck haben, daß die linke Hand der Bundesregierung nicht weiß, was die rechte tut. Es ist ja in der deutschen Öffentlichkeit nicht unbekannt, daß auch der Herr Bundesatomminister dem Euratomvertrag wenig aufgeschlossen — um es etwas gelinde auszudrücken — gegenübersteht. Ich glaube, sein Verhältnis zum Euratomvertrag bringt der Bundesatomminister auch dadurch zum Ausdruck, daß er bei der Beratung dieses Vertrages, der ihn zweifellos auch angeht— denn hier wird ja das wirkliche Atomgesetz gemacht —, nicht anwesend ist.
Ich darf also feststellen, daß wir die Regelung der Eigentumsfrage im Euratomvertrag begrüßen, weil sie den Verhältnissen in den USA und in Großbritannien entspricht und sich dort bewährt hat. Die Begründung der Bundesregierung zu dem Vertrag bestätigt nachträglich die Haltung der Sozialdemokratischen Partei.
Wir Sozialdemokraten wünschen auf alle Fälle, daß die Europäische Atomgemeinschaft nicht mit der militärischen Verwendung der Kernenergie belastet wird.
Die Bundesrepublik hat sich durch die Pariser Verträge verpflichtet, keine Atomwaffen herzustellen. Der Herr Bundesminister für Atomfragen hat im Atomausschuß und in der Öffentlichkeit wiederholt betont, daß in seinem Ministerium nur für die
Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken gearbeitet wird und daß er jede Arbeit an der militärischen Verwendung in seinem Ressort ablehnt. Er hat auch wiederholt die Atom- und Wasserstoffbombenversuche als Unfug bezeichnet. Ich glaube, hier können wir mit ihm einer Meinung sein. Wir wären natürlich noch mehr erfreut, wenn diese Äußerungen nicht vom Bundesatomminister, sondern vom Bundeskanzler gemacht worden wären.
— Kann ja noch kommen!? Wir lassen uns gern angenehm überraschen.
Der Art. 84 des Euratomvertrages sagt aus, daß sich die Sicherheitskontrolle nicht auf das besondere spaltbare Material erstreckt, das für die Zwecke der Verteidigung bestimmt ist, und nach Art. 86 ist es auch nicht Eigentum der Gemeinschaft. Ich möchte die Bundesregierung bitten, uns genau darüber aufzuklären, woher dieses besondere spaltbare Material kommt. Wir sind insbesondere daran interessiert, daß nicht irgendwo Fließgrenzen bestehen, so daß z. B. Plutonium, das in einem Reaktor im Bundesgebiet entsteht, auf dem Wege einer solchen Fließgrenze in ein militärisches Sondergerät, wie es da heißt, eingebaut wird. An der 'Beantwortung dieser Frage sind wir besonders interessiert.
Ich glaube, es ist bei der Vielfalt der in diesem Vertragswerk angeschnittenen Probleme nicht möglich, auf alle Dinge einzugehen. Ich möchte jedoch das, was mein Freund Birkelbach hinsichtlich des Wirtschafts- und Sozialausschusses gesagt hat, noch einmal unterstreichen. Wir sind daran interessiert, daß dieser Ausschuß, dem Vertreter der verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Gruppen angehören, einen Einfluß darauf hat, daß die Entwicklung der Atomenergie in diesem Rahmen des Sechser-Europas der gesamten Bevölkerung zugute kommt.
Nun noch einige wenige Bemerkungen zur Frage „Euratomvertrag und Atomgesetz". Zweifellos bestehen zwischen dem Atomgesetz und dem Euratomvertrag gewisse Zusammenhänge, Berührungspunkte und Überschneidungen. Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen hat in seiner Antwort auf die Große Anfrage der FDP sehr vorsichtig formuliert: „Zwischen dem Entwurf des Atomgesetzes und der Verpflichtung im Rahmen von Euratom bestehen keine Unvereinbarkeiten." Nun, damit ist doch wohl gesagt, daß hier noch einiges abzustimmen und zu vereinbaren ist. Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß das Atomgesetz und der Euratomvertrag in ihrer Grundkonzeption schlecht miteinander zu vereinbaren sind. Auch ist es etwas eigentümlich, daß die Programmvorstellungen, die der Herr Bundesminister für Atomfragen entwickelt hat — er hat ausgeführt, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, daß bis 1965 etwa 500 Megawatt Leistung in der Bundesrepublik zu installieren seien —, so gar nicht mit dem Programm übereinstimmen, das von den drei „Atomweisen" entwickelt wird. Sie sind der Auffassung, daß bis 1965 insgesamt 15 000 Megawatt zu installieren seien. Das wäre immerhin, wenn nur 10 % auf die Bundesrepublik entfielen, was sicherlich zuwenig sein wird, schon das Dreifache von dem, was der Bundesatomminister in seinem Programm angibt. Man hat also den Eindruck, daß unter den Bundesministerien ein sehr schlechter Kontakt besteht.
Weiterhin sind wir Sozialdemokraten der Meinung — darüber werden wir uns bei der Beratung des Atomgesetzes noch zu unterhalten haben —, daß hinsichtlich des Gesundheitsschutzes die Formulierung des Euratomvertrags unbedingt in das Atomgesetz übertragen werden muß. Im Atomgesetz darf der Strahlenschutz nicht auf den Schutz gegen radioaktive Substanzen beschränkt, sondern muß generell auf ionisierende Strahlen erstreckt werden. Darauf müssen wir bestehen.
Ich darf abschließend zusammenfassen. Wir Sozialdemokraten halten gemeinsame Bemühungen möglichst vieler europäischer Staaten zur Schließung der Energielücke für notwendig und wünschenswert. Die Europäische Atomgemeinschaft kann ein erster Schritt in dieser Richtung sein. Es wird allerdings notwendig sein, daß die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Staaten und mit anderen Organisationen — ich denke an USA, England, OEEC und UNO — voll ausgeschöpft werden.
Da eine Europäische Atomgemeinschaft, die sich ausschließlich auf die friedliche Verwendung der Atomenergie beschränkt, für kein Land eiñe Bedrohung darstellt, gilt das auch für die Sowjetunion. Besonders die großen Atommächte sollten aus ihren eigenen Erfahrungen am besten wissen, daß die Entwicklung der Atomenergie wirtschaftliche, materielle und personelle Voraussetzungen fordert, wie sie eben in kleineren Staaten nicht gegeben sind.
Wenn es uns gelingt, in diesem Sechser-Europa und, wie wir hoffen, auch in dem größeren Europa die Atomenergie für friedliche Zwecke voll nutzbar zu machen, leisten wir nach unserer Meinung einen Beitrag dazu, daß Spannungen beseitigt werden, die in der Welt wegen der Energieprobleme immer bestanden haben und gerade jüngst wieder von Bedeutung gewesen sind.
Wir werden der Prüfung des Vertrages im Ausschuß aufgeschlossen gegenüberstehen und voraussichtlich dem Vertrag unsere Zustimmung geben können.