Rede von
Dr.
Walter
Drechsel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, die Große Anfrage der Freien Demokratischen Partei Drucksache 3101 betreffend Euratom zu begründen. Ich bedaure außerordentlich, daß wir mit dieser Begründung so spät in die Tagesordnung hineingekommen sind, und habe eigentlich den Eindruck, daß das Hohe Haus und der Großteil der Bevölkerung bei uns in Deutschland noch gar nicht so recht verstehen, welche Bedeutung diesem Euratom-Vertrag und der ganzen Entwicklung auf dem Gebiete der Kernenergie zukommt.
— Sehr verehrter Herr Kollege Sabel, ich habe nicht etwa Sie allein angesprochen, sondern ich habe das Hohe Haus angesprochen. Dazu gehört auch die FDP. Ich habe gar nicht irgendwelche Unterschiede gemacht. Ganz allgemein wollte ich nur sagen, daß ich mir sehr im Zweifel bin, ob nicht die Auswirkungen von Euratom eher stärker sein könnten als die des Gemeinsamen Marktes.
Der Sinn unserer Großen Anfrage vom 17. Januar war der, daß dem Parlament rechtzeitig die Möglichkeit gegeben werden sollte, zu einigen
Fragen Stellung zu beziehen, die nach unserer Auffassung unbedingt berücksichtigt werden müssen, um eine auch von uns gewünschte internationale und europäische Zusammenarbeit sicherzustellen. Dabei haben wir allerdings den Wunsch, daß die deutschen Belange und Notwendigkeiten nicht eingeschränkt oder vernachlässigt werden.
Es ist nicht zu bestreiten — es ist heute auch schon bei der Diskussion über den Gemeinsamen Markt zum Ausdruck gekommen —, daß die Bundesregierung das Recht hat, solche Vereinbarungen internationaler Art einzuleiten, auszuarbeiten und zur Abschlußreife zu bringen. Hier handelt es sich aber um einen ganz besonderen Vertrag, der sehr stark in die technischen Dinge hineingeht und der die Entwicklung sowie die Struktur der gesamten Atomwirtschaft für lange Zukunft festlegen wird. Wir meinen, daß ein solches Problem nicht nur in der Sphäre der Außenpolitik liegen kann, sondern daß eine rechtzeitige Einschaltung der Fachmeinung auch auf der ministeriellen Ebene und auch aus der Praxis selbst unerläßlich gewesen wäre. Gerade auf diesem Gebiet wäre es sinnvoller und zweckmäßiger gewesen, das rechtzeitig zu tun.
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 19. März haben wir lesen können, daß das Auswärtige Amt die Fachministerien etwa acht Tage vor der Unterzeichnung aufgefordert hat, eine Stellungnahme vorzulegen, wobei allerdings gleich gesagt worden ist, daß sie sachliche Änderungsvorschläge nicht mehr enthalten dürfe. Soweit man erfahren konnte, waren andere Delegationen hinsichtlich der Einschaltung der Fachmeinung besser zusammengesetzt. Bei uns scheint das nicht in genügendem Umfang geschehen zu sein. Seit Wochen und Monaten liegen die unterschiedlichsten Äußerungen aus den Partnerländern vor. In der Bundesrepublik dagegen konnte eine Diskussion eigentlich gar nicht stattfinden, weil die offizielle und grundsätzliche Stellungnahme der Bundesregierung unbekannt war.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier wiederholen, was schon in der Debatte über den Gemeinsamen Markt gesagt worden ist, daß es sich unserer Meinung nach für unsere Verhandlungsführung nur günstig ausgewirkt hätte, wenn man sich auf deutscher Seite rechtzeitig auf die Ansichten der deutschen Technik, der Wissenschaft und Wirtschaft und auch die grundsätzliche Auffassung der Volksvertretung hätte stützen können. Bei aller Bescheidenheit, die uns Technikern eigen ist — die Techniker sind in diesem Hause sowieso sehr spärlich vertreten; ich gehöre dazu —, sind wir sogar der Meinung, daß es sehr nützlich gewesen wäre, die technischen Auffassungen in dieses Vertragswerk mehr einzubauen, und wir bilden uns sogar ein, möchte ich sagen, daß damit das Vertragswerk stabiler und zukunftsträchtiger geworden wäre, als wenn man es immer auf die labile politische Liebe der einzelnen Partner, die wir kennen und die sehr wandelbar ist, abstützen muß. Schließlich wissen wir, mit wieviel Geschick und Erfolg sich die französische Regierung auf die Meinung der Volksvertretung gestützt hat.
