Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ebenso wie mein Kollege Dr. Deist am 21. März möchte ich heute zum Ausdruck bringen, daß wir es sehr bedauern, keine Gelegenheit gehabt zu haben, als Parlament zu den vor-
liegenden Verträgen Stellung zu nehmen, bevor I sie eine endgültige Form erreicht haben.
Die Debatte am 21. März war Anlaß, wenigstens in zwei Punkten gewisse Anregungen für eine Verhandlung aufzugreifen, die vier Tage später zum Abschluß kam. Das zeigt sehr deutlich, daß es im Interesse des deutschen Volkes und insbesondere auch im Interesse der arbeitenden Bevölkerung gewesen wäre, die Verhandlungsposition der Regierung auch früher ein wenig mehr zu beleuchten und dabei diese und jene Tönung etwas besser herauszuarbeiten. Vielleicht wäre dann die Verhandlungsposition insgesamt gesehen auch ein wenig besser geworden.
Vor uns liegt ein Vertrag, der in Eile fertiggestellt worden ist, und wir haben zu ihm Stellung zu nehmen. Er ist im Augenblick nicht mehr zu ändern. Aber es ergeben sich als Konsequenz aus diesem Vertrag ohne Zweifel unmittelbar gesetzgeberische Notwendigkeiten in der Bundesrepublik, auf die ich nachher noch eingehen will. Wir werden angesichts der Entwicklungen, die dieser Vertrag in Gang setzen wird, auf einigen Gebieten Änderungen gewisser Gesetze ins Auge fassen müssen. Darüber hinaus wird Zug um Zug mit der Verwirklichung dieser Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Notwendigkeit bestehen, auch die Stellungnahmen, die jeweils im Ministerrat herbeizuführen sind, durch das Parlament zu beeinflussen. Es ist schon hier darauf hinzuweisen, daß das Parlament sich dieser Aufgabe nicht entziehen darf.
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat nicht erst nach dem zweiten Weltkrieg den Weg zu Europa gefunden. Sie hat schon immer die Auffassung vertreten, daß auf die Dauer nur ein vereintes Europa der freien, gleichen und gleichberechtigten Völker uns die Grundlagen für eine freiheitliche, rechtsstaatliche Ordnung geben kann. Es haben viele Gründe für den Zusammenschluß Europas gesprochen: die Beseitigung von Machtrivalitäten, die Herbeiführung eines Verhältnisses echter Freundschaft zwischen den Völkern, darüber hinaus die Auswertung gemeinsamer Hilfsquellen. Natürlich waren auch die wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Völker jeweils in Rechnung zu stellen. Wirtschaftliche Maßnahmen, wirtschaftliche Vorhaben boten erste Lösungsmöglichkeiten.
Wir haben uns insbesondere nach 1945, selbst in der Situation, als Deutschland noch am Boden lag, zur Solidarität der europäischen Völker bekannt. Wir haben anschließend alle Schritte unterstützt, haben alles getan, diese Solidarität auf der Basis der Gleichberechtigung zu untermauern. Ich erinnere an unsere Stellungnahmen zur OEEC, zur Entwicklung der Europäischen Zahlungsunion.
Ich möchte dabei allerdings betonen, daß wir immer wieder die Frage gestellt haben: Darf eine Wirtschaftsentwicklung in Europa begünstigt werden, die unter Umständen zu einer Integration der Bundesrepublik mit dem Rücken zur Zone führt? Das war die Grundfrage, die immer wieder untersucht wurde. Wir wollten keine Bindungen eingehen, die uns Auflagen machten, die vielleicht auch für ein entstehendes Gesamtdeutschland eine Bindung und eine Festlegung sein könnten. Aus diesem Grunde haben wir bei verschiedenen Gelegenheiten auch gegen den Mißbrauch der Bezeichnung „Europa" und „Europäisierung" für sehr einseitige Zwecke protestieren müssen. Ich erinnere dabei nur an die langen und langwierigen Verhandlungen um die Zugehörigkeit des Saargebietes zur Bundesrepublik, zu Deutschland. Wir sind glücklich, daß nunmehr diese Frage ausgeräumt ist.
Hier ist auch einiges zu der damaligen Idee des Schuman-Plans gesagt worden, zu der Zusammenfassung der Schwerindustrien und zu der Gestalt, die diese Idee in dem Vertrag über die Montan- union bekommen hat. Hier muß — um die Dinge richtig zu beleuchten — betont werden, daß es in der damaligen Zeit in den Bestimmungen des Schuman-Plans, wie sie nachher im Vertrag ihren Niederschlag fanden, immerhin eine gewisse Fortsetzung besatzungsrechtlicher Regelungen gab. So hätten sich insbesondere die Artikel 58 und 59 des Vertrags in bestimmten Situationen sehr schwerwiegend für die Kohlesituation in Deutschland auswirken können, und dies nicht nur in dem Sinn, daß die Kohle als eine Grundlage für eine eigenständige Wirtschaftsausweitung hätte von Bedeutung sein können, sondern auch in dem Sinn, daß die Kohle als ein Kompensationsobjekt — das spielte damals noch eine Rolle — in Handelsvertragsverhandlungen, in der Handelspolitik schlechthin einen bedeutenden Platz hatte.
Ich darf gleich anfügen: Wir sind glücklich darüber, daß die allgemeine Wirtschaftskonjunktur uns alle davor bewahrt hat, die Montanunion dieser Belastungsprobe ausgesetzt zu sehen, jener Belastungsprobe, die sich bei Beantwortung der Frage ergeben hätte: Wo liegen denn noch Möglichkeiten für eine autonome Konjunktur- und Beschäftigungspolitik in Deutschland, wenn Kohle und Stahl aus der unmittelbaren Zuständigkeit einer deutschen Bundesregierung herausgenommen sind?
