Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte versuchen, auf einige wesentliche Bemerkungen des Herrn Kollegen Kahn-Ackermann einzugehen. Sie werden sicherlich verstehen, Herr Kollege, daß ich nicht alle Fragen heute beantworten kann. Aber ich werde, soweit mir das heute nicht möglich ist, die Beantwortung nachholen, sei es mündlich, sei es schriftlich.
Zunächst einmal glaube ich doch verpflichtet zu sein, ganz allgemein die Kulturabteilung meines Amtes gegen die, wie ich glaube, etwas generellen Vorwürfe in Schutz zu nehmen. Es ist mir kaum denkbar, daß tatsächlich ein Referent in der Kulturabteilung erklärt haben sollte, er verstehe von seiner Aufgabe nichts. Wenn das so ist, Herr Kollege Kahn-Ackermann, kann ich nur sagen: ich bedauere das. Ich wäre dann sehr dankbar, wenn Sie mir vielleicht einmal persönlich sagen würden, wer das ist. Denn es wird niemand im Auswärtigen Amt gegen seinen ausgesprochenen Willen in solche Abteilungen versetzt. Ich weiß, oder ich glaube zu wissen, daß man in solchen Fällen zu mir kommt. Jeder der Referenten hat jederzeit das Recht, solche Dinge unmittelbar mit mir zu besprechen, und ich würde weiß Gott nicht einen Mann, der mir sagt: „Ich bin hier fehl am Platz", ausgerechnet in die Kulturabteilung setzen. Aber solange ich nicht weiß, wer dieser Herr ist, kann ich natürlich an dieser Position nichts ändern.
Es ist aber nicht so — das bitte ich nicht anzunehmen! —, daß die Kulturabteilung etwa — wie hier gesagt wurde — als Durchgangsstation betrachtet würde. Wohl lege ich Wert darauf, daß wir nicht nur Spezialbeamte ausbilden. Ich lege großen Wert darauf, daß die jungen Beamten eine Zeitlang, soweit sie die Qualifikation dafür besitzen, auch in der Kulturabteilung Dienst tun. Denn es ist ja nicht nur die Aufgabe des Kulturattachés, draußen Kulturpolitik zu treiben, sondern es ist die Aufgabe der gesamten Botschaft. Ich halte es nicht für gut, wenn wir hier Spezialisten züchten. Ich weiß wohl, daß der eine mehr und der andere weniger geeignet ist. Darauf wird im Rahmen der personellen Möglichkeiten auch Rücksicht genommen.
Wenn Sie nun sagen, Herr Kollege, daß in einigen Ländern — Sie haben insbesondere z. B. die Vereinigten Staaten genannt — die Voraussetzungen für eine wirklich durchschlagende Kulturpolitik nicht gegeben seien, so kann ich Ihnen in dieser Feststellung nur recht geben. Aber, meine Damen und Herren, es sind uns naturgemäß finanzielle Grenzen gesetzt, und es sind uns auch dadurch Grenzen gesetzt, daß die Auswahl der Personen, die wir brauchen, nicht leicht ist. Wenn Sie in den letzten Wochen so haben anklingen lassen, man solle doch in die Kulturabteilung und auf die Posten der Kulturattachés hoch- und höchstqualifizierte Leute berufen, dann darf ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren, daß das schon nicht möglich ist, weil wir nicht in der Lage sind, Gehälter zu zahlen wie etwa große Zeitungen, wie
der Rundfunk oder andere Institutionen. Ich habe selbst schon Verhandlungen mit hochqualifizierten Leuten geführt, die ich gern in meiner Kulturabteilung gehabt hätte. Diese Leute haben Verträge, etwa bei den deutschen Rundfunkanstalten, die ich ihnen mit dem besten Willen nicht bieten kann. Die Folge war, daß ich diese Leute eben nicht für die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts oder für einen Posten im Ausland gewinnen konnte.