Wenn die Bundesregierung auch nicht verpflichtet ist, dem Parlament einen Vertragsentwurf zur Aussprache vorzulegen, so ist sie jedenfalls nicht daran gehindert, dies zu tun. Das möchte ich doch ausdrücklich feststellen.
Es war der Zweck unserer Anfrage von Mitte Januar, rechtzeitig, d. h. noch vor Abschluß der Verhandlungen und erst recht vor der Unterzeichnung des Euratom-Vertrages, eine Aussprache im Bundestag herbeizuführen. Vielleicht können wir ein klein wenig für uns in Anspruch nehmen, daß die heutige Regierungserklärung, die sich allerdings leider nicht auch auf Euratom bezogen hat, doch etwas mit durch uns veranlaßt wurde, und wir hoffen — hier kann ich nur sagen: wir hoffen, obwohl Sie, Herr Kollege Stegner, dieses Wort nicht lieben —, daß die Bedenken, die ich jetzt noch vortragen werde und die vielleicht auch von anderer Seite vorgetragen werden, im Laufe der noch möglichen Verhandlungen vor der endgültigen Gestaltung des Euratom-Vertrages eine gewisse Berücksichtigung finden.
Ich komme nun zu den einzelnen Punkten unserer Anfrage. Die Organisationsform von Euratom ist inzwischen bekanntgeworden, ebenso, welche europäischen und außereuropäischen Staaten und Gebiete einbezogen werden sollen. Grundsätzlich begrüßen wir gerade auf dem Gebiet der Atomwirtschaft eine internationale Zusammenarbeit. Wir halten das bei der Größe der Aufgaben auf dem Gebiete der Forschung und der Investitionen für unerläßlich. Es ist unmöglich, daß ein Staat allein diese Aufgaben meistern und damit die Voraussetzung schaffen kann, mit der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung Schritt zu halten. Noch mehr gilt das für einen Staat wie die Bundesrepublik, die seit Jahren beiseite gestanden hat. Wir brauchen einen Erfahrungsaustausch, wir brauchen Sicherheitsvorschriften, deren Geltung über die Grenzen der einzelnen Staaten hinausgehen muß.
Es ist nur die Frage zu stellen, ob wir das, was notwendig ist, mit den Partnern, die sich nunmehr in Euratom zusammenschließen, erreichen und auch für die Zukunft sicherstellen. Bei aller Anerkennung nötiger Vorleistungen und Entsagungen als Voraussetzung jeder Partnerschaft entstehen hier Zweifel. In europäischer Sicht gesehen haben wir sehr zu beklagen, daß ein Land, das außerordentliche Erfolge auf dem Gebiete der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu verzeichnen hat, nämlich England, nicht mit einbezogen ist. Wir wissen aber ebenso, daß andere europäische Staaten, die nicht zu Euratom gehören, heftig an der Arbeit sind. Es ist ein grundsätzlicher Mangel, daß der Rahmen einer Zusammenarbeit von vornherein nicht weiter gezogen worden ist. Ansätze hierfür sind über OEEC schon seit Monaten vorhanden. Ich meine, daß wir uns in dieser Richtung hätten mehr anstrengen und einsetzen sollen. Bei der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Atomwirtschaft sind doch wohl auch nicht solche Hemmungen vorhanden wie bei der Bildung eines größeren europäischen Wirtschaftsgebietes, beim Gemeinsamen Markt. Die Bundesregierung hätte bei ihren diesbezüglichen Bemühungen mehr Erfolge erzielen können, als es vielleicht jetzt beim Gemeinsamen Markt in Verbindung mit der Freihandelszone möglich gewesen ist. In ihren Bemühungen um eine Zusammenarbeit mit anderen Staaten, z. B. den führenden Mächten. USA und England, ist die Bundesregierung bereits zu guten zweiseitigen Vereinbarungen gekommen. Jetzt lassen wir uns eigentlich wieder in kleineuropäische Grenzpfähle zurückverweisen. Das scheint mir kein Fortschritt zu sein, vielmehr ein großer Schritt
rückwärts. Gerade in Fragen, die mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie zusammenhängen, ist eine weltweite und weltoffene Betrachtung der Zusammenhänge vonnöten, wenn man Fehlinvestitionen, böse Erfahrungen und Mißtrauen vermeiden will.