Die Schwierigkeiten sind auch insofern überwunden worden — wir würden es heute deutlich spüren, wenn es nicht so wäre —, als durch die Europäische Zahlungsunion genügend Dollarmittel in die Kassen der Bundesrepublik geflossen sind. Daraus wird die Kohleeinfuhr finanziert, auf die unsere Wirtschaft heute angewiesen ist. Wenn sie auch zu höheren Preisen — Einstandspreisen — erfolgt, so ist immerhin dadurch eine echte politische Bewährungsprobe doch vermieden worden. In dem vorliegenden Vertrag sehen wir eine Möglichkeit, unter Umständen über diesen Engpaß hinaus-, aus dieser Situation herauszukommen. Wir werden das noch ein wenig näher untersuchen.
Hier liegen die Verträge. Sie werden einerseits politisch mit der Notwendigkeit, die Nationalstaaten zu überwinden, begründet, andererseits ökonomisch in erster Linie damit, daß man einen wirtschaftlichen Großraum entstehen lassen müsse, der keine Grenzen und keine Beschränkungen für den Verkehr von Menschen, Gütern und Kapital kennt. Daraus ergebe sich eine verbesserte Arbeitsteilung, eine verbesserte Ausschöpfung der Hilfsquellen, und das führe zu einer Steigerung der Produktivität und damit zur Voraussetzung auch für eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in diesem Bereich. So weit die ökonomische Begründung.
Zur wirtschaftspolitischen Seite möchten wir allerdings herausstellen, daß allein das Beseitigen von Grenzen noch keine Lösung ist, sondern daß
eine stetige Aufwärtsentwicklung auch auf wirtschaftlichem Gebiet nach unserer Auffassung durch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik mit dem Ziel der ständigen Beschäftigungsausweitung oder Beschäftigungssicherung und der Wohlstandshebung gewährleistet werden muß.
Nun haben wir in der Präambel des Vertrags und auch an einigen anderen Stellen Hinweise und Willensbekundungen, die in diese Richtung deuten. Aber wir haben im Vertrag selbst nur schwache Ansatzpunkte für eine solche bewußte Wirtschaftspolitik, ausgerichtet auf die Beschäftigungssicherung und die Wohlstandssteigerung. Die Frage, die wir stellen und um deren eingehende Beantwortung wir in den Ausschüssen bitten, geht in die Richtung: Hat die Bundesregierung die Ansatzstellen für eine solche gemeinsame Wirtschaftspolitik — in erster Linie Konjunkturpolitik — gestärkt? Hat sie einen Beitrag dazu geleistet, daß hier wirklich ein Fundament geschaffen wird, oder hat sie im Gegenteil Anregungen, die von anderer Seite kamen, noch abgeschwächt und damit dazu beigetragen, daß überhaupt nur Bruchstücke übernommen worden sind? — Das ist die Grundsatzfrage, die im Wirtschaftspolitischen zu stellen ist, und wir wüßten gern, aus welchen verschiedenen Vorschlägen heraus die Kompromißlösungen entstanden sind, die wir jetzt vor uns haben.
Wir haben schon vor Jahren die Rolle der OEEC und der Europäischen Zahlungsunion betont und haben herausgearbeitet, wie trotz ihres intergouvernementalen Charakters eine positive Arbeit geleistet werden konnte. Es hat dort zeitweise Situationen gegeben, die zu einer echten Solidaritätsbekundung einzelner Nationen geführt haben. Zeitweise war es nötig, dort auf die deutsche Wirtschaft besondere Rücksicht zu nehmen, und sie ist gewährt worden. Auf der anderen Seite hat es Situationen gegeben, in denen auch von der Bundesrepublik her gewisses entgegenkommendes Verhalten an den Tag gelegt werden mußte.
So ist hier nun die Frage zu stellen: Wie kann man unter Auswertung der praktischen Erfahrungen dieser Institutionen und in engster Zusammenarbeit mit ihnen im Rahmen der neuen Gemeinschaft eine solche gemeinsame Wirtschaftspolitik entwickeln? Dabei interessieren uns in erster Linie die Mittel und Wege, die es gestatten sollen, die Arbeitnehmer nicht nur vor eventuellen ungünstigen Auswirkungen der jetzigen Strukturveränderung, sondern unter Umständen auch vor den ungünstigen Auswirkungen zu schützen, die aus einer Abschwächung auf dem Weltmarkt entstehen können.
Ich möchte bei der ersten Lesung der Verträge nicht Einzelpunkte nacheinander vornehmen, sondern möchte Ihnen eine gewisse Vorstellung von den Kriterien vermitteln, die der sozialdemokratischen Fraktion dazu dienen werden, die Verträge zu beurteilen, und dann gewisse Schlüsse daraus ziehen. Dabei werden wir natürlich immer wieder die Frage stellen: Wird die Vereinigung Europas, wird eine Untermauerung auch des Lebens-. standards der freien Völker gesichert und gefördert, oder werden gewisse Entwicklungen durch diesen Vertrag vielleicht verbaut?
Die überragende Aufgabe, die wir sehen, ergibt sich nach unserer Auffassung daraus, daß ein größerer Wirtschaftsraum nicht in sich automatisch und auf die Dauer nur Expansionstendenzen bringen wird. Es wird vielmehr die Frage sein, ob es hier nicht ein Zentrum geben muß, ob es hier nicht Wirkungen geben muß, die diese Expansion durch eine bewußte Politik sicherstellen.