Sie haben weiter über die Kulturpolitik in Italien gesprochen. Ich weiß nicht, ob es ganz richtig gezeichnet ist, wenn Sie sagen, in Italien oder in Rom gebe es doch einen gewissen Kreis von Liberalen, die etwas mehr an fortschrittlicher Gesinnung hätten. Ich glaube, man muß es offen und nüchtern aussprechen: Es gibt in Italien und Rom leider einen großen Teil von Menschen, die eindeutige Kommunisten sind, Leute, die die volle Unterstützung der Sowjetunion und die sämtlicher kommunistischer Staaten genießen, Hochschul-
und Universitätsprofessoren, Menschen, die im öffentlichen Leben stehen, die natürlich in der Lage sind, dort Kulturpolitik zu treiben, und die eben in der Lage sind, dieses „Centro Thomas Mann" zu gründen und andere Dinge mehr. Meine Damen und Herren, da werden wir niemals konkurrieren können. Ich glaube aber nicht, daß es richtig ist, diesen Personenkreis etwa als einen Kreis anzusprechen, der etwas mehr liberale Gesinnung habe und deswegen vielleicht von dem Kulturattaché in Rom nicht richtig bedient werden könne. Ich glaube, damit tut man dem Kulturattaché ein bitteres Unrecht an.
Die Frage der Rückgabe der Villa Massimo haben Sie angeschnitten. Sie haben selbst darauf hingewiesen, daß es nicht so leicht ist, sie ihrem ursprünglichen Zweck wieder zuzuführen. Sie ist ja erst vor etwa einem Jahr zurückgegeben worden, und Sie wissen es selbst, Herr Kollege, welche unsagbaren Schwierigkeiten es mit sich bringt, die Leute, die dort seit Jahren und Jahrzehnten wohnen, zu exmittieren. Hier spielen auch politische Dinge eine nicht unerhebliche Rolle. Die Leute, die darinsitzen, haben zum Teil auch recht gute Beziehungen zu gewissen Stellen der Stadtverwaltung, so daß wir uns schwer daran tun. Ich glaube, es wird noch eine geraume Zeit dauern, bis wir die Villa Massimo dem ursprünglichen Zweck wieder in vollem Umfang zuführen können. Daß inzwischen schon einiges geschehen ist, wissen Sie, glaube ich, selbst.
Sie haben dann die Frage des Gastspiels des Bochumer Schauspielhauses noch einmal angeschnitten und mir vorgeworfen, ich hätte den Anspruch angemeldet, Literaturkritiker für moderne Dramatik zu sein. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir dazu ein sehr offenes Wort. Ich maße mir nicht an, Literaturkritiker zu sein und Zensuren über deutsche Dramatiker auszuteilen. Ich maße mir aber wohl an — und ich glaube, daß ich dazu verpflichtet bin —, zu prüfen, für welche Zwecke ich Mittel aus dem Kulturfonds zur Verfügung stelle.
Sie waren der Meinung, daß Bert Brecht einer der größten Dramatiker der Gegenwart sei. Man mag darüber diskutieren. Aber ich bin wohl der Meinung, daß die späte Lyrik des Herrn Bert Brecht nur mit der Horst Wessels zu vergleichen ist.
Ich bin nicht in der Lage und habe nicht die Absicht, Mittel des Kulturfonds zur Verfügung zu stellen, um den Politiker Bert Brecht im Ausland zu fördern.
Ich bin nicht so unerbittlich, wie es etwa die Norweger waren, die bis zur Stunde dem Herrn Knut Hamsun, von dem ich glaube, daß er ein größerer Schriftsteller war als Bert Brecht, nicht verziehen haben, daß er sich einmal politisch geirrt und gegen sein Vaterland gehandelt hat. Meine Kritik an Bert Brecht ist schärfer und härter als die an Knut Hamsun. Deswegen habe ich allerdings den Vorschlag geprüft und habe mich gefragt — und ich stelle die Frage auch hier an das Haus —, ob es wirklich ein bei den nicht reichlichen Mitteln förderungswürdiger Plan war, wenn ein deutsches Theater, dessen Qualität ich nicht bestreite — ich kenne die Bühne in Bochum und kenne Schalla —, nach Paris fahren wollte, um dort die „Dreigroschenoper" von Brecht-Weill zu bringen, ein Stück, das mir — ich gebe es gern zu —, als ich es seinerzeit im Schiffbauerdamm-Theater unter Piscator gesehen habe, einen großen Eindruck gemacht hat. Ich bin sehr froh, daß ich es damals gesehen habe. Der Bert Brecht von damals war mir allerdings sympathischer als der von heute.