In dem nunmehr gegebenen Fall von Euratom halten wir es für das wichtigste, daß sich diese Organisation nicht auf die sechs Staaten beschränkt, sondern daß alles getan wird, damit wir über die eigene oder eine andere Organisation zu einem umfassenderen, besser ausgewogenen Gebilde kommen.
Unter Punkt 3 fragen wir nach den Bindungen und den finanziellen Belastungen, die die Bundesrepublik zu übernehmen gewillt ist. Wir wissen, daß auch bei Euratom eine Organisationsform vorgesehen ist, die einmal zu einem Perfektionismus und zu einer furchterregenden Bürokratie führt, die schon allein durch ihre Existenz unser Mißtrauen hervorrufen muß. Zum anderen aber ergibt sich aus den bisher vorliegenden Texten, daß die Bundesrepublik durch ein einfaches Gesetz wesentliche Hoheitsrechte an zwischenstaatliche Einrichtungen abgeben muß und daß man eigentlich schon Zweifel haben kann, ob diese Aushöhlung der Verfassung überhaupt noch zulässig ist. Hier liegen die Dinge wesentlich anders als bei den Übertragungen gewisser Rechte auf den Gemeinsamen Markt. Hier sind sie meiner Auffassung nach wesentlich schwerwiegender.
Es besteht auch gar kein Zweifel, daß hier demokratische Rechte der Volksvertretung weitgehend ausgeschaltet werden, und zwar noch weitgehender als beim Gemeinsamen Markt. Wohl hat man ein Parlament vorgesehen, aber dieses tritt nur für kurze Zeit einmal im Jahr zusammen, und seine Einwirkungsmöglichkeit ist gleich null. Beispielsweise kann die Versammlung Änderungen der Haushaltspläne vorschlagen; der Rat kann sich aber dann, wenn auch mit qualifizierter Mehrheit, darüber hinwegsetzen. Die Mitglieder des Rates werden von den Regierungen entsandt, die ihrerseits auch das eigentliche Exekutivorgan, die Kommission, bestellen. Die Abstimmungen in diesem Gremium erfolgen dann selbstverständlich unter Berücksichtigung der Gewichtigkeit der Partnerländer, vertreten durch ihre Exekutive. Schon damit sind recht erhebliche Bindungen der Bundesrepublik an eine supranationale Organisation gegeben. Das kann gut gehen, aber es kann auch zum Nachteil eines Partners auslaufen. Gewiß gibt es dann die Anrufung des Gerichtshofes. Aber letzten Endes werden immer der Vertragstext und die dort vorgesehene und durch Unterschrift gebilligte Verfahrensweise ausschlaggebend bleiben.
Über die finanziellen Belastungen, nach denen wir in diesem Punkt 3 auch gefragt haben, haben wir bisher noch sehr wenig Konkretes gehört. Es steht zu befürchten, daß die Bundesrepublik mit zum Hauptzahler, aber dafür wohl zum schwächsten Nutznießer werden wird. Ich vermag hier auf diesen Punkt nicht näher einzugehen. Das wird zu dem Zeitpunkt geschehen, zu dem die Verträge endgültig vorliegen. Heute sei nur darauf hingewiesen, daß offensichtlich für zentrale Forschungen und Investitionen im Rahmen von Fünfjahresplänen Mittel bereitgestellt werden müssen, an denen die Bundesrepublik mit einem Anteil von 30 O/o beteiligt ist. Dadurch werden unserem Haus-
halt beträchtliche Bindungen auferlegt. Es soll sich hierbei um 200 Millionen Dollar handeln. Damit kommen für uns Beträge heraus, die an den derzeitigen Etat des Atomministeriums heranreichen. Es ist sehr interessant, daß über solche internationalen Verträge solche langfristigen Bindungen an den deutschen Bundeshaushalt herangetragen und auch akzeptiert werden, während wir, wie Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, wissen, uns gerade auf dem Gebiete der Forschung, aber auch auf anderen Gebieten immer den Kopf darüber zerbrechen, wie wir wohl zu längerfristigen Finanzierungsplänen für unsere deutschen Belange kommen können, ohne mit dem Haushaltsrecht in Konflikt zu geraten. Über internationale Regelungen scheint das also ein recht praktikabler Weg zu sein. Wir sollten uns überlegen, ob wir nicht auch für unsere eigenen Forschungseinrichtungen auf diesem Wege längerfristige Zuschüsse bekommen können.