Ich möchte wieder betonen: wir stellen in Rechnung, daß auch die Weltkonjunktur nicht automatisch für alle Zeit gut sein wird. Vielleicht heißt es hier, die Sozialdemokraten sehen schwarz, deswegen bringen sie einen solchen Ton in die Debatte. Ob sich eine Regierung mit Arbeitslosigkeit, wenigstens einer Teilarbeitslosigkeit abfinden könnte, ist schlechthin die politische Grundfrage für freie Nationen. Diesen Möglichkeiten haben wir bereits in den jetzigen Arbeiten Rechnung zu tragen.
Die Vereinten Nationen haben in „World Economic Survey" aus dem Jahre 1955 gesagt, es wäre töricht, anzunehmen, daß das Problem, ein angemessenes langfristiges Nachfragevolumen zur Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung und der vollen Ausnutzung der Hilfsquellen zu sichern, bereits für immer gelöst sei. Diese Frage wird hier also offen gestellt. Ich darf vielleicht mit Genehmigung des Herrn Präsidenten auch eine Stellungnahme des Direktors des Ifo-Instituts in München, Herrn Dr. Langelütke, verlesen, die ebenfalls auf diese Frage als zentralen Punkt hinweist. Dort heißt es:
So sind in der letzten Zeit von der einen Seite sehr optimistische Meinungen laut ,geworden, etwa wie die des Belgiers Baudhuin und bei uns die von Professor Meinhold. Sie rechnen mit einer Prosperitätsperiode von weiteren
10 Jahren und mehr. Dieser Auffassung stehen pessimistische Beurteilungen gegenüber, wie die des bekannten amerikanischen Nationalökonomen Seymour E. Harris, von L. Albert Hahn und Colin Clark, sowie auch Paul Binder, der das Heraufziehen einer depressiven Phase nach seiner neuesten Schrift über „Die Stabilisierung der Wirtschaftskonjunktur" offenbar als bevorstehend oder wenigstens als möglich ansieht.
Diese Grundfrage sollte von uns nicht leichthin beantwortet werden. Wir sind deshalb der Meinung, daß dann, wenn sich die Nationalstaaten in bezug auf ihre eigne Wirtschaftspolitik gewisser Instrumente begeben, die Frage zu klären ist: Wo werden diese Zuständigkeiten wahrgenommen? Gibt es die entsprechenden Vorkehrungen? Gibt es die Sicherungen, die es gestatten, dieses Risiko zu übernehmen? Gibt es wenigstens die Ansatzpunkte dazu?
Vielleicht wäre eine wirklich durchschlagende Begründung dieser Wirtschaftsgemeinschaft zu finden, wenn man der Auffassung .stattgibt, aus einer solchen größeren Wirtschaftsgemeinschaft könnte doch dann, wenn gemeinsame Anstrengungen zur Konjunkturbeherrschung unternommen werden, ein viel stärkerer Impuls erwachsen, als von den einzelnen Nationalstaaten je ausgehen könnte. Es kommt nicht darauf an — darin sind sich die Wirtschaftswissenschaftler einig —, eine Konjunkturpolitik mit nachhaltigen Mitteln erst im Angesicht seiner Depression in Gang zu setzen, wenn sich schon gewisse Anzeichen dafür finden; man muß vorher, rechtzeitig vorher, die entsprechende Bereitschaft entwickeln, man muß die entsprechenden Methoden und auch die Maßnahmen soweit vorbereitet haben, daß sie alternativ jederzeit getroffen werden können.
Dabei ist zu beachten, ,daß Wirtschaftsschwankungen nicht rein rational zu erfassenden Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Es gibt hier dien Zusammenhang mit der Labilität menschlicher Verhaltensweisen, den Neurosen. Es sind also, und zwar jetzt, Umstände zu schaffen und in der öffentlichen Atmosphäre Maßnahmen vorzubereiten, die ein solches Verhalten ausschließen. Man darf sich nicht damit trösten: „Wir verlassen uns ,auf unser gutes Glück" und „das wird ja so nicht eintreffen", sondern das, was man an Anstrengungen unternimmt, muß überall die Überzeugung wachsen lassen: Es gibt wirksame Mittel und Wege, sie sind vorbereitet, diese Mittel können jederzeit eingesetzt werden.
Mein Vorredner, Herr Professor Dr. Furler, hat bereits betont, daß gerade die Bundesrepublik in dieser Beziehung eine durchaus labile Struktur hat, und angedeutet, wie schwierig es ist, für die Bundesrepublik allein auf diesem Stand des Beschäftigungsniveaus eine entsprechende Vorsorge zu treffen. Ich möchte ,das unterstreichen, möchte sogar noch weiter &hen. Herr Mendes-France hat in der Debatte ,in Frankreich, die sich mit diesem Gegenstand befaßte, gesagt: „Sehen Sie, warum soll eigentlich Frankreich sich einer solchen Gemeinschaft anschließen? Wir, die Franzosen, sind in früheren Weltkrisen viel besser durchgekommen als die übrigen Industrieländer; deswegen haben wir kein Interesse daran, ein solches Risiko zu übernehmen." Ich glaube, Herr Mendes-France macht seine Rechnung nicht richtig auf. Wenn nämlich in den Nachbarländern Frankreichs — trotz eines gewissen Wohlstandes in Frankreich — eine Depression zur Verelendung führte, wäre es auch mit der politischen Stabilität Frankreichs in der Welt sehr schlecht bestellt.
Weil es Überlegungen gibt, die in diese Richtung drängen, müssen wir uns alle ,die Frage vorlegen: Wo sind in diesem Vertrag ,die Ansatzpunkte? Und: Hat die Bundesregierung Beiträge dazu geleistet, diese Ansatzstellen zu verstärken, oder hat sie sich anders verhalten?