Dieses Theater machte also den Vorschlag, die „Dreigroschenoper", die seit 30 Jahren in der ganzen Welt über die Bühne geht, als einen besonderen Ausdruck deutschen Kulturschaffens der Gegenwart dort aufzuführen, und zweitens stand dort auf dem Spielplan „Der Marquis von Keith" von Wedekind. Ich hoffe, es war wirklich nur ein etwas mißlungener Scherz, wenn Herr Kollege Kahn-Ackermann meinte, daß ich nun hier in die Fußstapfen Kaiser Wilhelms II. und des „Dritten Reichs" getreten sei, um Herrn Wedekind zu verdammen. Ach nein, meine Damen und Herren! Ich kenne Wedekinds Stücke sehr gut. Sie haben mir zu früheren Zeiten schon sehr viel Freude gemacht. Ich weiß aber nicht, ob es ein sehr sinnvoller Ausdruck deutschen Kulturdenkens ist, wenn wir im Jahre 1957 den „Marquis von Keith" in Paris aufführen.
Darüber kann man doch wohl verschiedener Meinung sein. Und das dritte Stück auf dem Spielplan war ein Stück von Sartre in deutscher Übersetzung, das dieselbe Bühne im Jahre vorher schon in Paris aufgeführt hatte. Meine Damen und Herren, wenn ich Mittel aus dem — ich wiederhole — knappen Kulturfonds zur Verfügung stelle, Mittel des deutschen Steuerzahlers, dann halte ich mich allerdings für verpflichtet, auch den Sinn und den Zweck einer solchen Ausgabe zu prüfen, und ich war nun einmal der Auffassung — und Sie werden mich nicht davon überzeugen können, daß ich unrecht hatte —, daß es andere Dinge gab und gibt, die mehr Förderung verdienen als ein solches Gastspiel.
Deswegen habe ich diese Entscheidung getroffen. Dias ist keine Entscheidung über Wert oder Unwert der schauspielerischen Leistung der Bochumer Bühne. Das ist keine Entscheidung über Wert oder Unwert eines Dichters namens Wedekind oder eines Dichters namens Sartre. Was ich über Bert
Brecht als Politiker denke, habe ich vorhin gesagt. Ich glaubte aber, die Entscheidung treffen zu müssen. Wie soll ich denn sonst entscheiden!
— Klammern wir uns doch nicht an dieses Wort „Aussagewert"! Reden wir doch davon: Sind Sie der Meinung, daß die „Dreigroschenoper" wirklich Ausdruck der gegenwärtigen deutschen kulturellen Auseinandersetzung ist? — Nein! Sind Sie der Meinung, daß Sartre das ist? — Nein!
Sind Sie der Meinung, daß Wedekind das ist? — Nein!
— Ich weiß nicht, ob man hier das Wort „klassisch" gebrauchen soll. Aber man kann darüber diskutieren. Ich habe Ihnen aber gesagt, daß ich im Fall Bert Brecht allerdings auch politische Erwägungen angestellt habe. Das mögen Sie mir übelnehmen, aber Sie können mich nicht davon überzeugen, daß ich unrecht habe. Wenn Sie mich fragen, ob ich etwa der gleichen Meinung sei wie meine Freunde in Frankfurt, die es nicht für sehr sinnvoll hielten, daß das Frankfurter Theater nun zur bevorzugten Bühne der neuesten dramatischen Werke von Bert Brecht geworden ist, dann kann ich Ihnen allerdings sagen, daß ich voll und ganz den Standpunkt meiner politischen Freunde in Frankfurt verstehe und teile.