Angesichts der im raschen Fluß befindlichen Entwicklung auf dem Gebiete der Kernenergieforschung und der Praxis der verschiedenen neuen Verfahren, die den bisherigen, vielleicht auch einmal wirtschaftlich überlegen sind, muß man bei den Projekten, die, wie man hört, die Euratomgemeinschaft vorhat, besonders vorsichtig sein. Das gilt beispielsweise auch für die vorgesehene gemeinsame Isotopentrennanlage, bei der meines Wissens Kostenschätzungen genannt werden, die sich in Größenordnungen bis zu einer Milliarde DM bewegen.
Ich komme dann zum Punkt 4 unserer Anfrage. Es ist wohl nunmehr unbestritten, daß Euratom
das Eigentum und die Nutzungsrechte an den besonderen Kernbrennstoffen oder besonderen spaltbaren Stoffen haben soll. Darüber hinaus soll es ein Optionsrecht auf allen Stufen der Aufbereitung und Verarbeitung vom Erz bis zum Kernbrennstoff selbst haben.
Immer wieder wird die Vorlage eines Programms nach Art. 41 für alle Investitionsvorhaben verlangt. Selbst die Verwendung von Kernbrennstoffen für Forschungszwecke ist nicht ohne Investitionen möglich. Also fällt auch das unter die Vorlagepflicht. In dem gleichen Art. 41 befindet sich der Satz, daß der Rat dann auf Vorschlag der Kommission zu beschließen hat. Daraus muß doch wohl der Schluß gezogen werden, daß neben der Vorlage auch jederzeit eine Genehmigung erforderlich ist. Dieses Optionsrecht, nach dem Art. 57 ausgedehnt auf alle Zwischenstufen vom Erz, den unbearbeiteten Stoffen oder den besonderen spaltbaren Stoffen vor ihrer Verwendung, Übertragung oder Lagerung, bringt eine erhebliche Unsicherheit in die ineinandergreifenden technischen und wirtschaftlichen Prozesse und Planungen. Sie läßt für die Unternehmen, gleichgültig ob staatlicher oder privater Art, keine sichere Programmgestaltung zu. Eine doch recht notwendige Unternehmerinitiative wird sich so nicht entfalten können. Das alles ist zweifellos eine Folge der grundsätzlichen Einstellung von Euratom zur ganzen Eigentumsfrage. Es scheint uns das aber ein so wichtiger Gesichtspunkt zu sein, daß wir ihn in den Entschließungsantrag, der Ihnen vorliegt, mit aufgenommen haben.
Sie wissen, daß wir hinsichtlich der Eigentumsfrage eine andere Vorstellung haben, als sie von Euratom übernommen worden ist. Wir haben dabei nicht zuletzt die Befürchtung, daß die jetzt gezeigte Haltung zu Weiterungen und zu einer Aufweichung des Eigentumsbegriffs überhaupt führen wird. Es wäre sofort zu fragen, mit welcher Berechtigung man einen Energieträger — und gerade den modernsten — in dieser Frage absondern will. Im Laufe der Entwicklung und des Zusammenspiels auf dem ganzen Gebiet der Energieversorgung muß das zu Unzuträglichkeiten führen. Wir sind der Auffassung daß die Bundesregierung hier eine Verpflichtung eingehen will, die ihrer wenigstens bisher gezeigten grundsätzlichen Einstellung zum Eigentum widerspricht und die von ihr nicht eingegangen werden dürfte. Kann man denn bei diesen Planungen, bei diesen Genehmigungsverfahren, bei diesem Dirigismus bei Euratom überhaupt noch von einer Marktwirtschaft sprechen?
Man hält dagegen, daß wegen der gerade bei Kernbrennstoffen erforderlichen Beschränkungen der Nutzung, deren Notwendigkeit auch wir nicht bestreiten, ein Eigentum im eigentlichen Sinn gar nicht mehr vorhanden sein kann. Das scheint mir als Nichtjuristen eine etwas sehr jesuitische Auslegung zu sein. Meiner Ansicht nach gibt es noch erhebliche Unterschiede. Die Diskussion hierüber will ich aber dann lieber den Juristen überlassen.