Nun glaube ich, daß wir in Deutschland zwar vielleicht in den Jahren 1950, 1951 und 1952 noch gewisse Grundlagen hatten, um eine eigenständige Beschäftigungspolitik zu betreiben. Allerdings sind hier durch die Entwicklung der letzten Jahre Niveaustände erreicht worden, die uns im Hinblick auf die inzwischen weitergeführte internationale Wirtschaftsverpflichtung zwingen, dieser Abhängigkeit — in erster Linie von ,außen — Rechnung zu tragen und unseren Beitrag dazu zu leisten, daß diese Abhängigkeit durch gemeinsame Handlungen mit anderen ,an einer Stabilität interessierten reduziert werden kann.
Ich sagte, die neue Gemeinschaft nimmt den nationalen Regierungen gewisse Instrumente. Ich verweise auf die Zollpolitik, auf die Handelspolitik, auf das Verbot der Subventionen, in erster Linie aber auch auf das Verbot der Diskriminierung. Das Verbot der Diskriminierung, das wir bejahen, hat zur Konsequenz, daß z. B. monetäre Mittel für eine Krisenbekämpfung in ihrer Wirksamkeit außerordentlich begrenzt worden sind und daß es deswegen ohne eine Abstimmung dieser monetären Politik überhaupt nicht mehr zu einer wirksamen Krisenbekämpfung kommen kann. Hier liegt nun wieder 'der Ansatzpunkt für die Frage: Wo ist im Vertrage die Verantwortung festgelegt?
Wenn wir uns 'den Wortlaut des Vertrages ansehen und auch gewisse Vergleiche zwischen dem französischen und dem ,deutschen Text anstellen, kommen wir zu der Vermutung, daß hier gerade von deutscher Seite immer wieder unter der Vorstellung, es könne sich so etwas wie ein Dirigismus einschleichen, versucht wurde, nun ,aber auch jede Vorsicht walten zulassen und ja nichts in Gang zu setzen, was unmittelbare Verpflichtungen zur Aufstellung von Programmen und Schaffung von Institutionen mit sich bringen könnte. Hier ist also noch keine Vorarbeit ,auf lange Sicht geleistet. Ich darf im Namen meiner politischen Freunde sagen. damit keine Mißverständnisse aufkommen: Auch wir — die Sozialdemokratische Partei — rechnen mit dem Anhalten der guten Wirtschaftskonjunktur, aber wir wollen vorbereitet sein und wissen, daß die Verantwortlichen vorbereitet sind.
Hier möchte ich die Stimme eines Herrn zitieren, die vor rund einem Jahr in Bad Godesberg erklungen ist, eines Herrn, den viele hier in ,diesem Saale doch etwas genauer kennen, des Herrn Dr. Günther Kaiser, der sich folgendermaßen geäußert hat — ich darf kurz zitieren —:
Meine Damen und Herren, seien wir uns doch klar darüber: letztens ist ein solcher Zollunionsvertrag auch nur ein Stück Papier. Wenn die Zahlungsbilanz Frankreichs oder Deutschlands als Folge einer extremen Gestaltung ,des Güterstromes ernstlich in Unordnung gerät, wenn einem Land das Wasser am Hals steht, dann platzt dieser Vertrag in kürzester Zeit auf. Deswegen sehe ich mit großer Sorge, daß die Herren, die diesen Vertrag mit so viel Mühe und Sorgfalt gemacht haben, es dem Zufall, dem guten Willen und der Vernunft der 'beteiligten Regierungen überlassen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß dieser Vertrag funktionieren kann, nämlich dafür zu sorgen, daß das Preisniveau, daß die Löhne, daß das Spiel von Angebot und Nachfrage sich in den einzelnen Ländern mit einem gewissen Gleichklang entwickelt.
Nun kann niemand entgegenhalten, daß gegen-
über der damals ins Auge gefaßten Fassung des Vertrages eine Verstärkung in der Richtung, wie sie Herr Kaiser wünschte, erfolgt sei. Im Gegenteil: nach unseren Einblicksmöglichkeiten gab es sogar eine Rückwärtsentwicklung. Vielleicht bleibt -
und wir würden hier einen eigenen Beitrag zu leisten haben — genügend Zeit, durch gemeinsame Arbeit auf internationaler Ebene das nachzuholen, was in diesem Vertrag noch nicht drinsteht. Nach unserer Auffassung erfordert das aber auf der deutschen Seite eine gewisse Veränderung der inneren Einstellung zu dem Gesamtproblem. Das ist außerordentlich wesentlich.
Eine solche Einstellung. wie sie vorherrschte und wie wir sie nicht aufrechterhalten möchten, zeigt sich auch 'deutlich bei der Analyse der Konstruktion der Investitionsbank oder des damals in Aussicht genommenen Investitionsfonds. Aus der Bank heraus wird wohl eine gewisse europäische Solidaritätshandlung überhaupt nur unter sehr schwierigen Bedingungen möglich sein. Es müssen außerhalb des Vertrages, zusätzlich zum Vertrag Lösungen für die Probleme gefunden werden, 'die nach unserer Auffassung eine gemeinsame Anstrengung aller sechs Länder erfordern..