In diesem Zusammenhang kam mir auch die Frage nach der Erteilung oder Verweigerung der Visa für drei russische Filmschauspieler und für einen Zirkus. Nun, Herr Kollege Kahn-Ackermann, Sie haben mich mit Recht daran erinnert, und ich stehe durchaus zu meiner Erklärung, daß Kulturpolitik nicht Vorspann der Politik sein dürfe. Ich bin wohl der Meinung, daß diese politischen Aufgaben auf einem anderen Gebiet gelöst werden müssen und daß es nicht gut ist, wenn man die Kultur dazu mißbraucht, politische Effekte zu erzielen. Das letzte ist Ausdruck einer Gesinnung, die wir gottlob nicht mehr haben. Wir wissen aber leider, daß diese Erkenntnis nicht allgemein ist und daß sie beispielsweise in dem Land nicht gilt, das für seinen Zirkus die Visa beantragt hatte. Man kann nun überhaupt darüber streiten, ob es wirklich zum Thema Kulturpolitik gehört, ob ein Zirkus ein Visum bekommt. Ich halte das nicht für ganz eindeutig geklärt. Aber ich wiederhole eine Erklärung, die ich über die Frage abgegeben habe: Solange die sowjetrussische Regierung Hunderttausenden von deutschen Menschen das Visum für die Heimreise verweigert, sehe ich keinen zwingenden Grund dafür, einem russischen Clown das Visum für die Einreise zu erteilen.
— Meine Damen und Herren, ich bin allerdings überzeugt, daß ich durch meine Entscheidung dieses Anliegen fördere; denn in solchen Fällen und in solchen Situationen ist, glaube ich, die ständige Nachgiebigkeit die falscheste Politik.
— Ach, jetzt kommt die abgespielte Platte von der Politik der Stärke. Meine Damen und Herren, machen wir hier doch keine Scherze! Sehen Sie es als einen Ausdruck der Politik der Stärke an, wenn ich einem russischen Zirkus das Visum verweigere? Machen Sie sich doch nicht lächerlich mit solchen Zwischenrufen! Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir vielleicht einmal eine Aussprache darüber führten, warum die Sowjetunion, wie gesagt, bisher deutsche Menschen gegen ihren Willen zurückhält, warum die Sowjetunion es nicht zuläßt, daß deutsche Menschen die deutsche Botschaft aufsuchen, um sich dort über ihre Rückreisemöglichkeiten zu unterhalten, warum die Sowjetregierung die deutschen Menschen, die in Moskau ansässig waren, zwangsweise in andere Gegenden transportiert hat, um ihnen die Möglichkeit eines unmittelbaren Kontaktes mit der deutschen Botschaft zu nehmen.
Diese Fragen interessieren mich mehr als ein Zirkus.
Es ist weiter davon gesprochen worden, daß in dem Austausch der Studenten, einmal der deutschen Studenten nach dem Austauschland, zum zweiten der ausländischen Studenten nach dem Inland, mehr geschehen müsse. Meine Damen und Herren, wir wissen — das ist übrigens nicht eine Frage, die in meinen Haushalt und in meine Zuständigkeit fällt —, daß leider, wie Sie gesagt haben, Herr Kollege, die Zahl der deutschen Studenten, die ins Ausland gehen, abgenommen hat. Ich kann nur sagen: leider. Als ich vor einiger Zeit einmal darüber sprach, habe ich mich erkundigt. Es ist heute nicht mehr leicht, qualifizierte Studenten überhaupt zu veranlassen, einmal im Ausland zu studieren. Sie wollen alle fertig werden, sie glauben, daß sie Zeit verlieren, und wir erfahren es tatsächlich, daß der Wunsch an uns nicht mehr herangetragen wird. Ich wiederhole: von qualifizierten Studenten. Wir können sie ja nicht mit Zwang hinausschicken. Hier teile ich voll und ganz das Bedauern, das Sie ausgedrückt haben, und ich würde es begrüßen, wenn etwa von den Kultusministern der Länder, von den Universitäten und den Rektoren am Ort ein bißchen Einfluß auf die jungen deutschen Studenten ausgeübt würde, wenn ihnen gesagt würde, wie ungeheuer wichtig ein einigermaßen ausreichender Aufenthalt im Ausland ist. Daß ich persönlich mich dafür einsetzen würde, hier zu helfen, kann ich nur mit Nachdruck versichern.