Eine Notwendigkeit für den Eigentumsentzug scheint mir nicht gegeben zu sein. Ich habe hierüber bereits in der Bundestagsdebatte am 22. Februar einige Ausführungen gemacht. Ich verweise auch darauf, daß z. B. bei dem Verkehr mit Sprengstoffen recht einengende Vorschriften bestehen. Davon wird aber die Eigentumsfrage selbst nicht berührt.
Das wesentliche Charakteristikum von Euratom ist die so weitgehende Eingriffsmöglichkeit, beschlossen, gebilligt und durchgeführt von — nun, sagen wir — nicht immer unbedingt objektiven Organen im überstaatlichen Bereich. Wir hätten das dringende Anliegen, daß bei diesen Punkten die ganze Problematik von der Bundesregierung nochmals eingehend überprüft wird, bevor sie derartige folgenschwere Entscheidungen trifft. Herr Bundesminister Balke hat in seiner Rede vom 22. Februar vor diesem Hohen Hause die Eigentumsfrage besonders hervorgehoben. Wir stimmten damals diesen Ausführungen voll zu. Sollte man jetzt annehmen müssen, daß ihm etwa vier Wochen vor der Bekanntgabe der Verträge noch nicht einmal der wesentliche Grundsatz von Euratom bekannt war, daß die Bundesregierung ihre Fachministerien also so schlecht unterrichtet hat?
Leider scheint dieses Auseinanderlaufen der Ansichten des Auswärtigen Amtes und des Fachministeriums auch heute noch nicht beseitigt zu sein; denn wir wissen, daß das Auswärtige Amt nach dem Abschluß des Euratom-Vertrags oder nach den Gedanken, die man damit hat, der Auffassung ist, daß nunmehr sämtliche Kernbrennstoffe von Euratom bezogen werden können und sollen, so daß eine inländische Förderung und Aufbereitung der Erze überhaupt unterbleiben könnte, obwohl das Bundesministerium für Atomfragen mit Zustimmung des Haushaltsausschusses schon erhebliche Mittel für die Entwicklung solcher Erzförderungen und die Ausgestaltung der Aufbereitung dieser Erze verausgabt.
An dieser Stelle möchte ich noch auf einige besonders bedenkliche Formulierungen des Vertrages hinweisen. Nach dem Art. 84 erstreckt sich die
Kontrolle von Euratom nicht auf die Stoffe, die der Landesverteidigung dienen. Eine Zuteilung von Kernbrennstoffen nach Art. 52 darf andererseits nur dann verweigert werden, wenn die Verwendung unzulässig ist. Bei der Nutzung der Kernbrennstoffe entstehen laufend sogenannte besondere Kernbrennstoffe, die dann für militärische Zwecke sehr interessant werden. Diese Stoffe werden von Euratom auch für solche militärischen Zwecke zugeteilt und fallen dann aus der Kontrolle von Euratom heraus. Die Folge dieses Verfahrens könnte sein, daß zum Beispiel in Deutschland entstehendes Plutonium in Frankreich zur Herstellung von Atomwaffen verwendet wird. Eine Beantragung von solchen Stoffen für die .militärischen Zwecke ist nur für die Bundesrepublik und wohl auch für Italien unzulässig.
Die ganze Verflechtung oder auch der Zusammenstoß der friedlichen Nutzung mit der militärischen ist überhaupt sehr bedenklich. Zur Zeit besteht bei einem Vertragspartner ja schon die Möglichkeit der militärischen Nutzung. Das bedeutet meiner Auffassung nach eine ungeheuere Belastung für das ganze Vertragswerk. Es wird zweifellos schon den erwünschten Erfahrungsaustausch stark einschränken, wenn ein Partner militärische Gründe vorschieben kann, um dieser Verpflichtung zu entgehen. Wir meinen, daß auch diese Fragen noch einer besonderen Klarstellung bedürfen. Wir haben gar keine rechte Freude an einer Notiz der Londoner „Times", in der es heißt, daß es klar scheine, daß eine gemeinsame französisch-deutsche Atomwaffenerzeugung durch Euratom in Sicht gekommen sei.
Daneben soll nicht ungenannt bleiben, daß gerade diese besonderen spaltbaren Kernbrennstoffe, die, wie gesagt, auch bei uns anfallen werden, das Ausgangsprodukt für hochwertige chemische Verfahren sind — die sogenannte heiße Chemie —, an der wir auch für unsere Industrie interessiert sein müssen. Diese Stoffe werden dann also für die friedliche Nutzung von uns dringend benötigt, um auf diesem Entwicklungsgebiet und in diesem Nutzungsgebiet nicht in den Hintergrund gedrängt zu werden.