Ich glaube, daß die Koordinierung von öffentlichen Großinvestitionen ein Beitrag zu einer Stabilisierung und auch zu einer Ankurbelung der Konjunktur sein kann. Wir zweifeln, ob es unter diesem Gesichtspunkt immer richtig ist, zu fragen: Wo kommen die Mittel her? Wer ist der Beitragspflichtige? Besteht nicht dabei vielleicht die Gefahr, daß die Bundesrepublik über Gebühr in Anspruch genommen wird? — In diesem Punkt glauben wir, daß die Gegenüberstellung von Heller und Pfennig bei Aufwand und Ertrag uns unter Umständen der Möglichkeit berauben würde, eine Gesamtausweitung ,der Wirtschaft durch gemeinsame Maßnahmen rechtzeitig in Gang zu bringen. Es kann hier Vorteile geben, ,die eben nicht in Heller und Pfennig festzulegen sind und die vielleicht gewisse Anreizfinanzierungen, gewisse zusätzliche Hilfen durchaus voraussetzen.
Ich .habe das betont, weil ich glaube, daß hier auch außerhalb des Vertrags Lösungsmöglichkeiten bestehen. Ich möchte zudem darauf hinweisen, daß alle diese Dinge natürlich nicht eine unmittelbare Verpflichtung bedeuten, ,dies und das in materieller Hinsicht, in bezug auf die Durchführung von Programmen jetzt zu tun. Alles, was ich damit betonte, war, daß hier ein Bereitsein, ein Bereitmachen, ein Vorbereiten notwendig ist.
Einen Punkt möchte ich noch hervorheben, nämlich ,die Notwendigkeit, sich auf Konsequenzen einzustellen, die — vielleicht auf kürzere Sicht — unmittelbar in Erscheinung treten werden. In erster Linie spielt da in unseren Vorstellungen die Möglichkeit eine Rolle, daß die Preisauftriebstendenzen in der Bundesrepublik gefördert werden könnten durch gewisse Entwicklungen infolge dieses Vertrages. Einfach deswegen, weil die Wechselkursrelationen nicht eindeutig und nicht realistisch sind. Wir sähen es gern, wenn in der Öffentlichkeit auch noch ein wenig näher die Frage diskutiert würde, ob die Schutzklauseln ausreichen, ob es nicht vielleicht überhaupt dazu kommen wird. daß am Anfang, wenn der Vertrag gerade in Gang kommt, der eine oder andere Partner schon gleich eine Ausnahmebestimmung anziehen und sich helfen muß. Ich denke vor allen Dingen an die Wirkung, die dabei von der inneren Einstellung zumindest der französischen Regierung ausgehen kann.
Meine Kritik richtete sich dagegen, daß von der Bundesregierung in bezug auf das unmittelbar Positive, in bezug auf die institutionellen und die programmäßigen Voraussetzungen nicht genügend getan worden ist, daß im Gegenteil sogar reduziert worden ist, wo es zu reduzieren ging. Ich glaube, daß eine solche Einstellung bei der Bundesregierung auch vorgeherrscht hat, soweit es um sozialpolitische Dinge ging; lassen Sie mich das ganz offen ausprechen.
Ich beginne mit der Behandlung des Sozialfonds. Hier war noch im sogenannten Spaak-Bericht die Vorstellung vorhanden: Wennschon durch diesen wirtschaftlichen Zusammenschluß gewisse Arbeitnehmergruppen zusätzlich Risiken auf sich zu nehmen haben, so ist damit Zug um Zug die Garantie zu schaffen, daß sie vor diesen Lasten unmittelbar und wirksam geschützt werden. Nun kann nicht bestritten werden: die Zollsenkungen, das Verbot von Beihilfen, das Verbot der Diskriminierung, das alles führt dazu, daß wenigstens in gewissen Gruppen von Unternehmungen Befürchtungen ,auftauchen werden, und manchmal werden sie sich als begründet erweisen.
Nach den jetzigen Bestimmungen über den Sozialfonds ist es doch wohl so, daß eine 50%ige Hilfe erst dann gewährt wird, wenn sich die betroffenen Arbeitnehmer bereits sechs Monate in einem neuen Beschäftigungsverhältnis befinden oder sechs Monate an einem neuen Ort tätig sind. Die Frage ist also offen, wie die Arbeitnehmer in der Zwischenzeit wirksam geschützt werden. Das könnte durch die deutsche Gesetzgebung geregelt werden, wenn man der Auffassung ist — und offensichtlich hat Idle Regierung diese Meinung —, daß die Schaffung eines internationalen Fonds nicht zweckmäßig sei. Die deutsche Regelung kann sich aber, das möchte ich betonen, keinesfalls auf eine Verweisung auf die jetzige Regelung im Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung beschränken. In den Ausschußberatungen muß das alles so weit vorgeklärt werden, daß den Arbeitnehmern Gewißheit gegeben ist.
Meine Damen und Herren, hier gibt es politische Gefahren, die nicht nur daran zu messen sind, welche finanziellen Aufwendungen zu machen wären. Wir haben in der Montanunion einmal an Ort und Stelle die Auswirkungen solcher Umstellungsmaßnahmen geprüft. Die Ausführung war, obwohl in der Montanunion ein Anpassungsfonds vorhanden ist, sehr schlecht; die Arbeitnehmer mußten eine Lohneinbuße bis zu 40 % hinnehmen.
Wir können uns auf keinen Fall solche Entwicklungen leisten, weil es sonst — wir haben es im Lyoner Becken erlebt — bei diesen Gruppen von Arbeitnehmern zu der Einstellung kommt: wenn das Europa ist, wenn es ,also auf unsere Kosten geht, wollen wir lieber nichts davon wissen.