Es ist mir bisher nicht klar, was im Sinne des Vertrages alles unter militärischen Zwecken verstanden wird. Ich nehme Ian, daß hier noch eine Klarstellung vorgenommen wird. Beispielsweise ist international jede Entwicklung eines Antriebes, bei der Kernenergie eingesetzt werden soll — etwa Antriebe für Schiffe oder für Luftschiffe —, eine militärische Angelegenheit. Auch hier bedarf es der Klarstellung; denn solche Antriebe wollen wir doch auch entwickeln, und wir sind schon an diesen Entwicklungsarbeiten. Wir brauchen dabei nicht immer gleich an Kriegsschiffe oder Kriegsflugzeuge zu denken. Entweder kann dann aber in solchen Fällen Euratom diese besonderen Kernstoffe für militärische Zwecke herausziehen oder es kann Anforderungen mit der Begründung ablehnen, daß es sich um militärische Zwecke handeln könne. Das würde aber dann wieder nur bei einigen Partnern Geltung haben. Wir haben in unserem Entschließungsantrag, den ich noch kurz erläutern werde, auch diese Frage, die uns außerordentlich bedenklich erscheint, aufgenommen.
In dem fünften Punkt unserer Anfrage wird nach der Zusammenarbeit von Euratom mit anderen internationalen Organisationen gefragt. Wir kennen neben Euratom
erstens die Europäische Organisation für kernphysikalische Forschungen, abgekürzt CERN — hier trägt die Bundesrepublik 13 Millionen DM im Jahre 1957 bei,
zweitens die Europäische Atomenergiegesellschaft, die insbesondere den Austausch und die Verbreitung von Informationen und Ähnliches bezweckt und der die Bundesrepublik im Februar 1956 beigetreten ist.
Drittens erwähne ich die Vorbereitung einer Zusammenarbeit der 17 OEEC-Staaten, die offensichtlich intensiv weiterbetrieben wird und bei der wir uns doch auch nicht ausschließen wollen.
Viertens ist die von 81 Staaten gegründete Internationale Atomenergiebehörde zu nennen, bei der sich die Bundesrepublik ebenfalls beteiligen will und die dem Euratom sehr ähnliche Aufgaben übernehmen soll.
Deshalb muß nach unserer Auffassung von vornherein vermieden werden, daß organisatorische Überschneidungen mit den dadurch unvermeidlichen Reibungen und Mißhelligkeiten bei der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Atomwirtschaft eintreten. Darüber hinaus frage ich mich immer wieder, wie eigentlich die Bundesregierung zur Wahrnehmung aller dieser Verpflichtungen die nötigen Fachleute und Fachbeamten auf die Beine stellen will, abgesehen von den finanziellen Belastungen.
Wir benötigen also — ich wiederhole diesen unseren Wunsch — vordringlich eine Koordination aller dieser Arten und Formen internationaler Zusammenarbeit, und wir empfehlen hierzu einen größeren Rahmen als Euratom. Von der Organisation Euratom muß demnach alles getan werden, um sicherzustellen, daß sich dieses Atomkartell nicht so etabliert und so versteinert, daß es nicht mehr in der Lage ist, in eine weiter gefaßte Organisationeinzugehen. Wir haben mit der Bürokratie und der Administration leider schlechte Erfahrungen gemacht; ich fürchte, das gilt für die nach französischem Vorbild installierte nicht weniger.
Schließlich komme ich zum letzten Punkt unserer Anfrage. Nach Ansicht der Bundesregierung und des Herrn Atomministers ist diese Frage — nämlich inwieweit Euratom den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur friedlichen Nutzung der Kernenergie berührt — im wesentlichen zu verneinen. Ich wage das zu bezweifeln. Die beginnenden Ausschußberatungen über den Regierungsentwurf haben schon gezeigt, daß fast jeder Paragraph des Gesetzes im Hinblick auf den Euratomvertrag überprüft und angepaßt werden muß. Ich will damit nicht sagen, daß eine deutsche Gesetzgebung überflüssig geworden sei. Aber natürlich muß sie auf die Bestimmungen des Euratomvertrages Rücksicht nehmen und auf diesen Bestimmungen aufbauen. Gewissermaßen würde also mehr ein Durchführungsgesetz zu schaffen sein; Euratom übernimmt ja, wie bereits erwähnt, derart erhebliche Hoheitsrechte, daß das eine selbstverständliche Folge ist.