Weil wir diese politische Gefahr sehen, müssen wir noch einiges andere an Garantien auf sozialpolitischem ,Gebiet fordern. Infolge der Einstellung der Bundesregierung sind diese Garantien nicht oder nicht genügend in :den Vertrag eingebaut worden. Ich möchte erklären, daß jeder von uns die Herstellung der Konkurrenzfähigkeit ablehnen würde, wenn sie ,auf besonders niedrigen Löhnen und Sozialleistungen beruhen müßte. Es müßten im Zusammenhang mit dem Vertrag Instrumente entwickelt werden. die es ermöglichen, zu beurteilen. ob und wo das der Fall ist. Es müßten dann Mittel vorhanden sein, solchen Zuständen entgegenzuwirken.
Im allgemeinen wird eingewendet, daß es selbst in einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet wesentliche Lohnunterschiede gebe, ohne daß das zu besonderen Schwierigkeiten führe. Dazu kann ich Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung ein Beispiel sagen. Im Jahre 1948 vollzogen sich im Bereich von New York gewisse Abwanderungen der Textilindustrie nach dem Süden der Vereinigten Staaten, aber nicht deswegen, weil dort bessere Standortbedingungen gegeben gewesen wären, sondern weil im Süden keine funktionierende Gewerkschaftsbewegung vorhanden war. Es waren also Kapitalabwanderungen, die gar nicht mit wirklichen Standortvorteilen zusammenhingen, sondern sich aus einem sozialen Gefälle ergaben.
— Ich war selbst dort und habe das geprüft. Ich habe feststellen können, daß die Unternehmer im Süden den unorganisierten Arbeitskräften Löhne zahlen konnten, die weit unter dem lagen, was zu zahlen ihnen an sich möglich gewesen wäre.
Solche Verhältnisse kann man nur durch zusätzliche Industrialisierung ändern, wenn es einen Überschuß an Arbeitskräften gibt, oder aber durch eine Sozialgesetzgebung mit einer anderen Bewertung des „Kostenfaktors" Arbeit. Für Europa bestehen solche Möglichkeiten durchass, und ich stehe mit meiner Auffassung nicht allein.
Die Überlegungen gehen sogar noch ein wenig weiter, und zwar in der Richtung, ob den Gebieten in Europa, deren Arbeitskräften man den Vorteil der Gemeinschaft zukommen lassen will, nicht gleichzeitig mit dem Abschluß des Vertrags Entwicklungshilfen gegeben werden sollten, damit sie wirtschaftlich gesund werden. Ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus einer Ausarbeitung von sechs Sachverständigen, die vom Internationalen Arbeitsamt beauftragt wurden, näher erläutern.
In der Schrift „Soziale Aspekte der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit", Genf 1956, heißt es:
Länder, die an struktureller Massenarbeitslosigkeit leiden, können deshalb mit Recht ihren Beitritt zu Plänen der Handelsliberalisierung von der Inangriffnahme einer internationalen Lösung des Problems der unausgenützten Arbeitskräfte in Europa abhängig machen.
Ich glaube, das ist eine Verbindung, die durchaus logisch ist und die man zu bejahen hat.
Nunmehr komme ich aber zu einem Teil der Erläuterungen, die die Bundesregierung diesem Vertragswerk beigegeben hat, gerade soweit sozialpolitische Bestimmungen eine Rolle spielen. Hier heißt es z. B.:
Nicht zum wenigsten hat für eine Ablehnung einer sozialen Integration die Überlegung mitgesprochen, daß es in einem Raum mit so erheblichen Unterschieden des sozialen Lebens sehr schwierig sein würde, gemeinsame sozialpolitische Regelungen zu schaffen. Das Gewicht des sozial schwächsten Gliedes könnte für die übrigen Teile der Gemeinschaft den sozialen Fortschritt über Gebühr hemmen, so daß es nicht der Hebung des Lebensstandards großer Teile der Arbeitnehmerschaft dienen würde, wenn zu frühzeitig die Sozialpolitik zum Gegenstand einer gemeinsamen Politik der Sechs gemacht würde.
Wir können uns mit dieser Abstinenz nicht abfinden. Hier muß eine positive Einstellung gewonnen werden. Der Ausgangspunkt muß bei dem Recht zur ausreichenden Information und Nachprüfung in bezug auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen liegen. Dieses Prüfungsrecht muß der internationalen Institution gegeben werden. Heute ist auf diesem Gebiet keine Sicherheit gegeben, daß wirklich vergleichbare Daten miteinander verglichen und daß überhaupt entsprechende Unterlagen mit Durchschlagskraft aufbereitet werden.
Es wäre zweckmäßig gewesen, in diesen Vertrag eine Verpflichtung der Bundesrepublik mit hineinzunehmen, im Zuge der Verhandlungen den sogenannten Europäischen Sozialkodex anzuerkennen. Hier haben in den Beratungen, die die Sachverständigen bisher angestellt haben, aber immer die Tendenzen vorgeherrscht, ja nicht das Niveau durch Maßnahmen von uns aus in die Höhe zu treiben, sondern darauf hinzuwirken, daß eher eine möglichst weite Fassung gefunden wird, die den einzelnen Ländern genügend Spielraum läßt, statt auch hier auf die Einhaltung von Mindestnormen zu dringen, wie wir sie zu fordern hätten.
Wir sind zwar nicht der Auffassung, daß ein solcher Zusammenschluß die vorherige Angleichung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, der Sozialbestimmungen, automatisch zur Voraussetzung haben müßte, aber man darf dies auch nicht nur dem Wirken des Marktes und vielleicht auch ein wenig der Koordinierung überlassen, sondern hier hat eine bewußte politische Gestaltung einzusetzen. Unseres Erachtens ist die Zusammensetzung des vorgesehenen Sozial- und Wirtschaftsrates nicht allzu überzeugend. Es ist nicht zu erkennen, wie stark die Arbeitnehmerinteressen berücksichtigt sein werden. Davon, wie man die Gruppierungen zusammenstellt, wird sehr weitgehend abhängen, ob hier ein wirksamer Antrieb für eine stetig in Richtung auf Wohlstandshebung und Sicherung der Arbeitnehmerrechte ,gehende Politik gegeben ist.
Man hat zwar, als der Vertrag über die Montanunion in Kraft gesetzt wurde. die Auffassung vertreten, man könne auf dem Gebiet der Sozialpolitik nicht sehr viel tun. denn da sich dieser Vertrag nur auf Kohle und Stahl beschränke, würde das bedeuten, daß man die allgemeine Sozialpolitik im eigenen Lande sich desintegrieren läßt. Diese Auffassung ist sicher richtig. Aber wenn man nun zur Gesamtintegration übergeht. dann wäre doch die Schlußfolgerung, daß wenigstens einige Möglichkeiten, die sich hier anbieten, einige Forderungen bereits im Vertrag ihren Niederschlag zugunsten der Arbeitnehmer finden sollten.
In bezug auf die langfristige Preisentwicklung ist es für uns natürlich entscheidend, ob die Freihandelszone zustande kommt oder nicht. Hier folge ich weitgehend den vorgebrachten Argumenten. Diese Freihandelszone wird erst dann kommen und sie wird nur dann kommen. wenn vorher die Zollunion als absolut gewiß hingenommen werden kann. Für diesen Gedanken gibt es eine gewisse Begründung. Aber das führt dazu, daß letzten Endes bei diesen Sechs auch die wirkliche Bereitschaft vorhanden sein muß, so mit den dritten Ländern zu verhandeln, daß ein Ergebnis erzielt wird und man nicht unter Umständen in der Gefahr verbleibt, daß sich verschiedene Gravitationszentren in Europa entwickeln, daß es dazu kommt, daß vielleicht einige Staaten versuchen, zunächst einmal unter sich gewisse Mindestforderungen aufzustellen, um dann auf diese Art und Weise mit den Sechs als Kollektiv zu verhandeln.
Unser Interesse führt dahin, daß die Verhandlungen im Rahmen der OEEC geführt werden und daß es dabei zu einer Einstellung im Bereich der Sechs kommt, die eine Anpassung und eine Assoziierung der übrigen Länder erleichtert.
— Ich glaube, daß das nicht ganz die Grundlage des Vertrages ist. Es gibt hier vielmehr die Möglichkeit, daß man sich sagt: Ob diese Freihandelszone kommt oder nicht, lassen wir dahingestellt sein; denn zunächst werden diese Sechs auf jeden Fall dies und jenes tun. Wir haben bei der Montanunion gesehen, wie sehr leicht eine neue Institution plötzlich auf ein sehr hohes Roß gerät, wenn es um gewisse Unterhandlungen geht. Aus diesem
Grunde fordern wir die Festlegung, die Freihandelszone auch urn den Preis gewisser Zugeständnisse zu erreichen.
— Ich bin der Auffassung, daß die Frage, ob das Ratifizierungsgesetz entsprechende Formen zu finden hat, ob wir entsprechende Maßnahmen einbauen können, noch durchaus offen ist. Man wird versuchen, eine entsprechende Regelung zu finden. Wir haben dazu noch eine Möglichkeit in den Ausschüssen, wenn diejenigen Warenströme ein wenig aufgedeckt werden und zu sehen sind, die hier beeinflußt werden könnten, für den Fall, daß eine zu lange Zeit zwischen dem Abschluß der Zollunion und der Errichtung der Freihandelszone verfließt.
Es bleibt mir nicht genügend Zeit, wenigstens andeutungsweise etwas zur Agrarpolitik und zur Verkehrspolitik zu sagen. Wir wünschen für die Agrarpolitik einen Einfluß, der auch zur Auflockerung in Deutschland führt. Wir sind gewiß, daß die verkehrswirtschaftlichen Regelungen in jeder Weise dem Rechnung tragen müssen, was in Deutschland aus der gewordenen Wirtschaftsstruktur heraus erforderlich ist.
Nun noch eine kurze Bemerkung zu der Frage, welche Rückwirkungen dieser Vertrag auf die deutsche Einheit haben kann. Zwar ist — der Herr Bundesaußenminister hat es bestätigt — durch gewisse Veränderungen im Protokoll klargestellt, daß der innerdeutsche Handel nicht berührt wird und daß auch keine Gefahr einer Zollgrenze für den Fall einer gesamtdeutschen Regelung vorhanden
ist. Außerdem ist im Vertrag Vorsorge dafür getroffen, daß gewisse Beihilfen und Unterstützungen für die Zonenrandgebiete zulässig sind. Aber es kann nicht bezweifelt werden, daß die Zollunion wie überhaupt der Zeitablauf, die Entfernung von dem Zeitpunkt, als Deutschland noch ein geschlossenes Wirtschaftsgebiet war, die Spaltung verstärkt und daß dabei eine gewisse Versteinerung Platz greift.
Wir glauben allerdings, daß sich diese Regelungen nicht mit dem vergleichen lassen, was bei früheren Integrationsversuchen, in erster Linie bei den militärischen Integrationsversuchen, versucht wurde. Gleichwohl beschleicht auch uns ein gewisses ungutes Gefühl, wenn wir erkennen, daß eine solch intensive politische Aktivität in Richtung Westen entfaltet wird, während das Gegenstück auf der innerdeutschen Linie und unter Umständen auch in einem gewissen Sinne nach Osten durchaus fehlt.