Weitere Einzelheiten zu diesem Punkt würden heute abend zu weit führen. Lassen Sie mich als Beispiel nur auf Art. 29 des Euratomvertrages hinweisen, in dem festgelegt wird, daß Abkommen oder Verträge über den Austausch von wissenschaftlichen oder gewerblichen Kenntnissen auf dem Gebiete der Kernernergie, soweit sie die Un-
terzeichnung durch einen Staat erfordern, von der Kommission geschlossen werden müssen. Bekanntlich haben einige Partnerstaaten besondere Organisationen oder Kommissionen geschaffen, die solche Verträge — ohne Unterzeichnung durch den Staat selber — abschließen. Nach der Gesetzesvorlage der Bundesregierung ist das bei uns nicht möglich. Wir würden also nur Staatsabkommen haben, die dem genannten Art. 29 unterliegen. Das bedeutet doch wohl einen erheblichen Nachteil für die Bundesrepublik. Es gibt noch andere Dinge, die angeführt werden könnten, mit denen sich aber dann der Ausschuß eingehend zu befassen hat.
Obwohl nicht in dieser Großen Anfrage meiner Fraktion ausdrücklich aufgeführt, möchte ich doch noch eine Frage anschließen, nämlich die, inwieweit das so häufig genannte Junktim zwischen Gemeinsamem Markt und Euratom aufrechterhalten bleibt bzw. für die Bundesregierung verpflichtend ist.
Abschließend möchte ich die Begründung unserer Großen Anfrage mit der Feststellung, daß meiner Ansicht nach der Euratomvertrag keineswegs die nötige Synthese zwischen den politischen und den wirtschaftlichen Interessen gebracht hat und in dieser Hinsicht nach unserer bisherigen Kenntnis nicht als ein guter Vertrag bezeichnet werden kann. Ich wiederhole: Bei aller vorgebrachten Kritik an Euratom und der Sorge um die Auswirkung auf die beginnende Atomwirtschaft bei uns selbst sind meine Freunde und ich der Überzeugung, daß gerade auf dem Gebiete der friedlichen Nutzung der Kernenergie eine internationale Zusammenarbeit unerläßlich ist, die sich bei entsprechender Ausgestaltung auch nur nützlich für alle Beteiligten und so auch für die Bundesrepublik auswirken würde.
Ich glaube, daß es zweckmäßig ist, diese Große Anfrage dem Atomausschuß zu überweisen, und möchte hiermit den Antrag stellen.
Gleichzeitig liegt Ihnen nunmehr der Entschließungsantrag — es ist „Antrag" geschrieben, es soll aber ein Entschließungsantrag sein — auf Umdruck 989 vor. Ich bitte, diesem Entschließungsantrag Ihre Zustimmung zu geben. Er hat ausschließlich einige der Bedenken zum Inhalt, die mir besonders erwähnenswert erscheinen und besonders schwerwiegend sind und die ich vorhin erläutert habe. Es handelt sich also dabei um Fragen, die unserer Auffassung. nach unter allen Umständen geklärt werden müssen. Wir fordern einmal, daß die in der Bundesrepublik anfallenden besonderen Kernbrennstoffe nicht über Euratom für militärische Zwecke in den Partnerstaaten entzogen werden können, zweitens, daß die Programmgestaltung bei uns nicht immer gestört werden kann durch die an sich vorgesehenen Optionsrechte von Euratom, wenigstens nicht dann, wenn eine grundsätzliche Genehmigung für irgendeinen Verarbeitungsprozeß vom Erz bis zum Kernbrennstoff und bis zur Energiegewinnung von Euratom gegeben worden ist, und zum dritten, daß der Informationsaustausch zwischen den Partnern von Euratom, der sehr wesentlich ist, nicht durch einen Partner mit der Begründung eingeschränkt werden kann, daß er aus militärischen Gründen hierzu nicht bereit sein könne.
Ich glaube annehmen zu dürfen, daß diese drei Punkte von allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses mit unterschrieben werden können. Wir bitten
daher, diesen Entschließungsantrag sofort zur Abstimmung zu bringen.