Wir wissen, daß ein Unterschied zu den Auffassungen der Bundesregierung besteht. Die Erklärung, die Herr Botschafter Ophüls zur Frage des Gebundenseins Gesamtdeutschlands abgegeben hat, genügt uns nicht. Wir hätten nach wie vor lieber gesehen, daß die Vertragsbestimmungen diesen Vorbehalt ausdrücklich enthalten hätten.
Mit der Frage der Organe und mit dem, was dazu zu sagen ist, sollten wir unsere jetzige Debatte nicht allzusehr belasten. Die Gefahr einer Technokratie wird überall gesehen. Dabei ist allerdings ein Grundsatzproblem noch zu klären: ob dann, wenn der Ministerrat in Zukunft nicht einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit beschließt, überhaupt noch irgendwo auch nur der Schein einer parlamentarischen Kontrolle gegeben ist, da es auch auf dem Umweg über die nationalen Parlamente hier praktisch gar nichts mehr zu machen gibt. Das ist eine Frage, die wir noch näher zu untersuchen haben. Dabei müssen wir mit dahin wirken, daß, obwohl die geschriebene Verfassung, dieser Vertrag, in dieser Beziehung außerordentlich unbefriedigend ist, die öffentliche Meinung und die Tagesarbeit vielleicht auch des Parlaments doch eine Entwicklung begünstigen, die wiederum zu einer Unterordnung der höheren Bürokratie unter das Kontrollrecht des Parlaments führt.
Die finanziellen Belastungen sollten auch angesichts der Haushaltsdebatte und der Hartnäckigkeit, mit der hier um gewisse Probleme gerungen wurde, Beachtung finden. Wir stecken in den Investitionsfonds für die überseeischen Gebiete allein im Laufe von fünf Jahren den Betrag von über 800 Millionen DM. Das mag eine Größenordnung sein, die wir als ein industrialisiertes Land im Verhältnis zu den in der Entwicklung befindlichen Gebieten in ihrer Gesamtheit durchaus für angemessen halten. Wir sind dabei durchaus der Auffassung: hier kann etwas zusätzlich getan werden. Aber es ist die Frage, ob nicht durch diese Bindung an die französischen Überseegebiete letzten Endes unsere Beziehungen zu den übrigen Teilen der Welt, wo auch etwas zu tun wäre, außerordentlich belastet werden, vor allen Dingen angesichts der Hartnäckigkeit, mit der um die bekannten 50 Millionen für die Entwicklungsländer gerungen wird.
Allerdings ist das Wesentliche in diesem Zusammenhang noch nicht einmal die finanzielle Belastung, sondern das Wesentliche ist die politisch-psychologische Belastung, die sich daraus ergibt, daß vielleicht in den betroffenen Ländern — in Übersee, in erster Linie in dem Teil der Welt, wo es Völker gibt, die erst jetzt zur Selbständigkeit gefunden haben — der Verdacht entsteht, hier werde versucht, eine alte Machtordnung, eine alte Machtbeziehung mit neuen Methoden zu untermauern. Dieser Eindruck darf auf keinen Fall entstehen, und er darf nicht mit unserer Zustimmung entstehen. Deswegen sind wir auch der Auffassung, daß das, was hier geschieht, auf keinen Fall die Vorwegnahme einer endgültigen Lösung sein kann.
Bei dieser Betrachtungsweise ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daß über den Betrag, den wir einbringen, eine gewisse Verlagerung von Kosten stattfindet, die z. B. Frankreich auf Grund des Algerien-Konflikts zu tragen hat, eine Verlagerung insofern, als hier Lasten übernommen werden, die sonst Frankreich allein getragen hätte. Wir wollen deswegen auch hier alle Vorbehalte anmelden und neue Lösungen anstreben, die in erster Linie dahin führen müssen, daß die betroffenen und beteiligten Länder eine wirkliche Gleichberechtigung in den Beziehungen erfahren und daß keinerlei unmittelbare Bindung erfolgt, die eine Art Kompensation auf dem Rücken der in der Entwicklung zur Selbständigkeit befindlichen Völker sein könnte. Ich weiß, daß gerade diese Frage in den Verhandlungen, da sie erst sehr spät hineingebracht worden ist, von der Bundesregierung nicht sehr freudig aufgegriffen wurde. Aber vielleicht hat man sich auf der anderen Seite, bei den Franzosen, davon leiten lassen: der Herr Bundeskanzler wird sowieso inner-
halb einer gewissen Frist unterschreiben, und deswegen konnte das nicht mehr mit der Sorgfalt behandelt werden, die es eigentlich verdient hätte.
Bei all diesen Hauptfragen ist jeweils zu untersuchen: Was steht im Vertrag? Wie ist die Kompromißlösung zustande gekommen? Welche Vorstellungen haben auf deutscher Seite eine Rolle gespielt und die Fassung des Vertrags, wie sie uns jetzt vorliegt, beeinflußt? Wir werden diese Unvollkommenheiten, Schwierigkeiten und Gefahren den unbezweifelbaren Vorteilen und der möglichen Dynamik gegenüberstellen. Dabei werden wir angesichts der Revidierbarkeit dieses Vertrags, d. h. angesichts der Möglichkeit, den Vertrag zu ergänzen, im Rahmen dessen, was dem Ministerrat an Zuständigkeiten überwiesen ist, auch dahin streben, Kräftekombinationen zum Zuge kommen zu lassen, die eine positive, wirklich solidarische europäische Entwicklung begünstigen. Wir werden uns daher mit den Einzelheiten noch eingehend befassen. Wir erwarten von den Ausschußberatungen eine Aufklärung, insbesondere in bezug auf die Haltung der Bundesregierung in den von mir betonten wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen.